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Anmeldungsdatum: 07.10.2002
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Wohnort: Berlin-Neukoelln
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Verfasst am:
23.12.2004, 21:14 |
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| [NETZ]KULTUR | | Aktuell | 23. Dezember 2004 |
| | | LATE NIGHT-MESSIAS RELOADED Sensation: Harald Schmidt wird politisch!Von Burkhard Schröder |
Wie der Mann seine sekundären Geschlechtsmerkmale trägt, sagt etwas über seinen Charakter aus. Viel dieser Merkmale - alias: die Barttracht - sollen immer wild wirken. Was wild ist, bestimmt die jeweilige Leitkultur.
Im Neolithikum war jemand wild, der sich allein an einen Säbelzahntiger wagte. Heute ist wild, wer ein Spesenkonto wie Dagobert Duck hat, aber trotzdem Hotelzimmer zerlegt, weil er meint, er sei jetzt ein Rockstar und die Groupies kämen gleich scharenweise angelaufen. Bei den Ossis war wild, wer einen Pfarrer oder einen Blueser kannte und insgeheim die kühne Idee erwog, die Obrigkeit könnte doch irren.
Wer über Harald Schmidt schreibt, gibt sich meistens bemüht witzig. Feuilletonisten dokumentieren das, indem sie so tun, als hätten sie soeben einen Zen-Kursus in der nächstgelegenen Volkshochschule erfolgreich absolviert - sie finden alles eitel, sinnlos - ergo: metatheoretisch-postmodern. Es ist Pflicht, darüber vornehm zu schmunzeln.
Und nun zu etwas ganz anderem. Die Tagesschau weist jetzt schon auf gleich (21.45 Uhr) hin (muss man noch verraten werden, um was es geht?), und das investigativste aller Nachrichtenmagazine plaudert etwas über die neue Haar- und Barttracht Schmidts aus. Spontane Reaktion des ethnologisch Halbgebildeten: Was will uns der Künstler damit sagen?
Das trägt man heute nicht mehr so. Eine Frisur jenseits des Glatzen- oder Kurzhaar-Mainstreams ist ein Code. Der Träger verkündet: ihr könnt mich mal. Er ist seiner nicht sicher, denn sonst brauchte er das nicht gesondert hervorzuheben. Oder er hält die Rezipienten für ziemlich blöd und legt daher Wert auf kommunikative Redundanz. Verbal reicht nicht, auch der Rest muss stimmen und das Gesagte metaphorisch unterstreichen.
Der Rauschebart aber zitiert, auch wenn man es nicht will, historische Vorbilder. Er ist das Symbol der messianischen und politischen Verkünder, der Propheten der Endzeit. Und der Ost-Pfarrer, die nichts prophezeiten, aber zumindest so aussahen. Da die Herren, die in Comedy dilettieren, nichts zu verkünden haben, weil das nicht nur sie, sondern auch ihre Publikum intellektuell überfordern würde (vgl. Stefan Raab), sagt uns der Bart: ich aber sage und predige euch. Frauen wechseln ihre Frisur, haben sie einen biografischen Bruch bewältigt - etwa einen neuen Lebensabschnittsgefährten ausgesucht. Männer übrigens auch. Warum hat der Autor jüngst seinen Schnurrbart nach über 30 Jahren entfernt?
Man darf also gespannt sein. Ein Wermutstropfen: die heutige Sondersendung mit Schmidt ist viel zu früh, also vermutlich jugendfrei. Mir fällt dazu aber nichts ein, obwohl die Idee, auf die Jugendschützer einzuprügeln, vielversprechend schien. Es ist alles eitel. Und nur so lässt sich erklären, dass in diesem feuilletonischen Artikel ein Bild auftaucht, das mit dem Thema gar nichts zu tun hat. Oder doch?
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