Dokument 3Y5090/Archiv Jenny van Dyke


Empfänger: Cecile Bouchier
Betreff: Einstein-Bose-Kondensat :-)
Absender: Jenny van Dyke
Datumscode: 200210110642688W+1 11.10.02, 22:59:01

Liebste Cecile,
Ich bin Dir noch eine Erklärung schuldig. Aber in dem Trubel nach meiner Flucht kam ich nicht dazu. Wie Du weißt, habe ich alle Computer des Sicherheitssystems in der sogenannten Rehabilitationsklinik lahmlegen und danach entwischen können - dank Deiner Hilfe! :-) Meinen Rechtsanwälten gelang es endlich, das skandalöse Urteil gegen mich kassieren zu lassen. Jetzt bin ich vollständig rehabilitiert.
Ich ahnte schon kurz vor meiner Verhaftung, daß Pierre ein Spitzel ist. Ich konnte aber erst jetzt beweisen, daß der elektronische Anschlag damals - auf Europol - allein sein Werk war - um unsere Ziele zu diskreditieren! Sabotage habe ich immer abgelehnt.
Ich schickte Pierre, wie Du weißt, aus der Klinik einen Brief mitsamt einer Graphik, in der ich einen Text verbarg. Damit legte ich eine falsche Spur und verschaffte Dir die Möglichkeit, mich legal anzurufen. Natürlich nahm ich an, daß sie die Mail auch auf Steganographie untersuchen würden. Derartige Programme kamen schon 1991 auf den Markt, und die Kryptologen bei Europol sind keine Schlafmützen. Jeder einigermaßen begabte Mensch weiß auch, daß Paßworte auf der Festplatte eines PCs wieder sichtbar gemacht werden können. Aber sie waren ja so begierig, einen "Kassiber" zu finden! Deshalb kamen sie nicht auf die Idee, daß ich sie benutzte statt umgekehrt.
Mein Plan hatte zwei Schwachstellen. Zum einen wußte ich nicht, wie Du reagieren würdest. Du hast das gute alte Crack tagelang rechnen lassen, um meine Paßworte herauszubekommen - und fandest nur belangloses Zeug! Ich hoffte aber, Dir würde das Stichwort "telefonieren" etwas sagen. Du hast mich nicht enttäuscht! :-) Zum anderen fürchtete ich, daß sie mich in der Klinik nicht per Computer telefonieren lassen würden. Aber da zu ihrem Plan gehörte, meine Haftbedingungen zu erleichtern, um mich in Sicherheit zu wiegen, spielten sie mir in die Hände.
Du kannst das komplizierte Thema während der Pressekonferenzen in den nächsten Tagen kurz und knapp darstellen. Ich liege schon mit Notebook unter Palmen und benutze den einzigen Internet-Anschluß von Scarborough/Tobago! :-))

  1. ISDN bedeutet digitalisiertes Telefonieren. Seitdem ISDN flächendeckend eingeführt worden ist, kann man während des Gesprächs unbemerkt Daten übertragen. Das solltest Du den Presseleuten erklären. In den Neunzigern hat sich kaum jemand damit beschäftigt - das war wohl damals ein zu exotisches Thema...
  2. Die Daten werden via "Hintergrundrauschen" versendet. Bei analogem Telefonieren funktionierte das nicht, weil das "Rauschen" die Daten verfälschte. Du bist kein Risiko eingegangen und hast die Hintergrundgeräusche einer Telefonzelle aufgenommen. Es hätte auch ein Raum mit Stimmengewirr sein können.
  3. Du konntest in die Sound-Datei mit der "Telefonzelle" im Hintergrund :-) fast 2000 Bits pro Sekunde einbauen. Das niedrigwertigste Bit der Datei wird auf einen Wert des Bitstroms einer zweiten Datei gesetzt. Jedes popelige PC-Programm kann das - wie bei Steganographie mit Graphiken.
  4. Das reichte aus, um mir die Decodierung aller Algorithmen der gesamten Sicherheitsanlage direkt in den Bibliotheks-Computer zu schicken, obwohl ein halbes Dutzend Leute in der Leitung hing und jeden Ton mitschnitt! :-)) Ich hatte Dir die Basisdaten ja schon lange vorher übermittelt - aber auf umgekehrtem Wege, während des Telefonats mit meiner Mutter. Nur gibt es in einer psychiatrischen Klinik keine Großrechner, die ich benötigt hätte!
  5. Der Plan wäre nur mißlungen, wenn sie nach dem Telefonat die Festplatte des PCs analysiert hätten. Aber da sie den Ton überwacht hatten, wiegten sie sich in Sicherheit. Was ich mit den Algorithmen gemacht habe, weißt du: Alle Computer der Klinik in's Reich der elektronischen Träume geschickt und mir die Türen geöffnet! Ich bin ja nicht völlig unbegabt... :-) Und wer will es mir nachweisen? Was kann ich dafür, daß Psychiater ihre Rechner nicht ordentlich warten? Man sollte Computern eben nicht bedingungslos vertrauen! :-)

In Liebe Deine Jenny 8:-)


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