Eine Freundin erhielt neulich den folgenden Brief vom Finanzamt Schöneberg, Kirchensteuerstelle in Berlin:
"Feststellung der Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft
Sehr geehrte Frau XXX
Wir wenden uns an Sie, weil ihre Kirchenzugehörigkeit bisher nicht aufgeklärt werden konnte. Wir bitten um Verständnis, dass die Kirche das Anliegen hat, diese Frage zu klären. Sicherlich liegt das auch in Ihrem Interesse. Wer zur Kirche gehört, hat bestimmte Rechte und auch Verpflichtungen. Wir wollen uns deshalb um Klärung bemühen, brauchen dazu aber Ihre Mithilfe. Darum möchten wir Sie bitten.
Sie hatten bisher Angaben zur Frage Ihrer Religionszugehörigkeit gemacht, doch reichen sie leider nicht aus. Wir bitten Sie daher, den beiliegenden Vordruck auszufüllen, zu unterschreiben und möglichst bald an uns zurückzuschicken. Wir wären dankbar, wenn dies innerhalb von zwei Wochen geschehen könnte.
Der Vollständigkeit halber möchten wir erwähnen, dass die Kirche befugt ist, solche Fragen zu stellen. Die Grundlage dafür ist Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 136 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung sowie § 88 der Abgabenordnung. Die Abgabenordnung regelt außerdem in § 90, dass die Fragen vollständig und wahrheitsgemäß beantwortet wrden müssen. Bitte haben Sie dafür Verständnis.
Mit freundlichem Gruß
XXXX"
Ich hätte kein Verständnis. Zumal die besagte Freundin weder Mitglied einer Kirche noch christlich getauft ist noch auf eine andere Art höhere Wesen verehrt. Sie glaubt noch nicht einmal an Horoskope. Leider gibt es in Deutschland, im Gegensatz zu Frankreich oder der Türkei, keine Trennung von Staat und Kirche. Daher dürfen die Pfaffen die staatlichen Organe missbrauchen, um ihre Pfründe zu sichern. Man muss also seine kostbare Lebenszeit opfern und komplizierte Fragebögen ausfüllen, obwohl man zu den vernunftbegabten Wesen gehört. Einfach unverschämt und trotz der schleimenden Höflichkeit dreist.
Friedrich Halfmann vom Verein zur Umwidmung von Kirchensteuern e.V. schreibt in seinem Aufsatz "Die unvollendete Trennung": "Manche Fachleute kennzeichnen die "deutsche" Trennung von Staat und Kirche als eine 'hinkende Trennung' (Ulrich Stutz). Andere urteilen härter. In seiner Dissertation, (Baden-Baden 1993), spricht Markus Kleine von 'Institutionalisierte(n) Verfassungswidrigkeiten im Verhältnis von Staat und Kirchen unter dem Grundgesetz'.
Wie kommt es zu dieser unterschiedlichen Bewertung? Alle Autoren beziehen sich auf denselben Text, und zwar auf die Artikel 137 bis 141 der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Diese wurden 1949 en bloc als Art. 140 ins Grundgesetz übernommen und haben seitdem alle (fast vierzig) Grundgesetzänderungen überstanden.
Art. 137 WR lautet: 'Es besteht keine Staatskirche', und damit sollte alles klar sein. Dann aber folgen die großen 'Aber...', jene Bestimmungen z.B. zum Körperschaftsstatus der Religionsgesellschaften, zur Kirchensteuer (die weit in das Steuerrecht hinein zu Einschränkungen von Grundrechten führen), zur Militär- und Gefängnisseelsorge und zu den Staatsleistungen. Diese Bestimmungen ordnen ihrerseits Kirchen und Staat so aufeinander zu, dass die erste Trennungsbestimmung völlig konterkariert wird."
Bei so vielen religiösem Brimborium sei ein eleganter Passus des Karl Marx (kein höheres Wesen hab ihn selig) ins Gedächnis gerufen - aus der Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie: "Luther hat allerdings die Knechtschaft aus Devotion besiegt, weil er die Knechtschaft aus Überzeugung an ihre Stelle gesetzt hat. Er hat den Glauben an die Autorität gebrochen, weil er die Autorität des Glaubens restauriert hat. Er hat die Pfaffen in Laien verwandelt, weil er die Laien in Pfaffen verwandelt hat. Er hat den Menschen von der äußeren Religiosität befreit, weil er die Religiosität zum inneren Menschen gemacht hat. Er hat den Leib von der Kette emanzipiert, Es sind weil er das Herz an die Kette gelegt."
eben in Deutschland zu viele Laien Pfaffen, die aus Überzeugung nicht frei denken können. Aber das ist für die geeigten Stammleserinnen und die wohlwollenden Stammleser vermutlich nichts Neues. Wir halten es hoffend mit Lichtenberg: "Unsere Welt wird noch so fein werden, daß es so lächerlich sein wird, einen Gott zu glauben als heutzutage Gespenster."
---------------------------------------------------------------------------------------BURKS ONLINE 14.04.2005 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des BurksVEB.
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