POLITIK | | Aktuell | 22. Februar 2004 |
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NPD WILL IN BOCHUM GEGEN SYNAGOGE DEMONSTRIEREN Richter gegen rechtsVon Burkhard Schröder |
Ein heikles Thema: Die NPD und die so genannten "freien Nationalisten" wollen in Bochum gegen den Bau einer Synagoge demonstrieren. 24 Bochumer Richterinnen und Richter forderten den Polizeipräsidenten in einem offenen Brief auf, den Aufmarsch zu verbieten. Der tat es. Die Richter schrieben: " Wer sich dem Bau einer neuen Synagoge in den Weg stellt, reiht sich 65 Jahre später erneut in die Reihe derer ein, die die alte in Schutt und Asche legten." War es richtig, ein Demonstrationsverbot zu fordern?
Indymedia informiert, wie so oft, am besten über das Thema. Wer die Dokumente und Pressebericht studiert, kommt zu dem Schluss, dass die Richter natürlich recht haben: "Demonstrations- und Meinungsfreiheit sind Grundvoraussetzungen der Demokratie und können allenfalls aus verfassungsrechtlich überragend gewichtigen Gegengründen eingeschränkt werden.[...] Der Begriff der öffentlichen Ordnung umfasst die Gesamtheit jener ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten Zusammenlebens betrachtet wird. Maßgeblich dafür sind vor allem die Wertmaßstäbe des Grundgesetzes."
Eine Diskussion darüber, ob die NPD oder wer auch immer aus dem Milieu der informellen "freien Kameradschaften" gegen die Prinzipien sei, die die Grundlagen der Demokratie ausmachen, erübrigt sich. Rassismus und Antisemitismus und die Verachtung universal gültiger Menschenrechte sind eine conditio sine qua non des ultrarechten Weltbildes. Aus juristischer Sicht ist eine Neonazis-Demonstration also immer eine Verstoß gegen die so genannte "öffentliche Ordnung."
Aber geht es darum? Es gilt abzuwägen: Die Demokratie ist eine der wenigen Staatsformen, die ihren Gegnern dieselben Rechte gibt wie denjenigen, die sie verteidigen. Wer jedoch denkt, die physische Präsenz von Antisemiten, die gegen den Bau einer Synagoge in der Öffentlichkeit demonstrieren, sei gefährlich, der irrt. Wer das denkt suggeriert, der Anblick rechter Transparente und Personen würde Meinungen und Einstellungen beeinflussen oder gar ändern. Das ist zumindest strittig. Der Anblick von marschierenden Neonazis kann schon deshlab nicht politisch in deren Sinn wirken, weil dann auch jedes Foto von rechten Klischee-Glatzköpfen, mit denen die zahllosen Presseberichte "gegen rechts" bebildert sind, einen ähnlichen Effekt hätte und daher vermieden werden müssten. Der "Aufmarsch" ist ohnehin ein historisches Auslaufmodell, um politische Ideen zu verkünden.
Das gilt auch für Flüglätter wie das der NPD. Es enthält zwar Antisemitismus pur, aber keine strafrechtlich relevanten Inhalte. Wäre das anders, könnte man es nicht downloaden. Gegen rassistische oder antisemitische Hetze kann man ohnehin mit rationalen Argumenten nichts ausrichten. Und ohne inhaltlich vergleichen zu wollen: auch die "Keinen Fussbreit den"-Fraktion der Antifa, die das Demonstrationsrecht mit Füssen tritt, hat nichts begriffen.
Die Bochumer Richter haben daher ein moralisch hochwertiges Papier verfasst - man könnte auch sagen: ein gut gemeintes. Ob ein Verbot aber eine effektive Methode ist, um rassistische und antisemitische Vorurteile zu bekämpfen, ist fragwürdig. Vermutlich ist genau das Gegenteil der Fall. Fragwürdig ist auch, die Existenz des Flugblatts zu verschweigen, in dem man Links darauf löscht, wie im Telepolis-Forum geschehen. Mich hat das nur neugierig gemacht.
Übrigens: Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat das Verbot aufgehoben: "Die im Grundgesetz vorgesehenen besonderen Vorkehrungen gegen Bestrebungen und Gefahren, die von der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts ausgingen, stünden einer Interpretation der öffentlichen Ordnung als Mittel zur Bekämpfung der neonazistischen Ideologie entgegen.
Hieraus folge, dass selbst unter Berücksichtigung der vom Polizeipräsidium angenommenen Symbolträchtigkeit des Versammlungsthemas ("Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk!") allenfalls Auflagen, nicht aber ein vollständiges Versammlungsverbot in Betracht komme, um konkret prognostizierbaren Gefährdungen entgegenzuwirken. Anhaltspunkte dafür, dass derartige dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragende versammlungsrechtliche Maßnahmen in jedem Falle unzureichend wären, seien vom Polizeipräsidium nicht dargelegt worden." Die Polizei Bochum will Beschwerde einlegen - vermutlich ohne Aussicht auf Erfolg. Und das ist wahrscheinlich auch gut so. ------------------------------------------------------------------------------------
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