Mittelschichtfernsehen oder: You are not smart

secondlife
Womit sich die Leute in anderen Welten so beschäftigen…

Das habe ich mich schon immer gefragt: Warum werden die Leute nicht klüger, obwohl alle Informationen da sind, um alle religiösen und andere gesellscaftlichen Wahnidenn – wie etwas den Glauben an den Markt(TM) – ad absurdum zu führen`? Der Guardian fragt sich das auch: „How intelligent are you? It’s a question that is often best left unasked – particularly on a Monday morning.“

Die British Psychological Society (BPS) hat darauf eine klare Antwort: „Googling stuff can cause us to overestimate our own knowledge“. Das Internet als knowledge base ist nicht schuld, dass die Menschen dumm bleiben (wollen): „Socrates once spoke of how the invention of writing would destroy our ability to remember, a critique that we now know is somewhat preposterous. We should be wary therefore that this new finding about the internet creating an illusion of knowledge might not be specific to the internet at all.“

Der Guardian setzt sogar noch eins drauf: „A second study, reported this month in the Journal of Experimental Psychology, finds that, counterintuitively, accumulating knowledge can lead people to become more closed-minded.“ [Das erinnert mich auch an meine Frage, die ich seit 20 rund Jahren stelle: Warum verlinken deutsche Medien online immer noch nicht dieQuellen?]

Mit anderen Worten: Wer nur Wissen anhäuft oder über den Zugang zu geballtem Wissen aka Internet verfügt, weiß nicht automatisch mehr, er oder sie läuft sogar Gefahr, ein Brett vor dem Kopf zu haben wie Esoteriker und Volkswirtschaftler, also engstirnig zu sein.

Das Fazit der Analysen bestätigt aber das, was ich als Dozent praktiziere: Studenten sollten auch während eines Examens oder der Prüfungen Zugang zum Internet haben. Bloßes Faktenwissen ist kein Garant für analytisches Denken.

There is however no evidence that in practice this is a bad thing, as we can assume that the cognitive capacity saved by not having to memorise easily accessible information can be put to good use elsewhere. We can never know everything, but we can always increase our analytic abilities. It has even been suggested by the head of the British school exam board OCR, that it is “inevitable” that students will eventually be allowed to use Google in exams, as memorising facts is no longer viewed as an important skill.

mittelschichtfernsehen

Das Neue Deutschland offeriert heute einen der interessantesten medientheoretischen Artikel, den ich seit langem gelesen habe. Britta Steinwachs schreibt „Von gefühlskalten Machos und roher Sexualität: Hartz-IV-Klischees im Fernsehformat“.

Meine Theorie, dass es kein „Unterschichtenfernsehen“ gäbe, scheint auch von anderen geteilt zu werden.

Die mechanische Konstruktion der Geschichten im »Bäumchen-wechsel-dich-Prinzip« macht den Vorwurf des moralischen Verfalls der »Unterschicht« in mehrfacher Hinsicht deutlich: Einerseits werden Persönlichkeiten in ihren ordinären und oberflächlichen Bindungen zu austauschbaren Lustobjekten degradiert. Andererseits gilt eine frühe Schwangerschaft als Beweis dafür, dass in den »unteren Milieus« kein gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein für das Wohl der Kinder vorherrsche. Das Vulgäre, das ihren Beziehungen anhafte, wird als handfeste Dummheit inszeniert, welche als aktive Bildungsverweigerung daherkommt und somit die Handelnden selbst zur Rechenschaft zieht und nicht etwa das ihnen die Bildung faktisch vorenthaltende kapitalistische System.

Diese massenmediale Erzählung etablierte sich vor 15 Jahren in der Sozialstaatsdebatte. (…) Die Lebensziele der gezeigten Akteure aus der »Unterschicht« orientieren sich meist an bürgerlichen Werten, allerdings scheitern sie mit solch einer grotesken Dämlichkeit, welche jegliche Bemühungen ins Karikaturenhafte zieht und damit jedes Mitleid unmöglich macht.

mittelschichtfernsehen

Das kann man gar nicht besser formulieren. Ich vermute schon lange, dass Studienräte, Architekten, Immobilienmakler und andere angehörige der sogenannten Mittelschicht vor der Glotze hocken und sich an der dort vorgeführen „Dumnheit“ der da unten ergötzen und sich in dem Gefühl suhlen, etwas Besseres sein. Der mediale Mainstream, zu dem auch Unterhaltung gehört, ist ohnehin, wie hier schon thematisiert, der Diskurs der Mittelschichten: Nach oben buckeln, nach unten treten. Wie schon in der Weimarer Republik – mit dem bekannten Ergebnis, wenn sich die Kämpfe der Klassen verschärfen.

Die Akte Bernd Lammel – Teil 2

stasi-akten

Der RBB hatte berichtet: „Stasi-Verdacht gegen Chef des Berliner Journalistenverbandes. (…) Laut rbb-Informationen soll er in den 80er-Jahren als Informeller Mitarbeiter tätig gewesen sein.“ Andere Medien wie der Tagesspiegel zogen nach: „Bernd Lammel, Vorstandsmitglied und Chef des Berliner DJV-Landesverbandes, soll laut RBB-Informationen in den 80er-Jahren als Informeller Mitarbeiter tätig gewesen sein. Vieles scheint an der Sache aber noch ungereimt.“

In der Tat. Noch schlimmer: Wer sich mit den Akten zum Thema beschäftigt, auch mit den mittlerweile verfügbaren „Betroffenenakten“ Lammels, wird den Verdacht nicht los, dass es sich bei dem RBB-Bericht der Autorin Gabi Probst nicht nur um eine journalistisch fragwürdige Verdachtsberichterstattung handelt, sondern um einen gezielten Rufmord. Motive und Fakten werde jetzt und hier genannt werden.

Aber der Reihe nach. War Bernd Lammel, freiberuflicher Fotograf und Vorsitzender des Berliner DJV, ein „Inoffizieller Mitarbeiter“ (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR? Sicher war er das, in den Augen der Stasi. Aber was ist maßgebend: Das, was die Stasi dachte und in den Akten niederschrieb, oder kann man sich auch eine andere Perspektive vorstellen?

Dummerweise bestimmt auch heute noch – aus der Sicht des Gesetzgebers – das MfS, wer und wie zu den Personen gehört, die in ihrem Dienst standen oder Auskünfte gaben. Christian Booß schreibt in Die indiskrete Gesellschaft: Studien zum Denunziationskomplex und zu inoffiziellen Mitarbeitern: Es habe auch Leute gegeben, die keine IMs waren, die aber gern und viel denunzierten. Es seien „weit mehr Personen in die repressive Kontrolle der Bevölkerung eingebunden“ gewesen als die Zahl der IM das suggeriere. Rund 189.000 Personen standen am Ende der DDR in den Diensten der Mielke-Behörde. Daneben habe es auch auch so genannte „Gute Menschen“ und allgemein „Auskunftspersonen“ gegeben, die entweder von sich aus dem Ministerium berichtet oder von dessen Mitarbeitern kontaktiert wurde. Auch diese fallen unter die juristische Definition des „IM“. Da aber mindestens die Hälfte der DDR-Bürger in Akten erfasst waren, die dem MfS zur Information und Repression dienten, müsste man konsequent – nach der Legaldefinition – auch genausoviele Leute als „inoffizielle Mitarbeiter“ bezeichnen.

Wenn man Taten, die zum Teil mehr als dreißig Jahre zurückliegen, auch moralisch bewerten will, ist es nicht sinnvoll, sich nur mit den „inoffiziellen Mitarbeitern“ zu beschäftigen. Wissenschafter hätten „mit guten Gründen dafür geworben, den Stellenwert der IM nicht allzu hoch anzusetzen“, schreibt Booß. „Der wichtigste in diesem Überwachungssystem war nicht der IM, sondern Kollege und Nachbar Judas“. Es komme „jeweils im Einzelfall“ darauf an, zu untersuchen, „ob eine bestimmte Grenze der Indiskretion überschritten“ worden sei.

Im Fall Bernd Lammel kann man diese Frage ohnehin leicht beantworten: Es gibt keine Verpflichtungserklärung (die aber nicht in schriftlicher Form vorliegen musste), es gibt keine Akten, aus den man schließen könnte, dass er jemanden denunziert oder Informationen weitergegeben hätte, die jemanden hätten schaden können. Ganz im Gegenteil: Lammel, der von der Stasi als IM „Michael“ geführt wurde, taucht nicht in den Akten seiner damaligen Bekannten und Freunde in der DDR auf, die mit dem DDR-System haderte, etwas dem Fotografen Harald H. oder dem Journalisten Olaf B.. Eine Mitarbeiterin des Ullstein-Bilderdienstes im damaligen Westteil Berlins war aus der DDR ausgereist und verschaffte Lammel Aufträge unter einer Legende, weil dieser die Bilder über Mittelsleute in den Westen schmuggeln musste. Der Name taucht auch nirgendwo auf, obwohl das das MfS sicher brennend interessiert hätte und dieses den „IM Michael“ darüber ausgefragt hätte.

Kann es daran liegen, dass Akten zum“ IM Michael“ vorhanden sind, die wir noch nicht kennen? Immerhin hatte die Autorin des RBB-Beitrages diese schon seit 2010, also fünf Jahre, und seitdem ist nichts dazugekommen. (Warum diese erst jetzt publiziert wurden, folgt in einem späteren Teil.)

Einer der wenigen Wissenschaftler, die sich mit den Akten des Mielcke-Ministeriums ausführlich beschäftigt haben und die nicht mit Schaum vor dem Mund formulieren, ist Helmut Müller-Enbergs. Auf die Frage, um welche Akten es sich hier – beim IM „Michael“ – handele, sagt er:
Die Personal- und Arbeitsakte des IMS „Michael“ scheint bislang nicht aufgefunden worden zu sein. Das erscheint nach bisherigen Erfahrungen lediglich eine Frage der Zeit zu sein, da diese ausweislich der vorliegenden Unterlagen bis zuletzt geführt wurde; sich diese also voraussichtlich noch in den unsortierten Ablagen (teils Säcken) befinden wird. Dass es eine Personal- und Arbeitsakte gab, erschließt sich aus dem Vorgangsheft des Vorgangsführern wie auch aus einer der beiden Karteikarten. Im Übrigen handelt es sich bei den bislang vorliegenden Unterlagen um eine Zusammenstellung von Materialien, die überwiegend auch in der Akte des IMS „Michael“ angelegt worden sein wierden, aber offenbar darüber hinaus innerhalb des MfS zur Kenntnis gebracht worden sind…

Das, was der RBB als „Stasi-Akten“ präsentierte, sind also „Streufunde“; das Wichtigste fehlt noch, wenn es denn existiert. Die „Betroffenenakte“ Lammels lag Müller-Enbergs zum Zeitpunkt der Anfrage aber noch gar nicht vor. Aus diesen geht hervor, dass der spätere – aus der Sicht der Stasi – IM „Michael“ schon seit den siebziger Jahren systematisch ausgespäht, dass seine gesamte private Post mitgelesen wurde. Man muss schon genauer hinsehen: IM ist eben nicht immer gleich IM. Die Akten, sagt Müller-Enbergs, „stellen im Regelfall allein die Sichtweise des Führungsoffiziers dar“, Und nur die.

Im Buch „Die indiskrete Gesellschaft“ schreiben die Autoren, dass die Stasi selbst dann „das Erfassungsverhältnis als IM nicht umgehend“ aufgeben habe, „wenn eine Kooperation bereits zurückgewiesen worden war, in der Hoffnung, die Meinung des Verpflichteten noch ändern zu können.“ Es habe Personen gegeben, die „schon kurzzeitig als IM registriert (worden waren), aber dann die Zusammenarbeit abgelehnt haben. „Aus dem Quellenmaterial wird eine breite Palette von Verweigerungsvarianten ersichtlich, vom offensiven ‚Nein‘ bis zum lavierenden Entziehen und Ausweichen.“

Konnte man „Inoffizieller Mitarbeiter“ des Ministeriums sein, ohne davon zu wissen? Gregor Gysi zum Beispiel bestreitet, „IM“ gewesen zu sein, obwohl die damalige Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Marianne Birthler, das anders sah. „Kontakte zur SED-Geheimpolizei“, wie die Medien das gern effektheischend formulieren, gelten in der Öffentlichkeit als anrüchig, Kontakte zu anderen Geheimdiensten oder gar ausländischen Diensten interessieren merkwürdigerweise nicht. Die Berliner Zeitung thematisierte 1998 die „Liste mit „Pressesonderverbindungen“ des BND aus dem Jahre 1970. „Der sozialdemokratische Kanzleramtsminister Horst Ehmke hatte damals den BND aufgefordert, eine Übersicht der Journalisten anzufertigen, die mit dem Dienst kooperieren. Ausgenommen bleiben sollten operativ eingesetzte Medienvertreter, also an Geheimdienstoperationen beteiligte Agenten. Seit die geheimnisvolle Liste im März 1970 an Ehmke übergeben wurde, hatte sie immer wieder mal für Aufregung und Spekulationen in der bundesdeutschen Presse gesorgt.“ Mehrere Journalisten hatten damals den Geheimdienst kontaktiert, wie der NDR berichtet, und angeboten, auch gegen Geld, Informationen über Kollegen weiterzugeben. „Dies ergab sich aus dem Sachverständigenbericht des Bundestagskontrollausschusses und wurde vom BND-Direktor Volker Foertsch am 12. Februar 2009 vor dem BND-Untersuchungsausschuss bestätigt. In den meisten Medien wurde dieser Sachverhalt nicht thematisiert.“

Das Hanseatische Oberlandesgericht musste sich mit der „unzulässigen Verdachtsberichterstattung und unzureichenden Recherchen“ im Falle Gysis beschäftigen – und entschied zu dessen Gunsten. Dieses Thema wird im Fall des RBB und Lammels vermutlich wieder aktuell werden.

Bernd Lammel wusste, dass er mit Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit in Kontakt stand. Er wählte aber eine Methode, damit umzugehen, die Christian Booß und Helmut Müller-Enbergs als das „wirksamste Mittel“ ansehen, sich gegen den Mielke-Moloch zu Wehr zu setzen, auch wenn man sich ihm nicht immer entziehen konnte: die Dekonspiration. Er erzählte Dritten davon und arbeitete den denen sogar minutiös aus, was er tun und sagen sollte, um seinen Beruf nicht zu gefährden und vor allem um sein Kind nicht zu verlieren. Lammel war seit 1984 alleinerziehender Vater. Er hatte bei der Nachrichtenagentur ADN gekündigt und finanzielle Probleme, so dass er auch in seiner Freizeit „Schallplatten auflegen“ musste. Wer Probleme hatte, war bei der Stasi „beliebt“, denn er war erpressbar.

Das funktionierte aber bei Lammel nicht so, wie die Mielke-Leute sich das gewünscht hatten. Ein Stasi-Mitarbeiter legte, wie man in den Akten gut sehen kann, einen „Vorlauf“ an. 1987 eröffnete ihm die NVA, man werde ihn zur Reserve heranziehen, nach Rostock-Laage. Man ließ auch zynisch durchblicken, um seinen Sohn brauche er sich während der Zeit keine Sorgen machen, der wäre im Kinderheim Makarenko in Berlin-Grünau gut aufgehoben. Durch die Blume lautete die Botschaft: „Wir werden dich schon weichkochen“. DDR-Bürger bekamen kostenlose Rechtsberatung, aber dort entgegnete man Lammel, als der sich beschwerte: „Wollen sie die DDR verklagen?“

stasi-akten

Im Ministerium für Kultur der DRR, Abteilung Unterhaltungskunst“, gab es jemanden, der für Bernd Lammel zuständig war. (Wie kafkaesk es dort oft zuging, kann man in Stefan Heyms Nachruf nachlesen.) Lammel kündigte dort an, wenn man die Einberufung nicht zurücknehme oder einen Kompromiss finde, werde er einen Ausreiseantrag stellen. Lammel galt nicht als „Oppositoneller“. In den Stasi-Akten liest man bedauernd, er sei „kein Genosse“, trete aber immerhin wie einer auf. Das Fazit: Lammel stellte keinen Ausreiseantrag, und akzeptierte im Gegenzug einen zweimonatigen „Tagesdienst“ in der politischen Hochschule der NVA mit dem Themenschwerpunkt „Medien“.

1987 besucht Erich Honecker Helmut Kohl. Die Medien sprechen von „Tauwetter“ zwischen den beiden deutschen Staaten. Gegen viel Geld, das der damals schon fast bankrotten DDR zeitweilig wieder auf die Füße hilft, bekommt der Westen kleinere Gegenleistungen, auch dürfen mehr DDR-Bürger in den Westen reisen. Bernd Lammel beantragt genau das, aus beruflichen Gründen. Eine Reise wird genehmigt, sein Sohn bleibt als „Geisel“ zurück.

Er darf nur ganz kurz nach West-Berlin. Dort lernt er zwei Personen kennen, mit denen er lange Jahre befreundet sein wird und die für sein Leben wichtig werden – einen Polizeibeamten und den Journalisten Horst Vollrath, der früher Pressesprecher in der SPD war und 1987 für das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen arbeitete. Vollrath wird der berufliche Mentor Lammels im Westen und legt ihm später nahe, in den DJV Berlin einzutreten. Diesen neuen Freunden vertraut sich Lammel zuerst an, wie er von der Stasi bedrängt werde und wie er sich verhalten könne und solle. Die „Wessis“ geben ihm den Rat: Zeige dich kooperativ. Erzähle Belanglosigkeiten, gefährde weder dein Kind noch das Privileg zu reisen!

Man kann aus den Akten nicht entnehmen, wann genau der IM „Michael“ in den Augen der Stasi nicht mehr nur „Vorlauf“ war. Müller-Enbergs schreibt dazu, auch wenn Lammel die Bezeichnung „IM“ unbekannt gewesen sein: „Der Hinweis auf einen Vorlauf-IM ist getilgt worden, stattdessen IM bzw IMS in den Unterlagen ausgewiesen worden, also umregistiert zum IM.“

In „Die Akte Lammel“ Teil 3: Reisekader, Agenten und Stasi-Experten

Alles ganz normal

unnaunnaunnaunnaunna
unnaunnaunnaunnaunnaunna

Ich sitze immer noch im Cafe Extrablatt. Milchkaffee, Apfelstrudel, Linux-Netbook, Sonnenstrahlen blinzeln, graue Wolken trödeln vorbei, und Reggae aus den Lautsprechern! Reggae! Was fällt dem humanistisch gebildeten Weltbürger da ein? Ja, richtig!

Mittags laufen hier nur Rentner herum und Hausfrauen. Die anderen müssen ja arbeiten. Und die, die keine Arbeit haben, können sich das hier nicht leisten. Currywurst und Apfelstrudel und die dazu passenden Getränke – das sind schon rund fünfzehn Euronen. Multipliziert das meinetwegen nur mit 15 Tagen.

Das hier ist auf den erten Blick idyllisch, pittoresk, dabei ist es noch Ruhrpott (die östlichste Stadt desselben). Vor allem die Details: Der Bahnhof hat ein Holzdach (!) mit Gold. So würde heute keiner mehr bauen. Ist nicht profitabel.

Der Charme kommt daher, dass es nicht wie Disneyland wirkt. Die Läden in der Hauptstraße sind zum Teil potthässlich, eine große Baulücke gähnt dort, wo ich in meiner Schülerzeit oft war. Und wenn man sich backstage herumtreibt, dann ist da alles baupolizeilich vernagelt und unansehnlich verrammelt.

Die Geschichte der letzten 500 Jahre lugt hier hinter dem Fachwerk hervor, und ich erkenne hier keine Touristen. Aber könnte ich hier leben? Wie sieht es hier abends aus, wenn man in keinem Verein ist oder sein will, womöglich arm ist und Single? Wie findet man hier gleichgesinnte Freunde? Und die wenigen gut aussehenden Frauen haben alle Kinder bei sich. SCNR.

Was ist drin in Griechenland? (Teil 3)

time for changeEs wird jetzt spannend in Griechenland, und ich bin mir immer noch nicht ganz schlüssig, was ich als Linker dort vorschlagen bzw. tun würde. Ich schiebe also noch einen dritten Teil nach [Teil 1][Teil 2], bevor ich irgendwelche Fahnen in irgendwelche Richtungen schwinge.

Ich lese gerade von Yanis Varoufakis: Time for Change: Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläretime for change. Ich bin ein bisschen enttäuscht, weil ich etwas anderes erwartet hatte. Natürlich weiß ich nicht, wie er in Griechisch schreibt, aber die Übersetzung ist ziemlich dröge. Ein kindergerechtes Buch, wie der Untertitel es suggeriert und wie es hätte sein können, ist das Werk auch nicht, und ich möchte in vielen Punkten widersprechen, wenn es um die Geschichte geht. Wenn jemand ein Modell für die Zukunft sucht: Hier findet man es nicht.

Meine Prognose: Die Linke in Griechenland wird sich spalten. Das ist eine schlechte und eine gute Nachricht: Schlecht, weil die Linke dann nach Neuwahlen nicht mehr regieren wird, gut, weil so, wie es jetzt ist, alles nur noch schlimmer wird.

Das Neue Deutschland hat dazu einen erhellenden Artikel: „Syriza-Linke eröffnen ’neue politische Front“. Die Essentials: „Letzteres, ein Rauswurf aus der Eurozone, ist laut Tsipras nicht nur weiterhin das Ziel von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Es wird auch von einigen SyrizaLafazanis von der Linken Plattform sagte, „dass gegen die ‚reaktionäre neoliberale Ausrichtung der EU‘ auch ‚ein möglicher Austritt aus der Eurozone‘ eine linke Option sein müsse – dieser sei ‚keine Katastrophe‘, sondern könne ‚verbunden mit einem radikalen progressiven Programm‘ für Griechenland einen Weg aus der Krise ebnen.“

Was aber ist ein „radikal progressives Programm“, und bestünde eine Chance, dafür eine Mehrheit zu bekommen? Was ist das Gegenteil? Ein radikal reaktionäres Programm – und das genau ist im Interesse des deutschen Kapitals. Es wird zur Zeit durchgesetzt. Zum Beispiel sichern sich deutsche Unternehmen in den Verträgen ihre Rechte an den profitablen griechischen Flughäfen, und die unprofitablen behält der griechische Staat. Die Gelder der so genannten Hilfspakete dienen nur dazu, die Banken zu konsolidieren; von den aktuellen 26 Milliarden Euro gehen 10 Milliarden „gehen auf ein gesondertes Konto beim Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM, das Geld soll zur Rekapitalisierung von Banken verwendet werden, die nicht zuletzt durch den politisch etwa durch Grexitdrohungen aus Berlin angefachten Geldabfluss gefährdet sind.“

time for change

Der geschulte Revolutionär erkennt gleich: Der Staat muss sich die Unternehmen, die jetzt privatisiert werden, so bald wie möglich zurückholen, wenn nötig, mit Enteignungen. Das hat Bolivien so gemacht, das geschah in Argentinien, und selbst das deutsche Grundgesetz hat das vorgesehen. Die griechische Verfassung ist in Artikel 17 und 18 noch deutlicher: „Das Eigentum steht unter dem Schutz des Staates. Die sich daraus ergebenden Rechte dürfen jedoch nicht dem allgemeinen Interesse zuwider ausgeübt werden.“ Klarer Fall – da muss man als Linker nicht lange überlegen. Das allgemeine Interesse widerspricht immer den Interessen des Kapitals.

Andererseits ist klar, dass die Mehrheit von sechzig Prozent in Griechenland nicht für ein linkes Programm war, sondern nur gegen das, was die EU Griechenland aufzwingen will. Eine revolutionäre Linke hätte nicht automatisch die rechnerische Mehrheit hinter sich. Auch gehören die Medien in Griechenland den Oligarchen. „Für die Beziehung zwischen dem politischen System und den einflussreichsten Familien des Landes gibt es im Griechischen eine eigene Bezeichnung: Diaploki, was in etwa „geheime Absprache“ bedeutet“, schreibt Spiegel online. Es ist also genau wie bei uns. Radikale reaktionäre Hetze auf allen Kanälen ist also vorprogrammiert.

Meine private Verschwörungstheorie ist übrigens, dass die Lautsprecher des griechischen Kapitals nur deshalb nicht mit Schaum vor dem Mund ausflippen, weil die reichen Griechen ihr Geld längst nicht mehr in Griechenland haben. Sie verlören wenig bei Entignungen, und das Land hat ohnehin nur die Wirtschaftskraft Hessens, ist also irrelevant. Deshalb halte ich einen erneuten Militärputsch gegen eine radikal linke Regierung für viel wahrscheinlicher, weil dann Leute an die Macht kämen, die bisher vom kleinen Kuchen noch nicht viel abbekommen haben. Die hätten also ein starkes Motiv, und das Resultat wäre genau das, was die EU will: „da die gewaltsam erzwungene politische ‚Stabilität‘ nun auch Nachhaltigkeit versprach und damit Auslandskapital verstärkt ins Land brachte.“

Wetten dass?

Was ist drin in Griechenland? (Teil 2)

revolutionäre Bauern

Bild: Revolutionäre Bauern attackieren einen Feudalherrn aka „Ritter“, deutscher Bauernkrieg, 1524-25

Vorsicht! Warnung! Das ist ein anspruchsvoller, dröger und langer Text, der zudem historisches Wissen und die Kenntnis einiger wissenschaftlicher Begriffe voraussetzt!

Ja, ich darf hier in der Geschichte herummäandern. Oder, wie es bei Heinrich von Kleist sinngemäß heißt: „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Bloggen.“ Wir diskutierten im ersten Teil den Klassenkampf in der Antike, warum Sklavenarbeit „fortschrittlicher“ war als die Arbeit isolierter Kleinbauern, und warum die Produktionsverhältnisse der antiken Sklavenhaltergesellschaft „reaktionärer“ waren als die im Feudalismus, wenn man sich anschaut, wie und wann sich die Produktivkräfte entwickeln können.

Warum das Ganze? Ich mache mir Gedanken über die Geschichte, um zu verstehen, was heute in Griechenland möglich ist, Revolution oder nicht, Reparatur des Kapitalismus oder nicht. Natürlich kann man aus der Geschichte lernen: Sie wiederholt sich, aber unter jeweils verschiedenen Bedingungen.

Der Aufstand der Ciompi und die Forderungen der Mansfelder Bergknappen im Bauernkrieg sind nur ein winziger Ausschnitt der europäischen Geschichte, der aber die Richtung zeigt, wohin es geht – und deswegen ist das aktuell: „Revolutionär“ kann man nur sein, wenn man das System ändern will. Aber wie soll das gehen für einen Bauern oder einen Bergknappen im 16. Jahrhundert? Was hätten diese fordern können, wenn nicht den Kapitalismus? Der wurde bekanntlich erst 300 Jahre später zur vorherrschenden Form der Produktion. Die Ciompi und die Bergarbeiter waren die erste Proletarier, die nichts zu verkaufen hatten als ihre Arbeitskraft. Das aber war im 16. Jahrhundert oder früher ein Einzelfall, heute ist es die Regel (dafür sind Kleinbauern die Ausnahme).

Wikipedia, ein bisschen schwammig: „Der Bauernkrieg von 1523 bis 1526 war nicht plötzlich über die deutschen Territorien eingebrochen. Vielmehr gehört er in eine lange Reihe von europäischen Aufständen und Widerstandsaktionen, die sich vom Spätmittelalter bis in die Neuzeit zieht. (…) Auch die zahlreichen Bürgererhebungen in vor allem südwestdeutschen Städten zwischen 1509 und 1514 waren zumeist von den ärmeren und unterprivilegierten Schichten getragen und gegen die ökonomischen und politischen Privilegien der Patrizier und des Klerus gerichtet gewesen.“

Die Ideen, was möglich ist und was nicht, fallen nicht einfach vom Himmel. Erst im 19. Jahrhundert hatte sich das Bürgertum ökonomisch so weit etabliert, dass es politishe Rechte für sich als Klassen einfordern konnte – in Frankreich temporär erfolgreich, in Deutschland endete 1848 der Versuch zu revoltieren wieder einmal in einer Katastrophe und dem Trimph der Reaktion.

paris

Aber schon während kurz nach der französischen Revolution gab es einen Moment, der in die Zukunft wies, aber letztlich scheitern musste – die Pariser Commune, der erste Versuch eine sozialistischen Regierung überhaupt. Das Thema kommt natürlich im Geschichtsunterricht in deutschen Schulen so nicht vor, das ist viel zu gefährlich. Man lernt viel über die herrschende Propaganda, wenn man sich anschaut, was bewusst weggelassen wird.

Wikipedia: „Während der Pariser Kommune entstand die erste feministische Massenorganisation mit der Union des femmes pour la défense de Paris et les soins aux blessés unter dem Einfluss der russischen Aristokratin Elisabeth Dmitrieff und der Buchbinderin Nathalie Lemel. Die Frauen verlangten und bekamen in dieser kurzen Zeit erstmals das Recht auf Arbeit und gleichen Lohn wie Männer und erstritten weitere Rechte wie die Gleichstellung ehelicher und nicht ehelicher Kinder sowie die Säkularisierung von Bildungs- und Krankenpflegeeinrichtungen. Frauen wie Louise Michel kämpften auf den Barrikaden mit.“

Das ist noch nicht einmal heute umgesetzt. Man braucht Marx nicht, um das historisch einzuordnen, aber er hat es nun mal einprägsam formuliert:

In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt.
Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.
(Karl Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie)

Im dritten und letzten Teil (hoffentlich morgen) werde ich versuchen zusammenzufassen, was mich das alles lehrt und was ich den Griechen empfehle.

Lawful Interception Childporn Software

code

Fefe hat einen Link zum Quellcode der (staatlichen) Mal- und Spyware („Lawful Interception Software“, vgl. Heise). „Dass das Hochladen von Kinderpornos eine Standardfunktion von Staatstrojanern ist, hattet ihr hoffentlich alle gesehen, ja?“

Ich kann den Code nicht interpretieren. Ist es wirklich so, dass Regierungen eine Software zum Ausspionieren kaufen, die als Feature hat, den „Opfern“ Kinderpornografie unterzujubeln, damit man sie diskreditieren kann?

Ich traue denen das zu. Yanis Varoufakis und sein Nachfolger sollten mal auf ihre Computer aufpassen.

Ab 15 Uhr wird jetzt zurückgebaut

zurückbauen

Zentrum für Politische Schönheit (Vorsicht! Facebook-Link!): „Wir haben am Mittwoch einen Eilantrag auf dauerhafte Umnutzung des Vorplatzes am Kanzleramt beim Bezirksamt Mitte eingereicht. Der Beginn der Baumaßnahmen wurde für 15 Uhr angekündigt. Dazu gab es eine Skizze für die erste geplante Beisetzung. Da der Eilantrag nicht abschlägig beschieden wurde, gehen wir von einer stillschweigenden Zustimmung der Behörden aus.“

Jawoll. Die deutsche Linke will gar nicht verstanden werden. Das Gute, Wahre und Schöne quillt – so denkt man sich das – ganz von allein aus dem Bauch heraus. Leider irrt man da. Nach fünf Minuten angestrengten Arbeitens (O mein höheres Wesen: jetzt benutzt der Genitive! Wo soll das enden?) kommt das heraus:

Der Vorplatz am Kanzleramt soll dauerhaft anders genutzt werden. (Besser: soll umgewidmet werden.) Wir haben zu diesem Zweck einen Eilantrag beim Bezirksamt Mitte eingereicht.
Warum so? Der Autor hat drei Sekunden, um die Aufmerksamkeit des normal desinteressierten Publikums zu bekommen. Mehr nicht. In der Zeit muss er auch die Botschaft, das, worum es geht, verkündet haben, sonst zappen die weg. Ich habe die Wahrnehmungspsychologie auf meiner Seite. Nicht, dass die Künstler einen Antrag eingereicht haben, ist die Message, sondern was darin steht. Das also muss nach vorn, und das macht die Sache logisch.

Die Baumaßnahmen beginnen am 15 Uhr.
Die „Maßnahmen“ sind hier leicht ironisch und spielen auf Bürokraten-Deutsch an, daher ist da Wort erlaubt. „Ab 15 Uhr wird jetzt umgebaut“ gefiele mir noch besser (um das nahe liegende „zurückgebaut“ zu vermeiden, aber letzlich ist das besser, obwohl es nicht genau das beschreibt, was gemeint ist.)

Wir veröffentlichen auch eine Skizze für die erste Beisetzung.
„Gibt es“ ist das schlechteste, schwächste und hässlichste „Verb“, das man sich ausdenken kann, und ist in allen journalistischen Texten verboten. Starke Verben treiben die Sätze an. Lest hierzu Friedrich Schiller: „Balken krachen, Pfosten stürzen, Fenster klirren, Kinder jammern, Mütter irren, Tiere wimmern unter Trümmern; Alles rennet, rettet, flüchtet“. Das ist dynamisches Deutsch, das die Leser atemlos macht und vom Stuhl reißt! „Auch“ ist ein überflüssiges Füllwort.

Der Eilantrag wurde nicht abgelehnt.
„Abschlägig beschieden“ – habt ihr sie noch alle? Welcher Honk faselt so – außer Juristen? Mein Antrag, Körperflüssigkeiten auszutauschen, wurde von der Dame, mit der ich geflirtet hatte, abschlägig beschieden? Was raucht ihr da?

Wir gehen daher davon aus, dass die Behörde ihm zustimmt.
„Schweigen“ meint immer, da niemand etwas sagt, daher ist es still. „Stillschweigend“ ist eitles Getue und doppelt gemoppelt.

Hier noch mal beide Versionen zum Vergleichen:

„Wir haben am Mittwoch einen Eilantrag auf dauerhafte Umnutzung des Vorplatzes am Kanzleramt beim Bezirksamt Mitte eingereicht. Der Beginn der Baumaßnahmen wurde für 15 Uhr angekündigt. Dazu gab es eine Skizze für die erste geplante Beisetzung. Da der Eilantrag nicht abschlägig beschieden wurde, gehen wir von einer stillschweigenden Zustimmung der Behörden aus.“ (52 Wörter, 4 Sätze)

„Der Vorplatz am Kanzleramt soll umgewidmet werden. Wir haben zu diesem Zweck einen Eilantrag beim Bezirksamt Mitte eingereicht. Ab 15 Uhr wird jetzt zurückgebaut. Wir veröffentlichen auch eine Skizze für die erste Beisetzung. Unser Antrag wurde nicht abgelehnt. Wir gehen daher davon aus, dass die Behörde ihm zustimmt.“ (48 Wörter, 6 Sätze)

Gegen die Homo-Ehe und alles Mögliche

symbolfoto

Haha! Reingefallen! Hatte ich etwa behauptet, ich sei gegen die so genannte „Homo-Ehe“? Nein, ich halte die Ehe für eine ökonomische Zweckgemeinschaft und sonst nichts. Warum sollte man eben diese mit einer speziellen sexuellen Praxis zwangsweise liieren? Man könnte das auch argumentativ untermauern: „Die Ehe ist in allen [..] bekannten Kulturen und Religionen der Versuch, die Sexualität der Frauen zu legitimieren und in geordnete, vor allem monogame Bahnen zu lenken. Die Ehe ist ein Kontrollinstrument über die Ausübung des Liebeslebens der Frauen. Andernfalls könnte man die Kinder keinem Mann zuordnen.“

Nur, falls die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Lesern schon jetzt tl;dr murmeln, weil alle Texte, die länger sind als 120 Zeichen, ihnen Mühe und Arbeit bescheren, was ihnen – zu Recht – missfällt (nur das Letzere natürlich!): Unser Thema heute ist alles Mögliche, was heißt: Wie wir alle Medien konsumieren, samt pädagogisch wertvoller Beispiele und Symbolfotos, auch für alles Mögliche (da die Rezipienten ohnehin – leider! – denken, was sie wollen, auch bei Fotos).

Die Washington Post schreibt dazu das Nötige: „If you use Facebook to get your news, please — for the love of democracy — read this first“. Lesen! Jedes Wort wahr. So verhaltet ihr euch an auf burks.de, wetten? Positiv formuliert: Menschen glauben den Medien dann, wenn jemand aus ihrer peer group ihnen das empfiehlt. Dummerweise ignorieren sie Argumente und Fakten, die ihre schon existierende Meinung erschütten könnten. Das sagt bekanntlich auch die Wahrnehmungspsychologie. Vielleicht ist das im Sinne der Evolution sinnvoll, um die Art zu erhalten. Vielleicht hat man keine Lust mehr auf Sex, wenn man ständig etwas erfährt, das die eigene Weltsicht erschüttert. Deshalb ist Facebook so erfolgreich: „Freunde“ empfehlen „Freunden“ per Mausklick etwas. Wer nur Katzenfotos will oder dämliche Sprüche, braucht sich nicht zu ärgern, dass das Gesuchte in der Tageszeitung mal nicht vorkommt.

And now for something completely different. Der Guardian liefert Fakten zu der These, dass die neo-imperialistische Politk des „Westens“ den so genannen „Islamischen Staat“ überhaupt erst möglich gemacht hat. Wird das irgendetwas ändern? Nein, diese Botschaft wird beim Volk gar nicht erst ankommen. Und auch nicht bei den meisten Journalisten. Es kann nicht wahr sein, was nicht sein darf. Ceterum censeo: Journalisten vertreten einen Klassenstandpunkt, ob sie wollen oder nicht, oder, um es mit Ernest Hemingway zu sagen: „Lassen Sie sich nicht bereden, über das Proletariat zu schreiben, wenn Sie nicht selber aus dem Proletariat herkommen.“ (Ein Brief aus Kuba, 1934)

symbolfoto

And now for something completely different. Haben die Russen nun Satellitenfotos gefälscht oder nicht? (O je, Neues Deutschland: „Fälschungsanschuldigung“ – geht’s nicht noch holperiger?) Stefan Niggemeier: „Man hätte nicht einmal in die Metadaten der Fotos schauen müssen, um zu wissen, dass sie mit einem Programm wie Photoshop manipuliert wurden. Es wurden nämlich, wie man sieht, nachträglich Beschriftungen hinzugefügt.“ Hihi. Macht aber nichts. Spiegel online bekennt, beim Verbreiten falscher Fakten aka Lügen vorsichtig zu sein: „Schätzen wir eine Nachricht als so brisant ein, dass wir sie Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, nicht vorenthalten wollen, obwohl wir sie noch nicht eindeutig verifizieren konnten, dann wählen wir eine vorsichtige Formulierung.“ Es könnte sein – vorsichtig formuliert -, dass Spiegel online und andere Medien gar nicht richtig wissen, was Journalismus ist und zu welchem Ende wir ihn betreiben sollten.

Eingedenkt der Tatsache, dass das Publikum nach soviel Kritik sich jetzt nach Katzenfotos Belanglosem sehnt: And now for something completely different. BBC berichtet, dass die Damen und Herren an japanischen Hotelrezeptionen vermutlich bald Roboter sein werden. Ich weiß gar nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll. Im Journalismus gibt es das ja schon. Die gute Nachricht: Roboter können auch stundenlang sitzen, ohne dass ihnen das schadet.

And now for something completely different, aka Klassenkampf. Wie der konkret und im Weltmaßstab aussieht, sieht man Ecuador: Die Anführer aufrührerischer Bauern werden umgebracht. Man darf nicht vergessen, dass das hierzulande früher auch so war, und dass es auch für Kommunisten galt. Kommt bestimmt wieder, aber vermutlich nicht so direkt.

Mehr brauche ich heute nicht zu wissen, auch wenn jemand etwas anderes behauptet (dieser jemand würde mich nicht erreichen – haha!). Morgen früh schau ich mich wieder um.

Pack, reloaded and revisited

Thomas Middelhoff hat einen Teil seines Vermögens transferiert, bevor er am Dienstag Privatinsolvenz anmeldete. Nach SPIEGEL-Informationen nahm der Ex-Chef des einstigen Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor dafür die Hilfe seiner Frau und seiner Kinder in Anspruch. Im Februar 2011 gründete ein Rechtsanwalt in einem Berliner Notariat die „Middelhoff Grundstücksverwaltungs GbR“. Gesellschafter wurden, neben Middelhoff und seiner Frau, zunächst vier ihrer fünf Kinder. Der jüngste Sohn stieß im September 2013 dazu, nachdem er volljährig geworden war.

Das wird wohl nicht funktionieren. Im Insolvenzrecht sind solche Fälle geregelt: „Was auf anfechtbare Weise aus dem Vermögen des Insolvenzschuldners gelangt ist, muss gem. § 143 Abs. 1 InsO an die Insolvenzmasse zurückgewährt werden.“ Der Insolvenzverwalter ist ja nicht blöd.

Über die Charaktermaske Middelhoff hatte ich hier und hier und hier schon etwas geschrieben.

Die Bösen sind die Anderen

Dieser Artikel von mir erschien am 01.07.1998 in der „Jungle World“ und ist gerade wieder aktuell (vgl. blockupy).

Über die Inszenierung von Gewalt

In Berlin-Kreuzberg haben zwanzig türkische Jugendliche einen deutschen Polizisten so verprügelt, daß er im Koma liegt. Der Polizist ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im brandenburgischen Pritzwalk haben zwanzig Skinheads einen Punker so verprügelt, daß er im Koma liegt. Das Opfer ist unverheiratet und hat keine Kinder. In Köln verprügeln zwanzig islamische Fundamentalisten einen algerischen Oppositionellen. Täter wie Opfer sind Asylbewerber. In Hamburg verprügeln zwanzig Albaner einen Jugoslawen. Täter wie Opfer gehören zum Rotlichtmilieu. Ausländische Hooligans (von Frankreich aus gesehen) verprügeln einen einheimischen Polizisten.

Gelogen, gut erfunden oder wahr? Nichts sagt mehr über eine Gesellschaft aus als die Art und Weise, wie sie über Gewalt redet. Der Gewalt-Diskurs ist eine Meta-Theorie, mittels derer unterschiedliche Milieus darüber kommunizieren, wie sie andere Milieus sehen. Jedes Milieu hat Lobbyisten, Experten, die vorgeben, den verschlüsselten Kode der anderen Milieus verstehen zu können. Die Experten in weniger komplexen Gesellschaften, von Ethnologen Trickster genannt, vermitteln zwischen den Menschen und den Göttern, also zwischen zwei Sphären, die kaum etwas miteinander zu tun haben oder die Sprache der anderen nur verstehen, wenn sie sich eines Dritten bedienen. Bricht der Dritte die Regeln, wie der mythische Prometheus, der den Göttern das Feuer raubt, also Teil ihres Machtmonopols, wird er bestraft.

Die Experten in hochkomplexen Systemen sind dafür da, einem Milieu einleuchtend zu erklären, daß das Böse aus dem jeweils anderen Milieu stammt. Die Experten weisen Schuld zu und aktivieren und entlasten das Milieu, das jeweils bezahlt. Das traditionell konservative Milieu macht die Erzieher der neuen Mittelschichten für den Werteverlust verantwortlich. Lehrer und Sozialarbeiter geben ihren Geldgebern die Schuld – zu wenig Mittel für Jugendarbeit sind die Ursache für Gewalt, Drogenmißbrauch usw. Parteien sehen bestätigt, was sie jeweils schon wußten: fehlende soziale Gerechtigkeit (PDS) alias Kapitalismus ist schuld. Ganz besonders gefragt sind Experten, Trickster, die sich allgemein kulturpessimistisch äußern, daß sich alle bestätigt fühlen können: Früher war alles besser, heute jedoch beoabachten wir Individualisierung und Destabilisierung sozialer Milieus. Der unverständliche und schwammige Kode der Experten suggeriert, daß es einen Meta-Code des Gewalt-Diskurses gäbe, was sie dazu prädestiniert, von verschiedenen Milieus mit unterschiedlichen Interessen positiv vereinnahmt zu werden.

Nicht die, die die Macht haben, sind böse, sondern andere. Das Gewaltmonopol der Herrschenden darf im Diskurs nicht vorkommen. Besonders die Jugend ist gefährdet, sich nicht an die Regeln zu halten, und potentiell gewalttätig und drogensüchtig. Die nachwachsende Generation ist – noch! – nicht so wie wir. Die Jugend ist aber resozialisierbar. Der Kick des Diskurses läßt sich nur steigern, wenn die Gesellschaft als Inkarnation des Bösen – neben der Jugend – marginalisierte Gruppen medial erzeugt als warnendes Beispiel dafür, daß denen nicht zu helfen ist. Nazis sind die Arbeitslosen, die sozial Schwachen, die Doofen. Skinheads haben keine Lehrstelle und keine Zukunft. Männer aus diskurs-erprobten Mittelschichten erklären, daß sexuelle Gewalt bei proletarischen Männer ein Problem ist. Türken und Araber sind Machos. Rassismus und Antisemitismus beobachten wir nur bei den Nazis.

Die Lobbyisten der Berufs-Betroffenen (Helfen und Heilen) reden über Gewalt mittels Jugendlicher. Die können nichts dafür, daß sie so sind. Die Gesellschaft will sie wiederhaben. Die Lobbyisten der harten Hand (Strafen und Einsperren) rufen: die Obrigkeit muß gegen das Böse härter durchgreifen! Nazi-Zeitungen verbieten! Mit der ganzen (nicht etwa der halben!) Härte des Gesetzes gegen Chaoten vorgehen usw. Die Bösen, die hier gemeint sind, können etwas dafür, daß sie so sind. Die Gesellschaft will sie nicht mehr. Sie sind Psychopathen – „hirnverbrannte Schläger“. Drogenmißbrauch führt zu Hirnschäden.

Wozu dient der Gewalt-Diskurs? Er verschafft der Gesellschaft Angstlust wie der Horrorfilm: Ohne Gewalt weiß niemand, was das Gute ist. Gut ist: Wollen wir mal darüber reden, mit einer Kerze in der Mitte. Runder Tisch. Reden ist erlaubte Gewalt, die Fortsetzung des Hooliganismus mit anderen Mittel. Beziehungsgespräche der neuen Mittelschichten sind ein gutes Beispiel. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie Frauen-, Männer-, Selbsterfahrungsgruppen. Reden heißt: der Sozialarbeiter zwingt dem Schläger sein Spiel und seine Regeln auf. Du mußt dich der Gruppe anpassen. Wo kämen wir denn hin. Wenn du es zu etwas bringen willst, mußt du das tun und jenes lassen. Der Arbeitsmarkt im Kapitalismus belohnt dich dafür, daß du kein Warlord bist. Geld, Frauen, Liebe und Prestige sollen die kompensatorische Gratifikation für Gewalt sein.

Wer Macht hat, redet nicht über Gewalt. Die Herrschenden können andere beauftragen, Gesetze zu erlassen, die die Beherrschten zwingen, ihren Wünschen nachzukommen (Asylgesetz alias „Ausländer raus“). Wer über Gewalt kommuniziert, demonstriert, daß er selbst über nur begrenzte Macht verfügt. Man will, daß die, die den eigenen sozialen Status potentiell bedrohen, sich an Regeln halten, die man selbst aufgestellt hat. Nur die Mittelschichten fordern von allen anderen, sich an Regeln zu halten, weil sie „Angst vor dem Absturz“ (Barbara Ehrenreich) haben. Wer aufsteigen will, muß die Werte der Gesellschaft verinnerlichen und sich selbst kontrollieren. Beherrsche dich, und nicht etwa andere! Der soziale Aufsteiger ist gegen Gewalt, weil Gewalt archaisch ist und die Regeln, die ihm ein gesichertes Leben ermöglichen, ad absurdum führt. Der klassische Radfahrer tritt nach unten, aber fordert gleichzeitig, daß die da oben das nicht tun. Sie sollen ihn dafür belohnen, daß er sich an die Regeln hält.

Gewalt ist eine Ikone, ein sinnliches, also medial vermitteltes Bild eines Phänomens, das unterschiedliche Gruppen jeweils verschieden wahrnehmen und interpretieren. Hooligans finden Gewalt geil. Sie verschafft ihnen alles, was das Leben versprechen kann: Körpergefühl, Überschreiten der Grenzen, Macht, Gruppendynamik, Thrill. Ein Trip ohne psychotrope Hilfsmittel.

Die Berufs-Betroffenen, allen voran Theologen, finden Gewalt abscheulich. Politiker distanzieren sich von Gewalt, als wenn sie es nötig hätten. Psychologen erklären Gewalt denen, die nicht wissen, woher sie kommt. Sozialarbeiter verstehen Gewalt, weil sie ihre Klientel verstehen. Lehrer reden über Gewalt mit denen, die sich ihrer nicht bedienen sollten. Mach einen Bogen um das Böse. Soldaten und Polizisten sind gewalttätig, weil sie es dürfen. Mach also einen Bogen um das Böse nur dann, wenn es verboten ist – das ist so überflüssig wie ein weißer Schimmel.

Sagt ein Experte etwas, das die Gesellschaft nicht hören will, wird er bestraft – indem man ihn nicht beachtet, ihm seinen Status als Wissender aberkennt, indem die Medien ihn nicht wahrnehmen, oder indem man ihn mit seiner exotischen Meinung als Gegenpol zu den Anerkannten akzeptiert, als Schatten, den das Licht der anderen wirft. Der Diskurs über Gewalt ist so ritualisiert wie eine katholische Messe. Alles hat seinen Platz und ist schon vorab bekannt. In komplexen Gesellschaften wie dem Kapitalismus westlicher Industrieländer ist Gewalt nur noch als physische Gewalt öffentlich existent. Gewalt als allgegenwärtige Methode, anderen meinen Willen aufzuzwingen, darf nicht das Thema sein. Wer über Gewalt redet, redet immer nur über ein Segment der Gewalt. Wer über Gewalt kommuniziert, zwingt anderen Milieus seine Definition dessen auf, welches Mittel, um sich durchzusetzen, erlaubt ist und welches nicht. Wer sich diesem Konsens verweigert, bekommt einen Titel, damit wir das Böse anthropomorph begreifen können: Hooligan, Skinhead, Drogenabhängiger, Außenseiter, Vergewaltiger, Minderheit.

Die Unterschicht wird zur Metapher, die gewaltfreien Angepaßten projizieren Physis, Erotik und Abenteuer: Die Ikonen Marlon Brando, James Dean und Che Guevara waren in ihren Inszenierung potentiell gewalttätig – wie Hooligans. Der Rocker oder Halb (!) starke ist ein verkappter Hooligan. Waffen für Nicaragua. Die Gefährlichen tragen Leder- oder Bomberjacke. An ihrer Spitze marschieren schöne Frauen mit geöffneter Bluse und der richtigen Fahne. Die an die Futterplätze drängen, die das Bestehende umwälzen, von oben nach unten, kollektiv oder nur als Individuum, sind Teil einer kollektiven Gewaltphantasie und können nur durch Sex (die höhere Tochter und der Prolet, die Schöne und das Biest) zivilisiert werden oder dadurch, daß die Männer, die von unten kommen, mit Privilegien bestochen werden. In den Fünfzigern gab es in der öffentlichen Inszenierung keine Rebellion und keine Gewalt, deshalb war das Geschlechterverhältnis umgekehrt: Die Försterliesel war besonders brav, deshalb erwählte sie der Graf zu seiner Braut.

Heute muß der junge Mann wider den Stachel löcken, um medial attraktiv zu sein. MTV und Viva inszenieren die kollektive Gewaltphantasie der Mittelschichten, ungefährlich eingebettet in den Rahmen der geschützten Bühne, und die Künstler dürfen das Hotelzimmer zu Kleinholz verarbeiten oder sich mit Drogen vollpumpen und ungezügelten Sex haben, weil sie das stellvertretend für das Publikum tun, das sich das nicht gestattet. Wo kämen wir denn hin.

Der Diskurs über Gewalt definiert immer ein Außen-Innen-Verhältnis. Gewalt ist um so gefährlicher, je mehr sie von den Rändern kommt: Jugend – ein Schritt von der Mitte entfernt, Randgruppe, zwei Schritte, Ausländer, drei Schritte. Die Inkarnation des Bösen ist ein gewalttätiger jugendlicher Ausländer. Ein Widerspruch in sich ist ein erwachsener deutscher, aber nur in der Freizeit prügelnder Hooligan, der weder sozial marginalisiert ist noch ein politisches Motiv hat, was ihn einer Randgruppe zuordnen würde. So etwas gibt es nicht, genausowenig wie es Rassisten und Antisemiten im Bundestag gibt, die man einsperren oder verbieten könnte.

Hooligans sind die Rache des Kapitalismus: Er nimmt die Wut und die Sehnsucht der armen Schweine und verkauft sie an privilegierte junge Männer aus den Mittelschichten. Die inszenieren den Aufstand so, daß er der Gesellschaft in den Kram paßt, unpolitisch, mittels erlaubter Drogen und nur punktuell die Grenzen überschreitend, daß nicht zu viele auf der Strecke bleiben. Fast wie die Bundeswehr in Bosnien.

Partizipidingsbums

Die Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Neukölln hat beschlossen:
Das Bezirksamt wird gebeten, sich bei den zuständigen Stellen dafür einzusetzen, dass Informationen über Schule in leichter Sprache erstellt werden. Begründung: Das Thema „funktionale An-Alphabeten“ ist ein aktuelles Thema und in Deutschland leben etwa sieben Millionen funktionale An-Alphabeten, in Neukölln sind es 30.000, in ganz Berlin etwa 300.000. Informationen über Schule sind in leichter Sprache besser zu verstehen und wichtig für Menschen, die nicht gut lesen können oder nicht so gut Deutsch können, um ihre schulpflichtigen Kinder aktiv zu unterstützen und beim Erwerb von Informationen nicht auf Unterstützung durch Dritte abhängig zu sein. Partizipation wird so unterstützt.

Burks.de erstellt Informationen formuliert weiterhin in schwerer deutscher Sprache.

Hill Climb Racing Sticky Blocks Sliding Puzzle Chess

Hill climb racing

(Vorsicht! Völlig sinnfreies Posting!)

Ich empfehle heute zwei Spiele für Android. Hill Climb Racing ist für Smartphones eher zu klein, geht aber auch. Sehr niedlich und zum Schmunzeln, mit hohem Langzeit-Spielspaß. (Die Werbung bei der kostenlosen Version stört nicht wirklich.)

Ich spiele auf Android-Geräten eher sehr wenig, und wenn, dann nur wenige Minuten, und 99 Prozent aller angebotenen Spiele, die ich kurz getestet habe, waren albern und langweilig und verschwanden sofort wieder von den Geräten.

Mit „Hill Climb Racing“ jedoch versuche ich schon seit zwei Wochen, mehr als 1000 Meter mit dem virtuellen Geländewagen zu schaffen. Ich dachte, das könne doch nicht schwer sein. Ist es aber doch. Und wenn der Wagen dann samt Fahrer (politisch inkorrekt, aber vermutlich wollen sie das auch nach Saudi-Arabien verschicken) hängen- oder steckenbleibt oder, was bei mir meistens geschieht, weil ich immer und in jeder Welt zu schnell fahre, einen Salto macht, muss man sich nicht ärgern, sondern lacht sich über den Anblick auch zum 500-sten mal kaputt. Einfach genial gemacht. (Rund fünf Millionen Downloads – aber was die Masse macht, ist bekanntlich kein Argument.)

Die Software-Bude sitzt in Finnland. Klar, da ist es oft dunkel und kalt. Kein Wunder, dass die Finnen gute Spiele machen.

Sticky Blocks Sliding Puzzle

Sticky Blocks Sliding Puzzle attackiert euer Selbstbewusstsein und fordert die Intelligenz heraus. Wenn ich in der U-Bahn oder im Bus sitze und keine Lust habe, mein Kindle auszupacken, um ein gutes schlechtes Buch zu lesen, dann ist Sticky Blocks Sliding Puzzle angesagt.

Ich habe mir wirklich den Kopf zermartert, aber man weiß, dass es gehen müsste, das Viereck von links unten nach rechts oben zu bekommen. Theoretisch. Mittlerweile bin ich beim Level „difficult“, und das bringt mich zum Wahnsinn. Manchmal muss ich nach drei Versuchen abbrechen, um mich zu erholen. Ich vermute ganz: Das Spiel eignet sich sehr für Kinder, wenn sie schon an einem Gerät sitzen, weil es das räumliche Sehvermögen schult.

Dann spiele ich schnell Schach auf der zweithöchsten Schwierigkeitsstufe. Da verliere ich zwar fast immer, aber von 50 Spielen zwei oder drei gegen die künstliche Intelligenz zu gewinnen, gefällt mir. Außerdem lernt man viel Eröffnungstheorie en passant und learning by doing für das reale Spiel gegen humaniode Gegner. Davon muss ich mich aber dann erholen und spiele dann usw.

Sinn: Marx macht teilweise Sinn

Fall der Profitrate

Die Profitrate für Deutschland bezieht sich auf Westdeutschland 1950–1990 und die Bundesrepublik 1991–2000. Angaben in Prozent (Quelle: IWF). Das Foto von Olga Kurylenko musste sein, weil sonst bei dem Thema jeder sofort weggezappt wäre.

Ich empfehle heute mal „schweren Tobak“, und die geneigten Stammleserinnen und wohlwollenden Stammleser werden sehr überrascht sein, zählen doch die „Volkswirtschaftler“ zu den Berufen, deren Image bei mir vergleichbar ist mit dem von Pfaffen, Kinderschändern und Immobilienmaklern.

„Der Betriebswirt hilft dem Betrieb, und der Volkswirt hilft dem Volk.“ (Hans-Werner Sinn) (Muahahahaha)

Ich empfehle einen Artikel von Hans-Werner Sinn, einem der angesehensten und, weil meistzitierten „Volkswirtschaftler“ Deutschlands. Die Spannung steigt schon? Kann denn das wahr sein? Ich wurde auf diesen Artikel durch ein Interview auf Welt online aufmerksam, in dem Hans-Werner Sinn wettet, dass Griechenland aus der Währungsunion austreten werde. (Sinn hatte Putin noch nicht auf der Agenda. Ich würde den Griechen ja einen offiziellen Staatsbankrott empfehlen. Vermutlich haben die das As schon im Ärmel, denn die Ökonomen der Syriza sind bekanntlich keine Dummköpfe, auch wenn die deutschen Medien das gern herbeischreiben würden.)

Der Der Artikel (pdf) heißt „Das Marxsche Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“, erschienen in der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ 131, 1975 (!!), S. 646-696.

Warum ich das empfehle? Zunächst aus dem Grund, weil Sinn Marx offenbar im Original gelesen hat, was für 95 Prozent der heutigen „Volkswirtschaftler“ nicht zutrifft. Er nimmt ihn auch ernst und zerlegt und analysiert jedes Komma in der Marxschen Argumentation, inklusive der ernst zu nehmenden Sekundärliteratur. (Zuerst die „Schlußbetrachtung“ lesen – der Artikel selbst ist nur für Marxisten, Masochisten und/oder Kaltduscher.)

Das Fazit: Die Marxsche Argumentation des Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate ist in sich schlüssig und stimmt, allerdings kann man aus ihr nicht ableiten, dass der Kapitalismus notwendig und bald in sich zusammenbräche. (So sehe ich das übrigens aus anderen Gründen auch.)

Das sagen aber auch einige „Marxisten“, die Marx ernsthaft analysieren und die „Das Kapital“ und andere Schriften nicht als theologische Literatur und ewige Wahrheiten ansehen, sondern – wie es Marx es sich gewünscht hätte – als Diskussionsgrundlage.

Da der Artikel Sinns 1975 geschrieben wurde und zum Beispiel von der gegenwärtigen „normalen“ kapitalistischen Überproduktionskrise noch nicht die Rede war, müsste man seine Argumente noch einmal überprüfen. (Auf meine To-Do-Liste gesetzt.)

Für Insider: Immerhin scheint mir die Leninsche Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus widerlegt. In der damaligen Zeit waren internationale Konzerne, die auf Nationalstaaten gar nicht mehr angewiesen sind, kaum vorhanden und auch undenkbar. Lenin hätte mal Google, die Royal Dutch Shell oder Fannie Mae analysieren müssen, dann wäre ihm das selbst klar geworden.

Reaktionäre Schichttorte

ständepyramide

Ist eine Gesellschaft „natürlich“? Natürlich nicht und niemals. Ein zentrales Anliegen der jeweils herrschenden Klassen und ihrer medialen Helfershelfer ist es jedoch, genau das Gegenteil zu behaupten und das Volk in diesem Sinn zu indoktrinieren. Das war schon seit dem Neolithikum so.

Dazu gehört, dass man bestimmte Begriffe im öffentlichen Diskurs tabuisiert oder – im Sinne der freiwilligen politischen Selbstkontrolle (TM) – nur solche benutzt, die die Realität verschleiern oder diese nach Gusto der Herrschenden verfälschen. (Wie das geht, wird hier unter dem Tag „Lautsprecher des Kapitals“ exemplarisch aufgeführt. Wer zusammenzuckt: Da das hier mein Blog ist, darf ich auch mit dem Holzhammer argumentieren.)

Ein Beispiel, das niemand abstreiten wird: Im Feudalismus (in der bürgerlichen Geschichtswissenschaft meistens als „Lehnswesen“ tituliert) galt die so genannte „Ständepyramide“ (vgl. oben) als „natürlich“. Gott hatte es so gewollt, dass es Könige und Feudalherrn gab, und es war „natürlich“, dass die Bauern diese unterhielten. Wer das in Frage stellte, den ließen die Herrschenden umbringen.

Im 14. Jahrhundert sagte die Priester Johann Ball: „Als Adam grub und Eva spann, wo war da der Edelmann?“ Natürlich wurde er hingerichtet.

Marx hat das ideologische Prinzip des Feudalismus in einigen genialen Sätzen so formuliert:
Da die Geburt dem Menschen nur das individuelle Dasein gibt und ihn zunächst nur als natürliches Individuum setzt, die staatlichen Bestimmungen wie die gesetzgebende Gewalt etc. aber soziale Produkte, Geburten der Sozietät und nicht Zeugungen des natürlichen Individuums sind, so ist eben die unmittelbare Identität, das unvermittelte Zusammenfallen zwischen der Geburt des Individuums und dem Individuum als Individuation einer bestimmten sozialen Stellung, Funktion etc. das Frappante, das Wunder. Die Natur macht in diesem System unmittelbar Könige, sie macht unmittelbar Pairs etc., wie sie Augen und Nasen macht. (Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW Bd. 1 S. 310)

Man könnte das leicht auf die Gegenwart übertragen: Kapitalisten (affirmativ: „Unternehmer“) und Arbeiter und der Markt sind „natürlich“, von der Evolution (die heute oft „Gott“ ersetzt) so gewollt. Die Natur macht in diesem System unmittelbar die Märkte, Unternehmer und Arbeitnehmer, sie macht den Markt etc. unmittelbar, wie sie Augen und Nasen macht. Eigentlich gehört die „Marktwirtschaft“ in den Biologie-Unterricht. Wer das System in Frage gestellt, wird (medial) geächtet.

ständepyramide

Der Kampf um die Begriffe und was sie bedeuten und wer sie wie benutzen darf, ist noch viel subtiler. Von den christlichen Missionaren wissen wir, dass ihr ersten Ziel, die jeweilige Gesellschaft zu zerstören und ihre Version der Religion aufzupfropfen, immer war, den „Opfern „zu verbieten, diejenigen Wörter zu benutzen, die deren oft kompliziertes System der Verwandtschaft beschrieb. Die Miskito in Nicaragua zum Beispiel konnten nur mit diesen Wörtern ihre Gesellschaft beschreiben – also erklären. Die Missionare der Moravier (die sitzen auch hier in Rixdorf und tun ganz unschuldig) zwangen die Miskito, in Nicaragua nur noch „Bruder“ und „Schwester“ im christlichen Sinn zu sagen – zu allen. Die Gesellschaft der Miskito brach schon nach wenigen Jahrzehnten in sich zusammen. (Übrigens einer der Gründe dafür, warum die Miskito gegen die Sandinistas waren – die Revolutionäre waren katholisch oder taten so. Ich war Augenzeuge und meine damalige Reisebegleiterin war Ethnologin.)

Das wäre so, als wenn man einem „Volkswirtschaftler“ verböte, das Wort „Markt“ auszusprechen – er wüsste vermutlich gar nicht mehr, was er sagen sollte.

Im Zuge der allgegenwärtigen Reaktion werden auch in den Universitäten nur noch Begriffe gelehrt und erwähnt, die den Kapitalismus als Ende der Geschichte suggerieren. Das gilt für alle geisteswissenschaftlichen Fächer. Man sagt auch nicht mehr „Feudalismus“, sondern ganz unpolitisch „Mittelalter“ oder eben „Lehnswesen“. „Kapitalismus“ taucht auch in den Medien nicht als Begriff so auf, dass eine Alternative denkbar wäre.

Es erstaunt mich, wie schnell das geht und wie alle mitmachen, ohne dass es jemand befiehlt. Ein besonders schönes Beispiel ist die „Schicht“ – ein Begriff, der das Oben und das Unten in einer Gesellschaft beschreiben will, als sei das „natürlich“. Mit „Schicht“ kann man auch die feudale Ständepyramide darstellen – der Begriff sagt eigentlich gar nichts aus und ist entpolitisiert.

Der von Marxisten benutzte Terminus „Klasse“ will hingegen beschreiben, wie die Menschen zu den Produktionsmitteln stehen – vereinfacht: Haben sie welche oder nicht? Die traditionelle „Kleinbourgeoisie“ sind zum Beispiel Handwerker, die ihre eigene Mittel, um zu produzieren, besitzen, aber keine Arbeiter im großen Maßstab beschäftigen. Dazwischen gibt es unzählige Schattierungen. Es geht um Macht, um die Stücke des Kuchens und des Reichtums, wer wieviel bekommt und nicht und warum. Wer „Klasse“ im Marxschen Sinn sagt, weiß, dass es auch anders ginge. Deswegen gibt es im Grundgesetz versehentlich „Vergesellschaftung“ und „Gemeineigentum“ – werden einem „Volkswirtschaftler“ diese Wörter vorgeworfen, wird der zusammenzucken wie ein Vampir vor einer Knoblauchzehe.

Man könnte das Thema ja wissenschaftlich und gelassen sehen und einfach fragen, welcher Begriff – „Schicht“ oder „Klasse“ die Realität am besten beschreibt. Aber so funktioniert es nicht. „Klasse“ ist „verboten“, niemand, keine Zeitung und kein anderes Mainstream-Medium in Deutschland, wird das Wort ernsthaft benutzen – wegen Schwefelgeruchs.

Es ist wie im „Mittelalter“. Die Welt, wie wir sie kennen, ist eben „natürlich“.

Aber so viel wollte ich gar nicht schreiben, sonst kommen mir die geneigten Leserinnen und wohlwollenden Leser wieder mit tldnr… Ich will nur anregen, selbst weiter zu denken.

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Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)

Volkspädagogische Rhetorik

Georg Diez schert auf Spiegel online ein wenig aus dem auf Schießschartengröße verengten Meinungsspektrum des medialen Mainstream über Griechenland aus:
Der Trend geht zum Verstehen, wenn es sich um Opposition von rechts handelt, der Trend geht zum Verdammen, wenn es um Opposition von links handelt – die einen, Syriza, sind „Populisten“, die anderen, „Pegida“, sind „besorgte Bürger“.

Da werden die Griechen, von der „Frankfurter Allgemeinen“ über die „Süddeutsche Zeitung“ bis hin zu Spiegel online, wahlweise als Ziegenherde, Kindergarten oder finanzpolitischer Erziehungsfall betrachtet – die gleiche volkspädagogische Rhetorik, die aufs Verstehen von Pegida angewendet wird, nur umgekehrt.

Es ist Volkserziehung, was so ungefähr das Gegenteil von Politik ist: Prinzipien anstatt von Praxis, Rigorismus anstatt von Pragmatismus.

Hunger Games: Capitalist agitprop

Mockingjay

Neulich habe ich mir aus feuilletonistischen Gründen den Kinderfilm The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 auf einem Streaming-Portal meines Vertrauens angesehen, in Englisch mit spanischen Untertiteln. Vor knapp einem Jahr hatte ich hier schon etwas zu den Vorläufern des Streifens geschrieben. Ich muss zugeben, dass ich mir das Ende nicht mehr ansehen wollte, weil ich mich langweilte. Es kommt kein Sex vor, und die Küsse sind so, wie man in der Pubertät küsst. Warum sollte ich so einen Film anschauen? Die Mädchen kämpfen zwar, aber verhalten sich genderpolitisch eben doch so wie in den 50-er Jahren, was zur allgemeinen kulturellen Regression passt.

Ewan Morrison hatte im Guardian eigentlich schon alles gesagt: „Y[oung] A[adults] dystopias teach children to submit to the free market, not fight authority. The Hunger Games, The Giver and Divergent all depict rebellions against the state, and promote a tacit right-wing libertarianism.“

Es ist wegen der freiwilligen politischen Selbstkontrolle natürlich undenkbar, dass so ein Statement in deutschen Medien vorkäme, ganz zu schweigen von einem Link, der über die Diskussion zwischen Stalin und H.G.Wells im Jahr 1937 über anti-kapitalistische Utopien informiert (Vorsicht! Schwefelgeruch!).

Andrew O’Hehir in Salon.com legt noch eins drauf: „capitalist agitprop … propaganda for the ethos of individualism, the central ideology of consumer capitalism“.

Es wundert mich auch nicht, dass deutsche Rezensionen, abgesehen von – im Land der evangelischen Pfaffen – Kritik an zuviel „Gewalt, den Film „Hunger Games“ feiern als „als cleveres Drama, das sein Publikum ernst nimmt“ oder „Glücksgriff“ und „bestes Identifikationsmaterial“. Manchmal finde ich es unfassbar, wie Journalisten ihre ideologischen Scheuklappen so verinnerlicht haben, dass sie zu einer ernsthaften Filmkritik gar nicht mehr in der Lage sind. Wichtig ist nur, dass der Kapitalismus in irgendeiner Form verherrlicht wird.

Die erste und wichtigste Frage an einen solchen Film, der in der „Zukunft“ spielt, ist immer: Warum die Zukunft und nicht die Gegenwart? Warum kann man die Botschaft nicht im Hier und Jetzt spielen lassen? Die Antwort ist einfach: Siehe oben. Es geht weder darum, das System zu stürzen noch darum, sonstwie zu „rebellieren“, ganz im Gegenteil. Alles läuft der Führerin hinterher und alles hängt von ihr ab. Ein Volk, ein Reich, eine Katniss. Die „Hunger Games“ sind nicht revolutionärer als „Hänsel und Gretel“. Die subkulturelle Ikonografie (vgl. Screenshot oben: Frisur usw.) klaut wahllos alles, was irgendwie im nächsten Friseur-Salon zu sehen ist. Von Fantasie und Stil keine Spur.

The villainous daddy-state presided over by Donald Sutherland (in „Hunger Games“) and Kate Winslet (in „Divergent“) is as much a paper tiger as the corrupt old regime of landlords and kulaks seen in Soviet boy-girl-tractor romances of the 1930s. (Andrew O’Hehir)

Ewan Morrison argumentiert, dass Kinder- und Jugendfilme wie „Hunger Games“, ein Angriff seien auf „many of the foundational projects and aims of the left: big government, the welfare state, progress, social planning and equality. They support one of the key ideologies that the left has been battling against for a century: the idea that human nature, rather than nurture, determines how we act and live. These books propose a laissez-faire existence, with heroic individuals who are guided by the innate forces of human nature against evil social planners.“

Man muss heutzutage schon ausländische Medien rezipieren, um intellektuell anspruchsvolle Filmkritiken lesen zu können. Deutsche Medien sind einfach, mit nur wenigen Ausnahmen („konkret“, „Telepolis“, „Jungle World“), weltanschaulich tot, gestorben, bloße Propaganda, seichtes Gefasel.

Interstellarer Bullshit

interstellar

Kürzlich habe ich mir – zusammen mit meiner Lieblingsfreundin – den Science-Fiction-Film „Interstellar“ angesehen. Da wir beide einen ähnlichen Geschmack haben, wunderte es mich nicht, dass wir auch beide mit dem Gedanken spielten, den Film vorzeitig zu verlassen und stattdessen etwas Netteres zu machen. Was für ein langweiliger Bullshit!

Nichts gegen die Musik, die Schauspieler oder die technischen Effekte. Auch der Plot ist theoretisch gut und wissenschaftlich durchdacht. Aber wie er umgesetzt ist, geht auf keine Kuhhaut, so to speak. Politisch reaktionär bis auf die Knochen ist das Machwerk auch noch. Kein Wunder, dass US-Amerikaner ihn mehrheitlich positiv bewerten.

Man muss zugeben, dass zwei kinderlose Singles nicht die besten Rezenseure sind, wenn in einem Film die Kleinfamilie und die dazu passenden Gefühle tränenschniefend zum x-ten Mal als das Einzige hingestellt wird, für das es sich zu leben lohnt. Wer aber von der Zukunft reden will, muss die Gesellschaft dazunehmen.

Die Botschaft kommt immer klarer rüber, wenn man sich überlegt, was der Regisseur weglässt: In „Avatar“ hat der Kapitalismus alles ruiniert, und die Zukunft liegt auf dem Land auf einem grünen Dschungelplaneten. Flucht ins Weltall löst eben nichts. Es ist doch eine intellektuelles ‚Armutszeugnis, wenn niemanden – und US-amerikanischen Regisseuren schon gar nicht – eine Zukunft zumindest theoretisch einfällt, in dem nicht „die Märkte“ als höheres Wesen angebetet werden. Da war die Science-Fiction in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts schon viel weiter. Man merkt die heutige freiwillige politische Selbstkontrolle zugunsten der Kapitalismus-Apologetik in jeder Sekunde.

Also Leute: Ein Vater, der durch ein Wurmloch reist, und danach seine Tochter trifft, die älter ist als er selbst – das Thema kennen wir doch wesentlich besser aus der siebten Reise des Ijon Tichy (1957!), der – in einer Gravitationsschelife gefangen – sich selbst so oft begegnet, dass die Rekete völlig überfüllt ist von Iljon Tichys verschiedener Alterstufen, die sich natürlich erbittert streiten. Der Leser kugelt sich dabei vor Lachen. Bei „Interstellar“ musste ich nur gähnen.

Theoretische Physik, Wurmlöcher, Relativitätstheorie und so ein Zeug: Das könnt ihr nicht in einen Film packen, der auch in US-Kinos laufen soll. Es läuft dann immer darauf hinaus, dass „Wissenschaftler“ sich gegenseitig mit primitivsten Methoden das kleine Einmaleins erklären, damit die Zuschauer auch wissen, worum es eigentlich geht. Raumkrümmung? Da nimmt ein Astronaut ein Stück Papier („das ist jetzt der zweidimensionale Weltraum“), krümmt es und sticht mit einem Bleistift ein Loch durch beide Hälften („da fliegen wir jetzt durch“). Das hatten die anderen Astronauten bestimmt in der Astronautenschule nicht gelernt. Vielleicht hätten sie noch Schrödingers Katze als blinden Passagier mitfliegen lassen sollen.

Staubstürme und Kleinfarmer (in der Zukunft gibt es in den kapitalistischen USA noch Kleinfarmer?), die ruiniert werden? Komplett geklaut von John Steinbeck und „Früchte des Zorns“ (erschienen 1939), der aber, was die soziale Frage angeht, viel mehr über die Zukunft aussagt als „Interstellar“.

Ich könnte noch stundenlang so weitermachen. Das ist der Film aber nicht wert. Schade um das Eintrittsgeld.

interstellar

Propaganda und andere biblische Geschichten

Spiegel online hat ein interessantes Interview mit Prof. Dr. Ernst Axel Knauf über die christliche Bibel. Überraschung: „Zum historischen Kern wurde einfach hinzugedichtet“.

Ich bin insoweit interessiert, als dass ich wegen meiner Biografie die Bibel fast auswendig kann. So etwas lässt einen nicht los. Man sollte die zentralen Mythen des Juden- und Christentums auch kennen, um beurteilen zu können, welch ein bodenloser Unfug den Kindern in den Schulen im „Religionsunterricht“ eingetrichtert wird – jedenfalls nicht das, was der wissenschaftlichen Erkenntnis entspricht.

Wer die Bibel nicht studieren möchte, sollte den „Der König David Bericht von Stefan Heym lesen. Ein köstliches Buch, eines seiner besten, das ganz realistisch – aber im historischen Kostüm (der Bibel) – schildert, wie die jeweils herrschende Klasse die Medien benutzt, um ihre Version der Geschichte durchzusetzen.

Das Thema ist ganz aktuell, wird doch gerade die deutsche Geschichte seit mindestens 1848 wieder umgedichtet: In der aktuellen – vom Medien-Mainstream abgesegneten – Version geht es bei Revolutionen in Deutschland nicht mehr um den Kampf für eine bessere Gesellschaft, sondern um sinnentleerte „Freiheit“ im Sinne des Dampfplauderers Gauck.

Sorgerecht und Dauerpartnerschaft

Das Bundesverfassungsgericht hat ein sehr interessantes Urteil zum Sorgerecht der Eltern gefällt und wann die Kinder den Eltern weggenommen werden dürfen, und gleichzeitig einige Sachverständige abgewatscht:

Im Sachverständigengutachten wird die verfassungsrechtlich gebotene Frage nach einer nachhaltigen Gefährdung des Kindeswohls weder explizit noch in der Sache gestellt. Stattdessen prüft es die Erziehungsfähigkeit der Eltern in einer Weise, die nicht geeignet ist, das rechtliche Merkmal der Kindeswohlgefahr in tatsächlicher Hinsicht aufzuklären. Als Kriterien zieht es unter anderem heran, ob die Eltern dem Kind vermittelten und vorlebten, dass es „sinnvoll und erstrebenswert ist, zunächst Leistung und Arbeit in einer Zeiteinheit zu verbringen, sich dabei mit anderen messen zu können und durch die Erbringung einer persönlichen Bestleistung ein Verhältnis zu sich selbst und damit ein Selbstwertgefühl aufbauen zu können“, ob die Eltern der „geistigen Entwicklung ihres Kindes größtmögliche Unterstützung und Hilfe zukommen lassen, damit die Kinder hier nach ihrem geistigen Vermögen auf eine persönliche Bestleistung hin gefördert werden und diese erbringen können“ und ob die Eltern den Kindern ein „adäquates Verhältnis zu Dauerpartnerschaft und Liebe vorleben“.

Mit diesen Fragestellungen wird die Erziehungsfähigkeit des Beschwerdeführers an einem Leitbild gemessen, das die von Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG geschützte primäre Erziehungszuständigkeit der Eltern verfehlt. Eltern müssen ihre Erziehungsfähigkeit nicht positiv „unter Beweis stellen“; vielmehr setzt eine Trennung von Eltern und Kind umgekehrt voraus, dass ein das Kind gravierend schädigendes Erziehungsversagen mit hinreichender Gewissheit feststeht.

Roots oder: Arbeiter und Bauern [Update]

familie schröder

Das Foto zeigt meinen Urgroßvater Gustav Reinhold Schröder, Bauer in Westpreußen (1859-1943, 4. von rechts), meine Urgroßmutter Anna Emilie geb. Kukuk, Bäuerin, (1864-1943) und ihre Kinder.

Leider weiß ich nicht, welche Namen der anderen zu welchem Gesicht gehören – zwei Personen kann ich gar nicht identifizieren.

Die Namen, die mir bekannt sind: Alma Schröder (1883-1973), Selma Schröder (1945 auf der Flucht aus Westpreußen umgekommen), Friedrich Schröder (1887-1972), Willy Schröder (1889, Todesjahr unbekannt, Lokführer in Altenburg/Thüringen), Minna Schröder, Walter Schröder, Sattler (1893-1978), Kurt Schröder (1895-1918, gefallen als Soldat im 1. Weltkrieg), Hugo Schröder (1902-1992), Helmut Schröder (1897-1942: wurde als Kind von einem Blitzschlag so erschreckt, dass er einen schwere Behinderung, wahrscheinlich eine Art Epilepsie, zurückbehielt, wurde von den Nazis im Zuge des Euthanasie-Programms in einer Anstalt in Westpreußen ermordet).

Das Foto wurde vermutlich Anfang des 20. Jahrhunderts gemacht. Wenn die Frau mit dem Baby meine Urgroßmutter ist, dann ist das Baby mein Großvater Hugo, der ein „Nachkömmling“ (geb. 1902) war. Und die alte Frau ist dann meine Ururgroßmutter Caroline Schmidt (die Mutter meiner Urgroßmutter), Leibgedingerin, die 1916 starb. Das Todesjahr meines meines Ururgroßvaters Gottlieb II Kukuk (gab. 1824), Bauer, ist unbekannt, es muss aber dann vor 1902 gewesen sein.

Ich muss zugeben, dass ich nicht richtig wusste, was eine Leibgedingerin ist. In der Mailingliste „Posen“ steht: „Mostly it was a contract between farm-owner and somebody else (f.e. family). The owner delivers the property (here the farm) and is with this contract sure, he will not die from hunger…“ Es meint also die Garantien (Unterhaltsverpflichtung) gegenüber den alten Bauern, die den Hof an die Nachommmen abgaben, noch mit Naturalien versorgt zu werden. Bekannter ist der Begriff Altenteil.

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