KLEINE RECHTSBELEHRUNG Neonazi-Demo verboten. Wirklich wahr?Von Burkhard Schröder
Manchmal stellt sich das Geisterfahrer-Syndom ein, während man einen meinungsschwangeren politischen Artikel verfasst. Kann es wirklich sein, dass alle anderen Unrecht haben? Oder ist man selbst ein Querulant, lebt in einem Parallel-Universum oder hat schlicht nicht mehr alle Latten am Zaun? So auch hier. Alle, aber auch alle titeln über die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum so genannten "Rudolf-Hess-Marsch": "VG Berlin verbietet ebenfalls NPD-Demo" schreibt referendare.net.
Aber ist das so wahr? Mitnichten. Oder nur so halb. Oder: So nicht. Aber das interessiert den bräsigen Mainstream nicht. Man will ohnehin nur den Vollzug des Melden, Durchführens und Verbietens von den Medien gemeldet (!) bekommen. "Das BVerfG hatte den Ball mit seinem Beschluss vom Dienstag, 16. August 2005, zum Verbot der NPD-Demo zum Gedenken an Rudolf Heß (wir berichteten) im bayrischen Wunsiedel quasi auf den Elfmeterpunkt gelegt, Polizeipräsident und VG Berlin mussten ihn nur noch versenken."
Ach ja. Sind wir dann alle glücklich? Nazis verboten, also verschwunden? Hart durchgegriffen, Zeichen, Gesicht und Flagge zeigen? Die Welt jubelt mit: "Der Wunsiedeler Bürgermeister Karl-Willi Beck (CSU) hat das vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Demonstrationsverbot für den 20. August als 'wichtigen Meilenstein im Engagement gegen die Aufmärsche im August bezeichnet'."
So etwas haben wir seinem einem halben Jahrzehnt ungefähr so oft gehört wie Meilensteine zwischen Aachen und Königsberg jemals gestanden haben. Kein deutsches Medium wagt auch nur die höfliche Frage zu stellen, ob ein Verbot überhaupt nützt, wenn man rassistische und antisemitische Ideen aus den Köpfen entfernen will, in die sie offenbar in Form eines Naturereignisses hineingeraten sind - wie Outlook und der IExplorer auf einen Computer.
Darf ich der geschätzten Leserin und dem verehrten Leser ein paar Sätze Juristendeutsch zumuten? "Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre. [...] . Eine Verfassungsbeschwerde wäre im vorliegenden Fall nicht unzulässig. Auch wäre sie nicht offensichtlich unbegründet."
Es geht und ging nicht um den Inhalt, sondern nur darum, ob das Gericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung akzeptierte. Das hat es nicht getan. Und weiter:
"In einem Eilverfahren lässt sich insbesondere nicht klären, ob die Annahme einer Störung des öffentlichen Friedens im Sinne des § 130 Abs. 4 StGB - wie der Verwaltungsgerichtshof annimmt - darauf gestützt werden kann, 'dass der demokratische Gesetzgeber die Aufmärsche der Rechtsextremen in Wunsiedel als Störung des öffentlichen Friedens ansah und deshalb sein Eingreifen für erforderlich und geboten gehalten hat'. Auch bedürfte der Klärung, ob eine Billigung oder Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft ohne Verfassungsverstoß schon darin gesehen werden kann, dass einzelne Verantwortungsträger als Symbolfiguren hervorgehoben werden."
Es könnte also sein, dass im Hauptsacheverfahren, wenn Kläger und Beklage ihre Standpunkte darlegten, das Verbot aufgehoben werden würde. Unsere Website für Referendare verkündet jedoch: "Die NPD fängt offensichtlich an, sich mit der neuen Situation abzufinden. Nach der Niederlage in Sachen Wunsiedel legte sie nicht mal Beschwerde zum OVG, gechweige denn Eilverfassungsbeschwerde nach §§ 32, 90 BVerfGG ein, wohl wissend, damit nur Ressourcen zu verschwenden."
Schauen wir also gemeinsam in die Zukunft. Was werden wir in fünf Jahren in deutschen Medien lesen? Das Handelsblatt
wird im Jahr 2010 schreiben: "Eine für Samstag angemeldete Kundgebung von Neonazis zum Gedenken an den 23. Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß im bayerischen Wunsiedel bleibt verboten." Und irgendein Bürgermeister wird "das vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Demonstrationsverbot für den 20. August als 'wichtigen Meilenstein im Engagement gegen die Aufmärsche im August' bezeichnen. Und spiggel.de wird das dann hoffentlich angemessen kommentieren. |