Bedauerliches, auf Linie gebracht

woman reading marx
Durch ein bedauerliches Missgeschick wurde für dieses Blog-Posting ein unpassendes Foto gewählt.

Was haben wir?

Mann. Messer. Psychisch gestört. Schwer verletzte Kinder. Berlin. Michael?

– Der MDR hat ein „millionenfach gesehenes“ Video manipuliert: um es dramatischer wirken zu lassen! An einer Stelle wurden die Schreie des Aktivsten einfach zweimal hintereinander geschnitten – um sein Leid unter der Schmerz-Maßnahme der Polizei länger und schlimmer erscheinen zu lassen. Der Sender bewarb seine Doku also mit einer dreisten Fälschung – und diese ging viral.

Der MDR: Nach Durchsicht aller MDR-Veröffentlichungen zu dem Thema ist uns bei dem Short auf Youtube beim Abmischen der Tonspur ein unerklärbares bedauerliches Missgeschick passiert.

So ganz zufällig? Polizei pöhse. Klimakleber gut – in den Herzen der Redakteur*_&%Innen.

– Der DJV-JVBB (ich bin Mitglied) instragramt unglaublich hip, hipster und so was von cool seinen zahllosen Followern, dass künstliche Intelligenz gut schlecht sei, nur dürfte niemand seinen Job verlieren. Gut, dass wir darüber geredet haben.

– Der Verein Säkularer Islam fordert Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf, die Kooperation mit dem Zentralrat der Muslime sofort einzustellen. In einem Brief an die Ministerin (…) fordert der Verein Säkularer Islam, umgehend das Verbot des IZH und die Schließung der Imam-Ali-Moschee in Hamburg. In dem zweiseitigen Schreiben des Vereins um die Soziologin Necla Kelek heißt es: Wir fordern Sie auf, die Zusammenarbeit, Kooperationen und Gesprächsformate mit dem Zentralrat der Muslime (ZMD) einzustellen. Zumindest so lange das IZH und seine Umfeldorganisationen dort Mitglied sind.“

Das halte ich für den falschen Ansatz. China will Muslime auf Linie bringen. Moscheen zu Turnhallen!

– And now for something completely different. Nutzt hier jemand Windows und Edge? (via Fefe)

– Muss hier jemand akkadische Texte übersetzen?

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Am Arauca

rio arauca

Uferpromenade des Rio Arauca in Elorza, Venezuela, fotografiert im März 1998.

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Unter Staatstrojanern (m/f/d)

secondlife
Online-Durchsuchung und Chatkontrolle in Secondlife (2007)

Da ist sie wieder, die gute, alte Online-Durchsuchung, von der immer noch niemand zu sagen weiß, wie sie denn funktionieren soll. Jetzt hat sie sich das Kostüm „Chatkontrolle“ umgehängt und geistert geheimnisvoll raunend durch die Medien.

Durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ durften Behörden versteckte Schadsoftware auf Computern, Laptops und Smartphones platzieren.

Soso, lieber Kollege Jakob Schirrmacher, der nach eigenen Angaben „1987 noch nicht gelebt“ hat und, ebenfalls nach eigenen Angaben, freier Journalist, Autor, Dozent für Medien und Digitalisierung ist, also so etwas wie ich, nur ohne Zweitberuf, und, ebenfalls nach eigenen Angaben, jemand ohne PGP-Schlüssel auf der Website. Die dürfen „versteckte Schadsoftware“ auf meine Linux-Rechner beamen, womöglich von fern, wenn ich gerade nicht hingucke, warum es verdächtig ruckelt?

Ich habe da mal eine Frage: Wie machen „die“ das? Vielleicht darf man das gar nicht fragen, weil es supergeheim ist? Und hatte das Bundesverfassungsgericht die so genannte TKÜ (Quellen-Telekommunikationsüberwachung) nicht 2008 verboten? Da warst du doch schon geboren, lieber Kollege?!

artikel

Mir ist eine „drohende“ Chatkontrolle übrigens völlig schnurzpiepegal. Ich mache das so, wenn ich nicht ohnehin das quelloffene Signal benutze: Ich rufe irgendein IRC-Programm auf. Vorher habe ich mich per verschlüsselter E-Mail mit meinen Mitverschworenen (m/f/d) verabredet, dass wir uns auf irc.brasirc.com.br treffen und dort einen passwortgeschützten Kanal eröffnen. Und dann chatten wir und tauschen Daten aus.

Nein, ich habe eine bessere Idee. Wir loggen uns mit halbnackten Avataren in Secondlife ein und treffen uns in einem Adult-Segment (irgendwas mit Porn) oder treffen uns auf meiner Sim, umbraust von virtuellen Sandstürmen und die virtuellen Waffen immer griffbereit, um Chatkontrolleure virtuell abzumurksen.

Ich finde ein Gesetz zur Chatkontrolle gut und richtig. Dann befassen sich die, die jetzt noch zum Thema ahnungslos herumfaseln, endlich mit Sicherheit und Datenschutz. Oder halten die Kresse, was auch nicht schlecht wäre.

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Orinoco backstage, revisited

orinocoorinoco

Diese Fotos ergänzen Orinoco backstage vom 09.08.2012. Die Fotos habe ich 1998 am Orinoco in Venezuela gemacht – auf der südlichen Seite bei La Arenosa. Wir setzten mit der Fähre über nach Cabruta. Der Orinoco ist in der Regenzeit hier so breit, dass man das andere Ufer kaum sehen kann. Ich war mit dem Bus unterwegs von Elorza im Süden nach Caracas – es war die letzte Reisewoche.

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Overdressed

burks

Auf dem Hof der Skalitzer Strasse 33 in Kreuzberg, Mitte der 80-er Jahre.

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1967 und danach

1967Ich lese gerade das hervorragende Buch Tom Segevs „1967: Israels zweite Geburt“ (2005).

Sehr interessant, dass alle Fragen, die heute in Israel diskutiert werden, schon damals aktuell waren, also vor dem Sechstagekrieg, der dazu führte, dass Israel sein Staatsgebiet erheblich vergrößerte, einschließlich Judäa und Samaria, der Golan-Höhen und ganz Jerusalem. Ich dokumentiere eineinhalb Buchseiten über ein Memorandum, das damals estellt wurde.

Das College hatte eine Studie über die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des Westjordanlands und die Auswirkungen einer Besetzung auf die israelische Wirtschaft in Auftrag gegeben. Ihr Verfasser Zvi Zussman gelangte zu dem Schluss, dass Israel es wirtschaftlich durchaus verkraften könne, die Westbank zu besetzen und zu annektieren.

Peled brachte in diesem Zusammenhang allerdings einen Begriff ins Spiel, der aus der Mode gekommen war: In diesem Fall, so sein Einwand, werde sich »der Jischuv« — eine alte Bezeichnung für die jüdische Gemeinschaft vor der Staatsbildung in Palästina — die anspruchsvol.leren Berufe sichern, während sich die arabischen Arbeiter zwangsläufig auf die »körperlichen Tätigkeiten« würden beschränken müssen, eine Trennung, die wirtschaftliche wie soziale Probleme aufwerfen würde.

Ausführlich ging Peled außerdem auf die demographische Bedeutung des Westjordanlands ein. Die arabische Bevölkerung werde spätestens 2050 mit dem jüdischen Bevölkerungsanteil gleichziehen, wahrscheinlich aber schon 2035 und in einigen Gebieten noch früher. Er ging davon aus, dass Israel die arabischen Bewohner der Westbank nicht deportieren würde und ihnen auch ihre Bürgerrechte nicht würde vorenthalten können. Das laufe auf einen Block von vierzig bis fünfzig arabischen Abgeordneten in der Knesset hinaus. Die Araber würden zur zweitgrößten, vielleicht sogar zur größten Gruppe im Parlament werden. Israel würde sich mit einer großen Zahl arabischer Minister abfinden und mindestens einem von ihnen ein »wichtiges« Ressort mit großem Budget anvertrauen müssen. Auch einige Botschafterposten würde man an Bewohner des Westjordanlands vergeben müssen, denn »solche Positionen kann man nicht auf immer und ewig nur den eigenen Leuten vorbehalten«.

Einige jüdische Gruppen würden den Arabern diese Rechte vielleicht zu nehmen versuchen, die daraufhin eine Revolte anzetteln und dadurch die jüdische Mehrheit zwingen könnten, mit einer Politik der eisernen Faust zu reagieren, unter Einschluss von Restriktionen und der Schaffung spezieller Ansiedlungsrayons. So drohten sich Rassismus und Unterdrückung zu entwickeln, die »wir als Volk und als Juden verabscheuen und die unseren Staat in ein zweifelhaftes Licht setzen und auf der internationalen Bühne in eine schwierige Lage bringen würden«. Der Begriff »Ansiedlungsrayon« spielte auf die Beschränkungen der Niederlassungs- und Bewegungsfreiheit an, die den russischen Juden unter der Zarenherrschaft auferlegt worden waren.

In der arabischen Bevölkerung würden vermutlich Oppositionsbewegungen entstehen, fuhr Peled fort, und Israel würde Maßnahmen ergreifen, die für einen »Polizeistaat« charakteristisch seien. Wenn die Araber nicht in der israelischen Armee dienen müssten, würde sich die arabische Jugend zum harten Kern einer nationalen Befreiungsbewegung entwickeln. Gebiete mit hoher arabischer Bevölkerungskonzentration könnten zu Stützpunkten für Terroristen werden.

Da man den Arabern Bildungseinrichtungen zur Verfügung würde stellen müssen, werde innerhalb kurzer Zeit eine gut ausgebildete Schicht von Arabern heranwachsen, die mit den Juden um die anspruchsvoljen Jobs in Konkurrenz träte. Die Trennung zwischen Juden und Arabern werde sich auf Dauer nicht aufrechterhalten lassen. Araber würden in die groBen Städte an der Küste ziehen, und in den Vororten würden arabische Elendsviertel entstehen. Die dadurch erwachsenden sozialen Probleme erforderten hohe öffentliche Ausgaben. Zudem würden die Araber die Lebensweise jener Israelis beeinflussen, die eine ähnliche kulturelle Herkunft besaßen, insbesondere der Misrachim, der orientalischen Juden. Auch zu Eheschließungen zwıschen Angehörigen der beiden Gruppen werde es kommen, warnte Peled.

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Tráfico

caracas

Daily dose Venezuela: Caracas, fotografiert im März 1998. Ich habe mir nicht notiert, wo das war. Ich tippe auf die Kreuzung Avenida Lecuna – Avenida Sur 9 in nordwestlicher Richtung. In der Nähe habe ich gewohnt.

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Ding!

chess

Herzlichen Glückwunsch, Genosse Ding Liren!

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Gamedesign, reloaded

isfahanisfahanisfahanisfahanisfahanisfahanisfahanisfahan

Ich kenne nicht viele Gor-Sims in Secondlife, deren Design ich neidlos bewundere. Isfahan ist eine davon, eine fantasievolle Architektur, die sich wohltuend von dem abhebt, was man überall schon gesehen hat. Der Gamedesigner ist übrigens auch Deutscher.

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Unzoomig

bigbluebutton

„Zoom ist der Versuch, Menschen, die miteinander in einer Videokonferenz kommunizieren wollen, in den Strudel des Überwachungskapitalismus zu ziehen.“ (Digitalcourage)

Ich weiß schon, warum ich einen eigenen BigBlueButton-Server habe. (Danke, Minuskel!)

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Bitte beflaggen Sie sich

1. mai

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Iglesia de la Virgen de Altagracia „La Caimana“

Iglesia de la Virgen de Altagracia

Es war extrem schwierig herauszufinden, wo und was ich – vermutlich im Februar – 1998 fotografiert hatte. Ich tippte zunächst auf Barquisimeto oder Quibor. Die Schrift auf der kleinen Tafel den der Mauer bekam ich nicht entziffert. Dann habe ich per brute force und Goolge images search nach iglesia Barquisimeto und iglesia Quibor gesucht. Das dauerte eine halbe Stunde meiner kostbaren Lebenszeit.

Es gibt nur zwei Fotos der Kirche: auf Flickr von Patricia Brolati und bei Jose Pepe Polo. Es ist die Iglesia de la Virgen de Altagracia „La Caimana“ in Quibor an der Avenida Baudilio Lara.

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Er hat [bitte selbst ausfüllen] gesagt

neger

Deutsche Journalisten bei der Nachricht, Boris Palmer habe „Neger“ gesagt

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Besser gucken

brillenladen

Ich habe meinen Optiker gewechselt, der mir zu teuer wurde. Also weg von der Kleinbourgeoisie, hin zur Großbourgeoisie. Nur halb so teuer – und ich kriege für rund 500 Euronen noch eine Sonnenbrille mit Gläsern in meiner Stärke dazu. Da kann man nicht meckern. Den Laden kann ich auch empfehlen, weil der junge Mann, der mich sehr kompetent bediente, sich als Gamer outete und wir gleich ins Fachsimpeln kamen, was virtuelles Hauen und Stechen angeht.

Meine Augen werden besser, einer der wenigen Vorteile des Alterns.

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What a day!

KI

Via Cirque du Kitsch, Instagram

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Brunsviger, karamellig-apfelig

Königsberger KlopseKönigsberger Klopse

Das erste Gericht wurde hier schon mehrfach lobend erwähnt. Das untere ist neu: Brunsviger oder: Dänischer Karamellkuchen mit Röstapfelpurree.

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Unter Eidechsenrennern

Tharlarion raceTharlarion raceTharlarion race

Hat jemand schon einmal mit einem Avatar an einem Drachen- bzw. Eidechsenrennen teilgenommen? Wenn nicht: So sieht das dann aus. Nein, ich war nur Sportjournalist Zuschauer. Die Viecher sind Tharlarions, also virtuelle Eidechsen im Saurier-Format, die ziemlich weit und hoch springen können.

Chor des Publikums im Hintergrund: „Was es nicht alles gibt!“

Es existiert sogar eine eigene Liga dafür in Secondlife. Die Rennstrecke war in Isfahan.

[Sorry, über das Posting lach ich mich gerade kaputt. Ich weiß nicht, warum genau.]

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Iglesia San Francisco

Iglesia San Francisco

Iglesia San Francisco, Coro, Venezuela, fotografiert im Januar 1998, vom Innenhof aus. Warum mir diese Kirche so viel bedeutet, habe ich hier schon geschildert.

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Das Kreuz mit der Sucht IV

Wer wird süchtig?

– aus meinem Buch Heroin – Sucht ohne Ausweg?“ (1993)

Wer immer Drogenabhängige therapieren will, hat auch eine Theorie über die «Sucht», um seine Maßnahmen zu rechtfertigen. Dabei ist es mehr als merkwürdig, dass die schwache Basis, auf der diese Theorien stehen, kaum jemals einer radikalen Kritik unterzogen wurde. Wer sollte das aber tun, wenn nicht die Ärzte und Therapeuten, deren Arbeitsplätze gerade von der Definition des Drogengebrauchs als «Krankheit» abhängen!

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Credits: DrugAbuse.com

Dabei zeigt schon ein flüchtiger Blick auf die theoretischen Voraussetzungen, dass das, was die Suchtexperten über die Persönlichkeit bzw. den Charakter der Drogen-Konsumenten zu wissen glauben, auch auf einen großen Teil der Bevölkerung zutrifft, der relativ «drogenfrei» lebt. «Psychisch Schwache» greifen zu Drogen: Heißt das, dass der Rest «psychisch stark» ist? Gilt diese «Schwäche» nicht auch als Merkmal derjenigen, die in Sekten und ähnlichen Organisationen landen; kann man totalitäre religiöse oder politische Vereinigungen dann als «Droge» verstehen? Selbst wenn wir dem orthodoxen psychiatrischen Ansatz, dem Christiane Schmerl diese Ansichten zuschreibt (1), zubilligen, Symptome von Persönlichkeitsstörung bei Heroinabhängigen manchmal richtig beobachtet zu haben, heißt das noch lange nicht, dass diese Symptome zum Drogenmissbrauch geführt haben.

Die Frage bleibt offen, warum seelisch Kranke viele Verhaltensauffälligkeiten zeigen, darunter aber kaum jemals Drogenmissbrauch.

Unlogisch ist auch der Schluss, dass eine Behandlung dieser Störungen zur Abstinenz führen könnte oder sollte. Wenn die Drogeneinnahme «primär Symptom eines psychischen Konflikts» sei, garantiert das nicht — wenn der Konflikt nicht mehr vorliegt -, dass der Patient Drogen in Zukunft nicht auch aus anderen Gründen nimmt. Diese Ansätze könnten nicht erklären, folgert Schmerl kritisch, «wieso es eigentlich zu bestimmten Zeiten zu einem epidemischen Anstieg von Drogengebrauch und -abhängigkeit kommt». Die beobachteten frühkindlichen Störungen und negativen Erfahrungen, die angeblich zum Drogenmissbrauch disponieren, seien «keineswegs spezifisch für Drogenabhängige, sondern finden sich bei anderen ‘unangepassten’ ebenso und – nicht zu vergessen – auch bei unauffälligen, als ‘normal’ klassifizierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen». (2) Außerdem bleibt die Frage offen, warum «wirklich seelisch Kranke viele Verhaltensauffälligkeiten zeigen, darunter aber kaum jemals Drogenmissbrauch». (3)

Sollte die Opiat-Abhängigkeit eine eigenständige psychische Krankheit sein? Zu dieser These hat sich bisher noch niemand durchgerungen. Angesichts der zweifelhaften empirischen Basis der meisten Untersuchungen über Drogensucht wäre sie aber auch sehr gewagt: Die Drogenabhängigen in Kliniken, Gefängnissen oder Therapie-Einrichtungen, die zum Thema befragt und untersucht werden, sind schlicht für Konsumenten nicht repräsentativ. Und selbst gravierende methodische Fehler, die in jedem anderen Wissenschaftszweig den Vorwurf der Unseriösität nach sich zögen, werden bei den Theorien über Sucht schweigend entschuldigt. «Die meisten Untersuchungen arbeiten zwar mit Kontrollgruppen, diese müssten sich aber nur im Merkmal der Drogenabhängigkeit unterscheiden.» (4)

Das führt zu so obskuren Vergleichen wie dem zwischen drogenabhängigen Jugendlichen aus der Unterschicht mit drogenfrei lebenden aus der Mittelschicht. Schmerl führt das Beispiel an, dass sich die Merkmale Jugendlicher, die ohne Drogen auskamen und sich freiwillig für eine Befragung zur Verfügung gestellt hatten, und Drogenabhängiger, die ebenfalls freiwillig Auskunft gaben, mehr glichen als die zweier Kontrollgruppen – drogenfrei lebend oder drogenabhängig – von straffälligen und internierten Jugendlichen.

Therapeutischen Maßnahmen gegen die «Drogensucht» sollte mit erheblichem Misstrauen begegnet werden.

Da die psychiatrischen und psychoanalytischen Ansätze einer Sucht-Theorie ohnehin weder zwischen verschiedenen Drogen noch zwischen Abhängigen und gelegentlichen Konsumenten unterscheiden, sollte, so Schmerl, den therapeutischen Maßnahmen gegen die «Drogensucht» mit erheblichem Misstrauen begegnet werden. Bei Heroin komme noch hinzu, dass es «viel eindeutiger eine geschlechtsspezifische Ungleichverteilung zugunsten männlicher Adepten» gebe, «ein Verhältnis, das noch keinen Drogenforscher zu der Behauptung hingerissen hat, Männer seien eher neurotisch prädisponierte Drogenpersönlichkeiten». (5)

Die eher sozialisationstheoretischen Ansätze, die das Umfeld oder, noch grober: die Gesellschaft für Drogenmissbrauch verantwortlich machen, erfreuen sich vor allem deshalb großer Beliebtheit, weil sie sich durch populäre Stammtisch-Theorien bestätigt wissen und durch die Medien relativ simpel darzustellen sind. Die klassische Heroin-Story ist so einfach gestrickt, dass sie ein journalistischer Anfänger als Gesellenstück vorlegen könnte, ohne jemals einen Junkie zu Gesicht bekommen zu haben: Ein armes Mädchen aus chaotischen Familienverhältnissen (mangelnde Liebe usw.) gerät auf die schiefe Bahn, hängt an der Nadel und klopft endlich, nach mancherlei schlimmen Erfahrungen, an die Tür einer Therapie-Einrichtung, wo sie gerichtet, nein, gerettet wird? (6)

Auch in dieser Argumentation ist keinerlei zwingende Logik zu erkennen. Die statistische Häufigkeit von Merkmalen, die angeblich den Drogenkonsum fördern, wie sexueller Missbrauch in der Kindheit, mangelnde Zuwendung, «broken home», gestörtes Verhältnis zum Vater, wahlweise zur Mutter, Pubertätsprobleme, verzögerter Reifungsprozess, grassierende Arbeitslosigkeit usw. bedeutet noch keinen kausalen Zusammenhang. Bestätigt wird diese Kritik auch durch die schlichte Tatsache, dass 40 Prozent der Drogenabhängigen die «suchtfördernden» Merkmale – aus sozialisationstheoretischer Sicht — nicht haben, sich aber die gleiche Anzahl von Nichtabhängigen mit diesen negativen Voraussetzungen plagen muss.

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Credits: DrugAbuse.com

Wenn zwei Dinge gleichzeitig auftreten, etwa – wie in Schleswig-Holstein – die höchste Geburtenrate und die größte Anzahl von Storchen-Populationen, heißt das nicht, dass eines die Ursache des anderen ist. Detaillierte Untersuchungen in England ergaben, dass zwar ein Zusammenhang zwischen der Verschlechterung der sozialen Situation insgesamt und dem Anstieg des Heroin-Konsums bestehe, dass der Schluss aber falsch sei, die ökonomische Lage mit ihren Folgen für die Familien bewirke eine Zunahme von «Sucht-Persönlichkeiten». (7)

Auslöser für den (ersten) Drogenkonsum sei keine psychische Störung, sondern eine jedem Menschen mehr oder weniger stark immanente Neugier.

Ein dritter Ansatz für die Erklärung des Drogen-Konsums – vor allem im anglo-amerikanischen Raum verbreitet – baut auf den Prämissen der Lerntheorie auf. Es sei nachgewiesen, so Schmerl, dass «bei Beginn, Beibehaltung und Rückfall im Heroin-Gebrauch sich das Wirken klassischer Lernprinzipien beobachten und mit Erfolg zur Erklärung von Drogenverhalten heranziehen lässt». (8) Diese Lernprozesse seien bei jedem Menschen gleich, wenn er in eine dementsprechende Situation gerate, es bedürfe daher zur «Entwicklung einer Abhängigkeit keiner persönlichkeitsspezifischer Zusatzannahmen». Ähnlich argumentiert auch der Kieler Arzt Gorm Grimm: Auslöser für den (ersten) Drogenkonsum sei keine psychische Störung, «sondern eine jedem Menschen mehr oder weniger stark immanente Neugier, ein Erlebnisdrang, der zwar fatale Folgen haben kann, aber doch für sich gesehen eine ganz normale menschliche Motivation darstellt».

Die wissenschaftliche Diskussion in den USA war in den sechziger Jahren noch von der Voraussetzung ausgegangen, Drogenkonsum sei ein Quasi-Rückzug aus der Gesellschaft. Den Street-Gangs, die sich mehr auf kriminelle Aktionen spezialisierten, und den Jugendbanden, die mehr auf «action» aus waren und nur ihr Territorium verteidigten, stellte man diejenigen sozialen Abweichler gegenüber, die sich in die Traumwelt der Drogen zurückzogen («retreatist adaptation»). Deren Motto: «A flight into inactive phantasy in the face of a harsh world.»

Ende der sechziger Jahre wandelte sich das Bild, somit auch die Theorie. Nicht mehr der abgedriftete, passive «freak» galt als der Drogenkonsument an sich, sondern der Straßenjunkie als «resourceful entrepreneur», der ständig aktiv sein musste, alert, flexibel, und der in der Lage war, seinen «Beruf» erfolgreich auszuüben. Nicht der kranke, zurückgezogene oder lernunfähige Straßenjunge probiert zuerst Heroin, sondern derjenige, der abgebrüht, schlau ist und respektiert wird, vor allem die Anführer der Straßengangs. HeroinKonsum gilt als Beweis der Männlichkeit: Bist du Manns genug, es zu nehmen? Kannst du damit umgehen, oder kontrolliert es dich? (9)

Im lerntheoretischen Ansatz zur Sucht spielen diese Beobachtungen eine wichtige Rolle. Positive Verstärker der Gruppe, in der man sich bewegt, können den Wunsch erzeugen, durch die Droge Anerkennung und Geltung in der Clique zu bekommen. Was positiv empfunden wird, führt in der Regel zur Wiederholung des Verhaltens. Dabei ist die real erlebte Wirkung der Droge weniger bedeutsam: Dass der Erst-Konsument von Heroin sich körperlich schlecht fühlt, kann durch die positive Verstärkung der Gruppe überlagert werden.

Die Droge ist Teil des sozialen Status, ja kann sogar, wie in England untersucht, für diejenigen ein wichtiges Element des «lifestyle» werden, denen der traditionelle soziale Aufstieg durch Arbeit verwehrt bleibt. Der hier eingeführte Begriff der «sozialen Ansteckung» besagt, dass Neulinge von erfahrenen Drogengebrauchern initiiert werden, dass die Meinungsführer in einer Gruppe eine wichtige Rolle spielen, ob jemand eine Droge probiert oder nicht – ungeachtet seiner Persönlichkeit.

War noch in den sechziger Jahren der Anführer in subkulturellen Gruppen «tough», zeichnete sich also vorwiegend durch körperliche Stärke und Fitness aus, wandelte sich das Bild: Jetzt musste man «cool» sein – eine Aussage über eine bestimmte psychische Qualität, deren Vorhandensein insbesondere durch Heroin suggeriert wird.

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Credits: Crest View Recovery Center

Die positiven sozialen und, bei erfolgter Gewöhnung, auch psychischen Verstärker werden ihrerseits ergänzt durch negative Verstärker: Wenn man die Entzugssymptome der Droge vermieden hat, ist das ein Erfolg. Die Assoziationen «Droge – positive Sensation» und «Droge -Beendigung negativer Sensationen», so Christiane Schmerl, bekämen selbst psychische Qualität. Der Nachweis dieser These werde auch dadurch geführt, dass durch medizinische Opiatgaben abhängig gewordene Personen — trotz gleicher psychischer Konstellation – sich nicht zu Heroin-Abhängigen entwickelten, «solange sie nicht lernten, ihre körperlichen Beschwerden auf die Abwesenheit von Opiaten zurückzuführen, das blitzartige Verschwinden der Beschwerden nicht mit einer erneuten Dosis assoziierten». (10)

Einige Lerntheoretiker sprechen sogar von einem «künstlich» erzeugten Trieb — eine sprachliche Anleihe aus der klassischen Psychoanalyse: Die Drogenabhängigkeit sei ein «Zustand eigengesetzlicher Art», der aufgrund «der ihm innewohnenden Konditionierungsmechanismen nicht mehr als ‘Symptom’ für irgendeine ‘primäre’ Krankheit, Neurose usw. angesprochen werden kann, weil er unabhängig von ehemaligen Motiven oder Gründen seine Eigendynamik entwickelt habe».

Aufklärung, da sind sich die meisten Fachleute einig, schützt nicht vor Drogenkonsum.

Dieser Ansatz zur Erklärung, was Sucht sei, gibt keinen Anlass zu Optimismus. Gerade das «aufregende» Erleben in der illegalen Drogenszene führe zu Verhaltensgewohnheiten, die kaum zu verändern seien, da sie nach dem Prinzip der «unregelmäßigen (intermittierenden) Verstärkung» aufgebaut seien. Heroin-Abhängige müssen eine Reihe von Fertigkeiten entwickeln, um sich den Stoff zu beschaffen. Sie sind in der Regel in ihrem «Metier» recht erfolgreich. Diese Flexibilität, auf die unterschiedlichsten Situationen angemessen zu reagieren – die unregelmäßige Verstärkung —, erzeuge aber weitaus festere und schwerer zu lösende Muster als regelmäßige Verstärker (wie etwa im Schulunterricht). Als Konsequenz des lerntheoretischen Ansatzes steht daher eher die Prävention im Vordergrund, nicht aber die Rehabilitation Drogenabhängiger.

Doch ist damit etwas gewonnen? Was kann Prävention anderes sein als die Vermittlung von Verhaltensnormen? Die hehre Absicht, Menschen zu veranlassen, das Böse zu meiden und das Gute zu tun, scheitert auch in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft. Aufklärung, da sind sich die meisten Fachleute einig, schützt nicht vor Drogenkonsum. Ohnehin lässt sich der Nutzen von Einrichtungen, die um Prophylaxe bemüht sind, nicht messen: Wie soll man kontrollieren, ob jemand durch eine Beratung vor Drogenmissbrauch geschützt wurde? Prävention, so kann man vermuten, dient vor allem der moralischen Beruhigung derer, die mit dem Thema Drogen befasst sind. Man hat getan, was man konnte. Wer dennoch uneinsichtig ist, dem ist nur begrenzt zu helfen.

Die Gründe, warum Menschen Drogen nehmen, sind so vielfältig, dass man sie nicht in einen Begriff wie «Sucht» pressen und diese dann pauschal zur Krankheit erklären kann.

Die Gründe, warum Menschen Drogen nehmen, sind so vielfältig, dass man sie nicht in einen Begriff wie «Sucht» pressen und diese dann pauschal zur Krankheit erklären kann. Was in der einen Gesellschaft als «Abhängigkeit» von psychothrophen Substanzen und als «unkontrolliertes» Verhalten gilt, ist in der anderen ein wenig beachteter Teil des alltäglichen Lebens. Natürlich muss der Staat die Bürger und Bürgerinnen davor schützen, andere und sich selbst in Gefahr zu bringen – aber um welchen Preis? Die Definition dessen, was wir als «Sucht» verstehen, beantwortet immer auch die Frage, wie weit wir unsere eigene Verantwortung selbst in die Hand nehmen wollen oder das anderen überlassen.

_______________________________________________
(1) Ch. Schmerl (1984), S. 48 ff
(2) ebd., S. 55
(3) G. Grimm, (1985), S. 77
(4) Ch. Schmerl (1984), S. 66
(5) ebd., S. 77
(6) Bei allem Respekt für die brillante journalistische Leistung Marie-Luise Scherers, die für ihre Reportage über einen Fixer «Auf deutsch gesagt: gestrauchelt» mit dem Kisch-Preis ausgezeichnet wurde: Auch der Junkie und Held «Manni» endet in der «Therapie» Synanon, was den Leser zu der verfrühten Annahme verleitet, damit sei ihm geholfen. [Einer der besten Reportagen, die ich jemals gelesen habe! Die eindeutig beste Geschichte ist auch von ihr: Der unheimliche Ort Berlin über eine Leiche im Kreuzberg der 80er-Jahre. Jeder Satz wie gemeißelt, und kein Wort überflüssig. („Eine Frau darf scharf aussehen, den Pelz einer geschützten Tierart tragen und Gold auf den Lidern, wenn ihr darüber nicht das irisierende Moment von Sperrmüll abhanden kommt.“) Man muss abwechselnd schallend lachen, oder es stehen einem die Haare zu Berge. Ich habe die Scherer damals bei ihren Recherchen persönlich kennengelernt. Sie war oft im legendären Slainte in der Oranienstrasse. Meine damalige Freundin wohnte in der Naunynstrasse. Ich war damals noch kein Journalist, kannte aber einige der Protagonisten ihrer Reportage, zum Beispiel „Schmutzfuß“, „Pille“. Santana“ und „Chaota“.]
(7) So J. v. Scheidt, der in seinem Buch «Der falsche Weg zum Selbst. Studien zur Drogenkarriere» (1976) behauptet, die Schädigung der Drogen-Konsumenten durch die Eltern werde «auf seiten der Frau natürlich noch durch den allgemeinen Drang nach Emanzipation» vorangetrieben. Vgl. Geoffrey Pearson: Social deprivation, unemployment and patterns of herein use, in: N. Dorn/N. South (1987): Zwischen 1979 und 1981 stieg die Arbeitslosigkeit in England von 1,5 Mio. auf 3 Mio., die parallele Zunahme des Rauschgiftkonsums war aber nicht der ökonomischen Entwicklung geschuldet, sondern hing mit ganz anderen Faktoren zusammen.
(8) Ch. Schmerl (1984), S. 110
(9) G. Pearson, in: N. Dorn/N. South (1987), S. 80
(10) Ch. Schmerl (1984), S. 112

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Museum of Holography

Museum of Holography

Postkarte aus dem Museum of Holography, New York. Die Ausstellung war damals in der 11 Mercer Street. Ich habe es am 19. oder 20.09.1979 besucht. Wahrscheinlich ist das Projekt im Virtual Museum of Holography aufgegangen.

Artists jumped on the technology in the mid-1960s, and a Museum of Holography was founded on Mercer Street in SoHo in 1976, with a first exhibition that went on to travel around the world…

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