Die Angst deutscher Medien vor dem Leser

Kommentar

Hier die Süddeutsche. So kann man Zensur auch begründen. Ich empfehle eine bessere Formulierung: „Wir wollen die Qualität des Internet stärken. Wir bitten Sie deshalb um Ihr Verständnis, dass wir alle noch von Deutschland aus erreichbaren Websites ab 19 Uhr bis 8 Uhr des Folgetages durch die regierungsamtlichen Zwangsproxies einfrieren. In dieser Zeit kann das Internet von Ihnen nicht genutzt werden. Dieser Freeze gilt auch für das Wochenende. Sie werden sicher verstehen, dass unsere Internet- und Jugendschutzwarte genau so ein Recht auf einen geregelten Feierabend und ein freies Wochenende haben wie die hauptamtlichen Zensoren bei der Online-Ausgabe von sueddeutsche.de.“ Ich habe diesen Vorschlag dort hingeschickt, werde vermutlich aber keine Antwort bekommen.

„Gefühlt jugendgefährdende Inhalte“

Readers Edition: „Sachsen-Anhalt zum Beispiel würde, wenn es könnte, Seiten von Wettanbietern sperren. Muss sich Herr Vesper, der es gewagt hatte, öffentlich zu sagen, dass Deutschland gar nicht wenige Webseiten zensiert, dennoch entschuldigen? Oder muss jugendschutz.net, nach Ansicht von Schröder treibende Kraft hinter vielen, vielen gesperrten Seiten, sich künftig öffentlicher Diskussion und Konrolle stellen? Wahscheinlich ist Variante 3: Heute Olympia-Eröffnung. Morgen das erste Gold. Menschenrechte, Zensur, China – spätestens ab Sonntag kein Thema mehr.“ Readers Edition hat den Text übernommen von Politplatschquatsch.

Gericht stärkt Meinungsfreiheit von Blogs

Kanzlei Kremer: „Mit Urteil vom 16.07.208 hat das AG Frankfurt/Main sich mit bemerkenswert deutlichen Worten dazu geäußert, dass der Betrieb eines Internetforums oder Blogs dem Schutz der Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit unterliegt und deshalb generelle “Vorab-Zensur-Pflichten” (so das AG Frankfurt/Main wörtlich) abzulehnen seien, was insbesondere auch bei Blogs mit “kritischen Inhalten und Diskussionen” gelten müsse.“ Das Gericht wörtlich:

Soweit die Klägerseite dagegen einwendet, dass gerade bei Blogs mit kritischen Inhalt und Diskussionen mit provozierenden Inhalt eine generell Prüfpflicht besteht, ist dies abzulehnen. Dabei ist zu beachten, dass das Betreiben eines lnternetforums unter dem Schutz der Presse und Meinungsäußerungsfreiheit steht, und dass die Existenz eines derartigen Forums bei Überspannung der Überwachungspflichten gefährdet wäre. (…) Bei der Annahme einer generellen Vorab-Zensur-Pflicht bei der Einstellung von Artikeln mit kritischen Stellungnahmen oder brisanten Inhalt, würden zwangsläufig auch zulässige Meinungsäußerungen erfasst und das Modell des lnternetforums/blogs insgesamt in Frage stellen.“

Vgl. heise.de: „Gericht stärkt Meinungsfreiheit von Blogs“.

Mehr mächtige Spionage-Werkzeuge, bitte!

Vorgestern hatte ich mich schon über die faktenarmen Textbausteine echauffiert, die jetzt wieder zum Thema „Bundestrojaner“ im Umlauf sind. „Der Angriff mittels eines sogenannten [sic] Trojaners“, schreibt SPIEGEL Print. Nein. Erstens heißt das Ding „Trojanisches Pferd“. Die Trojaner waren das Opfer, nicht die Täter. Und zweitens ist es nicht legitim, jedwede Art von Spionagesoftware jetzt als „Trojaner“ zu bezeichnen. Es hat sich bisher auch niemand erkühnt zu behaupten, die Implementierung der Überwachungs-Software sei online geschehen.

„Sie schleusen heimlich einen Trojaner in das Computernetzwerk des Ministeriums für Handel und Industrie, eine Spähsoftware, die sich auf den fremden Rechnern einnistet und in aller Stille hilft, den Inhalt der Festplatten nach Deutschland zu schicken. Heimlich schleusen – geht es etwas genauer? Ist das afghanische Netz so unzureichend gesichert, haben es die Deutschen vielleicht selbst aufgebaut, Datenlecks per default inbegriffen? Ich gehe davon aus, dass die Schlapphüte Keylogger und das übliche Zeugs direkt und „händisch“ installiert haben – oder denen gleich die ab Werk verwanzten Rechner direkt vor die Nase gestellt haben. Windows, I presume.

Auch im Kongo haben die Geheimdienstler im letzten Jahr Rechner verwanzt, berichtet SPIEGEL Print (28.04.2008, S. 24). „Der Einsatz flog auf, weil einer der BND-Männer das mächtige Spionage-Werkzeug zweckentfremdete, um romantische Postg seiner Partnerin an einen Bundeswehrangehörigen abzufangen.“ Bruhahaha.

Die Leitung am Hindukusch muss übrigens recht dick sein, wenn man ganze Festplatten (ab 40 Gigabyte aufwärts) verschicken kann, ohne dass die Kisten abrauchen oder alles nur noch in Zeitlupe geschieht. Die „Unterlagen zu diesem Fall wurden offenbar weitgehend vernichtet“. Sehr schön. Also bleibt viel Platz für wildes Herumspekulieren.

„Der Trojaner meldet nach Pullach, dass Farhang eine E-Mail-Adresse des amerikanischen Internet-Anbieters Yahoo nutzt, und das Passwort liefert er gleich mit.“ Übersetzt heißt das: Ein afghanischer Minister nutzt keine eigenen Server, sondern ein Postfach bei Yahoo. Kann man so blöd sein? Ja, kann man. By the way:: „Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat den US-Unternehmen Microsoft, Google und Yahoo vorgeworfen, bei der Zensur des Internets durch China mitzuwirken.“ Farhangund seine ganze Behörde haben offenbar vom Internet so viel Ahnung wie Michael Konken vom Bloggen. Und alle schreiben Postkarten. Das ist mittlerweile irgendwie ein Running Gag. Traurig, aber wahr.

Ich gönne ihnen die „Trojaner“. Mehr davon, bitte! Gegen die schier unfassbare Naivität, Belehrungsresistenz und Ignoranz der meisten Menschen, die Sicherheit der Daten und der elektronischen Kommunikation betreffend, kann man offenbar erst dann verändern, wenn man ihnen demonstriert, welche Folgen das hat. Ich wette, dass Farhang noch immer Postkarten schreibt, und die betroffene Journalistin auch.

Nachtrag. Die FAZ schreibt: „So sei nicht das persönliche E-Mail-Konto des Ministers, sondern seine Dienst-Mail-Adresse betroffen gewesen, sagte ein BND-Sprecher. Im ‚Spiegel‘-Bericht sei von einer persönlichen Yahoo-Mail-Adresse des Ministers die Rede. Nach Angaben des BND wird jedoch der gesamt E-Mail-Verkehr des Ministeriums über den amerikanischen Provider Yahoo abgewickelt.“ Das ist ja noch schlimmer…

Neonazis – zu blöd zum Bloggen

Dieser Artikel von mir erschien am 30.03.2008 in der Netzeitung.

Neonazis im Internet – gibt es die noch? Ja und nein: Die ultrarechte Szene hat ihre Auftritte im World Wide Web professionalisiert. Parallel dazu wird es für Rechtsextremisten immer schwieriger, ihre Weltanschauung an den Surfer zu bringen. Wenn es im Web 2.0 interaktiv wird, versagen die braunen Kameraden jämmerlich.

Die ersten beiden Nazis im Netz waren US-Amerikaner. Milton John Kleim gründete 1993 das Ein-Mann-Unternehmen „Aryan News Agency“ und versuchte die braunen Kameraden zu lehren, wie man online Hass-Propaganda macht. Sein Traktat „On Tactics and Strategy for Usenet“ verbreitete er im ältesten Teil des Internet, in den Diskussionsforen („newsgroups„), weil noch kaum jemand das Word Wide Web benutzte. Zwei Jahre später brachte Don Black stormfront.org ins Netz, die erste Nazi-Website, die bis heute online ist. Die deutschen Rechtsextremisten hatten derweil aufs falsche Pferd gesetzt: Die NPD versuchte damals, per Bildschirmtext (BTX) zu werben; und die militante Szene setzen auf das technisch veraltete Bulletin Board System. Zwar ging das Thule-Netz mit den üblichen Schlagworten „Bombenbauanleitungen„, „verschlüsselte Kommunikation“, „gefährliche Propaganda“ durch alle Medien; in den ein Dutzend Mailboxen diskutierten aber nie mehr als Hundert Ultrarechte. Die rechten Mailboxen starben vor über einem Jahrzehnt einfach aus.

Deutsche Stimme

Heute gibt es in Deutschland immer noch nicht mehr Aktivisten, die Rassismus und Antisemitismus im Internet verbreiten. Eine allgemeine Online-Strategie der Neonazis ist nicht zu erkennen. Die Wahlerfolge der NPD in einigen Regionen der neuen Bundesländer spiegeln sich nicht wieder: Weder hat die Zahl der Websites rechtsextremer Gruppen zugenommen noch nutzen sie das Medien zeitgemäß, um Propaganda zu betreiben. Die Fluktuation ist hoch, kaum eine eine rechtsextreme Diskusisonsplattform ist über eine längere Zeit und kontinuierlich online. Nur ein halbes Dutzend Websites aus dem ultrarechten Milieu, die relevante Nutzerzahlen vorweisen können, muss politisch ernst genommen werden. Mit Ausnahme der NPD wird keine davon in Deutschland gehostet.

Altermedia.info und widerstand.info („das nationale Infoportal“) sind die beiden einflussreichsten Neonazi-Websites. Sie wenden sind an die „unabhängigen“ und militanten Gruppen, die so genannten „freien Kräfte“, die im Gegensatz zur offiziellen Parteilinie der NPD stehen. Der Stralsunder Neonazi Alex Möller, Betreiber von stoertebeker.net, beliefert auch die deutsche Sektion von Altermedia. Möller ist so gut wie mit allen braunen „Kameraden“ zerstritten – das macht ihn „unabhängig“. Sowohl „Altermedia“ als auch der „Freie Widerstand“ bieten eine Art tägliche Presseschau und leben davon, Artikel aus den Medien einschlägig kommentiert aufzubereiten. Altermedia war als eine rechtsextreme Version von Indymedia geplant, verhält sich aber von der Meinungsvielfalt der Kommentare wie das DDR-Staatsfernsehen zum Offenen Kanal.

Auch im Internet gelten die Gesetze des freien Marktes für Meinungen. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Die NPD verbreitet online nur Propaganda im Frontalunterricht, vor den typischen Features der Interaktivität wie Foren, Kommentare und anderen Meinungen fürchtet man sich – nach dem Motto: Wo kämen wir denn hin, wenn bei uns Fremde schreiben dürften. Nazis können einfach nicht bloggen. Die Websites der NPD und die der „freien Kameradschaften“ verbreiten Vorurteile und mehr oder minder subtile Hetze. Dagegen helfen Argumente nichts. Das Web 2.0 lebt aber von der öffentlichen Diskussion, von deftigen Kommentaren, ja von unterhaltsamen verbalen Kriegen – den so genannten „flame wars“.

Deutsche Stimme

Private „Weltnetz-Tagebücher“ aus der rechtsextremen Ecke gibt es nicht: Wer interessiert sich dafür, ob jemand heute schon das braune Hemd gewechselt hat oder für das ewige Jammern über den angeblichen großen Einfluss der Juden? Neonazis stehen politisch und ästhetisch in direkter Konkurrenz zu zahllosen anderen Websites: Die Gegenmeinung ist immer nur einen Mausklick entfernt. Die Rechtsextremen laufen in die virtuelle Konsum-Falle: Wollen sie so interessant sein wie andere Angebote im Netz, müssten sie auf direkte politische Indoktrination verzichten und damit ihre „corporate identity“ verwässern. Das machte sie aber unattraktiv für die eigentliche Klientel.

Die gut besuchten rechten Websites wie der deutsche „Wikingerversand“ oder die englische „Blood and Honour“ wollen zumeist etwas verkaufen, Musik, Kleidung, einschlägige Devotionalien. Wer sich aber für Nazi-Film-DVDs wie das antisemitische Machwerk „Der ewige Jude“ oder „Jud Süß“ online interessiert oder sich beim ultrarechten Zeitzer Online-Shop Enos über die Reichsflugscheiben „aufklären“ lassen will, dem ist vermulich ohnehin weltanschaulich nicht mehr zu helfen.

Das Internet lässt gut gemeinte Zensur-Versuche natürlich ins Leere laufen: Stormfront.org wird in Nordrhein-Westfalen ausgefiltert; mit ein paar Mausklicks kann man aber diese primitive Methode umgehen, dem Guten, Schönen und Wahren zum Erfolg verhelfen zu wollen. So dumm, wie sich Rechtsextreme im Internet anstellen, gerieren sich leider auch oft ihre Gegner. Der naive Ruf „Nazis raus aus dem Internet“ mag das Gewissen beruhigen, ist aber ungefähr so effektiv wie die moraltheologische Forderung, das Böse doch endlich aus der Welt zu schaffen. „Wir dürfen unsere Meinung hier nicht verbreiten“ ist das einzig wirklich gefährliche Argument der deutschen Neonazis. Es fußt auf der Tatsache, dass nationale Gesetze im Internet ins Leere laufen, wenn es um – wenn auch eklige – politische Ideen geht. Wer unappetitliche braune Brühe essen mag, der wird das tun – offline wie online.

Screenshots: Deutsche Stimme (NPD), Bildschirmtext 1995 und Website 2008

Manga, Mädchen, Mohammed

Dieser Artikel von mir erschien am 30.03.2008 auf Telepolis.

Für alles und alle Arten von Menschen gibt es Online-Communities. Nur die Cartoonisten hatten noch keine Plattform. In Berlin gründeten sich gleich zwei konkurrierende Cartoon-Portale.

Toonpool

Toonpool ist international, professionell und in englischer Sprache. ToonsUp, eine noch sehr kleine „freie Künstler-Community“, verweigert sich dem Kommerz und kann nur mit dem Kuschelfaktor punkten. Der ästhetische Spagat ist bei beiden groß: Auch Hobby-Cartoonisten können ihre Werke hochladen, nicht immer zum Amüsement aller. Der stern-Karikaturist Til Mette steht bei Toonpool gleichberechtigt neben der Mangaka Inga Steinmetz (www.the-wired.de/). Ein „Herren-Gliedpflegeset“ von Bernd Pohlenz ist nur wenige Mausklicks entfernt vom „blowjob“ des Berliner Hobby-Cartoonisten „shin kazama“. Bei ToonsUp geht es hingegen eher betulich zur Sache; selbst die „Die sieben Todsünden“ des Nutzers „Waterwing“ würden keinen Katholiken aufregen.

Toonsup

Cartoons sind ein Nischenprodukt; wer relevante Zugriffszahlen und Nutzer haben will, kommt also an Mangas – in Japan Massenware und Teil der Popkultur – nicht vorbei. Der europäische Polit-Cartoon in der Tradition des französische Malers und Bildhauers Honoré Daumier und die Mangas, die in Europa eher Jugendliche ansprechen und sich künstlerisch auf Osamu Tezuka berufen, passen auf den ersten Blick nicht zusammen. Nur wenigen Künstlern gelingt es, beides im Blick zu haben.

Glamour-Girl bei Toonpool ist Marie Sann, 22, eine der begabtesten deutschen Nachwuchszeichnerinnen. Die Berliner Grafikdesign-Studentin mit dem Henna-Haar und dem professionellen Starlet-Lächeln weiß sich geschickt zu vermarkten: Ein eigenes Blog mit Fan-Gemeinde und ein Online-Shop gehören dazu, die Präsenz bei allen Veranstaltungen der Manga-Szene, und ein überraschend weites künstlerisches Spektrum zwischen klassischer Zeichnung und Comic-Art. Aber erst Toonpool konnte den Geschmack der Nutzer realistisch abbilden. Das Portal hat vergleichbare Features wie die Foto-Community Flickr: Die Nutzer bewerten, kommentieren, legen Favoriten an – und der Betreiber freut sich über die entstandenen Profile. Es verwundert nicht, dass das meistgesehende Bild Sanns ein Mädchen im Dirndl und mit Bierkrügen ist, aber im „Kindchen-Schema“ der Manga-Tradition gezeichnet. Die Tags sind vielsagend: „manga woman girl oktoberfest bayern“.

Marie Sann

Warum wirkt also ein Manga-Mädchen, das entfernt an „Heidi“ erinnert, aber auch in einen japanischen Comic passte, so originell und „attraktiv“? In diesem Fall durch zwei Faktoren: Zwei Stilformen greifen ineinander, die nicht unterschiedlicher hätten sein können: Das typisch deutsche Klischee des Dirndl-Mädchens wird ironisch durch die „triviale“ und popkulturelle Manga-Tradition gebrochen. Es wächst zusammen, was nicht zusammengehört. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass die Künstlerin das vorher theoretisch so konzipiert hat. Marie Sann steht für eine Generation von Cartoonisten, die auf eine solide Ausbildung nach europäischer Kunst-Tradition aufbaut, aber andererseits – durch den Massengeschmack der Manga-Teenies gefordert – ganz neue zeichnerische Elemente experimentell einbauen kann – und muss.

Osamu Tezuka war der erste Mangaka, der das „Kindchen-Schema“ mit den großen Augen benutzte. Dieser Stil gilt heute als prägend für japanische Mangas. Das Muster hat sich in Europa trotz einiger Vorläufer erst in den letzten zehn Jahren verbreitet, in Frankreich und Spanien eher als in Deutschland. Die Anime-Filme von Katsuhiro Otomo sind mittlerweile auch dem hiesigen Publikum bekannt.

Die europäische Tradition hat diesen Stil im Cartoon und im Comic eigenständig hervorgebracht – auch ohne den Einfluss von Walt Disney. „Sindbad der Seefahrer“ als Teil des Zyklus „Märchen der Völker“ wurde von Stefan Mart schon in den dreißiger Jahren als Comic gezeichnet. Über den Künstler weiß man so gut wie nichts, fest steht nur, dass er Generationen deutscher Cartoonisten beeinflusst hat. Im Gegensatz zur US-amerikanischen Tradition – zum Beispiel Captain Future aus den vierziger Jahren, verzichtete Mart weitgehend auf das Kindchen-Schema und zeichnete eher „realistisch“.

Marie Sann

Die Stilelemente des modernen Manga eröffnen der europäischen Tradition eine neue Tür: Das Kindchen-Schema spricht sowohl Erwachsene an, die mit Cartoons Satire, Humor und Karikatur verbinden, auch ernsthaften politischen Anspruch, als auch Jugendliche, die die Geschichten und Figuren benutzen, um sich damit zu identifizieren. Nicht zufällig gibt es in Japan geschlechterspezifische Mangas: Shōjo-Manga werden speziell für heranwachsende Mädchen im Alter von circa sechs bis achtzehn Jahren gezeichnet werden, Shōnen sind mehr action-orientiert und wenden sich an Jungen.

Der Cartoon – auf Karton – war ursprünglich das „Gemälde“ von Zeichner, die zu arm waren, um sich Leinwand leisten zu können. In Deutschland verbindet man mit Cartoons vor allem Polit-Satire oder humoristische Milieu-Studien – von den legendären Magazinen Kladderadatsch und Simplicissimus aus dem 19. Jahrhundert über die Pardon aus den sechziger Jahren bis zur heutigen Titanic und dem Eulenspiegel.

In England und den USA hat sich der Cartoon auch in den klassischen Medien etabliert. In Deutschland haben nur wenige Zeichner internationalen Erfolge, Uli Stein ist der bekannteste. Von ihrer Arbeit leben können nur wenige, Bernd Pohlenz, einer der Gründer von toonpool.com, gehört dazu. Ronald Markwordt, der ToonsUp initiiert hat, ist in der Star-Wars-Fangemeinde als Zeichner eine Größe, aber in Mainstream-Medien eher unbekannt.

Spannend wird es, wenn Cartoonisten aus unterschiedlichen Kulturen ihren Humor und ihr Politikverständnis aufeinanderprallen lassen. Der brasilianische Zeichner Marcelo Rampazzo etwa hat bei Toonpool ein Mohammed-Cartoon (272 virgins“) veröffentlicht, das den berühmt-berüchtigen Karikaturen der dänischen Zeitung Yllands-Posten in nichts nachsteht und den Betreibern des Portals ein paar Schweißperlen auf die Stirn zauberte. Die gesammelten Islam-Cartoons werden auch nicht jedem gefallen. Karl Hermann, einer der Macher von Toonpool, Ex-Chefredakteur des Berliner Stadtmagazins Tip, sagt: „Zensiert wird nicht“. Näheres regeln die allgemeinen Nutzungsbedingungen im Kleingedruckten.

Von Zensur kann der afghanische Zeichner Atiqullah Shahid erzählen, der jetzt im schweizerischen Luzern lebt. Shahid hat wie auch zahlreichen andere Künstlern aus Ländern der Dritten Welt am umstrittenen Karikatur-Wettbewerb „About Danish Cartoons and Holocaust“ teilgenommen. Die Cartoons wurden 2006 im Museum für Zeitgenössische Kunst in Teheran ausgestellt und galten als „Retourkutsche“ auf die angeblich nur „einseitige“ Toleranz der westlichen Kultur. In Afghanistan darf Shadid nichts mehr veröffentlichen, aber jede Afghane mit Internet-Anschluss kann sich seine Cartoons bei Toonpool ansehen.

Cartoons haben Zukunft: Je größer das weltweite Publikum durch das Internet wird, um so mehr müssen politische Aussagen über alle kulturelle Grenzen hinweg verstanden werden. Bilder sagen mehr als Worte – eine visualisierte These wird eher wahrgenommen als lange Traktate.

Was verwundert ist eher, dass ausgerechnet die Deutschen mit ihrer ausgeprägten und immer noch aktuellen Tradition der Zensur auf die Idee kamen, Cartoonisten weltweit zusammenzuführen. Zur Internet-Kultur haben sie außer dem „Disclaimer“, der „Internet-Meldestelle“ und der „Bielefeld-Verschwörung“ nicht viel beigetragen. Afghanische Cartoons zu hosten, ist aber vermutlich immer noch besser für die Weltkultur als die Opium-Kulturen am Kindukusch zu bewachen.

NPD-Verbot, die 1234ste

Tagesschau

Die aktuelle „Debatte“ um das NPD-Verbot ist bloße Spiegelfechterei. Kein Wunder, dass der regierungsamtliche „Kampf gegen Rechts“ zur hohlen Phrase verkommt, wenn er je etwas anderes war. Man muss sich nur die Textbausteine anhören, die die üblichen Verdächtigen absondern – und das Medienecho darauf. Nur diese beiden Komponenten zusammen ergeben ein Bild über das Motiv. Die Frankfurter Rundschau bezeichnet den mecklenburgischen Innenminister Lorenz Caffier als jemanden, der „härter und entschlossener gegen die rechtsradikale NPD vorgehen will“. „Härter und entschlossener“ – das sind gewöhnlich rechtpopulistische Vokabeln für Politiker, die nichts zu sagen und keinen Charakter haben und daher den Gefühlszustand des permanent „Zu-allem-entschlossen-Seins“ kultivieren. Caffier ist Diplom-Ingenieur für Land- und Forsttechnik, war Vorsitzender einer LPG und „Blockflöte“, also in der DDR-CDU. Allzeit bereit und zu allem entschlossen – das macht einen quasi automatisch zum Politiker im Beitrittsgebiet.

Auch Sebastian Edharty von der SPD ist laut taz nicht besser. Der sagt über Verfassungsschutz-Spitzel und andere V-Leute: „Das sind keine Spione, sondern überzeugte Rechtsextremisten, die dem Staat interne Informationen verkaufen.“ Woher weiß der das? Warum sollte jemand jemanden verraten, der „überzeugt“ ist? Edarthy behauptet: „Nach dem ersten Verbotsverfahren 2003 hat sich die NPD zunehmend radikalisiert, weil sie glaubte, unantastbar zu sein.“ Das ist doch Unfug. Treten Komparative gehäuft auf – nach dem Motto: die Bösen werden immer böser und nutzer immer öfter das immer gefährlichere Internet – muss man jedes Komma nach den Fakten abklopfen. Meistens sind da gar keine. Außerdem ist eine „Radikalisierung“ für ein Verbotsverfahren irrelevant. Das wird gern verschwiegen. Ralf Stegner SPD Schleswig-Holstein, meint laut FTD (- die das Zitat von des Osnabrücker Zeitung hat,ohne die zu verlinken): „Die Verfassungsfeindlichkeit der NPD ist mit Händen zu greifen“. Aben. Aber das heißt dar nichts. Eine Partei darf verfassungsfeindlich sein. „Aggressiv-kämpferisch“ ist der Begriff, die conditio sine qua non eines Verbots. Aber was das ist, weiß nur das Bundesverfassungsgericht. Dieser Sorte von Politikern, die sich selbst aggressiv-kämpferisch für Verbote und vermutlich auch für Zensur des Verbotenen aussprechen, haben das Wesen der Demokratie nicht begriffen.

Wer eine Dumpfbacke ist, redet auch so. SPD-Chef Kurt Beck tönt laut Zeit Online. diee „braunen Horden, die Verfassung und Freiheit mit Füßen treten“, seien unerträglich. Er sollte sich lieber fragen, warum die „Horden“ braun sind und warum der Lichterketten-Kampf gegen „Rechts“, der seit acht Jahren mit großer Vehemenz geführt wird, bis jetzt gar nichts gebracht hat. Die NPD ist keine politische Gefahr und wird das in absehbarer Zeit auch nicht werden. Warum also diese pseudo-hysterische Aufgeregtheit? Man wird den Verdacht nicht los, dass es nur darum geht, sich in der Innenpolitik zu profilieren, ganz gleich, mit welchem Inhalt, um vom eigenen Versagen abzulenken. Bei Beck ist das offenkundig.

Tagesschau

„Gegen Rechts“ ist mittlerweile in den Medien ein sogenanntes „weiches Thema“, kann also auch von Praktikanten und Volontären gemacht werden. Recherchen sind unnötig, man weiß a priori schon alles über „Rechts“. Und wenn nicht, verfasst man kurzfristig eine Melange aus Verfassxungsschutz-Lyrik, Wikipedia und Moraltheologie. Ich weiß, wovon ich rede, weil ich immer wieder Anfragen bekomme, ob ich nicht etwas „gegen Rechts“ schreiben könne, und die Fragenden dann erstaunt bin, dass ich herumzicke und mich weigere, die seit zwei Jahrzehnten sattsam bekannten Floskeln daherzubeten. Berichte wie der in der Welt verzichten zum Beispiel ganz auf den journalistischen Anspruch und käuen nur das wieder, was irgendwelche Politiker und sonstigen Experten so meinen und sagen. Wieso sollte ich das überhaupt noch lesen?

Auch Johannes Gerster, der Präsident der „Deutsch-Israelischen Gesellschaft“, fordert ein NPD-Verbot. „Dieses Thema lässt keine parteipolitische Profilierung zu, sondern muss eindeutig, klar, zielorientiert und übereinstimmend behandelt werden. (…) Nur so kann der Eindruck vermieden werden, dass sich die demokratischen Kräfte aus parteipolitischen Gründen nicht auf einen Kampf gegen die NPD verständigen können.“ Ach ja. „Klar und zielorientiert“ – welche schöne sprachliche Seifenblase, die zerplatzt, sobald man sich ihr nähert. Warum sollte die CDU gegen „Rechts“ sein, also gegen Rassismus? Weite Teile der Partei pflegen doch ohnehin ein völkisches Verständnis der Nation, begrüßen die rassistische Asyl- und Ausländergesetzgebung und wissen nicht, wie Antisemitismus in die Köpfe hineinkommt, geschweige denn wieder hinaus. Auf was wollte man sich also verständigen? Vielleicht auf eine völlig ungefährliche und aus der Wissenschaft bekannte Prüfmethode – die Blindprobe: Verfassungsschutz ersatzlos abwickeln und zuvor V-Leute abschalten. Aber ob die NPD dann noch arbeiten kann?

Guckst du hier, in die Frankfurter Rundschau: „Im Frühjahr 2007 verbot das sächsische Innenministerium die Neonazi-Schlägerbande „Sturm 34“, die ein Jahr lang in der Region Mittweida ihr Unwesen getrieben hatte. In der Verbotsbegründung hieß es, die 150 Mitglieder und Anhänger der Gruppe hätten Ausländer und Andersdenkende angegriffen und zusammengeschlagen. Ziel der Attacken sei „eine national befreite Zone“ in Mittelsachsen gewesen. Vor dem Dresdner Landgericht beginnt nächste Woche Donnerstag der Prozess gegen fünf Angeklagte. Die Staatsanwaltschaft wirft den jungen Männern Landfriedensbruch, die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung und Körperverletzung vor. Kurz vor Prozessbeginn sorgt ein Bericht der Chemnitzer Freien Presse für Aufsehen: Nach Informationen des Blattes ist einer der Angeklagten ein Informant des Verfassungsschutzes gewesen. Der Mann soll bereits vor Gründung des ‚Sturm 34‚ im März 2006 für den Geheimdienst tätig gewesen sein“.

Tagesschau

Die NPD-Fraktion im sächsischen Landtag reibt sich schon genüsslich die Hände: „Laut einer Drucksache des Sächsischen Landtages hatte sich der in Chemnitz einsitzende Matthias R. an den Petitionsausschuss des Landtages gewandt und um die vorzeitige Entlassung aus der Haft gebeten. Polizei-Spitzel R. erklärte in der Petition, er sei Gründungsmitglied der Neonazi-Kameradschaft ‚Sturm 34‘ in Mittweida gewesen und zugleich auch Informant der Staatsschutzabteilung der sächsischen Polizei. Durch eine ermittelnde Staatsanwältin sei ihm deshalb eine Kronzeugenregelung zugesichert worden. Laut der Landtagsdrucksache wurde Mathias R. nach seiner Enttarnung im Juli 2006 in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen, wurde aus diesem auf eigenen Wunsch aber wieder entlassen.“

Frage an die Experten: Seit wann und bei welchem Anlass gibt es im deutschen Recht eine Kronzeugenregelung? „Straffreiheit für einen Kronzeugen soll nur möglich sein, wenn der Täter eine Freiheitsstrafe unter drei Jahren bekommen hätte.“ Ich kann es irgendwie nicht mehr hören….

Screenshots: Hakenkreuze im Auftrag des sächsischen Staaatsschutzes? Credits: Tagesschau.

Journalistische Recherche | Werkzeuge

[vgl. auch JOURNALISTISCHE RECHERCHE | WIRTSCHAFT]

Inhalt: SuchmaschinenÜbersetzungKIKartenBilder und VideosDarknet u.a.Whois-Datenbanken (Auswahl), nslookupAndere WerkzeugeSicher surfenAnonym surfen – Zensur umgehenSichere E-MailsChat und Instant MessagingDatensicherheitNachrichten und Medien-LinksammlungenArchive – Kataloge – diverse DatenbankenInformationsfreiheitDeutsche Sprache

Suchmaschinen
Google Advanced Search – engl. [div. Operatoren]
DuckDuckGo
Baidu [chin.]
Yandex [russ.]


Übersetzung
Google Translate
DeepL
ChatGPT


Artificial Intelligence
ChatGPT
Chatbot Arena
OpenAI Playground
DALL-E
Bard
Meta AI
Poe
Chat PDF
Ernie Bot (Chinesisch)
Chatsonic
copy.ai
FreedomGPT
DeepBrain AI (erzeugt Videos)
Kaiber (erzeugt Videos)
Cloud Natural Language – Natural Language API (kostenpflichtig)
IBM Watson Natural Language Understanding (kostenpflichtig)
TensorFlow (kostenpflichtig)
Scrapy (kostenpflichtig)
Hunchly
PromptPerfect
Midjourney Prompt Helper

Karten
Google Maps
Bing – Karten
Karten – Linksammlung der Staatsbibliothek Berlin

Bilder und Videos
Google Bildersuche
TinEye (auch als Browser Plugin) – identifiziert Bilder anhand digitaler Fingerprints
InVID Verification Plugin – Fake news debunker (Browser-Add-on, überprüft Bilder und Videos und deren Metadaten)
Youtube DataViewer – extrahiert die Metadaten aus Youtube-Videos
Metadata2go – Online Exif Viewer
Pic2Map Photo Location Viewer
FotoForensics [Tutorial]

Darknet u.a.
Hidden Wiki
TorLinks
Not Evil – Suchmaschine – nur über Tor erreichbar
Torch – Tor Search Engine
DuckduckGo – Darknet-Suchmaschine – nur über Tor erreichbar
Darknet unter Android nutzen
Ahmia
Ahmia – Onion domain list
i2p network search

Whois-Datenbanken (Auswahl), nslookup
IP Address Services – offizielle Linksammlung der Internet Assigned Numbers Authority (IANA)
ARIN – American Registry for Internet Numbers
LacNic (Internet Address Registry for Latin America and the Caribbean)
AfriNic
APNIC (Internet addressing services to the Asia Pacific)
Denic (Whois-Abfrage)
RIPE (Europa)
Whois v1.21 (Software für Windows)
who.is
EURid – The European Registry of Internet Domain Names
Flagfox – Firefox-Add-On zum Abfragen von Whois-Datenbanken
IP-Info.org – display and locate the IP address
network-tools.comTraceroute, Ping, Whois
Traceroute bei Heise
tracerout.org – Tools for Network Diagnostics
NSLookup
NSLookup

Andere Werkzeuge
Journalist’s Toolbox Update – American Press Institute (API)
Bellingcat Online Investigation Toolkit
Datawrapper – Tool, um interaktive Grafiken und Diagramme herzustellen
Parteispenden in Deutschland
Hochschulwatch
FragdenStaat – Behördendokumente
Online-Findbücher des Bundesarchivs und des Stasi-Unterlagen-Archivs (BStU-Archiv)
IVW – Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V.

Sicher Surfen
Resources for Cybersecurity Professionals – NSA
BrowserAudit – How secure is your browser?
Test your browser (Electronic Frontier Foundation)
Aktive Inhalte – BSI
HTTP-Cookies – Wikipedia (engl.)
Javascript-Risiken (D. Rehbein)
NoScript – Add-On für Chrome, Firefox u.a.
Ghostery – Browser-Add-On
Referer Control

Anonym surfen – Zensur umgehen
Tor Browser Bundle
Tor
JonDonym
JonDoFox
onion.to – Tor Hidden Services Gateway
tor2web – „browse the anonymous internet“
Internet Censorship
DNS Howto vom CCC
Deutscher VPN – Internetzensur in China und Facebook-Sperre umgehen (via archive.org)

Sichere E-Mails
Tutorials des Vereins German Privacy Fund:

Gpg4win (Windows)
GnuPG – E-Mail-Verschlüsselung
Enigmail: A simple interface for OpenPGP email security
Enigmail als Thunderbird-Add-On
TorBirdy – Thunderbird-Add-on für anonymes Mailen
Protonmail – Mailen via Tor
E-Mails verschlüsseln unter Mac OS X
E-Mails auf dem Mac verschlüsseln
GPGMail-Anleitung: PGP/GPG-Mailverschlüsselung mit Mac OS X Snow Leopard und Mail

Chat und Instant Messaging
#irchelp
IRC clients – für Windows, Mac und Linux
IRC – Wikipedia
IRC – Internet Relay Chat (Howto)

Datensicherheit
Veracrypt – Alternative zu Truecrypt
KeePassXC – Passwort-Manager für Windows und Mac

Nachrichten und Medien-Linksammlungen
Google News – Deutschland
Google News – USA
Google News – Großbritannien
Google News – Frankreich
Deutschsprachige Presse weltweit – Linksammlung der Siebenbürger Sachsen
Heise Newsticker – deutschsprachiger Ticker für IT-Themen
Slashdot – wichtigster internationaler Ticker für IT-Themen

Archive – Kataloge – diverse Datenbanken
WaybackMachine
Sci-Hub
Justizregister der Bundesländer
EUR-Lex – Zugang zum EU-Recht
KVK – Karlsruher Virtueller Katalog, Suche in allen deutschen Bibliotheken
Google Scholar
PubMed – Medical Search Engine
MedLine – National Library of Medicine’s (NLM) bibliographic database
Cochrane Library – Medical Search Engine
Science Direct – Medical Search Engine
dejure.org – deutsche und europäische Gesetze/Rechtsprechung

Informationsfreiheit
Bundesinformationsfreiheitsgesetz (IFG)
IFG Brandenburg – Landesbeauftragte für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht Brandenburg
Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit der Freien Hansestadt Bremen
Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit Mecklenburg-Vorpommern
Datenschutzbeauftragter Sachsen-Anhalt
IFG Thüringen
IFG Nordrhein-Westfalen – Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen
UDS – Unabhängiges Datenschutzzentrum Saarland
Informationsfreiheitsgesetz des Landes Rheinland-Pfalz
IFG Berlin – Berliner Beauftragter für Datenschutz und Akteneinsicht
Hamburgisches Informationsfreiheitsgesetz (HmbIFG)
Virtuelles Datenschutzbüro
Wikipedia: Informationsfreiheitsgesetz
Befreite Dokumente – Aktensammelstelle der Informationsfreiheitsgesetze der Länder und des Bundes (CCC und FoeBud)

Deutsche Sprache
Deutscher Wortschatz
DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jhs.

Last update: 19.07.2024 ©Burks

Eigennützige Teile des Gesäßes

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Der stern hat einen offenbar klugen Menschen über Unicef interviewt. [Wie es sich für deutschen „Online“-Journalismus geziemt, ist der stern nicht in der Lage, ihn zu verlinken. Aber was will man auch verlangen, wenn die Kolumnen des Kollegen Jörges als „Premium“-Inhalt für einen € verkauft werden.]

Bei Unicef ist es offenbar wie beim DJV. Lothar Schruff sagt: „Der Vorstand ist mit ehrenamtlichen Repräsentanten des öffentlichen Lebens besetzt, die von einer laufenden Überwachung der Geschäftsführung weit entfernt sind. Es reicht nicht aus, eine Prüfungsgesellschaft zu beauftragen, man muss dann auch die Ergebnisse zur Kenntnis nehmen.“ Eben. „Was mit dem Vermögen geschieht und wo die Erträge hinfließen, bleibt intransparent. (…) Unicef Deutschland weist auch nicht aus, was der hauptamtliche Geschäftsführer verdient.“ Was sagt Unicef? Was zu erwarten war: Es sei alles gelogen. „Es gab keine Verschwendung von Geldern, keine Unregelmäßigkeiten oder gar Satzungs- oder Gesetzesverstöße.“

„Ehrenämtler“, die das öffentliche Leben repräsentieren – was soll dabei herauskommen? Vermutlich sind es Pfaffen und andere Ahnungslose. Aber schauen wir in die Liste der „Ehrenämtler“ – es sind die üblichen Verdächtigen. Sabine Christiansen, Joachim Fuchsberger, Ekin Deligöz, Dr. Heinrich von Pierer, Dr. Henning Scherf, Dr. Antje Vollmer, Alexandra-Friederike Prinzessin zu Schoenaich-Carolath u.v.a.m. – allesamt Lichterkettenträger und Gutmenschen, die sich vermutlich mit dem vormaligen guten Ruf von Unicef schmücken wollten und als Motiv ein denkbar niedriges haben: Helfen, helfen, helfen, und sich dabei besser fühlen als anderen. [Hinweis: Wer anderen hilft und das herumposaunt, ist kein Altruist, sondern ein eigennütziges Arschloch.]

Wobei wir gleich bei einem ähnlichen Thema wären. Verwendung von Spendengeldern, eitle Dumpfbacken, Konzerne des Helfen und Heilens, unqualifizierte Aufsicht, ahnungslose Ehrenämtler, korrupteJjournalisten – wer fällt uns da ein? Mir zum Beispiel die stern– Initiative Mut gegen rechte Gewalt. Moment mal: Wenn man online spenden will, kommt man zur Amadeu-Antonio-Stiftung. „Die gemeinnützige Stiftung steht unter der Schirmherrschaft des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages Wolfgang Thierse. Vorsitzende des Vorstands ist Anetta Kahane. Die Amadeu Antonio Stiftung wird von der Freudenberg Stiftung unterstützt und arbeitet eng mit ihr zusammen.“

Was liest man auf Wikipedia über Frau Kahane? „Sie arbeitete unter dem Decknamen ‚Victoria‘ für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS); ihr Führungsoffizier Mölneck notierte, dass sie bereits beim zweiten Treffen „ehrlich und zuverlässig“ berichtet und auch „Personen belastet“ habe.“ Lassen wir das auf sich beruhen, zumal Kahane damals sehr jung war.

Juni 2000: Beginn der Aktion „Mut gegen rechte Gewalt“: Das Hamburger Magazin stern sammelt erstmals Spenden für die Stiftung. Daraus erwächst eine bis heute andauernde partnerschaftliche Zusammenarbeit. Highlights dieser Zusammenarbeit sind eine Reihe von Konzerten und Tourneen gegen rechte Gewalt, die seit September 2000 von der Aktion organisiert wurden („Rock gegen rechte Gewalt“, „Die Leude woll’n, dass was passiert!“).“

Highlights waren also Rock-Konzerte, die bekanntlich politische Meinungen nicht ändern. OMG. Da fällt mir ein, dass ich schon immer mal unter den Rock dieser ziemlich undurchsichtigen Gemengelage schauen wollte und der zahllosen Vereinen, die darunter geschlüpft sind, und wie dieselben was mit den Fördergeldern gemacht haben, die der stern einsammelte und damit grob gegen das erste Gebot des Journalismus verstieß: „Du sollst dich auch nicht mit der guten Sache gemein machen.“ Und ob die Sache so gut ist und nicht vielmehr folgenlos verpuffende heiße Luft, sei nur so dahingestellt.

Second life

Spiegel Online hat heute zu dem großen ganzen Thema mentalitätsmäßig etwas gesagt – irgendwelche naiven Leute protestieren bei Flickr gegen die potenzielle Übernahme durch Microsoft. „Die nächste Protestwelle provozierte Flickr im Sommer mit der lang verschleierten Einführung eines Filtersystems: Flickr sperrte deutschen Nutzer alle Bilder, die irgendein Nutzer für zu anstößig hielt, um sie seiner Oma zu zeigen“. Ich wurde zensiert, weil ich spärlich bekleidete Avatare (vgl. Screenshots – das Foto hatte die meisten Zugriffe aller damals aus Second Life eingestellten Bilder bei Flickr) dort anbot, ohne dass ich eine nähere Begründung bekam. Ich bin daher ganz konsequent und auch völlig unbestechlich, weil ich garantiert und schon aus Trotz nicht auf den kackbraunen Haufen scheiße, auf dem sich die Web-2.0-Fliegen versammeln : Wer Flickr benutzt, ist nicht nur eine Dumpfbacke, sondern akzeptiert Zensur, ist also Opportunist(in) und somit genauso ekelhaft wie die oben erwähnten Teile des Gesäßes.

Terroristen und Kinderporno-Zirkel

Die dämlichste Argumentation gegen die Vorratsdatenspeicherung liefern laut Heise die Heiße-Luft-Produzenten naiin („no abuse in internet“ – was auch immer das bedeutet):

Bei der Wirtschaftsinitiative „no abuse in internet“ (naiin) sind derweil Zweifel am Nutzen der Vorratsdatenspeicherung laut geworden. Die Einrichtung zur Bekämpfung von Online-Kriminalität sorgt sich sogar, dass die Aufklärung von per Internet verübten Straftaten durch die massenhafte Speicherung von Verbindungsdaten weiter erschwert werde. „Es ist davon auszugehen, dass sich Täter in dem Wissen, ständig überwacht zu werden, stärker abschirmen werden als bisher“, gibt naiin-Präsident Arthur Wetzel zu bedenken. Der Grad der Abschottung, der etwa bei Terroristen und Kinderporno-Zirkeln ohnehin schon sehr hoch sei, dürfte so weiter zunehmen. Selbst Kleinkriminelle würden fortan wohl vorsichtiger agieren und somit angesichts der technischen Möglichkeiten zur Umgehung der pauschalen Überwachungsmaßnahme schwerer zu fassen sein.

Woher wollen die eigentlich wissen, wie „Terroristen und Kinderporno-Zirkel“ sich „abschotten“? Die „Logik“ ist also: Wenn es keine Vorratsdatenspeicherung gebe, seien Kriminelle unvorsichtiger. Das ist doch grober Unfug.

Bei naiin heisst es: „Immerhin ist naiin die bis dato einzigste [sic] durch die Bundesregierung ausgezeichnete Initiative, die sich der aktiven Bekämpfung von Internet-Kriminalität verschrieben hat.“ Soso. Wie diese Bekämpfung aussieht, kann man in der unkritischen und falschen Berichterstattung über die Operation Himmel sehen. Naiin ist für Zensur und gründete sich ursprünglich als eine PR-Aktion deutscher Provider. Ceterum censeo: Naiin ist so überflüssig wie der Verfassungsschutz.

Anarchie, ja bitte!

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V.l.n.r.: Michael Konken | Ulrich Jörges | Wolfgang Donsbach

Wenn es so einfach wäre: Mehr Geld, mehr Qualität. So stellt sich Klein Fritzchen den Journalismus vor. Ich schlage vor: Weniger Mainstream-Quark, mehr Haltung, mehr Zivilcourage, mehr kritisches Bewusstsein, mehr Selbstkritik, mehr Anarchie und weniger Zensur.

O Wunder, der DJV hat schon eine Presseerklärung „Online-Journalismus – Qualität braucht Investitionen“ zu seiner heutigen Veranstaltung „Regeln oder Anarchie? – Journalismus im WWW“ herausgegeben [Livestream]. Den Titel haben sie so oft verändert, dass der ursprüngliche Anlass, Michael Konkens Blogger-Beschimpfungen, gar nicht mehr zu erkennen war. Auf dem Podium saßen (ja, man kann Links setzen!): Thomas Knüwer vom Handelsblatt-Weblog „Indiskretion Ehrensache“ (– sehr hübsch die Überschrift: „Ich wünschte, es wäre Donnerstag oder der Konken käme“ – wer weiß, worauf das anspielt, kriegt einen Keks), Hans-Ulrich Jörges vom stern, Don Alphonso aka Rainer Meyer („Rebellen ohne Markt“), Prof. Dr. Wolfgang Donsbach, Universität Dresden, Michael Konken, Björn Sievers von Focus Online, Michaela May, Chefkorrespondentin Politik bei N24. Alexander Fritsch moderierte.

Für den DJV hatte die Veranstaltung einen recht hohen Unterhaltungswert. Das lag aber vor allem an Knüwer und Don Alphonso, die den anderen kräftig kräftig Zunder gaben – für meinen Geschmack jedoch noch zu wenig. Statt über Blogs redete man mehr allgemein über „das Internet“, der Unterschied zwischen Foren und Blogs wurde gar nicht berücksichtigt.

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Alexander Fritsch | Michaela May, |Thomas Knüwer

Die Fronten waren klar: Jörges als Vertreter des ignoranten deutschen Journalisten an sich fand das Netz ganz igitt, wollte die bösen Rechtsextremisten (Kinderpornografie fiel ihm nicht ein) und andere zensieren, gar nicht reinlassen, raus aus dem Internet. Alle Postings in Foren sollten namentlich gekennzeichnet werden. Online-Dienste vorhandener Printmedien müssten die gleichen Standards wie diese haben. Private Blogs mit journalistischem Anspruch existieren in der Denkwelt eines Jörges gar nicht. Sehr nett der Wortwechsel zwischen ihm und mir: „Herr Jörges, wollen Sie Vorzensur?“ – „Dazu sage ich nichts. Ich springe nicht über das Stöckchen, was Sie mir hinhalten.“ – „Also ja“. Den genauen Wortlaut können die wohlwollenden Leserinnen und die geneigten Leser anhören. Jörges wollte auch nicht – was er mehrfach betonte – über Blogs reden. Wer hatte ihn eigentlich warum eingeladen?

Don Alphonso war schon von der Berliner Zeitung genervt, die ihn gar nicht gefragt, sondern nur aus seinem Blog zitiert hatte. Er zählte auf, welche Sünden die klassischen Medien begangen hätten. Sein Blog stünde in direkter Konkurrenz zum Ingolstädter Donaukurier und hätte mehr Leser. Don steht für die These, dass der klassische Journalismus ausgedient habe und auf dem Weg in die Marginalisierung sei. Das darf man bezweifeln, weil die Tendenz zum Rückzug ins unpolitische Private, den er beim Medienverhalten Jugendlicher beobachtet haben will, bestimmt nicht verabsolutiert werden kann.
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Hendrik Zörner, Pressesprecher des DJV, PR-bloggend | Don Alphonso

Donsbach faselte zu sehr für meinen Geschmack: Alles sei schon einmal da gewesen, die Probleme nicht neu und der Journalismus müsse professionalisiert werden. Aber wie denn, wo denn, was denn? Wer Journalist ist und was dazu gehört, darf in Deutschland – zum Glück – der Staat nicht vorschreiben. Derartige Forderungen sind Betroffenheitslyrik und Lichterkettenträgerei, wie sie der Deutsche Presserat betreibt. Michaela May meinte nichts zum Thema, was mir im Gedächnis blieb, sondern redete nur voller Begeisterung über sich und ihr Blog. Thomas Knüwer sagte etwas, was ich ganz und gar unterschreiben kann: Was Journalismus im Internet angeht, lebten wir in Deutschland in einem Entwicklungsland. Und daran wird sich so schnell nichts ändern.

Es werden sicher noch Andere über die Veranstaltung bloggen. Aber das bloße Nacherzählen ist langweilig, wenn es die Diskussion auch als Stream gibt. Nur hier – auf burksblog.de – hat das Publikum etwas über die wahren Hintergründe erfahren, warum Konken Blogs ganz doof findet und Blogger für Schmierfinken hält.

Mehr Links bei Onlinejournalismus.de: „DJV-Qualitätsdiskussion: Niveau einer Christiansen-Sendung“ und im Recherchegruppe-Blog.

Journalisten: Geheimnisträger zweiter Klasse

Die Journalistenverbände jammern, das jetzt in Kraft getretene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung degradiere sie zu „Berufsgeheimnisträgern zweiter Klasse“, „kastriere“ die Pressefreiheit ), unterhöhle den Informantenschutz und lasse die Quellen versiegen. Wahr ist das nicht unbedingt – und die notwenigen Konsequenzen zieht auch kaum jemand.

Der Informantenschutz war der Obrigkeit schon immer ein Dorn im Auge und musste immer wieder – bis in die jüngste Zeit – erkämpft werden. Wer sich auf gesetzliche Garantien verlässt, verkennt das grundlegende Problem: Der juristische Schutz derjenigen, die die Presse über Interna informieren, ist prinzipiell löchrig, nur sehr vage formuliert und wird sich niemals so festklopfen lassen, dass Informationen unbelauscht oder ungefiltert fließen können. Die Strategie der Medienverbände, auf ihre vermeintlichen bisherigen Privilegien als „Berufsgeheimnisträger“ zu pochen, ist daher verfehlt und wird langfristig scheitern. Journalisten interessierten sich ohnehin bisher oft nur mäßig für das Thema Vorratsatenspeicherung.

vorratsdatenspeicherung

Die so genannten Geheimnisträger scheinen keine Geheimnisse zu haben.

Die beiden konkurrierenden Verbände der Zeitungsverleger BDZV und VDZ beklagen, dass bei Journalisten „nur im Einzelfall eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen“ solle, falls ihre Verbindungsdaten abgerufen werden sollen, im Gegensatz zu Abgeordneten, Geistlichen und Strafverteidigern, deren Daten für staatliche Lauscher relativ tabu sind. Kein Informant werde künftig noch reden, wenn Telefonnummer, E-Mail-, IP-Adresse und seine Standortdaten ebenso erfasst würden wie auch Zeitpunkt und Dauer des Kontakts.

Aber haben die Informanten bisher ihre Geheimnisse per elektronischer Postkarte verschickt? Die Gesetzeslage ist seit zwei Jahren eindeutig: Nach § 110 des Telekommunikationsgesetzes und der Telekommunikation-Überwachungsverordnung müssen alle größeren Provider Schnittstellen zum Abhören und Mitschneiden von E-Mails in Echtzeit bereitstellen. Die Inhalte der Kommunikation sind also kein Geheimnis mehr, da die deutschen Journalisten sich in der Regel weigern, ihre E-Mails zu verschlüsseln oder ihren Informanten das zu ermöglichen. Die so genannten Geheimnisträger scheinen keine Geheimnisse zu haben. Sogar die selbst ernannten Investigativ-Päpste von Netzwerk Recherche machen keine Ausnahme: Die Vorzeige-Journalisten Dr. Thomas Leif, Chefreporter beim SWR Mainz, und Hans Leyendecker, Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung, nutzen E-Mail noch wie zu Zeiten des guten alten Bakelit-Telefons.

Auch die Redaktion von Cicero scheint trotz der Durchsuchung und Beschlagnahme von Dokumenten unbelehrbar: Wollte man dort Geheimnisse ausplaudern, ist man auf elektronischem Weg weiterhin ungeschützt. Die FAZ meint es gut und empfiehlt sogar Anonymisierungsdienste, aber die Ratschläge zur E-Mail-Kommunikation sind bloßer Unfug und nicht praktikabel. Von Verschlüsselung scheint man noch nie etwas gehört zu haben. Der in Brüssel arbeitende Journalist Detlef Drewes und Kinderschutz-„Experte“ sagte in einer Zapp-Sendung, er müsse jetzt immer öfter das Auto benutzen, da in Belgien die Vorratsdatenspeicherung schon Realität sei; die Quellen für Journalisten versiegten. „Die Mauer wird auf Seiten der Informaten gezogen“ und die Informanten zögen sich zurück aus Angst. Das darf getrost bezweifelt und als Wichtigtuerei bezeichnet werden: Auch für potenzielle Whisteblower in Behörden gäbe es „im Notfall“ Internet-Cafes, private Rechner für Anonymisierungsdienste und Verschlüsselung oder die Möglichkeit, E-Mails anonym zu schicken.

Gerd Appenzeller schreibt im Tagesspiegel: Journalisten „konnten bisher wegen der garantierten Vertraulichkeit ihrer Arbeit darauf bauen, dass ihre Kommunikationswege geschützt waren.“ Das ist eine Zwecklüge und angesichts der zahlreichen Durchsuchungen von Redaktionen in den letzten Jahren ein wenig realitätsfremd: Was nützt das Redaktionsgeheimnis freien Journalisten, was nützt es den Informanten, wenn ihre E-Mails ohnehin vorher gelesen werden? Wer kann garantieren, dass Informationen auf dem Rechner eines Journalisten bleiben und nicht beschlagnahmt werden, auch wenn das im nachhinein für rechtswidrig erklärt wird? Informanten konnten bisher, nutzten sie das Internet nicht professionell, mitnichten darauf vertrauen, dass etwas geheim blieb. Wer erst jetzt – angesichts der Vorratsdatenspeicherung – meint, die Pressefreiheit in Gefahr zu sehen, muss sich fragen lassen, ob erst ein Verbot der Verschlüsselung kommen muss, dass Journalisten sich um die Sicherheit ihrer Daten und die ihrer Informanten sorgen.

vorratsdatenspeicherung

Der Staat ist immer daran interessiert gewesen, wer mit wem worüber kommuniziert hat.

Das Problem des Informantenschutzes gab es schon, seitdem man von freier Presse reden kann. Die Vorratsdatenspeicherung gießt unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus eine deutsche Tradtion in Gesetzesform, in die sich sowohl die rot-grüne als auch die jetzige Regierung gestellt haben: Der Staat ist immer daran interessiert gewesen, wer mit wem worüber kommuniziert hat. Auch die juristischen Argumente pro und contra dAbhören, Belauschen und Protokollieren der Kontakte von Journalisten sind seit 200 Jahren vergleichbar. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts mußte in Deutschland sogar mit Folter rechnen, wer Angaben über „die Herkunft von Druckschriften“ in seinem Besitz verweigerte, schreibt Wolfgang Schimmel in „Das Redaktionsgeheimnis„.

Nach der Abschaffung der Zensur im Gefolge der Revolution 1848 blieb der Zeugniszwang das einzige und beste Mittel für die Obrigkeit, um sich mit der Presse anzulegen. Schon im 19. Jahrhundert diente die erzwungene Aussage von Journalisten als Repressionsinstrument, „undichte Stellen“ aufzuspüren und diese einzuschüchtern. Der juristisch durchsetzbare Zwang, etwas über die Informanten der Presse zu erfahren, war „der gewissermaßen generalpräventive Versuch, Kritik an den bestehenden Zuständen durch Einschüchterung zu verhüten.“ „Zeugniszwang“ – wer mit wem geredet hat – ist also nur ein altmodisches Wort für Vorratsdatenspeicherung.

Dirk Dunkhaase hat in seinem vor einem Jahrzehnt erschienenen Standardwerk „Das Pressegeheimnis“ zahlreiche historische Beispiele dokumentiert. Zur Kaiserzeit ging die Justiz 1875 gegen die „Frankfurter Zeitung und Handelsblatt“ vor. Nicht nur vier Redakteure wurden verhaftet, sondern auch der Verleger Leopold Sonnemann, Reichstagsabgeordneter der „Deutschen Volkspartei„. Sonnemann hatte sich bei der Beratung des Reichspressegesetzes ein Jahr zuvor davor eingesetzt, den Zeugniszwang ganz abzuschaffen. Auch das Argument, der Zwang, die Informanten preiszugeben, sei notwendig, um die Täter schwerer Straftaten zu ermitteln, wurde schon bei den Beratungen zum Reichspressegesetz immer wieder debattiert – ähnlich wie heute.

In der Verfassung der Weimarer Republik kam die Pressefreiheit gar nicht vor. Die „freie Meinungsäußerung“ war zwar allgemein geschützt, „innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze“, was das konkret bedeutete, war in der Rechtsprechung heftig umstitten. Berüchtigt war der so genannten „Diktaturvorbehalt“ des Artikel 48 II: Der Reichspräsident dufte, „wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird“, die wesentlichen Grundrechte außer Kraft setzen, darunter auch die Meinungsfreiheit nach Artikel 118 sowie den Artikel 117: „Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich“.

Erstmalig gewährleistete die Strafprozeßordnung von 1926 (§ 53 StPO) ein Zeugnisverweigerungsrecht für „Redakteure, Verleger und Drucker einer periodischen Druckschrift sowie die bei der technischen Herstellung der Druckschrift beschäftigten Personen über die Person des Verfassers oder Einsernder einer Veröffentlichung strafbaren Inhaltes.“ Die Formulierung hatte zwei nicht unwesentlichen Haken: Unveröffentlichte Artikel fielen nicht unter das Zeugnisverweigerungsrecht, und der Journalist durfte nur dann über seine Informanten schweigen, wenn der Artikel strafbar war, nicht jedoch, wenn nur der Verdacht der Strafbarkeit bestand.

Schon in den Jahren vor der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde die Pressefreiheit durch immer weitere Gesetze ad absurdum geführt; Zensur war fast an der Tagesordnung – allein 1931 wurden in Preußen 227 Zeitungen verboten. Die „Verletzung des Dienstgeheimnisses“, der heutige § 353b des StGB , wurde aber erst von den Nationalsozialisten 1936 eingeführt und mit Strafe bedroht. Das Zeugnisverweigerungsrecht und auch der rudimentär vorhandene Beschlagnahmeschutz blieben während des Nationalsozialismus in Kraft; da aber keine freie Presse existierte, war das reine Theorie.

In der Nachkriegszeit stellte erst das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz (der neue § 53 I StPO) aus dem Jahr 1953 die Journalisten etwas besser als die alte Fassung aus dem Jahr 1926: Der Kreis der Personen, die über ihre Informanten schweigen durften, wurde erweitert, auch Rundfunkmitarbeiter fielen darunter, und freie Journalisten – Verfasser und Einsender von Artikeln. Absurd war jedoch das Vorschrift, dass nur die Person des Informanten verschwiegen werden durfte. Auf Verlangen der Justiz musste der Journalist den Inhalt der Information preisgeben. Bis heute ist jedoch der Informant dem Journalisten völlig ausgeliefert: Allein der Angehörige der Presse entscheidet, ob er gegenüber der Justiz schweigt. Eine juristisch fixierte Schweigepflicht wie die der Geistlichen, Psychologen, Rechtsanwälte und der Ärzte nach § 203 des Strafgesetzbuches existiert nicht.

Erst das Spiegel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom August 1966 begründete das „Redaktionsgeheimnis“ so, dass es als Bestandteil der Pressefreiheit relativ eindeutig definiert war. Darin heißt es, dass die Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich sei, weil der Brüger, wolle er politische Entscheidungen treffen, „umfassend informiert“ sein müsse. Er müsse aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben. Die Presse beschaffe die dazu nötigen Informationen und wirke als „orientierende Kraft“. Geschützt werden sollen laut Bundsverfassunggericht alle „der typischen Pressearbeit zuzurechnenden Verhaltensweisen“, das heißt: Informationen zu beschaffen, diese und auch Meinungen zu verbreiten. Das BVerfG hat in seinem damaligen Urteil den Schutz des Redaktionsgeheimnisses sowie den Informantenschutz ausdrücklich genannt.

Das Redaktionsgeheimnis umfasse, so fasst es Dunkhase zusammen, die gesamte interne Vertraulichkeitssphäre der Medien – die Unterlagen der Medienmitarbeiter, das Pressearchiv und das innerhalb der Redaktion Gesprochene. „Der Informantenschutz bezieht sich nach außen hin auf den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Journalisten und den Personen, die ihm Mitteilungen für seine Veröffentlichung machen.“ Es sind also nicht die Medien insgesamt und ihre „Geheimnisse“ geschützt, sondern nur das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Journalisten und ihren Informanten.

Aus dieser Definition erklärt sich der „Strafprozessuale Pressegeheimnisschutz“ nach § 53 Absatz 1 Nr. 5 der Strafprozessordnung, der im wesentlichen schon 1974 formuliert wurde: „Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt (…) Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben.“

vorratsdatenspeicherung

Wieviel Macht hat die Obrigkeit über die Untertanen?

„Die Presse“ und ihre Informanten mögen juristisch geschützt sein, die Gerichte maßen sich aber nicht an zu definieren, wer Journalist ist und wer nicht. Sie überlassen es den Journalisten-Organisationen, die sich aber gegenseitig erbittert befehden und sich nicht über die Kriterien des Berufes einigen können. Das „Berufsmäßige“ im Zeugnisverweigerungsrecht ist zu vage formuliert, als dass daraus eindeutige Kriterien abgeleitet werden könnten. Die juristische „Bibel“ und Kommentar zum Presserecht, „der Löffler„, formuliert: „Berufsmäßig vollzieht sich eine Tätigkeit dann, wenn sie in der Absicht geschieht, daraus durch wiederholte Ausübung eine dauernde oder doch wiederkehrende Beschäftigung zu machen, ohne dass es auf die Entgeltlichkeit der Tätigkeit ankommt. Erforderlich ist allerdings die Absicht der Wiederholung; ist sie indes gegeben, so kann schon eine einzige Handlung im konkreten Fall für das Erfordernis der Berufsmäßigkeit genugen. die Berufsmäßigkeit der Mitwirkung bei Presse und Rudnfunk erfordert ebensowenig, dass sie gewerbsmäßig, d.h. mit der Absicht der Gewinnerzielung ausgeübt wird.“ (S. 1005 zu § 23 LPG) Die bei Journalisten-Organisationen beliebte Klausel der so genannten „Hauptberuflichkeit“ ist also kein juristisch abgesichertes Merkmal, sondern dient nur dem Schutz der eigenen Pfründe.

In der gegenwärtigen Rechtssprechung ist man sich aber nicht einig: Die Pressefreiheit ist ein Grundrecht und steht jedermann zu, also auch Schriftstellern, Bloggern und Flugblattschreibern; das Zeugnisverweigerungsrecht hat sich aber zu einem Berufsstandsprivileg entwickelt. In der Praxis lässt sich kaum auseinanderhalten, wer „Presse“ ist und journalistisch arbeitet und wer nicht. Daher ist auch die Bestimmung im Entwurf zum „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ nicht eindeutig. Man spricht von „Medienarbeitern“, als sei man sich des Dilemmas bewusst, „die Presse“ nicht mehr exakt bestimmen zu können. Im Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung heißt es wörtlich: „Ein genereller Vorrang der schutzwürdigen Interessen von Journalisten vor dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse lässt sich hingegen, wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, verfassungsrechtlich nicht begründen.“ Das ist wahr, aber wiederholt nur das Argument, dass seit 200 Jahren bekannt ist: Die Interessen der Pressefreiheit müssten den Interessen der Strafverfolgung untergeordnet werden.

Kommentatoren des Presserechts sind sich einig, dass der augenblickliche Rechtszustand unbefriedigend sei. Es bestehe „erheblicher Reformbedarf“. Aus dem allgemeinen Schutz der Presse kann nur das allgemeine Ziel abgeleitet werden, nicht aber direkt die Details und die geseztliche Ausgestaltung – wer zu Presse gehört, wer abgehört werden darf, wessen Daten wie geschützt sind, welche Geheimnisse den staatlichen Lauschern verborgen bleiben müssen.

Der gesellschaftliche Streit um das Recht auf Privatsphäre dauert also schon an, seitdem es die Presse gibt. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklären würde, wäre der nächste Versuch einer beliebigen Regierung, die Bürger und die Presse unter dem Vorwand, „schwere Straftaten“ verhindern zu müssen, einzuschüchtern und auszuspionieren, schon vorprogrammiert. Journalisten, die nur den scheinbar bequemen Status qua ante wiederherstellen wollen, haben nicht begriffen, dass es um eine zentrale Frage der Demokratie geht – die Machtfrage: Wieviel Macht hat die Obrigkeit über die Untertanen? Und diese Frage muss immer wieder neu beantwortet werden.

Dieser Artikel erschien am 04.01.2007 in Telepolis. Ich habe einige Links korrigiert und ergänzt.

NPD-Werbung im Hessischen Rundfunk

Da wird der Hessische Rundfunk wieder juristisch auf die Nase fallen. Man weigert sich laut sueddeutsche.de und Kölner Stadt-Anzeiger, einen Werbespot der kackbraunen Kameraden zu senden, weil der „volksverhetzend“ sei. Das Gegenargument wird gleich mitgeliefert. „Der HR ist gesetzlich verpflichtet, Werbespots der zur Wahl zugelassenen Parteien auszustrahlen. Voraussetzung sei jedoch, dass diese Spots nicht erheblich gegen die Bestimmungen des Strafrechts verstießen, argumentierte der HR.“

Quod erat demonstrandum. 1. Die NPD ist eine zugelassene Partei. 2. Noch hat kein Richter festgestellt, dass der Spot den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. 3. Ich wette eine Flasche Ketchup, dass die Neonazi-Agitprop demnächst im Fernsehen zu sehen sein wird.

Wie ich schon mehrfach vor mich hinmurmelte: Der deutsche Lichterkettenträger liebt Zensur, wenn es gegen die Bösen geht: Oder: frei nach Tucholsky: „Deutsch bleibt deutsch, da helfen keine Pillen.“

Operation Heisse Luft

Der angeblich „riesige Kinderporno-Skandal“ unter dem Code-Namen Operation „Himmel“ hat sich als Operation Heiße Luft erwiesen. Das Reizwort „Kinderpornografie“ verführt deutschen Medien häufig zu einer kruden Mixtur aus Halbwahrheiten, urbanen Märchen und glatten Falschmeldungen.

Bei hoch emotionalisierten Themen wie „Kinderpornografie bei [bitte selbst ausfüllen]“ werden journalistische Standards oft genug missachtet. Man sollte erst etwas publizieren, wenn man die Fakten überprüft hat. Das Statement eines Polizei- oder Justizpressesprechers ist keine Tatsache, die man ohne weitere Recherche einfach übernehmen könnte. Das hat sich jetzt bei der Operation „Himmel“ wieder bewiesen: Viel heiße Luft und wenig dahinter.

Der öffentliche Diskurs verwandelt sich aber allzu schnell in bloße Moraltheologie mit hysterischen Untertönen. Die Schlagzeilen Großer Skandal! Noch größerer Skandal! Größter Skandal! (Reuters garantieren kurzfristig Aufmerksamkeit, kombinieren die voyeuristische Lust mit dem sanften Gruseln über Sex and Crime und das Böse im Internet und hinterlassen bei den Rezipienten ein hilfloses Gefühl. Oder man bewundert kritiklos die rastlosen Strafverfolgungsbehörden, die angeblich bis zur Erschöpfung gegen eine übermachtige Hydra von Kriminellen im Internet kämpfen – nach dem Motto: Die tun was.

ARD_KiPo

Bei der „Operation Himmel“ existieren nur drei Quellen, von denen alle anderen Medien – auch die Falschinformationen – abgeschrieben haben: Der MDR („Größter Fall von Kinderpornografie in Deutschland“, 13.09.2007), Spiegel Online („Riesiger Kinderporno-Skandal schockiert Deutschland“, 24.12.) und die ARD („Großangelegte Aktion gegen Kinderpornografie“ 25.12.)

Zentrale These ist der mehrfach variierte Satz bei Spiegel Online : „Ein Sprecher des bayerischen LKA hatte (…) erklärt, Kinderpornos seien auf dem Server eines Berliner Internet-Anbieters deponiert worden. Dieser Anbieter, laut der ARD, Strato, habe dann die Polizei eingeschaltet, weil ihm ein enormer Datentransfer auf den Servern auffiel.“

Der Provider hat das dementiert: „Bei solchen Routineuntersuchungen werden in der Regel keine Inhaltsanalysen vorgenommen, im Einzelfall kann dies jedoch notwendig sein. Sofern Strato-Mitarbeitern durch solche Analysen oder insbesondere durch Hinweise Dritter strafrechtlich relevante Inhalte bekannt werden, prüfen wir eine Anzeigeverpflichtung und eine Einschaltung der Behörden im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen.“ Laut der Süddeutschen handele es sich offenbar „um ein Missverständnis“

Dennoch taucht die strittige Behauptung der ARD ohne weitere Recherche in zahlreichen Artikeln auf, als sei das schon bewiesen. Einer hat also gelogen: Peter Burghardt, der Sprecher des bayerischen LKA, oder Carsten Zorger, der Sprecher von Strato – ein Grund, hier weiter zu recherchieren. Aber das macht niemand. Wie sollte man denn von einem „auffälligen Datenverkehr“ bei einem Provider auf 12000 Verdächtige „in 70 Staaten“ kommen? Niemand wagt heute noch zu behaupten, Strato hätte Kinderpornografie gehostet. Das wäre ohnehin extrem unwahrscheinlich und spräche zudem für eine kaum noch vorstellbare Dummheit der Täter. Schon seit Mitte der neunziger Jahre ist auch den Ermittlungsbehörden bekannt, dass derartige – in Deutschland strafbare – Angebote auf passwortgeschützten Web- oder FTP-Servern und, wenn überhaupt, dann im Ausland liegen. Jedem hätte auffallen müssen, dass die These der ARD entweder etwas Falsches suggeriert oder technisch unsinnig ist.

Laut Reuters habe der bayerische LKA-Sprecher Peter Burghardt gesagt, die Dimension des Skandals sei enorm. „So was ist uns noch nicht untergekommen.“ Entweder ist Burghardt von den Ermittlern falsch über die Fakten informiert worden oder er hat bewusst nicht ganz die Wahrheit verbreitet. Man kann jedoch verlangen, dass der Pressesprecher eines Landeskriminalamts über die Rechtslage und die Fakten bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren seiner Behörde annähernd vertraut ist. Die Empörung kann nicht echt gewesen sein. Mittlerweile ist klar, dass die „Operation Himmel“ nur wenig zutage gefördert hat, was strafrechtlich überhaupt relevant ist.

Auch die reißerischen Überschriften haben sich allesamt als falsch erwiesen. Vom „größtem Skandal“ kann man ohnehin schon deshalb nicht sprechen, weil bei der „Operation Marcy“ im Jahr 2003 sogar von 23000 Verdächtigen die Rede war. Auch hier spielen einige Medien bei der Berichterstattung eine fragwürdige Rolle, da – laut der Zeitschrift Gigi – einige der sichergestellten und im Fernsehen gezeigten „Tatmittel“ in Bibliotheken öffentlich zugängliche und legale Bücher waren. Irrtümer nimmt aber kaum jemand zum Anlass, die eigene Berichterstattung zu relativieren oder die Rezipienten darüber aufzuklären, dass der „größte Skandal“ keiner war, sondern dass es sich um eine klassische Zeitungsente handelte. Ein „Regret the Error“ wäre angebracht, ist aber in Deutschlands Medien die große Ausnahme.

Der Tagesspiegel spekuliert immerhin – jedoch ohne Beweise -, wie das fragliche strafbare Material hätte angeboten und abgerufen werden können: „Wahrscheinlich wählten die Beteiligten ein Verfahren, bei dem eine eigentlich harmlos klingende Internetadresse über Chatforen oder Mailinglisten bekannt gemacht wird. Diese Adresse verweist dann auf eine private Seite, die bei einem Internetanbieter angelegt wurde. Von dort aus können sich Interessenten Filmdateien kostenlos herunterladen. Diese werden allerdings verschlüsselt. Sie lassen sich erst dann öffnen, wenn zuvor gegen Bezahlung ein entsprechendes Passwort erworben wurde.“ Wann Internetadressen „harmlos“ klingen, darüber kann ebenso gerätselt werden: hardcoreporn_for_adults.com etwa oder bluemchensex.biz?

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Spiegel Online schlägt eine andere Methode vor: „Um die illegalen Filme von den Servern an die Interessenten zu bringen, nutzten die Anbieter offenbar Chatforen im Internet, dem Usenet oder einfach E-Mails.“ Auch das ist – so vage formuliert – ganz einfach Unfug. E-Mails mit kinderpornografischen Anhängen (unverschlüsselt!) sind ein urbanes Märchen wie die präparierten Leckbildchen, die auf Schulhöfen verteilt worden seien, um Schüler drogenabhängig zu machen. Die meisten Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornografie werden seit Jahren per Internet Relay Chat begangen. Dort kann man sicher und unbeobachtet Daten austauschen, ohne dass das zurückverfolgt werden könnte. Filesharing-Dienste, die etwa über Tor anynomisiert werden, kommen dazu. Deshalb verfehlt die Forderung des Mediendesigners und hauptberuflichen „Jugendschützers“ Friedeman Schindler nach Zensur des World Wide Web und „dass etwa die Betreiber von Chat-Rooms ein hohes Schutzniveau realisieren, damit nicht der Chat zur Anbahnung von Kontakten der Szene genutzt werden kann“, das Thema, ist bloßer Lobbyismus für die eigene Sache und technisch abwegig.

Viele deutsche Medien suggerieren in ihrer Berichterstattung missverständlich, es gebe Websites, auf denen jemand zufällig oder per Google Kinderpornografie finden könnte. Das ist so nicht richtig: Eindeutige Kinderpornografie ist so gut wie in jedem Land der Welt mit einem funktionierenden Rechtssystem verboten. Anonyme Websites, die keinem Provider zugeordnet werden könnten, gibt es aber nicht. Die Strafverfolger könnten also prinzipiell immer nachprüfen, wer eventuell Verbotenes hostet. Man sollte auch nicht unterschlagen, dass es dem US-amerikanischen FBI erlaubt ist, Lockspitzel-Angebote ins Netz zu stellen, also selbst strafbare Handlungen zu begehen und kinderpornografische Angebote zu verbreiten, um Kriminelle damit zu fassen. Das geschah etwa bei der „Operation Landslide“, die 1999 in den Medien als „der größte Schlag gegen die kommerzielle Kinderpornografie aller Zeiten“ bezeichnet wurde.

Der bloße Besitz von Bildern, auf denen eindeutig Pornografie mit Kindern – also sexueller Missbrauch – gezeigt wird, ist jedoch nicht in allen Ländern – auch nicht in Europa – mit Strafe bedroht. Pornografie wird in vielen Ländern und Kulturen ohnehin ganz unterschiedlich definiert. Meldungen, es gebe bei einem Fall Verdächtige in sehr vielen Ländern weltweit, haben also wenig Aussagekraft.

In Deutschland ist es sogar verboten, Fotos oder Texte zu besitzen, die ein nur „wirklichkeitsnahes“ Geschehen zeigen; in den USA hingegen sind Schriften, die in Deutschland Tonträgern und Daten in dieser Hinsicht gesetzlich gleichgestellt sind, ganz ausgenommen, auch Abbildungen, die keine reale oder keine mit einer realen Person identifizierbare Person zeigen. Pornografisches Material mit „kindlich“ aussehenden Mangas oder Avataren sind also in den USA erlaubt.

Der kleine Medienhype über „Kinderpornografie in Second Life“, vom Politmagazin „Report Mainz“ am 07.05.2007 angestoßen, berücksichtigt zum Beispiel weder die unterschiedliche Gesetzeslage in den USA – dort, also auch in Second Life, war das Rollenspiel legal – noch die Tatsache, dass im besagten Fall in Second Life überhaupt keine Kinder beteiligt waren. Die mehr als fragwürdigen Behauptungen von „Report Mainz“, die abgefilmten Szenen mit scheinbar minderjährigen Avataren würden sich „ins Gehirn brennen“ und Pädokriminelle zu weiterm Tun anstacheln, sind durch wissenschaftliche Untersuchungen nicht belegt. Die journalistische Grundregel, mindestens zwei unabhängige Quellen zu befragen, wurde ohnehin missachtet. Es steht bei der Berichterstattung über diese heikle Thema oft vorab schon fest, was als allgemeines moraltheologischen Fazit gewünscht wird: Das Böse wird immer mehr im Internet und ist überall.

Auch bei der „Operation Himmel“ spielten die Medien eine zentrale Rolle: Das Sat.1-Magazin „Akte„, vor allem „Schlüsselfigur“ Ronald Matthäi, der nach Angaben des Magazins mit den Ermittlungsbehörden zusammenarbeitet, scheinen eine wahre Obsession entwickelt zu haben, das Thema zu skandalisieren. „Akte“ geriert sich selbst als quasi-strafverfolgende Institution. Diese Attitude widerspricht auch dem meistzitiertem Satz Hans-Joachim Friedrichs‘ und dem unwidersprochenen Credo des deutschen Journalismus: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache“.

Nach der „Operation Mikado“ wurde sogar eine Anzeige bei der Staatsanwalt Dessau gegen die Redaktion von „Akte“ gestellt: „Ein Mitarbeiter der Akte-Redaktion übergab Oberstaatsanwalt Vogt Anfang 2006 Ausdrucke von kinderpornografischen Websites und machte sich damit strafbar, da er das illegale Material in seinem Besitz hatte. (…) Weiterhin habe ein Filmteam die Beamten bei den anschließenden Hausdurchsuchungen begleitet und dabei u.a. kinderpornographisches Material abgefilmt.“ Wenn man zum Beispiel der Website des LKA Bayern glaubt, ist das strafbar. Law Blog sieht das anders: „Die bloße Tatsache, (zahlender) Kunde eines Kinderpornoanbieters zu sein, führt übrigens noch nicht notwendig zur Strafbarkeit. Das liegt am Gesetz selbst. § 184 b Abs. 4 Strafgesetzbuch stellt nicht jeden Kontakt mit Kinderpornografie unter Strafe.“ Dort (dejure.org/gesetze/StGB/184b.html) steht wörtlich, die Verbote gälten nicht für „Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen.“
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Auch über das „zielgerichtete Surfen“ war man sich bei der „Operation Himmel“ nicht einig. Oberstaatsanwalt Peter Vogt meint laut Netzeitung: „Schon wenn zielgerichtet mit bestimmten Begriffen nach Kinderpornografie gesucht werde, macht man sich strafbar.“ Wie diese Suchworte und vom wem gerichtsfest festgestellt und gespeichert werden könnten, darüber schweigt man sich aus. Auch diese Behauptung ist schlicht Unsinn. Der Anwalt eines Betroffenen wird auf Law Blog zitiert: „Einige Ermittler gaben sogar zu Bedenken, dass man auf solche Seiten beim Surfen auch „Vereinigung Berliner Strafverteidiger erklärte am 11.01.2007: „Es muss davor gewarnt werden, durch den guten Zweck der Bekämpfung der Kinderpornografie jedwedes Mittel als geheiligt anzusehen.“ Das ist ein Satz, der vor allem bei der Berichterstattung über das Thema Kinderpornografie im Internet in Zukunft von den Medien beherzigt werden sollte. Die Behauptung Sven Karges, des Leiters für den „Bereich Illegale Inhalte“ beim Verband der deutschen Internetwirtschaft (Eco), der laut Yahoo.com gesagt haben soll, die 12000 Kinderporno-Verdachtsfälle seien die „Spitze eines Eisbergs“, hat also mit der Realität rein gar nichts zu tun.

Und noch eine gute Nachricht, die aber kaum jemand verbreiten wird, weil sie der gefühlten Sicherheitslage des durchschnittlichen Medienkonsumenten widerspricht: Die Zahl der Sexualdelikte gegenüber Kindern sind seit 1970 rückläufig, die Aufklärungsquote im Vergleich zu ähnlichen Straftaten sehr hoch. Klaus Wichmann, Staatsanwalt aus Halle, sagte der Tagesschau in genau der Sendung (www.tagesschau.de/multimedia/video/video252624.html), in der von einem „riesengroßen Akandal“ die Rede ist, besonnen und ganz richtig: Die Zahl der Täter sei gleich geblieben, nur könne man heute besser ermitteln. Die Steigerung der Ermittlungserfolge um 56 Prozent im letzten Jahr beweisen genau das – wie bei jeder polizeilichen Kriminalstatistik – und nicht, dass es mehr Straftaten gibt. Es besteht also kein Grund zu der Annahme, in Zukunft werde man „immer mehr“ Kinderpornografie im Internet finden.

Dieser Artikel erschien am 31.12.2007 in Telepolis. Ich habe einige Links korrigiert und ergänzt.

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