Alle jubeln und sind unerbittlich fröhlich. Die Berliner feiern mit dem "Karneval der Kulturen" die angebliche "kulturelle Vielfalt" in der Hauptstadt. Die Sonne scheint, es kommen mehr Leute als früher, fast eine Million. In Wahrheit dokumentiert das Kreuzberger Ereignis ein Scheitern: Kultur wird zur Folklore umgemodelt, gut gemeintes Völkisches zu Kommerz, und die Deutschen verweisen die Einwanderer an den unpolitischen Katzentisch in der Gesellschaft.
Die gute Nachricht zuerst: Metin Kaplan, der "Kalif von Köln", marschierte nicht mit beim Berliner Immigrantenstadl. Auch eine talibanische Folkloregruppe war nicht zu sehen, obwohl unter den 180 Nationen, die in Berlin leben, zahlreiche Afghanen sind. Auch Saudi-Arabien scheint keine Kultur zu haben, die es wert wäre, karnevalistisch mitzumarschieren.
Wer tritt denn auf beim Maskenfest in Kreuzberg? Wer darf mitmachen - und wer muss leider draussenbleiben? "Fremde Kulturen" sind bei Deutschen nur dann beliebt, wenn sie die traditionellen Klischees aufwärmen: Asiaten sind für den Kampfsport zuständig, Latinos für Musik und Tanz und Schwarze für Trommeln. Und beim kurdischen Frauenverein marschieren die Männer selbstredend vorneweg, was beim gaffenden Publium Gelächter und einschlägige Kommentare hervorruft. Alles hat seine deutsche Ordnung: zeitnah zum "Karneval der Kulturen" forderte der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach Schutzhaft für unliebsame Ausländer. Die Botschaft der Deutschen an die "lieben ausländischen Mitbürger" ist eindeutig: Kultur, die die die Deutschen essen und hören können und deren textile Ikonografie hip ist, ist gut, Politik ist schlecht.
Die gute Nachricht: Kultur kann Mittel sein, um Teilhabe an der Macht zu fordern. Wer die Identifikation von Immigranten mit ihrer Herkunft auf Folklore reduziert, argumentiert jedoch völkisch: Ethnizität ist ein imaginärer Enfwurf und als Abstammungsgmeinschaft immer fragwürdig, weil sie eine Fiktion in einen naturhaften Zustand verwandelt. Einmal Türke, immer Türke, auch wenn der Türke einen deutschen Pass hat. "Kultur" gibt es nicht - nur als Forderung an sich selbst und in der der selbst gewählten Differenz als Anspruch an andere.
Der Kreuzberger Karneval fußt letztlich auf dem gescheiterten Konzept des "Multikulti": die Nation der Deutschen definiert sich immer noch über eine fiktive Leitkultur, die andere "Kulturen" als fremd ansehen muss. Die Deutschen haben sich ihre politische Identität als Bürger nie erkämpft, sondern mussten sie in der regressiven Besinnung auf Phantasmagorien wie zuerst die Antike, dann die Germanen finden. Hierzulande gibt es keine selbstbewussten citoyen, sondern nur Spießbürger.
Die "turkish community" kann sich nur artikulieren, wenn sie die Differenz zu den Deutschen betont. Aber die Berliner Türken sind schon so weit assimiliert, dass sie keinen Karneval brauchen. Deswegen laufen sie beim Karneval auch nicht mit. Als was könnten sie sich maskieren? Als Armenier, Tscherkessen, Jezidi, Anhänger Kemal Atatürks? Das würden die Deutschen nicht verstehen, weil diese "Subkulturen" weder unter "Weltmusik" im Musikfachhandel zu finden noch als Fastfood-Version erhältlich ist.
Kulturelle Unterschiede sind immer willkürlich, somit frei wählbar. Der diskursive Mainstream in Deutschland über Einwanderung zwingt die Migranten zur Selbstethnisierung: wer nicht trommelt und weiße Mittelschichtsfrauen in Tanzkurse treiben kann, bleibt aussen vor. Thüringer Rostbratwurst ist Caipirinha jedoch ebenbürtig, weil mittlerweile bekannt. Eine Tendenz des Kreuzberger "Karnevals der Kulturen" ist klar erkennbar: immer mehr Deutsche mischen sich unter die, für die die Veranstaltung eigentlich gedacht ist. Einige der Tanz- und Trommelgruppen hatten zwar ihre "Quotenneger" dabei, die den Rhythmus vorgaben, bei dem der Deutsche mit muss, bestanden aber mehrheitlich aus Weißen, die sich irgendwie bunt angemalt hatten.
Der Karneval in Berlin ist das Gegenteil seines ursprünglichen Vorbilds, des Notting Hill Carnivals in London. Die afrokaribischen Einwanderer in England mussten sich ihr Recht, öffentlich aufzutreten und politische Forderungen zu stellen, erkämpfen - gegen die Welle rassistischer Übergriffe Ende der sechziger Jahre Es gab seit den ersten Versuchen, in den Immigranten-Ghettos von London eine Straßenparty zu organisieren, immer wieder Straßenschlachten und Krawalle. "It is the tale of how a marginalised community built, protected and promoted what is now the largest street party in western Europe, using the radical cultural politics of the Caribbean to confront Britain's racist political culture", schrieb der Guardian im August 2002. Linton Kwesi Johnson setzte mit seinem berühmten "Forces of Victry" dem Londoner Karneval ein musikalisches, aber politisches Denkmal.
Der Karneval in London war ein Event von Engländern karibischer Herkunft, nicht von "Ausländern", wie in Berlin. Die Organisationen konnten sich in England auf ihre Rechte als britische Staatbürger berufen und mussten diese nicht, wie die "ausländischen Mitbürger" in Deutschland, erst erstreiten. Insofern ist der Berliner Straßenumzug verlogen. Er suggeriert eine Integration, die gar nicht stattgefunden hat und auch unter dieses politischen Bedingungen gar nicht stattfinden kann.
Wer Teilhabe an der Macht und Integration mit Folklore und "Kultur" verwechselt, muss auch das Judentum auf orthodoxe Schläfenlocken und Klezmer reduzieren. Juden und Palästinenser stellten sich in Kreuzberg karnevalistisch nicht da. Die jeweilige politische Botschaft hätte vielleicht die Touristen verschreckt. Das will niemand. Es geht letztlich um Kommerz. Und darum, dass der Mainstream die Einwanderer funktionalisiert, nicht umgekehrt. Einwanderung ist nur dann gut, wenn sie dem Kapitalismus nützt, Immigranten und ihre "Kultur" nur dann, wenn sie verkauft werden kann. Was als Subkultur und völkische Folklore startet, endet fast immer im Mainstream. Konseqent wäre es, den "Karneval der Kulturen" in "Love Parade der Völker" umzubennen.
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BURKS ONLINE 31.05.2004 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des BurksVEB.
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