Ich deutete es hier in diesem kleinen frauen- und familienfreundlichen Forum schon an: Heute kriegen wir heute den "Migrationshintergrund". Wie in allen Medien breit wie Quark getreten, hat in Berlin laut Pressemeldung der Polizei "ein 16-jähriger Jugendlicher aus Neukölln mindestens 25 Menschen verletzt, nach bisherigen Erkenntnissen sechs davon schwer." Spiegel Online ergänzt, der Täter habe "keinen Migrationshintergrund".
Was könnte das sein? Die Deutschen sind dafür bekannt, dass sie sich sprachlich der Realität verweigern. Sie sagen "Ausländer", wenn sie "Einwanderer" meinen, sie sagen affirmativ "jüdische Mitbürger", wenn sie "Juden" meinen, das Wort für sie aber einen negativen Beigeschmack hat, sie sagen "Ethnie", weil sie nicht wissen, was "Volk" bedeutet", sie das aber eigentlich aussprechen wollen. Multikultisprech eben: Nichtssagend, konfliktscheu und heuchlerisch.
In diesem Fall hat es die Polizei, wie ein Leser dieses Forums richtig anmerkte, vermutlich gut gemeint. Die Berliner Polizisten sind meistens ziemlich abgebrüht und kennen ihre Kunden und Klientel. Bei "Messer" denkt der Deutsche automatisch an Araber und Türken und" Witze" darüber. Interessant übrigens, was eine Suche nach "Messerstecher" und "Berliner" ergibt: netzgegenrechts.de: "Der irre Messerstecher von Marzahn", taz: "Längere Haft für Messerstecher", Hauptstadtblog: "Messerstecher mit Phantombild gesucht" und viele andere mehr.
Beim Googeln habe ich auf migrationshintergrund.de ein Zitat von Dietmar Wischmeyer gefunden, das genau das fourmuliert, was ich ohnehin sagen wollte:
"Der zur Zeit favorisierte Ausdruck lautet 'Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund'. Nicht nur die hier verwendete Alliteration ist als Stilmittel etwas verbraucht, auch durch die Länge des Ausdrucks wird er sich kaum gegen die schlichte Eleganz des „Kanaken“ durchsetzen können. Vor der Saugkraft des Verächtlichen ist dabei kein noch so harmloser Ausdruck gefeit. Auch der Kanaker war mal ein netter Pazifik-Insulaner, der Asylant mutierte zum Asylbewerber und ist selbst als solcher heute ein Schimpfwort in der Fußball Arena. Der Fremdarbeiter verwandelte sich über den Gastarbeiter in den Arbeitsemigranten und ich wette drauf, daß 'Migrant' die kommende pejorative Vokabel sein wird. Den Kampf gegen das Abdriften der Wörter in Haß und Schmutz ficht die politisch korrekte Sprache an aussichtsloser Front. Das Kuscheldeutsch hat etwas Lächerliches; wer sagt denn tatsächlich 'Andersbefähigter' zum Behinderten, immerhin nur ein Sechssilber. Aber was ist mit den 'Hauptschulabbrecherinnen aus anderskulturellen MigrationsFamilien mit Integrationsdefiziten', hä, darf man Türkenmädchen auch nicht mehr sagen? Es könnte einem ja egal sein, was der Sozialpädagoge so an begrifflichem Geschwurbel hervorwürgt, ginge damit nicht eine Stigmatisierung der einfachen Sprache einher. Zigeuner, Eskimo, Neger sowieso, alles ibähhh. Der schlimmste Ausdruck ist seltsamerweise noch gar nicht in Verdacht geraten, er heißt 'Nicht-Deutscher'. Was für eine Frechheit, andere Menschen per negationem zu definieren. Wir könnten ja versuchsweise mal alle Frauen als Nicht-Männer bezeichnen, was dann wohl los wäre."
Habe ich auch einen "Migrationshintergrund"? Mein Opa besaß immerhin einen russischen Pass. Irgendwie hat vermutlich jeder Deutsche irgendwann einen Nicht-Deutschen zum Vorfahren oder seine Ahnen sind in das Gebiet zwischen dem Pfälzer Wald, den Düppeler Schanzen und dem Elbsandsteingebirge eingewandert. Die Lichterkettenträger wollen sagen: Der ist ein Einwanderer, und der ist keiner. Oder: Dessen Eltern sind eingewandert, und die des Anderen nicht. Oder: Die einen Großeltern sind eingewandert, die anderen waren vor 150 Jahren schon schon da.
Ganz ekelhaft wird es, wenn jeder Dunkelhäutige automatisch zu jemandem wird, der einen "Migrationshintergrund" hat, obwohl seine Vorfahren von den afrikanischen Reitern stammte, die Hannibal über die Alpen geführt hat, der "Migrationshintergund" also schon ziemlich weit zurückliegt. Oder der Urururgroßvater hat 1807 als Teil des preußisch-muslimischen Regiments in der Schlacht von Preußisch-Eylau gekämpft.
Das Wort "Migrationshintergrund" sagt also nichts, rein gar nichts aus. Es formuliert auf Verdacht: Jeder Einwanderer ist ein Verbrecher, und wenn es mal kein Einwanderer war, muss man das gesondert betonen. By the way: Nicht nur hat jedes Volk die Regierung, die es verdient, sondern auch jede Einwanderer.
Die Fotos stammen von der Website "Immigrants in Chicago". |