ALLER TRÖDEL MUSS RAUS Lob des WählensVon Burkhard Schröder
Wie den Wahltag verbringen? Alles muss raus: Wählerstimme, Politiker aus den Ämtern, Trödel aus dem Keller. Also habe ich mich am Sonntag mit zwei meiner Lieblingsfreundinnen zum Flohmarkt am Rathaus Schöneberg verabredet. Sechs Uhr aufstehen. Den Sonnenaufgang von meinem Küchenfenster aus beobachten. Mit Klappstuhl, einer großen Tasche voller hässlicher Textilien und einer Kiste Bücher und Krimskrams auf die Straße, warten auf Auto und Transport. Menschen- und autoleere Yorckbrücken - ein ungewohntes Bild. Die Sonne auf einer Mauer voller Graffitis. (In Wahrheit, sagt der Oberlehrer, heißen die Sgraffiti.)
Wen wählen? Während sich das gemeine Volk am Stand vorbeischiebt, prüft, betrachtet, kauft oder nicht kauft, bieten sich Zeit und Muße, über die Wahl an sich nachzudenken. Wenn ich zur Urne gehe, überkommt mich immer ein seltsames Gefühl: Wählen gehört zu den Bürgerpflichten. "Pflicht" deshalb, weil derjenige, der sich dem verweigert, weder historisches Bewusstsein noch etwas von Demokratie begriffen hat.
Wie viele Menschen, Reformer und Revolutionäre, sind in Deutschland gestorben, weil sie das Recht auf Wahl durchsetzen wollten?! Demokratie, auch wenn es pathetisch klingt, gibt selbst dem Idioten das Recht, zu bestimmen, wer herrscht - oder so etwas Ähnliches, denn die politische Klasse hat nicht immer und unbedingt das Sagen, sondern setzt nur Leitlinien und fördert Tendenzen. Gegen das Kapital kann niemand regieren, auch wenn jemand das Mandat dazu hätte.
Ich erinnere mich an die erste Wahl im ehemaligen Apartheid-Staat Südafrika. Alte schwarze Frauen brachen in Tränen aus, weil sie wählen durften: Das hat mich sehr gerührt. Ganz egal, was es nützt oder ob das Volk verarscht wird, um es auch volkstümlich auszudrücken: Der erste und wichtigste Schritt, um etwas zu verändern, ist das Recht zu wählen, wen man will - und nicht nur den, den die Obrigkeit zulässt.
Klicken Sie auf ein Bild, um die Fotostrecke zu starten (6 Bilder). (In Originalgröße nur für registrierte Nutzer des Forums. Username und Passwort finden Sie - wie gewohnt - hier.) Um 17 Uhr 50 kam ich abgehetzt im Wahllokal an, zehn Minuten, bevor dort geschlossen worden wäre. Meine Lieblingsfreundin frage mich, was ich denn nur wähle. Ich wusste es immer noch nicht, außer meiner Erststimme.
Ich ärgere mich darüber, wenn ich für andere berechenbar bin. Linkspartei? Es gab ein Argument dafür, obwohl ich ich die PDS samt ihrer alten Stasi-Connections nicht ausstehen kann. Es stammt von meinem Lieblings-Kabarettisten Georg Schramm: Er freue sich schon darauf, dass im deutschen Polit-Schrebergarten jetzt die zwei Giftzwerge Lafontaine und Gysi aufgestellt würden.
Die APPD oder die Partei bzw. den hiesigen Kandidaten Norbert Hähnel? Eine verschenkte Stimme, obzwar Satire die herrschende Form der Politik eher konterkarieren könnte als ernsthafte Opposition.
Aber es kam, wie es kommen musste, aber eigentlich nicht sollte: Als ich mein Kreuzchen bei Ströbele gemacht hatte, somit meiner staatsbürgerlichen kreuzberger Pflicht Genüge getan hatte, war ich zu faul, um noch einmal nachzudenken und habe auch auf der anderen Seite in derselben Reihe angekreuzt. Zum Glück hat mich niemand dabei gesehen. ------------------------------------------------------------------------------------ BURKS ONLINE 18.08.2005 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des BurksVEB.
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