Am 2. Juni 1967. wurde der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration anlässlich eines Staatsbesuchs des Schahs von Persien von einem Polizeibeamten erschossen. Im Januar 1972 gründete sich die Bewegung 2. Juni als Zusammenschluss mehrerer Gruppen, die sich am Vorbild der südamerikanischen Stadtguerilla orientierten. Acht Jahre später, am 2. Juni 1980, erklärte die Gruppe, sie löse sich auf.
Alles, was man über die Bewegung 2. Juni wissen muss, können die wohlwollende Leserin und der geneigte Leser im Wikipedia-Artikel nachlesen. Zudem gibt es zahlreich Quellen online: "in bewegung bleiben - 30 Jahre nach der Lorenz-Entführung", Texte zur und von der Bewegung 2. Juni, die sehr ausführliche Website "Die Bewegung 2.Juni - Gespräche über Haschrebellen, Lorenz-Entführung, Knast" und andere 1974 kam ich nach Berlin. Ich kann mich an die Ereignisse noch gut erinnern.
10. November 1974: Berlins Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann wird von einem Kommando der Bewegung 2. Juni bei einer versuchten Entführungsaktion erschossen. Eine Woche später veranstaltet der Westberliner Senat eine Trauer- und Protestkundgebung zur Beerdigung Drenkmanns. Für diese Kundgebung werden die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sowie vieler privater Großunternehmen (z.B. Siemens) beurlaubt. Dennoch erscheinen lediglich 10 000 TeilnehmerInnen.
27. Februar 1975 5. März 1975: Mitten im Berliner Wahlkampf wird der Landesvorsitzende der CDU, Peter Lorenz, von der Bewegung 2. Juni entführt. Die Behörden gehen auf den geforderten Austausch ein. Pfarrer Heinrich Albertz begleitet die Gefangenen Verena Becker, Rolf Heißler, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Rolf Pohle und Ingrid Siepmann in den Südjemen. Peter Lorenz wird auf das Losungswort So ein Tag, so wunderschön wie heute! freigelassen.
Das waren noch Zeiten. Wer nicht unmitterlbar dabei war, kann das Lebensgefühl kaum nachvollziehen. So etwas prägt. Ich muss daran denken, dass wir damals zahllose Male demonstriert haben, unter anderem einmal zugunsten Horst Mahlers.
"Sie haben die Erklärung von Pfarrer Albertz gehört, teilen Sie uns sofort die Modalitäten für die Freilassung von Peter Lorenz mit. Benutzen Sie als Erkennungszeichen den Namen des Ortes, an dem die im Flur des Hauses Lorenz hängende längliche Holzschnitzerei gekauft worden ist. Klar, das waren ja Sachen, die nur Lorenz wissen konnte. So um kurz vor 24.00 Uhr erklärte Mahler in der ARD-Tagesschau, daß er den Austausch ablehnt: Die Entführung des Volksfeindes Peter Lorenz als Mittel zur Befreiung von politischen Gefangenen ist Ausdruck einer von den Kämpfen der Arbeiterklasse losgelösten Politik, die notwendig in einer Sackgasse enden muß. Die Strategie des individuellen Terrors ist nicht die Strategie der Arbeiterklasse."
Ich arbeitete damals als Student im KSV mit, dem "Kommunistischen Studentenverband", einer Unterorganisation der maoistischen KPD. Der Chef der KPD war Christian Semler, der heute bei der taz schreibt. "Jeder kommunistische Kader muß in der Lage sein, kurzfristig Maßnahmen zur Sicherheit der Parteiorgansiation zu ergreifen und umsichtig durchzuführen... Dazu gehört auch, daß jeder Kader sich in den Stand versetzt, Angriffe auf seine Person und auf andere Genossen mit den geeigneten Mitteln abzuwehren“. Har har.
Weil ich schon damals nicht auf's Maul gefallen war, wurde ich bei den Historikern der FU Berlin als gemeinsamer Kandidat des KSV und der KBW in den Fachbereichsrat gewählt - natürlich ganz konspirativ - und war als einziger Maoist Tutor in den berühmten "Kapital"-Kursen des Philosphen Wolfgang Fritz Haug. Die anderen Tutoren waren durchweg treue DDR-Jünger, Mitglied der SEW- oder ihrer Vorfeldorganisation Aktionsgemeinschaft von Demokraten und Sozialisten (ADS), also moskautreu. Alle versuchten gemeinsam, mich aus ihrem erlauchten Kreis herauszumobben, aber es gelang ihnen nicht. Nur ein Einreiseverbot in die DDR haben die Spitzel unter ihnen durchgesetzt. Damals habe ich viel gelernt, was mir später als Journalist zu Gute kam. Aber ich komme ins Plaudern über alte Zeiten...
Ich werde aber jedes Mal daran erinnert, wenn ich am Georg-von-Rauch-Haus oder am Tommy-Weissbecker-Haus nicht weit von hier in Kreuzberg vorbeikomme.
Bilder: Benno Ohnesorg (Deutsches historisches Museum, oben), Peter Lorenz als Gefangener der Bewegung 2. Juni, Tommy-Weissbecker-Haus in Kreuzberg |