DEEP THROAT RELOADED Die Mutter aller PornofilmeVon Burkhard Schröder Daran kommen die Feuilletons nicht vorbei. Mitte August läuft ein Film über den legendären Pornofilm Deep Throat ("Tiefer Schlund") in den Kinos an. "Deepthroating", so steht es bei Wikipedia zu lesen, ist eine "artistische Art des Oralsex", die vor allem bei Schwulen beliebt sei. Wenn man etwas Längliches in den Rachen einführt, entsteht ein Brechreiz. Angeblich kann man durch Training dem entgehen.
Eine Diskussion über Pornografie ist müßig. Ich habe das Original ohnehin nicht gesehen. 1972 war ich gerade Kriegsdienstverweigerer geworden und dementsprechend politisch korrekt. Ich wusste auch nicht, dass dieser Film existierte. Heute kann man im derartige Filmchen an jeder Internet-Ecke herunterladen. Außerdem ist Oralsex im Kino weitaus weniger spaßig als live. Zum Film hat Stefan Fuchs schon im Februar alles Kluge gesagt: "Mit Deep Throat & Koks im Hinterzimmer der Mafia". Der Artikel sei wärmstens empfohlen.
Eine Passage ist allerdings strittig: "Was hinter der Leinwand geschah, darüber berichtete in Vorträgen immer wieder die nicht beachtete oder als Lügnerin dargestellte Linda Boreman alias Linda Lovelace, der Star des Deep Throat Filmes. Sie sprach von Gewalt, Vergewaltigung, Waffengewalt, Drogen und Angst. Was die Zuschauer im Film nicht sehen, erzählt Linda erst einige Jahre später als sie zu einer Gegnerin der Hardcore-Pornografie wurde und aus der bitteren Realität berichtete. Offensichtlich wurde sie von ihrem Ehemann mit Gewalt gezwungen bei dem Streifen mitzuwirken. Im Original - Film erkennt man die Striemen auf ihrem Körper."
Auf der Website pornoklassiker.de steht genau das Gegenteil: "Lovelace, die in den 80er Jahren zur einer Protagonisten der Anti-Porno-Bewegung wurde, schrieb nach ihrem Ausstieg aus der Pornobranche, dass es ein Verbrechen ist, den Film heute noch zu zeigen, weil jede Person, die den Film sieht, einer Vergewaltigung zuschaut. Von anderen Branchenkennern, wird das wiederholt bestritten. Lindas Auftreten im Film wirkt jedenfalls sehr locker und auch die Zeichen von Gewalteinwirkung an ihrem Körper, die Gegner des Films gesehen haben wollen, sind nicht zu erkennen." Wenn man sich die Biografie der Hauptdarstellerin ansieht, ist die erste Version die wahrscheinlichere. Aber sicher ist es nicht - beide Versionen klingen nach Public Relation der jeweiligen pressure groups. Wenn Lovelace das Geschehen a posteriori so empfunden hat, obwohl es anders war, hat sie dennoch subjektiv Recht gehabt. Vermutlich muss man sich ohnehin die eigene Geschichte passend zurechtlegen, um die Gegenwart logisch erklären zu können.
Man kann humanistisch gebildet nur über das Thema reden, wenn man sich mit Habermas über den "Strukturwandel der Öffentlichkeit" Ende der siebziger Jahre Gedanken macht. Im Privaten gab es das, was die Hauptdarstellerin Linda Lovelace tat, ohnehin schon. Jetzt aber sah man das gemeinsam und quasi coram publico an.
Der Kampf für oder gegen Pornografie, ist er denn moralisch gemeint, kann auch nur darum gehen, ob der Mensch mit seinen sexuellen Vorlieben auf das Private reduziert oder ob das Sexuelle ein öffentlicher Code wird - für was auch immer. Eines ist jedoch klar: Ein Verbot von Pornografie wirkt wie das Verbot bestimmter psychotropher Substanzen. Die Illegalität bringt dann genau die Gewalt (als Risiko und Nebenwirkung) hervor, die dem kapitalistischen Markt nützt.
Sex unterwirft sich keinen Regeln. Eine Nachfrage nach Pornografie, was auch jeweils damit gemeint ist, wird es immer geben, ob Alice und Genossinen nun in eine Tischkante beissen oder nicht. Wer das leugnet, betreibt ausschließlich Moraltheologie vor der Folie protestantischer Askese (das ist ohnehin die stringenteste Definition des mitteleuropäischen Feminismus) - gut gemeint und ohne Folgen. Also ähnelt dieses kleine familienfreundliche Forum der Frauenbewegung, was das Wünschen und Wollen und das wie immer vergebliche menschliche Streben angeht.
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