Unter Islamversteheristen

Mohammed

Das obige Bild zeigt eine persische Darstellung Mohammeds (rechts) vor seinen frühesten Anhängern. Muslime wollen, dass Bilder Mohammeds gar nicht gezeigt werden dürfen. Die Illustration stammt aus Al-Birunis Kompendium Athar al-Baqiya ‚an al-Qurun al-Khaliya. Das Werk befindet sich in der Sammlung der Bibliothèque Nationale in Paris (Manuscrits Arabe)

Jetzt geht es wieder los. Unsere so genannten „Experten“ fordern, dass die Trennung von Staat und Kirchen aufgehoben wird, hier: dass das Berliner Neutralitätsgesetz abgeschafft wird.

Das geht aus dem Abschlussbericht des Gremiums hervor, wie der Sender RBB berichtet. Demnach heißt es darin, das Gesetz sei eine „systematische und institutionalisierte Diskriminierung“ von Frauen mit einem Kopftuch und damit ein Beispiel für die „institutionelle und strukturelle Praxis des antimuslimischen Rassismus.“
Die Expertenkommission wurde 2021 vom Senat als Reaktion auf den Terroranschlag in Hanau eingesetzt. Beteiligt sind Vertreter der Evangelischen Hochschule Berlin, der Alice Salomon Hochschule, der Schule ohne Rassismus-Schule mit Courage, des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung sowie Delegierte des „Islamforum Berlin“.

Das muss man dann bei Muslimen gleich entsprechend bebildern, mit einem Kind und einer lächelnden Hijabistin. Ich hätte andere Fotos genommen.
Unsere Islam-Versteher werden aber in der Zukunft genau so wenig locker lassen wie die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung.

Das sieht man schon, wenn man sich anschaut, aus welchem Milieu die „Experten“ kommen: Die Evangelische Hochschule (nutzt Gendersprache) wird finanziert von der Evangelischen Kirche. Die Alice Salomon Hochschule nutzt exzessiv Gendersprache. Schule ohne Rassismus faselt etwas von „Muslimfeindlichkeit“ (tut mir leid, Eberhard! Ich weiß, dass es beim obigen Beschluss einer Minderheitenmeinung gab). Das Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) nutzt Gendersprache („Geflüchtete“) und erhält Geld vom Bundestag. Berliner Islamforum: Nomen est omen. Ergo: Wo Gendersprache drin ist, ist auch meistens Islamversteherismus drin.

Übrigens: Ruud Koopmans schreibt auf Twitter: „Wer es nach Münster und Bremen (und Oslo, Dresden, Orlando usw.) noch nicht geschnallt hat: die größte Bedrohung für die Sicherheit von LGBT+ geht von Tätern aus muslimischen Kulturkreisen aus. Nicht von Biologinnen und Frauenzeitschriften.“

Ich weiß zwar nicht, was ein „muslimischer Kulturkreis“ ist und ob er meint, die Aleviten gehörten dazu oder die Ahmadiyya? Ich halte es mit dem unzensierten Dante Alighieri, dessen Langzeitwirkung ich mir auch für mich wünsche und der Mohammed (Mahomet) – der natürlich in der Hölle ist – so beschreibt (Chor im Hintergrund in C-Dur, forte: Bildungskanon! Bildungskanon!)

Kein Faß, das in der Mitte oder auf der Seite seines Bodens eine Daube verliert, kann so durchsichtig seyn, als ich da einen Verdammten sah, der vom Kinn bis an den Wannst herunter ganz von einander geborsten war. Zwischen den Beinen hiengen ihm die Gedärme herab. Das Eingeweide lag frey. Und der unreine Darm, der aus dem, was man hinunterschlingt, den Unflath in sich sammlet, auch der war da zu sehen. Indem ich mich gänzlich damit beschäfftigte, ihn genau zu betrachten, sah er mich an, öffnete sich mit den Händen die Brust, und sagte, O! siehe, wie ich mich nun in Stücken zerlege, siehe, wie verstümmelt ich, Mahomet, nun bin! Vor mir her geht und weint Ali, dessen Angesicht vom Kinn bis an den Wirbel gespalten ist. Und alle die andern, die du hier siehst, waren in ihrem 204 ehemaligen Leben Stifter von Aergernissen, Trennungen und Religionsspaltungen, und daher sind sie nun hier also zerspaltet. Denn dort hinten ist ein Teufel, der uns mit der Schärfe eines Schwerdts grausam zertheilet, und wann wir die schmerzhafte Straße herum sind, einem jeden von unsrer Gattung diese Trennung von neuem aufhauet.


11. Feuerbachthese

Und jetzt die tägliche kalte Dusche tägliche Dosis für die „Linken“: Ich forderte auf, weniger vages Räsonnement, großklingende Phrasen, selbstgefällige Bespiegelungen und mehr Bestimmtheit, mehr Eingehn in die konkreten Zustände, mehr Sachkenntnis an den Tag zu fördern. (…) Ich begehrte dann, die Religion mehr in der Kritik der politischen Zustände, als die politischen Zustände in der Religion zu kritisieren, da diese Wendung mehr dem Wesen einer Zeitung und der Bildung des Publikums entspricht, da die Religion, an sich inhaltslos, nicht vom Himmel, sondern von der Erde lebt, und mit der Auflösung der verkehrten Realität, deren Theorie sie ist, von selbst stürzt. Endlich wollte ich, daß, wenn einmal von Philosophie gesprochen, weniger mit der Firma: „Atheismus“ getändelt (was den Kindern ähnlich sieht, die jedem, der’s hören will, versichern, sie fürchteten sich nicht vor dem Bautzenmann), als vielmehr ihr Inhalt unter’s Volk gebracht würde. (Karl Marx über die Presse und Religionskritik, an Arnold Ruge, 30. Nov. 1842, MEW 27, 412)

Sich treu bleiben oder: De mortuis nil nisi bene

stroebele
Fotografiert 16.05.2006 ©Burks

Über Hans-Christian Ströbele haben wir alle schon unzählige Nachrufe zu Kenntnis genommen. „Vielen ging er auf die Nerven mit seiner kompromisslosen Haltung, aber geschätzt haben ihn immer auch strikte Gegner.“ Das soll auch über mich nach meinem Tod gesagt werden (ca. 2054).

Sich treu zu bleiben, was auch immer das heißen möge, ist nicht unbedingt etwas Gutes: Die Zeugen Jehovas bleiben sich auch treu. Über Ströbele kann man sagen, dass er Eier hatte und sich nicht dem Partei-Mainstream unterordnete. Das ist nicht selbstverständlich, was es eigentlich sein sollte, sondern eine seltene Tugend.

Ich muss zugeben, dass ich Politiker nicht nach ihrer Moral beurteile. Das machen nur die, die gar nicht wissen, dass sie nicht über den Tellerrand ihres protestantisch geprägten Milieu schauen. Ich halte Metternich und Netanjahu für „gute“ Politiker, weil sie ihren Job machen: Die Interessen derer zu vertreten, die sie ernannt bzw. gewählt haben. Claus Weselsky ist ein guter Gewerkschaftler, ob wohl er in der CDU ist und viele Leute ihn verabscheuen, weil er sie nervt.

Was Ströbele politisch dachte, war oft unsinnig, weil „grün“. Wie viele Grüne war er ein Islam-und Religionsversteher, was ihn für mich zu einem politischen Gegner macht. Ich schrieb 2009:
Was lese ich da in Welt Online? Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, auch bekannt als der König von Kreuzberg, fordert einen „islamischen Feiertag“. „‚Dies wäre ein Zeichen, dass Deutschland den Islam als Religion ernst nehme‘, sagte Ströbele“. Ich soll also die Verehrer höhere Wesen ernst nehmen? Sind denn die Grünen jetzt von allen guten Geistern (!) verlassen? Deutschland ist ein säkularer Staat, zwar weniger als die Türkei, aber immerhin.

Und 2011: Wie das law blog berichtet, hat Hans-Christian Ströbele (das ist der, die die Verehrung höherer Wesen der muslimischen Art und anderen Aberglauben gern in Form eines Feiertags eingeführt hätte) ein Lokalblog „abgemahnt“ und fordert 775 Euro Euro Anwaltsgebühren, weil das Blog angeblich falsch über ihn berichtet hat. (…)
Mit Verlaub, Herr Ströbele, Sie sind ein Arschloch (Zitat Ihres Parteigenossen). Eine Richtigstellung hätte es auch getan.

Ströbele und Israel: Auch beim Thema lag er voll daneben. „Die irakischen Raketenangriffe sind die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels.“ Das war eine typische Reflexhaltung – der Mehrheit der deutschen Linken eigen -, die völkisch denkt, es gäbe „Palästinenser“ und das seien irgendwie politische Pandabären.

By the way: Hans-Christian Ströbele (Grüne), ARD-Kinderreporter im Juni 2007: „Ins Internet bin ich, glaube ich, ein oder zwei Mal bisher gegangen.“

Das Gute überwiegt bei jedoch bei Ströbele. Ich muss da an Harald Martenstein denken: „Ich halte Karl Marx für einen großen Denker, auch wenn er nicht in jedem Punkt recht gehabt hat. Es ist fraglich, ob überhaupt jemals ein großer Denker gelebt hat, der oder die in jedem Punkt recht behalten hätte, auch wenn ich Günter Grass und Alice Schwarzer in dem Verdacht habe, dass sie in Bezug auf sich selbst diese Hoffnung hegen. Kleine Denker irren sich seltener. Mein Hund irrt sich fast nie. (Über die Irrtümer großer Denker, Zeit-Magazin 05.03.2015)“

Eines seiner letzten Statements kritisiert die Grünen und ihren Waffenfürdieukrainefetischismus: „Mehr Menschen werden sterben“. Recht hatte er.

erststimme stroebele
Kampagne für Ströebele, Bundestagswahl 2005

Übrigens gibt es zur angeblichen Übereinkunft, man sollte über die Toten nur Gutes sagen, einen uralten und lesenswerten Artikel des Couponschneiders Don Alphonso (als er noch nicht vorwiegend für Eigenheimbesitzer schrieb).

Zwischenergebnis, und alles zeigt in den fernen Osten

georg Pencz: Mars
Georg Pencz (1500-1550): Mars

Ich habe natürlich meine Aufstellung so gehalten, daß ich im umgekehrten Fall auch Recht habe. (Karl Marx).

Das Publikum verlangte nach einer Zwischenbilanz der Serie über den Feudalismus. Das ist verständlich, da man nicht verlangen kann, dass jemand, der davon zum ersten Mal hört, alle Artikel zum Thema rezipiert, zumal das Tage dauern würde (es müssen natürlich auch die Fantastilliarsen Links alle ausnahmlos aufgerufen werden!). Vor sieben Jahren startete ich mit der harmlosen Frage: Wie beschreibt man eine Gesellschaft hinreichend – und mit welchen Begriffen? Nichts ist „natürlich“, obwohl die Herrschenden aller Zeiten ausnahmslos das Gegenteil behaupteten. Darum ging es in einer Art

1. Prolog: „Reaktionäre Schichttorte“ (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse.

2. Was ist „Feudalismus“? Die Frage ist heikel, denn behauptete man eine Art Gesetzmäßigkeit der Evolution von einer Gesellschaftsform zur anderen oder gar eine bestimmte Reihenfolge, dürfen „bürgerliche“ Historiker nicht weiter forschen, ohne die Frage beantworten zu müssen: Gibt es gar eine Gesellschaftsform jenseits des Kapitalismus? Und wie sähe die aus?

In „Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus“ (Fotos: Quedlinburg) fasste ich diverse und sich widersprechende Analysen zusammen. Es gibt seit dem Zusammenbruch des so genannten „realen Sozialismus“ keine deutsche marxistische Mediävistik mehr. Es sieht aber so aus, als hätte der DDR-Historiker Bernd Töpfer recht gehabt, der damals behauptete, der Feudalismus sei die am weitesten entwickelte Stufe der vorkapitalistischen Gesellschaften; er könne sich sowohl aus einer „zersetzenden“ Urgesellschaft [also aus einer tribalistischen Gesellschaft, B.S.] wie auf dem Hintergrund der asiatischen Produktionsweise oder einer Sklavenhalterordnung entwickeln. Genau das sagt heute – mit anderen Begriffen – die „bürgerliche“ Geschichtswissenschaft, wie der hier oft zitierte Michael Mitterauer in seinem hervorragenden Buch Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs.

3. Wie sieht eine orale Gesellschaft wieder Feudalismus aus und welche Funktion haben die Objekte, die Herrschaft darstellen, insbesondere Reliquien? Das war die Ausgangsfrage in „Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften“ (Quedlinburger Domschatz I) und in „Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019)“ – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II).

4. Danach kommt ein Einschub: „Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019)“ – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III).

Wenn man den Feudalismus in Mittel- und Nordwesteuropa – der in der Weltgeschichte zuerst den Kapitalismus hervorgebracht hat – beschreibt und definiert, muss man erklären, warum die Entwicklung in anderen Regionen ganz anders verlief. Trotz der Jahrhunderte langen gemeinsamen Geschichte war der „polnische“ Feudalismus anders.

5. Ein weiterer Einschub: „Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019)“ – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg).

6. In „- Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges“ (15.06.2019) definiere ich „Feudalismus“ als analytische Kategorie und versuche zusammenzufassen, was zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert im Klassenverhältnis zwischen herrrschendem Feudaladel und den Bauern geschah (Stichwort: Leibeigenschaft).

Georg Pencz: Triumph des Todes
Georg Pencz (1500-1550): Triumph des Todes, Kupferstich

7. „Yasuke, Daimos und Samurai [I]“ (24.07.2019) sowie „Yasuke, Daimos und Samurai [II]“ (03.05.2020) thematisieren den Feudalismus in Japan, der – laut Marx – noch „typischer“ für die analytische Kategorie „Feudalismus“ ist als die mitteleuropäische Version, dem aber keine Sklavenhaltergesellschaft voraufging. Wir tragen hier also alle marxistischen Theorien zu Grabe (die stalinistischen sind keine Wissenschaft, müssen also nicht gesondert geschreddert werden), die behaupten, die Menschheitsgeschichte sei durch die „Formationen“ Urgesellschaft, Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus, Kapitalimus und Sozialismus (und irgendwo dazwischen „Asiatische Produktionsweise“) zwangläufig bestimmt (falls jemand nach einen Zwischenergebnis fragte).

8. „Agrarisch und revolutionär (I)“ (21.02.2021) widmet sich der zentralen Frage, warum es eine agrarische Revolution im Feudalimus gab und nicht etwa im Römischen Weltreich und warum andere agrarische Revolutionen zur fast gleichen Zeit – in Arabien und China – zu einem anderen Ergebnis führten bzw. zu keinem, das dem Kapitalismus näher kam.

9. Die Einschübe „Trierer Apokalypse und der blassrose Satan“ (17.03.2021) und „Energie, Masse und Kraft“ (04.04.2021) widmen sich der Technikgeschichte der agrarischen Revolution in Nordwesteuropa.

10. „Agrarisch und revolutionär II „(15.05.2021) setzt die Diskussion von „Agrarisch und revolutionär (I)“ fort, vor allem im Vergleich mit China.

11. Die ersten vier Teile der Serie über den Essener Domschatz („Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri“ (Essener Domschatz I) (28.10.2021), „Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021), „Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise“ (Essener Domschatz III) (27.11.2021) und „Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer „(Essener Domschatz IV) (17.12.2021) erörtern noch einmal die These von Punkt 3: Objekte sind dingliche bzw. verdinglichte Zeichen der sozialen Hierarchien und der Rituale in oralen Gesellschaften wie dem Feudalismus aka Früh- und Hochmittelalter (also die Zeitspanne zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert).

Der 5. Teil „Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation“ (Essener Domschatz V) (23.12.21) beschäftigt sich wieder mit der Frage, warum sich der Kapitalismus bzw. dessen ökonomischen Voraussetzungen zuerst in Westeuropa entwickelt haben.

Ich schrieb: Jetzt erscheint die von mir schon fast verworfene Frage bzw. These marxistischer Theoretiker in einem anderen, sogar vorteilhafteren Licht, ob der Feudalismus sich nur dann zum Kapitalismus entwickele, wenn er auf der Sklavenhaltergesellschaft fuße – oder ob es theoretisch auch ohne ginge. Da kein Paralleluniversum existiert, in dem wir das testen könnten, ist die Antwort einfach: Die These der angeblich zwangsläufig aufeinanderfolgenden Gesellschaftsformationen sagt nur etwas über die Geschwindigkeit aus, mit der letztlich der Kapitalismus in England zuerst entstand. Da die kapitalistischen Staaten Mitteleuropas in kurzer Zeit fast die ganze Welt unterjochten und der ihre Ökonomie aufzwangen (wie auch die Römer den unterworfenen Völkern), bleibt die Frage rein hypothetisch, was etwa aus China geworden wäre, wenn es keine Weltkriege und eine japanische Okkupation, keinen Langen Marsch und keine Revolution gegeben hätte.

georg Pencz: Hasen fangen die Jäger
Georg Pencz (1500-1550): Hasen fangen die Jäger

These (wieder ein Zwischenergebnis): Die antike Sklavenhaltergesellschaft trieb als Basis die Ökonomie im Frühfeudalismus antrieb. „Man kann nicht behaupten, dass Latifundien und das Kolonat die conditio sine qua non waren, aber wenn sie als Grundlage existierten, beschleunigten sie offenbar die Agrarrevolution. Und das war nur im Frankenreich und in England so. In anderen Regionen des ehemalige römischen Reiches stimmte die Ökologie nicht.“

12. „Jenseits des Oxus (09.01.2022) erweitert die Fragen auf die Regionen zwischen Europa und China. Fazit (noch ein Zwischenergebnis): „In China hat sich eine zentralistische „Verwaltung“, auf der der ganze Staatsapparat und auch die Produktion fußt, wesentlich früher entwickelt als in Europa. In Indien war das nicht so. In Frankreich und in Preußen gab es das erst vergleichbar erst im späten 16. Jahrhundert, also zur Zeit der Manufakturen, den Vorläufern der Fabriken.“

13. in „- Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)“ wird die gesamte Diskussion zusammenfasst, inklusive der „Asiatischen Produktionweise“. Die Fragen:

a) Der europäische Feudalismus war offenbar ein Sonderweg. In anderen Regionen der Welt gab es feudale Verhältnisse auch, etwa in Japan, aber der Kapitalismus entwickelte sich dort viel langsamer, wenn überhaupt.

b) Braucht es eine Sklavenhaltergesellschaft vor dem Feudalismus – oder ist das Römische Weltreich ebenfalls ein zu vernachlässigender Sonderfall?

c) China ist heute die einzige Gesellschaft, in der sich Ansätze entwickeln, die zu nachkapitalistischen Produktionsverhältnissen führen könnten. Dort gab es aber keine Sklavenhaltergesellschaft. Könnte es sein, dass dieser Weg letztlich derjenige ist, der den Kapitalismus zuerst überwinden wird?

These: Es gibt nur ein „logischen“ Schema, wie die Menschheit sich von einer klassenlosen „Urgesellschaft“ bis zur Klassengesellschaft im Kapitalismus entwickelte, aber mitnichten eine historische Abfolge. Die Frage, ob es für den Kapitalismus vor dem Feudalismus einer Sklavenhaltergesellschaft bedürfe oder nicht, ist also falsch gestellt und unsinnig.

14. „Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)“ beschäftigt sich mit dem Übergang von der Sklavenhaltergesellschaft zum Feudalismus, also die fließende Grenze zwischen dem Kolonat der spätrömischen Antike und der frühfeudalen Villikation (ab dem 7. Jh.).

15. Dreiteiliger Einschub: „Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I)“ (18.07.2022). „Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung „(Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022) und der dritte Teil – der bald kommt – diskutiert die obigen Fragen aus weltgeschichtlicher Perspektive: Wie entwickelte sich die Ökonomie in Amerika, Afrika, Asien und Ozeanien im Vergleich zu Europa (also von der Urgesellschaft bis zum Feudalismus)?

Ich bin noch lange nicht fertig. Aber alles zeigt in Richtung China….

Working Poor

Die schlesischen Weber
Carl Wilhelm Hübner: Die schlesischen Weber (1844)

„In den 1850er und 1860er Jahren gab es keine kritischen Romane, die von der Knochenarbeit und den behelfsmäßigen Unterkünften einer großen Zahl von Eisenbahnern, der untersten Stufe der industriellen Arbeiterklasse, erzählten. Es gab keine ausführlichen Enthüllungen, die ein Gefühl für die langen Arbeitszeiten und die gefährlichen Arbeitsbedingungen der Bergleute im Ruhrgebiet vermittelten, welche noch immer hauptsächlich aus westfälischen Bauern der ersten Generation bestanden. Und es gab keine bedeutenden kritischen Werke, die von der Hitze, dem Schweiß und der Schwerarbeit der Former und Puddler in den riesigen Stahlwerken von Essen berichteten. Die Deutschen schrieben weiterhin viele Bücher, aber in den entscheidenden ersten beiden Jahrzehnten, in denen die Industrialisierung in den deutschen Ländern ihren Durchbruch erlebte, ignorierten diese Bücher die gigantischen, oft aus Tausenden von Menschen bestehenden Schwärme von Arbeitern, die Pickel, Axt und Schaufel schwangen, um Erde zu bewegen und Tunnel in sie hineinzugraben, damit Eisenbahnen gebaut werden konnten. Sie drangen auch nicht in die finsteren sächsischen Textilfabriken vor, die ihre Arbeiter zu einem gnadenlosen Tempo zwangen und trotz strenger Arbeitsgesetze immer noch Kinder an Spinnmaschinen ketteten.

Kurz gesagt: Die working poor hatten niemanden, der über sie schrieb.“ (Aus Helmut Walser Smith Deutschland – Geschichte einer Nation, S. 289f.)

Ich habe den Eindruck, dass es heute wieder so ist. Noch schlimmer: Es wird geleugnet, dass es die Arbeiterklasse überhaupt gibt.

Ajijic, revisited again and again

lago chapala

Fotografiert im Oktober 1981 in Ajijic am Lago Chapala, Mexiko („das größte natürliche Binnengewässer Mexikos„). Über Ajijic hatte ich hier schon mehrfach geschrieben. Jetzt habe ich mir auch den Tagebucheintrag angeschaut:

12.10. Gestern Morgen nach Chapala, eine Riesenschlange am Busbahnhof [von Guadalajara]. Von Chapala weiter nach Ajijic am Lago Chapala. Das Hotel ist Nr. 18 [?] (Señor Emilio). Unser Zimmer ist zwar basic, aber mit einem großen Balkon inklusive einem Schatten spendenden Baum. [Die Kirche auf dem Foto dürfte die Parroquia San Andres Apostol sein. In Ajijic kann man mit Google herumfahren. Wenn ich das Foto nicht zufällig seitenverkehrt eingescannt hatte, müsste die Pension östlich der Kirche gewesen sein. Dann ist das kleinere Uhrtürmchen links vom Hauptturm zu sehen.] Für vier Nächte nur 300 Pesos. [Heute kommt man unter 20 Dollar pro Nacht nicht unter.]

Ajijic ist etwas sauberer als die übrigen Dörfer, aber indianisches [ich hatte das ohne Anführungszeichen geschrieben] können wir nicht entdecken. Dafür gibt es eine Kolonie von [US-]Amerikanern, die kunstgewerbliche Produkte verkaufen. Sogar ein „Schlitten“ aus Alaska ist da, die Leute sonst scheintot.

Lustiges Geplänkel mit Kindern vor der Kirche mit vielen Fotos. Sie spielen ein Spiel, bei dem der in der Mitte die Cucaracha ist.

Heute Morgen: Die Fischer ziehen jeweils zu dritt [oder zu viert] ein Schleppnetz an Land. Sie fangen „charales“, kleine, silbrige durchsichtige Fische [Chirostoma], die wie Sprotten aussehen und die es in Öl oder in der Suppe zum comida gibt. S. bekommt Ausschlag und fühlt sich auch sonst ziemlich übel. Mich stechen die Moskitos nicht oder die Stiche wirken anders.

Sonntag Abend ist auf dem Zocalo etwas los: Die Mädchen links herum, die Jungen rechts herum; nach den beiden Messen um 19 und 20 Uhr werden Informationen ausgetauscht und sich vergewissert, dass noch alles in Ordnung ist. Nachmittags großes Fußballmatch mit begeisterten Zuschauern und Schrummtata-Kapelle.

Explore. Discover. Create.

secondlife

Da wir gerade beim Thema waren: Ich müsste sehr lange überlegen, um auflisten zu können, wie man mich wo und überall erreichen könnte. Die klassischen sozialen Medien inklusive Instagram, WeChat und vk.com sind gesetzt. (Verschlüsselte) E-Mail ist selbstverständlich. Darknet? Muss (noch) nicht sein. IRC geht immer, am besten auf einem Server in Rio de Janeiro mit passwortgeschütztem geheimen Chat und /DCC.

Die Nachgeborenen werden jetzt mit den Ohren schlackern. Das sei doch sowas von 80-er! Ach. Euklid ist auch so was von 2300 Jahre her und stimmt immer noch, wenn es um Geometrie geht.

Manchmal sieht man in Filmen Kinder über Online-Spiele chatten. Das soll dann ultrakonspirativ sein. Ich zöge Secondlife vor – mein ältester Avatar hat sogar meinen realen Namen, ist also leicht zu finden. Ich spiele ihn jedoch kaum. Ja, man muss erst Software installieren oder nur einen Textviewer – diese Hemmschwelle überschreiten viele nicht. Aber Signal, Telegram und WhatsApp fliegen auch nicht automatisch auf ein Smartphone.

Wenn ich mal ein Date mit einer gleichaltrigen Dame hätte (was vermutlich nicht vorkommen wird), würde ich ihr vorschlagen, dass sie entweder eine verschlüsselte E-Mail schreiben soll oder gleich mit einem nackten Avatar im zweiten Leben auftaucht.

Am Solimões, revisited I

manaus
Unser Kochgeschirr samt Benzinofen im „Hotel“zimmer in Manaus (Brasilien).

10.12.1981 Wir erreichen Manaus in der Nacht. Wir machen uns früh auf zum Hotel Fortaleza, das mittlerweile 700 kostet [[ich war 1980 schon einmal in Manaus – vielleicht das in der Rua Saldanha Marinho N°321; in meinem älteren Reisetagebuch steht aber die Rua dos Barés – dort habe ich kein Hotel Fortaleza gefunden]. (…)

Am nächsten Tag hat das Studentenhotel, wo fast alle anderen (die gestern schon weiter nach Santarem/Belem gefharen sind) übernachten, keine Plätze für Frauen, dafür aber „Mensaessen“ für 200.

Salesianer-Museum [Museu do Índio] typisch für paternalistische Art der „Indianerbehandlung“ in Brasilien: Statistiken, wie viele zur „salesianischen Familie“ gehören und wie viele noch im „primitiven Stadium“ verharren. (…) auf den Fotos sind alle sittsam gekleidet, besonders schlimm die Jubelbilder über die „Integration“ – stramm stehende Schulkinder vor Militärmaschinen. Ein kleines Modell: „Wie richte ich eine Mission ein“.

Mich beeindrucken nur die Krüge und die Waffen. Sie tranken fermentierten Alkohol und Kokosmilch. [Fortsetzung morgen]

Spezialoperationen im Tierreich

marienkäfer

Planen die etwa eine Spezialoperation gegen die (wenigen) Blattläuse auf meinem Balkon? Oder ist das nur ein Elternpaar mit drei Kindern?

Die Ameisen, die Trophobiose lieben, scheinen schon ganz aufgeregt. Und ganz leise höre ich die Blattläuse nach schweren Waffen rufen. Bei mir haben alle Aphidoidea denselben Namen – sie heißen Melnyk.

Gut genährte Journalille

„Gut genährte Wohlstandskinder wie etwa Alina Lipp bringen ihren Altersgenossen ihre verquere Sicht der Dinge nahe.“ Das nennt der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) „Journalismus“. #cringe #DJV

Missing Link oder: Franziska und kleine Könige

Nibelungenlied
Das Nibelungenlied und die Klage (Leithandschrift A): „Wie die herren alle zen Hevnen [Hunnen] fvren“. Ein historischer Kern oder Anknüpfungspunkt der Sage ist die Zerschlagung des damals von Gundahar [by the way: interessante Vornamen für männliche Neugeborene!] beherrschten Burgunderreiches im Raum von Worms um 436 durch den römischen Konsul und Magister militum (Heermeister) Aëtius mit Hilfe hunnischer Hilfstruppen.

Ich sage nur: Audofleda, Amalasuntha, Dietrich von Bern, Childerich, Aegidius, Fredegar sowie der Liber Historiae Francorum (wer fließend Latein lesen kann). Habe ich jemanden vergessen? Eventuell Syagrius?

Dann holen wir tief Luft und beginnen mit dem Schlusskapitel von Thomas Fischers Gladius – Roms Legionen in Germanien:
Die Auflösung des weströmischen Reiches außerhalb Italiens war ein längerer Prozess: Weite Teile gerieten bereits gegen Ende des 5. ]h.s de facto unter die Herrschaft von Germanenstämmen, etwa den Vandalen, Franken, Burgundern und Westgoten. Sie alle waren in ein Machtvakuum vorgestoßen, das der Zerfall der römischen Zentralregierung hinterlassen hatte. Aber auch die Macht der neuen Herren war nıcht immer unangefochten: Ostgoten, Vandalen, Franken, Burgunder und Westgoten stellten in ihren Herrschaftsgebieten nur eine Minderheit dar, die über die große Anzahl von römischen Untertanen römisch-katholischen Bekenntnisses herrschte. Da aber die germanische Oberschicht zumeist nicht dem römisch-katholischen Glauben anhing, sondern der arianischen Glaubensrichtung, verschärfte dies die Spannungen zwischen Herrschern und Beherrschten. Nur im Frankenreich, das sich dann ım Verlauf der weiteren Entwicklung als Großmacht und Haupterbe des römischen Reiches im Westen* durchsetzen konnte, fand sich für dieses schwerwiegende Problem eine Lösung…

Minderheiten, die über Mehrheiten herrschen bzw. deren herrschende Klasse ersetzen, haben wir oft in der Geschichte, zum Beispiel die mongolische Yuan-Dynastie in China oder die Spanier in Lateinamerika. Es kömmt aber auf die Ökonomie an.

Mit Childerich haben wir ein erstes politisches Missing Link zwischen Sklavenhaltergesellschaft und Feudalismus: Ein fränkischer Warlord, also ein Germane, der sich (lateinisch!) Rex nannte und dessen Truppen als römischer Verbündete (foederati) in Gallien dienten. Die Historiker sind bei der Frage, was dieser Franke eigentlich exakt war, heillos zerstritten („ist aber nicht immer klar, ob Childerich als römischer Befehlshaber oder als fränkischer Anführer bzw. König agierte“). Childerich verwaltete in der Endphase des römischen Galliens die römischen Provinz Belgica Secunda aka Gallia Belgica, auch als militärischer Befehlshaber (dux).

siegelring childerichs
Fingerring bzw. Siegelring (anulus) des merowingischen, fränkischen Königs Childerich (Hilderich) – Beschriftung: (Sigillum) CHILDERICI REGIS. Childerich hat auf dem „Portrait“ einen geschorenen Bart und, wie bei fränkischen Königen üblich, langes Haar trug (rex crinitus).

Wir wiederholen:

Wir müssen hier ein berühmtes Zitat aus dem Vorwort von „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ von Marx abklopfen, ob es mit der Realität übereinstimmt:
„Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um.“
„Soziale Revolution“ meint offenbar nicht das Klischee, dass Männer in langen Wintermäntel und mit Gewehren Paläste stürmen, sondern dass die Eigentums- und Produktionsformen radikal umgewälzt werden. Insofern ist die „Spätantike“ durchaus eine solche Epoche. Sehr interessant ist, dass die aktuelle bürgerliche Forschung das ähnlich sieht und von einer Transformation spricht.
Joseph Tainter scheint der Marxschen These sogar sehr nahe zu kommen. Sein Hauptwerk Collapse of Complex Societies definiert diese „soziale Revolution“ als „Kollaps“: a rapid, significant loss of an established level of sociopolitical complexity, also genau das, war mit dem Römischen Weltreich geschah.

Liebe Kinder, als Hausarbeit lernt ihr bitte folgende fränkischen Namen auswendig: Childerich („Missing Link“), Chlodwig (der zum Christentum konvertierte, also das oben genannte angebliche „schwerwiegende Problem“ löste), Karl Martell (der islamfeindlich war – Frau Chebli, bitte übernehmen!). Überlegt euch ein, zwei Sätze dazu. Mehr muss man heute über die vier Jahrhunderte vor Karl dem Großen nicht wissen. Außerdem gibt es ohnehin kaum belastbare Quellen.

franziska
Fränkische Wurfaxt Franziska (Stiel neuzeitlich), 6. Jahrhundert, Grabfund 1935, Museum Grünstadt [Vorsicht! Bei der Website braucht man eine Sonnenbrille!]. Credits: Altera levatur / Wikipedia

Wir reden also, was die Ökonomie betrifft, über die fließende Grenze zwischen dem Kolonat der spätrömischen Antike und der frühfeudalen Villikation (ab dem 7. Jh.).

Wir haben hier eine Sythese zwischen der herrschenden Klasse der westgermanischen Kriegergruppen und deren Warlords und dem romanisierten Volk, das für diese arbeitete, nachdem die überregionale Verwaltung des weströmischen Reiches weggebrochen war. Ob die Goten, Vandalen, Burgunder, Franken, Langobarden oder Sachsen die neuen Herrscher gewesen wären, bleibt letzlich eine Frage des historischen Zufalls, wer wen in welcher Schlacht entscheidend massakrierte. Es hätte an der Ökonomie und deren langfristigen Entwicklungstendenzen nichts geändert.

* Im Süden waren die „Erben“ die Umayyaden, und im Osten natürlich das tausendjährige (!) byzantinische Reich. Aber diesen beiden „Erben“ bzw. deren Regionen gelang der Sprung zum Kapitalismus nicht so schnell wie in Nordwesteuropa.
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Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)

Miscellaneous

genderwahnsinn

Gibt es eigentlich wirklich etwas Neues, die Weltläufte betreffend?

– Vor Zoom hatte ich schon gewarnt.

– Computerspiele machen süchtig und gleichzeitig intelligenter.

– Es gibt noch Länder mit Telefonzellen, die scheinen aber eine Ausnahme zu sein.

– Russland erhöht Pensionen und den Mindestlohn.

burks

– Die Uiguren hatten wir schon. Die Platte Propaganda-Textbausteine werden bei Bedarf auch in Zukunft immer wieder hervorgeholt werden.

– Softwareprobleme? Softwareprobleme!

– Ich warte auf den Herbst. Vielleicht ist die Linke dann nicht mehr im Bundestag und Merz Kanzler.

– Die Motivation der ukrainischen Truppen ist wie immer sehr hoch.

– Die Chinesen üben in der Nähe von Taiwan.

– „Homecoming soldiers“ gibt es jetzt auch auf Russisch.

– Viele Deutschen haben einen Knall.

Telefonzelle

Unter Pagenschnittigen

pagenschnitt

Meine Mutter (rechts, Jahrgang 1925) und ihre Cousine Leni (Mitte) und zwei unbekannte Kinder in den 30-er Jahren (Weimarer Republik). Die Frisur – der so genannte Pagenschnitt – war damals modern.

Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI)

Auf drängenden Wunsch des Publikums wird die beliebte Serie jetzt fortgesetzt.

essener Domschatz

Kreuznagelreliqiar, um 1040/49, im 14. Jahrhundert modifiziert. Man weiß nicht exakt, wie das Original aussah, ob etwa der Nagel frei einsehbar war. Der Kristall lässt sich öffnen, dieser Mechanismus und der Rahmen stammen aus der Gotik. Die Motive der Emails „zitieren“ die des Theophanu-Evangeliars [hatte ich hier noch nicht gepostet]. Die Stifterin lässt sich nur indirekt beweisen.
Klaus Gereon Beuckers schreibt in Gold vor Schwarz: Der Essener Domschatz auf Zollverein: „Tafelförmige Reliquiare insbesondere für Christus-Reliquien sind spätestens seit dem 10. Jahrhundert aus Byzanz gut überliefert. (…) Eine vergleichbare Disposition weist der so genannte Talisman Karls des Großen im Reimser Kathedralschatz auf [Palais du Tau]. Auch andere Werke des Essener Umkreises wie das Borghorster Kreuz [das 2013 gestohlen und für 100.000 Euro zurückgekauft wurde] oder das Gandersheimer Heilig-Blut-Reliquiar präsentieren um die Mitte des 11. Jahrhunderts Reliquien in Kristallgefäßen, die in den Rahmen einer Goldschmiedearbeit eingebunden waren. Dies war in der Zeit neu und greift Entwicklungen des 13. Jahrhunderts vor, in denen – ebenfalls in Rezeption byzantinischer Arbeiten – dann auch Körperreliquien sichtbar präsentiert wurden. Das Essener Nagelreliquiar nimmt unter den ottonischen bzw. frühsalischen Reliquiaren eine hervorragende Position ein und ist auch wegen seiner Tafelform innerhalb des erhaltenen Denkmälerbestandes einzigartig.“

Fragen über Fragen

Nachdem wir im letzten Beitrag dieser Serie (Jenseit des Oxus) überall zwischen der Levante, Afghanistan, Indien und China der letzten 3000 Jahre herumge(schw)irrt sind, hier noch einmal die Fragen:

a) Der europäische Feudalismus war offenbar ein Sonderweg. In anderen Regionen der Welt gab es feudale Verhältnisse auch, etwa in Japan, aber der Kapitalismus entwickelte sich dort viel langsamer, wenn überhaupt.

b) Braucht es eine Sklavenhaltergesellschaft vor dem Feudalismus – oder ist das Römische Weltreich ebenfalls ein zu vernachlässigender Sonderfall?

c) China ist heute die einzige Gesellschaft, in der sich Ansätze entwickeln, die zu nachkapitalistischen Produktionsverhältnissen führen könnten. Dort gab es aber keine Sklavenhaltergesellschaft. Könnte es sein, dass dieser Weg letztlich derjenige ist, der den Kapitalismus zuerst überwinden wird?

„Anatomie des Menschen ist ein Schlüssel zur Anatomie des Affen. Die Andeutungen auf Höhres in den untergeordneten Tierarten können dagegen nur verstanden werden, wenn das Höhere selbst schon bekannt ist. Die bürgerliche Ökonomie liefert so den Schlüssel zur antiken etc. Keineswegs aber in der Art der Ökonomen, die alle historischen Unterschiede verwischen und in allen Gesellschaftsformen die bürgerlichen sehen.“ (Karl Marx: Grundrisse, Einleitung [zur Kritik der Politischen Ökonomie], 1857, MEW 13, S. 636)

essener Domschatz

Reliquienkreuz, vermutlich aus dem Rheinland, 2. V. 14. Jahrhundert, vergoldetes Silber mit Achat, Opal und Bergkristall.
Anna Pawlik schreibt in Gold vor Schwarz: Der Essener Domschatz auf Zollverein: „Auf der Vorderseite ist ein ornamental bearbeitetes, teilweise mit goldener Farbe bemaltes Pergament eingelegt, auf dem die Reliquien verzeichnet sind. (…) Die zwei kreuzförmig übereinanderliegenden Holzpartikel in [sic] Zentrum des Pegaments sind durch die umlaufende Inschrift De sancta cruce domini als Kreuzreliquien gekennzeichnet, Die Rückseite des Behälters ist mit einer silbervergoldeten, kreisförmigen Platte mit getriebenem Christuskopf in einer Mandorla verschlossen.“

Erste Antworten

Ich hatte geplant, mich zunächst mit der so genannten Asiatischen Produktionsweise auseinanderzusetzen. nachdem ich jetzt noch einmal Erich Pilz „Zur neuesten (1982!) Debatte über die Asiatische Produktionsweise in der Volksrepublik China“ gelesen hatte, erscheint mit das jetzt überflüssig. Die (…) aufgezählten Produktionsweisen sind also logische Abstraktionen, reine Wirtschaftsformen und deren logische Reihung,
rarbeitet beim Studium der politischen Ökonomie. Wer so eine Produktionsweise mit einer Periode der Gesellschaftsentwicklung gleichsetzt, der wird den methodischen Voraussetzungen bei Marx (logische Methode versus historische Methode) absolut nicht gerecht.
Das heißt: Es wäre vermutlich falsch, überall in der Geschichte zu suchen, ob eine Gesellschft dem „Modell“ APW ähnelt oder nicht und warum. Das bewiese gar nichts. Die APW ist also ein aus der konkreten Geschichte abstrahiertes ökonomisches Universale.

Man kann nur einen Umkehrschluss ziehen. Die Aristokratie oder Bürokratie (vgl. das alte Mesopotamien oder China) organisiert die produktive Arbeit und eignet sich einen Teil des Mehrprodukts der unmittelbaren Produzenten an. Im mitteleuropäischen Feudalismus kann von einer „Organisation“ der gesellschaftlichen Arbeit aber kaum gesprochen werden. Ganz im Gegenteil: Vor dem Absolutismus spielen eine Staatsmacht oder gar eine Bürokratie kaum eine Rolle für die Ökonomie. Dort aber gab es Kapitalismus zuerst. Oder, abstrakt ausgedrückt: Die Produzenten werden vollends von ihren Produktionsmittel am effektivsten getrennt, wenn eine Art europäischer Feudalismus vorhanden ist. Daraus kann man aber die letzte der obigen Fragen nicht beantworten: Die Ökonomie Chinas war auf dem Weg zum Kapitalismus eher „langsamer“, aber bedeutet das zwangsläufig, dass sich post-kapitalistische Formen dort am ehesten herausbilden können? Oder war es eine Kette von Zufällen? Das erscheint mir unwahrscheinlich, wenn man China mit Indien vergleicht.

Hierzu Pilz, der chinesischen Autoren zitiert (daher vermutlich der Begriff „Volk“, der von Marx so nicht benutzt worden wäre): Das grundsätzliche Mißverständnis bisheriger Interpretation der vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen bei Marx liege darin, dass man jedes einzelne Volk alle Stufen durchlaufen sieht. Marx hingegen sah die Gesamtheit der Menschheitsentwicklung: Zu gewissen Perioden haben die Entwicklungsstufen gewisser Völker exemplarische Bedeutung, weil ihre Produktionsweisen zur Gesamtentwicklung besonders bedeutende Beiträge geleistet haben. Manche Völker haben lange keine nennenswerten Beiträge geleistet, um dann gewaltig hervorzutreten und wieder zurückzufallen (=nicht auf die nächst höhere Produktionsstufe zu kommen). Die Übernehmer solcher Beiträge hingegen waren oft fähig, darin eingebaute Hemmnisse zu überwinden. Was ist aus dem großartigen Ägypten, was aus Assur geworden? Kein Volk, auch kein europäisches, hat alle von Marx genannten Stufen durchlaufen. Für Marx war die Asiatische Formation beispielhaft innerhalb eines bestimmten Zeitraumes – so wie Griechenland und Rom beispielgebend waren für die Sklavengesellschaft. Die APW stellt also keine Erscheinungsform eines bestimmten Gebietes dar, aber innerhalb der Gesamtentwicklung eine modellhafte Stufe und ist damit von allgemeiner Gültigkeit.

Offenbar war man sich damals – bei Erscheinen der Pilzschen Zusammenfassung – in China sogar fast einig, dass dort weder eine „Asiatische Produktionsweise“ noch eine „Sklavenhaltergesellschaft“ wie im Marxschen theoretischen Modell existiert hat.

Das beantwortet auch meine Frage: Es gibt nur ein „logischen“ Schema, wie die Menschheit sich von einer klassenlosen „Urgesellschaft“ bis zur Klassengesellschaft im Kapitalismus entwickelte, aber mitnichten eine historische Abfolge. Die Frage, ob es für den Kapitalismus vor dem Feudalismus einer Sklavenhaltergesellschaft bedürfe oder nicht, ist also falsch gestellt und unsinnig.

Eine witzige Pointe ist, dass es vor mehr als vier Jahrzehnten in der marxistischen Diskussion offenbar nicht „opportun“ war, einen Zusammenhang zwischen historischen Elementen der „Asiatischen Produktionsweise“ und der Gefahr des Bürokratismus in sozialistischen Staaten Asiens zu vermuten. Dieses Thema war schon zu Beginn der chinesischen Kulturrevolution aktuell, wenn nicht sogar der Anlass. Heute könnte man polemisch entgegen, diese bürokratischen Elemente hätten genau das Gegenteil bewirkt – dass der chinesische Staatskapitalismus oder – in deren Parteineusprech – der Sozialismus chinesischer Prägung sich gerade deshalb als besonders stabil und progressiv (gegenüber dem „westlichen“ Kapitalismus) erwiesen hat.

Wird fortgesetzt.

essener Domschatz

Reliquiar, vermutlich letztes Drittel 14. Jahrhundert. Im Unterschied zu allen anderen Reliquiaren hat dieses eine rechteckige Grundform. Angeblich enthält es Reliquien der Margareta von Antiochia, der Christina von Bolsena, der Agnes von Rom, der Felicitas sowie den üblichen „Hausheiligen“ des Essener Doms. Auf einem Pergament steht de S(an)c(t)a elisabeth und De capillis Elisabeth(i)na v(…). Vermutlich war die Stiftern die Äbtissin Elisabeth von Nassau-Hadamar.

essener Domschatz

Ostensorium, vermutlich Rheinland, vor 1450, vergoldetes Silber, getrieben und gegossen, 57, 2 cm hoch. Die Details sind zum Teil unfassbar winzig – wie die kleinen Heiligenfiguren und die Wasserspeier seitlich der Baldachine.

essener Domschatz

Paxtafel, auch bekannt als Kusstafeln, gegossenes Silber, graviert, Bergkristall. Nur Kleriker durften diese Dinge küssen. „Das Küssen des Reliquienbehälters galt dabei in besonderer Weise als heilbringend, bei besonderen Anlässen konnte er zudem zur Gewährung eines Ablasses dienen. Der Brauch setzte sich bereits im 13. Jahrhundert durch.“

essener Domschatz

Agraffen (hier: Schmuckschließe), französisdch-burgundisch, nach 1360, Goldemailplastik, alle kleiner als fünf Zentimeter Durchmesser. Diese Schmuckstücke sind extrem selten, nur wenige wurden erhalten. Um 1400 waren diese solche Agraffen der letzte modische Schrei an den Höfen der herrschenden Klasse. Sie waren nicht nur ein Kapitalanlage, sondern beschrieben die interne Hierarchie durch Zeichen und das aristokratische Selbstverständnis. „Prachtentfaltung“ ist eine Seite der feudalen Existenz. Ich schrieb hier 2019: Die Feudalklasse kann die Realität erkenntnistheoretisch nur verzerrt wiedergeben, da sich sich nur per Gewalt und Konsum auf die Natur bezieht. Man kann diese notwendige ideologische „Behinderung“ (ähnlich wie Religion) mit dem Waren- und Geldfetisch vergleichen – eine nur ökonomische Form wird von den Akteuren als Eigenschaft des Dings an sich angesehen. Deswegen glaubt auch die FDP an den „Markt“ als eigenständig handelndes höheres Wesen – ähnlich wie ein feudaler Adliger des 10. Jahrhunderts eine Reliquie als magisches wirkmächtiges Objekt ansah.

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Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)

Punta Gorda, revisited

Punta Gorda

Fotografiert in Punta Gorda, der südlichsten „Stadt“ in Belize. Der Ort wird vor allem von Garifuna bewohnt -(„with a mixture of Mopan and Kekchi Maya, Garifuna, Creoles, Lebanese, East Indian and Chinese peoples“) damals rund 3000 Einwohner, heute knapp 6000. Dorthin würde ich sofort wieder reisen. Dass meine damalige Freundin anscheinend missgestimmt guckt, ist vermutlich den Licht- und Mückenverhältnissen geschuldet.

Aus meinem Reisetagebuch, 15.11.1981:
…wir fragen uns durch nach Man Mans Five Stars Cooking Shop in der West Street, bezahlen sechs [Belize] Dollar für eine Hütte [vgl. Foto] mit Hängematte, Frühstück und dinner. Die Leute nennen sich Caribs, im Radio Garifuna, die Tocher spricht mit ihrer Freundin Creolisch. (…)

Wir verbringen den Abend in einem Schuppen, wo gerade die carib queen gekürt wird. Die drei Kandidatinnen tanzen langsam nach vorn auf die Bühne. Der Entertainer ruft aber seltsame Stimmzahlen aus, „6000 votes“ für eine [kann nicht stimmen, weil rund 300 Leute in dem „Lokal“ waren, darunter mit uns nur ein halbes Dutzend Weiße]. Die Band besteht aus 2 Trommeln und einem Mundharmonikaspieler, dessen Melodien (darunter Spanish Eyes) etwas verloren über dem Dum-dum schweben.

Ein paar englische Soldaten sind anwesend. Einer verwickelt uns in ein Gespräch. Wer erfahren, dass er vorher in Berlin-Spandau stationiert war und dorthin zurückkehren wird. Ein besoffener Ami erzählt uns von seinen weißen und schwarzen Kindern. Der Carib-Mann ist sehr besorgt um uns und warnte uns vor „schlechter Gesellschaft“.

Das Dorf [Punta Gorda] ist anders als Dangriga, sehr auseinandergezogen. Das Zentrum liegt an einem kleinen Markt, wo Eier und Obst und Fleisch verkauft werden, das meiste wahrscheinlich aus den umliegenden Dörfern. Wir sehen auch ein paar Maya-Frauen mit „Schador“. (…) Am Strand liegt eine zappelnde Schildkröte, die schon seit gestern da liegen soll…

Unter Manichäern

war ukraine media

Vielleicht geht es nur mir so. Ich kann es nicht mehr lesen und hören. Wir wissen alle: einen Krieg anzufangen gilt als verbrecherisch. Mir fallen spontan Dutzende Politiker ein, die in Frage kämen, darunter auch einige US-amerikanische Präsidenten. Mir muss nicht jeden Tag mit dem Holzhammer eingebläut werden werden, dass Putin für den so genannten „freien Westen“ der Oberbösewicht ist. Die Russen sehen das übrigens ganz anders.

Man weiß schon lange vorher, wie die Schlagzeilen lauten: Die Ukraine gewinnt. Die Russen sind unmotiviert, Sklavennaturen, doof, brutal und bombardieren das, was man nicht bombardieren darf. Die Ukrainer sind immer das Gegenteil von den Russen. Nazis gibt es nicht in der Ukraine/sind Einzelfälle. Flüchtlinge in Deutschland sind glücklich. Frauen und Kinder. Selenskij/Klitschko/wer auch immer appellieren an das deutsche Volk. (Was sagt die deutsche Bevölkerung dazu? Und was sagen die Sorben?) Ich glaube kein Wort, auch nicht den Russen (weil die Bandera-Versteher aufheulten).

war ukraine

Den Bürgern des freien Westens ist es noch erlaubt, feindliche Websites zu lesen. Sie sind aber verpflichtet, dabei einen angewiderten Gesichtsausdruck zu machen.

Manchmal muss man sich einfach mal das Gegenteil ansehen, aus Trotz. Die Kadyrowzy machen die besten Propagandafilme: Durchweg athletische Herren mit Bärten, die bis an die Zähne bewaffnet sind, das Herumballern untermalt entweder mit Sufi-Musik oder mit Rhythmen, die zu einschlägigen Computerspielen passen. Wenn die mit großen Kalibern hantieren und dazu Allahu akbar rufen, dann ahnen die Asowschen vermutlich, dass sie es jetzt nicht mit Laien oder russischen Wehrpflichtigen zu tun bekommen. Wieso muss ich jetzt an den Göttinger Mescalero denken?

No compromises and concessions, they have only one way, short, but extremely painful. Well said, dude.

war ukraine
Tschetschenischer Sniper in Mariupol

Ich aber prophezeie euch: Putin wird diesen Krieg gewinnen. Und wenn nicht, dann stelle ich mich auf den Richardplatz und murmele laut und deutlich: „Bandera war ein lupenreiner Demokrat“.

war ukraine

By the way: kennt ihr Adam Delimkhanov? Interpol sucht(e) ihn. Ich weiß, wo er ist.

Plan B oder auch C und geteiltes Polnisches

map ukraine
Quelle: New York Times

Man fragt sich in Zeiten des Krieges, wo man gesicherte Informationen bekäme. Deutsche Medien beschränken sich auf zwei Alternativen: ukrainische Propaganda wiederzukäuen und auf die Tränendrüsen zu drücken oder eben da, aber mit dem Hinweis: Wir können es nicht verifizieren. Mein Vorschlag: Man könnte zum Beispiel die jeweiligen Quellen evaluieren und einfach die Kresse halten, wenn man nichts Genaues nicht weiß.

Für zensurumgehende Informationsjunkies wie mich ergibt sich leider das Problem, dass man unzählige Kanäle zur Verfügung hat (das Usenet und Internet Relay Chat lasse ich mal weg): Websites, Telegram-Kanäle, Youtube, Twitter, Tik Tok, WeChat, Signal, WhatsApp, Instagram, E-Mail; Mailinglisten, Skype und andere Videokonferenzen und noch einiges (von Avatar zu Avatar in Secondlife – da sind auch Russen). Ich habe alles, gebe ich verschämt zu. Aber wo anfangen?

Eine Quelle wie die New York Times ist in diesem Fall (aber nicht bei trumpischen Themen) das Seriöseste, was man kriegen kann, weil die sich schnell blamieren würden, wenn sei Unsinn verbreiteten, da die Konkurrenz niemals schläft. Ich informiere mich mich meistens zuerst bei Intel Slava Z, einem russischen Propaganda-Kanal, und versuche dann, den Wahrheitsgehalt zu verifizieren. Man muss feststellen, dass die russischen Medien einige Themen aufgreifen, die im „freien Westen“ gar nicht vorkommen. Andererseits liest man zum Beispiel bei RT Deutsch so hanebüchenen Unsinn, zum Beispiel über die Impferei, dass man den Rest auch nicht gern glauben mag. Die sollten mal einen Propaganda-Lehrgang bei mir machen: die russen sind zwar insgesamt besser als die Ukrainer, aber immer noch auf dem Stand des 2. Weltkriegs. Die Guten siegen ausschließlich und immer, und da alle die Guten sind, kann man auch alles gleich in die Tonne treten.

Ähnlich seriös wie die NYT ist das Institute for the Study of War, die sich mit dem üblichen Geschrei ziemlich zurückhält. Lustig ist der Vergleich zwischen den jeweiligen offiziellen Quellen, dem russischen Verteidigungsministerium und dem ukrainischen Generalstab.

Die US-amerikanische Website MintPress News hat sich die Mühe gemacht zu recherchieren, wer hinter den diversen Quellen steckt. Follow the money usw. Witzig, dass die Russen MintPress News als „rechts“ bezeichnen, Wikipedia aber als „left-wing“. Das könnte ein Gütesiegel sein.

war ukraine

Hübsches Gerücht von den üblichen russischen Verdächtigen:
The Ukrainian leadership missed its chance for a sovereign state, – the official representative of the Russian Foreign Ministry Maria Zakharova. „They have already missed the main chance for the existence of Ukraine within their own borders, a sovereign Ukraine, an independent Ukraine,“ she said. If you read between the diplomatic lines and Zakharova does not carry a gag, then this can be understood in such a way that a course has been taken for the annexation of Ukraine.

Ich aber sage euch, Russen: Das wird nix. Also ist es nur eine Drohung. Wer aber Drohungen nicht realisieren kann, macht sich lächerlich. Ist wie bei der Kindererziehung. Übrigens kann man der attraktiven Dame bei Facebook noch folgen, obwohl das ja jetzt für die Russen ein Feindsender ist. Genau mein Humor.

map mariupol

Unstrittig ist, dass die Ukrainer noch in der Lage sind, Sabotageakte zu verüben. Und wenn man keine Politiker oder andere Schwätzer fragt, sondern richtige Experten, begreift man auch, warum die Ukrainer den Russen mit begrenzten Mitteln ganz schön einheizen. Oder Putin will nur den alten Schrott loswerden und nicht im eigenen Land entsorgen. Aber die Russen verlieren auch Zeug, was sie garantiert nicht gern in anderen Händen sehen. Die Israelis sind gewöhnlich gut informiert und wissen, was sie tun: Spyware gibt es nicht für die Ukrainer (die Quelle ist auch die New York Times).

mariupol

Mariupol ist klar. Da gibt es nicht mehr viel zu holen für die Asows und andere Helden der Ukraine Nazi-Banditen. Kein Nachschub mehr, keinen Entsatz, keinen Ausweg, und die freundlichen Tschetschenen haben gestern verkündet, dass sie ab jetzt keine Gefangenen mehr machen.

mariupol

Interessant ist, dass offenbar geplant ist, Mariupol der sogenannten Volksrepublik Donezk einzuverleiben. Die Kröte werden die Ukrainer nicht schlucken wollen, es sei denn, sie ergeben sich, der Staat zerfällt ohnehin oder der Kriegszustand bleibt in Permanenz, ohne dass eine der beiden Seiten gewinnen könnte.

mariupol

Die unterhaltsamste Verschwörungstheorie These haben wir heute auf RT Deutsch. Vielleicht haben die die Idee auch von mir geklaut.

Laut den Quellen des Telegram-Kanals „Джокер ДНР“ soll der Einmarsch polnischer Streitkräfte in den Westen der Ukraine bereits Ende April 2022 stattfinden, im nächsten Monat, unter der Flagge der sogenannten „NATO-Friedensmission“, die am 24. März in Warschau beschlossen wurde. (….)

Demnach soll Polen an vier Regionen der westlichen Ukraine interessiert sein: Oblast Wolyn, Oblast Riwne, Oblast Lwow und Oblast Ternopil. Um sich das besser vorzustellen: Insgesamt handelt es sich hier um ein Gebiet, das 75.847 Quadratkilometer umfasst, beziehungsweise der Fläche nahekommt, die Irland übersteigt und fast der Tschechiens gleicht.

Großartige Idee und eine Win-Win-Situation! Außer fǘr die Ukrainer natürlich. Ob die Polen auf den Geschmack gebracht werden sollen? Die NATO könnte so heimlich unter der polnischen Flagge in die West-Ukraine einmarschieren und retten, was zu retten ist. Das Gebiet wollen sich die Russen sowieso nicht ans Bein binden. Polnische Teilung mal unter umgekehrten Vorzeichen – das wäre eine schöne Ironie der Geschichte. Und die Polen haben da noch eine Rechnung offen…

mariupol

Die kleine Kriegspropaganda-Schule oder Public Access unavailable

war ukraine

„Da kann ich nur sagen: Fuck the EU! Jetzt reden sie nicht mehr nur von einer wirtschaftlichen Assoziierung der Ukraine, sondern von einem Beitritt. Rumänien und Bulgarien waren schon überflüssig, wir hätten an den Grenzen des alten Osmanischen Reiches Schluss machen sollen mit der Konstruktion Europas. Wenn die mal auf die Landkarte gucken würden! Ich war in der Ostukraine, bis zur russischen Grenze, da ist man noch 300 Kilometer von Stalingrad entfernt. Das sollte einem doch zu denken geben. (…) Die Amerikaner müssen vom Völkerrecht reden! Wer Leute mit Drohnen ermorden lässt! Die sind selber in genügend Länder einmarschiert. Und im Irak haben sie uns total angeschmiert. Putin hat hundertmal recht auf die Krim. Die Menschen dort sind prorussisch.“ (Peter Scholl-Latour, 2014)

Wir machen diesen kleinen Propaganda– Lehrgang jetzt ganz schulbuchmäßig.

1.1. Wir wollen keinen Krieg!

Seit Goebbels hat auch niemand mehr so offen gesagt, dass Krieg erwünscht sei. Geschenkt.

1.2 Der Gegner ist allein für den Krieg verantwortlich!

Putin, wer sonst. Kann man anders sehen. Natürlich kann man nicht ernsthaft rechtfertigen, ein Land zu überfallen und es mit Krieg zu überziehen. Aber wer einen Krieg nicht verhindert, obwohl er das könnte, ist – wenn man die Realität so nimmt, wie sie nun mal ist – mitschuldig. Der so genannte „Westen“ hat nichts getan, nur Öl ins Feuer gegossen.

1.3 Der Führer des feindlichen Lagers wird dämonisiert

Putin ist „wahnsinnig„. Das ist schon komisch, vor allem wenn man ferndiagnostiziert. Hitler mag nicht alle Tassen im Schrank gehabt haben, das kennen wir auch von römischen Imperatoren der Antike oder aus der Zeit des Feudalismus. Aber Putin hat sicher die Unterstüzung bestimmter – und relevanter! – Teil der herrschenden Klasse Russlands, sonst könnte er sich nicht an der Macht halten.

1.4 Wir verteidigen ein edles Ziel und keine besonderen Interessen!

Was verteidigt die Ukraine? Ihre „Freiheit“? Von wem oder was? Die Freiheit, von korrupten Oligarchen ausgeplündert zu werden? Den kleinen Leuten wird es sicher egal sein, ob die Kapitalisten Ukrainer oder Russen sind. Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

war ukraine

1.5 Der Feind begeht wissentlich Grausamkeiten, wenn wir Fehler machen, geschieht dies unbeabsichtigt

Krankenhauser, Kindergärten usw.. Ich sehe übrigens in deutschen Medien ausschließlich die Perspektive der ukrainischen Regierung. In pro-russischen Kanälen bekomme ich massenweise Videos und Fotos, die beweisen sollen, dass ukrainische Soldaten und insbesondere die Nazis der Asow-Bande in Mariopul Zivilisten als Schutzschilder missbrauchen. Ist vermutlich aber alles Propaganda und voll gelogen.

1.6 Der Feind benutzt unerlaubte Waffen

Siehe unten.

war ukraine

1.7 Wir erleiden geringe Verluste, die Verluste des Feindes sind erheblich

Man muss schon ziemlich naiv sein, wenn man denkt, die Ukrainer könnten gewinnen. Die Russen haben die Luftüberlegenheit. Das Kräfteverhältnis ist ungefähr zehn zu eins. Man kann das bittere Ende nur hinauszögern. Wenn Selenskij nicht den Helden mimen würde, sondern rational dächte, würde er anordnen, die Waffen schweigen zu lassen. Natürlich wird er die Krim, Donezk und Luhansk verlieren, aber das hatte er vorher auch schon. Wenn es noch viel länger dauert, wird es gar nichts mehr zum Verhandeln geben.

1.8 Anerkannte Kulturträger und Wissenschaftler unterstützen unser Anliegen

Und alles, was zum Beispiel von berühmten Filmemachern kommt, aber nicht dem Schießscharten-Modus der Medien entspricht, wird als Putin-Propaganda beschimpft.

war ukraine

1.9 Unser Anliegen hat etwas Heiliges

Kapitalismus, der uns alle reich und glücklich macht! Die ukrainische „Nation“ ist so heilig, dass man dafür sterben muss! So wie die palästinensische „Nation“ und anderer Bullshit. Fuck Patria Libre!

war ukraine

Men and Tools

WerkzeugeWerkzeuge

Wenn keine Kinder da sind, die beschäftigt und bespielt werden wollen, dann spielt man am Samstagmorgen eben selbst herum. Die Kartoffeln wollen dunkel verstaut werden und nicht, wie bisher, im Gemüsefach meines Kühlschranks. Also Hämmern und Sicheln, Sägen, Bohren. Und siehe, die Reste des schon seit Äonen fertig gebauten Hochbetts sind noch nützlich. Gut, dass ich so etwas nie wegwerfe.

„Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch zur Kreissäge greifen und ein Regal bauen.“ (Martin Luther)

Holländische Krankheit und Rom oder: Anmerkungen zur Lage

weltlage

Was will die herrschende Klasse Russlands? Ist sie sich einig? Unterstützt sie Putin? Das alles ist recht zweifelhaft. Die Situation erinnert ein wenig an die Transformation des republikanischen Rom in eine Diktatur unter Kaiser Augustus: Der Nachteil für die traditionelle römische Oligarchie: Ihre Herrschaftsbasis bröckelte, sie war nur noch das Kostüm. In Wahrheit hatten die Cliquen um den jeweiligen Kaiser das Sagen, die nicht mehr aus der alten Oberschicht stammten. Auch wenn die Elite sich gegenseitig militärisch in Bürgerkriegen bekämpfte, funktionierte die Wirtschaft trotzdem: Über Jahrhunderte wurden die Bauern ruiniert und sanken fast unter den Status der Sklaven; Sklavenarbeit erwies sich auf Dauer nicht mehr rentabel.

Auch die traditionellen russischen Oligarchen sind nicht mehr unbedingt die Basis der herrschende Klasse Russlands. Oder vielleicht sollen sie es nicht mehr sein…

handel

Im Tagesspiegel (Paywall) wird das so zusammengefast:
– Der Verkauf von Erdöl macht knapp 50 Prozent der russischen Exporteinnahmen aus
– Der Verkauf von Erdgas macht weitere sechs Prozent der Einnahmen aus
– 70 Prozent der russischen Exporte nach Deutschland entfallen auf die Energieträger Erdöl, Erdgas und Kohle; für Italien liegt der Wert sogar bei 80 Prozent
– Insgesamt gehen die Hälfte aller russischen Warenexporte nach Europa, nur 14 Prozent gehen nach China
– Dagegen gehen nur fünf Prozent der Exporte aus Europa nach Russland
– Die Hälfte seines Erdöls behält Russland für den Eigenverbrauch
– Wegen der hohen Preise für Energierohstoffe nahm Russland 2021 50 Prozent mehr durch deren Export ein, als ursprünglich geplant.

Ich habe mir die Dokumente aus dem Valdai-Club übersetzen lassen, die die Diskussion innerhalb der russischen Elite zeigen (via Fefe).

Westliche Sanktionen werden Russland einen schmerzhaften Schlag versetzen. Aber es wird nicht tödlich sein. Der Nutzen für die militärische Sicherheit ist größer als der wirtschaftliche Schaden. Wirtschaftlicher Schaden führt in Russland nicht zu öffentlichem Protest, er kann unter Kontrolle gehalten werden. Die Autorität der Behörden wird durch die Lösung einer großen historischen Aufgabe wachsen. Sanktionen gegen Russland werden das Vertrauen in das US-zentrierte Finanzsystem weiter untergraben. Russland wird im „Festungs“-Modus bestehen können. Ein Ausstieg aus der Weltwirtschaft ist möglich und sogar wünschenswert. Der Westen selbst ist im Niedergang. Sein baldiger Tod ist unvermeidlich. Der Sieg in der Ukraine wird der Autorität der Vereinigten Staaten und des Westens einen weiteren Schlag versetzen und ihren weltweiten Rückzug beschleunigen.

In diesem Szenario sollten wir einen radikalen Zusammenbruch der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen erwarten, der mit keiner früheren Krise vergleichbar ist. Es wird zu (a) großen menschlichen Opfern führen; (b) eine schwere und langfristige Wirtschaftskrise in Russland als Folge westlicher Sanktionen; (c) erhebliche Militarisierung Osteuropas durch die NATO. Man kann von der Herausbildung einer grundlegend neuen Ordnung in Europa sprechen. Es wird auf einer harten Konfrontation basieren. Das einzige Hindernis für einen großen Krieg werden Atomwaffen sein, obwohl auch die Gefahr einer Eskalation zu einem Konflikt zwischen Russland und der NATO nicht ausgeschlossen werden kann. Russland wird in diesem Szenario zu einer Art europäischem Nordkorea, aber mit viel mehr Möglichkeiten.

Die Diskutanten sind sich aber überhaupt nicht einig, ob das so eintreffen wird. Wohin die Richtung geht, zeigen die aktuellen Berichte über die Kooperation mit China. Zum Beispiel die Schlagzeile: „Russia is building a massive, 50 billion cubic meter gas pipeline to China“.

Die Wirtschaft Russlands basiert zu einem großen Teil auf dem Export von Energie. Gazprom liefert, und ich sehe auch noch nicht, dass sich das zeitnah groß ändern wird, auch wenn die Russen natürlich damit drohen, die Hähne zuzudrehen. Das Finanzkapital setzt aber mittlerweile Russland auf das Niveau von Venezuela herab.

Man sollte die Holländische Krankheit bedenken:

Durch den Verkauf von Rohstoffen (z. B. Öl) steigen die Exporterlöse. Es kommen vermehrt ausländische Devisen ins Land, deren Umtausch zu einer realen Aufwertung der inländischen Währung führen kann (Wechselkursmechanismus). Diese Aufwertung hat zur Folge, dass Importe billiger werden, der Import von Gütern infolgedessen anwächst, was zu einer Erodierung der heimischen nicht-Rohstoffproduktion (Industrie, Landwirtschaft) führt Exporte teurer werden, was zu einer Verschlechterung der Internationalen Wettbewerbsfähigkeit führt sich eine Faktorpreiserhöhung ergibt, weil die inländische Produktion von Faktoren (d. h. von Produktionsgütern bzw. die Bezahlung von Arbeitskräften) ebenfalls teurer wird – was, zusammen mit der im ersten Punkt erwähnten Nachfragesteigerung, zu einem möglicherweise beträchtlichen Kostenwachstum führt. Dieses Kostenwachstum betrifft auch den industriellen und landwirtschaftlichen Sektor, dadurch ergeben sich zusätzliche Absatzprobleme. Hinzu kommt, dass durch die Ausbeutung von Rohstoffen oftmals höhere Gewinne möglich sind, so dass viel Kapital in die Rohstoffgewinnung fließt, während der industrielle Sektor vernachlässigt wird.

Die Verteuerung der Faktorpreise begünstigt eine Wanderung von Faktoren aus der Produktion industrieller und landwirtschaftlicher Güter in den Bereich der Rohstoffgewinnung. Falls die Rohstoffgewinnung wenig arbeitsintensiv ist (wie beispielsweise die Öl- oder Gasgewinnung), wird eine Abwanderung in den Bereich der Erstellung nicht-handelbarer Güter (v. a. Dienstleistungen) begünstigt, weil diese nicht so stark vom internationalen Wettbewerbsdruck betroffen sind. Der Grad der Industrialisierung kann infolgedessen – gemessen am Anteil der Industrieproduktion an der gesamten volkswirtschaftlichen Güter- und Leistungsproduktion – stark zurückgehen oder verschwinden.

Das heisst: Wenn die russische Ökonomie so weitermacht, wird das nichts. Auch in den Diskussionen im Valdai-Club hat man Bedenken:

Wie aus der Analyse aller internationalen Indizes hervorgeht, die den Zustand und die Dynamik verschiedener Lebensbereiche in den Ländern der Welt charakterisieren, zeigt Russland vor dem Hintergrund des stagnierenden Westens einen schnelleren Niedergang. (…)

Die Kosten einer militärischen Lösung der Ukraine-Frage sind zu hoch. Selbst im Falle einer schnellen Niederlage der Streitkräfte der Ukraine stellt sich das Problem der Kontrolle des Territoriums. Das Marionettenregime wird erhebliche Finanzspritzen erfordern. Gleichzeitig wird es sicherlich ineffizient und korrupt sein. Angesichts des Schadens durch die Sanktionen wird die Befeuerung des Regimes die Ressourcenknappheit in Russland selbst weiter verschärfen. Selbst die vollständige Kontrolle des Territoriums der Ukraine wird den Westen nicht daran hindern, ukrainische Formationen in angrenzenden Gebieten zu bilden und zu bewaffnen und einen breiten Untergrund in der Ukraine selbst zu finanzieren und bereitzustellen. Der Krieg wird zu einem wirtschaftlichen Niedergang in den besetzten Gebieten führen, was ihre Bevölkerung noch anfälliger für westliche Propaganda machen wird. Wenn ein Teil des Territoriums vom pro-westlichen Regime behalten wird, wird der Konflikt dauerhaft und langwierig.

ukraine

Die Idee, dass die Ukraine militärisch schnell besetzt und unterworfen werden könne, ist ein Irrtum, obwohl das einige Strategen vielleicht anders gedacht haben. Ich glaube auch nicht, dass Putin, der als Geheimdienstler sozialisiert wurde, sich viele Illusionen gemacht hat. Es reicht aber, die Ukraine ökonomisch zu destablisieren, was allein schon durch den Exodus der Flüchtlinge beschleunigt wird.

Im Valdai-Club wird das ähnlich gesehen:

Die Ukraine ist ein Gift für den Westen. Hilfe im großen Stil wird gestohlen, Institutionen bleiben korrupt. Das Land ist kein Lieferant, sondern Verbraucher von Sicherheit. Seine Mitgliedschaft in der NATO ist aufgrund ungelöster Konflikte und zweifelhafter Beiträge zur gemeinsamen Sicherheit für den Block kontraproduktiv. Im Gegenteil, die Ukraine ist eine Quelle zahlreicher Probleme. Es auf Kaution zu nehmen ist mühsam und kostspielig. Wenn der Westen sich darauf einlässt, dann wird die Ukraine die NATO zu einer noch unausgewogeneren Struktur machen, in der die Zahl der „Trittbrettfahrer“ wachsen wird. Da die Ukraine im Westen liegt, ist sie zu einer weiteren Degradation verurteilt. Es wird eine „Moldowisierung der Ukraine“ geben, das heißt, die Abwanderung von Personal in den Westen und die Primitivisierung ihrer Wirtschaft. Der Westen hat keinen Grund, die Ukraine lange mit seiner Hilfe zu unterstützen. Sie wird schrumpfen, ebenso wie der Platz der Ukraine im System westlicher Prioritäten. Ohne jede militärische Intervention wird die Ukraine degradieren, zu einem Randland und zu einer Priorität dritter Ordnung werden.

Der Tagesspiegel (Paywall) schreibt:

Weil Russland und die Ukraine zu den größten Exportländern weltweit für Brot- und Futtergetreide, Mais, Raps und Sonnenblumenöl gehören, betrifft der Krieg auch die Lebensmittelversorgung. Bei Weizen liegt der Anteil der beiden Länder am weltweiten Export bei 30 Prozent. „Wenn die neue Ernte aus der Ukraine nicht kommt, vor allem Raps und Mais, verschlechtert das die Versorgungssituation weltweit“, sagt etwa Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der BayWa AG, eine Münchener Landwirtschaftskonzern.

Der Preis für Weizen ist in den vergangenen Tagen drastisch gestiegen. Die entsprechenden Indizes (Futures) sind inzwischen teilweise 40 Prozent teurer als vor Kriegsausbruch. Zwar bringen sich andere Länder wie Indien bereits in Stellung, um die Lücke zu füllen, doch kurzfristig dürfte das nicht gelingen. China habe sich laut Lutz vor dem Krieg mit Getreide aus Russland eingedeckt, so Lutz. „Wer heute Getreidebestände hat, verdient Geld. Wer von Lieferungen abhängig ist, hat ein Problem.“

Die gegenwärtig Herrschenden in Russland und ihre Helfershelfer runzeln also permanent die Stirn. Besonnene Stimmen hatten eine andere Gangart vorgeschlagen:

Die Marginalisierung des ukrainischen Themas ist durchaus möglich und sogar wünschenswert. Die Rivalität zwischen den USA und China wird in den kommenden Jahrzehnten wahrscheinlich das Tempo für das globale Leben bestimmen. Es ist ratsam, eine direkte Beteiligung an diesem Zusammenstoß zu vermeiden und Handlungsspielräume zu wahren.

nazis ukraine

Ich vermute, dass sich Putin verrannt hat. Vermutlich traut sich niemand in seinem engsten Umfeld, ihm zu widersprechen. Das war auch im alten Rom so: Die Imperatoren waren von Opportunisten und Speichelleckern umgeben, die nur den sozialen Aufstieg wünschten und die niemand kontrollierte. Vermutlich haben Putin auch die Generale vorgeschwärmt, wie großartig das russische Militär für die Operation vorbereitet sei. Offenbar waren das Potemkinsche Dörfer.

soviet flag

Herumhamstern, retro style

hamster

Was macht eigentlich das Usenet? Ich habe hier noch einen schmalbrüstigen (sic) Windows-Rechner zu stehen. Mails bearbeite ich eigentlich nur mit Linux, aber man kann ja mal nostalgisch herumspielen. In den 90-ern war es gang und gäbe, dass bei Postings im Usenet die Headerzeilen total nerdig erstunken und erlogen wurden. Mit Hamster kann man viele schöne Dinge tun. Alles so sinnvoll wie ein tiefergelegter Opel Manta. Die Kombination aus Hamster und Claws Mail finde ich aber irgendwie cool.

Neben unterschiedlichen Download-Quellen im Netz wurde Hamster ab Dezember 2000 mehrmals in die c’t-Heftbeilage aufgenommen. Kinder, wie die Zeit vergeht.

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