[Vermischtes.] An Chiles Küste wurde ein Ungeheuer angeschwemmt. Ob es eines ist, eine bisher unbekannte Tierart - ein Riesen-Oktopus etwa -, weiß man noch nicht. Vielleicht ist es auch nur ein halb verwester Wal. Anstatt zu spekulieren, worum es sich handeln könnte oder Experten zu zitieren, die spekulieren, was das Ding sein könnte, interessieren sich die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser dieses kleinen Familienforums vermutlich für die Fakten. Wo wurde die Meldung abgeschrieben? Wo kann man sich informieren? Wie könnte Online-Journalismus aussehen, wenn man ihn in deutschen Redaktionen ernst nähme?
Spiegel online und Reuters unterscheiden sich kaum. Gewährsfrau ist "Elsa Cabrera, director of the Center for Cetacean Conservation in Santiago", auf deutsch: vom "Zentrum für Walschutz". Wir sind es gewohnt, dass deutsche "Online"-Zeitungen keine Links setzen, weder zu Sekundär- noch zu Primärquellen. Alles muss man also selber machen. Das Original finden wir mit einer qualifizierten Boolschen Algebra schnell. Centro de Conservácion Cetacea abgekürzt: CCC. Dort ist auch die Original-Meldung vom ersten Juli mit Bildern des Ungetüms: "Pulpo Gigante Vara en las Costas del Sur de Chile". Aber das reicht uns natürlich nicht: der Text lädt zur weiteren Recherche ein.
Die erste Hypothese sei gewesen, so eine vom CCC zitierte Tiermedizinerin, dass es sich um einen gigantischen Kalmar gehandelt habe, der sich vornehmlich von "Physeter macrocephalus" ernähre. Der Pottwal frisst also Oktopoden. Das wollen wir natürlich im Internet sehen: Philipp Colla hat Kraken fotografiert, denen die Tentakel abgebissen wurden. Die sehen dem Monster an der Küste ziemlich ähnlich. An der Hypothese ist also etwas dran. Und wir lassen es uns nicht nehmen, uns auf der wunderbaren Wal-Website detacea.de über die sonstige Gewohnheiten der Tierchen kurz zu informieren. Uns interessiert zudem der octopus giganteus. Von den zahlreichen Treffern empfehle ich Ihnen, wenn Sie ein wenig Schulfranzösisch können, unbedingt das Institut Virtuel de Cryptozoologie anzuschauen - das "Virtuelle Kryptozoologische Institut". Das glänzt mit einem ausführlichen Dossier über den Riesen-Oktopus und einer genauso riesigen Literaturliste über alle Geschichten und Fakten, die realen und fantastischen Meeresungeheuer betreffend.
Wen könnten wir noch fragen, wenn es zum Fall neue Informationen gäbe? Journalisten sollten immer an der Quelle recherchieren und nicht einfach woanders abschreiben. "El extraño ejemplar de 12 metros de largo fue encontrado gracias a la alerta dada por la Capitanía de Puerto de Maullín y las gestiones realizadas por el Departamento de Educación de la Municipalidad de Los Muermos". Auch wer nicht spanisch versteht, kann die Ortsangaben entschlüsseln. Der Strand mit dem undefinierbaren Fleischkloß liegt nahe bei Puerto Montt. Die kleine Ortschaft Maullín, zu der offenbar der Strand gehört, hat 2548 Einwohner, davon 963 Fischer. Leider keine näheren Angaben. Bei Muermos sieht es schon besser aus: Der Alcalde, also der Bürgermeister, heisst Julian González Reyes und hat die Telefonnummer 65 - 339338 [Google: "Vorwahl Chile" ergibt 0056].
Viel hübscher ist jedoch der Link zu Puerto Maullin. Ergebnis: Capitán de Puerto Maullín - vermutlich der Hafenkommandant - ist Leutnant Nelson Saavedra Inostroza, Telefon von Deutschland aus: 0056 65 451406, E-Mail: cpmaullin@directemar.cl. Die exakte Zeichenkette seine Namens ergibt sogar ein Bild. Wir müssen uns nur entscheiden, welcher der drei Herren der Leutnant ist. Also sofort anrufen oder eine unverschlüsselte Mail zum Hafen von Puerto Maullin schicken, in dessen Zuständigkeit der Riesen-Oktopus fällt.
Übrigens: Spiegel online schreibt: "Die chilenischen Forscher planen deshalb, Gewebeproben zur Untersuchung ins Ausland zu schicken." Geht es nicht ein bisschen genauer? Nach Paris soll das Ungeheuer reisen. Diese Information einfach von ananova.com (Bristol, United Kingdom) abzuschreiben hätte sogar ich erlaubt.
04.07.2003
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