Attentäter und Bikinimädchen usw.

somoza

Leseempfehlung für gute Laune: Un operativo histórico: cuando un comando guerrillero argentino ajustició a Somoza. Das musste jetzt sein.

Noch was Schönes: Juan Guaidó in Venezuela ist vorerst am Arsch. Und das ist gut so. Vermutlich kommt es irgendwann doch zu einer Militärinvasion, die Herrschenden in Kolumbien würden das begrüßen.

Lesebefehl bei den Ruhrbaronen: Klimaproteste: „Der Feind ist ein Hippie“. „Zur grüngutbürgerlichen Dekadenz gehört es, zu ignorieren, dass es die Menschen mit den gut bezahlten Jobs in der Industrie sind, die nicht nur die Güter herstellen, deren Export das Geld bringt, von dem all die Gemeinschaftskundelehrer, Verwaltungsbeamten und Betroffenheitswissenschaftler leben. (…) Heute feierte sich eine arrogante und zum Teil erschreckend dumme Ökobourgeoisie selbst. Der Protest ihrer Kinder, der so ist, wie Protest von Kindern nun einmal ist, gab ihnen die Gelegenheit, ihre ganze Ignoranz auf die Straße zu tragen.“

Villa Romana del Casale

Noch mehr Schönes: Die Bikinimädchen stammen aus der Villa Romana del Casale auf Sizilien. Die herrschende Klasse im antiken Rom hatte eine guten Geschmack, besser als die heutige.

Im deutschen Wikipedia gibt es dazu einen geradezu lächerlichen Satz: „Während der ersten beiden Jahrhunderte der römischen Kaiserzeit hatte Sizilien unter einer Phase der Depression gelitten, hervorgerufen durch das auf Sklavenarbeit basierende Produktionssystem der Latifundien.“

Gelitten haben die Sklaven und armen landarbeiter und Bauern, nicht „Sizilien“.

Interessant ist aber, dass hier die Klassenkämpfe und was darauf folgte, durchscheinen. Ich schrieb im November 2016: „Die Bauern wurden ruiniert zugunsten der Großgrundbesitzer mit deren Latifundien. Die Produktion für den immer größer werdenden städtischen Markt verlangte nach ‚industrieller‘ Massenproduktion. Dafür setzte man immer mehr und öfter Sklaven ein; gleichzeitig wanderten ruinierte Bauern und Landlose in die Städte ab.“ Die Sklavenaufstände und andere Faktoren machten die Latifundienwirtschaft unrentabel – das bedeutet gleichzeitig: Die Diktatur der römischen Kaiserzeit war für die herrschende Klasse effektiver als die ursprüngliche formal existierende Republik aus Patriziern und Plebejern. (Historische Vergleich sind immer schief – aber der Faschismus – in welchem Kostüm auch immer – ist immer eine Option im Kapitalismus – wenn man das Volk nicht mehr anders in Schach halten kann. Das musste jetzt auch gesagt werden.)

Zeugen Gretas oder die ernsten Klimaforscher

telefonzelle
Symbolbild für Berlin-Neukölln

Ich habe nur angefangen, einen Artikel auf der Kinderseite der Zeit (in Gendersprache) zu lesen. „In einer Potsdamer Wohngemeinschaft leben Julia, Steffi und Tina ihr Ideal von Nachhaltigkeit. Genau zu wissen, wo das Essen herkommt und wie man Seife selbst herstellt, ist für sie so selbstverständlich wie der Gang zur Klimademo.“

Mehr muss man nicht wissen, man weiß, was jetzt kommt. Da fiel mir eine soziologisch verwandte Gruppe ein: Was ist das Gemeinsame?

Jonas Kuhn schrieb auf Fratzenbuch: „Die neuen Menschen der grünen Avantgarde stellen sich vor: Tina („Ich habe Biologie studiert und mache jetzt Seife“), Julia (hat „ihre Arbeitszeit auf 20 Stunden reduziert, damit sie einen Master in strategischem Nachhaltigkeitsmanagement machen kann“) und Steffi („die zwei Bachelorabschlüsse hat – einen in Medienkommunikation und einen in Kulturwissenschaft“) erfüllen alles, was es braucht, um aktiv zu werden im Bereich gutes Gewissen (jung, wohlhabend, angehende Fachkraft im grünen Allerlei). Und zeigen der nächsten Generation, dass einfach nur Freitag morgens Klassenkampf von oben zu betreiben nicht ausreicht, um die Welt zu retten. Man muss sich der Sache schon mit Leib und Seele verschreiben und sich kompromisslos in Gänze zurichten. (…) Freilich gelten diese Regeln vor allem für den Pöbel.“

Ganz wie bei anderen chiliastischen Gruppen: Das tägliche Leben wird streng reglementiert (man muss bei jedem Furz noch nachdenken), weil die Apokalypse naht. Tut Buße, denn das Klima ist im Arsch!

Nur für Weiße oder: Powersharing, Empowerment und Quemas controladas

Einreise USA

Ich habe immer noch keine Zeit (sechs 12-Stunden-Schichten in sieben Tagen), aber will dem Publikum dennoch die Weltläufte, die mich interessierten, nicht vorenthalten. Wie leben in eisigen, aber spannenden Zeiten.

Wer plant, in die USA zu reisen, sollte prüfen, was die so genannten Freunde in den so genannten sozialen Medien so von sich geben. Vielleicht solltet Ihr auch die Links zu burks.de vorher löschen.
U.S. officials deported Ajjawi, a 17-year-old Palestinian resident of Tyre, Lebanon, Friday night shortly after he arrived at Boston Logan International Airport. Before canceling Ajjawi’s visa, immigration officers subjected him to hours of questioning — at one point leaving to search his phone and computer — according to a written statement by Ajjawi. (…) The same officer then asked him to unlock his phone and laptop, and left to search them for roughly five hours, Ajjawi alleges. After the search, the officer questioned him about his friends’ social media activity.

And now for something completely different. Ich halte den „Diversity“-Quatsch für reaktionäre Esoterik des vom sozialen Abstieg bedrohten neuen Mittelschichten. Das sagte ich aber schon. Unter Generalverdacht stehen ohnehin Worthülsen in Denglisch oder Ähnlichem, die fast immer davon ablenken wollen, dass man nicht in der Lage ist, irgendetwas präzise auszudrücken.

Das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW (sic! Fehlen da nicht noch die, die man nur mit Buchstabensalat kennzeichnen kann? Und wo bleiben die Behinderten disabled persons?) entblödet sich nicht, puren rassisstischen Unfug zu verbreiten und zu protegieren. Ich bin heilfroh, dass ich keine akademische Karriere eingeschlagen habe, sonst müsste ich mich mit solchen Idioten herumschlagen.

empowerment

Damit ich keinen Beifall von der falschen Seite bekomme: Ich habe nichts gegen gendersensible Pädagogik, die die „klassischen“ Geschlechterrollen in Frage stellt. Wenn ich aber Deutsch (?) des Grauens lese, etwa „die reflexive Koedukation als Best Practise?“ oder „Reflexive Koedukation zur Sensibilisierung beim Sexting“, dann weiß ich, was ich kriege.

And now for something completely different. Kurz einmal kalt duschen. Richard Schröder (von dem ich nicht allzuviel halte) sagt etwas Richtiges über „ungerechte Seenotrettung“ in der NZZ:
Das Problem der Seenotrettung war und ist, dass die Boote die europäischen Anrainerstaaten ansteuern und dann verlangen, dass alle Menschen aufgenommen werden. Das Seerecht verlangt aber, den nächstgelegenen sicheren Hafen anzulaufen. Wenn ich mich an der Grenze der libyschen Hoheitsgewässer befinde, liegt der nicht in Italien oder Malta, sondern in Afrika. Und wenn Libyen wegen des Bürgerkriegs unsicher ist, könnte man Tunesien ansteuern. Rettungsboote, die nach Europa fahren, liefern de facto die Dienstleistungen, für die Migranten Schlepper teuer bezahlen: eine sichere Fahrt übers Mittelmeer und illegale Einwanderung.

pando
Vgl. Der Kautschuksammler, revisited, 04.04.2011 – unser Gastgeber hatte das Land, was er für den Anbau brauchte, natürlich vorher abgebrannt.

Und noch eine kalte Dusche: Wer fackelt die Regenwälder am schlimmsten ab? Nein, sondern der linke Bolivianische Prasident Morales. Kann man nachsehen in seinem Decreto Supremo 3973.

Ich habe das durchgelesen, weil ich nur einer Quelle – N-TV – nicht über den Weg traue.
En los departamentos de Santa Cruz y Beni, se autoriza el desmonte para actividades agropecuarias en tierras privadas y comunitarias, que se enmarque en el Manejo Integral y Sustentable de Bosques y Tierra, conforme a los instrumentos de gestión específicos aprobados por la Autoridad de Fiscalización y Control Social de Bosques y Tierra – ABT, y sus Planes de Uso de Suelo vigentes. En ambos departamentos se permite las quemas controladas de acuerdo a reglamentación vigente, en las áreas clasificadas por el PLUS que así lo permitan.

Quemas controladas heißt „kontrollierte Brandrodungen“. Man müsste natürlich prüfen, wie das „kontrolliert“ (im Urwald!) aussehen soll.

And now for something completely different. Ich möchte gern wissen, wie der grüne Kreuzberger Stadtrat Florian Schmidt ein Gendersternchen ausspricht. Hat er nicht? Dann steht der Tagesspiegel bald auch auf meiner Muss-Ich-Nicht-Lesen-Liste.

Was er aber über Authentizität faselt, ist typisch reaktionärer Scheiß Unfug. Wer ausgerechnet am Hermannplatz von „Fremdkörpern“ redet, kann auch gleich in die AfD eintreten.
Die österreichische Immobilienentwickler Signa wollte das Karstadt-Warenhaus am Hermannplatz im alten Glanz erstrahlen lassen. Doch daraus wird wohl nichts, denn der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne), sperrt sich gegen eine Rekonstruktion des historischen Gebäudes.

Ich hätte den Neubau gut gefunden.

Second Edition oder: Trump urges unity vs. racism

Trump urges unity vs. racism

Natürlich berichtete die Washington Post mit leicht süffisantem Unterton über die Konkurrenz: „The headline was bad: New York Times amends front page on Trump’s response to mass shootings after backlash“. (Vgl. Screenshot) Tom Jolly, der print editor der New York times, erklärte auf Twitter: Tomorrow’s @nytimes tonight, second edition: @realDonaldTrump assails hate but not guns; (…) #nytimes

Nein, man darf in einem bestimmten Milieu nicht schreiben: „Trump mahnt zu Einheit gegen Rassismus“ („Trump urges unity vs. racism“). Das ist in den USA bei den sogenannten „Liberalen“ aka Demokraten nicht anders als in Deutschland. Spiegel online: „Die Kritik: Auch wenn die Zeile streng genommen korrekt sei, verkenne oder verharmlose sie den Kontext der Aussagen des Präsidenten.“

Der mediale Sturm im Wasserglas beweist nur, dass Trump sagen und tweeten kann was er will, die Meinung seiner Gegner steht a priori schon fest. Ein konstruktiver Diskurs ist von beiden Seiten weder möglich noch erwünscht.

Ceterum censeo: Der Präsident der USA sitzt einem Ausschuss vor, der die Interessen der herrschenden Klasse, die sich nicht immer einig ist, verwaltet. Es ist völlig wurscht, ob er ein Rassist ist oder nicht, ob er Gendersprache spricht, popkulturell kompatibel ist und ob er „das Land spaltet“ oder nicht oder ob jetzt.

Dazu empfehle ich ein Interview in der Taz mit Ronald Pfaller über „Pseudolinke“:

„Statt Kinderbetreuungseinrichtungen bekamen wir das Binnen-I, statt Chancengleichheit bot man uns »diversity«, und anstelle von progressiver Unternehmensbesteuerung erhielten wir erweiterte Antidiskriminierungsrichtlinien. Das entspricht dem Grundprinzip neoliberaler Propaganda: Alle Ungleichheit beruht demnach lediglich auf Diskriminierung. Sie ist nur ein Vorurteil, das sich durch liberale Gesinnung überwinden lässt; und nicht etwa ein Effekt starrer oder sich gar noch verhärtender Eigentumsverhältnisse.“

Yasuke, Daimos und Samurai [I]

yasuke
Credits: The Incredible Legend of the First Black Samurai

Die Fakten sind so: Es ist brüllend heiß, anstatt auf dem Wasser herumzupaddeln, was erst für morgen geplant ist, habe ich zwei Keller entrümpelt. Außerdem habe ich vier Tage Urlaub, aber keine Lust, an Büchern (under construction) weiterzuschreiben. Es wartet noch eine virtuelle Stadt in Second Life, die zu bauen ich die Ehre hatte beauftragt zu werden, aber alldieweil das eine entsetzliche Fummelei ist, für die sich eher die Kühle der Nacht eignet, muss ich das Publikum mit dem beliebten und total aktuellen Thema Feudalismus in Japan – oder doch nicht? behelligen; bitte aber, überhaupt gar nicht und nie an schwachsinnige Filme (außer an eine Szene) zu denken, die zwar dort handeln, in denen aber ein Scientologe herumschauspielert, den ich auf der Leinwand nicht ausstehen kann, wegen seiner allzuglatten Fresse und auch der Ideologie.

Das Thema ist für mich sehr interessant – insbesondere nach meinem Aufenthalt in Quedlinburg – und dient sozusagen als Vorarbeit zum Einen und Einzigen Wahren und Autorativen, Historisch Genauen und Amtlich Anerkannten Bericht über den Feudalismus und wie er den Kapitalismus gebar und warum und warum anderswo nicht – der geplante Beitrag soll allem Widerspruch und Streit zum Thema ein Ende setzen.

(Die folgenden Thesen beziehen sich im wesentlichen auf John Witney Hall: Feudalism in Japan – a Reassessment, Cambridge 2009, zuerst erschienen 1962/63, abgedruckt in Heide Wunder; Feudalismus – 10 Aufsätze.) Hall referiert die Diskussion zum Thema ab den 1920-er Jahren.

Vorbemerkung 1:
The question of whether Japan can rightly be said to „have had feudalism“ is by no means settled. Although Westerners have been writing about „Japanese feudalism“ for well over a hundred years, the acceptability of this practice is still a matter of controversy among professional historians, notably among those who make the study of medieval Europe their specialty. To a long line of Western historians (…), however, there was no question about the appropriateness of placing the feudal label on Japan. Nor does the contemporary Japanese historian question a term which has become so important a part of his professional as well as everyday vocabulary. In a Japan in which the reading public is daily reminded that the „struggle against feudalism“ is still being waged, feudalism seems a present reality which by its very nature cannot be denied to have existed in Japan’s past. (Extract of John Witney Hall)

Vorbemerkung 2:
Wenn andrerseits die Naturalform der Grundrente, in Asien zugleich das Hauptelement der Staatssteuer, dort auf Produktionsverhältnissen beruht, welche sich mit der Unwandelbarkeit von Naturverhältnissen reproduciren, erhält jene Zahlungsform rückwirkend die alte Produktionsform. Sie bildet eines der Selbsterhaltungsgeheimnisse des türkischen Reichs. Zieht der durch Europa aufoctroyirte Freihandel in Japan die Verwandlung von Naturalrente in Geldrente nach sich, so ist es um seine musterhafte Agrikultur geschehn. Ihre ökonomischen Existenzbedingungen sind zu eng, um einer solchen Revolution zu widerstehen, und werden sich auflösen.

Vorbemerkung 3:
In allen Ländern Westeuropa’s [sic] ist die feudale Produktion durch Theilung des Bodens unter möglichst viele Untersassen charakterisirt. Die Macht des Feudalherrn, wie die jedes Souverains, beruhte nicht auf der Länge seiner Rentenliste, sondern auf der Zahl seiner Unterthanen, d.h. der Zahl der auf ihren Gütern ansässigen Bauern.*
* Japan, mit seiner rein feudalen Organisation des Grundeigenthums und seiner entwickelten Kleinbauernwirthschaft, liefert in vieler Hinsicht ein viel treueres Bild des europäischen Mittelalters, als unsre sämmtlichen, meist von bürgerlichen Vorurtheilen diktirten Geschichtsbücher. Es ist gar zu bequem, auf Kosten des Mittelalters »liberal« zu sein.

Marx bezieht sich auf H[ermann] Maron: Bericht an den Herrn Minister für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten über die japanische Landwirthschaft. In: Annalen der Landwirthschaft in den Königlich Preußischen Staaten [Monatshefte] (Berlin), Jg. 20, Bd. 39, von Januar 1862, pp. 44 u. 50, zit. nach: Justus von Liebig: Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. 7. Aufl. Th. 2, Braunschweig 1862, pp. 425 u. 432. Ich zitiere nach Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie | Erster Band Buch I: Der Produktionsprozess des Kapitals Neue Textausgabe, bearbeitet und herausgegeben von Thomas Kuczynski – jetzt wisst ihr auch, warum ich neulich fragte, wo ich Marx hineinschieben solle.

Das – IMHO ungelöste – Problem für Historiker, die sich an Marx orientieren (um das Wort „Marxisten“ zu vermeiden), ist: Die teleologische Idee, die Marx nie vertreten hat, es gebe die so genannte „Urgesellschaft“ (ein Begriff, der nur vermeiden will, genauer hinzugucken), danach die Sklavenhaltergesellschaft, danach den Feudalismus, dann den Kapitalismus, dann den Sozialismus, und das Ganze noch bitteschön zwangläufig, ist, obzwar unter Stalin noch Doktrin, schlicht und einfach Bullshit, und zwar noch nicht mal gehobener, sondern – ich wiederhole mich gern – totaler Quatsch, und ließ die Historiker der DDR, die sich die „Dritte Welt“ ansahen, verwirrt zurück.

Die Geschichte in Japan hätte sich ähnlich linear entwickeln müssen, und erstaunlicherweise völlig unabhängig von Europa. Jedoch gab es dort nie eine „Sklavenhaltergesellschaft“ – und auch der weltanschauliche Überbau – die Religion – ist nicht wirklich vergleichbar. Andererseits erkennt jeder erstaunliche – auch zeitliche – Parallelen zum europäischen „Mittelalter“ – die Kriegerkaste der Samurai entspricht in ihrer Funktion dem europäischen Ritter. Reminder: An important element of feudalism is arms-bearing as a class-defining profession. (Hall)

Sogar der Tenno als Charaktermaske entwickelt sich ähnlich – er hat immer weniger zu sagen und zu tun, bis die Warlords alles unter sich aufgeteilt haben und gegenseitig permanent Krieg führen. John Witney Hall schlägt als Arbeitshypothese vor, anstatt von einem japanischen Feudalismus vom Feudalismus in Japan zu reden – ein sehr praktischer Vorschlag, der vermeidet – wie auch in Mitteleuropa -, eine Gesellschaft nach einem Idealtypus zu beschreiben, sondern zunächst die historischen Fakten ernst zu nehmen. Feudalismus war in Mitteleuropa über mehrere Jahrhunderte die vorherrschende Produktionsweise – dennoch gab es immer noch freie Bauern und deren Genossenschaften.

Wenn es die Linearität der historischen Entwicklung nicht gibt, kann man auch die These, der Sozialismus folge zwangsläufig auf den Kapitalismus, in die nächste Tonne treten, was unter Linken für betretene Gesichter sorgt. Oder man sagt: Wenn die Chinesen uns in allem überholen (werden), ohne an dem tendenziellen Fall der Profitrate zu leiden, was dem Kapitalismus – auch dem staatlichen – immanent sein müsste, dann wäre das, was dem Kapitalismus in China vorausging, der einzig wahre Feudalismus, weil der am schnellsten den Kapitalismus wieder abschafft. Oder es ist alles ganz anders.

Wenn ihr den zweiten Teil zu lesen bekommt, setze ich die Lektüre diesen Teils voraus – sonst dürft ihr nicht kommentieren. SCNR

____________________________________

Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)

Was sonst noch im Internet geschah (und auch anderswo)


Symboldbild für die Zeitläufte

MintPressNews: „Afghan Opium Production 40 Times Higher Since US-NATO Invasion
About 90 percent of the world’s illegal opium is estimated to come from Afghanistan.“ Ich halte die Quelle nicht für seriös; die obige These bezieht sich auf die venezolanische Telesur. Vermutlich haben alle von RT International abgeschrieben.

Der Tagesspiegel provoziert mit hat ein paar Fakten zu den aktuell Eingewanderten: „Die meisten Flüchtlinge bringen starke demokratische Grundeinstellungen mit“. Das ist eine steile These, die sich aber offenbar verifizieren lässt. Die Zahlen:
85 Prozent kommen aus Ländern, in denen (…) die ganze oder große Teile der Bevölkerung terrorisiert wird, in denen Bürgerrechte nicht gelten oder Krieg herrscht. Ihnen ist Einiges widerfahren, nach unseren Erhebungen leiden viele unter posttraumatischen Belastungsstörungen, überdurchschnittlich oft sind davon Frauen betroffen. Fünfzehn Prozent haben Schiffbruch erlitten.

Wegen der hohen Risiken einer Flucht sind 70 Prozent der erwachsenen Geflüchteten Männer, die wiederum überwiegend jung und ledig sind. Der Familiennachzug wird deshalb in seinen Größenordnungen weit überschätzt – wenn Geflüchtete Ehepartner oder Kinder haben, dann sind sie bereits zu großen Teilen hier. 70 Prozent der Frauen, aber nur 30 Prozent der Männer haben minderjährige Kinder. (…) Sie sind im Schnitt besser gebildet und ausgebildet als die Bevölkerung ihrer Heimatländer, und zwar deutlich. (…) Migration bringt praktisch immer Dequalifikation mit sich. Aber wie gesagt, zum Teil gelingt es: etwa die Hälfte der erwerbstätigen Geflüchteten üben in Deutschland Fachkrafttätigkeiten aus, obwohl ihnen die beruflichen Abschlüsse fehlen.

Jetzt kommts: Es gibt tatsächlich etwas mehr Deutsche als Geflüchtete, die sich in Befragungen für das Führerprinzip aussprechen. Har har. Wohl und vermutlich wahr.

Die South China Morning Post vermutet die Triaden hinter den letzten Terrorangriffen auf die Protestbewegung. Interessante These, aber es werden keine Gründe genannt, warum die auf die Bevölkerung einprügeln sollten, außer, jemand hätte sie dafür bezahlt.

Die Leserschaft sollte mit dem Begriff Entebbe etwas anfangen können (vgl. auch ein Video der IDF auf Facebook).

Meedia.de: „Weil Facebook keine Gerichtskosten erstattet: Anwalt Steinhöfel lässt Konten von CDU und SPD pfänden“. Popcorn!

Für Schwindelfreie empfehle ich das fearless girl. I love it.

Doppeldenk: Dirtbag Left

dirtbag left
Credits: Branco – Americans for Limited Government (Medienkompetenz üben!)

Das wie gewöhnlich gut informierte Publikum wies mich auf einen Artikel in Sp¡ked hin: „Meet the anti-woke left“. (Tichys Einblick hat den Artikel ins Deutsche übersetzt. Wie hier erwähnt wurde, solle man auch die Kommentare lesen.)

Dazu passt der obige Cartoon. Auf Fratzenbuch kommentierte jemand: „Wenn Herr Lübcke sagte, ‚wenn euch das nicht passt, dann könnt ihr gerne auswandern‘, ist das Ausdruck demokratischer Gesinnung, wenn Trump dasselbe sagt, ist er ein Rassist.“

Ich weiß ja, wie das jetzt läuft. Deutsche Journalisten lesen nur bis zum oberen Abschnitt, dann haben sie sich ihre Meinung gebildet, wenn sie nicht eh schon – wie in den meisten Fällen – vorhanden war. Wie soll man jetzt diesen „Burks“ politisch einordnen? Er unterstützt Trump, seine rassistischen Statements, und liest auch noch Tichys Einblick, was wir alle nicht tun (nur heimlich), nach dem Motto: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern?!

So einfach mache ich es euch nicht. Ich schrob (Burks kann keine Rechtschreibung!) auch auf Fratzenbuch: Warum soll der Chef eines Ausschusses der herrschenden Klasse, der einen kapitalistischen Staat regiert, kein Rassist sein? Hitler war auch Vegetarier – und war der Nationalsozialismus deshalb besser? Ob Trump ein Rassist ist, ist genauso relevant wie der Farbe seiner Unterhose.

Das Kleinbürgertum, dass um seinen sozialen Status fürchtet, tritt – wie bekannt – nach unten und buckelt nach oben. Tichys Einblick etwa – das sagte ich schon – ventiliert die weltanschauliche Position des jammernden Kleinbürgertums (das sich selbst natürlich „Bürgertum“ nennt), das sich Illusionen über die Herrschaft des Kapitals machte und jetzt – Überraschung! – zwischen gemeinem Volk und herrschender Klasse immer mehr zerrieben wird. Die Krise des Kapitalismus wird zeigen, dass „Demokratie“, wie sie der Mainstream versteht, eben nur eine Illusion ist. Die Mittelklassen appellieren an die da oben, sich doch bitte an die Regeln zu halten, die angeblich common sense seien (keine Zensur usw.). Die herrschende Klasse ist aber eine Charaktermaske – sie interessiert das nicht.

In den USA wird es noch komplizierter. …a loose constellation of American leftists who reject the civility, piety and PC that has come to characterise much of the left. Schön, dass der Protestantismus erwähnt wird – da ist was dran. “ The majority of people are not woke“, explains Frost: „Why would we dismiss the majority of people as hopelessly reactionary?“ Richtig so. Das ist genau das, was auch Eribon und Christian Baron sagen.

Trump macht seine Sache aus der Sicht eines Propaganda-Experten sehr gut. Er setzt die Themen und Agenden, treibt die liberale journalistische Meute vor sich her (Skandal! Skandal! Wir empören uns!) und bedient gleichzeitig die eigenen Wähler (was sonst?).

Wenn ich etwas gelernt habe, dann, dass ich nicht woke bin und auch nicht sein möchte. Das hatte ich schon in der Kindheit im Überfluss. Den Rest überlasse ich der Leserschaft.

Pädagogisches Appeasement

porn

In einer Befragung von Koch (1992) werden beispielsweise die zu einer ganzheitlichen Sexualerziehung notwendigen Themen Geschlechtsrollen, Zärtlichkeit und Liebe, Körpergefühle, vorehelicher Geschlechtsverkehr, Vermarktung der Sexualität von 80% der Lehrer akzeptiert. 40% der Eltern lehnen jedoch diese Themen für den Schulunterricht ab. Wenn also diese Themen in einer Elternversammlung zur Sprache kommen, besteht die Gefahr, dass Eltern sie für ihre Kinder ablehnen.

Noch problematischer wird es bezüglich der so genannten „heißen Eisen“ schulischer Sexualerziehung: Orgasmus, Selbstbefriedigung, Homosexualität, Schwangerschaftsabbruch, Pornografie, Prostitution. Für die unterrichtliche Behandlung dieser sechs Themen bis zum 10. Schuljahr sprechen sich in der angeführten Studie nur noch 30% der Lehrerinnen aus, und 85% der Eltern lehnen diese Schwerpunkte für ein unterrichtliches Gespräch ab. Bei der Behandlung solcher Themenfelder ist also ein behutsames Vorgehen und Zurückhaltung angeraten. (S. 337)

Der Lehrer hat auf weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen der Eltern Rücksicht zu nehmen, z. B. wenn eine Reihe türkischer oder arabischer Schüler in der Klasse sind, sollten die in der Studie von Koch angeführten [sexualpädagogischen] Themenschwerpunkte mit größerer Zurückhaltung angegangen werden. (S. 338)

(Lothar Staeck: Zeitgemäßer Biologieunterricht: Eine Didaktik für die Neue Schulbiologie, 2016)

Der Zwang zum Hauen und Stechen oder : Seigneural privileges

Quedlinburger Knüpfteppich

Quedlinburger Knüpfteppich, der nur noch in fünf Fragmenten vorhanden ist, ca. 1200, geknüpft mit so genannten spanischen Knoten, aus Hanf und Wolle, ursprüngliche Größe ca. 7,5 x 6 Meter. Die Motive stammen aus dem im Frühfeudalismus weit verbreiteten allegorisch-enzyklopädischen Lehrgedicht De Nuptiis Philologiae et Mercurii (die Hochzeit des Merkur und der Philologie) des römischen Schriftstellers Martianus Capella. Der Teppich war natürlich im Original knallbunt.

Thomas Labusiak u. Jaos Stekovics Kostbarer als Gold: Der Domschatz in der Stiftskirche St. Servatii in Quedlinburg erwähnen die merkwürdige Tatsache, dass ein Teppich mit antiken – also weder christlichen noch hagiografischen – Motiven in der Stiftskirche ausgebreitet wurde. Vermutlich hat man den Inhalt einfach im religiösen Sinn umgedeutet.

Die feudale Gesellschaft definiert sich durch den antagonistischen Gegensatz zwischen den Besitzern der Produktionsmitteln, den Eigentümern von Grund und Boden (aka Feudalherrn) und denen, die darauf arbeiten: Die feudalen Grundherrn sind permanent (und per Gewalt) bestrebt, sich den gesamten Surplus anzueignen, den die Bauern erwirtschaften. Die „biologische“ Schranke ist nur der Hungertod der Bauern.

Dieses „Streben“ darf man nicht psychologisch sehen; es ist analog zur kapitalistischen Charaktermaske gemeint. Die Individuen einer bestimmten Gesellschaft handeln als Funktion der unmittelbar gesellschaftlichen Formen von Arbeit. Sie können nicht anders – bei Strafe des Untergangs. Hieß es bei Marx über den Kapitalismus: „Je ein Kapitalist schlägt viele tot“, so ist das im Feudalismus wörtlich gemeint. Johannes Fried schreibt in Die Anfänge der Deutschen: Der Weg in die Geschichte über die damalge herrschende Klasse:
Was ihm von seinen Vorfahren überkam, war oft nichts weiter als ein Anspruch, den er gewöhnlich mit der Waffe in der Faust, realisieren musste, wellte er sein Recht und seinen Status wahren. Wer nicht kämpfte, ging unter; wer zur Waffe griff, riskierte ebenfalls „Leben und Gut“. (…) Die meisten der alten Adelsfamilien erloschen bis ins 12./13. Jahrhundert, nur wenige überstanden die Fremd- und Selbstdezimierung. (S. 132f.)

In einigen Teiles des frühfeudalen Europa bleiben Genossenschaften freier Bauern mit Überresten gentiler Organisation jedoch bestehen (vgl. Allmende)

Dazu ein paar längere Zitate von Rodney Howard Hilton, einem marxistischen britischen Historiker (natürlich kein deutscher Wikipedia-Eintrag), dessen „Kommentar zum Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus“ (1953/76) auf deutsch übersetzt in Feudalismus – Materalien zur Theorie und Geschichte (1977) publiziert wurde (vgl. die Rezension Rodney Hiltons: „The Transition from Feudalism to Capitalism“, 1978).

„In solchen Fällen (beispielsweise in England vor den dänischen Invasionen) sieht sich die Militäraristokratie, die selbst ihrem Wesen nach halb stammesmäßig organisiert ist, dem komplexen Problem gegenübergestellt, die Abgaben der Bauern, die früher freiwillig dem Stammeskönig gezahlt und nun dem Adel durch den König übertragen worden waren, in feudale Rente umzuwandeln und gleichzeitig diese Position eines Rentenempfängers dadurch zu stärken, dass sie die Kolonisation von unbebautem Land durch Sklaven, halbfreie Klienten etc. fördern. Zur gleichen Zeit gelangen in einigen Dörfern (…) infolge der Auflösung der Stammesgemeinschaft einige Bauernfamilien zu mehr Macht und Besitz als ihre Genossen und „treiben“ somit dem Status von Renten beziehenden Adligen zu. Andererseits war die römische Aristokratie in anderen Teilen Europas (im allgemeinen Italien, West- und Südgallien) dem Transformationsprozess zum Feudaladel seit dem 3. Jahrhundert erlegen. Ihre von Sklaven bewirtschafteten Latifundien wurden in von unfreien Bauern bewirtschafteten Grundherrschaften umgewandelt, wobei die unfreien Bauern zum Teil frühere Sklaven, zum Zeil abgestiegen freie Grundeigentümer waren. Diese Art der Ausbeutung wurde teilweise von den germanischen militärischen Eindringlingen (hospites) wie den Burgundern und Westgoten übernommen, die sich mit dem alten römischen Adel vermischten (…)

Quedlinburger Balliste

Quedlinburger Balliste (Windenarmbrust, 1335) (Wirkungsweise)

Um das 9. Jahrhundert – eine Periode, die von deutschen und französischen Historikern als Frühmittelalter bezeichnet wird – wurde die Feudalwirtschaft in Europa von Großgrundherrschaften dominiert. Die großen Grundherrschaften überzogen natürlich nicht einmal den größeren Teil des Territoriums im feudalen Europa, aber sie waren die bestimmenden Elemente der Wirtschaft. Die Rolle fortbestehender bäuerlicher Allodie oder der Grundherrschaft von Kleinadingen [wie etwa in Polen, B.S.] sollte bis zum beginnenden Niedergang der feudalen Produktionsweise keine Bedeutung erhalten,…

Zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert ging die Überführung in die Leibeigenschaft (enserfment) rasch vonstatten, aber im Laufe der Zeit wurde die rechtliche Stellung der Ausgebeuteten verschlechtert und vereinheitlicht. Die Entwicklung der Warenproduktion brachte Veränderungen in der Form der Rente hervor, so dass Renten in Form, von Naturalabgaben und Geld gegen Ende des 13. Jahrhunderts (mit Ausnahme von England) größtenteils die Rente in Form von unmittelbaren Abgaben abgelöst hatte, was ihrerseits eine Verbesserung des Rechtsstatus bewirkte. Aus verschiedenen Gründen, die mit der Entwicklung der Warenproduktion zusammenhängen (darunter sind die Zersplitterung der Bauernwirtschaften und die Entwicklung bäuerlichen Widerstandes gegen die Ausbeutung am bedeutsamsten), lockerte sich die direkte Aneignung der Rente, die den Bauernhöfen auferlegt war, aber der Gesamtbedarf nach Feudalrente seitens der Feudalherren wurde durch die Ausbeutung anderer herrschaftlicher Privilegien (seigneural privileges) und durch die Entwicklung von privaten und öffentlichen „Steuern“ aufrechterhalten.“ [Vgl. den Kampf zwischen der Äbtissin Hedwig und der Stadt Quedlinburg.

____________________________________

Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)

Mehr als nur Kopftuch

Humanistischer Pressedienst „Eine Drei-Viertel-Mehrheit der Befragten will ihr Neutralitätsgesetz behalten, das unter anderem das Tragen religiöser Symbole von Lehrkräften in Grundschulen untersagt. Dieses Gesetz wird von islamistischer Seite seit Jahr und Tag heftig als Rassismus diffamiert. Nur mit Mühe konnte sich die Senatskoalition dazu durchringen, das Tragen religiöser Bekleidung bei Ausübung staatlicher Hoheitsfunktionen nicht doch noch zu erlauben. Stattdessen soll nun eine höchstrichterliche Entscheidung abgewartet werden.

Bemerkenswert, dass 72 Prozent der Anhänger der „Linken“ und 62 der grünen Fans hinter dem Gesetz stehen. Das sollte den Verantwortlichen zu denken geben, die immer noch ein naives Bild der Islamverbände haben.

Das sollte insbesondere auch denen zu denken geben, die den unsäglichen Begriff „Islamfeindlichkeit“ erfunden haben und jeden, der in der Tradition der deutschen Aufklärung Religion bekämpft, als „Rechten“ darstellen.

Vgl. dazu auch Telepolis: „Zur Kritik der Identitätspolitik“.

Qualitätsjournalismus, revisited oder: So genannte Hintergrundgespräche

Telepolis: „Von gefährlichen Iranern, trickreichen Russen und schrecklichen Kindern“.

Der Tagesspiegel hat auch etwas: „Bundesnachrichtendienst streute heimlich Russland-Kritik unter Medien“.

Yo.

Authentische Heinrichsfeiern

wilhelm Peterson

Kommentar der Ausstellung im Schlossmuseum Quedlinburg: In historischen Ausstellungen des „Dritten Reiches“ war die Gegenüberstellung von „gesundem, hochwertigen, vorbildhaften Menschen und solchen, die als „minderwertig“ oder „entartet“ galten, eines der verbreitesten ästhetischen Mittel. (Elke Harten)

Die dem „GermanenheldenHeinrich I. vorgeführten slawischen Gefangenen wurden von der NS-Rassentheorie den „slawischen Untermenschen“ zugeordnet. Das Bild war ein Geschenk von Himmler an den Quedlinburger Oberbürgermeister Karl Selig.

Wilhelm Petersen [Falsche Schreibweise in der Quedlinburger Ausstellung, Petersen gestaltete ab 1953 die Mecki-Bücher, die ich als Kind begeistert gelesen habe.]

„Gefangene vor Heinrich I. am Jagdhof Bodfeld im Harz“ (Ich habe dieses Bild nirgendwo sonst gefunden.)

Krypta

Sie lernen nichts dazu. Die Nationalsozialisten benutzten Sachsen Heinrich, um ihre mörderischen Idee des „Lebensraums im Osten“ weltanschaulich zu untermauern. Vor fast 20 Jahren publizierte die Zeit einen langen Artikel (nur eine Seite verfügbar) über diese pseudoreligiösen Phantastereien: „Himmlers Heinrich“. Wikipedia: „Er hielt die bei Grabungen von Rolf Höhne am Schlossberg aufgefundenen Knochenreste für die Gebeine Heinrichs I. und ließ sie 1937 feierlich in der leeren Grabstelle neben Königin Mathilde beisetzen. Im Schlossmuseum werden heute die Überreste des Sarkophages und eine Dokumentation zur NS-Zeit ausgestellt.“

Aber es geht immer noch nur um die herrschende Klasse – in Ausstellungen, Museen und Dokumentationen – und nur um die. Welchen Sinn macht es, das Grab einer Feudaladligen in einer Krypta anzustarren? Der MDR entblödet sich nicht, das Thema als eine Art Soap-Opera anzubieten und holpert stabreimend herum: „Mathilde von Quedlinburg – Vom Mädchen zur Machtfrau“.

himmler Krypta

Die Nazis hatten die angeblichen Gebeine des Sachsenherrschers verbuddelt. Als man nach dem Krieg das Grab öffnete, fand man nur Bretter.

Immer wenn ich die Fotos von damals sehe, denke ich nicht nur an Fackelzüge, sondern auch an die gemäßigte Version, die Kerzen- oder Lichterkette. Wenn der Deutsche an sich etwas im Schilde führt, spielt er gern und in der Nacht mit dem Feuer herum, das ist eben gemütlich.

Krypta

Die Stadt Quedlinburg schreibt heute: Heinrich I. ist der erste Sachse auf dem Königsthron. Er befriedet das ostfränkische Reich, steigt zum mächtigsten Herrscher im damaligen Europa auf und begründet eine Herrscherdynastie. Sein Sohn wird als Kaiser Otto der Große in die Geschichte eingehen. Wer ist dieser Heinrich, der im Jahr 919 plötzlich König wird? 2019 feiert die Welterbestadt Quedlinburg sein 1.100-jähriges Thronjubiläum mit einer gemeinsamen Sonderausstellung am authentischen Ort der Geschichte: dem Schlossmuseum und der Stiftskirche. Heinrichs Grab in der Quedlinburger Stiftskirche steht am Anfang einer florierenden mittelalterlichen Stadt und im Zentrum eines einzigartigen historischen Welterbes.

Große Männer machen die Geschichte? Und was soll uns das lehren? „Die Zeit Heinrichs I. gehört zu den quellenärmsten des gesamten europäischen Mittelalters“, lese ich auf Wikipedia. Dann kann man ja um so mehr herumphantasieren und feiern.

Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? Alle zehn Jahre ein großer Mann. Wer bezahlte die Spesen?
So viele Berichte,
So viele Fragen.

wilhelm Peterson

____________________________________

Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)

Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht

st. wiperti reliquiar

Evangelistar (liturgisches Buch) aus St. Wiperti, vielleicht von Goldschmiedemeister Michel aus Quedlinburg, 1513 – ein Vertrag der Äbtissin von Sachsen mit ihm über Reliquiare ist überliefert.

Das Buch hat einen Holzkern mit gegossenem und getriebenem Silber, mehrere der ursprünglich 34 Edelsteine sind verloren (nach Dietrich Kötzsche (Hrsg.): Der Quedlinburger Schatz wieder vereint], 1993)

An dem Beschlag der Kanten des Deckels kann man ANNO DOMINI MVCXIII lesen, links SVB LAVRENCIO PREPOSITO (unter dem Probst Laurentius). Die Christusfigur besteht aus einem Stück Silber und ist mit durchsichtigem Email überzogen. Ursprünglich trug Christus eine Weltkugel in der Hand, die ist jedoch verloren. Der Rahmen zeigt die vier bibischen Evangelisten und „Kirchenväter“. Das Seidengewebe des Deckels stammt aus Florenz oder Venedig. (Wie so etwas hergestellt wurde, beschreibt Regula Schorta: „Il Trattato dell’arte della seta: a Florentine 15th century treatise on silk manufacturing“, 1991).

Die Handschrift im Innern aus Pergament hat 59 beschrieben Blätter und einige leere Seiten und enthält Perikopen aus den Evangelien, die während der Messen gelesen wurden. Der Text sei im Vergleich zum kostbaren Deckel „unaufwenig“, schreibt K. Koetzsche: „Höchstwahrscheinlich handelt es sich um eine Arbeit von Wanderminiatoren. Unter den erhaltenen Quedlinburger Handschriften dieser Zeit gibt es jedenfalls keine weiteren illuminierten Pergamentcodices.“

Die historisch interessierten Leser und mediävistisch gebildeten Leser sollten der Tatsache eingedenk sein, dass das obige Evangelistar rund 300 Jahre jünger ist als die jüngst vorgestellten Exemplare aus dem Quedlinburger Domschatz. In Quedlinburg tobte Ende des 15. Jahrhunderts der Klassenkampf (den bürgerliche Historiker und Wikipedia natürlich nicht so nennen). Der feudale Adel, auch der kirchliche, kämpfte gegen die Städte um Mühlen, Münzprägung, Fischerei und Holzrechte und die Gerichtsbarkeit. Die Stadtbürger Quedlinburgs verloren und mussten sich unterwerfen, der steinerne Roland am Rathaus wurde geschleift. „Quedlinburg hatte aus der Hanse und allen Schutzbündnissen auszutreten und der Äbtissin Erbhuldigung zu leisten. Ohne Einwilligung der Äbtissin konnte die Stadt weder einen Rat, noch einen Stadthauptmann wählen oder die Stadtbefestigung ausbessern. Die Stadtentwicklung erlitt einen entscheidenden Rückschlag; in den kommenden Jahrhunderten blieb Quedlinburg eine kleine Ackerbürgerstadt.

roland quedlinburg

Was ist also in den mehr als 500 Jahren passisert – zwischen Heinrich, dem sächsischen König des Ostfrankenreichs und den Königen und Kaisern des späten Feudalismus aka „Spätmittelalter“?

Die Feudalklasse hat sich etabliert und zwischen den Kaiser, der zu Zeit etwa der Karolinger Zeit noch der mit abstand Mächtigste Kriegsherr war – aufgrund seiner ökonomischen Basis -, und die Bauern geschoben. „Das frühmittelalterliche Heer war mehr als eine moderne Armee; es war der Pupulus, das Volk in Waffen“, schreibt Johannes Fried in Die Anfänge der Deutschen: Der Weg in die Geschichte (S.529). Die Vasallen des obersten Herrschers drängten aber danach, „selbst zu befehlen“. „Es bedurfte spezieller Vasallen mit großem Vermögen- fünfzig bis zweihundert Bauernstellen sind unter Karl dem Großen bezeugt -, die der König bereitstellen musste, denn die teure Ausrüstung der Ritter überstieg die Leistungskraft einfacher Freier. Die Königsvasallen blieben fortan des Königs Rückhalt gegen die großen Adelsfamilien…“( S. 269). Die probten den Aufstand in Permanenz.

Ein halbes Jahrtausend später sind die Bauern entwaffnet, die herrschende Feudalklasse hat das militärische Monopol, der König ist allein militärisch machtlos.

Im Unterschied etwa zu Polen emanzipierten sich jedoch die hörigen Bauern ab dem 10. Jahrhundert wieder mehr und mehr von der Grundherrschaft. Ich schrieb hier schon: Der Feudalstaat entwickelte sich in Polen ganz anders zum Kapitalismus, mit weit reichenden Folgen. Die polnische Adelsrepublik Rzeczpospolita, also die Union von Polen und Litauen, war „fortschrittlicher“ organisiert als die Herrschenden in Westeuropa. Fast ein Zehntel der polnischen Bevölkerung gehörte zum bäuerlichen Kleinadel, der Schlachta (auch: Szlachta); der Kleinadel organisierte sich durch Wahlen und durch Delegierte. Die Dominanz der Schlachta aber verhinderte auch, dass sich, anders als in Deutschland, die Städte im Gegensatz zur Feudalherrschaft organisierten. In Polen gab es weniger Klassenkämpfe zwischen Bauern und Feudaladel als in Deutschland. aber: „Die Identifizierung von Schlachta und Staat bewirkte allerdings schon im 16. Jahrhundert eine dem städtischen Bürgertum und seinen Rechten abträgliche Tendenz.“ Die Bourgeoisie hatte kaum eine Chance – der Adel war immer schon da. Ohne Bourgeoisie aber kein Kapitalismus und die ihm angemessene Herrschaftsform.

Die Feudalisierung war also zur Zeit des Kampfes zwischen der Äbtissin von Sachsen und der Stadt Quedlinburg abgeschlossen. Auch der Bauernkrieg im frühen 16. Jahrhundert scheiterte, was zu erwarten war, ein Proletariat war nur embryonal vorhanden. Nur wenige Städte waren frei und von den Bürgern selbstverwaltet.

kana Krugkana-Krug

Kana-Krug , Alexandria oder Rom, 1. Jahrhundert n. Chr.., aus Alabaster. Ein Henkel ist abgebrochen, ein Deckel fehlt. Laut Kötzsche sei der Krug vermutlich ein Kantharos, die Mehrzahl dieser Gefäße wurde in Italien gefunden, auf Friedhöfen dienten sie als Aschenurnen. Otto I. hatte mehrere Krüge aus Italien mitgebracht und verschenkte sie an diverse Kirchen; ein anderer Krug ist in St. Ursula in Köln erhalten. (Ich finde kein Foto davon.) „Obwohl Alabasterurnen noch im 2. und frühen 3. Jahrhundert n. Chr. in Gebrauch waren, gehört dieses Gefäß auf Grund des besonderen Henkelform und ihrer Parallelen in das frühe 1. Jahrhundert n. Chr.“
Dass der Krug von der biblischen Hochzeit zu Kana stammen soll, macht ihn im feudalen Sinn wieder zu einer Reliquie mit magischer Macht. Der Krug wurde den Gläubigen am 2. Sonntag nach Epiphanias gezeigt.

bergkristall

Großes Bergkristall mit Vögeln (geringfügiger Bruch), fatimidisch, die Montierung stammt aus dem 13. oder 14. Jahrhundert, Quedlinburg. Die mittlere Höhlung ist leer, in den anderen beiden sind in roten Stoff gehüllte Reliquien, angeblich von den Windeln und Kleidern Christi.

Der Titeltext stammt von Wolfram von Eschenbach: Parzival.

Reminder: Photos are licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Germany License.

____________________________________

Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)

Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum

servatiusreliquiar

Servatius-Schrein, so genannter Reliquienkasten Ottos I., Rom, 1. Jahrhundert n. Chr. (Dionysoskopf); Westfränkisches Reich, vielleicht (!) vom Hof Karl des Kahlen*, um 870 (Elfenbeinreliefs), Goldmontierung um 1200, Quedlinburg. Geschnitztes Elfenbein mit graviertem und ziseliertem Gold, Goldzellenschmelz, Steinschmuck, Glasflüsse, Silber mit Niello. Der Dionysoskopf ist ein Amethyst.

Die Platten des Elfenbeinkastens wurden mit Nut und Feder zusammengefügt und an den Ecken mit Zapfen verbunden. Rundum sind insgesamt zwölf Figuren zu sehen, vermutlich die Apostel. In den Rundbögen über den Figuren sind die Tierkreiszeichen geschnitzt. Warum ein Tierkreiszeichen einem bestimmten Apostel zugeordnet worden ist, weiß man nicht. Die Vertiefungen waren früher mit polychromen Farbpasten ausgefüllt.

Um ca. 1200 wurde der Kasten mit zusätzlichem Gold und Edelsteinen versehen, auch mit dem sehr alten Kopf des Dionysos – dessen metallene Fassung verdeckt teilweise Figuren und Tierkreiszeichen. D. Koetzsche aber meint, dass der Amethyst „ursprünglich zur Goldmontierung des Servatiusreliquiars“ gehört habe, „obwohl er in seiner heutigen, sehr groben Anbringung wie nachträglich hinzugefügt erscheint.“ Vielleicht sei er auch mit einer Schlaufe am Deckel befestigt gewesen. Der Kopf gehöre stilistisch eindeutig in den späten Hellenismus. Auch die Emailplättchen sind älter und stammen vermutlich aus demselben Jahrhundert wie der Kasten.

Im Kasten waren ursprünglich die Reliquien zahlreicher namentlich bezeichneter Heiliger. Ein vergleichbarer Kasten war Teil des von Heinrich II. gegründeten Stifts St. Stephan in Bamberg, Fragmente sind heute im Bayrischen Nationalmuseum München.

Dieses Reliquiar ist für mich eindeutig das interessanteste Stück aus dem Quedlinburger Domschatz. „Er zählte vielleicht zu jenen tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum = drei Schreine aus Elfenbein mit Heiligenfiguren, die im ältesten Quedlinburger Inventar aus dem 2. Drittel des 11. Jahrhunderts erwähnt sind.“** Dass Christus und die Tierkreiszeich kombiniert werden, sei, schreibt D. Koetzsche, „ungewöhnlich“. Es gebe nur eine Parallele in einer Illustration des Utrechtpsalters (S. 36r, Javascript erforderlich).

Der altgriechische Gott der Ekstase und christliche Motive – zusammen auf einem Kasten? Was sofort einleuchtet: Es geht keinesfalls um Kunst oder Ästhetik im heutigen Sinn. Heute würde man es vermutlich eklektizistischen Kitsch nennen, wenn jemand ganz unterschiedliche Dinge aus mehreren Epochen einfach zusammenpappte. Man darf auch annehmen, dass den Bearbeitern und Betrachtern des Kastens Dionysos nicht unbedingt bekannt war. Die Objekte waren selten und exotisch und waren im Besitz derer gewesen, von denen man sein eigene Legitimation bezog, die christlichen Motive „veredelten“ alle anderen – alles, was als wertvoll galt, wurde in und auf einem Reliquienbehälter versammelt.

Dessen gemeinsames Betrachten stellte Gesellschaft für die herrschende Klasse (und nicht nur für die) dar; erschuf sie, wem die Objekte gehörten, war deshalb Herrscher. Die Natur macht Könige und Adlige genau so, wie sie Münder und Nasen macht. Wie Marx in den Grundrissen schrieb: „…ein Teil der Gesellschaft wird von dem andren selbst als bloß unorganische und natürliche Bedingung seiner eignen Reproduktion behandelt.“ Die Bauern, die die Feudalklasse ernähren, sind „natürliche“ Bedingung ihrer Existenz, sie tauchen als „Arbeiter“ nicht auf – auch nicht in der Literatur.

Uns ist in alten mæren wunders vil geseit von helden lobebæren, von grôzer arebeit (Nibelungenlied, 12. Jahrhundert)

Die Feudalklasse kann die Realität erkenntnistheoretisch nur verzerrt wiedergeben, da sich sich nur per Gewalt und Konsum auf die Natur bezieht. Man kann diese notwendige ideologische „Behinderung“ (ähnlich wie Religion) mit dem Waren- und Geldfetisch vergleichen – eine nur ökonomische Form wird von den Akteuren als Eigenschaft des Dings an sich angesehen. Deswegen glaubt auch die FDP an den „Markt“ als eigenständig handelndes höheres Wesen – ähnlich wie ein feudaler Adliger des 10. Jahrhunderts eine Reliquie als magisches wirkmächtiges Objekt ansah.

Man weiß nicht, wie der Reliquienkasten in den Schatz des Quedlinburger Stifts gekommen ist. Vielleicht stammen sowohl das Quedlinburger Examplar als auch das von Bamberg aus dem ottonischen Besitz und wurden an die Kirchen verschenkt.

Wappenkasten

Wappenkasten in Wulstwickeltechnik, vielleicht fatimidisch, 12. Jahrhundert, die Fassung stammt aus Niedersachsen/Quedlinburg. Beschläge aus Eisen, Klebemittel tierischer Leim.

Die Ritter tragen die für das späte 12. und 13. Jahrhundert typischen Topfhelme, auch die Pferde sind gepanzert. „Die Entwicklung des Topfhelmes war eine Reaktion auf die geänderten Kampftaktiken des Hochmittelalters. Die Einführung des Steigbügels ermöglichte es, den Gegner mit eingelegter Lanze anzugreifen und direkt auf dessen Kopf zu zielen.“ (Diese Darstellung vom deutschen Wikipedia bezweifele ich, da Steigbügel schon viel früher bekannt und in Gebrauch waren, sogar schon bei der oströmischen Kavallerie, die Steigbügel aber offenbar von den Awaren übernommen hatte.)

Der Kasten zeigt zwölf Wappen von Feudaladligen (Skizze bei B. Schwinekörper). Die langgestreckte Form des Kastens ist ungewöhnlich: „Die überaus feine, dichte und ornamentierte Wulstwickelarbeit hat ihre Parallelen nur im fatmimidischen Nordafrika. So ließe sich denken, daß es sich bei der einzigartigen Arbeit um einen wesentlich älteren, verehrten Gegenstand handelt, den man 1208/10 ganz bewußt einer neuen Verwendung zugeführt hat. (…) Körbe aus dieser Zeit sidn außerordentlich selten und niemals datiert.“ (D. Koetzsche) Vergleichbare Körbe gibt es in der Zisterzienserabtei Pforta (nicht Schulpforta, Druckfehler bei D. Koetzsche), im Domschatz Halberstadt und in der Stiftskirche Fritzlar.

*Dieser Karl ist das historische Vorbild für den Kaiser Karl aus Vikings, der dem Wikinger Ragnar loðbrókar aka Reginheri eine große Summe übergab, um die Besatzer von Paris loszuwerden.

**B. Bischoff: Mittelalterliche Schatzverzeichnisse, 1967, zit. n. Dietrich Kötzsche (Hrsg.): Der Quedlinburger Schatz wieder vereint. [Katalog zur Ausstellung im Kunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz]], 1993. Zum Bamberger Reliqienkasten fand ich diese interessane Bemerkung: „Beschläge eines Kästchens von sehr ähnlicher Form und Konstruktion wurden 2004 in einem Wikingergrab bei Haldum nahe Århus entdeckt.“

Reminder: Photos are licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Germany License.

____________________________________

Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)

Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun

Kamm Heinrichs I.

So genannter Kamm Heinrichs I.. Der Kamm ist aus Elfenbein und stammt aus Syrien oder Ägypten, 7.-8. Jahrhundert. Die Fläche ist mit geschnitzen Weinlaubranken überzogen. Die Goldmontierung und der Steinschuck wurden erst viel später hinzugefügt, da sie die Ranken zum Teil bedecken. Der Beschlag ist teilweise beschädigt. Es fehlen einige Edelsteine, wie auch die Pferdeköpfe – sie wurden vermutlich abgeschnitten oder -gefeilt. Ursprünglich war der Kamm insgesamt rechteckig. Die stilisierten Zügel, „Rhombus und Rahmen der runden Fassung sind aus drei miteinander zu Streifen verlöteten Perlstäben gebildet. (…) Perlstäbe aus Gold sind vornehmlich im Münzschmuck des 9. Jahrhunderts in Nordwestdeutschland bekannt.“ (Peter Berghaus: „Der Münzschmuck von Gärsnäs, Ksp. Herrestad (Skåne), 1965, zit. n. Dietrich Kötzsche (Hrsg.): Der Quedlinburger Schatz wieder vereint. [Katalog zur Ausstellung im Kunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz]], 1993 [das mit Abstand beste Buch zum Quedlinburger Domschatz!]. Der Kamm wird 1544 in einem Verzeichnis des Quedlinburger Domschatzes erwähnt: Keisser Heinrichs Kamme mit stein und golt beschlagen.

Der Kamm ist also ein Konglomerat aus verschiedenen Arbeiten und Zeiten. Vielleicht gehörte er zur Mitgift der Theophanu. Es gibt aber ähnliche Kämme aus derselben Zeit wie den Kamm des Hl Heribert aus Metz im Museum Schnütgen in Köln.

Wie kriegen wir also den Feudalismus in den Griff? These: Wer begreift, was eine Reliquie ist (vergesst den oberflächlichen Unsinn auf Wikipedia), ist auf dem richtigen Weg.

Wir haben hier eine orale Gesellschaft vor uns mit der Sippe „als mentaler Realität“ (Johannes Fried) „Orale Gesellschaften theoretisieren nicht, sie inszenieren. Das Ritual ersetzt, ja ist geradezu ihre soziale Theorie.“ Objekte sind dingliche bzw. verdinglichte Zeichen der sozialen Hierarchien und der Rituale.

„Nicht seelische Regungen oder psychische Prozesse sollten jeweils sichtbar gemacht werden, sondern objektivierende Formen sozialer Ordnung und Interaktionen. (…) Prestige und Status waren im Auftreten sichbar zu machen; nur ritualisiert ließen sie sich wahrnehmen, Herrschaftszeichen, Gaben, Kleider, Gebärden machten Leute.“ (Vgl. Marcel Mauss: Die Gabe: Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften).

Samuhel Evangeliar

Samuhel-Evangliar, Quedlinburg (um ca. 1230). Eichenholzkern mit getriebenem Silber und vergoldet, dazu Perlen, Korallen und Glassfluss. Der Rückendeckel ist aus rot gefärbetem Schafsleder. Neun Emails sind älter als der Kasten und stammen aus Byzanz. Einige Senkschmelzen ähneln denen des Patriarchenkelchs von San Marco in Venedig. Teile des Beschlags und einige Edelsteine fehlen. „Von 180 Fassungen sind 43 leer“. (D. Kötzsche) Das Evangeliar wurde 1991 neu gebunden und restauriert.

Orale Gesellschaften wie die des Feudalismus beschreiben etwas, sie analysieren nicht. „…die Welt selbst erscheint für primitive Denken als eine unendliche Kette von Ähnlichem und Gleichartigem. Raum und Zeit werden nicht exakt gemessen. (…) Verwandtschaft präsentiert, so zeigen ethnologische Vergleichsstudien, in illiteraten Gesellschaften die Kategorie sozialer Ordnung und Wahrnehmung schlechthin.“

Wieso muss ich jetzt an Araber-Clans in Neukölln denken?

Otto-Adelheid-Evangeliar

Otto-Adelheid-Evangeliar, Konstantinopel, 2. Hälfte 10. Jahrhundert, Goldschmiedearbeiten Quedlinburg 1220-1230. Geschnitztes Elfenbein mit Gold, Schmuck ähnlich wie beim Samuhel-Evangeliar, leicht beschädigt. „Von 96 Fassungen heute 44 leer“. (D. Koetzsche) In der Mitte ein byzantinisches Elfenbeinrelief mit der Christi Geburt, Taufe, Kreuzigung und Kreuzabnahme, die durch griechische Buchstaben wiedergegeben werden. „Die vier Löcher im Rahmen, heute als Nagellöcher genutzt, lassen darauf schließen, daß das Relief die Mitteltafel eines Tryptychons war; sie haben höchstwahrscheinlich zur Befestiung von Leisten gedient, in die die Seitenflügel gehängt waren. Auf ihnen könnten sich weitere Szenen befunden haben. (…) Aufgrund ikonographischer Details wurde das Relief zuletzt in das 3. Viertel des 10. Jahrhunderts datiert und seine Herkunft mit Kaiserin Theophanu direkt in Beziehung gebracht.“ (D. Koetzsche) Der Rahmen stammt aus dem 13. Jahrhundert, vermutlich wurde er in Halberstadt oder Quedlinburg angefertigt.

Das erinnert mich auch an die Zeit, als wir als marxistische Altgermanisten in schweißtreibenden Seminaren das Nibelungenlied auseinandernahmen. „Die Schönheit einer Frau besteht in der feudalen Vorstellung sowohl aus dem ‚Adel‘ des Körpers als auch aus der standesgemäßen äußeren Ausstattung mit Elementen des repräsentativen Reichtums“. Mindestens die Hälfte der Verse des feudalen Epos besteht aus Schilderungen der Kleidung, die aber nicht individuell ist – wie auch nicht die „charakterlichen“ Eigenschaften -, sondern bei allen gleich. Das muss man doch ernst nehmen?!

Hierzu ein bisschen geistreiches Geschwurbel gefällig? Da nehmen wir am besten Hegel: „Phänomenologie des Geistes“:
Ebenso bezieht sich der Herr mittelbar durch den Knecht auf das Ding; der Knecht bezieht sich, als Selbstbewußtsein überhaupt, auf das Ding auch negativ und hebt es auf; aber es ist zugleich selbstständig für ihn, und er kann darum durch sein Negieren nicht bis zur Vernichtung mit ihm fertig werden, oder er bearbeitet es nur. Dem Herrn dagegen wird durch diese Vermittlung die unmittelbare Beziehung als die reine Negation desselben, oder der Genuß; was der Begierde nicht gelang, gelingt ihm, damit fertig zu werden, und im Genusse sich zu befriedigen. Der Begierde gelang dies nicht wegen der Selbstständigkeit des Dinges; der Herr aber, der den Knecht zwischen es und sich eingeschoben, schließt sich dadurch nur mit der Unselbstständigkeit des Dinges zusammen, und genießt es rein; die Seite der Selbstständigkeit aber überläßt er dem Knechte, der es bearbeitet.

Damals schrieb ich: Hegel definiert hier präzise die feudale Identität, den Zusammenhang zwischen Existenzform und Gedankenform. Sowohl der Bauer (der Knecht) als auch der Herr (der Feudaladlige) beziehen sich zur Natur negativ, über ihre Begierde, die zur Vernichtung drängt. Der Unterschied ist aber, daß der Feudalherr die Bearbeitung der Natur dem Bauern überlässt und sich nur mittelbar, d.h. nur vermittelt über seine Herrenexistenz auf sie bezieht, die Natur nicht bearbeitet, sondern nur konsumiert.

Daher sind Gewalt und Konsum nur zwei Seiten einer Medaille, der feudalherrlichenn Aneignung der Natur. Die Natur erscheint ferner in der Form des Konsums als natürliche Voraussetzung der Existenz, genauso wie der Bauer natürliche Bedingung seiner Herrenexistenz ist…

Alles klar? Puls und Atmung und so?

Katharinenreliquiar

Katharinenreliquiar, Niedersachsen 1230-1240, aus einem Eichenholzkern, Silberblech und Kupfer, vergoldet, leicht beschädigt. Um Sancta Katarina vergulte kestgen erwähnt. Der genaue Zweck ist nicht bekannt. Die Bilder zeigen Motive aus dem Alten Testament und die Apostel. „Stilistisch folgen die Figuren dem sogenannten Zackenstil, der im 13. Jahrhundert als charakteristischer Stil vor allem in der Buchmalerei auftritt. Er zeichnet sich durch bewegte Figuren aus, deren detailreiche Gewänder zerklüftete Faltensysteme mit jähen Umbrüchen bilden.“ (Thomas Labusiak u. Jaos Stekovics: Kostbarer als Gold: Der Domschatz in der Stiftskirche St. Servatii in Quedlinburg, 2016.

Wir haben mit dem Feudalismus gerade erst angefangen. Um welche Zeit geht es? Zur Zeit der Merowinger und der Karolinger haben wir noch einen relativ starken und ökonomisch unabhängigen König. „Die Kosten des Aufstiegs der Karolinger trug, wie stets, das einfache Volk“, schreibt Fried ganz nebenbei – für einen bürgerlichen Historiker eine erstaunliche These.

Reliquienkasten Heinrich I.

Reliquienkasten Heinrich I., Oberitalien, 10. Jahrhundert (Elfenbeinreliefs), 2. Hälfte 11. Jahrhundert (Walrosszahnreliefs), Quedlinburg, 1230-1240 (Goldschmiedearbeiten). Der Kern des Kastens ist auch Buchenholz, Silver vergoldet, Schmuck und Edelsteine ähnlich wie beim Samuhel-Evangeliar. Die Figuren sind stark abgenutzt, Details fehlen, auch vom Schmuck. Von 121 Fassungen heute 36 leerund zumeist beschädigt (…), es fehlen die Perlenschnur um die Mandorla und Teile der Perlenschnüre an der Frontseite; Schloß aus Eisen später hinzugefügt, zahlreiche Eisennägel, besonders im Deckel…“ (D. Koetzsche) Auch hier wurden ältere Stücke wiederverwendet und neu arrangiert.

Gleichzeitig wurde aber die feudale Grundherrschaft (auch bekannt als „Lehnswesen“) mit nackter Gewalt ausgebaut. Zwischen dem 4. und 7. Jahrhundert gab es eine kleine landwirtschaftliche Revolution, u.a. wurde der asymmetrisch wendende Pflug erfunden, die Viehhaltung verbesserte sich, Wassermühlen wurden gebaut (kann man alles nur archäologisch beweisen) usw.. Der Feudaladel emanzipiert sich ökonomisch und damit auch militärisch vom König. Permanentes Hauen und Stechen ohne Gefühlsduselei war die Regel und nicht die Ausnahme.

Straußenei-Reliquiar

Das Straußenei-Reliquiar, Norddeutschland, 15. Jahrhundert, stamm aus dem Schatz des Prämonstratenserklosters St. Wiperti. Ähnliche Eier sind im Domschatz von Halberstadt. Das Material von Fuß und Knauf ist billiger Kupfer, „das eine feine Bearbeitung nicht erlaubte. An sich war den Goldschmieden wegen der Betrugsgefahr das Verarbeiten von vergoldetem Kupfer verboten, doch erlaubten die Zünfte Ausnahmen bei Geräten für den Gottesdienst. (nach Johann M. Fritz: Goldschmiedekunst der Gotik in Mitteleuropa, 1982, hier in D. Koetzsche) Das Straußenei galt als Symbol für Geburt und Auferstehung Christi; hier sind keine Reliquien im Inneren erhalten.

Heute bin ich zu müde, um mehr zu schreiben. Aber die Puzzleteile setze sich allmählich zusammen…

Reminder: Photos are licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Germany License.

____________________________________

Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)

Feudal oder nicht feudal? (tl;dr,)

ständerhausvorhof zur Hölleschuhhofvorhof zur Höllehölle 7

Stopp! Nicht nur flüchtig hingucken! Das Fachwerkhaus ganz oben rechts (1346/47) und das Steinhaus (ab 1215) ganz unten sind Mittelalter, die Häuser in der Mitte sind erheblich jünger (16. und 17. Jh.) und schon frühe Neuzeit.

Ja, ihr müsst jetzt stark sein! Tl;dr,! Wie schon drohend angekündigt, las ich jüngst Heide Wunders Feudalismus – 10 Aufsätze. Warum?

Erstens: Man interessiert sich im Alter nicht mehr für die Details, weil man die schon alle kennt, sondern eher für das große Ganze, auch bekannt als die Frage: Warum ist die Geschichte so, wie sie ist, und nicht anders (eingedenk der Tatsache, dass höhere Wesen nicht an den Weltläuften herumfummeln)?

Zweitens las ich Johannes Fried: Die Anfänge der Deutschen: Der Weg in die Geschichte (1056 S.!) – das beste Buch über den Feudalismus, was die bürgerliche Geschichtswissenschaft bis jetzt hervorzubringen vermochte.

Bürgerlich deshalb, weil Fried den Begriff Feudalismus gar nicht verwendet, obwohl der Sprachgebrauch der internationalen historischen Wissenschaft das nahelegen könnte, und weil man als bürgerlicher Wissenschaftler in Deutschland auf Theorie insoweit verzichten muss, als jeder Versuch, die Geschichte nicht nur bloß zeitlich („Mittelalter“, „Neuzeit“) zu periodisieren, sondern eine Struktur zu erkennen, die – OMG! – auch die dem Feudalismus nachfolgende Gesellschaftsform aka Kapitalismus nicht als Ende der Geschichte definiert. Was aber, wenn die Frage erlaubt sei, könnte danach kommen? Das darf man gar nicht denken.

Warum muss man als nicht-marxistischer Historiker den Begriff Feudalismus vermeiden? Heide Wunder schrieb 1974 (!): Die Fronten sind heute so verhärtet, daß erst wieder Kommunikation möglich werden muß, um die gegenseitigen Vorurteile in Frage zu stellen.“ Feudalismus zu sagen, war in der alten Bundesrepublik fast so schlimm wie „BRD“. Das roch nach DDR und Schwefel.

Es ist so ähnlich wie mit der Diskussion über den Wert im Marxschen Kapital: Obwohl die zentrale These schon von Aristoteles stammt, muss der Kapitalismus-affine „Volkswirtschaftler“ dagegen sein, weil er eben qua definitionem eben keine Wissenschaft betreibt, sondern Apologetik, also eine esoterische Glaubenslehre vertritt, die den Markt als eine Art höheres Wesen anbetet.

Feudalismus als Begriff taucht jedoch schon bei Hegel auf und wird zum Beispiel sowohl von Max Weber, Marc Bloch: La société féodale als auch von Otto Brunner (der des Kommunismus an sich unverdächtig ist) ausführlich verwendet und diskutiert. Dass heute der Begriff (nur in Deutschland) weitgehend tabu ist, beweist, dass die bürgerliche Geschichtswissenschaft, was das theoretische Niveau angeht, noch vor den Stand vor einem halben Jahrhundert zurückgefallen ist. Johannes Fried macht keine Ausnahme, aber er nimmt wenigstens phänotypisch die Quellen zur Spätantike bzw. zum frühen Feudalismus ernst und behauptet nichts, was man nicht beweisen kann, sondern gibt manchmal zu (das können sich auch marxistische Historiker hinter die Ohren schreiben!): Wir wissen es nicht und werden es nicht wissen können, weil die bekannten Quellen und Fakten es nicht hergeben.

Heide Wunder: Die deutsche Mediävistik beteiligt sich nicht an der internationalen Diskussion über den Begriff Feudalismus (…) Letztlich ist die Ursache für die Abwehrreaktionen der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft gegenüber der DDR in dem Fehlen einer eigenen deutschen undogmatischen marxistischen Wissenschaftstradition zu suchen, wie sie besonders in Frankreich und den angelsächsischen Ländern – wenn auch hier weniger ausgeprägt und einflußreich – vorhanden ist. Es hat sich also nichts geändert.

Frage: Kann man Feudalismus als ökonomischen Begriff auf alle Länder übertragen – etwa auf Japan, China, Afrika, die arabischen Länder? Diese Frage stellte sich schon den Historikern der DDR, die den Fesseln des Stalinismus in den 60-er Jahren entschlüpft, merkten, dass man mit dem mitteleuropäischen Modell à la „Lehnswesen“ et al in den „Entwicklungsländern“ auf den Holzweg geriet. Gelöst hat man das Problem nicht, sondern zog sich auf die oberflächlichen zeitlichen Kategorien vorfeudal, frühfeudal, hochfeudal und spätfeudal in offiziellen Lehrbüchern zurück, was genauso albern ist wie die Erfindung einer frühbürgerlichen Revolution.

Für den DDR-Historiker Bernhard Töpfer war der Feudalismus die am weitesten entwickelte Stufe der vorkapitalistischen Gesellschaften; er könne sich sowohl aus einer „zersetzenden“ Urgesellschaft [also aus einer tribalistischen Gesellschaft, B.S.] wie auf dem Hintergrund der asiatischen Produktionsweise oder einer Sklavenhalterordnung entwickeln. Das ist immerhin originell, aber nicht letzlich befriedigend.

Sein Kollege Eckehard Müller-Mertens vertrat die Thesen (ich wiederhole mich), dass 1) „die Durchbrüche zu weltgeschichtlich weiterführende Entwicklungen“ meist in „verhältnismäßig rückständigen Randgebieten“ erfolgt sei“, was die Frage aufwerfe, ob der Feudalismus in Europa vielleicht nur eine „primitive Variante“ einer Gesellschaftsformation ist, „die feudale und andere, nichtfeudale, vorkapitalistische Produktionsverhältnisse“ einschließe, und 2) was das okzidentale „Mittelalter“ so besonders gemacht habe, dass sich daraus – und nur dort – der Kapitalismus entwickelt habe? („Trotz seines marxistischen Weltverständnisses konnten sich seine Werke in den Leitdarstellungen der DDR-Geschichtswissenschaft nicht durchsetzen“. Der Staat – die DDR -, kommentiert Heide Wunde missbilligend, habe damals einen „erkenntnistheoretischen Rahmen“ vorgegeben, der „nicht transzensiert werden darf“.)

Wer bis hierher durchgehalten hat, kriegt noch mehr Fotos:

FleischhofschuhhofschuhhofschuhhofschuhhofStiftskirche St. Servatii

Von oben nach unten: Fleischhof, auch 2. Reihe rechts, 2. Reihe links: in dem Haus residiert ein Deutsch-Seminar für Stundenten aus Texas, ganz unten die Stiftskirche St. Servatius.

Jetzt fragt das genervte Publikum natürlich mit Recht: Was soll das alles? Und was ist mit dem feierlich angekündigten Domschatz? Wartet doch noch ein Weilchen! Es geht munter weiter, und ich werde Euch nicht enttäuschen! Auch den Feudalismus werden wir noch in den Griff bekommen – das war nur der Prolog!

____________________________________

Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)

Links ist kein Lifestyle

linke

Natürlich hat Sarah Wagenknecht recht: Linkssein heiße, soziale Missstände zu bekämpfen, „und nicht etwa, einen bestimmten Lifestyle zu pflegen, der womöglich sogar noch ziemlich elitär ist. (…) Die Linke hat sich von den ärmeren Schichten teilweise entfremdet, weil sie oft nicht deren Sprache spricht.“

Wie kommt das nur? Ich habe mir die Mitglieder des Parteivorstands der „Linken“ mal genauer angesehen und mich gefragt, warum ich sie wählen würde oder nicht. Schon merkwürdig, dass die biografischen Angaben bei fast allen sehr lückenhaft sind. Beim Internet und wie man sich dort präsentiert, müssen einige auch noch üben.

Jan van Aken, Biologe (Wissenschaftler), hat eine nicht aktiv bediente Website. Definitiv kein Mitglied der Arbeiterklasse.

Ali Al-Dailami, geboren im Jemen, Arbeiter, ist Atheist. Für mich sofort für alles wählbar.

Friedrike Benda. Angestellte: „Mitarbeiter bei MdB“. Spricht Gendersprech. Nichts über ihre Herkunft zu finden. Für mich nicht wählbar.

Judith Benda, Studentin („European Studies“). Für mich nicht wählbar (leider mein Wahlkreis).

Arne Brix, Altenpfleger, jetzt Gewerkschaftssekretär. Wählbar.

Christine Buchholz, Studentin der Erziehungswissenschaften und Geschichte, war Betriebsrätin. Trotzkistin. Sympathisiert laut Jungle World und laut der Zeit „offen mit der palästinensischen Hamas oder der libanesischen Hisbollah, die beide zur Vernichtung des israelischen Staates aufrufen.“ Gibt Wirres über Gaza von sich. Für mich unwählbar.

Tobias Bank, Politik- und Verwaltungswissenschaftler – „einjähriges, freiwilliges Praktikum in einer Haus- und Grundstücksverwaltung“. Für mich nicht wählbar: typischer Parteisoldat ohne Kontakt mit dem Proletariat.

Ulrike Eifler, Politologin, Sinologin, Journalistin. Angestellte des DGB. Keine Informationen über ihre Klassenherkunft.

Franziska Fehst, Chemikerin, Ingenieurin.

Katalin Gennburg, Wissenschaftlerin.

Thiess Gleiss, „Autohasser“ und „Öko-Sozialist“. Metallarbeiter. Für mich sofort für alles wählbar.

Harri Grünberg, war Mitglied bei Matzpen (israelische Linkssektierer). Schwer einzuschätzen.

Bettina Gutperl, Politikwissenschaftlerin, aber Arbeiterkind. Schreibt mit Gendersternchen. Unter Umständen wählbar.

Stefan Hartmann: nicht mehr da. Irrelevant bei Wikipedia – was nichts heisst. Hat mit Kipping zusammengearbeitet. Keine Meinung zu ihm – aber es ist schon merkwürdig, dass nirgendwo etwas Biografisches zu finden ist.

Claudia Haydt, Heilpädagogin, Religionswissenschaftlerin, Soziologin. Ex-Grüne. Würde ich nicht wählen.

Andrej Hunko, machte dies und das. Für mich ein Parteisoldat. Fragwürdige Position zu Gaza und Israel. Bin unschlüssig.

Sigrid Hupach Facharbeiterin für Schreibtechnik, später Diplomingenieurin. Ihr Lebenslauf beeindruckt mich, ihre politischen Schwerpunkte sind vage (irgendwas mit Kultur). Wählbar (ich glaube, dass man ihr die Gendersternchen auf der Website der „Linken“ untergejubelt hat.)

linke

Katja Kipping (ihr solltet mal die Website für Leute lesbar machen, die ohne Javascript surfen!), studierte Slawistik und Amerikanistin, Juristin – und redet und schreibt auch so. Schrecklich.

Ralf Krämer. Studierte Sozialwissenschaften. Gewerkschaftssekretär. Keine Meinung. Für mich ein Parteisoldat.

Kerstin Köditz, stammt aus der Arbeiterklasse. Antifaschistin, obwohl ich ihre Meinung vermutlich nicht teile. Könnte ich wählen.

Sofia Leonidakis (diese Website ist nicht erreichbar). Politikmanagement und Gestalterin. Für mich nicht wählbar. Ich weiß auch nicht, was „Queerpolitik“ ist – vielleicht so etwas wie „Querdenker“?

Xaver Merk. Arbeiter, Betriebsrat und Gewerkschaftler. Kann ich wählen.

Zaklin Nastic, studierte Slawistik. Ich finde keine Angaben darüber, was sie gearbeitet hat. Vertritt eine rationale Politik zu Russland und zu Polen. Für mich unter Umständen wählbar, ob gleich im Verdacht, nur Parteisoldatin zu sein. (Sorry für das irrelevante Kriterium, aber ich finde sie sympathisch.)

Thomas Nord. „Ich war aus politischer Überzeugung inoffizieller Mitarbeiter des MfS.“ Ein Mann mit klaren Überzeugungen. Auch wenn ihr mich jetzt wegen dessen Biografie scheel anseht: Ich würde ihn wählen.

Simone Oldenburg, Lehrerin. Kein Gendersprech auf ihrer Website. Keine Informationen zu ihrer Klassenherkunft. Wählbar.

Tobias Pflüger, Politikwissenschaftler, bildungsbürgerliche Herkunft. Seine Meinung zum Thema Religion interessierte mich. Keine Meinung zu ihm.

Lucy Redler, Diplom-Sozialökonomin. Kleinbürgerliche Herkunft. Ich würde sie trotzdem wählen, weil sie sich traut, gegen den Mainstream aufzutreten und weil sie einen „starken marxistischen Flügel“ in der Linken aufbauen will. Unter dem Generalverdacht des Linksradikalismus im Leninschen Sinne.

Martina Renner, studierte irgendwas mit Kultur und Kunst. Für mich eine Parteisoldatin ohne Profil.

Franziska Riekewald Kauffrau für Groß- und Einzelhandel, studierte BWL. „Mitarbeiterin im Marketing und Vertrieb bei einem kleinen Leipziger Forschungsbetrieb“. Sieht für mich bodenständig aus. Wählbar.

Christian Schaft, studierte etwas mit Kommunikation und so, beschäftigt sich aber mit interessanten Themen. Kein Zugpferd für die Arbeiterklasse. Keine Meinung.

Dr. Johanna Scheringer-Wright, studierte Agrarwirtschaft. Trotz der schrecklichen Website wählbar, weil es auch nach der Revolution Landwirtschaftsministerinnen geben muss.

Jörg Schindler, Jurist. Schon klar.

Martin Schirdewan, Politikwissenschaftler. Hat einen interessanten Großvater, der ihn hoffentlich beeinflusst hat. Allein deshalb würde ich ihn schon wählen.

Christiane Schneider, Schriftsetzerin, Ex-Maoistin. Ich würde sie wegen ihrer Position zu Religionsführern wählen.

Dr. Ilja Seifert (der Screenshot ganz oben ist von seiner Website), Germanist. Ich würde ihn wählen, weil er querschnittgelähmt ist und für Leute steht, die sich durchbeißen müssen.

Marika Tändler-Walenta (schwierig, etwas über sie zu finden), Parteisoldatin.

Frank Tempel, ehemaliger Kriminaloberkommissar. Das ist kein Arbeiter, aber er spricht ein Milieu an, in dem es vermutlich nicht so viele Linke gibt.

Daniela Trochowski, Dipl. Volkswirtin und Beamtin. Kennt sich vermutlich mit Geld aus, aber ich wüsste gern ihre Meinung zum tendenziellen Fall der Profitrate. Ich würde sie vermutlich wählen.

Axel Troost, „Volkswirtschaftler“ und promovierter Finanzexperte. Ich würde gern von ihm wissen, wie man Großbanken in der Nacht nach der erfolgreichen Revolution verstaatlicht und die Sache nicht wie Tsipras versemmelt.

Jochem Visser, Historiker und Publizist. Für mich nicht wählbar.

Janine Wissler, Politikwissenschaftlerin. Lehnt den Kapitalismus als „unmenschliches, grausames System“ ab“. Gute Frau. Wählbar, obwohl keine Informationen über ihre Klassenherkunft vorhanden. Unter dem Generalverdacht des Linksradikalismus im Leninschen Sinne.

Harald Wolf, Diplom-Politologe. Ex-Trotzkist. Nee.

Raul Zewlik, ist mir natürlich sympathsich, weil er mal Professor in Kolumbien war. Gendersprecher: „Venezolaner*innen “ – geht’s noch?. Wäre nach der Revolution guter Diplomat in Lateinamerika. Könnte ihn aber hier nicht wählen.

Amantani, revisited [Update]

amantani

Amantani, eine peruanische Insel im Titcacasee. Dort habe ich eine Woche bei Quechua-Bauern verbracht. Dieses war das jüngste der Kinder der Gastfamilie. Das Mädchen wurde „Ultima“ (die Letzte bzw., Jüngste) genannt, vermutlich wird dieser Titel immer weitergereicht.

[Update] Danke, Andreas!

Friendly Apps (mit und ohne Google)

f-droidpermission friendly apps

Ich habe mir das Sonderheft c’t Android gekauft und auf meinem Smartphone, das mit dem Betriebssystem Android läuft, herumgestöbert.

Von den Tipps zur Sicherheit wusste ich alles schon, und „seien Sie misstrauisch“ muss man mir nicht sagen. Appelle an Gefühlszustände fruchten eh nie etwas.

text fairy

Ich möchte aber ein paar sehr interessante Apps bzw. Features empfehlen. Der obige Screenshot stammt von der App Textfee (OCR Text Scanner, werbefrei). So etwas hatte ich schon lange gesucht. Links das Foto des Textes, rechts das Ergebnis des Scans. Ganz erstaunlich, und die App soll zahllose Sprachen (muss man sich einzeln herunterladen) und sogar Fraktur können.

Dass „Google“ und „Privatsphäre“ ein Oxymoron sind, dürfte dem hiesigen Publikum ebenso bekannt sein. Es gibt eine Alternative zu Google Play Store – der App Store F-Droid.

Wenn ich „neue Paketquellen“ installieren höre, zucke ich normalerweise zusammen. Was soll ein dümmster anzunehmender einfacher User dazu sagen? Es ist aber überraschenderweise kinderleicht. (Eine verständliche Anleitung gibt es bei mobilsicher.de).

Mein Tipp im Dreierschritt:
– Man muss die „Installation aus unbekannten Quellen“ erlauben (Ich habe eine alte Version und musste fummeln: Benachrichtigungen – erweitert – (Installation per) Chrome erlauben – und danach wieder zurücknehmen!)
F-droid.org mit dem Browser aufrufen und F-Droid herunterladen und installieren,
– der Rest ist selbsterklärend per Klick. (Ganz oben Screenshots aus dem Menü von F-Droid.)

Noch etwas: Wer den Google Play Store weiterhin nutzt (wie ich), sollte sich die App Permission Friendly Apps ansehen. „What are the applications you have installed that you have given the most permissions? What are the applications that are most respectful of your personal data and less potentially dangerous?“ Ich habe gleich ein paar Apps deinstalliert.

Beresheet takes off

beresheetberesheet

In ca. acht Wochen wird die israelische Mondlandefähre Beresheet auf dem Erdtrabanten landen. (Livebericht vom Start) Glückwunsch!

Israel (8,7 Millionen Einwohner) wird damit eine Weltraummacht, obwohl die Mission privat finanziert wurde.

„In der Zeitkapsel befinden sich drei digitale Speicher-Disks mit Hunderten von Dateien. Dabei handelt es sich um für Israel besonders bedeutsame Dokumente und Werke, etwa die Unabhängigkeitserklärung und die Nationalhymne, hebräische Lieder, das Gebet für die Reise, aber auch Zeichnungen von Kindern.“ Großartig!

Deutschland kann noch nicht mal ordentliche Flughäfen bauen. Woran das wohl liegt?

← ltere EinträgeNächste Einträge →