Der schweizer Fotograf Michael von Graffenried stellt Bilder von Drogenkonsumenten aus. Kommentare zu seiner Plakataktion und seinem Buch «cocainelove» plätschern zur Zeit durch die Feuilletons. Elend ist chic, wenn es nicht einen selbst betrifft; Bilder über das Elend machen sich gut im Diskurs des Bildungsbürgertums, das damit dokumentiert, ein soziales Gewissen zu haben. Ansonsten dominieren die üblichen Sprechblasen, die seit 30 Jahren zum Thema in Deutschland und auch in anderen calvinistisch gesprägten Leitkulturen im Umlauf sind. Man darf nichts berichten, ohne vor dem Bösen - alias: die Drogen - zu warnen und zu mahnen.
Die Neue Zürcher Zeitung schreibt:"Von Graffenrieds Ziel ist, mit seiner Arbeit ein Tabu aufzubrechen und Drogenkonsumenten ein Gesicht zu geben. Er will mit den Fotos eine Begegnung mit Menschen provozieren, von denen man sonst lieber wegschaut, wenn man ihnen über den Weg läuft."
Welches Tabu? Wer ist "man"? Und warum sollte man wegschauen? Das Tabu ist: Drogen sind und gelten als unschädlich, werden sie in gesellschaftlich akzeptierte Rituale eingebunden. Das gilt für Bier und Nikotin wie für Heroin. Heroin und Kokain wären kein größeres Problem als Alkonol, wären die Substanzen nicht verboten. Opiate an sich sind weit weniger gesundheitsschäflich als Alkohol.
Drogenelend im Foto ist daher keine Dokumentation der Folgen des Konsums psychotropher Substanzen, sondern des Verbots derselben.
Die schweizer WOZ hat von Graffenried interviewt. Der sagt erfrischend realistisch: "Drogenelend! Ist das wirklich ein Elend? Peter zum Beispiel - das ist einer, den ich porträtierte -, hat dieser Peter ein elendes Leben? Es ist einfach seines, es ist das, was er hat, und es ist ja nicht grauslig. Der Mann ist auch nicht aggressiv. Er lebt die Konsequenzen der Konsumgesellschaft, denn er konsumiert den ganzen Tag. Eigentlich machen wir das ja auch. Einfach auf andere Art und Weise."
Die Interpretation von Spiegel online ist daher suggestiv und definitiv falsch: "... eine Plakataktion des Schweizer Fotografen Michael von Graffenried, die vor Drogen warnt." Unfug: er warnt nicht. Die Fotos sind sicher kein Beiträg zur moraltheologischen Volkserziehung à la "keine Macht den Drogen" - und wollen es auch nicht sein. "Von Graffenried, der zum Drogenkonsum aufruft?" Wenn das Gegenteil nicht möglich ist, macht die Aussage keinen Sinn.
Niemand kann den Konsum psychotropher Substanzen unter der Voraussetzung der Prohibition realistisch darstellen. Man hätte auch nicht Juden unter der Herrschaft der Nazis interviewen können mit der Absicht, über das Judentum an sich zu informieren. Bilder des so genannten "Drogenelends" sind Bilder, die das Elend beschreiben, das die Prohibition nach sich zieht. Wer mit Bilder vor Drogen warnen will - "das kommt davon, wenn man Drogen nimmt"-, muss auch Fotos aus dem Warschauer Ghetto mit den Worten kommentieren: Das kommt davon, wenn man Jude ist.
Abbildungen oben und unten: Michael von Graffenried
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