#Cybersicherheit

whois

Wir haben wieder etwas mit Cyber, da ist das Bullshit-Bingo vorprogrammiert. Patrick Breyer: EU will anonyme Websites verbieten und Identifizierungspflicht für Domaininhaber einführen inkl. Telefonnummer in Whois. Es geht um Richtlinie zur Erhöhung der Cybersicherheit (überarbeitete NIS-Richtlinie).

Wenn man mich fragte: Whois ist sowieso schon fast tot. Zum Recherchieren taugt es wenig. Und wenn überall in Europa korrekte Angaben verlangt würde, wichen die üblichen Verdächtigen eben in andere Staaten aus. Außerdem haben Firmen wie zum Beispiel GoDaddy im Portfolio, die Namen und andere Angaben der Kunden, die dort Domains zu bestellen, eben nicht herauszurücken, nur wenn Gerichte sie dazu zwängen.

whois
Ich war mit dem Tor-Browser unterwegs, weil GoDaddy mich immer auf die deutsche Version umleiten will.

#cybersicherheit

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Immobilienmief und Gendermief

unna

Soeben aus der kleinstädtischen Pampa zurückgekehrt, wirkt eben dieselbe dergestalt, dass der Medienblasenhype um dieses oder jenes wirkungslos an mir vorüberzieht, derweilen ich gewohnt eklektizistisch hier und dort die vermeintlichen Neuigkeiten konsumiere.

– Spannend ist natürlich der chinesische Immobilienmarkt, dessen Rumpeln und Pumpeln uns naturgemäß zu der Frage leitet, ob der Staatskapitalismus besser mit dem tendenziellen Fall der Profitrate klarkäme oder ob niemand weiß, ob auch dort die Blasen platzen.

– Die Berliner Initiative, bestimmte Wohnungskonzerne zu enteignen, was bekanntlich löblich und nützlich und im Sinne des Grundgesetzes und auch des höheren Ganzen ist, gerät immer mehr ins Sektenmilieu. Zitate aus dem Tagesspiegel dazu (Paywall):
Ein Mitstreiter beklagt in einer internen E-Mail, die dem Tagesspiegel vorliegt, „dass die Kampagne ein Problem mit einer autoritär agierenden Polit-Sekte hat“, deren Anhänger nicht zu geplanten Gesprächen mit dem Senat gehen sollten: Zementiere die IL ihren Einfluss in „Deutsche Wohnen & Co. enteignen„, schreibt der Aktivist, würde dies „nicht nur die demokratische Kultur nach innen weiter beschädigen, sondern auch die Kampagne nach außen delegitimieren“. (…)

Die erwähnte Ex-Aktivistin, die sich selbst als Marxistin bezeichnet, sagte dem Tagesspiegel: Die IL sei keine linksradikale, schon gar keine sozialistische Organisation. Sie rekrutiere sich aus Wohngemeinschaften in der Innenstadt und werde von „Genderfanatikern und Völkerkundlern“ dominiert. Auch die Debatten in der Kampagne drehten sich oft um sexuelle Orientierung und Hautfarbe, weniger um Mieten und Lohnarbeit. (…)

Die IL-Vertreter versuchten „Sprachgebote“ durchzusetzen, schreibt der eingangs erwähnte Aktivist. Weil er vorgeschlagen habe, in Gesprächen mit potenziellen Unterstützern der Kampagne „etwas softer zu gendern“, also alltagstauglicher zu sprechen, sei er isoliert worden.

Dazu muss man nichts mehr sagen. Wenn es nicht gelingt, das pseudolinke identitäre kleinbürgerliche Pack zu isolieren, ist die ganze Sache dem Untergang geweiht. Schade. Merke: Wo gegendert wird, ist die esoterische Politsektiererei nicht weit.

– Was ist, wenn die Franzosen sich per Abstimmung dafür aussprächen, die Immigration zu zügeln bzw. andere Regeln zu erlassen als die Deutschen (falls man hierzulande von Regeln reden kann)?

Telepolis schreibt über die eigene Zukunft, den „Zwang zur Konformität“ und die Regeln, wer schreiben darf und wer nicht. Lesenswert.

– Zum Erholen vom Mief hier unten gibt es dort auch noch einen Ausblick auf das ambitionierte chinesische Raumfahrtprogramm.

unna

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Froh zu sein bedarf es wenig

bierhaus

Irgendwann muss ich den Trittbrettschreiber nach Unna einladen…

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Am Elison oder: Plötzlich aus des Waldes Duster

seseke

Nein, ich sang das einschlägige Lied nicht vor mich hin, radelnd entlang der Seseke, die in römischer Zeit Elison hieß, auf dem verschlungenen Weg zum Römerlager Oberaden. ca. 15 Fahrradkilometer nordwestlich von Unna. An der Seseke ist auch das Foto entstanden.

Plötzlich aus des Waldes Duster Das Römerlager, erbaut ca. ein Jahrzehnt vor der Jahrtausendwende (und zwei Jahrzehnte vor der Varusschlacht), ist heute fast völlig überbaut. Man folgt den spärlichen Wegweisern einen bewaldeten Hügel hinauf und ist dann irgendwann irgendwie irgendwo da. Ich musste bei den römischen Ziffern schmunzeln, vermutlich lernt man die heute nicht mehr nur ausnahmsweise in der Schule.

römerlager oberadenrömerlager oberaden
Credits: Google/Stadt Berkamen/LWL-Archäologie für Westfalen/PANSA BV/Burks

Ich stellte mir insgeheim zwei Fragen: Was kann so ein „Freilichtmuseum“ den Nachgeborenen sagen? Was ist besonders an diesem Ausgrabungsort?

Was zuerst auffällt: Die Fläche ist riesig. In Oberaden war das größte römische Militärlager nördlich der Alpen. Die haben damals aus dem Nichts eine heutige Kleinstadt hingesetzt – Pionierarbeit vom Feinsten. Das wird auch nicht Wochen gedauert haben. Die Legionäre konnten sich ca. 14 Tage von den mitgebrachten Vorräten ernähren (Konserven gab es erst 800 Jahre später), danach mussten sie neue finden. Zwei Legionen sind 10.000 Mann und mehr, zuzüglich der Hilfstruppen und der Mütter Courage. Manche gehen von drei Legionen aus, die hier dauerhaft kampierten. Sogar Türken thrakische und/oder kleinasiatische Soldaten lebten in Oberaden.

56 Hektar sind, wenn ich nicht irre, fast 80 Fußballfelder – also mehr als ein halber Quadratkilometer. (Jeden Tag wird in Deutschland so eine Fläche zubetoniert.)

Die Holzmauer ist 2,7 Kilometer lang. Sie bestand aus einem vier bis fünf Meter breiten und zwei bis drei Meter riefen Spitzgraben. Nach innen bauten die Soldaten eine drei Meter breite Mauer aus Holz und Erde. Alle 25 Meter gab es einen Turm und in jeder Himmelrichtung ein Tor. Alles war standardisiert. Mitten im Lager war eine Senke mit Wasser – da hatten die Germanen offenbar ihr Vieh getränkt. Es marschierten also immer Experten mit, die das, was technisch nötig war, auswendig wussten.

römerlager oberadenrömerlager oberadenrömerlager oberaden

Zum Erinnern: die Armee des römischen Weltreiches war zur selben Zeit im heutigen Jemen, in Äthiopien und in der südlichen Sahara präsent – und ganz ohne Internet, Telefon und valide Karten. Nur Germania Magna blieb ein Problem; vermutlich war das Klima schuld (har har).

cassius dio
Cassius Dio: Römische Geschichte, 54. Buch. D. Leonhard Tafel übersetzt 1838 Alison – die Seseke – falsch mit Alme. Damals war das Legionslager in Oberaden noch nicht bekannt.

römerlager oberaden

Beeindruckend – halb versteckt an einer Mauer: Das Modell einer Groma (vgl. Foto oben). (Ich musste suchen: heute nutzt man ein Doppelpentagonprisma.) Die Mauern und die Tore waren also praktisch, quadratisch und ziemlich gerade und stürzten auch nicht schnell ein, so ähnlich wie meine Hochbetten. So eine Groma braucht man eben, wenn man eine fast drei Kilometer lange Holzmauer errichten will – und zwar auf hügeligem Gelände und nicht in Schlangenlinien. Ich sag nur: Exegit monumentum aere perennius!

römerlager oberadenrömerlager oberadenrömerlager oberaden
Credits der Karte der Drusus-Feldzüge: Bernd Preiss/Wikipedia

Nicht weit entfernt, im heutigen Beckinghausen, war ein weiteres Lager direkt an der Lippe, wo der Nachschub über Fluss anlandete und wo man ohne Brücke auch übersetzen konnte.

(Auf meiner To-Do-Liste für das nächste Mal: Museum Lünen. „Normalerweise nicht zu stark besucht“. Das Stadtmuseum Bergkamen war auch geschlossen. Ich werde mich zukünftig rechtzeitig erkundigen, obwohl die Website so schrottig ist, dass ich nichts dort glaube. Die Website des Römerlagers ist auch gut versteckt.)

Zum Glück begegnete ich auf dem Gelände dem Vorsitzenden des Fördervereins, der sich um die Anlage kümmert. So unter Vereinsvorsitzenden fachsimpelten wir herum, wie das Volk zu begeistern sei. Die tun dort etwas, und die Kleinen freut es. Und wie überall bei dem Thema ist nicht genug Geld da. Man weiß auch nicht, wo die Fundstücke aus Oberaden überall gelandet sind. Niemand hat jemals ein Verzeichnis angelegt. Wenn ein Museum etwas hat, rückt es das natürlich nicht heraus.

Ich habe mich auf dem Rückweg über Holzwickede kräftig verfahren, weil ich dachte, ich kennte mich in dem Gebiet aus, und irrte mit meinem E-Bike im Kurler Busch herum. Nur die freundliche Dame von Google rettete mich. Erstaunlich, dass sogar Waldwege indiziert worden sind…

kurler Busch

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Methler und Westick

methlerWestick

Foto oben: Methler, Foto unten: Westick. „Die Bodenfunde in Westick, einem germanischen Handelsplatz mit hohem Anteil römischen Fundmaterials, weisen aber auf weitaus ältere Besiedelung im Bereich Methler hin.“

Kann der Stein oben weg und muss diese Kultur gecancelt werden?

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Namen für die Rinnenden

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Ich muss schon wieder belehren, ich kann nicht anders. Die Frage, die im Ruhrgebiet diskutiert wird, seitdem es Tourismus gibt, werde ich jetzt für immer und ewig beantworten: Wo entspringt die Emscher? In einem Quellteich (Foto ganz unten)? Ab da wird das Gewässer so genannt. Kann man tun. Sie „entspringt“ aber nicht dort, sondern im Hixterwald, der eher ein Wäldchen ist und zwischen Dortmund-Sölde und Holzwickede liegt. Die kleine Gegend heißt aus westlicher Perspektive „Sölderholz„.

„Genau genommen existieren mehrere kleinere Rinnsale, die in besagten Teich münden und hier den Ursprung bilden“. Also nein! Ich habe als Kind in diesen „Rinnsalen“ gespielt – die Rinnsale rannen ganz schön, man konnte sie sogar erlebnispädagogisch zeitweilig stauen. Geben wir den Rinnenden einen Namen: Wir reden über das Siepensystem des Selbachs.

Der Wald lebt. Wenn ich einmal im Jahr da herumlaufe bzw. fahre, ist vieles immer wieder neu und anders. Deutsche Kinder sollten nicht ohne Wald aufwachsen. Zusammen mit meinem Opa habe ich Ameisen beobachtet und gelernt, dass man deren Haufen nicht kaputtmacht, gelernt, dass die Vögel sich gegenseitig vor Störenfrieden warnen und dergleichen mehr. Das zweite Foto zeigt übrigens eine Pinge.

Aber das alles hatte ich schon vor zehn Jahren geschrieben. Es schadet aber nicht, es für die Nachgeborenen zu wiederholen.

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Nachtleben in der Provinz [Update]

cafe extrablatt

Burks ist hier: Cafe Extrablatt. [Update] Ich kaufte ein T.

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Thalatta mit Lichtgeschwindigkeit

radweg

Bei meiner langen Radtour gestern haben ich mich ein paar Mal verfahren, weil ich nicht immer auf mein Handy glotzen wollte und mich eigentlich hier auskenne, nur eben nicht so gut südlich des hier schon erwähnten Haarstranges. Als Kind, als mein Opa mit mir Fahrradtouren machte, sind wir nie ins Ruhrtal geradelt, da wir es beide nicht wieder zurück den steilen Hang hinauf geschafft hätten. Die Gegend hier ist ideal für Fahrradtourismus, aber man braucht entweder ein leichtes Rennrad oder ein E-Bike, oder man ist trainiert wie ein Zehnkämpfer.

Ich startete im Bornekamptal und schlug mich hügelauf hügelab nach Altendorf durch (weniger als 300 Einwohner).

radweg

Zwischendurch gab es immer wieder Ausblicke, die die Seele baumeln lassen (eine total verunglückte Metapher). Ich mag diese klaren Farben und harten Linien.

ruhrtal

Ich wusste, dass da abwärts die Ruhr war, aber ich fand sie zuerst nicht. Nicht alle Straßen und Wege nach unten landen am Fluss, der der Region seinen Namen gab, sondern sie knicken oft völlig unmotiviert zur falschen Seite ab oder wollen den Wanderer Radler wieder hinaufschicken.

radweg

Ein exotischer Ort, den ich erst nach ein paar Anläufen fand: Der Bahnwald in Lappenhausen. Die ehemalige Burg dort stand da schon, als das Nibelungenlied gerade gedichtet wurde. Es wurde schlamm und schlammiger mitten im Gehölz, aber mein E-Bike wühlte sich durch.

ruhr

Dann endlich – Thalatta! Thalatta! Ich weiß nicht, welcher Dödel warum diesen Punkt „ManniPenny“ genannt hat und warum, aber es war auf jeden Fall ein Dödel.

wellenbad

Das so genannte „Wellenbad“ war auch ein Ausflugsziel meiner Kindheit, das aber nur per Auto erreichbar war. Heute ist die dortige Gaststätte Gutshof Wellenbad (seit 1860) durchkommerzialisiert – Zäune und noch mehr Zäune, man kommt gar nicht mehr an den Fluss. Und was mir die aus Schwerte mit der Lichtgeschwindigkeit sagen wollen, habe ich schlicht nicht begriffen. Da gehört die doch gar nicht hin.

ruhrtal kellerkopf

Ich hatte noch ein paar Striche auf dem Akku und radelte bis zum hier schon erwähnten Panoramablick am Keller Kopf. Das Foto ist vergrößert übrigens gefühlt einen Kilometer breit, aber ich weiß nicht, wie man Panoramen im WordPress so einbindet, dass man mausseitig schwenken kann.

emschertal

Bei Kaiserwetter sieht das Emschertal natürlich anders aus als bei Nieselregen. Ich weiß nicht, wie viele Kilometer ich heruntergerissen habe, da ich den Akku zeitweilig ganz ausgeschaltet hatte, aber es werden wohl mehr als 30 gewesen sein. Da der Sattel nicht der meinige war, tat mir irgendwann der Allerwerteste ganz schön weh. Heute bewege ich mich kaum, morgen dafür um so mehr.

unna holzwickede hellweg

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Kreiselige Perspektive am Gletscherrand

kreisel hengsenburks kreisel hengsen

Vermutlich ist die Zahl der Leute, die schon einmal von Hengsen gehört haben, nur unwesentlich größer als die Zahl der Einwohner, also ungefähr vergleichbar mit Zarrendorf. Ein uraltes Dorf, schon in der Jungsteinzeit besiedelt. Die Dörfer hier auf dem Haarstrang sind oft viel älter als die kleinen Ortschaften, die erst während der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts zu heutiger Größe wuchsen. 1000-Jahr-Feiern sind hier ganz normal – Touristen aus den USA, die sich nie hierhin verirren, würden staunen.

Der aus Kalksteinen aus Turon und Cenoman aufgebaute Haarstrang bildete die natürliche Grenze für das Vordringen der nördlichen Gletscher des Eiszeitalters. Er gilt als eine der schärfsten Landschaftsgrenzen in Mitteleuropa. Nördlich des Haarstranges findet man zahlreiche Grund- und Endmoränen.

Ein Ureinwohner sagte mir vorgestern, wenn die Grundstücke mit grandiosem Panaromablick ins Ruhrtal zum Bauen freigegeben würde, wären sie „alle in einer halben Stunde verkauft“. Hier oben gibt es auch echte Bauern, die die kapitalistische Landwirtschaft noch nicht ruiniert hat.

Das Wetter war zum Heulen, aber mir macht das nichts. Ich bin trotzdem wohlgemut herumgeradelt. Zum gutbürgerlichen Speisen im Kreiseleck war es aber noch zu früh.

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Lünschermannsweg!

emscherquellhofquellenstraßemaishixterwaldhixterwaldemschertalemscherquellhof

Das Wetter war selten bescheidener seit meinem letzten Besuch vor zwei Jahren. Ein Foto des Lünschermannsweges (nimm dies, Google!) war leider nicht wie wie bisher möglich, da auf dem Feld jetzt Main gepflanzt worden war, der aber nicht gut aussieht. Ist das jetzt die Dreifelderwirtschaft, reloaded?

Nie hätte mir ich als Kind vorstellen können, dass ich später mal mit einem E-Bike durch den Hixterwald brettern würde, zumal noch bei Regen. Den Blick auf mein Heimatdorf kann man jetzt erst so fotografieren, da früher hier nur Felder waren. Die wohlhabenden Dortmunder bauen jetzt überall hier Häuser hin. Das nennt man dörfliche Gentrifizierung. Ich hoffe nur, dass die den Lünschermannsweg und den magischen Wald meiner Kindheit in Ruhe lassen.

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Geheimrezepte oder: Carpe Diem

massener heide

Gestern bin ich rund 50 Kilometer geebiket – nicht immer auf Asphalt – und fiel nach dem abendlichen Mahle (Foto unten) schlicht ins Bett, ohne – schändlich! – gebloggt zu haben. Lob und Preis dem Küchenchef meines Hotels, dem ich persönlich meine Komplimente wegen der Bratkartoffeln, die ich bisher zwei Mal genoss, mit jeweils unterschiedlichem Arrangement, überbrachte, hoffend, er werde mir sein Geheimrezept verraten, das es aber gar nicht gab. Vermutlich nur die Erfahrung, die man um so mehr zu schätzen weiß, als man mit fortgeschrittenem Alter merkt, wie wichtig sie sein kann – und wichtiger als bloßes Faktenwissen.

bahnhof unna

In diesem kleinstädtischen Ambiente kann man natürlich anthropologische Studien betreiben, die das Chillen an sich trefflich ergänzen. Das Andere beschreiben zu können, schärft den Blick für sich selbst – ein Geheimrezept des Reisens seit Alexander von Humboldt. Ein alleinstehender Mann im Restaurant ist hier nicht vorgesehen, nur zur Nahrungsaufnahme, weil Monteur oder sonstwie dienstlich unterwegs. Noch seltener alleinstehende Frauen. Man ist und isst immer in Gesellschaft. Vermutlich fände man bei Elias Canetti mehr dazu.

restaurant camillorestaurant camillo

Das kleinkarierte Männerhemd ist hier noch nicht ausgestorben. Ohnehin macht man sich nicht fein, wenn man ausgeht, sondern wechselt noch nicht mal die Funktionskleidung. Schaut man aber genauer hin, fallen die Kontoren der sozialen Grenzen durchaus auf: Alles muss „ordentlich“ sein, keine subkulturellen Accessoires, kein Aufdonnern à la reiche Russen, keine tyrannischen Kinder mit hijabistischen Eltern, keine muslimistischen Barttrachten. Aller sind hellhäutig, obwohl Quotenneger*Innen selbtredend toleriert würden. Die Hautfarbe spielt hier und jetzt keine Rolle, weil man sich Toleranz leisten kann. (Ich möchte aber nicht wissen, was die allein reisenden Herren anstellen würden, säße eine attraktive Afrodeutsche irgendwo solo herum. Der Firnis der Ziviliation ist – wie überall – sehr dünn.)

Man weiß, was man hat und wer man ist und ruht in sich. Der Pöbel, den es natürlich auch hier gibt, kann sich die Preise des Restaurants ohnehin nicht leisten. Der jugendliche Abschaum lungert am nächtlichen Bahnhof herum und lässt sich sogar durch Stimmen, die im Notaufnahme-Modus aus dem vierten Stock des Hotels – Ruhe anmahnend – erschallen, einschüchtern, was in Berlin undenkbar wäre.

altstadt unna

Ganz nebenbei: Nach der Revolution würde Don Alphonso im obigen Haus zwangseinquartiert, zusammen mit Anabel Schunke, und beide müssten eine Weile von dort aus zusammen bloggen, nur aus ethnologischem Interesse, was dabei herauskäme. Nach ein paar Monaten würden sie wieder entlassen und dürften publizistisch an der Konterrevolution basteln.

currywurst

Die Weltläufte verfolge ich am Rande. Gut, dass ich nichts mit dem Jugendamt Neukölln zu tun haben, oder, wenn doch, würde ich meinen Füller herauskramen und schönster Schreibschrift auf Pergament formulieren. Manchmal ergötze ich mich auch am kalten Medienkrieg und noch mehr an Vertretern der Journaille, die mit Schaum vor dem Mund reagieren, wenn man sich nur über die Heuchelei der Mainstrem-Medien bürgerlichen Presse lustig macht.

Siehe die taz, die Zensur natürlich nicht verwerflich findet: „War die Löschung der Kanäle deshalb falsch? Natürlich nicht.“ Der Autor ist auch noch Vorsitzender (m)einer Journalisten-Gewerkschaft. Man fremdschämt sich in Grund und Boden. Man kann von russischen Propaganda-Sendern halten, was man will, aber wer einmal den Wirtschaftsteil deutscher Medien studiert hat, weiß, was Kapitalismus-affine Propaganda ist.

Dann haben wir noch die schrecklichen alten „weißen“ Männer. „Was wir aktuell erleben, ist die Dehnung des Rassismusbegriffs ins Unendliche.Alles wird über die Rasse definiert: Religionen, Kulturen, sexuelle Vorlieben, Ernährungspräferenzen“, sagt Pascal Bruckner. Das müsste man von den Parteifunktionären der „Linken“ diskutieren lassen, aber die Linksidentitären hüllen sich dann auch noch in trotziges Schweigen, wenn sie schon auf dem Müllhaufen der Geschichte verrotten.

altstadt unna

A propos Kleinbürgertum: Hier ist es nett, aber wehe, wenn man sich das, was das Nette ausmacht, nicht mehr leisten kann – wenn man am Tropf staatlicher Unterstützung hängt oder mit einer Minimalrente auskommen muss. Ich weiß nicht, wie lange einen die gutsituierte ehemalige peer group mit dem Façon- oder wohlondulierten Haarschnitt dann noch mit durchziehen würde. Sogar die Currywurst würde dann unbezahlbar.

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Bewegte Zeiten

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Kumst vom arthaus:nowodworski, gesehen in Unna und durch eine Schaufensterscheibe fotografiert. „Unsere zentralen Themen sind die Veränderung der objektiven Realität und die Auseinandersetzung mit der Zeit.“ Interessant und schön ansehen, aber vermutlich für Leute wie mich unerschwinglich. Erinnert mich an einen weisen Satz des Glöckners von Unna: Nichts ist stärker als die Zeit.

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Alles Mega

facebook

Das war die Rache der russischen Hacker im Auftrag Putins! Oder, wenn die es nicht waren: die Chinesen!

Darf man eigentlich die Berliner Wahlen kritisieren, oder wird man dann von Youtube und Twitter gesperrt? Was machen jetzt die Selfie-Weiber auf Instagram? #facebookdown #whatsappdown #instagramdown

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Lokale Viel- und Einfalt

katharinenkirche unna

Im Mai vor Corona hatte ich schon frohgemut verkündet, dass die Evangelische Stadtkirche (erbaut ab 1322) in Unna nicht eingestürzt war, obwohl das durchaus möglich gewesen wäre. Es kam aber mehr als eine Tonne (Gewicht!) vom Dach geflogen. Mittlerweile ist das Gerüst vom oberen Teil des Turms schon weg, auch die Fiale wurde ersetzt. Nur die Uhr geht und schlägt noch nicht. Frage an die hier mitlesenden Kupferstecher Dachdecker: Der Turm war früher grün und ist jetzt kackbraun. Ist das Kupfer, welchselbiges im Lauf der Zeit grün wird, oder ist die Farbe ein Tribut an den Zeitgeist?

senfladen unna

Meine erste Amtshandlung bei einem Kurzurlaub in meiner Heimat ist immer, wie schon erwähnt, ein Besuch des Senfladens und der Verzehr der ortsüblichen Wurstwaren. Die höheren Wesen beschenkten mich mit Kaiserwetter Sonne, was sich leider in den nächsten Tagen zum Schlechteren wenden soll. Das wird mich aber nicht abhalten, den vorgefassten Plan zu erfüllen.

katharinenkirche unnaaltstadt unnaextrablattaltstadt unna

Leider kann kann mich im oberen Foto nicht sehen, ich sitze beschirmt zu weit weg. Zu der oft gestellten Frage, ob eine Kleinstadt die Alternative zu Berlin-Neukölln sei: Das entscheidet man am besten so gegen 19.10 Uhr, vgl. Foto unten. Immerhin – der Vorsehung sei Dank – habe ich im Hotel schnelles Internet.

altstadt unna

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Deutsch und einig

deutsche Einheit
Credits: Tagesspiegel

Das ganze Dilemma der „Linken“ kann in diesem Schaubild zusammengefasst werden: Diejenigen, für die die „Linke“ die Lobby sein sollte, wählen sie nicht. Doppelt so viele arme Wähler wie die der Linken haben die AfD vorgezogen.

Die Mehrheit des linksidentitären Milieus (Diversity, Genderitis) wird die angeblichen „Rechten“ verachten und froh sein, dass sie sich mit denen nicht mehr befassen müssen, inklusive der gesamten Partei-Schickerei (was meint: die sich in einer moralisch höherwertigen Position wähnen).

Mein Vorschlag, mit dem Holzhammer vorgetragen: Allen Mitgliedern der „Linken“ wird für ein Jahr verboten, Gendersprache oder folgende Wörter zu benutzen:
– Klima
– Flüchtlinge
– divers
– nachhaltig
– „gute Arbeit“
– „gerechte Löhne“
– fair (in Kombination mit einem anderen Wort)
– „Spaltung überwinden“
– „gut aufgestellt“
– einkommensschwach
– Arbeitnehmer
– Energiewende.

Was? Dann bleibt nichts mehr übrig? Muss erst Paul Levi wieder zum Leben erweckt werden, um zu erfahren, was „links“ bedeuten könnte?

Ferner: Die „Linke“ informiert sich beim Marxisten Pedro Castillo, wie man Wahlen gewinnt und übernimmt dessen Positionen zum Thema „Einwanderung“.

Wollte ihr alles nicht? Was zu beweisen war. Wir treffen uns das nächste Mal unter der Fünf-Prozent-Hürde. I told you so.

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Virtuelles Quetschen und Zerren

oasis of Klimaoasis of Klimaoasis of Klima

Ja, ich weiß, schon wieder. Aber jemand hier sagte mal, er lese das Blog, weil es dort Themen gebe, die er sonst nirgendwo sonst zu sehen bekäme. Dazu gehörte auch Second Life. Außer dem sehr anspruchsvollen Living in a modemworld kenne ich auch keines, das sich mit den real existierenden virtuellen Welten beschäftigt.

Auf dem unteren Screenshot (zum ersten Mal hier?) sieht man die verschiedenen Features eines Viewers, den man in Second Life braucht – hier Firestorm. Mein Avatar baut ein paar Dünen, was weitaus schwieriger ist bei einer begrenzten Anzahl von Polygonen als es scheint. Der neueste Schrei sind Objekte aus Mesh. So etwas macht man mit Blender. Mesh-Objekte sehen viel realistischer aus als die klassischen Prims, haben aber die unangenehme Eigenschaft, einen immer größeren land impact zu erzeugen, wenn man sie „auseinanderzieht“, also größer macht, als sie ursprünglich waren (ich habe meine Dünen gekauft). Wenn man eine sehr differenzierte Düne, die so viel Lag verursacht wie etwa zehn klassische Polygone, um das Dreifache vergrößert, hat man eventuell plötzlich einen land impact von fast 80 Prims, was jeden Sim-Besitzer zum Heulen und Zähneklappern bringt, wenn man eine ganze Sahara-ähnliche Landschaft erzeugen will.

Mesh-Objekte benehmen sich normalerweise „ordentlich“ in dem Sinn, dass die Avatare darauf herumlaufen können – bei den bisher dominierenden sculpted prims war das unbedingt nicht so. Hier aber hatte der (weibliche) chief builder die Düne „phantom“ gemacht, die Größe, kombiniert mit dem ästhetischen Anspruch, erzwang es, man konnte also einfach durchlaufen, was nicht sehr realistisch ist. Dafür hatte der Sandberg nur sehr wenig land impact. Man hat dann als Game Designer die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub: Realistisch, aber zu viel land impact, oder wenig land impact, also insgesamt weniger Lag, dafür aber unrealistisch.

Hier musste ich mir mir einem Trick behelfen: Ich baute einen klassischen Prim (Polygon), den ich quetschte und drehte und sonstwie verformte, bis er ungefähr die Form der Mesh-Düne hatte. Dann macht ich ihn komplett durchsichtig. Jetzt laufen die Avatare auf dem Polygon, aber es sieht so aus, als liefen sie auf der Düne. Gern geschehen, falls das überhaupt jemanden interessiert. Und völlig unpolitisch ist es auch.

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Islamischer, rechter und linker Querfront-Antisemitismus

Sehr informativer, aber auch sehr langer Artikel Michael Blumes auf SciLogs über Antisemitismus mit Fakten, die ich bisher auch nicht kannte. Lesenswert!

Die simple Wahrheit ist, dass sich der Islam ebenso wie das (…) Christentum sowohl judenfreundlich wie judenfeindlich, sowohl semitisch wie antisemitisch auslegen lassen. (…) das Fazit, dass sich Antisemitismus nur dann glaubwürdig bekämpfen lässt, wenn dabei „jeder“ Antisemitismus entschieden angegangen wird. Wer bei Einheimischen oder Zugewanderten, bei Rechts- oder Linksextremen, bei Nichtreligiösen oder Religiösen, bei Christen oder Muslimen, bei einseitigen „Israelkritikern“, islamfeindlichen Ethnonationalisten oder jungen Klimaschützer gar nicht so genau hinschauen will, handelt sowohl gegenüber jüdischen Menschen wie auch gegenüber den Verschwörungsgläubigen und schließlich gegenüber sich selbst schwach und niederträchtig.

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Immer schön das Kleingedruckte lesen

Heimdall's Watch

Man muss als Avatar schon genau hingucken… Gesehen in Heimdalls‘ Watch. #secondlife #roleplay #gor #fantasy

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Failed State

Das ist schon peinlich – Deutschland sinkt, wenn es irgendwie digital werden soll, auf das Niveau der so genannten „Dritten Welt“ hinab. Charlottenburg-Wilmersdorf veröffentlicht Schätzungen statt Wahlergebnisse. Warum? „Wie wirklich gewählt wurde, sei noch nicht bekannt“. Wie lange ist die Wahl jetzt her? Das kann ja sogar Putin besser.

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Rio Hondo, revisited

rio Hondo

Den Ort hatte ich vor drei Jahren schon beschrieben: Grenze zwischen Mexiko und Belize am Rio Hondo, nordöstlich der Höfe der mennonitischen Bauern in Tres Leguas, bei denen ich 1979 ein paar Tage gewohnt habe. Auf der anderen Seite ist Mexiko. Und einer der kleinen Kerle tauchte vor neun Jahren hier schon einmal auf.

Die Geschichte hinter dem Foto ist kompliziert. Am 28.09.1979 standen wir in Cuauhtémoc im mexikanischen Bundesstaat Chihuahua auf dem Bahnhof, der eigentlich keiner war, sondern nur aus ein paar Geleisen bestand. So etwas kannte ich noch nicht. Wir wollten mit der Ferrocarril Chihuahua al Pacífico an die Pazifikküste. Ein älterer Mennonite sprach uns an; er hatte offenbar gehört, dass wir uns auf Deutsch unterhielten. Er lud uns ein. Von ihm bekamen wir die Adresse seine Sohnes in Belize. Der Mann hieß Aaron Redekop. Seine Vorfahren stammten aus Russland, vermutlich war David Redekop sein Vater. (1982 war ich noch einmal bei ihm und seiner Frau.)

Am 21.10.1979 überquerten wir die Grenze zwischen Mexiko und Belize. Aus meinem Reisetagebuch:
„Mit ordinario zur Grenze. Kein Trouble, auch nicht mit den Grenzern in Belize. Chetumal [Mexiko] ist ein verschlafenes Nest, fast nur Schwarze. Trampen nach Corozal [Belize]. Tauschen Geld. An der Wand einer Kneipe das Schild: „Beautify America – eat a Redneck„. Trampen von Corozal nach Orange Walk. Leute sehr freundlich, sprechen fast alle nur Spanisch.

Von Orange Walk nach Yo Creek, nur ein paar Hütten. Ein Mennonite nimmt uns mit dem Pickup mit nach Blue Creek und setzt und vor dem Haus von Redekops ab.“

Jetzt muss ich vorgreifen. Blue Creek gibt es nicht mehr, auf der Karte sieht man noch, dass die Gegend besiedelt war. Damals waren dort einzelne Gehöfte, keine geschlossene Siedlung, alle in Sichtweite eines anderen. 1982 erfuhr ich, dass der Hof des jungen Redekop von Mexikanern angesteckt und seine Familie vertrieben worden war – die Redekops kehrten wieder nach Mexiko zurück. Der Grund: Die Mennoniten zerstörten die Felder der Mexikaner (aus Belize), die an der Grenze Marihuana anbauten. Es gab wohl einen Kleinkrieg, den die Mennoniten verloren. Fast alle weigern sich ohnehin, Militärdienst zu leisten. Sie sind eigentlich friedliche und fromme Leute.

War standen vor dem Hof, der nur aus einem Haus und einigen Nebengebäuden bestand und hatte nur den Zettel mit dem Namen. Ein ziemlich attraktive blonde Frau (die oben auf dem Foto) kam mit einem Gewehr heraus und zielte auf uns und fragte, was wir wollten. Als wir auf Deutsch antworteten, ließ sie das Gewehr sinken und bat uns herein. Ihr Mann (oben) kam später von der Feldarbeit und staunte über den Besuch, war aber sehr neugierig, was wir zu erzählen hatten.

Viel interessanter war das, was wir über das Leben dort erfuhren.

Mann und Frau hatten klar zugewiesene Rollen. Wenn er am Tisch saß, rief er seine Frau aus dem Garten, um ihm Kaffee einzuschütten. Alles im Haus kommandierte sie. Alles draußen regelte er. Die Mennoniten war nicht viele und eine verschworene Gemeinschaft mit harten und klaren Regeln. Ich kann mich heute noch an die Geschichten erinnern, die wir abends, wenn wir draußen unter dem Sternenhimmel zusammensaßen, zu hören bekamen. Die Mennoniten sprachen Plautdietsch, was nicht immer einfach zu verstehen war, gemischt mit „modernen“ deutschen Wörtern.

„Wenn der Jakob seine Frau prügelt, dann wissen das ein paar Tage später alle. Und wenn der Jakob dann unterwegs ist, dann lauern ihm der Aaron und der Josef und der Matthias mit dem Ochsenziemer und zeigen ihm, wie sich ein Mann zu benehmen hat. Der Jakob schlägt seine Frau nie mehr.“

Einer hatte es gewagt, eine Mexikanerin zu heiraten – eine Katholikin! Er durfte sich bei den Mennoniten nicht mehr blicken lassen. Die Alten sind alle Pazifisten. Manche fahren noch mit Pferd und Wagen und halten Traktoren für Teufelszeug. Der junge Redekop ist aus der Art geschlagen, war sogar bei der US-Armee, und hat deswegen vermutlich Stress mit seinem Vater.

Was müssen diese Leute wissen, um in der Wildnis zu überleben? In der Schule lernt man das nicht. Redekop war von einer Schlange gebissen worden – auf dem Foto sieht man noch den Verband. Sein Rezept: Man muss die Schlange zuerst töten. Dann nimmt man ein Messer und schneidet den Biss kreuzförmig auf (das hatte er selbst gemacht). Dann bestreicht man die Wunde mit roter Wagenschmiere. Dann spricht man ein Gebet und denkt nicht mehr an die Wunde. Es schien zu funktionieren.

Dieser Menschenschlag würde hier nicht immer auf Sympathie stoßen. Mennoniten sind eine Art erzkonservativer Calvinisten. Sie arbeiten eigentlich immer, wenn sie nicht schlafen. Der Mexikaner an sich ist genau das Gegenteil. Und das sagen die Mennoniten auch unverblümt. Redekop hatte ein paar Knechte, die aus Mexiko stammten. Wenn die Sonne unterging, spendete ein Generator noch Strom. Am ersten Abend war er kaputt, und die Mexikaner fummelten lange erfolglos daran herum. Sie kriegten auch die Kurbel nicht richtig in Schwung. Der junge Redekop sah sich das nicht lange an, scheuchte sie zur Seite und bekam das Gerät mit nur seinem gesunden Arm zum Laufen. Es war sonnenklar, wer die dicksten Cojones hatte der Boss war.

Am Sonntag zieht man keine Jogging-Hose an, sondern das beste Zeug, was man hat. Am Sonntag wird auch nicht gearbeitet. Einmal im Monat treffen sich alle Mennoniten zu einem Fest – da wird ausgeguckt, welcher Hans welche Grete kriegen soll. Wir machten eine Fahrt mit dem Pickup zum Rio Hondo – dort ist das Foto am 21.10.1979 entstanden.

Aus meinem Reisetagebuch:
Essen echt deutsch, viel Fleisch. Toronjas. Zitronen fürchterlich sauer, Pampelmusen sehr süß. Wagenschmiere und Alkohol helfen auch gegen Mücken, warme Milch gegen Vergiftungen. Spazierfahrt zum Blue Creek [gemeint ist der Rio Hondo].

Mittags zeigt uns Redekop sein neues Haus, etwas windschief. Er hat jede Menge Maya-Scherben gefunden. Fast direkt unter dem Hause ist eine ziemlich größe Höhlung, die er irgendwann ausgraben will. Abends Schnack über Gott und die Welt. Redekop begreift nicht, dass in Deutschland nicht alle Farmer werden wollen. Seine Kinder würden gegen Russland [gemeint war die Sowjetunion] in den Krieg ziehen. Er sei früher Scharfschütze mit einer 44er Magnum gewesen. Er sagt, was die Frau tun soll.“

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