Ein heroisches Hustenmittel

(aus meinem Buch Heroin – Sucht ohne Ausweg?“ (1993)

Grüne Apotheke
Grüne Apotheke in der Berliner Chausseestraße, nach 1859. Source: Deutsche Apotheker-Zeitung

In den Jahrzehnten seit Sertürners Entdeckung des Morphins änderten sich die Produktionsbedingungen pharmazeutischer Produkte grundlegend. Die kleinen Apotheken, in denen Medikamente in handwerklichem Eigenbetrieb hergestellt wurden, konnten die massenhafte Nachfrage nicht mehr befriedigen. Aus ihnen gingen Fabrikbetriebe hervor, deren Nachfahren noch heute im Geschäft sind: Die kleine Engel-Apotheke in Darmstadt mauserte sich zum Pharmakonzern E. Merck & Co., die Grüne Apotheke in Berlin zur Chemischen Fabrik auf Actien, später Schering AG, die Merkur-Apotheke in Hamburg zur Beiersdorf & Co. AG. Daneben witterten die Drogengroßhandlungen den großen Reibach, wie Engelmann & Böhringer, ab 1859 C. F. Böhringer und Söhne in Mannheim.

Engel Apotheke
C. F. Boehringer & Söhne GmbH, Mannheim-Waldhof, Sandhofer Str.

Die Alkaloid-Chemie erlebte einen stürmischen Aufschwung und zog weitere, auch ökonomisch interessante Forschungsergebnisse nach sich. Bei der Produktion des Morphins bleibt eine Lauge zurück, die zahlreiche andere Stickstoffverbindungen enthält. Einige derer Namen erinnern an die Opium-Mixturen der Antike, Mekonium und Laudanin zum Beispiel. In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde Codein isoliert, das zu etwa einem Prozent in Opium vorhanden ist. Codein wirkt ähnlich wie Morphin, nur ungleich schwächer. Medizinische Indikation: vor allem Gastritis und Krampfleiden. Auch andere, zum Teil giftige Substanzen und Drogen wurden in der Mitte des 19. Jahrhunderts isoliert: Strychnin (1817), Coffein (1820), Nikotin (1828), Kokain (1887, kommerzielle Verwertung durch die Firma Merck aber schon seit 1862) und schließlich der Rauschstoff Mescalin (1896).

Lophophora williamsii
Der Peyote-Kaktus Lophophora williamsii enthält als Hauptwirkstoff Mescalin.

Hanf (Cannabis) gehörte ohnehin schon seit 100 Jahren zur Grundausstattung einer jeglichen Apotheke. Merck stellte ab 1880 Cannabis-Tinkturen her. Das Deutsche Reich gehörte zum drittwichtigsten Abnehmer indischen Hanfs: «charres» (Haschisch), «ganja» (Marihuana) und «bhang» (ein cannabishaltiges Getränk) hießen die Verkaufsschlager. Im Hamburger Freihafen wurden allein im September 1885 3,5 Tonnen Ganja, 12 Tonnen Bhang und 300 Tonnen Charres gelöscht.

Das Rennen in der Herstellung von Drogen machte schließlich die Teerfarbenindustrie, die man zunächst nicht mit pharmazeutischen Produkten in Verbindung bringt. Diese Unternehmen hatten die entsprechenden Laboratorien zur Verfügung. Ganze Forscherteams waren den Geheimnissen der Natur auf der Spur. Außerdem mangelte es weder an Geld noch dem ökonomischen Durchblick, um die gewonnenen Kenntnisse rasch zu verwerten. Der Startschuss für die Entwicklung dieses Industriezweiges war 1934 die Isolierung des gefährlichen Blut- und Nervengiftes Anilin, auch Aminobenzol genannt, aus dem Steinkohlenteer und seine Synthese. Als Grundstoff für die industrielle Produktion künstlicher Farbstoffe wurde Anilin für eine Reihe konkurrierender Firmen zum Erfolgsgaranten: die Farbenfabriken Friedrich Bayer et Comp. in Barmen (1863, seit 1878 Elberfeld), die Farbwerke Hoechst AG vorm. Meister Lucius & Brüning später Hoechst AG (seit 1862), Kalle & Co. aus Biebrich und die Badische Anilin- und Sodafabrik BASF in Ludwigshafen (seit 1865).

cannabis tinktur
Inserat zum Arzneimittel „Cannabin“ der Firma Merck um 1885, Darmstadt

Richtig begann das Wettrennen um die Produktion der Farben mit der ersten Synthese des natürlichen Farbstoffes Alizarin 1869 durch Karl Graebe und Karl-Theodor Liebermann. In kürzester Zeit schossen mehr als hundert Fabriken aus dem Boden, die Alizarin herstellten. Das Geschäft blühte: Allein zwischen 1883 und 1887 wurden 21 neue Farbstoffe entwickelt und, um das Geld richtig ins Rollen zu bringen, die Firma Bayer in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Auch andere Firmengründungen mit noch heute bekannten Namen fallen in die Zeit des «Farbrausches»: Der auf Anilinfarben spezialisierte Betrieb Kern und Sandoz tauchte 1880 in Basel im Handelsregister auf (heute Sandoz AG), schon 1859 begann bei Geigy (heute: Ciba-Geigy) in Basel die Produktion synthetischer Anilinfarben, zum Beispiel Fuchsin. Fritz Hoffmann (heute: Hoffmann La Röche) bildet das Schlusslicht. Er gründete erst 1896 einen Fabrikationsbetrieb für Drogerieartikel.

Die erste Krise ließ nicht lange auf sich warten. Mitte der achtziger Jahre war der Markt mit künstlichen Farben überschwemmt, die Preise sanken, die Gewinne schrumpften. Die Herren von der chemischen Industrie grübelten, wie diesem misslichen Zustand zu begegnen sei. 1887 kam ihnen ein Zufall zu Hilfe. (1)

Zwei Assistenten einer Straßburger Klinik experimentierten mit fiebersenkenden Mitteln. Eines schien besonders gut zu wirken. Sie ließen es analysieren, und siehe da: Es entpuppte sich als das chemisch nur geringfügig modifizierte Anilin. Die Veränderung, die sogenannte Acetylierung, sah so aus, dass in das ursprüngliche Molekül der Substanz Essigsäureester eingefügt worden war. Das Endprodukt hieß Acetanilid und wurde bald – dieses Mal war das Unternehmen Kalle & Co. am schnellsten – als «Antifebrin» auf den Markt geworfen. Bayer zog im großen Stil nach. Anfang der neunziger Jahre gab die Unternehmensleitung grünes Licht für die Gründung firmeneigener Forschungslaboratorien. Unter der Leitung von Carl Duisberg stellte Bayer sein erstes Arzneimittel her, Phenacetin, das Pendant zu Kalles Antifebrin.

antifebrin

Die massenhafte Herstellung fiebersenkender und später auch anderer Mittel war technisch kein Problem, fielen doch die Grundstoffe für die Acetylierung gleich tonnenweise als Beiprodukte der Farbherstellung an. Es setzte eine wahre «Acetylierungsmanie» ein, der Medikamentenmarkt boomte. Acetanilid zum Beispiel hat, wie alle acetylierten Stoffe, bessere chemische Eigenschaften als der ursprüngliche Stoff Anilin bzw. Aminobenzol. Es wird im Körper langsamer gespalten und ist weniger giftig.

Anfang der neunziger Jahre probieren die Chemiker die Acetylierung auch an Morphin aus, um vielleicht einen Stoff zu finden, bei dem die Gefahr der Abhängigkeit geringer ist. Am 21.8.1897 schreibt der Erfinder des Aspirins (Acetylsalicylsäure) (2), der Chemiker Felix Hoffmann von den Elberfelder Farbenfabriken Bayer, einen Laborbericht „über das Diacetylmorphin“: „Um einen Ersatz für das Codein aufzufinden“, hätten er und seine Mitarbeiter „das Diazetat des Morphins dargestellt“ – also das Morphin acetyliert. Hoffmann: „Kocht man 10,0 Morphin mit 30,0 Essigsäureanhydrid in vier Stunden unter Rückfluß, so zeigt eine in Wasser aufgenommene Probe keine Morphinreaktion mehr. Man verdunstet die Essigsäure des Rückstandes, gießt in Wasser und versetzt unter Erkühlung mit Sodalösung. Die ausfallende kristallynische Masse stellt das Diazetat dar… Wie physiologische Vorversuche ergaben, liegt in dem Körper in der That eine dem Codein außerordentlich ähnliche Substanz vor.“

aspirin heroin
Braunes und weißen Heroin

Die Publikation Dresers verschweigt die Vorarbeiten anderer Kollegen. Offenbar wusste Dreser nicht, dass schon 1890 die beiden englischen Forscher Dott und Stockman eine «umfassende Untersuchung über die pharmakologischen Wirkungen des Morphins und seiner Derivate» veröffentlicht hatten, worauf sich eine Titelgeschichte der «Münchener Medicinischen Wochenschrift» aus dem Jahr 1899, geschrieben vom Hallenser Pharmakologen Erich Harnack, bezog.

Parallel zu Bayer experimentierte auch das Darmstädter Unternehmen Merck mit Morphin: 1899 erschien im Jahresbericht der Firma eine Mitteilung über Forschungen, die kurz zuvor stattgefunden hatten. Diacetylmorphin zeige eine «dem Morphin ähnliche, aber schwächere Wirkung», setze die Reflexe herab und beseitige den Hustenreiz. Gegen Schmerzen sei es «weit weniger wirksam als Morphin und für die praktische Verwendung nicht besonders geeignet, da die Substanz keine haltbaren und in Wasser löslichen Salze bilde.

Die Farbenfabriken Bayer waren da anderer Ansicht. Im Mai 1897 beantragte Bayer einen Wortschutz für das Warenzeichen des neuen Medikaments. Am 27.6.1898 wurde es in die Zeichenrolle des Reichspatentamtes eingetragen. Der Name des Produktes: Heroin. Heroin, ursprünglich also nur ein Warenzeichen für das Arzneimittel Diacetylmorphin (oder: Diamorphin), ist zu einem allgemein gebräuchlichen Begriff geworden, der sich ebenso eingebürgert hat wie etwa der Name Aspirin für das Produkt Acetylsalicylsäure. Man könnte sich heute auch eine andere Bezeichnung für die Substanz ausdenken, denn das Warenzeichen ist seit 1950 erloschen. (3)

heroin
Braunes und weißes Heroin aus Asien

Morphin und Heroin unterscheiden sich pharmakologisch nur geringfügig: Die euphorische, das heißt die spezifische Wirkung des Heroins ist der plötzlichen Besetzung bestimmter Rezeptoren im Gehirn geschuldet, die schmerzstillende ist die des Morphins, in das Heroin in kurzer Zeit im Körper umgewandelt wird. Der Phantasiename «Heroin» trifft aber die zweischneidigen Folgen des Konsums besser als «Morphin»: Es handelt sich nicht nur um eine Reise ins Reich der Träume. Michael de Ridder zitiert in seiner bemerkenswerten Dissertation über «Heroin – die Geschichte einer pharmazeutischen Spezialität» eine Definition der «heroischen Mittel», ein Ausdruck für besonders stark wirkende Medikamente schon seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Diese seien Substanzen, «die tief, unmittelbar und gewaltsam ins individuelle Leben eingreifen, die Fundamentalsysteme des Organismus heftig umstimmen und meist einen zweifelhaften Effekt haben, bei deren Anwendung augenscheinlich Gefahr ist, zu deren Gebrauch man sich nicht ohne herrische Kühnheit entschließen kann». Das sei, so de Ridder, «nicht unbedingt eine therapeutische Empfehlung». Die Namensgeber scheinen sich dieser Assoziation bewusst gewesen zu sein.

Die Bayer AG behauptete noch 1983, die These eines amerikanischen Senators, der Konzern habe Heroin an Werksangehörigen ausprobiert, sei falsch. Diese Behauptung der Firma ist eindeutig widerlegt: Schon vor 1898, bevor die erste Erprobung außerhalb des Unternehmensgeländes stattfand, habe Dreser Menschenversuche durchgeführt, schreibt de Ridder nach Durchsicht bisher unveröffentlichter Akten und Archivmaterialien. Vorher hatten Dreser und der Werksarzt Floret Heroin am eigenen Leibe ausprobiert. Zwischen März und August 1898 experimentierte Floret in der Poliklinik der Farbenfabriken «am lebenden Modell». Floret hielt Heroin für «ein außerordentlich brauchbares, prompt und zuverlässig wirkendes Mittel zur Bekämpfung des Hustens und des Hustenreizes sowie der Brustschmerzen in erster Linie bei Entzündungen, besonders bei der katarrhallischen, der oberen und unteren Luftwege.. . » Auch bei der Behandlung von Asthma und Tuberkulose sei Heroin erfolgreich gewesen.

heroin

Heroin wird nach der Zulassung zunächst als Pulver, dann als wasserlösliches Heroinum hydrochloricum, später auch als Zäpfchen, Mixtur, Pulver, Trank, nach 1921 in Tablettenform verkauft, ja es sind sogar heroingetränkte Tampons auf dem Markt. Nach Italien, Spanien und Portugal wird Heroin in Form von Sirup exportiert. Um die Jahrhundertwende war die Einzeldosis 0,005 mg für Erwachsene, die Hälfte für Kinder.

Im Sommer 1899 zieht die Unternehmensleitung Bilanz. In der Chefetage debattiert man über Heroin. Einer der anwesenden Herren schlägt vor, die Fälle, «in denen außerordentlich große Dosen Heroin aus Versehen gereicht wurden» und bei denen die Patienten trotzdem nicht gestorben seien, sollten zu «einem schönen Artikel» verarbeitet werden. Man dürfe nicht dulden, sagt der gute Mann, dass in der Öffentlichkeit behauptet würde, Bayer habe Präparate verkauft, «die nicht sorgfältig probirt sind». Ein Dr. Goldmann aus Berlin berichtet, dass «die Stimmung in unserem Bezirk keine besonders günstige» sei. Es sei ihm aber gelungen, das Krankenhaus Friedrichshain für Heroin zu interessieren. Bayer-Direktor König ist zufrieden. Zwar würde das Produkt wohl kaum ein Verkaufsschlager, immerhin sei es aber «eine schöne Bereicherung unseres Schatzes und auch eine Bereicherung unserer Reputation».

heroin

Eine weitere Konferenz findet im November statt. Heroin habe «ja viele Angriffe erfahren», meint einer der Anwesenden, «und wir haben uns auch bemüht, nach Möglichkeit kräftig den Angriffen entgegenzuwirken. Wir haben leider den Kardinalfehler begangen, daß wir das Produkt zu billig herausgegeben haben.» Ein Herr Engelcke sagt, in einigen Lehrbüchern würde vor Heroin gewarnt, dass man es nur mit Vorsicht anwenden dürfe. «Wir sollten daher versuchen, diese Herren zu beeinflussen, damit unsere Produkte eine andere Beurteilung finden, dies würde auch zur Erhöhung des Konsums beitragen.»

Tatkräftig, wie Unternehmer nun mal sind, werden die Anregungen in die Praxis umgesetzt. Es erscheinen Sonderdrucke, die Arztpraxen werden mit Warenmustern überschwemmt, Artikel in Fachzeitschriften platziert. Die Kampagne hat Erfolg. Schon bald wird Heroin in über zwanzig Länder exportiert. 1902 macht der Gewinn aus der Diacetylmorphin-Produktion ca. fünf Prozent des Gesamtgewinns bei pharmazeutischen Produkten aus. Eine Rekordmenge produziert der Konzern im Jahr 1913: eine knappe Tonne reinen Heroins. Auf dem Schwarzen Markt wäre diese Heroinmenge heute mindestens 70 Millionen DM wert. Im Jahr 1926, als die Heroin-Produktion in den USA schon verboten war und die ersten internationalen Kampagnen gegen Opiate anliefen, produzierte das Deutsche Reich insgesamt 1,8 Tonnen, die Schweiz 3,9 Tonnen Heroin.

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(1) Vgl. Michael de Ridder: Heroin: Vom Arzneimittel zur Droge. Das Buch gab es damals noch nicht. Ich habe während der Recherche de Ritter interviewt und durfte auch seine Dissertation über Heroin („Heroin: die Geschichte einer pharmazeutischen Spezialität“, 1990), auf der das Buch basiert, per Microfiche einsehen.

(2) Die gebräuchliche Dosis dieses berühmten Schmerz- und fiebersenkenden Mittels liegt bei weniger als einem Gramm. Ca. 30 Gramm sind tödlich. Aber noch nie hat jemand Aspirin als gefährliche Droge bezeichnet.

(3) Wort-Bildmarke „Heroin“ vom 18. Mai 1898 mit Eintragung am 27. Juni 1898 in das „Waarenverzeichniß“ unter der Nr. 31650 (altes Aktenz. F 2456) für die „Actiengesellschaft Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., Elberfeld.“ Veröffentlicht im „Waarenzeichenblatt“, herausgegeben vom kaiserlichen Patentamt, im Juli 1898, V. Jahrgang, Heft 7 auf Seite 506.




Der Stoff, aus dem die Träume sind

(aus meinem Buch Heroin – Sucht ohne Ausweg?“ (1993)

Das «Rauschgift» Opium in der Apotheke? Damit gab es im 19. Jahrhundert keine Probleme. Niemand wußte jedoch, welche Substanz des Mohnsaftes die eigentliche Wirkung ausmachte. Das hatte manchmal fatale Folgen, denn eine exakte Dosierung war unmöglich, das Medikament konnte tödlich wirken.

opiumtinktur - laudanum

Heute ist die Situation ähnlich, aber aus völlig anderen Gründen. In jeder Apotheke steht eine Flasche Opiumtinktur herum. Aber kaum ein Arzt traut sich, das Präparat zu verschreiben. Die Mediziner könnten sich informieren, tun es aber in der Regel nicht – aus Angst vor den strengen Auflagen des Betäubungsmittelgesetzes. Während in England ausführliche Forschungen zur pharmakologischen Wirkung der Opiate vorliegen, sind die deutschen Ärzte meistens schon bei simplen Fragen zum Thema völlig überfordert.

Dementsprechend «sachkundig» verlaufen auch die öffentlichen Diskussionen über Drogen, von der Kompetenz der Politiker und «Drogenbeauftragten» ganz zu schweigen. Dabei hat die Beschäftigung mit Papaver somniferum gerade hierzulande eine lange Tradition: Morphium und Heroin sind Erfindungen deutscher Apotheker und Firmen.
Natürlich wußte man im 19. Jahrhundert aus Erfahrung, daß Opium nicht nur alle möglichen Krankheiten kuriert, sondern daß man sich damit auch umbringen kann.

In Hessen war, schreibt Hans-Georg Behr, die «Frankfurter Hauptpille» auf dem Markt, ein Gemisch aus Opium und Zucker. Opiumhaltige Medikamente wie «Dr. Zohrers Kinderglück» und «Aachener Schlafhonig» wurden auch Babys zur Beruhigung und zum besseren Schlaf verordnet. Einige der kranken Kinder wachten jedoch nach der Einnahme des «Kinderglücks» nicht mehr auf. Der Arzt Dr. Heinrich Hoffmann sah sich angesichts der Todesfälle veranlaßt, nach einem unschädlicheren Ersatzpräparat zu suchen. Die von ihm entwickelten «Hoffmannstropfen» enthielten aber immer noch fünf Prozent Opium.

In England hieß das beliebteste einschlägige Mittel «Godfrey’s Cordial». «Die erste Untersuchung von Opiatvergiftungen an Kindern wurde 1843 in einer kleinen Stadt in Lancashire vorgenommen», schreibt Hans-Georg Behr. «Von knapp 2500 Familien kauften mehr als 1600 regelmäßig Godfrey’s Cordial. Die Kindersterblichkeit lag über 60 Prozent, und ein abruptes Absetzen der Droge überlebte nur jedes sechste Kind.»

Verschiedene Forscher experimentierten daher mit der Rohsubstanz Opium, um dessen unerwünschten Elemente zu beseitigen, die, wie vermutet wurde, zu den Nebenwirkungen führten. Das chemische Element Stickstoff, dessen Verbindungen – die Alkaloide – in Pflanzen vorkommen und das des Rätsels Lösung gewesen wäre, war noch nicht bekannt.

hoffmannstropfen

Im Jahr 1805 bekam eine Leipziger Zeitschrift, das Trommsdorffer «Journal der Pharmacie», merkwürdige Post. Der Paderborner Apotheker Friedrich Wilhelm Sertürner bot einen Artikel an, in dem er behauptete, er habe das «schlafmachende Prinzip des Opiums» entdeckt. Die Herausgeber des «Journals» überflogen den Bericht, schüttelten bedenklich ihre Köpfe, überdachten die Reputation ihres Blattes und lehnten dann Sertür-ners Ausführungen ab, da sie unseriös seien. Der Apotheker ließ nicht locker. Er schrieb einen Leserbrief, in dem er seine Experimente schilderte. Der wurde gedruckt, aber niemand beachtete ihn.

Dabei war der zwanzigjährige Pharmakologe auf dem besten Weg, der berühmteste Sohn der Stadt Paderborn zu werden, bekannter noch als der zu seiner Zeit in der Domstadt residierende Bischof. Sertürners Versuchsanordnung: Man laugt Opium mit destilliertem Wasser aus, bis alle Farbstoffe ausgeschieden sind. Die eingedampfte Lösung wird, wieder mit Wasser, verdünnt, dann mit Ammoniak übersättigt. Flüssiges Ammoniak war schon damals als gutes Lösungsmittel bekannt. Bei diesem Prozeß entsteht eine Substanz, die noch in vielen Hausapotheken als Salmiakgeist zu finden ist.

Spannend wurde es, als sich – als Resultat des Experiments kleine Kristalle bildeten, die irgend etwas mit der Wirkung des Opiums zu tun haben mußten. Sertürner verfütterte sie an einen bedauernswerten Hund, der zufällig an seiner Tür herumschnüffelte. «Nach Zufuhr des Stoffes stellten sich alsbald Schlaf und später Erbrechen ein. Bei erneuter Aufnahme wurde alles erbrochen; doch die Neigung zum Schlafe hielt mehrere Stunden an.» Somit war klar: Wenn die Kristalle die gleichen Symptome wie Opium hervorrufen, sind sie die eigentliche Grundsubstanz. Ein zweiter Tierversuch endete sogar tödlich, das Tier «taumelt schlafsüchtig und stirbt schließlich».

Sertürner, bewandert in griechischer Mythologie, nennt den von ihm entdeckten Stoff nach Morpheus, dem Gott der Träume, Morphium. Neugierig, wie er ist, probiert er ihn selbst aus, zusammen mit drei jugendlichen Freunden. Zunächst beobachtet er Übelkeit und einen betäubenden Schmerz im Kopf, dann, nachdem die Versuchspersonen die Dosis erhöhen – sie nehmen das Pulver zusammen mit Wasser und Alkohol ein -, «Ermattung und starke an Ohnmacht gränzende Betäubung». Sertürner glaubt an eine Vergiftung, schreibt er 1817 in den «Annalen der Physik», die in ihm eine «solche Besorgniß» auslöst, daß «ich halb bewußtlos über eine Viertelbouteille starken Essig zu mir nahm, und auch die übrigen dies thun ließ. Hiernach erfolgte ein so heftiges Erbrechen, daß einige Stunden darauf einer von äußerst zarter Constitution, dessen Magen bereits ausgeleert war, sich fortdauernd in einem höchst schmerzhaften, sehr bedenklichen Würgen befand».

1817 wird das Morphin in ein Arzneibuch eingetragen. Erst nach einer Würdigung durch den französischen Physiker Louis-Joseph Gay-Lussac erringt der junge Apotheker Anerkennung, die sich aber in Deutschland in Grenzen hält. Der neue Forschungszweig, zu dem er die Tür weit aufgestoßen hat – die Alkaloidchemie -, zeigt erst viel später seine Früchte.

sertürner

1826 beginnt der Apotheker Emanuel Merck im Laboratorium der Engel-Apotheke in Darmstadt mit der kommerziellen Herstellung des Morphiums als Schmerz- und Schlafmittel. Es ist bekannt, daß Morphin euphorisierend wirkt. Die Mediziner und Forscher diskutieren aber mehr darüber, wie sich die Nebenwirkung der oralen Einnahme – der obligatorische Brechreiz – vermeiden läßt. Man sucht eine Möglichkeit, den Weg durch den Magen zu umgehen.

Morphium wird, um eine Überdosierung zu vermeiden, auch als Salbe oder Öl verschrieben. Damit das Medikament schneller und intensiver wirken kann, empfehlen einige Mediziner das Katharindenpflaster, das eine Hautblase erzeugt. Die schützende Haut ist somit «ausgetrickst»: Auf die verdünnte Stelle, die Blase, kann die morphiumhaltige Salbe oder das Puder aufgetragen werden.

Die «hypodermatische Inokulation» kommt dem Spritzen schon ein wenig näher: Mit einer Nadel schiebt der Arzt kleine Mengen des Medikaments unter die Haut. Als Charles Gabriel Pravaz 1853 die Injektionsspritze erfindet – sein Kollege Alexander Wood hat zwei Jahre später die gleiche Idee -, nimmt die Sache ihren Lauf. Ein Badearzt in Schlangenbad spritzt einer Frau, die an «hysterischen Krämpfen» leidet, Morphium unter die Bauchdecke – mit dem Erfolg, daß ihre Beschwerden schlagartig verschwinden.

pravaz-spritze

Das spricht sich herum. In wenigen Jahrzehnten entwickelt sich Morphium – heute: Morphin – zum Heilmittel für alles und jedes: gegen Husten und Schmerzen, gegen Schnupfen, Krämpfe und Augenleiden. Wer sich nur glücklich fühlt, gilt als geheilt. Im Krimkrieg, in den Kriegen zwischen Preußen und Dänemark bzw. Österreich, im deutsch-französischen Krieg, im amerikanischen Bürgerkrieg: Überall wird Morphin gespritzt, was das Zeug hält.

Nur gibt es eine neue, ebenfalls unerwünschte Wirkung des Wundermittels: Wenn man es dem Patienten plötzlich vorenthält, läuft er Amok oder verfällt in tiefe Depressionen – was die Kampfmoral nicht gerade hebt. Militärärzte nennen die Symptome des Morphin-Entzuges die «Armee-» oder «Soldatenkrankheit».

Wer oder was an den Problemen der Morphin-Konsumenten schuld ist, bleibt unklar. Patienten, die an eine bestimmte Dosis gewöhnt sind, neigen zur Selbstmedikation und – das wird beobachtet – zur Dosissteigerung. Ärzte konstatieren eine «Zerrüttung des Nervensystems» – obwohl niemand genau weiß, inwieweit «die Nerven» von Morphin in Mitleidenschaft gezogen werden – und «schwere psychische Störungen» – Ursache oder Folge des vermehrten Konsums oder nur des zeitweiligen Absetzens? Auch das ist nicht erforscht. 1874 erklärt der erste Arzt den überhöhten
Morphingebrauch zur Krankheit sui generis.

Schon 1856 vermutet die Polizei, die staatliche Ordnung im allgemeinen und besonderen sei durch den Drogenmissbrauch in Gefahr. Der Polizeipräsident von Berlin erläßt eine Verfügung, daß Ärzte Morphium nur wiederholt abgeben dürften, wenn darüber ein schriftlicher Vermerk angefertigt würde. Von «Drogensucht» ist aber noch nicht die Rede.

Der Berliner Arzt Eduard Levinstein ist der erste, der die Begriffe «Sucht» und Morphium verklammert. In einer 1880 erschienenen Monographie unterscheidet er zwischen dem «Morphinismus», der eine Vergiftung sei, und der «Morphinsucht». Er versteht darunter die «Leidenschaft des Individuums, sich des Morphiums als Erregungs- oder Genußmittels zu bedienen, da dasselbe unvermögend ist, von dem Mittel ohne Nachtheil für das subjektive Wohlbefinden zu lassen, und den Krankheitszustand, der sich durch die mißbräuchliche Anwendung des Mittels herausbildet». Männer seien für die «Sucht» anfälliger, da sie im Berufsleben höheren Anforderungen genügen müßten. Morphinsüchtig seien fast ausschließlich Ärzte und Offiziere.

Bereits fünf Jahre zuvor hatte Levinstein über die Morphiumbegeisterung gewisser Kreise berichtet. In der «Berliner Klinischen Wochenschrift» vom 29.11.1875 heißt es dazu: «Aus der ersten Sitzung der inneren Medizin erfahren wir, daß das so alt bewährte Mittel, die Sorgen des Daseins in die Freuden elyseischer Träume zu verwandeln, bei uns von einer Mode bedroht zu werden anfängt, die diesmal nicht von Westen, sondern ausnahmsweise einmal von Osten ihren Einzug hält. Bisher schien es ein erprobtes Vorrecht des Muselmannes zu sein, sich mit Hilfe des Opiums hinüber zu schwingen in das Reich ungetrübter Genüsse. Glieder unserer gebildeten und höheren Stände, theilt uns Herr Sanitätsrath Dr. Levinstein mit, beginnen indes im Anschluß an den medicamentösen Genuß des Narcoticums ebenfalls des vom Koran verpönten Saftes der Rebe überdrüssig zu werden. Auch sie ziehen es vor, ihr Dasein mit Opium zu würzen, das sie zwar nicht wie der Türke mit gekrümmten Beinen dem Tschibuk entnehmen, aber ihrer höheren Kultur entsprechend gleich als reines Alkaloid sich mit oder ohne Zuhilfenahme der Pravazschen Spritze einflößen. Den antiquierten Alkoholrausch überlassen sie dem ‘gemeinen’ Mann, müssen aber mit ihm gewisse Folgen theilen, die dem Alhoholismus nicht ganz unähnlich sind, und von denen leider auch die Morphiumfreunde nicht verschont bleiben.»

levinstein morphinsucht

Die Zeitschrift bedient sich einer feinen Ironie, die zu wütenden Protesten aufgeregter Drogenpolitiker wegen «Verharmlosung» führen würde, übertrüge man die Aussagen auf heutige Verhältnisse: Die Heroin«freunde» wollen von der etablierten Saufkultur nichts wissen. Sie ziehen es vor, sich mit dem «alt bewährten» Opium zu berauschen. «Ihrer höheren Kultur entsprechend» essen oder rauchen sie es aber nicht – wie viele der «ausländischen Drogendealer» -, sondern injizieren sich das mit modernen chemischen Methoden hergestellte Derivat Heroin. Bedauerlicherweise» leiden auch sie, wie Alkoholiker, an unangenehmen Entzugssymptomen.

Morphin, so zeigt der Bericht Levinsteins, war – nicht als Medikament, sondern als Genussmittel – zunächst eine Modedroge der «besseren Kreise». Eine bestimmte Form des Gebrauchs, die Injektion, setzte die Konsumenten sozial von anderen. Drogenkonsumenten ab: Die intravenöse Applikation war ein Zeichen «höherer Kultur».

Heute gilt das Gegenteil: Wer Drogen spritzt, fällt unter die – abwertend verstandenen – Kategorien «Fixer» oder «Junkie» und muß mit den klischeehaften Vorverurteilungen wie «unzuverlässig», «heruntergekommen» und «kriminell» rechnen. Alkoholiker, die ihr Rauschmittel oral einnehmen und sogar in deutschen Parlamenten zu finden sind, gelten dagegen, solange sie nur ihren eigenen Körper ruinieren, als sozial unschädlich.

Alle Formen, die heute diskutiert werden, um Morphinabhängige zu behandeln, waren schon im vergangenen Jahrhundert bekannt. Ärzte schlugen den «kalten Entzug» vor, das abrupte Absetzen, was eine knappe Woche dauerte. Andere empfahlen, während des Entzugs Haschisch oder Marihuana zu rauchen. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud propagierte Kokain: «Freud selbst hatte Kokain seinem Freund Fleischl von Marxow verabreicht, der nach einer Daumenamputation morphinabhängig geworden war.» Beliebt war auch die Substitution durch Codein, die in den neunziger Jahren zum therapeutischen Standard gehörte.




Vom Opium zum Heroin – Papaver somniferum macht Karriere

Vom Nepenthes zur Hexensalbe

(aus meinem Buch Heroin – Sucht ohne Ausweg?“ (1993)

Marc Aurel, römischer Kaiser und Philosoph, war voll auf Turkey. Und das während eines Feldzuges gegen die barbarischen Markomannen und Quaden! Er fühlte sich hundeelend und war kaum imstande, den taktischen Erörterungen seiner Kommandeure zu folgen. Dabei gab es keinen Grund, besorgt zu sein: Die römischen Legionen, überlegen in militärischer Taktik und Logistik, eilten im zweiten nachchristlichen Jahrhundert im Einzugsgebiet der Donau von Sieg zu Sieg.

papaver somniferum

Der Leibarzt des Feldherrn, der Grieche Galenos aus Pergamon, untersuchte den kaiserlichen Patienten zum wiederholten Male. Die Symptome: eine triefende Nase, allgemeine Depressionen, Gliederschmerzen, Schlafstörungen, sporadisches Erbrechen. Die langandauernde Verstopfung, die den hohen Herrn schon seit Jahren plagte, war einem lästigen Durchfall gewichen. Galenos kannte das Gegenmittel – Theriak. Nur hatte man offenbar zuwenig davon aus dem fernen Italien mitgenommen.

Marc Aurel pflegte täglich eine Dosis in Bohnengröße zu sich zu nehmen, des Geschmacks wegen gemischt mit Wein, Wasser oder Honig. An die wichtigste Zutat des Medikaments, den Saft der Mohnkapseln – Opium -, war vor Ort schwer heranzukommen, nicht weil die Germanen schon damals ein rigides Betäubungsmittelgesetz gekannt hätten, sondern weil sie sich lieber mit Alkohol berauschten.

Den Aufzeichnungen Galens, wie er später genannt wurde, verdanken wir die erste Krankengeschichte eines Opium-Abhängigen in der Antike. Ursprünglich hatte der Römerkaiser den Theriak, den sein Arzt mit rund vierzig Prozent Opium angereichert hatte, zur Immunisierung und prophylaktisch gegen allgemeine Beschwerden genommen. Da die Wirkung aber mit der Zeit nachließ, musste er die Dosis steigern – mit Auswirkungen auf seine Schreibtischtätigkeit. Aurel wurde bei der Arbeit des öfteren vom Schlaf ergriffen. Er habe, so Galen, daher angeordnet, das Opium vom Theriak zu trennen. Nun aber brachte der Kaiser die Nächte schlaflos zu und war gezwungen, nicht zuletzt, weil er «an den Mohnsaft gewöhnt war», diesen dem Theriak wieder zuzufügen. Immer wenn er von seinen Eroberungszügen heimkehrte, verlangte es ihn ausdrücklich nach der richtigen Zusammenstellung «nach alter Gewohnheit der kaiserlichen Leibärzte». (1)

sch langengöttin

In der Tat eine sehr alte Gewohnheit! Theriak war eine vereinfachte Variante des Mithridats, genannt nach dem König Mithridates VI. Eupator Dionysos von Pontus. Dieser hatte im zweiten vorchristlichen Jahrhundert nicht nur den Römern an der nördlichen Schwarzmeerküste erbitterten Widerstand geleistet, sondern sich durch medizinische Experimente mehr als eine Fußnote in der Geschichte gesichert: Auf der Suche nach einem Gegengift, vor allem gegen Schlangenbisse, mixte er ein halbes Hundert Ingredienzen zusammen. Er probierte dieses Gebräu an den Staatsgästen und seinem Freundeskreis aus, der sich schlagartig verkleinerte. Ein Fünftel des Mithridats bestand aus dem Milchsaft der Köpfe des Papaver selvaticum, heute bekannt als Papaver somniferum, zu deutsch Schlafmohn.

Diese Pflanze gehört schon mindestens seit dem zweiten Jahrtausend v. Chr. zum Kulturgut der Menschheit. Eine minoische Göttin, deren Statue bei Heraklion gefunden wurde, trägt auf dem Kopf einen Kranz aus Schlafmohnkapseln. Ihr Gesicht, wahrscheinlich um 1400 v. Chr. von einer unbekannten Künstlerin erschaffen, hat einen ekstatischen Ausdruck. Schon auf den ältesten babylonischen Tonzylindern finden wir Mohnkapseln als Attribute des Göttlichen.

Wir wissen nicht, ob Mithridates sich an stillen Abenden von den Gesängen der Odyssee erbauen ließ. Vielleicht suchte er nur nach dem Wundertrank Nepenthes, der in keiner Geschichte des Opiums fehlen darf: Die schöne Helena, davon berichtet das homerische Epos, habe den Wein, wovon die antike Männerrunde kostete, mit einem «Mittel gegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtnis» gewürzt. Der Effekt der «künstlich bereiteten Würze» soll erstaunlich gewesen sein und gleicht dem des Opiums aufs Haar. Im vierten Gesang der Odyssee heißt es: «Dann benetzet den Tag ihm keine Träne die Wangen, War ihm auch sein Vater und seine Mutter gestorben, Würde vor ihm sein Bruder und sein geliebter Sohn auch Mit dem Schwerte getötet, daß seine Augen es sähen.»

Wer Nepenthes zu sich nimmt, bleibt cool, selbst dann, wenn die Liebsten dahingemetzelt werden. Dieser altgriechische Tranquilizer wurde so berühmt, dass Generationen von Ärzten versuchten, dem Rezept des Gebräus auf die Spur zu kommen.

theriak
Öffentliche Theriak-Zubereitung in Venedig 1512.

Das Mithridat fiel dem römischen Feldherrn Pompejus in die Hände, der über dessen Wirkung offenbar so viel Gutes hörte, daß er es seiner Feldapotheke einverleibte. Spätere Militärärzte differenzierten zwischen Mithridat und Mekon rhoias (von Mekone, dem ersten Mohnanbaugebiet Griechenlands), das zum Teil aus Gartenmohn hergestellt wurde: Fünf oder sechs Köpfchen fein gestoßener Samen förderten, zusammen mit drei Bechern Wein, den Schlaf. Häufig findet man aber die Warnung, schon in Erbsengröße wirke die Droge hypnotisch, ein Übermaß führe zum Exitus. Mekonit, der Preßsaft der Köpfe und der Blätter, sei weniger stark als das durch Anritzen gewonnene Opium, Dakryon («Träne») genannt.

Der Leibarzt des Kaisers Claudius, Scribonius Largus, hinterließ in einem Rezeptbuch den Rat, man solle der Drogenmixtur Mekonium unbedingt «wirkliches Opium» hinzufügen, «welches nur aus dem Milchsaft der Köpfe und nicht aus dem Saft der Blätter von papaver selvaticum gewonnen wird, wie die Händler es tun, um bei diesem Gegenstand einen Profit zu haben. Ersteres [Opium] nämlich wird mit großer Mühe und nur in geringer Quantität hergestellt, dieses [Mekonium] dagegen mit Leichtigkeit und im Überfluss.»

Der Arzt Andromachus der Ältere, der sich um Claudius‘ Nachfolger Nero kümmern mußte, ließ dieses und jenes weg, streckte es mit anderen Substanzen und nannte das Gemisch Theriak, wahrscheinlich nach dem griechischen theriakos: «wilde, giftige Tiere betreffend». Nero soll täglich einen Viertelliter davon getrunken haben, schreibt Hans-Georg Behr in seinem Standardwerk Weltmacht Droge zum Thema. «Eine Dosis, die nur ein hochgradig Süchtiger zu überleben imstande ist.»

theriak
Französisches Theriakgefäß (1782)

Auch Kaiser Titus konnte nicht damit umgehen und starb an einer Überdosis. Aus der Zeit Trajans ist überliefert, dass schon damals Opiate gestreckt wurden, neben harmlosen Stoffen auch mit unappetitlichen Substanzen wie natürlichem Gummi und Schmierfett. Zu Anfang des dritten nachchristlichen Jahrhunderts hatte man im kaiserlichen Palast mehr als 17 Tonnen Opium gehortet. Als Diokletian Höchstpreise für Drogen festsetzte, kostete eine Einheit Haschisch 80 Denare, Opium aber 150.

In der klassischen Antike war Mohn bzw. Opium aber weniger als Rauschmittel beliebt. Die medizinische Indikation überwog. Um sich in Ekstase zu versetzen, benutzten die Griechen das Nachtschattengewächs Bilsenkraut (Hyoskyamus oder Saubohne) (3) und die Alraune (Mandragora), mit der sich die Zauberin Circe die Männer gefügig machte. Die Alraune wuchs nach alter Legende auf der Insel Hypnos, einem Reich dunkler Träume, wo Mohn wuchert und «Mandragoren blühen, umflattert von stillen Schmetterlingen, den einzigen Vögeln des Landes» (2). Mandragora galt auch als eine Pflanze, mit der man sich in ein Tier verwandeln konnte: Der Rausch löste die Grenzen der bewussten Identität auf. Im Traum oder durch Halluzinationen kommunizierten die Drogen-Konsumenten mit der Götter- und Tierwelt.

alraune
Gemeine Alraune (Mandragora officinarum)

Auch der legendäre Globetrotter Odysseus scheint seine Angst vor dem einäugigen Zyklopen mit Drogen betäubt zu haben: Bekanntlich wurden seine Gefährten in Schweine verwandelt – vielleicht ein diskretes Wortspiel mit dem Hinweis auf die Schweine- oder Saubohne. Die Gesänge des homerischen Heldenepos wirkten, was ihre Hinweise auf Drogengebrauch angeht, bis in die frühe Neuzeit. Noch 1648 nannten die Einwohner des französischen Toulouse ein Präparat aus Saubohnen bzw. Bilsenkraut und Opium thebaicum (das griechische Theben war ebenfalls ein wichtiges Anbaugebiet für Mohn) Nepenthes – nach dem Wundertrank der Helena.

Zweifellos war die tödliche Wirkung einer Überdosis Opium bereits im Altertum allgemein bekannt. Deshalb versuchte man, den Saft mit anderen, schwächeren Substanzen zu verfeinern. Gaius Plinius Secundus der Ältere (23-79 n. Chr.) listet die Risiken in seiner «Naturgeschichte» auf. Der Vater eines Konsuls, der an einer unheilbaren Krankheit litt, habe sich mit Opium umgebracht, worauf einige andere Bürger es ihm nachahmten. Gaius Plinius gibt auch konkrete Tips, wie man feststellt, ob die Droge Fremdsubstanzen enthält – mit der Flammenprobe. Das gilt heute noch: Den Unterschied zwischen Heroin mit hohem Reinheitsgrad, das geraucht werden kann, und gestrecktem Stoff, der nur für eine Injektion taugt, testen Fixer, indem sie ein Feuerzeug unter ein Stück Alufolie halten, auf dem sie das Heroin angehäuft haben. Knistert das erwärmte «H» oder verbrennt es mit schwarzen Rückständen, ist es verunreinigt.

Die arabischen Ärzte verordneten Opium, ebenso wie ihre römischen Vorgänger, vornehmlich gegen Husten, Schlafstörungen und Durchfall, aber in Kombination mit anderen Mitteln. Der Perser Avicenna Ibn Sina (980-1037) – bekannt aus dem Bestseller «Der Medicus» – hielt es für ein beruhigendes Hypnoticum, es bestünde aber aus Stoffen, die den Geist zerstören könnten. Damit hatte sein Zeitgenosse und Kollege mit dem schönen Namen Abu al-Rayhan Muhammed ben Ahmad al Biruni Erfahrungen. Ihm verdanken wir eine exakte Schilderung der Folgen des Opium-Missbrauchs: In Mekka hätten sich, so schreibt er, viele Leute an den täglichen Opiumgenuss gewöhnt, um Kummer, Verzweiflung und die Auswirkungen der Hitze besser ertragen zu können, sich einen längeren und tieferen Schlaf zu verschaffen und um Ausschweifungen zu verhindern (!) sowie Stimmungsschwankungen zu beheben. Sie begännen mit kleineren Dosen, die sie allmählich bis zu tödlichen steigerten.

Opium fehlte in keiner Apotheke des Mittelalters als Heilmittel. Die populäre Pappelsalbe (Unguentum populeon) zum Beispiel enthielt Papaver. Eine der bedeutendsten pharmazeutischen Formelsammlungen, die bis ins 18. Jahrhundert gültig war, die «Antidotarium Nicolai» aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, beschreibt 29 Opiumpräparate und eine große Zahl weiterer Rauschmittel – bei insgesamt 140 Mitteln. «Über ein Drittel aller Präparate», so der Arzneimittel-Spezialist Heinz-Josef Kuhlen (2) in einem umfangreichen Buch über die Geschichte der Schmerz-, Schlaf- und Betäubungsmittel, «beinhalten also zumindest eine der Drogen mit narkotischer oder das Zentralnervensystem beeinflussender Wirkung.»

Doch nicht nur Mediziner und Pharmazeuten benutzten die heilsamen Wirkungen des Mohns, sondern auch diverse Finsterlinge. Aus dem Jahre 1376 stammt eines der ersten Rezepte für «K.O.Tropfen»: Das Schlafpulver benutzten «Gesellen, um Pilgrimen, wenn sie eingeschlafen sind, ihr Silbergeld zu rauben.» Enthalten waren in der Mixtur Samen von Bilsenkraut, Taumellolch, schwarzer Mohn und die Wurzel von Gichtwurz «zu gleichen Teilen» – die Wirkung des Gebräus muß durchschlagend gewesen sein. «Von diesem Pulver gib ihm in seine Suppe oder in seinen Trunk, und er wird alsdann schlafen, ob er will oder nicht, einen ganzen Tag oder mehr.»

Zivilisiertere Zeitgenossen nahmen das Opium für friedliche Zwecke. Ein Weinkenner des 15. Jahrhunderts empfiehlt einen «dollen drangk», mit Mohnsaft, den man mit «eyner guder quarten wyßen weyns» vermischen solle. «So giff dem menschen gegen eynen glaiß voll drincken, so wirt er von stund an slaiffen.»

laudanum

Ein Medikament, das bis in die Neuzeit beliebt blieb, war Laudanum. Es findet sich noch in der Hausapotheke des Geheimrates Johann Wolfgang von Goethe, der dieses opiumhaltige Präparat regelmäßig zu sich nahm. Goethe setzte auch dem angeblichen Erfinder des Laudanums ein literarisches Denkmal: Sein Dr. Faustus trägt Züge eines Drogendoktors, der im 16. Jahrhundert von sich reden machte: Philipp Theophrast von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493-1541).

Paracelsus, ein gebildeter Mann mit einem geschäftsfördernden Hang zur Scharlatanerie, reiste quer durch Europa und schwatzte Fürsten und Ratsherren seine Wundermittel gegen dieses und jenes auf – natürlich gegen harte Devisen. Seine beeindruckendste Behauptung war eine Vorwegnahme der Frankenstein-Geschichte im Bonsai-Format: Durch Destillation seines eigenen Spermas könnte er einen künstlichen Menschen, den Homunculus, erschaffen. Viele seiner Ratschläge und Rezepte schlugen allerdings nicht an. In vielen Städten wurde er als unerwünschter Vagabund ausgewiesen.

Eines seiner Medikamente aber kurierte auch hoffnungslose Fälle: «Ich habe ein archanum, heiß ich Laudanum», sagt Paracelsus, «ist über das alles wo es zum tot reichen will.» Will sagen: Das heilt selbst Todkranke. Die Legenden, die Paracelsus um seine eigene Person und über seine Wunderdroge schon zu Lebzeiten verbreitete, lebten weiter, auch in den medizinischen Lehrbüchern bis zur heutigen Zeit. Immer wieder wird behauptet, sein Laudanum habe den Saft der Mohnkapseln enthalten. Das ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Paracelsus hat zwar ein Opiumpräparat verordnet, das er specifico anodia nannte. Die einzige überlieferte Vorschrift über die Zubereitung des Laudanums enthält aber kein narkotisierendes Mittel. Wahrscheinlicher ist, daß erst Nachfolger und Epigonen des genialen Aufschneiders und Drogendoktors darauf bestanden, zum Allheilmittel Laudanum gehöre auf jeden Fall eine kräftige Beimischung Opium.

Bis zum ausgehenden Mittelalter lagen die medizinischen Kenntnisse weitgehend in den Händen von Frauen, die in literarischen Quellen als «Kräuterweiblein» oder «Hexen» auftauchen. Sie waren in der Anwendung einer Vielzahl natürlicher Rauschmittel bewandert, ein Wissen, das den Zeitgenossen ebenso faszinierend wie unheimlich erschien. So kannten sie die Macht der Tollkirsche, die auf den Kreislauf wie Speed wirkt und die Pupillen vergrößert («Belladonna»). Mit dem Extrakt der Mandragora (Alraune) konnten sie psychedelische Halluzinationen auslösen. Sie wußten mit dem Stechapfel umzugehen, der das berauschende Skopolamin enthält, das in zu hohen Dosen, wie mehrere hundert Jahre später erforscht, zeitweilig die Symptome der progressiven Paralyse hervorruft. Und sie konnten mohnhaltige Präparate so dosieren, daß der Patient «zugeknallt» war oder einfach nur gut schlief.

belladonna
Gabriel von Max, Atropa Belladonna, 1887

In Shakespeares «Othello» heißt es: «Nicht Mohn und nicht Mandragora noch alle Schlummersäfte der Natur verhelfen dir zu dem süßen Schlaf…» Vielleicht hätten die «Kräuterweiblein» in diesem offenbar schweren Fall von Schlaflosigkeit Schierling verordnet, der zwar, wie auch Taumellolch, in kleinen Mengen lüstern macht, aber zusammen mit Mohn und Eisenhut (Akonit) schnell ins Reich der Träume, wenn nicht gar ins Jenseits führt. Die heilkundigen Frauen wußten auch, welche Dosis Cannabis richtig anturnt. In den deutschen Märchen haben die bösen Hexen rote Augen und können nicht weit sehen – diese körperlichen Symptome tauchen nach der Einnahme einer kräftigen Prise Bilsenkraut auf. Wenn die Gebrüder Grimm genauer recherchiert hätten, wäre ihnen aufgefallen, dass Hexen häufig mit Kopfschmerzen und trockenem Mund aufgewacht sind – eine Nachwirkung des in Nachtschattengewächsen wie auch in Bilsenkraut enthaltenen chemischen Wirkstoffs Atropin.

Die alleinseligmachende Kirche mit ihrem Monopol auf Seelen- und anderes Heil unterdrückte seit dem Spätmittelalter alle Methoden, Kranke ohne religiöse Mittel zu kurieren. Sie hielt mehr vom Gesundbeten. Die «althergebrachten schamanistisch-magischen seelsorgerischen Praktiken der weisen Frauen» waren eine unliebsame Konkurrenz, die es auszuschalten galt.

Dieser Feldzug gegen heilkundige Frauen, der im Hexenwahn mündete, hatte alle Charakteristika des heutigen «Krieges gegen das Rauschgift»: Zuerst sucht man eine griffige Bezeichnung für die Angehörigen der gesellschaftlichen Gruppen, die diskriminiert werden sollen. In der Kollektivbezeichnung «Hexe» fließen Elemente des volkstümlichen Gespensterglaubens ein – die bösen Dämonen fliegen durch die Luft, können sich in Tiere verwandeln und verursachen durch Zauberei allerlei Schaden. Die Vorstellung, daß sich Hexen mit dem Teufel einlassen, stammt aber von mittelalterlichen Theologen, die ihre Projektion von einer subversiven Drogen-Subkultur mit sexuellen Phantasien anreichern. Die Angst vor der Sexualität der Frauen schlägt in Haß und Verachtung aller weiblicher Magie um.

Dann verkehrt die kirchliche Propaganda das reale Machtverhältnis in sein Gegenteil. Die Minderheit, die unter Verfolgung, Elend und Folter durch die Herrschenden leidet, ist plötzlich gefährlich für die braven Bürger, die nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten: Die Hexen sind unser Unglück. Ist «die Hexe» als «Problem» definiert, das wie eine Flut über die Gesellschaft hereinbrechen könnte, ertönt unweigerlich der Ruf, diesem «Problem» mit stärkerer Polizeipräsenz zu begegnen – vor und zu Paracelsus‘ Zeit in Gestalt der Inquisition.

hexenhammer

1484 beauftragt Papst Innozenz VIII. die Dominikaner Heinrich Institores und Jakob Sprenger, gegen «Zauberer und Hexen» vorzugehen. Sprenger veröffentlicht 1485 eine präzise Folteranleitung, den berüchtigten «Hexenhammer». Seit dem 14., vor allem aber 15. und 16. Jahrhundert gibt es eine Welle von Hexenverfolgungen.

Ein damals wie heute beliebtes Argument hatte der Wormser Bischof Burchard schon im Jahre 1025 in die Diskussion eingebracht: Kinder und junge Menschen würden von der weiblichen Drogen-Subkultur beeinflußt, mißbraucht und seien in großer Gefahr. Das Motto: Wer Drogen nimmt, verführt auch andere dazu. Burchard, von dem eines der ersten Betäubungsmittelgesetze überliefert ist, behauptete, die Hexen würden junge Frauen für ihren Regenzauber benutzen. Ein unschuldiges Mädchen würde entkleidet, dann müsse es Bilsenkraut mit der rechten Hand ausreißen und an die kleine Zehe des rechten Fußes binden. Altersgenossinnen führten es dann zum nächsten Fluß und besprengten es mit Wasser. Schon bald würde es regnen.

Die Fähigkeit der heilkundigen Frauen, sich mit Rauschmitteln in Trance zu versetzen, ist, so die kirchliche Propaganda, nicht ihrem Wissen um die pharmakologischen Eigenschaften der Pflanzen geschuldet, sondern ihnen vom Teufel eingeflüstert worden. Die Substanzen, die sie verabreichen, sind gesundheitsschädlich und gefährlich. Man muß deshalb einen Bogen um die Drogen machen.
Vom Autor des «Hexenhammers» stammt das Rezept einer «Hexensalbe», das ihm angeblich eine Hexe «verraten» habe: Die Angeklagte habe nach eingehender Befragung zugegeben, sie würde mit einer Salbe aus den gekochten Gliedern von Kindern ein Stück Holz bestreichen, auf dem sie dann fliegen könne.

In kaum einer kirchlichen Veröffentlichung über Hexensalben fehlt deshalb der Hinweis, die Heil- und Drogenmixturen seien mit Körperfett von Babys oder Leichen gestreckt oder enthielten ekelerregende Zutaten wie Kröten – was noch Shakespeare in «Macbeth» überliefert. Wenn die Hexen trotz Strafandrohung von ihrem schändlichen Treiben nicht ließen, müsse man sie einkerkern, bekehren, und, falls sie sich therapieunwillig zeigten, zu Tode foltern oder verbrennen.

Das Ergebnis der kirchlichen Hetze gegen die unliebsamen Konkurrentinnen: Die Merkmale, die sich im Bewußtsein der Bevölkerung als die Charakteristika «der Hexen» festsetzen, sind so allgemein, daß alle mißliebigen Elemente damit diskriminiert werden können. Paracelsus‘ Beschreibung der Hexen-Subkultur erinnert an die heutige Presseberichterstattung über die Heroin-Szene: Die Hexen, die laut Paracelsus die Männer haßten, seien mißtrauisch, lügnerisch und verschlossen. Sie fielen durch einen regellosen Tagesablauf unangenehm auf, vernachlässigten die Haushaltsführung und achteten wenig auf Körperpflege. Sie fühlten sich, meint Paracelsus, nur zu Gleichgesinnten, insbesondere Frauen, hingezogen, aber auch zu Outsidern und Künstlern, zwielichtigen Gestalten wie «Magici», Landfahrern, Gauklern, Schauspielern und Taschenspielern. Außerdem trügen die Hexen außergewöhnliche Körpermale, die «signa», und übten sich in zauberischen, den Uneingeweihten unverständlichen Ritualen.

Der venezianische Priester Girolamo Tartarotti sagt noch im 18. Jahrhundert über Hexen, diese seien «ungebildete, einfältige Leute vom Lande», abgemagert, entstellt, mit stechenden Augen, von gelber Gesichtsfarbe, verschlossen und eigensinnig.1 Das Ergebnis der Unterdrückung und Verfolgung, die Verelendung, wird «den Hexen» zum Vorwurf gemacht und der Öffentlichkeit als abschreckendes und warnendes Beispiel vor Augen geführt.

Das gleiche Klischee gilt für heutige Heroin-Konsumenten. «Fixer bilden eine exklusive Gruppe, zu denen Außenstehende keinen Zutritt haben.» Ein «charakterliches Merkmal» für Drogenmissbrauch, so die Polizei, seien «häufiges Lügen» und «Vernachlässigung der Körperpflege». (4) Fixer lebten nur in den Tag hinein, von «Schuss» zu «Schuss», von einer «geregelten Haushaltsführung» ganz zu schweigen. Außergewöhnliche Körpermerkmale seien «blasses, ungesundes Aussehen, starke Gewichtsabnahme, extrem erweiterte oder verengte Pupillen, Reizhusten, Händezittern sowie erhöhte Berührungs-, Schmerz- und Lichtempfindlichkeit.»“ (5) Das Ritual des Fixens ist Außenstehenden fremd und hat die Aura des Geheimnisvollen, sei für Unkundige sogar lebensgefährlich.

Sogar die Vorschläge, wie man mit der Drogen-Subkultur umzugehen habe, sind seit den Zeiten des Paracelsus die gleichen geblieben. Johannes Wiehr alias Johannes Weyer, im 16. Jahrhundert Leibarzt eines niederrheinischen Herzogs, schlug für Hexen eine religiöse Therapie vor. Ursache ihres «Wahns» seien depressive Veranlagungen. Die Hexen versuchten sich, so Heinz-Josef Kuhlen, «über ihre Stimmungsschwankungen, ihre Hilflosigkeit und das elende Alltagsleben hinwegzutrösten», wobei sie «oft zu Betäubungsmitteln griffen». Diese Gründe werden noch 400 Jahre später als die angesehen, die angeblich zu Drogenabhängigkeit führen.

Die Verdammung der «Hexen» und ihrer Heilkunde hat auch für viele Kranke schmerzhafte Folgen: Im 17. Jahrhundert weigern sich Ärzte, bei Schmerzen oder vor chirurgischen Eingriffen Drogen wie Opiate oder Nachtschattengewächse zu verordnen. Da das Wissen um die richtige Dosierung verlorengegangen ist, haben sie Angst vor Todesfällen. Außerdem fürchten sie wegen der zum Teil halluzinatorischen Nebenwirkungen bei den Patienten, sie könnten der Hexerei angeklagt werden.
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(1) Zitiert nach Margit Kreutel: Die Opiumsucht, 1987
(2) Zitiert nach Franz-Josef Kuhlen: Zur Geschichte der Schmerz-, Schlaf- und Betäubungsmittel in Mittelalter und früher Neuzeit, 1983
(3) Der Volksmund hat die Wirkung von Bilsenkraut auf Haustiere überliefert: Die Pflanze heißt bei Bauern «Hühnertod».
(4) Berliner Zeitung, 15.06.1992, S. 10
(5) bd. Die Symptome beschreiben genau das Gegenteil, nämlich den Entzug («Turkey»), also den Zustand, wenn ein Abhängiger kein Heroin zur Verfügung hat. In spanischen Zeitungen hat der Autor die Behauptung von Journalisten, die «lange» recherchiert hätten, gefunden, Junkies brauchten Ascorbinsäure, um die Einstichstellen zu desinfizieren – in Wahrheit dient es zum Aufkochen des Heroins.




El chefe oder: Da sprach der alte Häuptling der Indianer

guahibo

Der „Chef“ einer Gruppe von Guahibo in den südlichen Llanos (Ebenen) von Venezuela. Die Guahibo aka Sikuani aka Wayapopihíwi kann man als „nomadisierende Plainsindianer“ bezeichnen. Von ihnen gibt es nur noch weniger als 20.000. Ihr nordamerikanisches Gegenstück wären etwa die Arapaho.

Fotografiert 1998 im Guahibo-Territorium, einige Stunden mit dem Jeep südlich von Elorza nördlich des Rio Capanoparo (ein Nebenfluss des Orinoco).

Vgl. „Durch die Pampa“ (04.03.2021), „Der gottverlassene Landstrich, revisited“ (11.02.2020), „Mythos „Neu entdeckte Indianerstämme“ [Update] (23.07.2016), „Venezuela – eine gute Wahl“ (06.07.2013), „Burks bei den Wayapopihíwi“ (05.01.2011), „Venezuela | wahr und falsch“ (03.03.2008).

Ein schlammiger Fluß: der Rio Capanaparo. Ein alter Mann rudert den Reisenden schweigend an das andere Ufer. Wieder ein garpón. Aller Augen richten sich auf den chefe. Der erklärt in stockendem Spanisch: Das Feuer und die Viehzucht engen den Lebensraum der Guahibos immer mehr ein. Sie litten Hunger, weil sie nicht mehr jagen könnten. Die Regierung lobt sich im Ausland für ihre gut gemeinte, das heißt paternalistische Indianerpolitik. Sie bietet den Nomaden an, gratis in Reihenhaussiedlungen wohnen zu können wie die katholischen und assimilierten Indianer am Orinoco. Dort wären sie geschützt vor Übergriffen sowohl der kolumbianischen Guerilla als auch der Viehzüchter. Doch sie wollen nicht.

„Kein Stamm ist schwerer seßhaft zu machen als die Guahibos. Lieber leben sie von faulen Fischen, Tausendfüßen und Würmern, als daß sie ein kleines Stück Land bebauen. Wir fanden daselbst sechs von noch nicht katechisierten Guahibos bewohnte Häuser. Sie unterschieden sich in nichts von den wilden Indianern. Ihre ziemlich großen schwarzen Augen verrieten mehr Lebendigkeit als die der Indianer in den übrigen Missionen…Mehrere hatten einen Bart; sie schienen stolz darauf, faßten uns am Kinn und gaben uns durch Zeichen zu verstehen, sie seien wie wir.“ (Alexander von Humboldt)

Die ersten Weißen, die die Guahibos kennenlernten, waren Deutsche – im 16. Jahrhundert. Die Konquistadoren Georg Hohermuth von Speyer und Friedrich von Hutten zogen 1535 im Auftrag der Welser von Coro an der Küste nach Süden, bis in das Quellgebiet des Guaviare im heutigen Kolumbien. Mehrere hundert deutsche und spanische Landsknechte durchstreiften monatelang die Savanne, ausgemergelt vor Hunger und vergeblich auf der Suche nach einem Paß in die Anden, in das Land der Muisca, zum legendären El Dorado. Die Muisca zahlten mit Gold für die Kinder der Guahibos, erfuhren sie.

„Fiengent ain Cassicquen oder Obersten, ßo sagt, er wer auff der andern Seitten des Birgs gewest, gab uns groß Zeittung von Reichtumb. Vermochten aber mit den Pfferden nit hynuber…“ berichtet der fränkische Edelmann Philipp von Hutten am 30. Oktober 1538 aus Coro an den kaiserlichen Rat Matthias Zimmermann in einem der ersten Briefe, den ein Deutscher aus Südamerika geschrieben hat.

Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich das Dia nicht seitenverkehrt eingescannt hatte. Leider ist die Schrift mit der venezolanischen Flagge auf seinem Basecap nicht zu erkennen. Ich habe das Logo auch nicht gefunden.




Perussuomalaiset oder: Unter Rechtsruckenden

wahlergebnis Finnland

Jetzt kommen wieder die Textbausteine beim Wahlausgang in Finnland: Rechtsruck. Ach was. So einfach ist das? Warum rucken sie denn nach „rechts“? „Die Rechtsaußenpartei der Wahren Finnen erzielte mit 20,1 Prozent und 46 Mandaten das beste Ergebnis ihrer Geschichte“, schreibt die taz gewohnt linkfrei (im 21. Jahrhundert auf einer Medien-Website! Links auf sich selbst gelten nicht).

Die abgewählte finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin konnte mehr Stimmen für sich holen, aber im zukünftigen Koalitionspoker wird sie leer ausgehen, auch weil die finnischen Grünen erfreulicherweise zusammenschrumpelten. Die sind eine Partei der städtischen Mittelschichten und stehen für das Übliche: Klima, Frauen, Kinder, (Was ist mit den Tieren? Denkt niemand an die Tiere?) Behinderte, und LGBT (Sex sells, aber sind das nicht ein paar Buchstaben zu wenig?) usw..

Warum wollen die Wähler es so und nicht anders? Die ultrarechten Basisfinnen sind genau so ein spaltpilzender Chaotenhaufen wie die AfD hierzulande. Das scheint aber deren Wähler nicht abzuschrecken, was mich wiederum auch nicht überrascht. Die „Wahren Finnen“ sind vermutlich eher mit den Lepenisten in Frankreich zuvergleichen. Merke: Rechtspopulistische Parteien sind immer Sammlungsbewegungen gegen das „System“. wobei eben diese Rechten das System aka den Kapitalismus nicht begreifen.

Die Rechten in Finnalnd fordern übrigens etwas, was die Grünen dort nicht wollen: Erhöhung der Steuern auf Kapitalgewinne und die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer.

Aber noch ist die Messe nicht gesungen. Vielleicht gibt es noch eine Überraschung. Wenn ein Zipfel der Macht in greifbarer Nähe ist, gelten politische Programme und Ideen nichts. Siehe Berlin.




Dame un sonrisa, revisited

chica venezuela

Ein Mädchen aus Elorza im Süden Venezuelas, fotografiert 1998. Ich hatte hier im November 2020 schon ein Foto von ihr, zusammen mit ihrem Bruder. Kinder sind immer dankbare und unkomplizierte Fotomotive. Ich wohnte damals für eine Woche in einem Arme-Leute-Viertel in Elorza bei einer Dame, die mir Platz für meine Hängematte in ihrem „Garten“ angeboten hatte. Abends war nichts los außer dem, was man selbst anstellte. Alle Kinder spielten auf den Straßen, und ich war natürlich als einziger Ausländer im ganzen Ort eine Attraktion. Wenn ich morgens in Richtung Plaza ging, musste ich an einer Schule vorbei, und wenn die Kinder nicht in ihren Klassen waren, gab es immer ein großes Geschrei, wenn ich auftauchte, und alle riefen lachend hola, gringo!

Ich habe gestern gemerkt, dass ich viele Fotos aus Venezuela versehentlich in einen Ordner gebeamt hatte, der für Bilder gedacht war, die ich schon veröffentlicht hatte. Bei knapp 3.000 insgesamt aus ganz Lateinamerika von 1979 bis 1998 kann man schon mal die Übersicht verlieren. Das werde ich jetzt abarbeiten….




Die aktuelle Ostfront oder: Das Beste, was die Menschheit zu bieten hat

war map ukraine
Aktuelle Karte der Ostfront

Man könnte es lustig finden, wenn es nicht in Wahrheit traurig wäre. Die grünste Außenministerin, die wir je hatten (GRAUSMINAZ), meint, die Ukraine dürfe/könne/solle keine Gebiete an Russland abtreten. Das Darf sie meinen. Sie darf auch meinen, dass es besetzte Gebiete sonstwo gäbe. Aber lebt sie noch in unserer Realität? Russland soll die Krim und den Donbass an die Ukraine abgeben? Warum sollte Russland das tun, da doch schon vor dem Einmarsch weder die ukrainische Armee noch die Regierung dort präsent waren? Kompromisse sind nicht möglich? Das kommt von diesem protestantischen und moraltriefenden Furor der Grünen, die Welt zum Guten zu zwingen, weil man selbst weiß, was das ist und sonst niemand. Baerbock setzt also weiter auf Krieg, ganz gleich, was die Wähler denken und wie viele Menschen noch sterben werden.

war ostfront
Deutsche Panzer an der Ostfront

Due Russen werden noch in diesem Jahr verkünden, dass sie den gesamtem Donbass und das Gebiet um Cherson „befreit“ hätten. Da das gegenwärtige Regime in der Ukraine total von westlichen Transferleistungen abhängt, wird sich erst im Herbst 2024 entscheiden, ob es zu einem langjährigen Stellungskrieg kommt oder ob dann die neue US-Regierung der Bevölkerung die Waffenlieferungen noch verkaufen will und kann – oder sie einstellt.

bakhmut
Da in deutschen Medien fast ausschließlich die ukrainische Armee gezeigt wird, muss aus Gründen der Ausgewogenheit hier der Krieg aus russischer Sicht dargestellt werden.

Wenn man Frieden will, muss man Russland den Donbass und die Krim lassen. So ist es nun mal. Wenn man das nicht akzeptiert, dann wird irgendwann über Odessa verhandelt oder ob die Rumpf-Ukraine nicht besser daran täte, Polen beizutreten. Die hatten den Westen der heutigen Ukraine schon einmal.

Nach den drei Teilungen Polens 1772, 1793 und 1795 wurde die westliche Ukraine mit Ausnahme Ost-Galiziens, das zum Habsburgerreich kam, russisch. (Wikipedia)

Den Überfall auf sein Nachbarland begründete Putin mit der Behauptung, die Ukraine sei nie ein eigenständiges Land gewesen (…). Eine dreiste Lüge, denn schon seit dem Zarenreich strebten die Menschen im Westen des Reiches nach Unabhängigkeit. („Spiegel“)

Das heutige Territorium der Ukraine gehörte im Laufe der Geschichte zu mindestens 14 verschiedenen Staaten, darunter das Königreich Polen-Litauen, das Russische Reich, die Habsburgermonarchie und die Sowjetunion. (…) Angesichts der fehlenden staatlichen Kontinuität könnte das ukrainische Volk Gegenstand der Geschichte sein. (Bundeszentrale für politische Bildung)

haircut

Apropos Sicht. Man sollte aus Frisuren nicht unbedingt auf den Charakter schließen. Mir fiel jedoch auf, dass die heute „angesagten“ Haarmoden ihre historischen Vorläufer haben. In der Ukraine sowieso. Da benennen sie Militäreinheiten nach Einheiten der deutschen Wehrmacht, die Zivilisten massakrierten und an Judendeportationen beteiligt waren, und lassen Nazis offen rekrutieren, natürlich für den Kampf für das Vaterland und für westliche Werte das große Ganze. Fehlt nur noch das quadratische Zweifingerbärtchen, um „das Beste, was die Menschheit zu bieten hat“, zu visualisieren.

haircut
Vorbilder heutiger Männerfrisuren

Offenbar ahnt man auch in deutschen Ministerien, was da auf uns zukommt. Jetzt haben wir schon zahllose antisemitisch eingestellte Westasiaten aufgenommen, uns fehlen daher noch ein paar Nazis aus der Ukraine. Halt! Stimmt nicht! Von dort kommen bekanntlich nur Frauen und Kinder, weil die Männer gezwungen sind, in den Krieg zu ziehen, falls sie arm genug sind und niemanden bestechen können. Wäre es nicht sinnvoller, die „Hilfsgelder“ an die Ukraine direkt an die dortigen Männer zu geben, damit die sich vom Kriegsdienst freikaufen können?

azubis ukraine

Ich missbillige natürlich, dass Männer, deren Gruppe sich nach einem deutschen Komponisten nennt, mit schmutzigen Stiefeln auf sauberen Stoffen herumtrampeln. Ausserdem ist es strafbar, vor allem, wenn noch beschimpfender Unfug dazukommt. Was machen wir eigentlich, wenn russische Söldner hierzulande um Asyl bäten? Schaffen wir das?

flag ukraine




Was mit Medien machen

„Beim Aufräumen im Keller fand ich jetzt eine vergilbte Broschüre: Leistungssport im imperialistischen Westdeutschland. Darin stehen Sätze wie dieser: Die auf die sportpolitische Wirksamkeit und auf sportliche Siege zielende Ideologierelevanz ist ein Hauptaspekt der Olympiavorbereitung, um westdeutsche Spitzensportler durch antikommunistische Verhetzung zu personifizierten Gegnern des Sozialismus zu erziehen.“ (Aus Birk Meinhardt: Wie ich meine Zeitung verlor – ein Jahrebuch.)

Birk Meinhardt, der lange für eine Tageszeitung gearbeitet hat, gehört zu den wenigen, die sich einer genauen Selbstbefragung unterzogen haben und ihre Position auf dem brüchigen Pflaster des Medienbetriebs zu orten versuchen. Seine Geschichte ist die eines leidenschaftlichen Journalisten, der als erster Ostler in der Redaktion eines angesehenen Blattes arbeitet und lange blind bleibt für die Widerstände, auf die seine Arbeit zunehmend trifft. Es ist die Geschichte einer Ernüchterung und – schließlich – einer Entzweiung.

Ich habe das Buch geschenkt bekommen und finde es großartig. Meinhardt schreibt so präzise und gleichzeitig subtil wie Osang, der auch aus dem Beitrittsgebiet stammt. Meinhardt war in einer anderen Situation als ich, weil ich immer als Freiberufler gearbeitet hatte, aber ich kann dennoch fast alles nachvollziehen und unterschreiben.

Es ist auch bezeichnend, dass jemand, der die Branche – und sich selbst – kritisch sieht, sofort runtergemacht wird: „Psychogramm des gekränkten älteren weißen Mannes“. Jaja. Warum nicht gleich „Nazi“? „An einer Stelle beteuert er, er sei kein Rassist. Er wolle nur halt nicht immer nur positive Geschichten über Flüchtlinge lesen“. So was geht ja gar nicht. Geschichten über „Flüchtlinge“ müssen immer positiv sei, am besten noch mit kleinen Kindern bebildert werden. Oder nicht?

In einem muss ich Sabine Rennefanz von der „Berliner Zeitung“ recht geben: „Ich habe das Buch anders gelesen: als eine Zeitreise in eine Zeitungswelt, die es so nicht mehr gibt.“ Eben. Journalismus, wie man ihn früher lernte, gibt es nicht mehr. Vielleicht ist das auch ganz gut so – im Interesse der mündigen Leser, die sich aus verschiedenen Quellen selbst informieren.

Das Buch kann man auch gut an Leute verschenken, die „was mit Medien“ machen.




Unter Zweitwohnenden

kiss my ass
Deutsche Journalistinnen aus der Mittelschicht senden der Arbeiterklasse eine ausnahmsweise ungegenderte Botschaft (Symbolbild)

Manchmal bin ich froh, dass ich rechtzeitig aufgehört habe, Journalisten auszubilden. Was ich heute über die Branche, zu der ich immer noch gehöre, sage, wäre gar nicht mehr druckreif.

Nur um das klarzustellen: Ich mache niemandem zum Vorwurf, Hausbesetzer zu sein. Eine Freundin, die verarmt war und sich und ihre Kinder mit Mühe durchbringen musste, erbte unerwartet nach dem Beitritt der DDR ein großes Haus, zwar nicht in Berlin, aber groß genug, dass die Mieteinnahmen sie ernähren können. Ich hätte vermutlich auch ein Haus, wenn man Vater nicht zehn Prozent seines Bruttoeinkommens sein Leben lang an die Sekte gespendet hätte, in die ich hineingeboren wurde. Bekanntlich war Friedrich Engels selbst ein erfolgreicher Kapitalist, was seiner politischen Haltung nicht schadete.

Was ich aber zutiefst verabscheue, ist Heuchelei oder, wie man so sagt, wenn jemand Wasser predigt, aber Wein säuft. Zur Zeit werde einige angeblich „linke“ Journalisten in den Medien durchgehechelt (der Originalartikel ist hinter einer Paywall):
Sie kassierten Fördergeld in Millionenhöhe für ein Wohnprojekt und gaben an, selbst dort einzuziehen. Stattdessen wurden Wohnungen unter der Hand vermietet. Jetzt wollen die Eigentümer das Haus gewinnbringend verkaufen. Wie aus einer Utopie ein fettes Geschäft wurde.

spiegelzitat
Ausriss aus dem „Spiegel“-Artikel über Brigitte Fehrle

Vermutlich war alles, was die Damen und Herren, die „links“ genannt werden, total legal. Ich wundere mich auch nicht, wie Journalisten so viel Geld verdienen können, dass es für den Hauskauf reicht. Oder zwei: „Fehrle wohnt sein langem in Berlin-Kreuzberg sowie in ihrer Zweitwohnung, einem renovierten Bauernhaus im Wendland.“ Es gibt bekanntlich kaum Menschen in der Zunft, die aus der Arbeiterklasse stammen oder aus Verhältnissen wie Christian Baron.

Die Journalisten kauften das Haus Anfang der 1990er-Jahre für 1,2 Millionen Mark (umgerechnet etwa 600 000 Euro). In den Folgejahren bekamen sie staatliche Zuschüsse in Höhe von über 3,4 Millionen Mark dazu.

Aber man sollte nicht Artikel schreiben, die angeblich die Interessen der da unten vertreten und sich in der Nichtmedienblasenrealität anders verhalten. Diese Attitude passt wie Arsch auf Eimer zu den Grünen und ihrem missratenen klimaschützenden Nachwuchs mit Upperclasshintergrund und den dazu passenden Ansichten.

Aber darüber zu räsonnieren, ist sowieso zwecklos. Das Sein bestimmt das Bewusstsein.

tagesschau
Kann passieren, Qualitätsmedien. Die Damen sehen sich auch zum Verwechseln ähnlich.




Zwischenwelten und Genüsse

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Ich habe meiner entzückenden Physiotherapeutin versprochen, dass ich 2023 ein Sixpack anstrebe.

Das neue Jahr lässt einen gleich mit den Ohren schlackern. Wir haben da eine Religiotin Annette Kurzschluss Kurschuss, die stammelt: „Waffen für die Ukraine sind Pflicht christlicher Nächstenliebe.“ Aber so etwas ist man von den Pfaffen ja gewohnt, obwohl ich instinktiv zu radikalen Maßnahmen greifen möchte.

Apropos „radikale Maßnahmen“: Natürlich waren junge männliche Einwanderer bzw. deren Kinder, vor allem der arabischen Art, überproportional verantwortlich für die Silvesterrandale und die Angriffe auf Polizei und Rettungskräfte. Aber das ist kein Anlass, um über Immigration an sich zu streiten. Im arabischen Kompong Glam kann man vom Fußboden essen, wie jemand, der dort war, mit glaubhaft bestätigte. Auch arabische Fluglinien erlauben nicht das Herumrandalieren und Zumüllen. Es liegt also an etwas anderem.

Meine These: Regeln werden nicht durchgesetzt. Das ermutigt den Abschaum, sich dann an nichts mehr zu halten. (Was sagen deren Eltern eigentlich dazu? Oder waren die gerade in einer Moschee?) Wolfgang Büscher schreibt in der Welt:
Oder, wie so viele um sie her, in dieser über Generationen sich erstreckenden Zwischenwelt leben, in der das Geld und die Autos, die Straßennamen und die Behörden deutsch sind – aber alles, was Identität stiftet, das Essen, die Sitten und die Religion, die Vornamen der Kinder und die Kleidung ihrer Mütter, all das ist Herkunft pur. Libanon, Türkei, Kosovo. Migration ist eine hoch identitäre Bewegung. Und Deutschland ist offenbar kein Land, das darauf eine Antwort findet.

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Das Blogvolk will es so.

Zum Erholen zwischendurch: Ich habe auf allen verfügbaren Kanälen Shota Mebakuro abonniert. Shota ist ein Influenzer Fotograf, der wahre Kunstwerke produziert, von denen ich meistens nicht sagen kann, ob die Bilder echt sind oder stark bearbeitet. Ein Genuss zum Anschauen!

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Basilika San Francisco

Basilika San Francisco

Basilika San Francisco in Quito, Ecuador am Plaza San Francisco, fotografiert im November 1979. Ein Detail hatten wir hier schon sowie ein Foto des Platzes ohne Kinderchöre. Der Platz mit der Kolonialarchitektur ist einfach großartig und schön.




Unter Immunschuldigen und anderen

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Zunächst die gute Nachricht, die die Dame oben kaum glauben kann: Ich war in diesem Jahr (außer der Hüfte) noch nie krank. Ich werde mich auch weigern, an der Erkältungswelle teilzunehmen, die gerade in den Medien herumgeistert. Gegen Grippe bin ich auch geimpft. Das Respiratorische Synzytial-Virus kann mich mal.

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Faulen Lesern empfehle ich einen dicken Buddha. Fleißigen und wissbegierigen Lesern (siehe Foto oben) seien drei Artikel empfohlen, die den Krieg in der Ukraine aus ungewöhnlicher Sicht analysieren. Der Economist weist auf die zu erwartende russische Großoffensive im Frühjahr hin und die Risiken für das Selenski-Marionetten-Regime (deutsche Zusammenfassung bei den Russen, also komplett und automatisch gelogen).

Der zweite Artikel stammt von Pepe Escobar: „News From the NATOstan-Imposed Meat Grinder“.
With its array of hypersonic missiles, Russia can knock out all NATO bridges, ports, airports as well as power stations, oil and natural gas storage, Rotterdam oil and natural gas installations, in a matter of a few hours. All energy production equipment across NATOstan would be destroyed. Europe would be shut off from natural resources.

Der dritte Artikel (via Fefe) schildert den Krieg der Zukunft via „StarLink, StarShield … SkyNet“.

Gut zu wissen. Aber wer weiß das noch in Deutschland?

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Neu in meiner Bibliothek: The Clash of Fundamentalisms: Crusades, Jihads and Modernity von Tariq Ali. Das Buch wurde in der Sekundärliteratur empfohlen. In diesem Land darf nie wieder der Lesestoff ausgehen!

Übrigens sind die Berliner mehrheitllich bekoppt. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich dieses Mal überhaupt wählen gehe. Mathematiker müssten mir vorrechnen, wie sich eine geringe Wahlbeteiligung auf die Stammverteilung auswirkt – dann kann ich mich entscheiden.

Viel lieber würde ich mich für die unten abgebildete Dame entscheiden, aber ich weiß nicht, wo sie zu finden wäre.

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Unter Ageistikern

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Ältere Frau Seniorin (Symbolbild)

Wir müssen über das Alter(n) reden. Dazu gibt es die passenden Studien, wie etwa Age ismus, natürlich von zwei Damen aus dem Glottisschlag-Milieu aka Antidiskriminierungsstelle des Bundes („mit einem Klick zur Soforthilfe“).

Der Jargon, mit dem das Werk abgefasst ist, spottet jeder Beschreibung eignet sich auf’s Allerfeinste für einen Anti-Schwurbel-Fernkurs: Jeder Satz, der über die Zeilen mäandert, ist gespickt zahllosen Ungs, suggestivem Werben für die Sapir-Whorf-Esoterik und heißer Luft, auf Fonstufe Maximum.

Junge Erwachsene haben im Vergleich zu alten Menschen einen etwas weniger differenzierten Blick auf alte Menschen und die Lebensphase Alter.

Ob Menschen in der zweiten Lebenshälfte (ab dem 50. Lebensjahr) Formen von Diskriminierung aufgrund ihres Alters erleben, hängt nicht substanziell mit ihren altersbezogenen Repräsentationen alter Menschen, des Altseins und der gesellschaftlichen Stellung und Produktivität alter Menschen zusammen.

Hängt nicht substanziell mit etwas zusammen? Sondern unsubstanziell, also eher immateriell? Des Geschwurbels entkleidet, lese ich den Rest so: Ob Alte (alle über 50) sich diskriminiert fühlen, weil sie alt sind, hat nichts damit zu tun, ob sie alt sind und das auch raushängen lassen. Oder so. Ich kann auch einem Jungen die Fresse polieren, wenn er mir dumm kommt.

Förderung eines möglichst eindeutigen und wenig konnotativen Sprachgebrauchs im Zusammenhang mit Alter. In der öffentlichen, politischen wie privaten Kommunikation bietet sich an, je nach Themenfeld
möglichst konkrete Altersangaben zu machen, statt von „alten Menschen“ oder „den Älteren“ zu sprechen.

Man sollte Alte nicht mehr alt nennen. Es heißt also nicht „alte Mumie“, sondern „ältere Mumie“. Meine Mutter ist mit ihren 97 Jahren nicht alt, sondern nur „älter“. Das muss ich ihr sofort erzählen, es wird sie überraschen. Man müsste vielleicht die Kantine dieses „Antidiskriminierungstelle“ überprüfen, ob sich dort in Speis‘ und Trank psychotrophe Substanzen verbergen. Ich verdränge das „Problem“, indem ich es nicht mehr benenne. Das machen die beim Thema Immigration bestimmt auch so. Es erinnert mich an Kinder, die sich die Hände vor die Augen halten und glauben, sie würden nicht mehr gesehen.

Etablierung von dialogischen Erfahrungsräumen, in denen Menschen in der zweiten Lebenshälfte ihr eigenes Alterserleben gemeinsam reflektieren und bewusst ihr eigenes Älterwerden nach ihren eigenen Vorstellungen, Wünschen und Bedürfnissen und in Abgleich mit ihren persönlichen „Modellen für gutes Altern“ planen können.

Etablierung von dialogischen Erfahrungsräumen“ – das kann man gar nicht toppen beim Sprachshit-Bingo. Fangen wir beim Dechiffrieren klein und von hinten an. Da ist ein Raum, aber nicht wirklich, sondern als Gleichnis, wo jeder mitmuss. Zwei Leute labern sich voll – das nennen wir den „Raum“. Dialogisch war mir bisher als Wort der deutschen Sprache unbekannt, aber sei’s drum: Man darf heute aus jedem Dingwort ein Beiwort machen – aus Scheiße wird scheißisch, und aus der Kaffeemaschine wird kaffeemaschinisch.

Das mischen wir alles kräftig durch, wir etablieren es also im multidialogischen Blograum, damit wir einen Plan für das künftige Herumfaseln haben.

Gut, dass wir darüber geredet haben.




Unter Tweetenden und Nichttweetenden

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Ü-20-Twitter-Nutzerin (Symbolbild)

Manchmal schaudert es einen, wenn man lesen muss, was die Kollegen von der publizierenden Branche sich für irreführenden Überschriften ausgedacht haben. „Account zu Privatflügen von Elon Musk gesperrt“, heißt es in der Welt. Stimmt das? Ja und nein. Wenn ich in meiner Firma einen Bot programmierte, der allen in Echtzeit mitteilte, wo meine Chefs gerade womit unterwegs sind, hätte ich auch ein Problem. Elon Musk hatte vorher gesagt, dass er gegen einen solchen Account prinzipiell nichts hätte. Aber in Echtzeit?

Das Thema dient der Journaille nur als Vorwand, auf Twitter einzudreschen und herumzuraunen. Merkwürdig, wie sich auch hier – aus Opportunismus unter unter einem nur gefühlten Gruppendruck – der gesamte Mainstream unisono auf eine Position festlegt. Spiegel online schreibt: Der Multimilliardär – derzeit der zweitreichste Mensch der Welt hinter dem französischen Luxusgütermogul Bernard Arnault – hat Twitter seit der Übernahme ins Chaos gestürzt. Er entließ das Spitzenmanagement und rund die Hälfte der Belegschaft. Auch schaltete er gesperrte Konten wie jenes des früheren US-Präsidenten Donald Trump wieder frei.

„Ins Chaos gestürzt“ wertet und suggeriert etwas, was man nicht unbedingt so sehen muss. Und was hat das damit zu tun, dass Trump wieder tweeten dürfte, wenn er wollte? Es gibt keinen Konsens darüber, dass Trumps Tweets böse sind oder „Hassrede“, nur unter deutschen Journalisten.

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U-20-Twitter-Nutzerin (Symbolbild)

Musk gibt sich als radikaler Verfechter des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Kritiker befürchten, dass unter seiner Führung auf Twitter Hassbotschaften und Falschinformationen rasant zunehmen könnten. Zuletzt löste Musk Medienberichten zufolge ein Beratergremium auf, das Twitter vor sechs Jahren im Kampf gegen Hassbotschaften, Kinderpornografie und Diskriminierung gegründet hatte. Zahlreiche große Werbekunden haben sich bereits von Twitter abgewendet.

„Gibt sich“ ist ebenfalls suggestiv – als wäre er in Wahrheit nicht für freie Meinungsäußerungen. Und wer sind, bitteschön“, die „Kritiker“? Verbergen die sich anonym, geben sie sich nur als „Kritiker“, und was machen die beruflich? Ich nenne das „mit Dreck werfen und hoffend, dass etwas hängen bleibt“. Warum sollte ein „Beratergremium“ wissen, wie man gegen das Böse im Internet vorgehen könnte? Wäre ich Musk, ich hätte die auch unverzüglich gefeuert. Man merkt, dass der Autor (kko/AFP) sich alles zusammensucht, was für ihn irgendwie negativ klingt, um irgendeine Nicht-Meldung zuungunsten Musks hinzukriegen. Maximal negativ sind „Hass“, Kinderpornografie“ – muss man unbedingt in einem Satz nennen. Das ist die Botschaft. Ich hätte statt des sperrigen „Diskriminierung“ Rassismus genommen, das klingt noch viel pöhser.

Witzig und schon cringe, dass die „Welt“ die Textbausteine der Agenturen einfach übernimmt und wortgleich publiziert: Der Multimilliardär – derzeit der zweitreichste Mensch der Welt hinter dem französischen Luxusgütermogul Bernard Arnault – hat den Internetdienst Twitter seit seiner Übernahme ins (geplante) Chaos gestürzt. Er entließ das Spitzenmanagement und rund die Hälfte der Belegschaft und schaltete gesperrte Konten wie jenes des früheren US-Präsidenten Donald Trump wieder frei. Warum sollte ich überhaupt eine Zeitung abonnieren, wenn in jeder der gleiche Quatsch steht?

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Ü-20-Twitter-Nutzerin (Symbolbild)

Wenn es darum geht, gemeinsam die Lichterkette hochzuhalten, ist der DJV nicht weit: Sollte sich Twitter, wie immer öfter befürchtet, zur Populistendreckschleuder verwandeln, hat der Dienst im Spektrum der sozialen Medien nichts mehr zu suchen“, wird der große Vorsitzende Überall [sic!] zitiert. Immer öfter – wie errechnet man das mathematisch genau? Oder ist das nur der immer öfter seit dem Neolithium geäußerte Kulturpessimismus? Ich habe nichts gegen Populisten, und mindestens ein Fünftel der Deutschen auch nicht.

Elon Musk benimmt sich weiter wie die Axt im Walde. Dabei stößt er immer mehr Leute vor den Kopf und sorgt dafür, dass europäische Behörden Twitter mit Argusaugen beobachten, schreibt Thomas Dillmann, der, was Mietmäuler angeht, nicht neutral sein kann, da er selbst zu dieser Gattung gehört. Ach? Das ist ja schlimm. Übrigens benehme ich mich auch gern wie die Axt oder – noch besser – wie eine Motorsäge im Walde und stoße möglichst viele Idioten – und natürlich immer mehr! – vor die vernagelten Köpfe, wenn es darum geht, anderen meine Meinung unterzujubeln. Was übrigens sind die „Argusaugen„, mit denen „europäische Behörden „beobachten?“ Kontrollieren die Chats und unverschlüsselte E-Mails oder gucken die Musk nur finster an?

Man merkt die klammheimliche Sympathie des Autors sowohl für Argos Panoptes in Behördenform als auch für Zensur und härter durchgreifen Gremien: Derweil wurde zudem bekannt, dass Twitter den Trust and Safety Council aufgelöst hat. Das Beratungsgremium beriet Twitter bisher zu sensiblen inhaltlichen Fragen wie etwa Hassrede und Suizid. Ach ja, Suizid hatte ich vergessen. Ist das nicht eher unsensibel? Fragen über Fragen…




Hier Klicken oder: Доверяй, но проверяй!

Risk management

Ich trage Eulen nach Athen, aber vielleicht lesen hier auch die Nachgeborenen mit, die bekanntlich nicht so IT-affin sind wie wir alten Digital Natives.

Liebe Kinder, „Hackerangiffe“ definieren wir als Blödheit der Endverbraucher, die auf alles mit der Maus oder mit dem Finger klicken, was nicht bei drei auf dem Norton Commander sitzt. Wir beschäftigen uns heute nicht mit dem Scum aus Nigeria, sondern mit den etwas klügeren Varianten. Ich werde mir nicht verkneifen können, Ratschläge zu erteilen.

phishing

1. Sind Postkarten wahrscheinlich?

Wichtige Dinge schickt niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat, unverschlüsselt. Elektropost vom BKA, von Banken oder Finanzämtern usw. sind immer Spam. (Höre ich da jemanden im Hintergrund lachen?)

Frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass Strato mir eine E-Mail schickt, obwohl ich dort gar kein Kunde bin? Oder: Wie wahrscheinlich ist es, dass Strato einem subalternen Mitarbeiter des Rheinland-Pfalz-Kreises eine E-Mail schickt, der gar nicht weiß, ob „die Internet-Präsenz“ seiner Behörde bei Strato hängt oder nicht? Was aber, wenn ich eine E-Mail von Strato bekomme und dort einen Account habe?

phishing

2. E-Mails nur im Textformat anzeigen lassen

Gibt es jemanden, der nicht weiß, wie das geht? Ich habe hier einen Screenshot aus dem letzten Jahrtausend. Ich bin für nichts und niemanden repräsentativ, aber gerade jetzt sitze ich ausnahmsweise vor einem tiny tits schmalbrüstigen (sic) Windows-Rechner und schaue mir meine E-Mails mit Hamster und Claws Mail an. Letzteres hat die angenehme Eigenschaft, E-Mails nicht in HTML anzeigen zu können, was mich von der lästigen Pflicht befreit, in den Voreinstellungen herumfummeln zu müssen.

Trotzdem zeigt Claws Mail den Link der E-Mail nicht wirklich – der wird nur, falls man mit der Maus herumfuchtelt, unten eingeblendet. Ich werde also zum Biohof Roegnitz (hof-roegnitz.de) weitergeleitet? Seriously? In einer E-Mail von Strato?

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Natürlich nicht. Aber wer schaut da schon hin außer mir?

3. Nur Https-Verbindungen über den Cyberweg trauen

Der Browser Opera (für Windows) meckerte, als ich den vermeintlichen „Biohof“ aufrief. Ein Provider, der keine Website hat, die man per https aufrufen kann, sollte ohnehin als unseriös gelten. Strato aber ist 600 Millionen Euro wert – da sollte man nicht erwarten erwartet man keine Azubis an der Servern. Hier stimmt also etwas nicht.

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4. Den Header ansehen

Man kann auch in die Headerzeilen der E-Mail schauen, um Indizien zu finden, ob derjenige, der sich als Empfänger ausgibt, dort auch zu finden ist. Natürlich kann man das alles fälschen – das kann sogar ich, und der Gott der Niederlande konnte das schon 1984.

In unserem Beispiel sieht es aber eher danach aus, als schriebe jemand mit einem Web.de-Account. Der hat sich also vermutlich gar nicht die Mühe gemacht, irgendetwas zu verbergen.

Wer mit den Details der elektronischen Briefköpfe nicht vertraut ist, kann übrigens Thomas Hochstein fragen.

5. Auf die Domain oder den URL schauen

Der Link in meiner E-Mail führt für DAUs Unbedarfte zu einer Website, die exakt wie die bei Strato aussieht, wenn man sich einloggt. Nur die Domain ist nicht mehr eine von Strato (vgl. unten: oben die gefakte Website der Phisher, unten die Original-Website von Strato).

Die Maximen Lenins helfen nicht nur bei bewaffneten Aufständen, sondern auch bei E-Mails weiter. Ich frage mich eher, warum immer noch Leute auf die Maschen der Phishenden (sic) reinfallen? Wäre das nicht so, würden diese es nicht versuchen…

phishing




Unter Animateuren

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Fotografiert am 18.10.1981 in Pátzcuaro, Mexiko, Bundesstaat Michoacan. Auf dem Markt gab es einige „Animateure“, die die Leute mit allerlei Unsinn unterhielten. Der unten im roten Pullover machte es sehr spannend und forderte alle Kinder auf, sich in einer Reihe aufzustellen. Das dauerte natürlich eine Weile, und alle warteten, was nun geschehen würde. Dann ließ er die Kinder durch eine Lücke zwischen den Zuschauern hinausmarschieren, und als alle „draußen“ waren, meinte er zum Publikum, jetzt hätten sie endlich Ruhe. Die Leute haben sich kaputtgelacht.




Der Rest oder: Was sonst noch geschah

rank of caste

– Ich habe gestern das Rank of Caste-Turnier in Kargash gewonnen. (Ich komme einfach nicht dazu, meine zahllosen Blogs zu aktualisieren…) Da ich das Turnier selbst ausgerichtet hatte, darf ich mein eigenes Preisgeld behalten, was die Sache billiger macht. (Ich habe übrigens die Anleitung ins Deutsche übersetzt.)

– Man muss sich kurz fassen und alles prägnant auf den Punkt bringen. Here you go:

Sehr geehrte herrschende Klasse! IHR seid im Krieg mit Putin, nicht die Bevölkerung.

Die Leute werden heute durch jede Meinung „provoziert“, die nicht die eigene ist.

Nimm dies, deutsche Linke! „Wenn ich mich nicht für die Unterprivilegierten einsetze, tut es ein anderer“. (Orson Welles: Citizen Kane) „Unterprivilegiert“ hat übrigens nichts mit Sex zu tun. Das überlasst besser den Grüninnen.

Grüne Logik: Wir sind nur gegen den Krieg, wenn wir ihn selbst begonnen haben.

Politische Opposition bedeutet, den durch die Medien aka bürgerliche Presse geschaffenen Meinungskonsens aufzukündigen. (Bin ich jetzt ein orthodoxer Linker?)

Selenskj so: Putin, gibt mir meine Regionen wieder!

By the way: Gibt es eigentlich schwule Kinder? In solchen Kitas werden Mohammeds, Alis und Achmeds vermutlich nur selten vorkommen. Vielleicht ist das die Idee – über Bande gespielt.




Abwehr hybrider Bedrohungen oder: Integration moderner Staatspropaganda

propaganda

Datenreichtum bei diversen Ministerien und Behörden oder: Es wurde etwas geleakt, was die Bevölkerung beunruhigen könnte. Die Nachdenkseiten haben die Dokumente publiziert und analysiert. „Laufende Aktivitäten der Ressorts und Behörden gegen Desinformation im Zusammenhang mit RUS Krieg gegen UKR“. Man muss nicht viel dazu sagen.

Das Dokument gibt einen erhellenden Einblick in das Ausmaß der horizontalen und vertikalen Strukturen der, man kann es nicht anders sagen, bundesdeutschen Staatspropaganda, insbesondere was die behördliche Einbindung von Medien (z.B. Spiegel und Stern), westlichen Social-Media-Konzernen, Bildungseinrichtungen und den sogenannten „Faktencheckern“ angeht.

Der Whistleblower schrieb den Nachdenkseiten:
In meinen Augen ist es ein Blick in den Abgrund der gebündelten Aktivitäten einer horizontalen (ressort-übergreifenden) und vertikalen Integration moderner Staatspropaganda. Von den Ministerien und ihren Partnerschaften mit transatlantischen Denkfabriken wie dem ISD bis hinab in die Presse, „Faktencheckenr“, Social Media, „Multiplikatoren“, „kritische Zivilgesellschaft“ und so weiter. Selbst vor der Einbindung von Schulen und Kindern im Grundschulalter machen Sie nicht halt.

Verteilung an Multiplikatoren in der Zivilgesellschaft läuft. Dann kann ja nichts mehr schief gehen.




Unter Vollmeisen

zdf

Also ich will keine Kinder austragen.




Auf den Müll

Glasmüll
Glasmüll, Berliner Osthafen, fotografiert 08.10.2003

Der EuGH hat die allseits bekannte und beliebte anlasslose Vorratsdatenspeicherung fast vollständig die Tonne getreten. Das war zu erwarten. Genauso ist zu erwarten, dass die üblichen Verdächtigen einen neuen Versuch unternehmen werden. (Dramatischer Chor im Hintergrund in G-Moll: Kinderp0rn! Sexuelles irgendwas! Terrorismus! Nationale Sicherheit! Putin! Und überhaupt!)