POLITIK | | Aktuell | 17. März 2004 |
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DAVON HÄTTE DER VERFASSUNGSSCHUTZ DOCH ETWAS MITBEKOMMEN MÜSSEN? Neonazis, ganz straffVon Burkhard Schröder |
"Wir haben festgestellt, dass es zwischen Norddeutschland und dem Süden einen regen Austausch über Strategien gab und gibt. [Die Kameradschaft xy, bitte selbst ausfüllen] ist Teil eines straff organisierten, gewaltbereiten Neonazi-Netzwerkes. In diesem Spektrum wird der Besitz von Sprengstoff und Waffen nicht abgelehnt. Beunruhigend ist, dass der Mädchenanteil stark steigt, auch bei den militanten Gruppen."
Nun aber im Ernst: versehentlich habe ich heute bei Google nach Neonazis gesucht. Und schon hagelten die Textbausteine aus dem Monitor wie nach einem Frühlingsgewitter. Die Süddeutsche stellte am 12. März das Buch "Braune Kameradschaften - Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis" vor. Über KollegInnen, die zu demselben Thema schreiben wie man selbst, darf man natürlich nur Gutes berichten. Aber ein paar Punkte zu bekritteln wird mir - mit Verlaub - niemand verwehren können.
Die Neonazis im Norden und im Süden tauschen sich also aus? Wer hätte das gedacht. Ich vermute, dass auch die im Osten mit denen im Westen, ja sogar auch mit den südlichen und nördlichen kackbraunen Kameraden kommunizieren, ganz real und virtuell. Das war übrigens schon immer so. Auch im Thule-Netz. Und nicht nur über Strategien, sondern auch über jeden anderen Quatsch. "Neu" daran ist überhaupt nichts.
Dann haben wir noch das Adjektiv straff. Wenn Christian Worch seine Finger im Spiel hat, muss die Sache sich nicht automatisch straffen bzw. das informell gewerkte Netz, was auch immer das sei, nicht besser oder schlechter werden. Oder soll suggeriert werden: je straffer, desto gefährlicher? Das wäre gut, um ein Buch zu verkaufen und somit legitim. Wenn aber die kackbraunen Kameraden zur Zeit nichts auf die Reihe kriegten, was erfreulich wäre und auch ungefähr der Realität entspricht - dann wäre es unseriös, die Komparative zu häufen: Neonazis immer böser, gefährlicher, vernetzter, straffer. Stimmt gar nicht. Und Waffen lehnen die nicht ab. Das gilt übrigens auch für Sportschützen.
Die AutorInnen: "Tatsache ist, dass unbemerkt von der Öffentlichkeit und vor den Augen der Verfassungsschützer amtsbekannte Neonazis wie Christian Worch und Thomas Wulff aus Hamburg ein bundesweit agierendes, so genanntes führerloses Netzwerk aufbauen konnten, das aber klare Führerstrukturen besitzt." Unbemerkt von der Öffentlichkeit? Über Worch gibt es fast 5000 Fundstellen bei Google. Beim Einwohnermeldeamt Wandsbek kennt man ihn vermutlich, und wer will, kann ihm fast auf's Dach schauen (Hausnummer 62).
Die Regalwand hinter mir ist straff gefüllt mit einschlägigen Werken wie "Drahtzieher im braunen Netz" (1992, 1996 usw.). Dass die Neonazis vernetzt sind, ist eine so abgedroschene Metapher wie die unvermeidlichen schweren Verwüstungen nach einem Hurrikan, nicht nur in den Köpfen derjenigen, die so etwas schreiben. Wer sich als Rechtsextremismus-ExpertIn outet, sollte auch wissen, dass Worch und Wulf zerstritten sind. So weit ist es mit dem straffen Netz also nicht her.
Die schönste Frage im Artikel stammt von der Interviewerin Elisabeth Höfl-Hielscher: "Davon hätte der Verfassungsschutz doch etwas mitbekommen müssen?" Darauf könnte man zahllose genau so intelligente Antworten geben. Zum Beispiel: wovon bekommt der Verfassungsschutz überhaupt etwas mit? Vielleicht bekommt er etwas mit, aber nicht zufällig stehen die kackbraunen Akteure auf seiner Gehaltsliste? Was sind die Aufgaben des Verfassungsschutzes, und wie unterscheiden sie sich von denen des polizeilichen Staatsschutzes alias den Landeskriminalämtern? Wieso kommt eine Kollegin der seriösen Süddeutschen auf die doch sehr abwegige Idee, der Vefassungschutz böte seriöse Informationen über Rassismus und Antisemitismus? Gab es in den letzten Jahrzehnten nicht unzählige Skandale, die beweisen, dass diese Truppe abgewickelt gehört?
Und wer diese Fragen beantwortet, begreift vielleicht auch, warum einige Prozesse gegen Neonazis "dubios enden", wie im die AutorInnen des Buches missbilligend feststellen und warum "die politischen Hintergründe ungeklärt" bleiben und die Strafen milde ausfielen. Wobei mir die klammheimlich suggerierte Forderung: "der Staat muss gegen Neonazis härter durchgreifen" oder "härtere Strafen gegen kackbraune Kameraden" doch zu sehr Beckstein-kompatibel sind und eines Erzlinken und überzeugten Demokraten wie mir unwürdig.
Rätselhaft jedoch der Satz: "Beunruhigend ist, dass der Mädchenanteil stark steigt, auch bei den militanten Gruppen." Da fragen der Feminist und vermutlich auch die geneigten Leserinnen und wohlwollenden Leser dieses kleinen frauenfreundlichen Familienforums ganz verstört: wieso ist es beunruhigend, wenn irgendwo der Frauenanteil steigt? Frau Alice Schwarzer - bitte übernehmen sie!
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BURKS ONLINE 17.03.2004 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des BurksVEB.
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