POLITIK | | Aktuell | 03. Oktober 2004 |
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SOLL MAN MIT DEN BRAUNEN KAMERADEN DISKUTIEREN? Die Neonazis verzaubernVon Burkhard Schröder |
In Deutschland sind immer die Grenzen ein Problem, real und im Kopf. Im Land der Jäger- und Maschendrahtzäune möchte man genau wissen, wer wo warum steht. Das weltanschauliche Reinheitsgebot wird jetzt durch die dunkelbraunen Kameraden auf eine harte Probe gestellt. Die sind dort, wo die Demokraten miteinander reden - im Parlament - und möchten mitspielen. Die Guten basteln mittlerweile an Verhaltenskodices, ob man mit Holger Apfel und ähnlichen Hohlbirnen zusammen im TV auftreten soll. Natürlich: der Deutsche, auch der politisch grüne Deutsche, redet nur, wenn er gefragt ist und braucht die dazu passende Dienstanweisungen und Durchführungsbestimmungen. Das Melden, Durchführen und Verbieten, sonst eine Lieblingsbeschäftigung der Guten, hat nicht funktioniert. Dumm gelaufen eben.
Die Grünen planen eine Ausführungsverordnung, wie mit der NPD umzugehen sei. Spiegel online berichtet: "Mit fünf Punkten wollen die Grünen-Politiker dem Umgang mit der rechtsradikalen NPD einen Rahmen geben: Man dürfe die NPD-Politiker nicht wie gewöhnliche Abgeordnete behandeln, müsse klar machen, dass es sich um eine Partei handele, die nicht auf dem Boden der Verfassung argumentiere, über Ausschreitungen und rassistische Äußerungen müsse man aufklären und diese bekannt machen. Die demokratischen Parteien müssten in dieser Angelegenheit zusammenarbeiten."
So neu kommt einem das nicht vor. Will man zwischen gewöhnlichen und ungewöhnlichen Abgeordneten trennen, stellt sich schnell die Frage: Wo genau ist jetzt der Unterschied zwischen einem Antisemiten mit CDU-Parteibuch und dem ohne? Sollen Salonfaschisten à la Junge Freiheit beim journalistischen Frühschoppen mitdiskutieren, oder ist das Blatt zu "ungewöhnlich"? Vermutlich muss man da, wie es Sitte und Brauch ist in Deutschland, zunächst die Experten des Verfassungsschutzes fragen, ob die einen rechten Ismus vermuten oder ob die betreffenden Kameraden, die sich ins TV drängen, extrem rassistisch sind oder nur ein bisschen. Trifft letzteres zu oder ist der braune Diskutant zwar Ex-SS-Mann und stolz darauf, dabei gewesen zu sein - wie Franz Schönhuber, langjähriger Ehrenvorsitzende des byarischen Journalistenverbands, braucht man nicht fluchtartig das Studio zu verlassen.
Sachens Ministerpräsident "...Milbradt hält es für richtig, die NPD in harten Auseinandersetzungen zu entzaubern." Welcher Zauber wirkt denn hier? fragt sich der Hobby-Ethnologe - und vermutlich fragen das auch die geneigten Leserinnen und wohlwollenden Leser dieses kleinen Familienforums. Haben die Neonazis die Wähler verzaubert, dass die nicht mehr wussten, was sie taten, als sie ihre Kreuzchen an der falschen Stelle machten? Die Formulierung ist so verräterisch, dass sie die relevante Frage beantwortet: die demokratischen Parteien wissen immer noch nicht, warum die undemokratische Konkurrenz jetzt leider neben ihnen sitzt. Vielleicht hat die NPD-Führung vor den Wahlen in Sachsen und Brandenburg sich heimlich kleine Stoffpuppen von Milbradt, Platzeck und Gerhard Schröder besorgt und mit Nadeln gespickt, um die magisch zu piesacken?
Gegenfrage: warum sollte man nicht mit Neonazis diskutieren? Was könnte schon passieren? Wer sich weigert, gibt zu, dass er (oder sie) fürchtet, "argumentativ" über den Tisch gezogen zu werden. Man könnte einen der üblichen sinnfreien Textbausteine, aus denen sich der antifaschistische Diskurs zusammensetzt, hervorkramen und laut rufen: Faschismus ist keine Meinung, sondern usw.. Gegen rassistische Vorurteile kann man ohnehin nicht rational argumentieren. Liebe AntifaschistInnen! Wer nicht redet, zeigt Feigheit vor dem Feind! Sogar Peter Glotz hat das erkannt: "Die Haltung eines Journalisten, der sagt, der kommt nicht in meine Sendung und dem biete ich kein Podium, das ist ein arroganter Pinsel und kein Journalist." Sehr wahr, hört, hört! Wer schweigt, weil der Feind neben einem sitzt, verzichtet auf die schöne Gelegenheit, das Publikum mit linkspopulistischen Parolen erfolgreich zu indoktrinieren. Und das wäre doch sehr schade.
Aber genau das ist das Problem: die Guten wissen oft gar nicht, mit wem sie es zu tun haben. Sie versuchen den Ausländerdiskurs und tappen damit in jede rhetorische Falle, die denkbar ist. Oder verkrampfen sich in Totalitarismus-Doktrinen, die das "Extreme" vom "Normalen" scheiden wollen. Auch das muss gnadenlos schiefgehen.
Da heute Sonntag ist, ein versöhnlicher Schluss. Liebe Guten! Liebe gut meinende Gemeinde, liebe LichterkettenträgerInnen, sehr geehrte Mut-gegen-rechts-Habende und Toleranz-Zeigende, liebe inländischen MitbürgerInnen! Es gibt nur eine Methode, mit Neonazis zu reden: man muss sich mit der Vorurteilsforschung auseinandersetzen und kognitiv dissonant sein. Was das bedeutet? Natürlich gibt es zu viele Ausländer in Deutschland. Und Neonazis haben auch gar nichts gegen Ausländer. Das kapiert ihr nicht? Quod erat demonstrandum.
Ich würde Neonazis nur eine Frage stellen - und dann wäre die Diskussion schon vorbei, weil die Sache so klar ist, wie man sie sich nur wünschen kann. Sehr geehrte kackbraune KameradInnen: Wer ist eigentlich das Volk? Und wenn dann die unvermeidliche völkische und rassistische Soße hervorquillt und KameradIn Hohlbirne erklärt, dass die Abstammung, die Biologie oder die Leitkultur angeblich diese Frage beantworte, dann klatsche ich mir auf die Schenkel vor Lachen. Aber das tue ich ja auch, wenn ich die Antworten auf die Fragen höre, die ich zu eben demselben Thema einem "gewöhnlichen" Abgeordneten stelle, etwa dem Kameraden Michael Glos (CSU).
Das Foto ganz oben zeigt den Genossen Ulbricht (KPD, 2.v.r.) und den Kameraden Goebbels (NSDAP, ganz links) bei einer gemeinsamen Diskussion am 27. Januar 1931 in Berlin.
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