Was gehen uns die Eskimos am Ende der Welt an? Sie lassen sich immer gern für kulturpessimistische Diskurse missbrauchen, unfreiwillig natürlich. Die Inuit sind eben auch Indianer. Seit Winnetou sind sie im kollektiven Unbewussten der Deutschen das Objekt der paternalistischen Begierde, der Sehnsucht nach dem vermeintlich Natürlichen. Der Wilde, der einmal edel war, frei nach Rousseau.
In Spiegel online lesen wir eine dramatische Reportage über die frappierende Zahl der Selbstmorde in einigen kanadischen Inuit-Dörfern. Die Story stammt aus GEO. Es geht um den Ort Qikiqtarjuaq, englisch: Broughton Island auf Baffin Island im Nunavut-Nationalpark in der kanadischen Provinz British Columbia. Wie gewohnt, ist die Geschichte im investigativsten aller Online-Magazine völlig linkfrei.
Die Vorgeschichte ist schnell erzählt - die Inuit wurden, wie unzählige andere Völker, zwangweise umgesiedelt, die Familien zerrissen, ihre Sprache verboten, die Krankheiten der so genannten Zivilisation dezimierten sie. Ines Possemeyer schreibt von einer "Traumatisierung, die überall ihren Ausdruck findet: im Schweigen, in Minderwertigkeitsgefühlen, in Depressionen, in Gewalt." Leider verschweigt die Geschichte, dass anglikanische Missionare kräftig dabei mithalfen, die Kultur der Eskimo zu zerstören, indem sie die übliche christliche Gehirnwäsche praktizierten.
Leider muss ich Sie, liebe wohlwollende Leserin und lieber geneigter Leser, ebenfalls mit Kulturpessimismus belästigen, aber nicht über die Nachfahren Winnetous, sondern wie gewohnt über unsere Medien, die etwas ins Internet stellen, ohne begriffen zu haben, welche Chancen sich daraus ergeben. "Online-Journalismus" gibt es in Deutschland leider nur in embryonalen Ansätzen. Was fehlt an die Reportage über "das Dorf der toten Kinderseelen"?
Das Blut der Inuit ist hochgradig vergiftet mit Pentachlorophenol, die Konzentration des PCB ist 70 mal größer als bei der restlichen Bevölkerung Kanadas. "Pentachlorophenol (a wood preservative) and PCBs (mainly used as stabilizing agents in transformer oil)" - das erklärt, warum gerade die Eskimos die Leidtragenden sind - sie nehmen die Stoffe mittelbar mit ihrer traditionellen Nahrung auf, "which often contains significant proportions of fat-laden meat from seals, whales, polar bears and other species near the top of the food chain and thus often burdened with high levels of bioaccumulative contaminants." Eine der Nebenwirkungen einer PCB-Vergiftung ist eine schwere und andauernde Depression. Also genau das, was in Qikiqtarjuaq zu beobachten ist.
Eine wissenschaftliche Studie schreibt dieses und ähnliche Gifte: "Die Persistenz dieser beiden Verbindungsgruppen ist sehr hoch, so daß in den 80er Jahren bis in die Gegenwart hinein sehr hohe Konzentrationen dieser Schadstoffe im menschlichen Organismus angetroffen wurden und werden. Ein besonderes Problem bilden diese beiden Schadstoffgruppen vor allem dadurch, daß sie bezogen auf Neutralfette in dem Maße, wie sie in dem mütterlichen Fettgewebe angereichert worden sind, auch mit der Muttermilch auf den gestillten Säugling übertragen werden und auch schon vor der Geburt diaplazentar auf den Feten übergehen."
Alle oben zitierten Quellen findet man in zehn Minuten, vorausgesetzt, man kennt die Boolsche Algebra und probiert es nicht wie Otto Normaldau mit trial and error. Und die pädagogisch nicht besonders wertvolle und indirekte Botschaft eines linkfreien Artikel in einem so genannten "Online"-Magazin lautet: Sollen wir dir, blöder Surfer, die Arbeit abnehmen? Such doch selbst, wenn du uns nicht glaubst! Wo kämen wir denn hin, wenn Journalisten Informationen anböten!? Ein medienkompetenter Surfer ist für unsere Medien immer noch die Höchststrafe. Bequemer wäre es, er verharrte in in seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Sind eigentlich alle Online-Magazine so? Nein, eine kleine Website - spiggel.de - leistet heftigen Widerstand...aber den Rest kennen sie schon.
Das Foto in der Mitte stammt von der Website des "Government of the Northwest Territories."
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