Vorsicht, Leser!

Jens Berger (Nachdenkseiten): „Die FAZ erlaubt unter Online-Artikeln zum Themenkomplex Ukraine/Russland schon seit längerem keine Leserkommentare mehr. SPIEGEL Online geht da selektiver vor und schließt den Kommentarbereich erst dann, wenn die Leser die Artikel zu kritisch bewerten. Am konsequentesten ist jedoch die Süddeutsche, die ihren Kommentarbereich gleich ganz abgeschafft hat und Leserkommentare nun auf die sozialen Netzwerke auslagert.“

Deutscher „Online-Mainstream-Journalismus“ at its best.




TTIP oder die Ideologie des freien Handels

TTIP

„In Europa verfügen 10 Prozent der Bevölkerung über 60 bis 70 Prozent des vorhandenen Vermögens“, sagt die Ökonomin Alexandra Strickner der hier noch nie zitierten Tiroler Tageszeitung. Und: „Politiker wissen erschreckend wenig über Zusammenhänge“.

Wer hätte das gedacht. Man ist ja schon froh, dass es Wirtschaftswissenschaftler gibt, die nicht religiös sind, die also nicht der Glaubensgemeinschaft Freier Markt(TM) angehören, sondern ernsthaft versuchen, Ökonomie zu verstehen und zu erklären.

Ich wurde auf das Thema Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP) durch einen Artikel im aktuellen Print-Spiegel aufmerksam: „Zahltag für die Geier“. Telepolis hatte schon im Dezember ein Beispiel gebracht.

Beim TTIP geht es darum, dass die Konzerne gegen Staaten klagen können, wenn ihre Gewinne sinken.

Wie meinen? fragt man sich. Wer kann denn so einen Quatsch in Gesetzesform gegossen haben? Wer wohl! Die ahnungslosen Politiker eben, die von der Lobby des Kapitals zu deren Büttel gemacht werden und sich dagegen nicht wehren, weil sie desinteressiert, zu dämlich oder a priori willens sind, sich missbrauchen zu lassen, anstelle den Begriff „Volksvertreter“ ernst zu nehmen. Natürlich wird alles noch in Geheimverhandlungen beschlossen. Das blöde Volk muss draußen bleiben.

Ich muss gestehen, dass ich die Details nicht kannte. Es gibt aber gute Quellen, die die Fakten darlegen, leider sind die meisten schwer zu lesen: „Angriff auf Löhne, Soziales und Umwelt – Was steckt hinter dem transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP?“, (Verdi, Dezember 2013, pdf) ist eine davon (daraus auch die Grafiken).

TTIP

Man kann mit Fug und Recht sagen: Das Kapital erpresst die Politik, um mehr Profite machen zu können und – was noch unerträglicher ist – um Gesetze zu erlassen, die selbst dann die Gewinne garantieren, wenn der Profit sinkt. Das ist Kapitalismus at its best, wie aus einem Marxschen Lehrbuch.

Strickner: Ja, in der derzeitigen Situation mit der Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa, gepaart mit Massenarbeitslosigkeit in vielen Ländern, ergreifen global agierende Konzerne die Gelegenheit. Eine Deregulierung der Arbeitsmärkte ist jetzt viel leichter durchzusetzen. Dazu ein kleines Beispiel: In den USA haben Arbeitnehmer durchschnittlich nur Anspruch auf zwei Wochen Urlaub pro Jahr, in Europa sind es meist vier Wochen. Der Druck wird steigen, diese „Standards“ aneinander anzugleichen – mit Verweis auf die Wettbewerbsfähigkeit.

Wikipedia: „Kritisiert wird außerdem, dass das TTIP geheime Schiedsgerichtsverfahren – Investor-State Dispute Settlement (ISDS) – vorsehe, in dem Konzernen die Möglichkeit gegeben wird, Staaten zu verklagen, etwa wenn durch staatliche Eingriffe Gewinnerwartungen geschmälert worden seien.“ Die Streitfälle werden aber nicht „vor ordentlichen Gerichten verhandelt, sondern vor geheim tagenden internationalen Schiedskommissionen“, schreibt der Spiegel: „Als Richter fungieren teilweise Anwälte, die sonst in Kanzleien arbeiten. Ihre Urteile sind unangreifbar“. Das Kapital kümmert sich eben nicht um geltendes Recht.

Da deutsche Medien ungern Quellen verlinken, muss ich das selbst tun. Der Artikel im Print-Spiegel basiert zu einem großen Teil auf der Analyse von Cecilia Olivet und Pia Eberhardt (pdf): „Profiting from Crisis – How corporations and lawyers are scavenging profits from Europe’s crisis countries“ (Amsterdam/Brussels, March 2014, published by the Transnational Institute and Corporate Europe Observatory).

Man sieht sehr schön, was geschähe, würden die großen Konzerne enteignet. Ich fordere es trotzdem.

Leider habe ich keine ernst zu nehmende linke Partei gefunden, die das unterstützte. Vielleicht sollte ich der „Linken“ anbieten, dort „Kapital“-Kurse zu geben. Früher gab es noch MASCh – nach der Maxime „Jeder kann alles lernen!“. Heute muss man vermutlich bloggen. Niemand kann sagen, er oder sie hätten es nicht gewusst.




Ist der Wille erst da

Soeben bekam ich eine verschlüsselte (!) E-Mail:

Sehr geehrte Herren Schröder, Ude, Frau Arslan,
ich habe in den Nachdenkseiten Ihre Anleitung zur Verschlüsselung gefunden und gestern haben wir diesen Weg beschritten und wie Sie heute sehen funktioniert es wunderbar. Ich bin absoluter Anfänger und benötige Überwindung was das Netz angeht. (…) Ich betreibe eine Praxis für Naturheilkunde und bin Heilpraktikerin. (…)

Löblich! Geht doch!




Unfähigkeit und Dummheit und Volksverarschung

Der Spiegelfechter analysiert den so genannten „Schuldenschnitt“ für Griechenland als das, was er ist – eine Volksverarschung, bei der die gewohnt unkritischen und obrigkeitshörigen deutschen Medien kräftig mithelfen. Gleichfalls die Nachdenkseiten.

Offenbar bewerten die Akteure an den Finanzmärkten die Ergebnisse des Gipfels diametral anders als die leider wieder einmal vollkommen unkritischen Medien. Man sollte sich nicht von der PR der Bankenlobby ins Bockshorn jagen lassen. Der Finanzsektor zählt ganz klar zu den Gewinnern des Gipfels.

Ähnlich die Nachdenkseiten.

Es wurde vielmehr gar kein Schuldenschnitt – in welcher Höhe auch immer – beschlossen, sondern lediglich angekündigt, dass man die Banken und Versicherungen zu Verhandlungen einlädt, an deren Ende ein Anleihentausch stattfinden soll, bei dem die Institute auf freiwilliger Basis ihre Griechenlandanleihen gegen andere Anleihen eintauschen können. Dabei sollen sie – so die Absichtserklärung – einen Nominalwert von 50% abschreiben.

Die Pointe kommt kurz darauf:

Was für die Banken ein Grund zur Freude ist, hilft den Griechen kein Jota weiter. Wie die Eurozone es schaffen will, die griechische Gesamtverschuldung auf 120% des BIP zu drücken, bleibt wohl das ewige Geheimnis der Regierungschefs. Ein solch hoher Schuldenabbau wäre nur möglich, wenn ein echter Schuldenschnitt in substantieller Höhe stattfinden würde. Davon wären jedoch auch die Kredite der Eurostaaten, der EU und die Zentralbanken betroffen, die momentan Griechenlandanleihen im Wert von rund 63 Mrd. Euro halten.

Wie ich schon sagte: „‚Rettungsschirm‘ (…) Dabei handelt es sich weder um eine Rettung Griechenlands, sondern um die Ausplünderung des Landes, noch um einen Schirm, sondern darum, dass die Gelder der Steuerzahler den französischen und deutschen Banken in den Rachen geworfen wird.

Felix Leitner fasst das so zusammen: Der Punkt dabei ist, dass die Anleihen ja den Preisverfall bereits eingepreist haben. Eine als Beispiel genannte Anleihe von 2007 hat einen Nominalwert von 100 Euro, wird aktuell aber mit ca 30 Euro gehandelt, d.h. zum Marktwert bilanziert wäre das eine Abschreibung von 70%, und jetzt können sie das gegen Anleihen umtauschen, die nur 50% abschreiben. Mit anderen Worten: ein Geldgeschenk für die Banken, auf Kosten des Steuerzahlers.

Mir gefallen auch die Kommentare des Publikums beim Spiegelfechter: „Warum wird das in den klassischen Medien nicht korrekt dargestellt ? Sind das alles Laien in den Redaktionsstuben?“ – „Ich denke, sie sind a) faul und b) personell nicht gut ausgestattet. Das soll jetzt nicht arrogant klingen, aber die Zahl der Journalisten der großen Zeitungen, die sich bei Finanzthemen überhaupt so gut auskennen, dass sie sich wagen, den Agenturen zu widersprechen, ist sehr klein.“ – „Es liegt bei Merkel keine Lügerei vor – nur Unfähigkeit und genau so ist es bei der SPD- und der Grünen-Führung. Dummheit herrscht im Bundestag vor.“

Quod erat demonstrandum.




Meinungsmache

Via Hal ein interessantes Thema: „Totschweigen als Methode zur Verschleierung der Meinungsmache“. Das hört sich zwar nach einer Verschwörungstheorie an, bezieht sich aber auf ein medienkritisches Buch Albrecht Müllers: „Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen.“

„…weil ich in einem Kapitel, dem Kapitel 21 ‚Das Verschwinden der Medien als kritische Instanz‘ ausführlich auf 60 Seiten beschreibe, hatte ich erwartet, dass dieses Buch wie übrigens auch die NachDenkSeiten auf den Widerstand der Hauptmedien treffen wird. Ich hätte mit Verrissen der betroffenen Medien gerechnet, aber nicht mit dem totalen Totschweigen.“

Totschweigen? Das stimmt nicht, vgl. das Interview von Spiegel Offline oder die Rezension von SR2: „Wenn alle führenden Medien ungefähr das Gleiche verbreiten, dann kann es sich einfach um die Wahrheit handeln. Es kann aber auch das Ergebnis gezielter Propaganda und Meinungsmache sein. Abweichende Meinungen können Verschwörungstheorien sein oder berechtigte Hinweise auf ein Vertuschen von unangenehmen Tatsachen.“ Auch die Attitude „keiner liebt mich“ kann also Meinungsmache sein.

Der Autor war Redenschreiber des Bundeswirtschaftsministers Karl Schiller in den Jahren 1968 und 1969, Verantwortlicher für Willy Brandts Wahlkampf und Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt bei Brandt und Schmidt.