Plaza Florencio Jiménez

Plaza Florencio Jiménez quibor

Plaza Florencio Jiménez in Quibor, Venezuela, fotografiert im Februar 1998. Der Platz auf der anderen Seite der Iglesia de la Virgen de Altagracia „La Caimana“ heißt Plaza Bolivar. Ich habe nur ein einziges Foto aus dieser Perspektive im weltweiten Internet gefunden.

Wir kommen allmählich zu den letzten Fotos von Venezuela.

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Die Würde des Menschen ist antastbar

ulrike Meinhof

Ulrike Marie Meinhof, geboren am 7. Oktober 1934 in Oldenburg, gestorben am 8. Mai 1976 in Stammheim.

Man kann dazu Jutta Ditfurth lesen, Fembio oder Wolf Farkas. Nicht zu vergessen: Meinhofs Aussagen über Juden und Israel.

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Wostok und Pizza

pizza

Das Getränk bestellte ich nur wegen des Namens. Gerade fiel mir ein, dass die Nachgeborenen vermutlich gar nicht wissen, was der bedeutet. Russisches ist zur Zeit bekanntlich nicht so angesagt.

Übrigens: Diese Pizza kostete mit dem Getränk knapp zehn Euro. Das können sich Geringverdiener und Reichtumsferne Arme nicht oft leisten. Deswegen heißt der Laden auch passend zum Publikum und hipstermäßig Vier Ecken Rix.Dorf.Pizza und irgendetwas mit „Veggie“. Es ist auch nicht genug Text auf der Website, um Gendersternchen hineinzudröseln. Das kommt bestimmt noch. Ich habe übrigens schon schlechtere Pizzen gegessen. (Hinweis: Wenn man selbst kocht, ist alles halb so teuer.)

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Meinung und Moral

zensur

Die öffentliche Meinung verachten ist so gefährlich, als wenn man die moralischen Grundsätze verachtet, schrieb der österreichische Staatsmann und gefürchtete Unterdrücker Klemens Wenzel Lothar von Metternich einmal so treffend. Das schrieb Don Alphonso, von Beruf Couponschneider und, was das Schreiben mit feiner Ironie angeht, nicht untalentiert.

Das gefällt mir nicht. Der Satz holpert zu lang einher, und der Schluss hört sich an wie eine Schlagzeile aus dem „Neuen Deutschland“ von vor fünfzig Jahren. Der Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), Vorsitzender des Staatsrats der DDR und Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates… ja was denn nun? Jetzt kommt, worauf wir alle lange genug gewartet haben: Erich Honecker!

Die öffentliche Meinung zu verachten ist so gefährlich, als verachtete [Konjunktiv] man moralischen Grundsätze. Das schrieb treffend Klemens Wenzel Lothar von Metternich [man kann Links ins weltweite Internet setzen, Welt „online“!], ein österreichischer Staatsmann und gefürchteter Unterdrücker.

Angeblich hatte Metternich gesagt: „Die öffentliche Meinung ist das wichtigste der Mittel, das wie die Religion in die verborgensten Tiefen dringt, wo administrative Einflüsse keine Einfluss mehr haben. Die öffentliche Meinung verachten ist so gefährlich, als wenn man die moralischen Grundsätze verachtet.“

Mag sein, dass er nicht korrektes Deutsch sprach oder schrieb. Das ist keine Schande. Außerdem war er ja Österreicher.

Ich habe das Zitat nur in der Sekundärliteratur und auf gefunden, aber keine Quelle. Man müsste dazu zu viel lesen, was das Thema nicht wert ist. Also bleibt der Satz vorerst ein Meme.

Vermutlich wäre Metternich aber ein besserer Außenminister gewesen als de [sic], den [sic] wir jetzt in Deutschland haben.

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Therapie – eine unendliche Geschichte II

– Aus meinem Buch Heroin – Sucht ohne Ausweg? (1993)

[Fortsetzung von Therapie – eine unendliche Geschichte I]

Doch was ist das Fazit? Die Diskussion um Drogen und Therapie krankt daran, dass sie in der Regel den bloßen Konsum, die körperliche Abhängigkeit und unkontrolliertes Suchtverhalten auf eine Stufe stellt. Niemand wird bestreiten, dass Heroin-Abhängige oft therapiebedürftig sind. Das ist häufig eine Folge der desolaten Situation, in die sie nicht zuletzt die Kriminalisierung der Droge gebracht hat. Die repressive Drogenpolitik in der Bundesrepublik habe, sagt Jan Heudtlass von der Klinik für Psychiatrie und Neurologie in Lengerich, «in den vergangenen Jahren die Entwicklung einer zunehmenden Verelendung begünstigt und gefördert, was möglicherweise von ihren Erfindern nicht beabsichtigt gewesen ist». (1) Die Folgen: Ausweitung der Aids-Infektionen in der Drogen-Subkultur und die «Erreichung der westeuropäischen Spitzenstellung für die Bundesrepublik bei der Anzahl der Drogentoten».

drug addiction
Credits: Association of American Universities: „Study reveals how drug abstinence changes gene expression, making relapse more likely“

Die Einrichtung CLEANOK in Lengerich praktiziert ein Konzept, das in Deutschland bis jetzt einmalig ist. Motto: «Warmer Entzug in warmer Atmosphäre.» Es geht primär nicht um das hehre, aber zunächst unerreichbar scheinende Ziel der Abstinenz, sondern um pragmatische Schadensminimierung und akute Krisenintervention. Die Junkies können mit Polamidon «ausschleichen». (2) Der zweite Teil der fünfwöchigen Therapie, nach dem Entzug, besteht in der Wiederherstellung der Gesundheit durch Behandlung der Folgeschäden des Konsums und der Lebensbedingungen der HeroinAbhängigen wie Infektionen und anderen Krankheiten. Jan Heudtlass: «Wir verzichten in diesem Rahmen auf konfrontativ-aufdeckende psychotherapeutische Verfahren. Vielmehr stehen begleitende, stützende Verfahren im Kontext des Entzugsprogramms: Akupunktur, Hydrotherapie, Massage, Bewegungstherapie, ein ergotherapeutisches Angebot.» Einige Angebote sind freiwillig, andere obligatorisch. Daneben gibt es geschlechtsspezifische Angebote in Gruppen- und Einzelform.

Der zeitweilige Ausstieg aus der Drogenkarriere soll eine Initialwirkung haben und die Resignation aufbrechen, die bei vielen Junkies nach gescheiterten Therapien und einer Vielzahl von Entzügen in Eigenregie vorherrscht. Man müsse sich wundern, sagt Heudtlass, wie «gern» die Therapeuten die häufigen Selbstmordversuche mit einer Überdosis übersähen – «im Rahmen von Verdrängungsmechanismen». Der überwiegende Anteil der Klienten verfüge jedoch «über einen mehr oder weniger . stark ausgeprägten Gesundungs- und Genesungswillen». Das Konzept setze «eher mittelfristig» darauf, dass sich der Ausstiegswunsch verstärkt – aber ohne angedrohten Zwang. Man verzichtet auf «gebetsmühlenartige Appelle an die Willenskraft». CLEANOK erfreut sich mittlerweile einer so hohen Akzeptanz, dass die Warteliste mehrere Monate beträgt, vor allem bei denen, die noch nie bei einer Drogenberatungsstelle aufgetaucht sind.

Die Frage ist also, was therapiert werden soll: Der Drogengebrauch selbst?

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Credits: Deccan Chronicle

Die Frage ist also, was therapiert werden soll: Der Drogengebrauch selbst? Oder muss man versuchen, ein risikobewusstes und kontrolliertes Verhalten zu erreichen – und ist das überhaupt möglich?

Heroinabhängigkeit läuft nicht «natürlich» in Richtung Verelendung oder Abstinenz.

Neben der Gruppe von Junkies, die sich in bestimmten Phasen «zuknallen», also alles konsumieren, was irgendein euphorisches Gefühl bewirkt, gibt es die gelegentlichen Konsumenten von Heroin, die nur in bestimmten Situationen und kontrolliert die Droge benutzen. «Kontrolliert» heißt, dass sie eine physische Abhängigkeit, die sich in Entzugssymptomen äußert, vermeiden. «Kontrollierter» Umgang kann auch heißen, zwar abhängig und deshalb gezwungen zu sein, regelmäßig Heroin zu rauchen, zu sniefen oder zu injizieren, aber sozial unauffällig zu leben. Das ist eine finanzielle Frage, aber auch eine der intakten sozialen Situation: Ob man die Distanz zur kriminalisierten Szene wahren kann, ob man sein Geld rational einteilt, ob man andere Dinge wie Arbeit oder Freizeitgestaltung für wichtiger hält, ob man die Droge nicht zur Krisenbewältigung oder zur Selbstbelohnung benutzt. Es gibt eine große Anzahl von Personen – die berühmte «Dunkelziffer» -, die es geschafft haben, «den Drogengebrauch in konventionelle Lebenskontexte zu integrieren und ihren Opiat/Kokaingebrauch auf einem Level zu verwalten, der in der Regel weit unterhalb einer physischen Abhängigkeitsschwelle liegt.» (3)

Heroinabhängigkeit laufe nicht «natürlich» in Richtung Verelendung oder Abstinenz. Drogengebraucher seien, so eine neue Untersuchung, «nicht generell behandlungsbedürftig und handlungsunfähig. Die Chancen zum selbstorganisierten Ausstieg sowie zur Etablierung regelorientierter, nicht dysfunktionaler Gebrauchsmuster werden von nicht wenigen selbst unter kriminalisierten Lebensbedingungen genutzt.» (4)

So gut wie nie gelingt es aber zu Beginn der Drogenkarriere, mit einer stark euphorisierend wirkenden Substanz wie Heroin so umzugehen, dass der Abstieg in die «Szene» vermieden wird. Das Einstiegsalter liegt in der Regel um zwanzig, wenn nicht erheblich darunter. Nur sehr wenige Fixer haben erst später mit der Droge begonnen, die meisten der Älteren sind von Alkohol auf Heroin umgestiegen. Wie jemand eine Droge gebraucht, ist offenbar abhängig von seiner persönlichen Entwicklung und Situation.

Opiatabhängigkeit ist eine vorübergehende Störung, die sich selbst begrenzt.

US-amerikanische Forschungen, zu denen es in Deutschland kaum Parallelen gibt, bestätigen, dass sich die Abhängigkeit von Heroin nach einem Zeitraum von gut zehn Jahren von selbst erledigt in der Regel am Ende des dritten oder zu Anfang des vierten Lebensjahrzehnts. Dieser Prozess wurde unter dem Begriff «maturing out» («Herauswachsen») in die Forschung eingeführt. Der Berliner Gerichtsmediziner Prof. Friedrich Bschor hat als einer der ersten Wissenschaftler Langzeitbeobachtungen von Heroin-Konsumenten angestellt. Sein Fazit: Es handele sich bei der Opiat-Abhängigkeit um eine «passagere [vorübergehende] Störung», die sich selbst begrenze.

Die Sterblichkeit sei bei ungefähr zwei Prozent im Jahr anzusetzen und «vergleichbar Herzkranker im mittleren Lebensalter». (4) «Die in der Öffentlichkeit verbreitete Vorstellung eines extremen Ausmaßes der Sterblichkeit Drogenabhängiger trifft nicht zu.» Die Störung sei zwar langwierig, doch das von amerikanischen Autoren beschriebene «maturing out» «lässt sich auch bei uns bestätigen».

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Credits: The National Council on Drug Abuse (NCDA) in Jamaica

Diese These wird durch neueste Forschungen auch in Deutschland untermauert. Ein wissenschaftliches Projekt der Universität Münster hat die Bedingungen untersucht, unter denen Drogenabhängige sich selbst heilen. Zwang- oder Strafandrohung wirken offenbar wenig, selbst der Druck durch das soziale Umfeld wie Freunde oder die Eltern – «spielen eine untergeordnete Rolle». (5)

Wenn eine Therapie nicht akzeptiert werde – was bei der heute gängigen Alternative «Gefängnis oder Therapie» die Regel sein dürfte, sei ohnehin, so die Untersuchung, der Rückfall vorprogrammiert. Einer der wichtigsten Faktoren, die zum Ausstieg motivieren, ist die Veränderung der Selbstwahrnehmung. Der oder die Abhängige sehen sich selbst und die Folgen der Abhängigkeit realistischer. Dieser Moment wird in der US-amerikanischen Forschung als «Naked-Lunch-Erfahrung» bezeichnet. Der oder die Abhängige wollen ihr Leben bewusst gestalten und kontrollieren, sehen aber ihren Drogenkonsum als Hindernis dafür. Sie setzen sich mit ihrer Situation auseinander: Ein sogenannter «retroaktiver Sozialisationsprozess» kommt in Gang. Entschluss und Ausstieg erfolgen nicht spontan und plötzlich, sondern sind ein Prozess. In vielen Fällen spielen Personen, denen der oder die Heroinabhängige vertrauen und die sie unterstützen, eine ausschlaggebende Rolle.

Die Folgen der geplanten Abstinenz müssen einen hohen Wert haben, damit sich die Anstrengung lohnt.

Die Folgen der geplanten Abstinenz müssen einen hohen Wert haben, damit sich die Anstrengung lohnt: Prestigegewinn, eine höhere Selbstachtung und -bewertung sowie materielle Perspektiven. «Die Übernahme sozialer Etikettierungen wie einmal süchtig – immer süchtig blockiert in einigen Fällen sogar selbstorganisierte Ausstiegsprozesse und deren Stabilisierungen gravierend.“ Ein Fazit, das den «Laientherapeuten» à la Synanon gar nicht gefallen wird.

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(1) Jan Heudtlass: Zwischen Abstinenz und Akzeptanz – Versuch einer neuen Funktionsbestimmung der Drogenentzugsbehandlung, unveröffentl. Manuskript, Lengerich 1992, S. 3 (im Besitz des Autors)
(2) «Ausschleichen»: Heroin wird durch Polamidon ersetzt, das Medikament dann langsam herunterdosiert.
(3) G. Weber/W. Schneider (1992), Manuskript, S. 22
(4) Bschor, F.: Langzeitbeobachtungen bei jungen Drogenabhängigen
vom Opiattyp. In: Die Berliner Ärztekammer, [heute: Berliner Ärzte] 20. Jg., Heft 11/83, S. 749 (1983)
(5) Weber, G. /Schneider, W.: Herauswachsen aus der Sucht illegaler Drogen. Selbstheilung, kontrollierter Gebrauch und therapiegestützter Ausstieg – ein Resümee, Münster 1992 (Forschungsprojekt der Westf. Wilhelms-Universität Münster, Institut für Soziologie/Sozialpädagogik), Manuskript, S. 26 (im Besitz des Autors)

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Reminder 8. Mai

sowjetisches Ehrenmal Treptowsowjetisches Ehrenmal Treptowsowjetisches Ehrenmal Treptow

Never forget: (jetzt kommt eine kühne These!) Wenn es keine russische Revolution gegeben hätte und keine Rote Armee, wäre jetzt ganz Osteuropa unter der Herrschaft der Nationalsozialisten.

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Ausgrenzungsrecht für Kollektive

„Wenn man neuerdings mit beflissener Pedanterie nicht mehr von Zigeunern spricht, sondern von Sinti und Roma, die ebensogut Bantu oder Nuba heißen könnten, weil kein Mensch den Unterschied kennt, mit Ausnahme von Leni Riefenstahl und den Experten für Abstammungslehre aus dem ehemaligen Reichsicherheitshauptamt; wenn die Grünen Vergangenheitsbewältigungsveranstaltungen gern in der Form einer Rassekatzenschau organisieren, bei welcher auf dem Podium ein Sinti/Roma, ein Jude und ein weiterer Teilnehmer sitzt, der zwar neutral als Deutscher firmiert, aus Gründen der Logik aber den Arier spielen müsste, weil die anderen beiden auch Deutsche sind, und weil man nie Äpfel, Birnen und Obst zusammenzählen darf, sondern nur Äpfel, Birnen und beispielsweise Pflaumen […] – dann liegt der Verdacht nahe, dass die Mehrheit nur einen unverfänglichen Weg sucht, jenes Abgrenzungs- und Ausgrenzungsrecht für Kollektive zu proklamieren, welches sie dann als das ihre beanspruchen wird, um es gegen die Minderheiten anzuwenden.“ (Wolfgang Pohrt)

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Warum zum Rio Meta?

elorza rio arauca

Noch einmal Uferpromenade des Rio Arauca in Elorza, Venezuela, fotografiert im März 1998. Der Junge ist der Sohn meiner Hängematten-Platz-zum-Aufhängen-„Vermieterin“.

Als einziger Ausländer in einem größeren Dorf war ich natürlich eine Attraktion, und für den Jungen sowieso. Abends, wenn ich nur spazieren ging, weil es sonst nichts zu tun gab, außer sich in den wenigen Spelunken mit fragwürdigem Publikum zu besaufen, folgte er mir auf Schritt und Tritt, weil er vermutlich neugierig war – und seine Mutter auch -, was ich eigentlich in dem Örtchen wollte.

Ich hätte es selbst nicht gewusst, weil ich von Palmarito aus irgendwie in den extremen Süden Venezuelas wollte und von dort aus zum Orinoco. Von Palmarito am Rio Apure aus gibt es aber keine Verbindung nach Süden ohne eigenen Jeep. Ich musste also weit nach Westen ausweichen, bis an die kolumbianische Grenze bei Guasdualito. Da erwischte ich dann einen Bus nach Elorza.

Ich hatte irgendwann wohl erwähnt, dass ich zum Rio Meta wolle. Auf dem hätte ich per Boot nach Puerto Carreno in Kolumbien reisen können und dann weiter per Straße auf der venezolanischen Seite nach Süden nach Puerto Ayachucho.

Das war mein ursprünglicher Plan, aber es kam alles anders, weil ich mit einem weißen Jeep der Katholischen Kirche quer durch die Llanos direkt von Elorza nach Puerto Ayacucho gefahren wurden und gratis dazu. Den Rio Meta habe ich dabei passiert und gesehen.

Den Jungen hat das Thema wohl beschäftigt. Irgendwann fragte er ganz plötzlich, als hätte er sich lange nicht getraut: „Gringo [so nannten mich alle], warum willst du zum Rio Meta?“

Was hätte ich antworten sollen? Ich hätte mit Philipp von Hutten entgegnen können, der am 31. März 1539 an seinen Vater schrieb: Weiß Gott kein Geitz Gelds hat mich bewegt, diese Reiß zu thun dann allein ein sonderlicher Lust, so ich vor langer Zeit gehabt, dünckt mich auch, wäre ich nicht mit Ruhe gestorben, wo ich Indien nicht erst gesehen. Ich hätte „Indien“ nur durch „Rio Meta“ ersetzen müssen.

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Da sprach der alte Häuptling der Indianer nichts mehr

indianer

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Llanos, revisited

venezuela llanos selfie

Selfie im „Gästezimmer“ einer Ranch in den Llanos Venezuelas. Das ist meine Hängematte aus Tintorero. Warum ich so dämlich grinse, weiß ich nicht. Ich hatte die Geschichte – wie ich dorthin gekommen war – hier am 08.03.2023 schon beschrieben. Ich habe noch mal auf der Karte gesucht. Es könnte Santa Susana gewesen sein.

Das Original-Dia ist leider verloren gegangen, deswegen musste ich das zum Glück noch vorhandene Foto einscannen.

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Die Wüste lebt

virtual desert

Und wenn sie nicht lebt, dann laufe ich eben selbst dort herum oder setze ein paar virtuelle Tierchen aus….

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Therapie – eine unendliche Geschichte I

– Aus meinem Buch Heroin – Sucht ohne Ausweg? (1993)

Das deutsche System der Drogenberatung hat eine merkwürdige Eigenart: Es erreicht nur einen geringen Prozentsatz der Adressaten. Nur ein knappes Viertel aller Heroin-Abhängigen, von den gelegentlichen Konsumenten ganz zu schweigen, taucht freiwillig in einer Drogenberatungsstelle auf. Die Klienten sind nicht selten enttäuscht von dem, was ihnen geboten wird: Die meisten kommen einmal, dann nie wieder. Offenbar nicht zufällig gibt es kaum Untersuchungen, die sich damit beschäftigen, ob Heroin-Abhängige die gängige Beratung akzeptieren. Trotzdem behaupten gutmeinende Drogenexperten immer wieder, das Beratungsangebot sei unzureichend und müsse ausgebaut werden.

arbeitshaus
Credit: File:Microcosm of London Plate 096 – Workhouse, St James’s Parish.jpg | Thomas Rowlandson (1756–1827) and Augustus Charles Pugin (1762–1832) (after) John Bluck (fl. 1791–1819), Joseph Constantine Stadler (fl. 1780–1812), Thomas Sutherland (1785–1838), J. Hill, and Harraden (aquatint engravers)

Nur einzelne Stimmen werden laut, die das System als Ganzes in Frage stellen. Der Kieler Arzt Gorm Grimm: «Insgesamt gesehen schaden die Drogenberatungsstellen mehr, als dass sie nützen.» Grimm hat anhand der Zahlen des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München errechnet – dort melden die meisten Drogenberatungsstellen, wie viele Klienten sie hatten und was mit denen geschehen ist -, dass die «Erfolgsquote» bei maximal 0,5 Prozent liege.

Insgesamt gesehen schaden die Drogenberatungsstellen mehr, als dass sie nützen.

Das hat seine Gründe, die zwar alle kennen, über die aber ungern geredet wird. Die ersten Drogenberatungsstellen richteten die freien Wohlfahrtsverbände in den siebziger Jahren ein, analog zu den Alkoholberatungsstellen. Die Behandlung der Sucht war bis dato Aufgabe der Mediziner oder der Psychiater gewesen. Die jedoch hatten kläglich versagt: Die Skepsis der Ärzte gegenüber der Drogensubkultur und deren Selbstverständnis führte eher dazu, dass die jugendlichen Konsumenten einen großen Bogen um Krankenhäuser und psychiatrische Kliniken machten, die eine «Entgiftung» anboten. Selbst einer der deutschen Abstinenz-Päpste, der ehemalige Berliner Landesdrogenbeauftragte Wolfgang Heckmann, gab zu, dass «spätestens ab 1973 die Bankrotterklärung für die Behandlungen in [psychiatrischen] Einrichtungen jedenfalls fachöffentlich war». (1)

Drogenabhängigkeit, so urteilten Fachleute Anfang der achtziger Jahre, sei nämlich nicht nur ein rein medizinisches Problem, sondern «in nahezu allen Fällen» die Folge von «subjektiver, sozialer und psychischer Misere», wobei «die soziale Misere die psychische Misere bedingt und nicht umgekehrt». Deshalb wurden für die Rehabilitation zusätzlich andere Berufsgruppen eingespannt. Das Bundessozialgericht urteilte 1982: «Die Begriffe der medizinischen Rehabilitation und der Krankenhilfe erfassen auch die Leistungen von Sozialarbeit und Sozialpädagogik», die «ärztliche Behandlung ist nur ein Unterfall des Hauptfalles medizinischer Leistung. Diese erfordert jedoch nicht die stetige Mitwirkung des Arztes.»

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Arbeitshaus in Mitcham/London, 19. oder frühes 20. Jh.

Die einzigen, die immer in direktem Kontakt mit der Drogen-Subkultur gestanden hatten, waren die Fürsorger, eine Bezeichnung, die heute fast verschwunden ist. Dieser Berufsstand hatte sich seit 1970 gewandelt: Voraussetzung war jetzt Abitur oder Fachabitur, die Absolventen der Ausbildung nannten sich Sozialarbeiter.

Damit gerieten sie in Konkurrenz zu anderen Gruppen, die sich auch für die Behandlung von Drogenabhängigen zuständig fühlten, den Soziologen, Psychologen und Pädagogen. Jede dieser Expertengruppen trug ihr Scherflein dazu bei, warum und wie man der «Drogenwelle» begegnen könne. Die Sozialarbeiter fühlten sich als die, die die «Dreckarbeit» machten. Diese unbequeme Tätigkeit war aber meistens die eigentliche Hilfe für die Klienten. Viele Sozialarbeiter bildeten sich fort, um einen «therapeutenähnlichen Status» zu erlangen. Die Kompetenz für eine Drogenberatung konnte, genau wie heute, nicht durch eine Ausbildung erworben werden, sondern nur durch die Praxis: learning by doing. Es gibt keinen Beruf «Drogenberater». Auf diesem Feld konkurrieren und profilieren sich allerlei Berufsgruppen, von denen jede einzelne genau zu wissen vorgibt, wie man mit Drogenabhängigen zu verfahren habe. Dementsprechend waren und sind die Ergebnisse.

Es gibt keinen Beruf «Drogenberater.

Schon vor zwanzig Jahren klagten alle, die sich mit Drogenkonsumenten plagen mussten, über deren mangelnde Motivation. Die Bereitschaft zu einer Therapie, an deren Ende die Drogenfreiheit stehen sollte, war gleich null. Da niemand wusste, wo die auslösenden Faktoren für die «Sucht» zu suchen waren und worin sie bestanden, kam man auf den Gedanken, vorbeugend zu arbeiten. Je früher man «den Gefährdeten» aufspüre, desto eher könne man ihm helfen, so die Idee. Die Drogenberater wurden angewiesen, die potentiellen Klienten, die vielleicht irgendwann einmal Drogen probieren würden, dort aufzusuchen, wo sie sich «außerhalb der Familie» aufhielten. Auch das ging schief. Die Jugendlichen – auch die ohne Drogenprobleme – hatten Jugend-, Sozial- und Gesundheitsämter eher als repressive Behörden erlebt und weigerten sich standhaft, mit diesen Institutionen zu kooperieren.

Noch bis 1972 waren die Drogenberater von den Klienten äußerlich nur wenig zu unterscheiden: Das Mobiliar der Beratungsstellen entstammte häufig dem Sperrmüll, und theoretische Grundlagen der Arbeit waren so gut wie nicht vorhanden. Jeder wurschtelte vor sich hin, so gut es ging. Das sollte sich ändern – was das äußere Erscheinungsbild betraf -, als Geld ins Spiel kam.

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Arbeitshaus in Irland, 19. oder frühes 20. Jh.

1973 vergab der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit ein Forschungsprojekt an das Max-Planck-Institut für soziale Psychiatrie in München. Die Experten sollten herausfinden, welchen Mindestanforderungen eine Drogenberatungsstelle zu genügen hatte, um in den Genuss öffentlicher Gelder zu kommen. Diese Kriterien bezogen sich sowohl auf die Inhalte der Arbeit als auch auf die formale Struktur. Vorschrift wurden: schriftliche Unterlagen über das Konzept und periodische Berichte, Dokumentation der Maßnahmen (u. a. die sogenannten «Krankengeschichten»), tägliche Öffnung, zwei anwesende Mitarbeiter, von denen’einer hauptamtlich Arzt, Psychologe oder Sozialarbeiter sein musste, ein «Therapieraum», mindestens eine Fallbesprechung pro Woche und gelegentliche externe Kontrolle. Diese Vorschriften wurden bis heute mehrfach modifiziert, im Kern sind sie jedoch noch gültig. Offiziell hießen die Drogenberatungsstellen jetzt «Psychosoziale Beratungs- und ambulante Behandlungseinrichtung für Suchtkranke und Suchtgefährdete».

Wer sich dem alleinseligmachenden Glaubenssatz, dass nur die Abstinenz anzustreben sei, widersetzte, bekam Ärger. Man ging für das Dogma über Leichen.

Wer sich diesen Kriterien verweigerte, wurde finanziell ausgeblutet. Durch die Konkurrenz um die Staatsknete gingen diejenigen Einrichtungen als Sieger hervor, die sich, was den Inhalt ihrer Arbeit anging, gefügig zeigten. In vielen Städten kam es zu Konflikten zwischen den Behörden und den Beratungsstellen, die andere Vorstellungen über ihre Aufgaben hatten. In Berlin zum Beispiel schlossen Mitte der achtziger Jahre mehrere Einrichtungen aus Protest gegen die staatliche Einflussnahme ihre Pforten. Wer sich dem alleinseligmachenden Glaubenssatz, dass nur die Abstinenz anzustreben sei, widersetzte, bekam Ärger. Die Behörden scheuten sich zum Teil nicht, Mitarbeitern von niedrigschwelligen Angeboten per Dienstanweisung zu verbieten, sterile Einwegspritzen an die Junkies zu verteilen – das sei «suchtverlängernd» -, obwohl die Gefahr, sich mit dem HIV-Virus zu infizieren, immer größer wurde. Man ging für das Dogma über Leichen.

Wenige Jahre, nachdem die Mindestanforderungen formuliert worden waren, war genau das eingetreten, was die Gründer der Drogenberatungsstellen ursprünglich verhindern wollten; es hatten sich Institutionen entwickelt, die in den Augen der Junkies mit Behörden gleichgesetzt und daher auch nicht akzeptiert wurden.

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Die Gartenlaube, 1857

Die wesentliche Aufgabe der Drogenberatungsstellen sollte sein (und ist es noch), den Drogenabhängigen entweder einen Platz im Krankenhaus zu vermitteln, wo sie entziehen können, oder/und sie einer Therapie-Einrichtung zuzuführen. Beides dauert in der Regel mehrere Wochen – bis ein Platz gefunden ist. Kompliziert ist auch die finanzielle Frage, da die «Entgiftung» normalerweise von den Krankenkassen bezahlt wird, die Rehabilitation, also die Therapie, jedoch von den Rentenversicherungen. Viele der verelendeten Junkies sind überhaupt nicht versichert, daher muss das Sozialamt einspringen. Heute [1993] kommt hinzu, dass auch die obligatorische «psychosoziale Betreuung» von Polamidon-Substituierten übernommen werden soll. Viele Einrichtungen sind zwar plötzlich gut besucht, aber mit dieser Aufgabe überlastet und weigern sich, Junkies neu aufzunehmen, was die von einigen wenigen einsichtigen Politikern geforderte Ausweitung der Polamidon-Programme konterkariert.

In Nordrhein-Westfalen hatte man das Dilemma erkannt, dass sich bei mehrmonatigen Wartezeiten die Motivation der Fixer, sich um einen Therapieplatz zu bemühen, nicht gerade erhöht. Deshalb initiierte man 1992 das Programm «Therapie sofort»: Jeder Heroinabhängige sollte innerhalb einer Woche eingewiesen werden können, falls er das wünschte. Zunächst war der Andrang stark. Die Medien berichteten mit großem Getöse über die Junkies, die doch bisher als behandlungsunwillig galten. Mittlerweile ist die Resonanz in der Szene abgeflacht. Die Suchtexperten sind kleinlaut geworden. Man hatte nämlich das wesentliche Problem nicht bedacht: Therapie-Einrichtungen haben keinen oder nur sehr geringen Erfolg.

Therapie-Einrichtungen haben keinen oder nur sehr geringen Erfolg.

Kaum jemand hat bisher den Mut gefunden, das offen auszusprechen. Journalisten, die zum Thema recherchierten, ließen und lassen – sich in der Regel von der Selbstdarstellung der betreffenden Einrichtung blenden. Kritische Stimmen wurden seitens der Betreiber der Drogentherapien eingeschüchtert, ja mit Klagen bedroht. Nur im «Spiegel-Spezial Rauschgift» aus dem Jahr 1989 war zu lesen: «Es gibt keine Drogentherapie, die diesen Namen verdient – sie taugen alle gleichermaßen wenig (oder nichts).»

Das war zwar schon immer so, Drogentherapie gilt jedoch in der öffentlichen Meinung als die einzige Methode, mit dem Problem fertig zu werden. Die Junkies, die schon einmal das zweifelhafte Vergnügen hatten, mit therapeutischen Maßnahmen beglückt zu werden, die ein drogenfreies Leben zum Ziel hatten, wussten das besser. Warum sollte ein Heroin-Abhängiger also freiwillig etwas aufsuchen, was nichts nützt?

Die Hälfte aller Junkies, die eine Therapie-Einrichtung von innen gesehen haben, leugnen deren Einfluss auf ihren persönlichen Umgang mit Drogen; nur zehn Prozent der anderen Hälfte (also fünf Prozent von allen) gaben bei Umfragen an, ihr Drogenverhalten habe sich durch eine Therapie geändert. Ähnlich, wenn nicht gar noch schlechter, sieht die Erfolgsquote der Therapien insgesamt aus. Nur gut ein (!) Prozent aller Fixer wird in stationären Einrichtungen «erfolgreich im Sinne dauerhafter Drogenabstinenz und gelungener Reintegration behandelt». (2)

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Gruppentherapie (Symbolbild)

Natürlich lässt sich über diese Zahl streiten. Die Diskussion wird aber durch zwei Dinge erschwert: Niemand weiß, was als «Erfolg» zu werten ist, und keine der deutschen Drogentherapie-Einrichtungen hat bisher zugelassen, dass die hausgemachte Statistik extern von unabhängigen Fachleuten überprüft werden konnte — ein Zufall?

Kriterium für Drogenfreiheit ist, so der offizielle Konsens: Nur einmal in drei Monaten Konsum illegaler Drogen, also auch von Haschisch, pro Monat höchstens dreimal stärkerer Alkoholkonsum, keinerlei Kontakte zur Szene. (3) Dieses Prinzip ist selbst für diejenigen, die dem Konzept einer Therapie wohlwollend gegenüberstehen, abstrus und absurd. Da ein relevanter Teil der Bevölkerung zumindest gelegentlich Cannabis-Produkte konsumiert — in den deutschen Großstädten ist Haschisch faktisch legalisiert—, erfüllt diese hohen Voraussetzungen kaum jemand, den Autor eingeschlossen.

Fast alle Heroinabhängigen werden nach einer Therapie wieder rückfällig.

Fast alle Heroinabhängigen werden nach einer Therapie wieder rückfällig. Die Therapeuten mussten diese Tatsache zumindest in ihr Denksystem integrieren. Man durfte Drogentherapie nicht an sich in Frage stellen, weil das ja gleichzeitig den Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge gehabt hätte. Deshalb wurde die Devise ausgegeben, Abbruche seien «normal» und auch zu erwarten. Drogenabhängigkeit sei «von vielen Brüchen, Rückschlägen, erneuten Anläufen und erneuten Rückschlägen gekennzeichnet». (4) Aber je häufiger ein Junkie in einer Drogentherapie verweile, um so wahrscheinlicher werde, dass das Ziel – die völlige Drogenfreiheit – am Horizont auftauche. Diese kühne Theorie wird leider durch die Realität nicht bestätigt. Die Zahl der Entzüge in Eigenregie nimmt auffällig zu, die Therapiebereitschaft ab.

Deshalb operiert die Abstinenz- und Therapie-Lobby mit einem Verbundsystem, das alle Institutionen umfasst, die Druck auf die Drogenkonsumenten ausüben können: Drogenberatungsstellen, Polizei, Justiz und nicht zuletzt die Therapie-Einrichtungen. Der Drogenabhängige soll den helfenden Maßnahmen und dem Quasi-Monopol der Abstinenz-Therapien nicht entwischen können. «Wichtig ist bei allen Hilfsmaßnahmen, dass immer dann, wenn eine Maßnahme auf einer höheren Stufe fehlschlägt, der betreffende Abhängige auf der niedrigeren Stufe der Rehabilitation und Motivation wieder aufgefangen wird, dem Netz der Hilfsmaßnahmen, dem Verbundsystem folglich nicht völlig entgleitet.» (5) Der Süchtige ist nämlich gefährdet – sprich: süchtig -, solange er lebt, und muss, so er nicht willig ist, Drogen und die Szene zu meiden, lebenslang therapiert werden, ob er will oder nicht.

Ein großer Teil der Therapie-Insassen, in manchen Einrichtungen mehr als die Hälfte, ist nicht freiwillig dort, sondern nach einer Verhaftung wegen Vergehens gegen das
Betäubungsmittelgesetz – durch den Richter vor die Alternative gestellt worden: Therapie oder Gefängnis (nach dem berüchtigten Paragraphen 35 im Betäubungsmittelgesetz). Da Drogenabhängige scheinbar nicht motiviert seien, müsse «sanfter» Zwang ausgeübt werden, um die Bereitschaft zur Therapie zu erhöhen. Der sieht in der Realität so aus, dass bei Bewährungsstrafen unter einem Jahr mit der Auflage, sich einer Abstinenz-Therapie zu unterziehen, die Bewährung häufig genug widerrufen wird, weil es den Junkies nicht gelingt, clean zu bleiben. Strafen über einem Jahr werden ohnehin nur sehr selten auf Bewährung ausgesprochen. Gorm Grimm behauptet sogar: «Ohne Strafandrohungen für Therapie-Abbruche würden diesen deutschen Einrichtungen nahezu 100% der Klienten davonlaufen.» (6)

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Zuchthäuslerinnen bei der Hanf-Verarbeitung im Bridewell Prison in London (William Hogarth, 1732)

Bricht ein Junkie eine Zwangstherapie ab, muss die Einrichtung das an die Justiz melden, deren Mühlen beim Thema Drogen in der Regel recht zügig mahlen – es wird dann ein Haftbefehl ausgestellt. Die Einrichtungen haben sogar das Recht, ihre Insassen bei Fehlverhalten jederzeit auf die Straße zu setzen, was dazu führt, dass die entweder freiwillig ins Gefängnis gehen oder warten, bis die Polizei sie wieder aufgreift.

Sebastian Scheerer will die gängige Praxis der deutschen Justiz, den Grundsatz des Gesetzes «Therapie vor Strafe» (7) möglichst zu verhindern und nur in – geschätzt – einem knappen Drittel aller Fälle überhaupt eine Therapie zu ermöglichen, nur deshalb nicht einen «Skandal» nennen, weil er um die «Trostlosigkeit der tatsächlich angebotenen ‘Therapien’ und ihre möglicherweise noch schädlicheren Auswirkungen» weiß.

Kritiker der Drogentherapien halten diese für «totalitäre Institutionen», die «einige unübersehbare Ähnlichkeiten mit Konzentrationslagern und politischen Umerziehungsanstalten aufweisen». (8) Die Insassen haben weniger Rechte als in Gefängnissen, Postzensur, Verbot jeglicher Außenkontakte in der Anfangszeit und demütigende Rituale der Entmündigung sind an der Tagesordnung. Ein kompliziertes Strafsystem sorgt für Ordnung, willige Ex-Junkies werden als «Kapos» eingesetzt und wachen über die Einhaltung der Anstaltsregeln. Für die Junkies, so die Kritik, gehe es nur ums Überleben, ihre Mitarbeit sei «reine Heuchelei».

Arbeit macht drogenfrei.

Wenn man den – in der Regel wissenschaftlich nicht begründeten – gruppendynamischen Firlefanz außer acht lässt, bleibt von der Praxis der «Drogentherapie» ein Skelett von Maßnahmen übrig, das sich nur unwesentlich vom klassischen «Arbeitshaus» unterscheidet: Arbeit macht drogenfrei.

Das gilt häufig auch für die Einrichtungen, die sich als «Selbsthilfeprojekte», manchmal verschämt, aber treffender als «Laientherapie» deklarieren. So auch für den Prototyp «Synanon», der auf den Anspruch, eine Therapie zu sein, ganz verzichtet hat und sich selbst – weit umfassender -eine «Lebensform» nennt. Dabei klingt der Grundgedanke der Einrichtung zunächst plausibel: Die Gründer von Synanon weigerten sich, ihre Drogenabhängigkeit als Krankheit zu sehen, die nur mit fremder Hilfe zu bewältigen sei. Von der klassischen Medizin erwarteten sie nicht viel. Trotzdem wollten sie sich mit ihrer Lage nicht abfinden.

So gründete sich schon 1958 in den USA eine Selbsthilfegruppe nach dem Vorbild der «Anonymen Alkoholiker». Ihr Initiator, Chuck Dederich, schuf Wohngemeinschaften, die ohne Suchtmittel, ohne Gewalt, ohne Profit und ohne Privateigentum auskommen wollten. Heutige AbstinenzPhilosophen sprechen schwärmerisch davon, dass in diesen USamerikanischen Synanon-Häusern «das frühere Leben auf der Scene keine Bedeutung» mehr hatte, «sondern nur die Gegenwart des Lebens und Arbeitens in der Gemeinschaft». (9) Nach diesem Vorbild gründete sich 1964 «Day-Top», 1967 das Projekt «Phoenix House». Im gleichen Jahr entstand in England die «Release»-Bewegung, die sich ähnlichen Zielen verschrieb.

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Synanon (1965)

Der US-amerikanische Zweig von Synanon geriet bald in die Schlagzeilen der Presse. Chuck Dederich entwickelte sich zu einem größenwahnsinnigen Guru, der seine «Drogentherapie» zu einer sektenähnlichen Organisation ausbaute. Erst als sich ein Gericht für seine Praktiken interessierte, wurde ihm das Handwerk gelegt. Dederich wurde verurteilt, weil er versucht hatte, einen Rechtsanwalt mit einer Klapperschlange zu ermorden. Der deutsche Zweig von Synanon distanzierte sich von der Mutterorganisation. Ingo Warnke, einer der Gründer von Synanon in Deutschland, über Dederich: «Ich habe viel von ihm gelernt. Doch heute dreht er durch.»

Anfang der siebziger Jahre gab es ein breites Angebot von «therapeutischen Wohngemeinschaften», deren soziologisches Outfit sich kaum von dem der Drogenszene unterschied. Die Ex-Junkies wurden kaum betreut, die Fluktuation war hoch, und eine große Anzahl der Gruppen stand permanent vor der Auflösung. Der Trend ging daher in die Richtung, die heute vor allem Synanon und Day-Top verkörpern: Härte, Härte und nochmals Härte, Arbeit und radikale Ablehnung der gesamten Lebensverhältnisse und der Subkultur der Abhängigen. Die eher libertinär ausgerichtete «Release»-Bewegung ist so gut wie verschwunden.

Übriggeblieben sind die Einrichtungen, die sich an den Idealen der protestantischen Arbeitsethik orientieren und Disziplin, Selbstbeherrschung und Askese propagieren. Diese Ziele finden in Deutschland selbstredend eine starke Lobby, schon aus Gründen der kulturellen Tradition. Die drogenfreien Selbsthilfe-Therapien bewirken aber kaum mehr als die klassische, psychotherapeutisch ausgerichtete Drogentherapie, als deren Kritiker sie ursprünglich angetreten waren.

Kern der Synanon-Methode ist eine verbale «Angriffstherapie», die verniedlichend das «Spiel» oder «game» genannt wird. Die Junkies müssen ihren Charakter, ihr Verhalten und ihr bisheriges Leben radikal in Frage stellen lassen. Jeder bekennt sich, dass er sein Leben lang «süchtig» sein wird, also gezeichnet ist. Durch diese Gehirnwäsche soll die «wahre Person» zum Vorschein kommen, die «Maske», hinter der sich ein Drogen-Konsument verberge, zerstört werden. Das Gefühl, allein nichts zuwege zu bringen, wird durch die Identifikation mit der Gruppe ersetzt.

Selbst Wissenschaftler, die diesem Experiment neutral gegenüberstehen, urteilen: Entsprechend dieser Gruppenidentität wird das Mitglied von Synanon nach seiner erfolgreichen Umfunktionierung die Gemeinschaft von Synanon nur ungern verlassen, da er Befriedigung und Sicherheit ausschließlich in dieser Gemeinschaft findet.» Ein Motiv für den Junkie, bei Synanon zu bleiben, liege darin, dass er nur dort Status und Einkommen bekomme, was ihm in der «anderen Welt» wegen «deren Vorurteile, seiner kriminellen Vorgeschichte und auch wegen seiner mangelnden Qualifikation» nicht möglich sei. Synanon demonstriere, dass die Therapie in geschlossenen Einrichtungen häufig nur zum Leben in diesem geschützten Milieu befähige. (10)

Wissenschaftliche Erhebungen, ob dieser Ansatz den Drogenabhängigen helfen könnte, wurden von Synanon mit der Begründung abgelehnt, «die Patienten würden sich durch Erhebungen als Anstaltsinsassen fühlen». (11) Die Hälfte der Insassen verlässt in den ersten drei Monaten die Einrichtung. Ehemalige Mitglieder von Synanon schätzen, dass von den rund 1000 Aufnahmen pro Jahr nur ein Dutzend Drogenabhängige mehr als zwei Jahre durchhält. Synanon selbst kann einen «Erfolg» — die dauerhafte Abstinenz nicht mit Zahlen belegen – oder will es nicht.

Die therapeutischen Wohngemeinschaften, die sich heute zu rigide organisierten und finanzkräftigen Institutionen entwickelt haben, sind ein uneheliches Kind der Studentenrevolte Ende der sechziger Jahre. «Der theoretische Ausgangspunkt der Selbsthilfe», schreibt Horst Brömer, «ist die These der gesellschaftlichen Determination der Persönlichkeit des Jugendlichen.» (12) Die Umwelt sei an der Drogensucht schuld, und wenn man nur wolle, könne man das ändern. Konsequent wird das «süchtige» Verhalten von der Subkultur und deren Werten abgeleitet, die die Drogen-Konsumenten prägten. Eine Prägung durch charakterliche Defekte, wie sie die Psychiatrie bei der Drogensucht annahm, lehnt man ab. Jeder fühlt sich sowohl als Therapeut wie als Patient.

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AntiDrogen-Therapie in China, credits: China Daily

Diese Prämissen entsprechen ungefähr denen des lerntheoretischen Ansatzes zur Erklärung der Drogensucht. Nicht der Konsum einer Droge sei das Wesentliche, sondern die Subkultur, in der es soziales Prestige bringt, «cool» zu sein und mit dem gefährlichen Stoff umgehen zu können. Deshalb müsse die Subkultur durch etwas anderes ersetzt werden. «Die strukturierende Kraft der Drogenszene», die den Fixer entweder cool oder hilfsbedürftig erscheinen lasse, werde «durch die strukturierende Kraft der Wohngruppe ersetzt».

Ein Mittel dieser «Kraft» ist zum Beispiel der Initiationsritus der Aufnahme, der häufig an exorzistische Rituale erinnert: Der Neuankömmling muss alle Dinge, die an die Szene erinnern – wie Kleidung, Schmuck usw. – ablegen, bekennen wie ein reuiger Sünder, dass er schuldig und sein bisheriges Leben verfehlt ist, und Besserung und Mitarbeit schwören. Wie absurd diese Praxis ist, wenn jemand nur vor den Toren einer Drogentherapie erscheint, um dem Gefängnis zu entgehen, scheint einleuchtend. Drogentherapien, die ursprünglich die «Sucht» in Selbsthilfe bekämpfen wollten, indem sie auf lebenslange Abstinenz setzten, können zwar bei denen etwas bewirken, die sich freiwillig dieser Tortur unterziehen, in dem Wissen um das, was sie erwartet. Als allgemeingültiges Modell, wie man Abhängigkeit von psychothropen Substanzen «heilen» könnte, sind sie jedoch genauso gescheitert wie diejenigen Einrichtungen, die immer noch davon ausgehen, der Patient müsse von charakterlichen Defiziten befreit werden.

Das deutsche System der Zwangstherapie steht in Europa beinahe einzigartig da.

Das deutsche System der Zwangstherapie steht in Europa beinahe einzigartig da. In fast allen anderen europäischen Ländern ist Freiwilligkeit oberster Grundsatz bei der Behandlung OpiatAbhängiger. Erschwert wird die Situation der Junkies in Deutschland noch dadurch, dass medika-mentengestützte Therapien, wie zum Beispiel die Substitution mit Codein oder Polamidon, viel seltener angeboten werden. Der Berliner Gerichtsmediziner Prof. Friedrich Bschor: «Der Gedanke liegt nahe, das deutsche Drogenfreiheits-Paradigma eher in der Nähe sybillinischer Kultvorschriften denn im Bereich empirischer Wissenschaft zu vermuten.» (13) Der einzige Erfolg dieser Kultvorschrift: Ein großer Teil der jugendlichen Drogenkonsumenten kommt mit dem Gesetz in Konflikt, wird vorbestraft und hat sich die Zukunft verbaut. Ein gegen die Jugend ist in vollem Gange, aber schon verloren: Die Zahl der Heroin-Abhängigen steigt immer mehr an, trotz aller repressiver Maßnahmen.

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einer Justizvollzugsanstalt wandten sich 1992 mit einem verzweifelten Brief an die Öffentlichkeit: «Die vergangenen zwanzig Jahre des Vorrangs der Abstinenztherapie haben im Ergebnis dazu geführt, dass die Zahl der Drogenabhängigen weiter steigt, die Therapieeinrichtungen eine extrem niedrige Erfolgsquote aufweisen, die Verelendung in der Drogenszene weiter zunimmt und sich die Justizvollzugsanstalten zunehmend mit Drogenabhängigen füllen. In Vollzugsanstalten niedriger Sicherheitsstufe sitzen heute bereits mehr Drogenkonsumenten ein als wegen klassischer Eigentumsdelikte (wie Diebstahl) Verurteilte. Rechnet man hinzu, dass sich hinter vielen Verurteilungen wegen Eigentumsdelikten Beschaffungskriminalität von Drogengebrauchern verbirgt, dann gibt es bereits jetzt Anstalten, in denen mehrheitlich Drogenkonsumenten ‘zwischengeparkt’ werden.» (14)

(Fortsetzung: Therapie – eine unendliche Geschichte II

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(1) Zit. nach G. Grimm (1985), S. 57
(2) ebd., S. 60f, dort auch andere Literatur
(3) G. Bühringer: Standards für die Durchführung von Katamnesen bei Abhängigen: Ergebnisse einer Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie, S. 9: in: D. Kleiner (1987)
(4) W. Heckmann, zit. nach G. Grimm (1985), S. 50
(5) ebd, S. 51
(6) G. Grimm (1985), S. 90
(7) Die Fassung des Betäubungsmittelgesetzes vom 1.1.82
(8) Zit. nach G. Grimm (1985), S. 22
(9) W. Heckmann: Therapeutische Gemeinschaften für Drogenabhängige. Geschichte-Gegenwärtige Praxis – Zukunftsprobleme, in: ders. (1980), S. 10f
(10) W. Burian/I. Eisenbach-Stangl (1980), S. 13
(11) Zit. nach Kury, H. /Dittmar, W. /Rink, M.: Zur Resozialisierung Drogenabhängiger — Diskussion bisheriger Behandlungsansätze. In:Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, 1980, S. 135ff (1980), S. 142
(12) H. Brömer: Pioniere ohne Auftrag, in: W. Heckmann (1980), S. 76
(13) F. Bschor (1983), S. 749 f
(14) «Die Tageszeitung», 02.10.92

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Neues aus Religiotistan

tagesspiegel

Die Qualitätsmedien und andere berichten: Damit ist klar, dass es sich beim heute 38-Jährigen Berhan S. um die selbe Person handelt, über die bereits 2009 im Alter von 24 Jahren im Zusammenhang mit einer Messerattacke berichtet wurde. Er wohnt in Neukölln. Damals berichtete der Tagesspiegel, Berhan S. komme aus einer „streng gläubigen Familie“.

Das hat natürlich nichts mit dem Islam zu tun.

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Am Rio Tocuyo, revisited

rio tocuyo

Dieses Foto ergänzt mein Posting bzw. das erste Bild meines Postings vom 10.08.2020 „Am Rio Tocuyo“. Es zeigt den Rio Tocuyo an der Carretera Lara-Falcon Troncal 4. Das Motiv ist nichtssagend, aber mir bedeutet es viel. Ich erwähnte hier schon das Buch Tod am Tocuyo: „Die Suche nach den Hintergründen der Ermordung Philipps von Hutten 1541-1550“.

Ich schrieb: Von Churuguara aus musste ich nach Süden in Richtung Barquisimeto. Durch Mundpropaganda erfuhr ich von einem Mann, der mit seinem Auto und einigen anderen Reisenden genau dort hin wollte, und er hatte noch einen Platz frei. Eine Tagesreise lag vor uns.

Ich wollte unbedingt zum Rio Tocuyo, den man auf halben Weg überqueren muss, und dort ein Foto machen. Warum? Um sich einzustimmen, sollte man die Eingangsszene von Aguirre ansehen und anhören (die aber in Machu Picchu gedreht wurde), inklusive der magischen Musik von Popol Vuh. „Meine“ Konquistadoren“ mussten von der Sierra de Falcón absteigen und dann den Rio Tocuyo überqueren. Es gibt sogar einen Augenzeugenbericht.

Den 19. Tag des gedachten Monats [Mai 1538] zogen wir von dannen über das Gebürg, lagen im Veld, 5. Meil. Den zwanzigsten Tag durch die Zynoga (1) de Baragatschan [Paraguachoa], ein fast böser Paß von Wasser und Koth einer viertel Mail lang, bis an die Revier [Fluss] Turkino [Tocuyo] genant. Misten die Pferd überschwemmen, die Kästen und Plunder [Ausrüstung] auf einem Floß überführen, ertrunck ein Christ vnd ein Pferd. Funden hie Metalno [Lope Montalvo de Lugo] vnd Stephan Martin mit etlichen Christen zu Fuß und zu Roß. Lagen hie 5 Tag, zogen den 26. Tag von dannen, lagen im Veld…. 27. Tag durch viel böser Paß von Wasser, lagen im Veld, 3 Meil. Den 28. Tag in einem verbrannten Poblo (2). Funden kein Wasser, war fast heiß. Musten Pferd und Leut mit grosem Durst ungetruncken bleiben, 3 Meil. [Am] 29. Tag an ein flissend Wasser. Den lezten Tag des Mayen ward geschickte Stephan Martin mit 40 Christen, desgleichen Salvato Martin mit 25 Bode [?] Proviant, Weg und Indier zu suchen. Den 9. Tag schickte Stephan Martin bis in 27 Stuck Indier vnd etlich Machilzemira (3) andere Sprache vnd Nation, so mit den Cacquencien [Caquetios] ewige Feindschaft haben. Wurden die gedachten Indier mit etlichen Christen wieder zurück an den Tukuyo [Tocuyo] gechickt, dann etlichen Plunder aus Gebrechen Indier, den zu tragen,… gedachten Rivier geblieben waren.(4)

Ich habe das Thema im 1. Kapitel des 2. Teil meines Romans verarbeitet: „Am Rio Tocuyo“.

Ich stelle mir vor, am Flussufer zu stehen, die Musik von Popol Vuh zu hören, und in der Ferne sehe ich eine Gruppe von Konquistadoren, die in meine Richtung marschieren… Es war ein ganz unbeschreibliches Gefühl, das ich mit niemandem teilen kann.
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(1) von Spanisch ciénaga = Sumpf
(2) Spanisch pueblo = Dorf
(3) vermutlich Spanisch maíz semilla = Maiskörner
(4) [Philipp von Hutten an seinen Vater Bernhard von Hutten zu Birkenfeld: Brief aus Coro vom 20. Oktober 1538, aus Eberhard Schmitt und Friedrich Karl von Hutten: Das Gold der Neuen Welt. Die Papiere des Welser-Konquistadors und Generalkapitäns von Venezuela 1534-1541, Hildburghausen 1996.]

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Bullshit ist ein Feature, kein Bug

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„Ein Beispiel dafür wäre etwas, was in der Biologie fast immer hilfreich ist: mehr Energie zu erhalten. „Das erste, was passieren könnte, ist also, dass ein solches System sagt: ‚Wir brauchen mehr Energie. Lasst uns den ganzen Strom zu meinen Prozessoren umleiten.‘ Ein weiteres großes Unterziel wäre dann, mehr Kopien von sich selbst zu machen. Hört sich das für Sie gut an?“ (aus William Hertling: Singularity – via Heise-Forum)

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Ich darf das roboteraffine Publikum auf einen Heise-Artikel über Geoffrey Hinton aufmerksam machen (leider Paywall). „Warnt vor Gefahren“ ist natürlich langweilig, das hat schon Stanislaw Lem getan, vor allem in Ananke, vor mehr als einem halben Jahrhundert. Die „Gefahr“ ist eher, so Lem, dass die Geschöpfe der Robotik uns ähnlicher sind bzw. sein werden als zu wünschen wäre. (Was sagt KI zum Ukraine-Krieg?)

geoffrey Hinton
Geoffrey Hinton, credits: playgroundai.com

Hintons Sicht der Dinge wurde maßgeblich von der neuen Generation großer Sprachmodelle verändert, insbesondere GPT-4 von OpenAI, das im März heraus kam. Es habe ihm klar gemacht, dass Maschinen auf dem Weg sind, viel schlauer zu werden, als er dachte, sagt er. Es beunruhigt ihn, wie sich das entwickeln könnte. „Diese Dinger sind völlig anders als wir“, sagt er.“

Das wage ich aus philosophischer Sicht zu bezweifeln. Der Mensch hätte, wenn KI – in welcher Form auch immer – so anders wäre als er selbst, unbewusst etwas geschaffen, dass er dann auch nicht verstehen könnte. (Darüber muss ich noch nachdenken. Was sagt Hegel?)

Das Ziel sind selbst lernende neuronale Netze. Die sind aber nicht anders als das menschliche Gehirn, nur ausgelagert, wie jedes andere Werkzeug auch.

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„Unsere Gehirne haben 100 Billionen Verbindungen“, sagt Hinton. „Große Sprachmodelle haben bis zu einer halben Billion, höchstens eine Billion.“ Doch GPT-4 wisse Hunderte Male mehr als jeder Mensch.“

„Wissen“ ist aber nur ein technisches Problem. Hätte ein Mensch in einer Nanosekunde alles im Internet vorhandene Wissen zur Hand, wäre er genau so schlau. Das Problem ist doch eher, wie man damit umgeht und wie man es einordnet.

Hal, stelle mir alle verfügbaren Quellen zusammen, die den Übergang von der Sklavenhaltergesellschaft zum Feudalismus ökonomisch erklären, insbesondere die Spezifik, warum ein Zusammenhang bestehen könnte zur Herausbildung des spezifische Kapitalismus in Nordwesteuropa. Oder: Hal, gibt es Klassenkampf im 中国特色社会主义)?

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Bullshitting sei ein Feature, kein Bug. „Menschen konfabulieren immer“, sagt er. Halbwahrheiten und falsch erinnerte Details seien Kennzeichen der menschlichen Konversation: „Konfabulation ist ein Merkmal des menschlichen Gedächtnisses.“ Diese Modelle machten damit, sagt Hinton, etwas genauso wie Menschen. Der Unterschied bestehe darin, dass Menschen normalerweise mehr oder weniger korrekt konfabulieren. Das Erfinden sei nicht das Problem. Computer brauchen einfach ein bisschen mehr Übung.

robot

Meine zwei Cents dazu: KI wird den Kapitalismus revolutionieren wie schon das Internet, ihn aber nicht abschaffen. Roboter sind Teil der Produktivkräfte, nicht mehr. Aber vielleicht gibt es ja doch eine Überraschung, wenn der erste Roboter anfängt, Karl Marx zu lesen…

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Bedauerliches, auf Linie gebracht

woman reading marx
Durch ein bedauerliches Missgeschick wurde für dieses Blog-Posting ein unpassendes Foto gewählt.

Was haben wir?

Mann. Messer. Psychisch gestört. Schwer verletzte Kinder. Berlin. Michael?

– Der MDR hat ein „millionenfach gesehenes“ Video manipuliert: um es dramatischer wirken zu lassen! An einer Stelle wurden die Schreie des Aktivsten einfach zweimal hintereinander geschnitten – um sein Leid unter der Schmerz-Maßnahme der Polizei länger und schlimmer erscheinen zu lassen. Der Sender bewarb seine Doku also mit einer dreisten Fälschung – und diese ging viral.

Der MDR: Nach Durchsicht aller MDR-Veröffentlichungen zu dem Thema ist uns bei dem Short auf Youtube beim Abmischen der Tonspur ein unerklärbares bedauerliches Missgeschick passiert.

So ganz zufällig? Polizei pöhse. Klimakleber gut – in den Herzen der Redakteur*_&%Innen.

– Der DJV-JVBB (ich bin Mitglied) instragramt unglaublich hip, hipster und so was von cool seinen zahllosen Followern, dass künstliche Intelligenz gut schlecht sei, nur dürfte niemand seinen Job verlieren. Gut, dass wir darüber geredet haben.

– Der Verein Säkularer Islam fordert Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf, die Kooperation mit dem Zentralrat der Muslime sofort einzustellen. In einem Brief an die Ministerin (…) fordert der Verein Säkularer Islam, umgehend das Verbot des IZH und die Schließung der Imam-Ali-Moschee in Hamburg. In dem zweiseitigen Schreiben des Vereins um die Soziologin Necla Kelek heißt es: Wir fordern Sie auf, die Zusammenarbeit, Kooperationen und Gesprächsformate mit dem Zentralrat der Muslime (ZMD) einzustellen. Zumindest so lange das IZH und seine Umfeldorganisationen dort Mitglied sind.“

Das halte ich für den falschen Ansatz. China will Muslime auf Linie bringen. Moscheen zu Turnhallen!

– And now for something completely different. Nutzt hier jemand Windows und Edge? (via Fefe)

– Muss hier jemand akkadische Texte übersetzen?

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Am Arauca

rio arauca

Uferpromenade des Rio Arauca in Elorza, Venezuela, fotografiert im März 1998.

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Unter Staatstrojanern (m/f/d)

secondlife
Online-Durchsuchung und Chatkontrolle in Secondlife (2007)

Da ist sie wieder, die gute, alte Online-Durchsuchung, von der immer noch niemand zu sagen weiß, wie sie denn funktionieren soll. Jetzt hat sie sich das Kostüm „Chatkontrolle“ umgehängt und geistert geheimnisvoll raunend durch die Medien.

Durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ durften Behörden versteckte Schadsoftware auf Computern, Laptops und Smartphones platzieren.

Soso, lieber Kollege Jakob Schirrmacher, der nach eigenen Angaben „1987 noch nicht gelebt“ hat und, ebenfalls nach eigenen Angaben, freier Journalist, Autor, Dozent für Medien und Digitalisierung ist, also so etwas wie ich, nur ohne Zweitberuf, und, ebenfalls nach eigenen Angaben, jemand ohne PGP-Schlüssel auf der Website. Die dürfen „versteckte Schadsoftware“ auf meine Linux-Rechner beamen, womöglich von fern, wenn ich gerade nicht hingucke, warum es verdächtig ruckelt?

Ich habe da mal eine Frage: Wie machen „die“ das? Vielleicht darf man das gar nicht fragen, weil es supergeheim ist? Und hatte das Bundesverfassungsgericht die so genannte TKÜ (Quellen-Telekommunikationsüberwachung) nicht 2008 verboten? Da warst du doch schon geboren, lieber Kollege?!

artikel

Mir ist eine „drohende“ Chatkontrolle übrigens völlig schnurzpiepegal. Ich mache das so, wenn ich nicht ohnehin das quelloffene Signal benutze: Ich rufe irgendein IRC-Programm auf. Vorher habe ich mich per verschlüsselter E-Mail mit meinen Mitverschworenen (m/f/d) verabredet, dass wir uns auf irc.brasirc.com.br treffen und dort einen passwortgeschützten Kanal eröffnen. Und dann chatten wir und tauschen Daten aus.

Nein, ich habe eine bessere Idee. Wir loggen uns mit halbnackten Avataren in Secondlife ein und treffen uns in einem Adult-Segment (irgendwas mit Porn) oder treffen uns auf meiner Sim, umbraust von virtuellen Sandstürmen und die virtuellen Waffen immer griffbereit, um Chatkontrolleure virtuell abzumurksen.

Ich finde ein Gesetz zur Chatkontrolle gut und richtig. Dann befassen sich die, die jetzt noch zum Thema ahnungslos herumfaseln, endlich mit Sicherheit und Datenschutz. Oder halten die Kresse, was auch nicht schlecht wäre.

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Orinoco backstage, revisited

orinocoorinoco

Diese Fotos ergänzen Orinoco backstage vom 09.08.2012. Die Fotos habe ich 1998 am Orinoco in Venezuela gemacht – auf der südlichen Seite bei La Arenosa. Wir setzten mit der Fähre über nach Cabruta. Der Orinoco ist in der Regenzeit hier so breit, dass man das andere Ufer kaum sehen kann. Ich war mit dem Bus unterwegs von Elorza im Süden nach Caracas – es war die letzte Reisewoche.

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Overdressed

burks

Auf dem Hof der Skalitzer Strasse 33 in Kreuzberg, Mitte der 80-er Jahre.

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