Vor ein paar Tagen flatterte mir eine digitale Einladung auf den Rechner: Daniel R. Coats, der US-Botschafter, und Ed Koch, der Ex-Bürgermeister von New York, würden an ein einer "Mesusa- Widmungszeremonie" im "Albam Jüdischen Bildungs- und Familienzentrum" teilnehmen. Ich sei eingeladen. Das hörte sich spannend an, nicht wegen Coats und anderer VIPs, sondern wegen des Zusatzes: "Rabbi Yehuda Teichtal, Direktor der Chabad Lubawitsch Berlin e.V. wird die Zeremonie leiten." Chabad? Lubawitsch? Was war das noch mal gleich? Die mit den Hüten und Schläfenlocken? Taliban oder Opus Dei auf jüdisch? Orthodox, orthodoxer, am Orthodoxesten?
Das Thema wurde gerade auf hagalil.com durchgehechelt, dass die Fetzen flogen. Alles unter dem hübschen Motto: "Streit innerhalb der jüdischen Gemeinschaft". Grund genug, mal genauer hinzusehen, wer da in Berlin aufgetaucht ist. Zumal die Berliner Presse sich bei der Einweihung des "Bildungs- und Familienzentrums" in philosemitischen Ergüssen erging und die Welt jubilierend die frei erfundene These, Yehuda Teichtal sei "Berlins jüngster, dynamischster und beliebtester Rabbiner" und seine Gemeinde umfasse 5000 Mitglieder, kritiklos kolportiert hatte. Und die Welt am Sonntag hatte die einigermaßen unwahre Tatsachenbehauptung aufgestellt: "In Hitlers alter Reichshauptstadt gehören orthodoxe Juden wieder zum Straßenbild."
Für den deutschen Nicht-Juden ist alles "orthodox", was nach Folklore aussieht. Schwarze Hüte sind chic, auch wenn liberale Juden sich schaudernd abwenden. Klezmer-Musik ist Volksmusik für die Damen der höheren Stände und Übung für Toleranz und den vorgeblichen christlich-jüdischen "Dialog", obwohl letzterer vermutlich so sinnvoll ist wie "Hupen gegen Rechts." Man könnte auch gewohnt nörgelnd einwenden, dass es volkspädagogisch nicht besonders sinnvoll sei, die Verehrer höherer Wesen der konservativen Art und Propagandisten der Geschlechtertrennung à la Fundamentalismus überhaupt zu fördern.
In Israel hat sich gezeigt, dass bei der "orthodox-nationalistischen" Chabad, wie bei allen anderen religiösen Bewegungen auch, die Frömmigkeit da aufhört, wenn es um Geld geht. Einer der wichtigsten Sponsoren der Chassidim und auch des Likud ist die Lauder-Stiftung des australischen Millionärs Joseph Gutnick. Die einschlägigen Aktionen der Stiftung, alles das zu fördern, was konservativ aussieht, nahm hagalil.com zum Anlass, einige jüdische Produzenten heisser Luft, die um die Stiftung kreisen, kräftig in die Pfanne zu hauen.
In religiöser Hinsicht ist Chabad ein Teil der so genannten Chassidim, einer pseudomessianischen Erweckungsbewegung, die, im Gegensatz zur ursprünglichen Kabbala-Mystik, auch das gemeine Volk ergriff. Der Chasidismus ist stark mit der Geschichte der Ostjuden verwoben. Isaac B. Singer, Nobelpreisträger für Literatur, hat diesem Sujet in seinem wunderschönen und empfehlenswerten Roman "Das Landgut" ein literarisches Denkmal gesetzt.
Die Kategorie "orthodox" sagt, wenn damit die Chabad gemeint sein sollen, alles und nichts aus. Die konservative und auch die moderne orthodoxe Strömung im Judentum sind im 19. Jahrhundert erst als Reaktion auf die Reformbewegung entstanden - ähnlich wie der christliche Fundamentalismus eine Reaktion auf eine Säkularisierung des Glaubens ist und sich ursprünglich als "Reaktion" darauf definierte. Die Chassidim ("die Frommen") gibt es aber schon seit dem 18. Jahrhundert - und ihre Wurzeln reichen viel weiter zurück. Heute existieren mehrere Strömungen nebeneinander - die in Berlin gehört zu den "Ljubawitschern", die die Tradition und "Dynastie" des Rebbe Schneur Salman von Ladi bewahrt.
Man darf gespannt, wie eine Bewegung mit äusserst starkem Selbstbewusstein wie die Chabad sich in die Berliner "Einheits"gemeinde einfügt: die mühsame Balance zwischen dem "orthodoxen" Zentralrat und den liberalen Juden, wenn sie denn je bestanden hat, könnte in naher Zukunft kräftig auf die Probe gestellt werden.
Übrigens: eine der "Zehn Regeln zum Umgang mit Menschen" der Ljubawitscher ist ab sofort das Motto dieses familien- und atheistenfreundlichen Forums: "Ein Streit hat meist drei Seiten: deine, die des anderen und die richtige."
Abbildungen:
Oben: Rebbe Yehuda Teichtal (Mitte)
3. v.oben.: Ed Koch (2. v.l.) Die Mesusa wird am Türpfosten befestigt.
4. v.o.: (v.l.n.r.) Albert Meyer, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Berlin, Rebbe Yehuda Teichtal, US-Botschafter Daniel R. Coats
---------------------------------------------------------------------------------------
BURKS ONLINE 30.04.2004 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des BurksVEB.
|