Schade, dass es keine Dämonen gibt. Wenn sie existierten, gingen sie mit dem technischen Fortschritt und flögen vermutlich in schwarzen Hubschraubern ohne Seriennummer. Es gäbe dann Internet-Seiten, auf denen verraten würde, wie man diese bösen Wesen bekämpfen muss: Mit Lichtglobuli, Mohnblütenöl, Kampfermilchpulver, kalten Fußbädern oder Raketen, die man aus Moldawien und Belize importieren muss.
Übrigens: Wo kommen eigentlich die weißen Streifen am Himmel her? Angeblich sollen das Kondensstreifen sein, Eiskristalle, die Abgase der Flugzeuge. Wer aber gibt die Garantie, dass diese harmlos erscheinenden Substanzen nicht etwas enthalten, das das Klima verändert, die Kühe auf den Weiden ganz kirre macht, die Planzen gentechnisch manipuliert, ja unsere Gedanken durcheinander bringt? Man kann eben nie wissen, ob es nicht Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, von denen noch nie etwas in der Zeitung stand.
Wir der Himmel also heimlich zerstört? Muss die Welt ahnungslos untergehen? Nein, das Ende ist zwar nahe, aber die Rettung auch. Der Schweizer Gabriel Stetter klärte im Januar 2004 in der Zeitschrift Raum & Zeit die staunende Öffentlickeit über die Wahrheit, wie er sie sah, auf: Viele Kondensstreifen enthielten chemische Substanzen, vor allem Aluminium und Barium. Damit solle verhindert werden, dass die Sonne das Klima weiter aufheize, der so genannte Treibhauseffekt - durch die vom Homo sapiens emittierten Gase hervorgerufen - solle kompensiert werden. Die schachbrettartigen Muster der Kondensstreifen, auch Contrails genannt, und ihre stabile Konsistenz habe es früher nicht gegeben. Stetter gab dem Phänomen einen Namen: Chemtrails.
Seitdem ist Stetter Herold und Prophet einer Anzahl esoterischer und verschwörerischer Theorien, die sich um die geheimnisvollen Kondensstreifen ranken. Kein Wunder. Das Thema Klima ist aktuell und geht auch jeden etwas an. Und nichts Genaues weiß man nie, das Phänomen des Klimawandels ist äußerst komplex und die Details, wer warum vür etwas verantwortlich ist, Zankapfel für heftige Debatten zwischen Industrie, Politik und Umweltschützern.
Die Zeitschrift Raum & Zeit ist bisher nicht als Konkurrenz zu ernsthaften wissenschaftlichen Publikationen aufgefallen. Ganz im Gegenteil: Dort erschienen auch Artikel, die die Relativitätstheorie - vorsichtig formuliert - "anders" interpretierten als die Mathematiker und Physiker und sehr abwegige Theorien über die Entstehung von AIDS. Das "logische" Muster ist immer gleich: Es gebe eine Wahrheit jenseit der bekannten Wahrheit, einige wüssten davon, verrieten es aber nicht. Nur die Eingeweihten - übersetzt: Esoteriker - könnten der Welt verraten, was wirklich geschehe.
Im September 2004 fragte die Tierschützer-Lobbygruppe "Fondation Franz Weber", die hinter dem "Journal Franz Weber" steht, den Schweizer Gesamtbundesrat, ob und wie man die Bevöklkerung über Chemtrails aufzuklären gedenke. Das daraufhin befragte Bundeamt für Umwelt, Wald und Landschaft gab sich bedeckt und meinte gar nichts. Kein Wunder: Man kann nur schwer zu etwas eine Meinung haben, das gar nicht existiert. Ähnlich erging es Greenpeace: Die Umweltschützer ließen sich von den Verschwörungstheoretikern nicht ins Boot holen. Die wissenschaftliche Grundlage sei "nicht in genügendem Maße gegeben."
Schon bald wurde auch das deutsche Umweltbundesamt von Anfragen besorgter Menschen überschüttet. Im Januar 2007 gab es dann eine Broschüre mit vielen vernünftigen Argumenten heraus. Für die Chemtrails gebe es keine wissenschaflichen Belege. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, das Institut für Physik der Atmosphäre, die Deutsche Flugsicherung GmbH, der Deutsche Wetterdienst, das Bundesministerium der Verteidigung, die US-Luftwaffe in Europa - alle wussten von nichts. Die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) habe auch keine Studie zum Thema Chemtrails verfasst, wie die Verfechter der Theorie behaupteten. Zwar hätten einige Wissenschaftler durchaus überlegt, ob und wie man durch chemische Substanzen am Himmel das Klima positiv verändern könne. Die Risiken und Nebenwirkungen dieses weltweiten "Geoengineering" seien aber nicht beherrschar, zudem sei schon der Versuch mit ungeheuren Kosten verbunden.
Kondensstreifen entstehen - wenn es genügend kalt ist - durch den Wasserdampf, der aus den Flugzeugtriebwerken entweicht. Ist die Luft sehr feucht, können sie langlebig werden und sich so ausbreiten, dass sie den bekannten Zirruswolken ähneln und von ihnen kaum noch zu unterscheiden sind. Sie werden Contrail-Zirrus genannt. Je dichter der Flugverkehr, um so zahlreicher sind natürlich auch die Kondensstreifen. In diesen Regionen sind etwa zehn Mal so viel vorhanden - besonders auch in der Schweiz. Die Wissenschaftler schätzen, dass zehn Mal mehr Contrail-Zirrus als linienförmige Kondesstreifen den Himmel bedecken. Ihre Form ändert sich ständig durch die Turbulenzen; diese Phänome, auch die zum Teil rautenförmigen Muster, können in Modellversuchen simuliert werden. Es ist sogar noch komplizierter: Die Kondensstreifen, werden sie vom Winde verweht, verwandeln sich nicht automatisch in Zirruswolken, sondern lösen sich zuerst auf. Nach wenigen Minunten geistern nur noch die Partikel - vom Boden aus nicht sichtbar - durch die Lüfte. Dann aber kristallisieren sie sich erneut und werden zu großflächigen Eiswolken.
Über die Größe des Effekts und wie genau er das Klima beeinflussen könnte, wusste man bisher nicht genug. Aber mindestens drei Prozent der Zirruswolken sind im wörtlichen Sinn ein Abfallprodukt des Fliegens. Das EU-Luftfahrt-Forschungsprojekt "Tradeoff" hat im Jahr 2003 erwiesen, dass die immer häufiger auftretenden Contrail-"Wolken" auf das Konto der Fliegerei gehen. Die weißen Zirren am Himmel lassen kurzwelliges Sonnenlicht zum Erdboden durch, blockieren aber umgekehrt die Wärme, die die Erde in den Weltraum zurückstrahlt. Die real nicht existierenden Chemtrails würden also genau das Gegenteil von dem erreichen, was ihnend ie Verschwörungstheorie unterschiebt: Die würden den Treibhauseffekt noch verstärken und ihm mitnichten entgegenwirken.
Gegen Verschwörungstheorien helfen jedoch keine Argumente, ja, sie bestärkten ihre Verfechter nur in ihrem Glauben. Chemtrails sind die Dämonen des Industriezeitalters: Die Zeichen der Endzeit für die, die die komplizierte Welt nicht mehr verstehen, ein riesiges gespühtes Menetekel: gewogen und so leicht befunden wie eine Zirruswolke.
Dieser Artikel von mir erschien am 29.03.2007 in der Schweizer Wochenzeitung. |