Unter Klassenreisenden

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Klassenreise, ca. 1978, irgendwo nicht weit von Hamburg. Ich war damals kurz vor dem Staatsexamen. Einer befreundeten Lehrerin waren die männlichen Lehrer ausgegangen, und sie bat mich auszuhelfen.

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Salami

salami

Mein Kater Salami, 1977

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Verrohte Mitte

mitte
Die Mitte (Symbolbild)

Christian Baron verabschiedet sich vorläufig von den sozialen Medien mit einem großartigen Text. Auf Facebook schreibt er:

Was reg ich mich also auf? (…) Die Attacken durch eine diskursrelevante Minderheit „hochwohlgeborener“ und/oder materiell bestens versorgter Leute verfehlen leider trotzdem selten ihre beabsichtigte Wirkung. Es fällt schwer, das einzugestehen. Denn wie gern würde ich behaupten, mir wäre alles egal, weil ich doch so stark sei! Aber, nein, das bin ich nicht. Ich bin schwach. Vor allem bin ich ökonomisch verwundbarer als fast alle anderen, die im Diskurstheater eine Stimme haben. Der Ausschluss aus diesem Theater, der bei „falscher“ politischer Haltung und aufgrund des Prinzips der Kontaktschuld droht, träfe mich ultimativ. Es ist alarmierend, wie viele Menschen nicht mehr damit klarkommen, dass es nicht nur ihre eigene, sondern auch viele andere politische Meinungen gibt, die unter Umständen ebenso berechtigt und durchdacht sein können. Mich beängstigt auch, wie viele Leute aus meinem Umfeld hinter vorgehaltener Hand eingestehen, sich zu Themen wie Corona oder Ukraine-Krieg aus Furcht vor sozialen oder beruflichen Sanktionen nicht öffentlich äußern zu wollen. Dass Rechtsextreme auf Widerspruch mit Feindseligkeit reagieren, ist nicht neu. Bedenklich ist aber, dass dieser Hass immer öfter auch aus der „Mitte“ und von „Linken“ kommt. (…)

Ich würde gern sehen, dass jemand aus dieser Blase reicher Beamter auf Twitter einem Menschen mit Migrationsgeschichte „Pseudo-Rassismus-Takes“ vorwirft. Das wird besagte Professorin nie tun, denn darauf würde ein berechtigter Sturm der Kritik folgen. Verachtung gegen „die da unten“ bleibt unter deutschen Intellektuellen aller politischer Richtungen aber leider sozial erwünscht. Es dürfte auf der Welt kaum ein Land geben, in dem die gesellschaftliche Linke sich so wenig für die soziale Klassenfrage interessiert wie in Deutschland. Einige andere – interessanterweise auch hier fast nur solche, die ihre Schäfchen längst im Trockenen haben – rückten zuletzt alle Erstunterzeichner des „Manifests für Frieden“ (zu denen ich zähle) sowie die inzwischen beinahe 800.000 Mitunterzeichner öffentlich in die Nähe der Neuen Rechten und der „Querdenker“. Sie diffamierten die von ca. 30.000 Menschen besuchte Kundgebung „Aufstand für Frieden“ vom 25. Februar in Berlin als „rechtsoffen“. Diese Lüge ist ideologisch motiviert, denn sie zielt darauf, jeden zum Schweigen zu bringen, der die NATO-Propaganda genauso kritisch bewertet wie die russische.

Abenteuerlicher wurde es ansonsten nicht mehr, aber durchaus brutaler. Denn „Linke“, „Mittige“ und Rechte griffen nach meinen Zeitungstexten zu Krieg und Sozialer Frage zu Baseballschlägervokabeln wie „feige“, „armselig“, „erbärmlich“, „asozial“, „Pussy“, „Warmduscher“ und „Verlierer“. Manche wollten mir das Wahlrecht entziehen oder drohten mir körperliche Gewalt an. (…)

Von Rechtsaußen bis ins progressive Milieu hinein hat sich eine verrohte Mitte etabliert, die eine unversöhnliche Aggressivität gegen Andersdenkende mit vermeintlicher moralischer Überlegenheit rechtfertigt.

Als Marxist habe ich den Vorteil, dass mein Menschenbild sich nicht verschlechtern kann. Denn ich habe kein Menschenbild. Eine materialistische Weltanschauung geht nach meinem Verständnis davon aus, dass kein Mensch von Natur aus „gut“ oder „böse“ ist. Fast immer sind es die sozialen Umstände, die uns zu guten oder schlechten Wesen machen. Das Sein bestimmt das Bewusstsein.

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Puerto Ayacucho

puerto ayacucho

Puerto Ayacucho am Orinoco, Venezuela, 1998. (Da „puerto“ schon Hafen heißt, wäre „der Hafen von Puerto Ayacucho“ doppelt gemoppelt.) Ich habe auf der Avenida Paseo gestanden. Auf der anderen Seite ist Kolumbien.

Ich kann mich übrigens erinnern, dass ich da zur Mittagszeit herumgelaufen bin, obwohl mich die Leute gewarnt hatten. Die Hitze machte mir nichts aus, aber plötzlich wurde ich von Myriaden winziger Fliegen überfallen, deren Stiche weh taten und sogar kleine Blutflecke hinterließen. Die waren kleiner als die gewöhnlichen Moskitos. Vermutlich waren es Sandmücken, mit denen ich schon in Belize 1979 heftig zu kämpfen hatte und die sogar durch die Maschen eines Moskitonetzes schlüpfen.

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Frohe Ostern und Chag Pessach sameach!

rosinenkuchen

Mein Rosinenkuchen schmeckt sowieso immer, Ostern oder Pessach.

Das Hebräische kann ich übrigens mittlerweile nicht nur aussprechen, sondern auch schreiben: חג פסח שמח.

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Herrmänner

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Einige aus meiner Männergruppe, vermutlich 1986, an der Mauer in Kreuzberg. Wir machten damals die Zeitschrift Herrmann. Vgl. auch „Unter Männern“ (05.11.2018) Von links nach rechts: Heinz, Helge, ich, Enno und Martin (keine Ahnung, was aus ihm geworden ist). (Das ist nicht das Original-Foto, sondern eine eingescannte Kopie auf Papier.)

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Guckst du

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Meine Katzen Salami und Antares, Knesebeckstrasse 76 in Berlin-Charlottenburg, ca. 1978

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Burks erklärt Dinge

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Fotografiert ca. 1996, mit dem Sohn einer meiner Ex-Lebensabschnittsgefährtinnen im Garten meiner Eltern in Unna.

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Kreuz! Klima! Karfreitag!

Katrin Göring-Eckhardt von den Grüninnen schreibt:
Heute ist #Karfreitag. Christ*innen wissen: Am dritten Tag kommt Ostern. Aber damals muss das Gefühl von Ausweglosigkeit und Ausgeliefertsein, nichts mehr tun zu können, bedrückend gewesen sein. Das können heute viele verstehen und empfinden genau so. #Klimakrise #Artensterben

Gideon Böss kommentiert auf Fratzenbuch: „Am Freitag hat sich Jesus ans Kreuz geklebt und siehe, drei Tage später stieg das Römische Reich aus der Atomkraft aus.“ (Evangelium nach Katrin)

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Top Secret

top secret leaked

Wir müssen heute etwas zur staatsbürgerlichen Aufklärung beitragen. Ich möchte hier aber keinen Abgrund von Landesverrat buddeln – außerdem wüsste man nicht, ob zu ungunsten der Ukraine oder zu ungunsten Russlands. Die New York Times scoopte: „Ukraine War Plans Leak Prompts Pentagon Investigation – Classified documents detailing secret American and NATO plans have appeared on Twitter and Telegram.“

Man wartet natürlich als beunruhigter besorgter Bürger auf die Qualitätsmedien, ob die ihrer Pflicht nachkämen, wie es allda so prägnant heißt: Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muß er umfassend informiert sein, aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben. Die Presse hält diese ständige Diskussion in Gang; sie beschafft die Informationen, nimmt selbst dazu Stellung und wirkt damit als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung. In ihr artikuliert sich die öffentliche Meinung; die Argumente klären sich in Rede und Gegenrede, gewinnen deutliche Konturen und erleichtern so dem Bürger Urteil und Entscheidung.

Aber mitnichten. Keine Links zu den ominösen Dokumenten, nirgends. So sind sie eben, die Qualitätsmedien. Entweder zu faul oder zu dumm zum Suchen und Finden. Oder die Attitude vor sich hertragend: Im Gegensatz zu uns könnten die splitternackten Fakten die Bevölkerung beunruhigen. Die Leser mögen mit dem vorlieb nehmen, was wir ihnen geruhen, in indirekter Rede mitzuteilen. Mehr müssen sie nicht wissen.

top secret leaked

Das gefällt mir nicht. Ich habe also gesucht und gefunden, was jeder tun kann, dessen Intelligenzquotient größer ist der einen Aschenbechers. Und ich kann noch nicht einmal Russisch. Einige dieser „Fundstellen“ sind eher versteckt und mit Inhalten gefüllt, die man noch nicht einmal mit der Kneifzange anfassen möchte. Seriöse Quellen sehen anders aus. Andere kennt man schon und kann einschätzen, in wessen Sinne sie Propaganda machen.

Ich bin nicht überzeugt, dass diese „Top Secret“-Dokumente echt sind. Es könnte genauso gut eine False-Flag-Operation der Russen sein. Man sieht die Truppenstärken und -Einheiten auf dem gesamten Kriegsschauplatz in der Ukraine. Der Stern räsonniert: Versuche der US-Regierung, die Dokumente löschen zu lassen, seien bisher nicht erfolgreich gewesen, schrieb die Zeitung. Die Unterlagen wurden über die Social-Media-Plattformen Twitter und Telegram verbreitet. Die Dokumente seien fünf Wochen alt und enthielten keine konkreten Pläne für Angriffe oder größere Offensiven, hieß es. (…) Russische Militärexperten könnten aus den Unterlagen dennoch wertvolle Informationen ziehen, wie zum Beispiel Zeitpläne für Waffenlieferungen oder ukrainische Truppenstärken…

Wenn das alles so harmlos ist, warum denn dann das Getue? „Die Dokumente löschen lassen“? Haben die USA die Russen in Dubai oder Berlin angerufen oder Elon Musk und denen gesagt: So geht das aber nicht? Warum sollten die Russen Informationen über ihre eigene Truppenstärke irgendwo hin posten, wo sie jeder finden kann?

Außerdem sehen die Screenshots so aus, also führen die USA und die Ukraine einen Krieg wie im 19. Jahrhundert: Karten auf Papier, die da so herumliegen? (Wer druckt die eigentlich?) Und vielleicht noch kleine hölzerne Panzerchen, die man hin- und herschiebt?

Aber man weiß nie. Vielleicht sind die dümmer, als man denkt.

top secret leaked

Ich gehe davon aus, dass beide Seiten recht genau von der anderen Seite weiß, wo die sind und wie viele und was die so können, obwohl ich der US-amerikanischen Aufklärung mehr zutraue als den Russen. Man muss sich eher fragen, ob es genug fähige Kommandeure mit passender Infrastruktur und Technik gibt, die so handeln, dass das Wissen auch an der Front und bei der Logistik ankommt.

Mit einem haben die Russen aber recht – und das beweisen auch die Dokumente: „Die veröffentlichten, als geheim eingestuften Dokumente unterstreichen, dass es sich bei dem Konflikt in der Ukraine um einen geopolitischen Konflikt zwischen Russland und den USA sowie deren Satelliten-Staaten handelt.“

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Unlucky Backup, revisited

luckybackup

Hatten wir schon mal, und ich habe nichts dazugelernt. Die Bibel sagt treffend dazu: „Wer aber beharret bis ans Ende, der wird selig.“

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Plaza Bolivar

barquisimeto plaza bolivar

Barquisimeto, Venezuela, Plaza Bolivar, Frühjahr 1998. Vermutlich stand ich auf der Calle 25.

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Unter Positionierenden

technikerin ayacucho
Technikerin beim Positionieren eines Routers (Symbolbild)

Kein Aprilscherz: „Techniker eingesperrt, weil Internet nicht funktionierte“.

Öhm. Eigentlich wollte der Geschädigte nur den alten Anschluss von o2 auf Glasfaser umstellen. Hierzu müsste der Router allerdings, statt wie zuvor im Flur, im Wohnzimmer positioniert werden.

Was soll das denn? Es sollte doch egal sein, wo der Router steht, wenn die Wohnung nicht so groß ist wie ein Fußballfeld?!

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Burks.de 20 Jahre

O je. Jetzt habe ich das 20-jährige Jubiläum dieses Blogs verpasst. Beim 25-jährigen bitte rechtzeitig vorher erinnern!

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Räder müssen rollen

puerto ayacucho

Straßenszene in Puerto Ayacucho, Venezuela (Februar 1998)

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Unter elitären Flintenweibern oder: Der Zukunft getreue Kämpfer

kpd

Ich darf die geschätzte Leserschaft mit drei Zitaten behelligen, die niemandem etwas sagen außer mir.

Der Elitarismus, der hinter diesem »Phönix-Komplex« steht, bewog nach den Ergebnissen des Kongresses »Glaube, Kult, Seelenheil«, der 1996 stattfand, in den 1970er Jahren viele ehemalige Mitglieder der Neuapostolischen Kirche, zu den K-Gruppen zu wechseln, um religiöse gegen politsche Auserwähltheit einzutauschen. (Aus: Andreas Kühn: „Stalins Enkel, Maos Söhne: Die Lebenswelt der K-Gruppen in der Bundesrepublik der 70er Jahre“ – „Das Werk von Andreas Kühn wurde 2004 an der Universität Düsseldorf unter dem Titel „Der Zukunft getreue Kämpfer: Die maoistischen K-Gruppen als Lebenswelt junger Intellektueller in der Bundesrepublik Deutschland 1970 – 1980″ als Dissertation angenommen.“)

maoisten

Daß die Mädchen, untoupiert mit der Pille in der Handtasche, Parolen brüllen und Fensterscheiben einwerfend durch die Straßen rannten, reaktiviert die deutsche Männerphantasie vom kommunistischen Flintenweib. (Aus: Kurt Holl und Claudia Glunz: „1968 am Rhein: Satisfaction und Ruhender Verkehr“, zitiert nach Kühn.)

Dazu könnte man recht viel schreiben, aber ich muss das hervorragende Buch erst bis zum Schluss lesen. Man könnte auch ununterbrochen „heilige Scheiße!“ rufen.

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Hybride Regime oder: Die verratene Revolution

sowjetunion
survey findingsThe map reflects the findings of Freedom House’s Nations in Transit 2021 survey, which assessed the status of democratic development in 29 countries from Central Europe to Central Asia during 2020. Freedom House introduced a Democracy Score—an average of each country’s ratings on all of the indicators covered by Nations in Transit—beginning with the 2004 edition. The Democracy Score is designed to simplify analysis of the countries’ overall progress or deterioration from year to year. Based on the Democracy Score and its scale of 1 to 7, Freedom House has defined the following regime types: Consolidated Authoritarian Regime (1.00–2.00), Semi-Consolidated Authoritarian Regime (2.01–3.00), Transitional/Hybrid Regime (3.01–4.00), Semi-Consolidated Democracy (4.01–5.00), Consolidated Democracy (5.01–7.00). (Credits: Freedom House)

Wir müssen über die Sowjetunion den russischen Kapitalismus reden. Wie unterscheidet sich dieser vom Kapitalismus „westlicher“ Prägung? Ist er weniger entwickelt? Oder ist er anders, weil er aus dem sowjetischen Staatskapitalimus geboren wurde? Schon die richtigen Fragen zu stellen, ist extrem kompliziert.

Dieter Segert hat das in einem Essay versucht: „Post-sowjetischer Kapitalismus als Gesellschaftsform – Russland und Ukraine im Vergleich.“

Als Ex-Maoist zuckt man natürlich bei Zitaten wie diesem zusammen: „Die Formierung der herrschenden Klasse bzw. der kapitalistischen Klassenfraktionen (…) begann im Zuge der Gorbatschowschen Perestroika“. Erst dann – und nicht schon viel früher? Wir meinten damals, dass die Sowjetunion nur dem Namen nach ein sozialistischer Staat gewesen sei. (Und ich meine heute, dass spätestens seit Stalin von „Sozialismus“ nicht wirklich die Rede sein konnte.) In der an Marx und Engels orientierten Geschichtswissenschaft war ein „Zurückentwickeln“ einer Gesellschaftsform aber nicht vorgesehen: Der Kapitalismus kann zum Beispiel nicht zurück zum Feudalismus. Was soll man also vom Zerfall der „sozialistischen“ Staaten halten? Und wie wird das alles enden?

Die Größe eines Landes ist irrelevant: Ob die Sowjetunion zerbröselt wäre oder nicht, wirkt sich nicht auf den Charakter der Ökonomie aus. Ob Luxemburg, Venezuela oder USA: Analytisch ist das alles der gleiche Kapitalismus. Heute muss man fragen, ob die Ökonomie Russlands prinzipiell anders ist als die in den Anrainerstaaten, die vorher zur Sowjetunion gehörten? Meiner Meinung nach nicht.

Segert schreibt: In Russland und der Ukraine bildete die Umwandlung von Staatsbetrieben durch Privatisierung den Kern des Übergangs zu einer Form des Kapitalismus. Die damit verbundene Entstehung einer Klasse von kapitalistischen Unternehmern und Lohnarbeitern kann auch mit dem Marxschen Begriff als (für diese Gesellschaften historisch zweite) ursprüngliche Akkumulation bezeichnet werden. In diesem Fall diente sie der Auflösung der nur formellen, staatlich-zentralisierten Einheit von Produzenten und Produktionsmitteln.

Obwohl die Entstehung des kapitalistischen Privateigentums in allen post-sozialistischen Staaten gleichermaßen stattfand, trug sie in den beiden betrachteten Staaten, in Russland und der Ukraine, spezifische Züge. Sie erfolgte in großem Umfang als Insiderprivatisierung, einem Direktverkauf an das Management der Unternehmen oder über den Umweg einer Voucherprivatisierung an die Belegschaften, wobei die Voucher später durch deren Besitzer weiterverkauft und in den Händen von Finanz-Industriegruppen konzentriert wurden. Verkäufe an ausländische Investoren spielten nur eine untergeordnete Rolle.

Diese Coupon-Privatisierung war selbstredend ein großer Betrug, der nur als Mäntelchen diente, den ausgebeuteten Klassen die Illusion zu lassen, sie besäßen irgendetwas. Am Ende hatte sich nur das Personal der herrschenden Klasse geändert, nicht aber der Charakter der Klassenherrschaft. Das kann man mit dem Übergang von der römischen Republik zur Kaiserzeit vergleichen: Beide Formen fußten (mehr oder weniger) auf der Arbeit von Sklaven, waren analytisch also identisch, aber die Herrschenden regierten anders: Der Senat als klassische Form, wie sich die Sklavenhalterklasse in der Republik organisierte, gab die Macht mehr und mehr ab an eine einzelne Person und deren Günstlinge. (Alle Vergleiche hinken.)

Der Besitz an Produktionsmitteln gruppierte sich nach der Privatisierung um „Clans“, die miteinander politisch konkurrierten, sowohl in der Ukraine als auch in Russland. Die beschriebene Transformation der Eigentums- und sozialökonomischen Verhältnisse wurde in Russland noch durch massiven Einsatz politischer Gewalt bewerkstelligt, sowohl durch den misslungenen Putschversuch eines Teils der politischen Klasse im August 1991 als auch durch die Gewalt, die der russische Präsident Jelzin im Oktober 1993 gegen das Parlament anwendete. In der Ukraine spielte Gewalt ebenfalls eine Rolle im Prozess der Entstehung des Kapitalismus, hier besonders in der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Fraktionen der nationalen Bourgeoisie. (…)

Die Entstehung kapitalistischer Wirtschaften in beiden Staaten war mit einem Abbau des in der staatssozialistischen Periode vorhandenen Systems sozialer Absicherung verbunden: einem Schutz vor Entlassungen, einer weitgehend kostenlosen Gesundheitsversorgung und einem entsprechenden Bildungssystem.

Letzeres halte ich ebenfalls für irrelevant: Auch im „westlichen“ Kapitalismus – etwa in den USA – ist es nur eine Frage lokaler Traditionen, ob sich der Staat sich um so etwas kümmert (bei uns wegen Bismarck), oder ob jeder selbst um sich sorgen muss und der öffentliche Schulsektor nur da ist, damit das Proletariat nicht vollkommen verblödet und damit für den Arbeitsmarkt ungeignet wird. Dito Gesundheitsvorsorge.

Die Ukraine gilt nach dem Nations-in-transit Index von Freedom House“ vom letzten Jahr als Hybrides Regime, also ein Regime, in dem es Elemente sowohl von Demokratie als auch Autokratie gibt, Russland als Konsolidiertes Autoritäres Regime. (siehe oben)

Die Kategorie „Regime“ halte ich für ungeeignet, um die Ökonomie und den Charakter eines Staates zu beschreiben. Aber analytische Tiefenschärfe erwartetet man von einem privaten US-amerikanischen Think Tank wie Freedom House natürlich nicht. Wir haben „ein Regime“ in Nicaragua, Afghanistan, Usbekistan, Brunei, Ägypten – und ist eine Monarchie wie Jordanien ein „Regime“?

Siegert schreibt: Der Kapitalismus, der in den beiden betrachteten Staaten nach 1991 entstanden ist, unterscheidet sich von anderen Typen des globalen Kapitalismus. (…)

Wesentlicher war allerdings der steigende Einfluss eines ethnischen Nationalismus sowohl in Russland (hier besonders ab 2011, als es zu verstärkten Protesten der städtischen Mittelschicht kam) als auch in der Ukraine (v.a. mit der Präsidentschaft von Juschtschenko, 2005-2010). Der ethnische Nationalismus wurde vollends mit dem Krieg von 2022 zur alles beherrschenden Legitimationsideologie der politischen Macht. In Russland ist die nationalistische Ideologie mit einer imperialen Komponente verbunden, die sich in der Konzeption einer „russischen Welt“ äußert. Man kann dieses Konzept verschieden lesen, entweder als Grundlage für den Einfluss Russlands auf Staaten mit russischer Minderheit in der Bevölkerung oder als Formulierung direkter Gebietsansprüche über die Grenzen der heutigen Russländischen Föderation hinaus. Die ukrainische Variante des Nationalismus richtet sich dagegen auf eine ethnische Homogenisierung der Bevölkerung im Rahmen der Staatsgrenzen.

Der neue Kapitalismus in den ex-sowjetischen Ländern sucht sich also eine ideologische Legitimät zusammen und findet sie, wie gewohnt, im Nationalismus, der – auch wie gewohnt – stark rassistische Züge trägt, und irrational ist das sowieso. Russland besteht aus vielen Völkern, genau wie China – der herrschenden Klasse muss anders „argumentieren“ als in der Ukraine (oder auch in Polen), wo alles einfach unterdrückt wird, was nicht der fiktiven Idee des Staatsvolkes entspricht. In Russland wähnt man sich im Kampf gegen den Westen, eine Methode also, die alle arabischen Regime, der Iran und die Warlords der „Palästinenser“ benutzen, um ihre korrupte Herrschaft zu legitimieren – nur ist dort der Feind nicht der Westen, sondern Israel als pars pro toto.

Interessant ist Siegerts Fazit:
1. Die entstehende Unternehmerklasse erwuchs, zumindest in ihrer obersten Schicht, aus den Privatisierungen des vormaligen Staatseigentums. In gewissem Sinne hatte das Trotzki 1936 in seiner Schrift Die verratene Revolution vorhergesagt. Im Unterschied zu Trotzkis Prognose verwandelte sich jedoch nicht die Nomenklatura insgesamt in eine Kapitalistenklasse, sondern es waren Personen aus der Nomenklatura (Jelzin, Krawtschuk, Kutschma u.a.), die einer Gruppe von Managern von Staatsbetrieben oder ausgewählten Personen der intellektuellen Dienstklasse einen Aufstieg in die Klasse kapitalistischer Eigentümer ermöglichten.

Neben dem weltanschaulichen Kitt des Nationalismus spielt die Apathie der „Werktätigen“ eine Rolle:

2. Die im „Konsumsozialismus“ entstandene Lebensweise von Teilen der Bevölkerung unterstützte die Transformation in Richtung auf den Kapitalismus. Zudem wirkte sich ihre passive Orientierung gegenüber der Politik aus, welche aus den autoritären Strukturen des Staatssozialismus und der dadurch geformten politischen Kultur erwuchs. Dadurch erduldete diese Mehrheit der Bevölkerung die sozialen Verwerfungen der Transformationsperiode ohne aktiven Widerstand. So bildete sich der andere Pol des Kapitalverhältnisses, eine eigentumslose arbeitende Bevölkerung, die sich der Produktions- und Lebensweise anpasst.

Langer Rede kurzer Sinn: Der Kapitalismus in der Ukraine und Russland ist vergleichbar, nur die Legitimationsbasis der Herrschenden unterscheidet sich.

Mein Fazit: Die russisch-ukrainische Version des Kapitalismus ist eher eine, die keine Zukunft hat, weil sie vom Verkauf der Rohstoffe lebt, aber nicht flexibel genug ist, sich selbst zu reformieren. Das machen die Chinesen um Klassen besser. Und warum ist zum Beispiel das winzige kapitalistische Israel trotz ungünstigster Ausgangsbedingungen eine Start-Up-Nation? „In gewisser Weise hat Israels Wirtschaftsentwicklung das 20. Jahrhundert übersprungen, wodurch die klassischen Stützpfeiler anderer Industrienationen wie Kfz-Produktion, Maschinenbau, Chemische Industrie und Schwerindustrie fehlen.“

Russland und die Ukraine jedoch leben offenbar noch im 20. Jahrhundert und werden beide ihr Tafelsilber verkaufen müssen. Nur wird Russland länger durchhalten.

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Unter Cyberneusprechenden

censored

„Vertreter Chinas und Kubas haben heute ein Abkommen über Cybersicherheit [was ist das denn?] unterzeichnet, das den Willen ihrer Regierungen bestätigt, für ein Internet zu arbeiten, das auf der Entwicklung und dem Wohlergehen der Völker basiert.

Frage: Dient Zensur – wie in Deutschand und China praktiziert – dem Wohlergehen „der Völker“?

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Von Barinas über Maporal nach Palmarito, revisited

Barinas

Ich kann mein Posting „Llanos“ (26.03.2023) ergänzen. Ich war in einer preiswerten Unterkunft in Barinas abgestiegen, wo genau, kann ich leider nicht mehr nachvollziehen. Ich hatte meinen Coleman Peak 1 Multi-Benzinkocher] dabei, der hier schon oft lobend erwähnt wurde. Heute sieht das Nachfolgemodell natürlich anders aus, aber wenn ich noch einmal einen brauchte, wäre Coleman, auch wegen des Preis-Leistungsverhältnisses, erste Wahl. Ich sage nur: unkaputtbar! Getestet mit (nicht empfohlenen) Normalbenzin bei Minusgraden auf knapp 4.500 Höhenmetern!). Hier kochte ich mir – mit Blick auf den Hof – einen Kaffee. Die Herberge war in der Nähe eines Marktes.

Ich habe noch einmal in meinem Büchlein nachgesehen, in dem ich Notizen für meinen Roman gemacht hatte. Ich fand dort einen Eintrag über den Trip von Barinas nach Süden zum Rio Apure bzw. Palmarito mit der nicht geplanten Zwischenstation auf einer Ranch inmitten der Pampa Llanos.

reisetagebuch

Der Fluss, an dem uns der Fahrer absetzte, war der Rio Caparo Viejo, und das Kaff der Ort hieß Maporal. Bei Google gibt es sogar noch ein Foto der Fähre, mit der ich übersetzte – es scheint sich nicht viel geändert zu haben seit 1998. Die Ranch lag ungefähr auf halbem Weg zwischen Maporal und Palmarito. (Vielleicht hier?) Eine Straße scheint es immer noch nicht zu geben, deswegen war damals der Traktor nicht schlecht als Mitfahrgelegenheit.

Der Papagei wohnte auch in meiner „Pension“ in Palmarito. Ich bekam nur einen Platz für meine Hängematte, wurde aber überaus freundlich behandelt, vermutlich auch wegen der Empfehlung des Ranchers, mit dessen Leuten ich dort angekommen war. Auch in Palmarito war ich der einzige Ausländer…

papagei palmarito

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Klartext vom Vorsitzenden des Ausschusses

Im Guardian liest man Klartext vom Vorsitzenden des Ausschusses, der die Geschäfte der Bourgeoisie organisiert: Political correctness has stopped us from weeding out vile criminals who prey on children and young women…

Ach?! Das hat natürlich nichts mit dem Islam zu tun.

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