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Erschienen am 12.04.2002
im Tagesspiegel, Berlin
.Mythos Hacker

Der Tod der Berliner Hackers Boris F. wird zur unendlichen Geschichte und zum Mythos im Internet. Das junge Computergenie mit dem Pseudonym "Tron" wurde am 22. Oktober 1998 in einem Park in Berlin-Britz erhängt aufgefunden. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft gibt es keinen Anlass, an einem Suizid zu zweifeln. Die Ermittlungen wurden im Mai 200 eingestellt. Trons Angehörigen und einige der Freunde Trons jedoch gehen von einem Mord aus. Eine Homepage, die sich dem Andenken Trons widmet und dessen Inhaber sich nicht zu erkennen gibt, veröffentlicht jetzt Akten und Dokumente, die angeblich die These erhärtet, der Hacker sei umgebracht worden. Alle, die Tron nacheiferten, seien gefährdet. "Nur ein breites Wissen über den Mord kann Nachfolger von Tron schützen", heisst es auf der Webseite tronland.net.

Suggestive Berichte in zahlreichen Medien nehmen den Mythos ernst, der sich in der Szene der jugendlichen Computer-Freaks um die Figur Trons rankt und der von Spielfilmen verstärkt wird: Ein junger Computer-Freak, dessen überragendes Wissen ihn für Geheimdienste interessant macht und für Firmen, deren Codes er knackt. gefährlich macht. "Hacker leben gefährlich", behauptete der verstorbene Gründer des Chaos Computer Clubs, Wau Holland. Dieser Mythos hat jedoch mit der Realität wenig zu tun, auch wenn sich sogar der Sprecher des CCC, der ICANN-Direktor Andreas Müller-Maguhn, in die Front der Verschwörungstheoretiker eingereiht hat. Das Gestrüpp der Mutmaßungen ist jedoch mittlerweile so dick, dass ohne Kenntnis der Details die Fakten kaum noch zu erkennen sind.

Die Todesursache ist unstrittig. Bei der Obduktion am Institut für Rechtsmedizin der Freien Universität Berlin im Oktober 1998 durch zwei international anerkannte Mediziner ergab sich kein Anzeichen für Fremdverschulden. Boris F. ist an einem akuten Sauerstoffmangel des Gehirns infolge Erhängens verstorben. Die chemisch-toxikologischen Untersuchung stellt keinerlei Spuren von Medikamenten oder gar Giften fest. Die Leiche wies keine Verletzungen auf, die hätten auf einen Kampf schließen lassen könnten. Wer von Mord spricht, muss daher annehmen, Boris F. hätte sich ohne Widerstand durch unbekannte Täter aufhängen lassen.

Die Mord-Theorie wird durch ungeklärte Fragen gespeist, die sich um den Todeszeitpunkt drehen. Tron verließ am Samstag, dem 17. Oktober, die elterliche Wohnung, um Geld aus einem Bankautomaten zu ziehen. Seine Leiche wurde erst am Donnerstag gefunden. Frühester Todeszeitpunkt ist laut Obduktionsbericht der Dienstag. Bei der Obduktion wurden im Magen des Toten Reste eines Nudelgerichts gefunden, das nach Ansicht der Mutter identisch mit dem sei, das Boris F. kurz vor seinem Verschwinden von ihr vorgesetzt bekam. Ob das der Fall ist, konnten die Rechtsmediziner nicht beantworten. Da eine Mahlzeit aber nach wenigen Stunden verdaut ist, könnte entweder der durch die obduzierenden Mediziner vermutete Todeszeitpunkt falsch sein oder Tron hat kurz vor seinem Tod ein ähnliches Gericht zu sich genommen. Letzteres vermutet Hauptkommissar Klaus Ruckschnat, der Leiter der 3. Mordkommission des Berliner Landeskriminalamts.

Die Spekulationen über den Todeszeitpunkt können die Todesursache jedoch nicht in Frage stellen. Diejenigen, die an Mord glauben, gehen davon aus, dass Unbekannte Boris F. getötet hätten, ohne dass der sich gewehrt hätte, seine Leiche mehrer Tage in einem Kühlhaus aufbewahrt hätten und den Toten anschließend wieder im Park aufgehängt hätten, um Suizid vorzutäuschen, ohne Spuren zu hinterlassen. Nur so könnte erklärt werden, dass sich der Mageninhalt, wenn er aus dem Nudelgericht der Mutter besteht, über Tage erhalten hat.

Aus forensischer Sicht ist diese Theorie völlig abwegig. Zudem hätten professionelle Täter vermutlich andere Möglichkeiten gewählt, die Polizei und die Gerichtsmediziner auf eine falsche Fährte zu locken. Niemand hat auch bisher eine Theorie formliert, warum der Tote angeblich mehrer Tage gekühlt aufbewahrt werden musste. Auch mögliche Täterkreise und Motive werden nie genannt, obwohl Mitglieder des CCC angeblich seit 1998 recherchieren. Boris F. hackte die Codes diveres Chipkarten, die benötigt werden, um die Decoder für Pay-TV-Sender freizuschalten. Für diese Hacker-Programme gibt es im Internet einen Schwarzmarkt. Mit geringem Aufwand kann jeder, die die Zugangssperren der Anbieter umgehen will, die Software herunterladen und die Chipkarten umprogrammieren. Tron war einer der besten Chipkarten-"Piraten" Europas. Das bestätigte auch Ray Adams, ein ehemaligen Agent von Scotland Yard und Headhunter der Firma NDS, deren Filiale in Israel die auf Verschlüsselungsalgorithmen spezialisert ist. Adams hatte Boris F. angeboten, für ihn zu arbeiten, der jedoch hatte abgelehnt. (vgl. www.burks.de/ra.html) Ein Motiv für Mord ist jedoch, auch wegen der geringen Gewinnspanne der "Piraten", kaum zu erkennen.

Auf der Website tronland.net wird behauptet, Trons Diplomarbeit "Realisierung einer Verschlüsselungstechnik für Daten im ISDN B-Kanal" sei ein möglicher Grund für eine Ermordung. (www.burks.de/tron/tron.htm). Boris F. hatte mit geringen Mitteln ein Telefon gebaut, das das digitale Gespräch in Echtzeit verschlüsselt. Professor Clemens Kordecki von der technischen Fachhochschule hielt die Arbeit seines Studenten für "genial". Dennoch: Diese Telefone waren schon auf vorher dem Markt, nur nicht zu erschwinglichen Preisen. Auch der Chaos Computer Club hat bisher keinen Anlass gesehen, Trons Telefon nachzubauen, obwohl die Diplomarbeit Trons schon vor dessen Tod öffentlich zugänglich war.

Die Verschwörungstheorien, die sich um den Tod des Hackers ranken, führen immer wieder an, es habe keine Anzeichen für Depressionen oder gar ein Motiv für Suizid gegeben. Auch wenn das für die Angehörigen schmerzhaft und nicht nachvollziebar ist: Dieses Argument ist vermutlich falsch. Boris F. War, auch in den Augen seiner wenige Freunde, kontaktscheu, reagiert, vor allem in der Zeit vor seinem Tod, aggressiv und oft unangemessen auf Kritik, als quälte ihn ein innerer Konflikt. Berufliche Wünsche hatten sich zerschlagen, eine Bewerbung bei einem Berliner Software-Unternehmen war gescheitert. Zudem war Boris F. Legastheniker, erlitt an einer Schreibschwäche, die schon seine Lehrer bemerkten, die er aber gut kompensieren konnte. (www.burks.de/eid.html) Wenige Tage vor seinem Tod erlitt er eine große Enttäuschung: einer seiner vielversprechenden "Hacks" eines Chipkarten-Codes, von dem er nur wenigen erzählt hatte, was durch einen Unbekannten schon ins Internet gestellt worden. Ein Hacker, mit dem Tron in der Nacht vor seinem Verschwinden lange telefonierte, behauptet, Tron sei "völlig durch den Wind" gewesen. Diese Indizien, die, neben anderen, zumindest Anzeichen für eine Krise im Leben des Hackers hätten sein können, werden von den Anhängern der Mord-Theorie verschwiegen. Dr. Klaus, durch zahlreiche Publikationen ausgewiesener Experte für Suizid-Gefährdung bei Heranwachsenden, meint, dass oft nichtige Anlässe eine schwelende seelische Krise zum Ausbruch bringen, die im schlimmsten Fall dazu führen können, dass derjenige keinen Ausweg mehr zu haben glaubt und den Freitod wählt.

Auf den Mythos Tron hat das keinen Einfluß. Im Gästebuch von tronland.net haben sich zahlreiche Fans des toten Hacker verewigt: "Du wirst in meinem Herz ewig leben. Du warst ein Hirn, jetzt bist du eine Legende. Das war kein Selbstmord." heißt es da. "Früher oder später wird die Wahrheit rauskommen."

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