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Erschienen am 09.08.2000
(gekürzt) im
Tagesspiegel, Berlin
.Spiel mit der Zweideutigkeit -
Der rechte Musik-Underground verschwimmt mit dem Pop-Mainstream

Die Handzettel waren braun, mit schwermütigen Motiven, die an Caspar David Friedrich erinnern. Vor wenigen Wochen wurden sie in ausgesuchten Lokalen Leipzigs verteilt. Ein Verein "Ars Auditionis" lud zu "schwarzen Tanzabenden" ein. Wer afrikanische Folklore, karibische Rhytmen oder Rap aus den Ghettos amerikanischer Großstädte erwartet, irrte. Es ging um eine Nazi-Version des Gothic, der Musik der Gruftie-Subkultur, in der schwarze Kleidung, schwülstige Texte und depressives Gehabe zum guten Ton gehören. In diesem Fall auch völkisches-romantisches Geraune, umrahmt von Lichtgewittern à la Riefenstahl. Der wichtigste Verlag der kleinen, aber tiefbraunen schwarzen Szene nennt sich "Eislicht" und vertreibt von Dresden aus einschlägige Tonträger und Devotionalien.

Gothic ist nicht per se rechts. Kein Musikstil ist politisch eindeutig festgelegt. Seit einigen Jahren sind im ultrarechten Milieu jedoch Stilmittel en vogue, die allen Spielarten der musikalischen Populär- und Subkulturen entlehnt worden sind. Rechte Pop-Kultur hat sich aus der Schmuddelecke der Skinheads und Neonazis in den Mainstream bewegt und gibt sogar im Osten Deutschlands den Ton an. Deutsche Rock- und Popmusik war in der Vergangenheit alles, nur nicht rechts. Die braune Szene ist jetzt selbstbewusst genug geworden, ihre Ausdrucksformen zu variieren. Sie nimmt selbst schillernde Mehrdeutigkeit in Kauf. Eine dezidierte politische Botschaft muss nicht mehr sein: die richtige Assoziation beim Publikum ist garantiert. So wird Subkultur zur Populärkultur.

Die Message entsteht erst aus suggestiven Collagen, die das Publikum als Zitate erkennt und rezeptiv zusammensetzt. Das Hakenkreuz auf dem T-Shirt des legendären Punk-Musikers Sid Vicious bedeutete, auf englischen Bühnen hergezeigt, etwas anderes als bei einem Konzert der Skinhead-Organisation "Blood and Honour" in Deutschland. In der klassischen Jugendforschung der siebziger Jahre galt die Koketterie mit rechter Symbolik in bestimmten Segmenten der Jugendkulturen nur als generationsspezischer Konflikt, der gegen die "linken" Eltern gerichtet war und Tabus nur erschüttern konnte, wenn er sich rechter Ikonografie bediente. Der Konsens blieb: Das gibt sich wieder. So war es auch. Heute ist das anders: Fascho-Pop landet zwar nicht in den offiziellen Charts, ist jedoch, die Verkaufszahlen betreffend, salonfähig und hat längst die Grenzne homogener sozialer Milieus überschritten.

Die Rezeption des "brutalen" Skinheads, der als mediengerechte Ikone physische Gewalt symbolisiert, beruht in Wahrheit auf einem Missverständnis. Symarip, eine der frühesten Skinhead-Bands überhaupt und Verfasser der ersten Hymne der Szene, "Skinhead Moonstomp", spielte in den sechziger Jahren Ska-Rhythmen. Erst die zweite Generation der Glatzen, zehn Jahre später, lud den karibischen Offbeat mit härteren Heavy-Metal-Elementen auf. Die rechten Glatzen und ihre Musik haben mit den Wurzeln der Skinheads so viel zu tun wie ein heutiger Aasgeier mit dem Archäopterix. Die Ikonografie, die Zeichen und musikalischen Tradition der Skinhead-Subkultur bedeuten für das rechte Milieu heute das, was Uniform und Marschmusik für die Freikorps und faschistischen Schlägerbanden in der Weimarer Republik waren: nur Zitate als Mittel zum Zweck, die Gruppe nach innen und aussen zu formen. Der Skinhead gilt im öffentlichen Diskurs jedoch als Synonym für "Neonazi", weil damit die politischen Inhalte in eine vermeintliche "Sub"kultur verbannt und somit marginalisert werden können. Wer „Skinhead" sagt, wenn Rassist, Antisemit und Neonazi gemeint sind, will damit suggerieren, dass das Böse nicht ein Problem des gesellschaftlichen Mainstreams sei.

Jede Stilrichtung der musikalischen Populärkultur, ausser Punk, hat heute ein eigenes Nazi-Segment: rund 100 Skinhead-Gruppen bedienen die klassische Klientel in der Nachfolge von "Störkraft" und "Noie Werte", die schon vor zehn Jahren von den Medien skandalisiert wurden. „Schlagzoig" spielt für die rechten Rockabillies, die mittlerweile aufgelöste Gruppe „Saccara" für Heavy-Metal-Fans. Es gibt Frauen-Bands wie "Monique/Lack&Leder". "Standarte" wurde durch Techno-Arrangements in der Szene bekannt. Die vorgebliche Folk-Band "Dies Natalis" aus Sachsen spielt Gothic, und die "Barden" Frank Rennicke und Rene Heizer bedienen das braune Massenpublikum. Der Vertrieb der Tonträger läuft zwar über den einschlägen Versandhandel, aber die meisten Titel verbreiten sich über private Kopien und werden von Hand zu Hand weitergegeben.

Der Beweis, dass es sich um ein breites Publikum handelt, steht im Internet: Die Website Mp3.com bietet die Musik der Welt zum freien Download an. Sie listet weltweit die Charts auf, es entscheiden weder Qualität der Musik noch ästhetische oder politische Kategorien, sondern ganz brutal ausschließlich die Zugriffszahlen. Die Rubrik World Folk - World Traditions - European - Germans Charts wird dominiert von ultrarechter Musik. Von den ersten 15 Titeln, die heruntergeladen wurden, sind allein zehn vom Neonazi Frank Rennicke. Eine Hymne an Rudolf Hess ist Spitzenreiter, erst weit abgeschlagen folgt der harmlose "Zillertaler Hochzeitsmarsch." Die Hitliste ist ein weltweites Aushängeschild deutscher Kultur und deutschen Musikgeschmacks.

Doch ist jeder, der Lieder wie "Das Mädel mit der Fahne" oder dumpfe "Für Deutschland"-Lieder mag, ein Neonazi? Rennicke gibt für das rechte Milieu den generationsübergreifenden braunen Heino. Er kokettiert, zudem geschickt mit seiner Rolle als jemand, der "vom System" verfolgt wird. Das kommt vor allem bei Jugendlichen an. Fehlende Kommerzialsierung gilt als Zeichen der Authentizität, ganz gleich, ob die Musik nach künstlerischen Kriterien primitiv ist. Auch für rechten Underground gilt der Satz Bernard Summers von "Joy Division" über Punk: "Ich sah die Sex Pistols. Sie waren schauderhaft. Ich fand sie grossartig. Ich wollte aufstehen und auch schauderhaft sein."

Deswegen ist auch die jahrlange Diskussion deutscher Feuilletons, ob die "Böhsen Onkelz" eine "rechte" Band seien, müßig. Ganz gleich, ob die Musiker sich rituell von allem distanzieren, was den Kommerz und das gesellschaftliche Prestige schmälern könnten - das Publikum denkt sich seinen Teil. Natürlich sind die "Onkelz" eine Band, die Leute begeistern, die sich zwischen den kulturellen Eckwerten Bierbauch, Kampfhund, "die Presse lügt", "keiner versteht mich" und Südstaaten-Flagge bewegen. Musik wird dann erfolgreich und überschreitet die Grenzen hermetischer sozialer Milieus, wenn die Rezipienten mehr assoziieren können als die Künster aussprechen müssen. In diesem Sinne ist rechte Musik heute äusserst effektiv.

Aber wann ist Musik"rechts"? Gibt es Kriterien - Texte, die der Verfassungsschutz mit dem sinnfreien Gütesiegel "extremistisch" auszeichnet? Indizierte Musiktitel, die sechs Monaten nach ihrer Produktion im Pflichtblatt für den Nazi-Versandhandel auftauchen, der Broschüre der "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften"? Verbotene Musik gibt es im juristischen Sinn nicht, laut Grundgesetz findet eine Zensur nicht statt. Viele Titel werden jedoch wegen volksverhetzender Texte a posteriori beschlagnahmt oder dürfen nicht mehr verkauft oder Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden. Die einschlägige Rechte Musik wird nur in wenigen Läden gehandelt, und wenn, dann gegen bestimmte Codeworte, die man durch die Lektüre einer der zahlreichen Fanzines erfährt. Die Indizierung ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel, nur noch symbolisch gemeint und völlig erfolglos. Viele lokale Bands lösen sich nach einer CD auf und gründen sich unter anderem Namen neu. Das Hochglanz-Magazin "RockNord" mit einer Auflage von 15000 Exemplaren spiegelt den aktuellen Trend: "rechts" muss nicht mehr primitiver Nazi-Jargon sein, was normal ist, bestimmt die Nachfrage. Nazis sind Pop.

Natürlich bleiben zahlreiche Texte auf unterstem Niveau und sind kaum druckreif. "Sie ist ‘ne Ausländerhure, ohne Moral übt sie Volksverrat" („Ausländerhure" von Kraftschlag). "Tötet ihre Kinder, schändet ihre Frauen, vernichtet ihre Rasse und lehrt ihnen das Grauen" ("Kanaken-Song"). "Neger, Drogen, linkes Gesocks" (Sperrzone). "Ich kann Kommunisten nicht ertragen und will Punkern in die Fresse schlagen" ("Helden" von Kahlkopf) "Lass die Messer flutschen in den Judenleib rein." (Endsieg) Die klassische rechte Skinhead-Musik spricht jedoch nur eine bestimmte Klientel an. Selbst Frank Rennicke, seit 15 Jahren bekennender Neonazi, distanziert sich von der Glatzen-Kultur, die ihm zu "undeutsch" ist.

Bei einer Lautstärke von in der Regel 120 Phon, extrem schnellen und einfachen Rhythmen und körperbetonten Tanzformen wie dem aus dem Punk stammenden "Pogo" sind die Texte kaum zu verstehen. Sie haben dennoch eine suggestive Bedeutung: Sie knüpfen an den vorhandenen Gruppenkonsens an und üben ihn emotional ein. Rechte Musik ist keine Aufführung, sondern Event. Die "Künstler" teilen nichts mit, das Ereignis selbst ist die Botschaft: Die Bühne trennt die Musiker nicht vom Publikum. Oft lässt die Band die "verbotenen" Stellen weg, dafür ergänzt sie das Publikum im Chor. Skinhead-Konzerte als Freizeit-Ereignis bieten den Kick der Massenaktion, verweisen auf „das Eigentliche" jenseits des Konzertes, die kollektive Gewalt. Die flüssige Droge Alkohol, rassistische und gewaltverherrlichende Texte, ein für Aussenstehende unerträglicher Lärmpegel und agressive Körperkontakte sind die Schmiermittel der Gruppendynamik.

„Böse" und „laut" waren in der Geschichte des Pop wichtige Kriterien für rebellische Musik. Der Trend ging musikalisch vom Einfachen zum Komplexen und zurück, und das Neue gerierte sich immer als Rebellion. Punk gegen Hippie-Musik, Grunge gegen Pop. Ein Punk-Musiker, der sich auf der Bühne den Finger in den Hals steckt und das Erbrochene in Richtung Publikum schleudert, erreicht zwei wichtige Dinge: er zeigt, dass er nicht käuflich ist und schreckt privilegierte Jugendliche aus der Mittelschicht ab, für die subkulturelle Rebellion eine nur modische und zeitweilige Attitude ist. Das ist authentisch und echt und wird dementsprechend honoriert.

Nicht zufällig boomt subkultureller rechter Pop fast auschliesslich in den neuen Bundesländern. Das politische Wort ist diskreditiert, „die Presse lügt" zentrale Botschaft rechter Propaganda. Wer keinen Zugang zu öffentlichen Medien hat, wessen Lebensgefühl im öffentlichen Diskurs nicht auftaucht, der nutzt subkulturelle Ausdrucksformen. Grufties, Punks, Skinheads - was im Westen kommerzialisiert und nur noch Mode ohne Message ist, bedeutet im Osten Identität. Der Rassismus der rechten Musikszene ist echt, die Jugend fühlt nicht anders als die Erwachsenen. Sie nutzt andere Mittel, um das zu artikulieren. Musik ist ein Medium, nicht der Inhalt selbst. Musik kann man aber genausowenig verbieten wie schlechtes Wetter.

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