Neonazis – zu blöd zum Bloggen

Dieser Artikel von mir erschien am 30.03.2008 in der Netzeitung.

Neonazis im Internet – gibt es die noch? Ja und nein: Die ultrarechte Szene hat ihre Auftritte im World Wide Web professionalisiert. Parallel dazu wird es für Rechtsextremisten immer schwieriger, ihre Weltanschauung an den Surfer zu bringen. Wenn es im Web 2.0 interaktiv wird, versagen die braunen Kameraden jämmerlich.

Die ersten beiden Nazis im Netz waren US-Amerikaner. Milton John Kleim gründete 1993 das Ein-Mann-Unternehmen „Aryan News Agency“ und versuchte die braunen Kameraden zu lehren, wie man online Hass-Propaganda macht. Sein Traktat „On Tactics and Strategy for Usenet“ verbreitete er im ältesten Teil des Internet, in den Diskussionsforen („newsgroups„), weil noch kaum jemand das Word Wide Web benutzte. Zwei Jahre später brachte Don Black stormfront.org ins Netz, die erste Nazi-Website, die bis heute online ist. Die deutschen Rechtsextremisten hatten derweil aufs falsche Pferd gesetzt: Die NPD versuchte damals, per Bildschirmtext (BTX) zu werben; und die militante Szene setzen auf das technisch veraltete Bulletin Board System. Zwar ging das Thule-Netz mit den üblichen Schlagworten „Bombenbauanleitungen„, „verschlüsselte Kommunikation“, „gefährliche Propaganda“ durch alle Medien; in den ein Dutzend Mailboxen diskutierten aber nie mehr als Hundert Ultrarechte. Die rechten Mailboxen starben vor über einem Jahrzehnt einfach aus.

Deutsche Stimme

Heute gibt es in Deutschland immer noch nicht mehr Aktivisten, die Rassismus und Antisemitismus im Internet verbreiten. Eine allgemeine Online-Strategie der Neonazis ist nicht zu erkennen. Die Wahlerfolge der NPD in einigen Regionen der neuen Bundesländer spiegeln sich nicht wieder: Weder hat die Zahl der Websites rechtsextremer Gruppen zugenommen noch nutzen sie das Medien zeitgemäß, um Propaganda zu betreiben. Die Fluktuation ist hoch, kaum eine eine rechtsextreme Diskusisonsplattform ist über eine längere Zeit und kontinuierlich online. Nur ein halbes Dutzend Websites aus dem ultrarechten Milieu, die relevante Nutzerzahlen vorweisen können, muss politisch ernst genommen werden. Mit Ausnahme der NPD wird keine davon in Deutschland gehostet.

Altermedia.info und widerstand.info („das nationale Infoportal“) sind die beiden einflussreichsten Neonazi-Websites. Sie wenden sind an die „unabhängigen“ und militanten Gruppen, die so genannten „freien Kräfte“, die im Gegensatz zur offiziellen Parteilinie der NPD stehen. Der Stralsunder Neonazi Alex Möller, Betreiber von stoertebeker.net, beliefert auch die deutsche Sektion von Altermedia. Möller ist so gut wie mit allen braunen „Kameraden“ zerstritten – das macht ihn „unabhängig“. Sowohl „Altermedia“ als auch der „Freie Widerstand“ bieten eine Art tägliche Presseschau und leben davon, Artikel aus den Medien einschlägig kommentiert aufzubereiten. Altermedia war als eine rechtsextreme Version von Indymedia geplant, verhält sich aber von der Meinungsvielfalt der Kommentare wie das DDR-Staatsfernsehen zum Offenen Kanal.

Auch im Internet gelten die Gesetze des freien Marktes für Meinungen. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Die NPD verbreitet online nur Propaganda im Frontalunterricht, vor den typischen Features der Interaktivität wie Foren, Kommentare und anderen Meinungen fürchtet man sich – nach dem Motto: Wo kämen wir denn hin, wenn bei uns Fremde schreiben dürften. Nazis können einfach nicht bloggen. Die Websites der NPD und die der „freien Kameradschaften“ verbreiten Vorurteile und mehr oder minder subtile Hetze. Dagegen helfen Argumente nichts. Das Web 2.0 lebt aber von der öffentlichen Diskussion, von deftigen Kommentaren, ja von unterhaltsamen verbalen Kriegen – den so genannten „flame wars“.

Deutsche Stimme

Private „Weltnetz-Tagebücher“ aus der rechtsextremen Ecke gibt es nicht: Wer interessiert sich dafür, ob jemand heute schon das braune Hemd gewechselt hat oder für das ewige Jammern über den angeblichen großen Einfluss der Juden? Neonazis stehen politisch und ästhetisch in direkter Konkurrenz zu zahllosen anderen Websites: Die Gegenmeinung ist immer nur einen Mausklick entfernt. Die Rechtsextremen laufen in die virtuelle Konsum-Falle: Wollen sie so interessant sein wie andere Angebote im Netz, müssten sie auf direkte politische Indoktrination verzichten und damit ihre „corporate identity“ verwässern. Das machte sie aber unattraktiv für die eigentliche Klientel.

Die gut besuchten rechten Websites wie der deutsche „Wikingerversand“ oder die englische „Blood and Honour“ wollen zumeist etwas verkaufen, Musik, Kleidung, einschlägige Devotionalien. Wer sich aber für Nazi-Film-DVDs wie das antisemitische Machwerk „Der ewige Jude“ oder „Jud Süß“ online interessiert oder sich beim ultrarechten Zeitzer Online-Shop Enos über die Reichsflugscheiben „aufklären“ lassen will, dem ist vermulich ohnehin weltanschaulich nicht mehr zu helfen.

Das Internet lässt gut gemeinte Zensur-Versuche natürlich ins Leere laufen: Stormfront.org wird in Nordrhein-Westfalen ausgefiltert; mit ein paar Mausklicks kann man aber diese primitive Methode umgehen, dem Guten, Schönen und Wahren zum Erfolg verhelfen zu wollen. So dumm, wie sich Rechtsextreme im Internet anstellen, gerieren sich leider auch oft ihre Gegner. Der naive Ruf „Nazis raus aus dem Internet“ mag das Gewissen beruhigen, ist aber ungefähr so effektiv wie die moraltheologische Forderung, das Böse doch endlich aus der Welt zu schaffen. „Wir dürfen unsere Meinung hier nicht verbreiten“ ist das einzig wirklich gefährliche Argument der deutschen Neonazis. Es fußt auf der Tatsache, dass nationale Gesetze im Internet ins Leere laufen, wenn es um – wenn auch eklige – politische Ideen geht. Wer unappetitliche braune Brühe essen mag, der wird das tun – offline wie online.

Screenshots: Deutsche Stimme (NPD), Bildschirmtext 1995 und Website 2008




Das braune Bit

Ein Artikel von mir in der Jungle World (20.03.2008). Da der gekürzt worden ist und verschlimmbessert und Unworte wie „vermelden“ autauchen, die ich nie benutze, hier das Original-Manuskript. Außerdem ist die Jungle World weder in der Lage noch willens, Links zu setzen.

„Die Rechtsextremen haben die moderne Technik entdeckt.“ Man möchte „Kontakte zwischen ’nationalen Gruppen‘ stabilisieren, Informationen aus dem ‚rechten Getto‘ verbreiten, die linken und staatlichen Gegner mit ‚hervorragenden Verschlüsselungsprogrammen‘ überlisten.“ Nazis im Internet – muss man das nicht der Obrigkeit melden, verbieten und hart dagegen durchgreifen? Nazis raus aus dem Usenet, World Wide Web, Internet Relay Chat und Second Life, wie es die Linke moraltheologisch wertvoll, aber inhaltlich sinnfrei fordert? Die obigen Zitate stammen aus Focus Nr. 38 aus dem Jahr 1993 – es ging um den Mailboxverbund „Thule-Netz“.

Das Internet schadet den Neonazis. Diese These muss deshalb betont werden, weil das Publikum durch zahllose gegenteilige Pressemeldungen abgestumpft worden ist und gar nicht mehr weiterliest. „Neonazis verschärfen Ton im Internet“ (Die Welt 1998). „Simon-Wiesenthal-Center: Immer mehr Nazis im Internet“ (1999). „Nazis raus aus dem Internet“ (Linkspartei.PDS 2000). „Mit der Etablierung von Rechtsextremisten im Internet wächst die Gefahr, dass immer mehr Menschen mit rechtsextremistischem Gedankengut in Berührung kommen“ (Verfassungsschutz Thüringen 2002). „Neonazis nutzen das Internet im großen Stil“ (netzgegenrechts.org 2005). „Nach Angaben des Verfassungsschutzes nutzen Rechtsextreme zunehmend den Internet-Dienst des so genannten Internet Relay Chat“ (Tagesschau 2005). „Neonazis nutzen das Internet, um sich weltweit mit Geistesverwandten zu vernetzen.“ (Die Zeit 2007) „Politologe: Rechtsextremisten nutzen Internet alarmierend effektiv“ (heise.de 2007). „Neonazis setzen immer mehr auf das Internet.“ (Tagesschau 2007) „Der Erfolg des modernisierten Rechtsextremismus in Deutschland scheint ohne das Aufkommen des Internets kaum denkbar.“(NPD-Blog.info 2007 und wortgleich die Tagesschau.)

Zunehmend, immer öfter, immer mehr, es wird immer alles schlimmer – stimmt das? Das ultrarechte Milieu nutzt die verschiedenen Dienste im Internet genau wie alle anderen auch, zum Teil schneller und eher als der Mainstream, zum Teil langsamer und mit großer Mühe. Die Zahl aktiver Nutzer ist überschaubar geblieben, auch die Zahl derjenigen, die sich in Foren und Web-2.0-Applikationen herumtreiben. Die technischen Trends sind nicht überraschend: Anfang und Mitte der neuziger Jahre waren Websites und private „Homepages“ eher die Ausnahme. Die deutsche Szene kommunizierte mehr oder weniger klandestin über ein knappes Dutzend Mailboxen, setzte also, wie die damalige Antifa, auf das falsche Pferd: Die archaische Technik eines Bulletin Board Systems ist heute fast ausgestorben. Propaganda machte man vorwiegend in den Newgroups des Usenet, dem ältesten Dienst des Internet.

1995 publizierte der US-amerikanische Nazi Milton Klein „On Tactics and Strategy for Usenet“ – ein Traktat, das einige wenige primitive Weisheiten einer jeden Werbeagentur wiederholt und damals wie heute nicht falsch ist: Man dürfe nicht gleich verraten, was man politisch will. Man solle nicht mit der Tür ins Haus fallen – „avoid the race issue.“ Man müsse die potenziellen Sympathisanten persönlich ansprechen. Man müsse seine Thesen so oft wie möglich wiederholen – „repeat powerful themes over and over and over.“Man solle sich mit dem politischen Gegner nicht unnötig herumstreiten. „Electronic ‚guerilla warfare‘, ‚hit and run‘ style, using short, ’self-contained‘ posts is a major component of our struggle.“

Am Ende des letzten Jahrtausends begann die Szene, das Internet kommerziell zu nutzen. Die ersten virtuellen „communities“ entstanden rund um die Versandhäuser, die Musik und Devotionalien des Milieus verkauften. Die Hochzeit der ultrarechten WWW-basierten Foren mit ihren zum Teil mehreren hundert Nutzern ist jetzt aus zwei Gründen vorbei. Wollen sie erfolgreich sein, müssen sie einen Gemischtwarenladen aus kontinuierlichen Informationen anbieten, garniert mit dem „Kuschelfakter“ der virtuellen Gemeinschaft. Neonazis verbreiten aber – mit wenigen ‚Ausnahmen – keine Informationen, sondern Propaganda, die nur die anspricht, die ohnehin Rassisten und Antisemiten sind. Politische Meinungen lassen sich durch Medien nur sehr schwer beeinflussen, darin sind sich die meisten Medienwissenschaftler einig. Außerdem ist der Versuch der größten Neonazi-Foren, dem strafrechtlichen Verfolgungsdruck in Deutschland dadurch zu entgehen, dass sie mitsamt ihren Nutzern zu ihren Gesinnungsgenossen in den USA auswichen, kläglich gescheitert. Bei skadi.net net – das größte „nationale“ Web-Forum weltweit – wird immer noch vorwiegend englisch gesprochen. Der oft pseudo-religiös verbrämte Antisemitismus der US-Nazis entspricht nicht dem eher neuheidnischen Mainstream in Europa, und der Diskurs über die szenetypische Musik, der in Deutschland vor allem regional verankert ist, fristet in großen internationalen Foren eher ein Schattendasein.

Der Trend in Deutschland ist seit etwa zwei Jahren klar abzusehen: Die Neonazi-Szene im Internet diversifiziert sich – die „Großen“ gewinnen. Private Homepages oder die von „Kameradschaften“ werden zunehmend uninteressant, obwohl die Technik privater Blogs die Hemmschwelle, selbst etws zu publizieren, herabgesetzt hat. Es gibt aber kaum jemand im braunen Milieu, der in der Lage ist, ein auch nur annähernd interessantes „Tagebuch“ im „Weltnetz“ zu schreiben oder dort aktiv zu werden, wo sich die digitalen Massen versammeln. Die wenigen Versuche, etwa Videos bei Youtube zu verbreiten, endeten im propagandistischen Desaster: Die meisten Nutzer verstanden die grottenschlechten Machwerke als Realsatire und kommentierten diese dementsprechend. Wer bei Youtube nach „NPD“ sucht, findet fast nur Comedy.

Die relevanten Websites kann man an einer Hand abzählen, nicht alle haben etwas mit der NPD zu tun. „Relevanz“ heißt: Ansatzweise verifizierbare Informationen zu bieten und nicht nur Agitprop, garantierte Kontinuität und Aktualität. Onlineverweise.de von Marco Kreischer und seiner Zeitzer Firma Enos-Shop bietet die zur Zeit größte und aktuelle Linksammlung ultrarechter „Heimseiten“, kombiniert mit einem Online-Shop und mehreren Blogs, die aber über das Stadium des Versuchs noch nicht weit hinausgekommen sind. Das „nationale Netztagebuch“ der NPD entspricht als eine der wenigen Websites dem heute möglichen Standard. Altermedia.info, die wichtigste Informationsquelle für die euroäische rechte Szene, ist schon lange eine eingeführte Marke. Das gilt zum Beispiel auch für das „Störtebeker-Netz„, ein Ein-Mann-Unternehmen des Stralsunder Neonazis Axel Möller, der sich aber nicht nur mit allen politischen Gegner anlegt, sondern auch mit den eigenen Gesinnungsgenossen.

Neonazis im Internet laufen aber immer wieder in die Kapitalismus-Falle. Informationen und Attribute eines Lebensgefühls sind Waren, die sich auf dem Markt gegen andere behaupten müssen. Wenn die Konkurrenz nur ein paar Mausklicks weiter lauert, muss man sich der anpassen. Die eigene „corporate identity“ verliert dann aber an Schärfe. Der verkrampfte Versuch, englische Lehnworte wie Internet einzudeutschen, lässt sich im Detail ohnehin nicht durchhalten. Begriffe wie „Usenet“, „Internet Relay Chat“ und Open Source kann man nicht deutschtümeln. Je mehr das Netz virtuelle Gemeinschaften schafft, durch 3D-Welten wie Second Life, das Millionenpublikum von Computerspielen wie „World of Warcraft“ oder das ältere „Age of Empires“, um so werden offen neonazistische Gruppen an den virtuellen Katzentisch verbannt, weil sie nur für politische Sektierer interessant sind.“

Im Netz werden Neonazis nur dann gefährlicher als in der Realität, wenn sie regional agieren und keine Konkurrenz haben. Dann füllen sie eine Marktlücke – mit Angeboten, die Freizeit zu gestalten, mit Musik, die das Lebensgefühl der potenziellen Sympathisanten unterfüttert, oder mit der Attitude des Underdogs. Verbote verstärken die Attraktivität. Nichts ist vorteilhafter für Neonazis als die Parole: „Wir würden gern unsere Meinung im Internet sagen, aber das ist uns verboten worden.“




Pact on the Self-discipline

model

Wie Heise berichtet, haben sich chinesische Websites zu einem „Chinese Pact on the Self-discipline on Visual-Audio Programs and Services of the Internet“ zusammengeschlossen. Auch die Nachrichtenagentur Xinhua will offenbar „nur noch ‚positive und gesunde‘ Inhalte verbreiten“. „In recent years, the Authorities have taken a series of measure to deal with pornographic and illegal activities on line, and many domestic websites have been closed down for involvement in illegal publications or services.“

So etwas haben wir in Deutschland schon. Es wäre ja noch schöner, wenn uns andere Länder zuvorkommen würden, wenn es um (Selbst)Kontrolle geht. Laut Heise geht es den Chinesen darum, „Gewalt, Pornographie, terroristische Inhalte und Werbung für Glücksspiel aus dem Web fernzuhalten.“ Aha. Im Usenet darf man das also weiter verbreiten.

Das hört sich doch gut gemeint an. Also werden sich zahlreiche Websites der Initiative freiwillig anschließen. Spontan haben das getan: burks.de, burksblog.de, spiggel.de, burkhard-schroeder.org, burkhard-schroeder.com, burkhard-schroeder.info, burkhardschroeder.de, qwertzuiopue.de und al-arabi.info. Diese Websites haben niemals das Böse [bitte selbst ausfüllen] in das Web [sic] gelassen und werden das auch weiterhin nicht tun (vgl. das positive und gesunde Foto oben).




Weitreichende Kommunikationsstörungen

Man mag mich als hyperkritischen Querulanten abtun oder als Nörgler, aber was da gegen die Vorratsdantenspeicherung an „Argumenten“ durch die Medien rauscht, finde ich zum Teil nur noch lachhaft. Insbesondere die Pressemitteilung des AK Vorratsdatenspeicherung vom 04.02.2008 und die Beispiele aus dem anonymisierten Schriftsatz überzeugen nicht. Das Problem scheint nicht nur die Vorratsdatenspeicherung zu sein, sondern auch die Ignoranz und penetrante Belehrungsresistenz der Betroffenen. Mein Mitleid hält sich daher in Grenzen, wenn ich mir das Gejammer anhöre.

Borg

[X] „schaltet sein Mobiltelefon seit Jahresanfang kaum noch ein, um eine Bewegungsdatenspeicherung zu verhindern. Damit ist er auf diesem Wege nicht mehr erreichbar, etwa für Pressekontakte.“ Meinen die mich? Das Handy ist schon immer die unsicherste Art zu kommunizieren, zumal die Gesetzeslage den Einsatz von IMSI-Catchern erlaubt, mit denen auch Unschuldige mal eben so abgehört werden konnen. Mit dem Handy erzeugt man ohnehin ein Bewegunsprofil. Das hat mit der Vorratsdatenspeicherung rein gar nichts zu tun. Wer das vermeiden willl, muss sich Prepaid-Karten aus dem Ausland besorgen.

[X] „berichtet, er unterlasse beim Surfen im Internet jede Aktivität im Bereich seiner Intimsphäre.“ Dann muss man das Gesetzesvorhaben ausdrücklich loben. Endlich kümmern sich die Surfer um ihre Privatsphäre! Und wenn die Vorratsdatenspeichung für unzulässig erklärt wird, dann ist den Surfern wieder alles egal?

[X] „Da ich mich bekanntermaßen antifaschistisch und politisch betätige muss ich davon ausgehen, dass meine Daten besonders geprüft werden. Darunter fallen natürlich auch private Kommunikationen. Seit in Kraft treten der Speicherung beschränken sich meine Telefongespräche und Internetkorrespondenz nur noch auf das wesentliche“. So ein Unsinn. Welche Daten werden wie „besonders geprüft“? Man sollte sich ohnehin so verhalten, dass so wenig Daten wie möglich anfallen. Private Kommunikation muss daher verschlüsselt werden. Wer das nicht will, darf nicht weinen und klagen. Und was war noch mal „Internetkorrespondenz“? Instant Messaging per Second Life? Internet Relay Chat? SMTP? Oder Postings im Usenet? All das sollte man ohnehin auf das Wesentliche beschränken und nicht das Internet mit sozialen Geräuschen vollmüllen. „Freunde und Bekannte schreiben unabhängig vom jeweiligen Inhalt weniger Emails und führen lieber persönliche statt Telefongespräche.“ Das ist wohl kaum emprisch beweis- und messbar. Wenn die Vorratsdatenspeicherung dazu führte, dass mehr persönlich miteinander gesprochen würde, fände ich das super. Aber natürlich nur in der Sauna oder im Schwimmbad, weil da am Körper angebrachte Wanzen auffallen und Richtmikrophone feucht werden.

[X] „…habe ich mich aus diversen Foren und chats zurück gezogen und somit leider auch keine Möglichkeit mehr mich mit anderen anonymen opfern aus zu tauschen.“ Schlicht Blödsinn. Man kann IRC und Pseudonyme benutzen und seine IP mit Tor schreddern.

„Gesprächspartner wollten etwa nur noch kurze Gespräche führen, oder es wird ein ‚Knacken in der Leitung‘, ein verlangsamter Internetzugang oder eine sonstige technische Störung gemeldet. […] moniert etwa, er habe ‚das eigenartige Gefühl, das eine dritte Person mithört'“. Jetzt gerät es zur Comedy. Wer eigenartige Gefühle hat, es würde jemand mithören, aber ansonsten keine Fakten beibringen kann, der sollte den Rat beherzigen, den Helmut Schmidt bei Visionen empfiehlt: Zum Arzt gehen! Was hat dieser gequirlte Quark in einem Schreiben an das Bundesverfassungsgericht zu suchen?

Den größten Quatsch verbreiten wieder hier schon behandelten Heiße-Luft-Spezialisten: „Viele Personen berichten, sie oder ihre Gesprächspartner setzten nun Verschlüsselung, Anonymisierungsdienste oder sonstige Umgehungstechniken ein. Bereits in der Beschwerdeschrift ist darauf hingewiesen worden, dass die Vorratsdatenspeicherung die Nutzung von Verschleierungsmöglichkeiten befördert und dadurch selbst im Fall schwerer Straftaten eine gezielte Überwachung vereiteln kann. Die Initiative ’no abuse in internet“ (naiin), eine von der Wirtschaft getragene Einrichtung zur Bekämpfung von Online-Kriminalität, befürchtet nun in der Tat, ‚dass die Aufklärung von per Internet verübten Straftaten durch die massenhafte Speicherung von Verbindungsdaten weiter erschwert wird.'“ Ja, unter diesen Umständen bin ich selbstredend für die Vorratsdatenspeicherung! Setzt mehr Verschlüsselung, Anonymisierungsdienste oder sonstige Umgehungstechniken ein!

„Der Journalist […] schreibt, er schränke seine Internetnutzung im Bereich der Recherche über die elektronischen Medien nun stark ein.“ Dann hat er den Beruf verfehlt und/oder keine Ahnung. Man kann sich dagegen schützen, ausspioniert zu werden. Die geplante Vorratsdatenspeicherung erstellt massenhaft Bewegungsprofile von normalen Bürgerinnen und Bürgern; Kriminelle fängt man natürlich nicht damit. Das Gesetz ist ohnehin nur ein Vorwand, um den Überwachungsstaat populistisch zu verkaufen.

[X] „ist Journalist / Chefredakteur für internationale und nationale Medien und berichtet: ‚Seit dem 01.01.08 haben wir größte Probleme mit Informanten die uns bei brisanten Angelegenheiten nur noch sehr begrenzt Telefonate oder elektronische Kommunikation einsetzen.’“ Ich wette, dass niemand bei diesem Medium verschlüsselt oder zum Beispiel eine anonyme Nachrichtenbox wie die German Privacy Foundation nutzt.

Fazit: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Ich weiß nicht, wen die mit dem Blödsinn beeindrucken wollen. Schäuble und Konsorten werden sich ins Fäustchen lachen.




Nazis sind Pop

Nazis sind Pop
Von Burkhard Schröder

Broschiert: 159 Seiten
Verlag: Espresso Verlag (2000)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3885207796
ISBN-13: 978-3885207795

  1. Prolog
  2. Deutschland den Deutschen
    – warum die Franzosen Recht haben
  3. Hilfe, die Nazis kommen!
    – Warum Michael Kühnen noch nicht tot ist.
  4. Dress und Code
    – Warum Yul Brynner, Telly Savalas und Carsten Jancker keine Glatzen sind.
  5. Nazis und Populärkultur
    – warum schwarze Uniformen sexy und Lichtdome erhaben wirken.
  6. Führer online
    – was Hacker, Nazis und Kinderschänder gemeinsam haben.
  7. Der Osten war rot
    – warum die Nazis immer noch Strasser lesen.
  8. Post und Faschismus
    – Warum Haider nur eine Fussnote ist.
  9. Zitierte oder erwähnte Bücher in der Reihenfolge ihres Auftretens
    • Kien Nghi Ha: Ethnizität und Migration, Münster 2000 (Website zum Buch)
    • Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus. Imperialismus. Totale Herrschaft.
    • Kurt Hirsch: Rechts von der Union. Personen, Organisationen, Parteien seit 1945. Ein Lexikon. München 1989
    • ID-Archiv im ISSG (Hg.): Drahtzieher im braunen Netz. Der Wiederaufbau der NSDAP. Ein Handbuch des antifaschistischen Autorenkollektivs Berlin. Berlin, Amsterdam o.J.
    • Antifaschistisches Autorenkollektiv: Drahtzieher im braunen Netz. Ein aktueller Überblick über den Neonazi-Untergrund in Deutschland und Österreich. Hamburg 1996
    • Jürgen Pomorin/Reinhard Junge: Die Neonazis. Dortmund 1979
    • Jürgen Pomorin/Reinhard Junge: Vorwärts, wir marschieren zurück. Dortmund 1979
    • Andreas Klärner: Aufstand der Ressentiments. Einwanderungsdiskurs, völkischer Nationalismus und die Kampagne der CDU/CSU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Köln 2000
    • Siegfried Jäger: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. Duisburg 1999
    • Burkhard Schröder: Neonazis und Computernetze. Reinbek 1995
    • Jochen Bonz/Intro: Meinecke Meyer Musik erzählt. Osnabrück 1998
    • Marcus Greil: Lipstick Traces. Von Dada bis Punk. Eine geheime Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Reinbek 1996
    • Mary Douglas: Ritual, Tabu und Körpersymbolik. Frankfurt/Main 1981
    • Paul Gilroy
    • Klaus Farin/Eberhard Seidel-Pielen: Skinheads. München 1993
    • Searchlight u.a. (Hg.): White Noise. Rechts- Rock, Skinhead- Musik, Blood and Honour. Münster 2000
    • Klaus Theweleit: Männerphantasien. (2 Bände) Frankfurt/Main 1980
    • Liane v. Billerbeck/Frank Nordhausen: Satanskinder. Der Mordfall Sandro B. Berlin 1994
    • Burkhard Schröder: Tron – Tod eines Hackers. Reinbek 1999
    • Stiftung Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (Hg.): Das Netz des Hasses. Rassistische, rechtsextreme und neonazistische Propaganda im Internet. Wien 1997
    • Bernd Wagner: Jugend – Gewalt – Szenen. Zu kriminologischen und historischen Aspekten in Ostdeutschland. Die achtziger und neunziger Jahre. Berlin 1995 (Hrsg. v. Berlin-Brandenburger Bilddungswerk e.V.)
    • Birgit Rommelspacher: Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und Macht.Berlin 1995
    • Irene Runge: Ausland DDR. Berlin 1990
    • Burkhard Schröder: Im Griff der rechten Szene. Ostdeutsche Städte in Angst. Reinbek 1997
  10. Weiterführende Literatur
    • Susanne Meinl: Nationalsozialisten gegen Hitler. München 2000. Rezension in der Jungle World, 28.6.2000
    • Dieter Baake, Klaus Farin Jürgen Lauffer (Hg.): Rock von Rechts 2. Milieus, Hintergründe und Materialien. Schriften zur Medienpädagogik 28. Bielefeld 1999
    • Rüdiger Sünner: Schwarze Sonne, Freiburg 1999 [Website zum Buch]
    • Klaus Farin – Bücher zum Thema Skinheads/Jugendkultur
  11. Rezensionen (Auszug)
    • „Nazis und Populärkultur“, Auszüge des Kapitels „Nazis und Popkultur“, Vorabdruck im Freitag, 27.10.2000
    • Sender Freies Berlin: Noten zur Literatur-Das Büchermagazin, 29.10.2000
    • „Nazis sind Pop – Burkhard Schröder über gute und böse Nazis, das Unwort „Ausländerfeindlichkeit“ und über widerwärtige Individuen, mit denen er nicht in einem Topf geworfen werden möchte“, Neues Deutschland, 02.12.2000, S. 21 (Interview Christa Matte)
    • Annette Rogalla: Kampf gegen populäre Mythen. taz, 12.12.2000
    • Werner Olles: Halblinke Ardenne-Offensive, Junge Freiheit 17.11.2000
    • Claus-M. Wolfschlag: Der Feind im eigenen Land, Junge Freiheit 17.11.2000
    • Christoph Dieckmann: Deutsche und Neger, Die Zeit, 21.12.2000 (56 KB)
    • Ute Hoffarth: „Die ganz normalen Nazis“, Südwest Fernsehen, 22.12.2000, 23.15 h
    • Andrea Roedig: Kleider machen Meute, Tagesspiegel, 18.02.2001, (77kb)
    • Martin Altmeyer: Zeitdiagnose: Erregung, Kommune Ausgabe Januar 2001
    • Heiko Schomberg: Endlich ein *gutes* Antifa-Buch! Januar 2001
    • Udo Feist: Tauchfahrt durch die populäre Triebabfuhr, Neue Musikzeitung. Mai 2001
    • Terz – autonome Stattzeitung für Politik und Kultur in Düsseldorf und Umgebung. Mai 2001
    • iaf – informationen – 1/2001
    Last update: 20.10.2022



Operation Heisse Luft

Der angeblich „riesige Kinderporno-Skandal“ unter dem Code-Namen Operation „Himmel“ hat sich als Operation Heiße Luft erwiesen. Das Reizwort „Kinderpornografie“ verführt deutschen Medien häufig zu einer kruden Mixtur aus Halbwahrheiten, urbanen Märchen und glatten Falschmeldungen.

Bei hoch emotionalisierten Themen wie „Kinderpornografie bei [bitte selbst ausfüllen]“ werden journalistische Standards oft genug missachtet. Man sollte erst etwas publizieren, wenn man die Fakten überprüft hat. Das Statement eines Polizei- oder Justizpressesprechers ist keine Tatsache, die man ohne weitere Recherche einfach übernehmen könnte. Das hat sich jetzt bei der Operation „Himmel“ wieder bewiesen: Viel heiße Luft und wenig dahinter.

Der öffentliche Diskurs verwandelt sich aber allzu schnell in bloße Moraltheologie mit hysterischen Untertönen. Die Schlagzeilen Großer Skandal! Noch größerer Skandal! Größter Skandal! (Reuters garantieren kurzfristig Aufmerksamkeit, kombinieren die voyeuristische Lust mit dem sanften Gruseln über Sex and Crime und das Böse im Internet und hinterlassen bei den Rezipienten ein hilfloses Gefühl. Oder man bewundert kritiklos die rastlosen Strafverfolgungsbehörden, die angeblich bis zur Erschöpfung gegen eine übermachtige Hydra von Kriminellen im Internet kämpfen – nach dem Motto: Die tun was.

Bei der „Operation Himmel“ existieren nur drei Quellen, von denen alle anderen Medien – auch die Falschinformationen – abgeschrieben haben: Der MDR („Größter Fall von Kinderpornografie in Deutschland“, 13.09.2007), Spiegel Online („Riesiger Kinderporno-Skandal schockiert Deutschland“, 24.12.) und die ARD („Großangelegte Aktion gegen Kinderpornografie“ 25.12.)

Zentrale These ist der mehrfach variierte Satz bei Spiegel Online : „Ein Sprecher des bayerischen LKA hatte (…) erklärt, Kinderpornos seien auf dem Server eines Berliner Internet-Anbieters deponiert worden. Dieser Anbieter, laut der ARD, Strato, habe dann die Polizei eingeschaltet, weil ihm ein enormer Datentransfer auf den Servern auffiel.“

Der Provider hat das dementiert: „Bei solchen Routineuntersuchungen werden in der Regel keine Inhaltsanalysen vorgenommen, im Einzelfall kann dies jedoch notwendig sein. Sofern Strato-Mitarbeitern durch solche Analysen oder insbesondere durch Hinweise Dritter strafrechtlich relevante Inhalte bekannt werden, prüfen wir eine Anzeigeverpflichtung und eine Einschaltung der Behörden im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen.“ Laut der Süddeutschen handele es sich offenbar „um ein Missverständnis“

Dennoch taucht die strittige Behauptung der ARD ohne weitere Recherche in zahlreichen Artikeln auf, als sei das schon bewiesen. Einer hat also gelogen: Peter Burghardt, der Sprecher des bayerischen LKA, oder Carsten Zorger, der Sprecher von Strato – ein Grund, hier weiter zu recherchieren. Aber das macht niemand. Wie sollte man denn von einem „auffälligen Datenverkehr“ bei einem Provider auf 12000 Verdächtige „in 70 Staaten“ kommen? Niemand wagt heute noch zu behaupten, Strato hätte Kinderpornografie gehostet. Das wäre ohnehin extrem unwahrscheinlich und spräche zudem für eine kaum noch vorstellbare Dummheit der Täter. Schon seit Mitte der neunziger Jahre ist auch den Ermittlungsbehörden bekannt, dass derartige – in Deutschland strafbare – Angebote auf passwortgeschützten Web- oder FTP-Servern und, wenn überhaupt, dann im Ausland liegen. Jedem hätte auffallen müssen, dass die These der ARD entweder etwas Falsches suggeriert oder technisch unsinnig ist.

Laut Reuters habe der bayerische LKA-Sprecher Peter Burghardt gesagt, die Dimension des Skandals sei enorm. „So was ist uns noch nicht untergekommen.“ Entweder ist Burghardt von den Ermittlern falsch über die Fakten informiert worden oder er hat bewusst nicht ganz die Wahrheit verbreitet. Man kann jedoch verlangen, dass der Pressesprecher eines Landeskriminalamts über die Rechtslage und die Fakten bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren seiner Behörde annähernd vertraut ist. Die Empörung kann nicht echt gewesen sein. Mittlerweile ist klar, dass die „Operation Himmel“ nur wenig zutage gefördert hat, was strafrechtlich überhaupt relevant ist.

Auch die reißerischen Überschriften haben sich allesamt als falsch erwiesen. Vom „größtem Skandal“ kann man ohnehin schon deshalb nicht sprechen, weil bei der „Operation Marcy“ im Jahr 2003 sogar von 23000 Verdächtigen die Rede war. Auch hier spielen einige Medien bei der Berichterstattung eine fragwürdige Rolle, da – laut der Zeitschrift Gigi – einige der sichergestellten und im Fernsehen gezeigten „Tatmittel“ in Bibliotheken öffentlich zugängliche und legale Bücher waren. Irrtümer nimmt aber kaum jemand zum Anlass, die eigene Berichterstattung zu relativieren oder die Rezipienten darüber aufzuklären, dass der „größte Skandal“ keiner war, sondern dass es sich um eine klassische Zeitungsente handelte. Ein „Regret the Error“ wäre angebracht, ist aber in Deutschlands Medien die große Ausnahme.

Der Tagesspiegel spekuliert immerhin – jedoch ohne Beweise -, wie das fragliche strafbare Material hätte angeboten und abgerufen werden können: „Wahrscheinlich wählten die Beteiligten ein Verfahren, bei dem eine eigentlich harmlos klingende Internetadresse über Chatforen oder Mailinglisten bekannt gemacht wird. Diese Adresse verweist dann auf eine private Seite, die bei einem Internetanbieter angelegt wurde. Von dort aus können sich Interessenten Filmdateien kostenlos herunterladen. Diese werden allerdings verschlüsselt. Sie lassen sich erst dann öffnen, wenn zuvor gegen Bezahlung ein entsprechendes Passwort erworben wurde.“ Wann Internetadressen „harmlos“ klingen, darüber kann ebenso gerätselt werden: hardcoreporn_for_adults.com etwa oder bluemchensex.biz?

Spiegel Online schlägt eine andere Methode vor: „Um die illegalen Filme von den Servern an die Interessenten zu bringen, nutzten die Anbieter offenbar Chatforen im Internet, dem Usenet oder einfach E-Mails.“ Auch das ist – so vage formuliert – ganz einfach Unfug. E-Mails mit kinderpornografischen Anhängen (unverschlüsselt!) sind ein urbanes Märchen wie die präparierten Leckbildchen, die auf Schulhöfen verteilt worden seien, um Schüler drogenabhängig zu machen. Die meisten Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornografie werden seit Jahren per Internet Relay Chat begangen. Dort kann man sicher und unbeobachtet Daten austauschen, ohne dass das zurückverfolgt werden könnte. Filesharing-Dienste, die etwa über Tor anynomisiert werden, kommen dazu. Deshalb verfehlt die Forderung des Mediendesigners und hauptberuflichen „Jugendschützers“ Friedeman Schindler nach Zensur des World Wide Web und „dass etwa die Betreiber von Chat-Rooms ein hohes Schutzniveau realisieren, damit nicht der Chat zur Anbahnung von Kontakten der Szene genutzt werden kann“, das Thema, ist bloßer Lobbyismus für die eigene Sache und technisch abwegig.

Viele deutsche Medien suggerieren in ihrer Berichterstattung missverständlich, es gebe Websites, auf denen jemand zufällig oder per Google Kinderpornografie finden könnte. Das ist so nicht richtig: Eindeutige Kinderpornografie ist so gut wie in jedem Land der Welt mit einem funktionierenden Rechtssystem verboten. Anonyme Websites, die keinem Provider zugeordnet werden könnten, gibt es aber nicht. Die Strafverfolger könnten also prinzipiell immer nachprüfen, wer eventuell Verbotenes hostet. Man sollte auch nicht unterschlagen, dass es dem US-amerikanischen FBI erlaubt ist, Lockspitzel-Angebote ins Netz zu stellen, also selbst strafbare Handlungen zu begehen und kinderpornografische Angebote zu verbreiten, um Kriminelle damit zu fassen. Das geschah etwa bei der „Operation Landslide“, die 1999 in den Medien als „der größte Schlag gegen die kommerzielle Kinderpornografie aller Zeiten“ bezeichnet wurde.

Der bloße Besitz von Bildern, auf denen eindeutig Pornografie mit Kindern – also sexueller Missbrauch – gezeigt wird, ist jedoch nicht in allen Ländern – auch nicht in Europa – mit Strafe bedroht. Pornografie wird in vielen Ländern und Kulturen ohnehin ganz unterschiedlich definiert. Meldungen, es gebe bei einem Fall Verdächtige in sehr vielen Ländern weltweit, haben also wenig Aussagekraft.

In Deutschland ist es sogar verboten, Fotos oder Texte zu besitzen, die ein nur „wirklichkeitsnahes“ Geschehen zeigen; in den USA hingegen sind Schriften, die in Deutschland Tonträgern und Daten in dieser Hinsicht gesetzlich gleichgestellt sind, ganz ausgenommen, auch Abbildungen, die keine reale oder keine mit einer realen Person identifizierbare Person zeigen. Pornografisches Material mit „kindlich“ aussehenden Mangas oder Avataren sind also in den USA erlaubt.

Der kleine Medienhype über „Kinderpornografie in Second Life“, vom Politmagazin „Report Mainz“ am 07.05.2007 angestoßen, berücksichtigt zum Beispiel weder die unterschiedliche Gesetzeslage in den USA – dort, also auch in Second Life, war das Rollenspiel legal – noch die Tatsache, dass im besagten Fall in Second Life überhaupt keine Kinder beteiligt waren. Die mehr als fragwürdigen Behauptungen von „Report Mainz“, die abgefilmten Szenen mit scheinbar minderjährigen Avataren würden sich „ins Gehirn brennen“ und Pädokriminelle zu weiterm Tun anstacheln, sind durch wissenschaftliche Untersuchungen nicht belegt. Die journalistische Grundregel, mindestens zwei unabhängige Quellen zu befragen, wurde ohnehin missachtet. Es steht bei der Berichterstattung über diese heikle Thema oft vorab schon fest, was als allgemeines moraltheologischen Fazit gewünscht wird: Das Böse wird immer mehr im Internet und ist überall.

Auch bei der „Operation Himmel“ spielten die Medien eine zentrale Rolle: Das Sat.1-Magazin „Akte„, vor allem „Schlüsselfigur“ Ronald Matthäi, der nach Angaben des Magazins mit den Ermittlungsbehörden zusammenarbeitet, scheinen eine wahre Obsession entwickelt zu haben, das Thema zu skandalisieren. „Akte“ geriert sich selbst als quasi-strafverfolgende Institution. Diese Attitude widerspricht auch dem meistzitiertem Satz Hans-Joachim Friedrichs‘ und dem unwidersprochenen Credo des deutschen Journalismus: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache“.

Nach der „Operation Mikado“ wurde sogar eine Anzeige bei der Staatsanwalt Dessau gegen die Redaktion von „Akte“ gestellt: „Ein Mitarbeiter der Akte-Redaktion übergab Oberstaatsanwalt Vogt Anfang 2006 Ausdrucke von kinderpornografischen Websites und machte sich damit strafbar, da er das illegale Material in seinem Besitz hatte. (…) Weiterhin habe ein Filmteam die Beamten bei den anschließenden Hausdurchsuchungen begleitet und dabei u.a. kinderpornographisches Material abgefilmt.“ Wenn man zum Beispiel der Website des LKA Bayern glaubt, ist das strafbar. Law Blog sieht das anders: „Die bloße Tatsache, (zahlender) Kunde eines Kinderpornoanbieters zu sein, führt übrigens noch nicht notwendig zur Strafbarkeit. Das liegt am Gesetz selbst. § 184 b Abs. 4 Strafgesetzbuch stellt nicht jeden Kontakt mit Kinderpornografie unter Strafe.“ Dort (dejure.org/gesetze/StGB/184b.html) steht wörtlich, die Verbote gälten nicht für „Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen.“

Auch über das „zielgerichtete Surfen“ war man sich bei der „Operation Himmel“ nicht einig. Oberstaatsanwalt Peter Vogt meint laut Netzeitung: „Schon wenn zielgerichtet mit bestimmten Begriffen nach Kinderpornografie gesucht werde, macht man sich strafbar.“ Wie diese Suchworte und vom wem gerichtsfest festgestellt und gespeichert werden könnten, darüber schweigt man sich aus. Auch diese Behauptung ist schlicht Unsinn. Der Anwalt eines Betroffenen wird auf Law Blog zitiert: „Einige Ermittler gaben sogar zu Bedenken, dass man auf solche Seiten beim Surfen auch „zufällig“ gelangen könne. Sie forderten, dass bei Verzeichnisseiten zumindest die Vorschaubilder angeklickt und die eigentlichen Fotos geöffnet werden müssten. Ansonsten gebe es keinen Beleg dafür, dass sich der Nutzer überhaupt für Kinderdarstellungen interessiert. Leider scheint es aber auch Behörden gegeben zu haben, die solche Anforderungen nicht stellten. (..) Als Konsequenz aus der Aktion „Himmel” kann man wohl nur dazu raten, Sexseiten überhaupt nicht mehr anzusurfen. Zu groß ist die Gefahr, dass (…) schon der Besuch auf legalen Seiten einen „Anfangsverdacht” bei den Fahndern auslöst.“

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger erklärte am 11.01.2007: „Es muss davor gewarnt werden, durch den guten Zweck der Bekämpfung der Kinderpornografie jedwedes Mittel als geheiligt anzusehen.“ Das ist ein Satz, der vor allem bei der Berichterstattung über das Thema Kinderpornografie im Internet in Zukunft von den Medien beherzigt werden sollte. Die Behauptung Sven Karges, des Leiters für den „Bereich Illegale Inhalte“ beim Verband der deutschen Internetwirtschaft (Eco), der laut Yahoo.com gesagt haben soll, die 12000 Kinderporno-Verdachtsfälle seien die „Spitze eines Eisbergs“, hat also mit der Realität rein gar nichts zu tun.

Und noch eine gute Nachricht, die aber kaum jemand verbreiten wird, weil sie der gefühlten Sicherheitslage des durchschnittlichen Medienkonsumenten widerspricht: Die Zahl der Sexualdelikte gegenüber Kindern sind seit 1970 rückläufig, die Aufklärungsquote im Vergleich zu ähnlichen Straftaten sehr hoch. Klaus Wichmann, Staatsanwalt aus Halle, sagte der Tagesschau in genau der Sendung (www.tagesschau.de/multimedia/video/video252624.html), in der von einem „riesengroßen Akandal“ die Rede ist, besonnen und ganz richtig: Die Zahl der Täter sei gleich geblieben, nur könne man heute besser ermitteln. Die Steigerung der Ermittlungserfolge um 56 Prozent im letzten Jahr beweisen genau das – wie bei jeder polizeilichen Kriminalstatistik – und nicht, dass es mehr Straftaten gibt. Es besteht also kein Grund zu der Annahme, in Zukunft werde man „immer mehr“ Kinderpornografie im Internet finden.

Dieser Artikel erschien am 31.12.2007 in Telepolis. Ich habe einige Links korrigiert und ergänzt.




Unzucht im Zusammenhang mit Minderjährigen

Drei KönigeSpiggel.de (23.12.2007): Bethlemen, Judäa. In den frühen Morgenstunden wurden die Behörden von einem besorgten Bürger alarmiert. Er hatte eine junge Familie entdeckt, die in einem Stall haust. Bei Ankunft fanden die Beamten des Sozialdienstes, die durch Polizeibeamte unterstützt wurden, einen Säugling, der von seiner erst 14-jährigen Mutter, einer gewissen Maria H. aus Nazareth, in Stoffstreifen gewickelt in eine Futterkrippe gelegt worden war. Bei der Festnahme von Mutter und Kind versuchte ein Mann, der später als Joseph H., ebenfalls aus Nazareth identifiziert wurde, die Sozialarbeiter abzuhalten. [mehr…]

Ist eine olle Kamelle aus dem Usenet, aber immer noch ganz nett, wenn einem zu Weihnachten nichts einfällt…