San Lorenzo, revisited

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Vor vier Jahren schrieb ich: Wir waren mit Schmugglern vom kolumbianischen Tumaco nach San Lorenzo (San Lorenzo (Youtube) in Ecuador gereist. (Vgl. Am Rio Mira, Januar 2015). Damals war San Lorenzo ein verschlafenes und schwülwarmes Tropennest. Unfassbar, dass es dort Google Street View gibt! Ich habe ein wenig herumgezoomt, aber noch nicht einmal den Bahnhof wiedergefunden bzw. die Schienen für den merkwürdigen Schienenbus.

Manchmal begegnet man auf Reisen Menschen, die unsympathisch sind, aber dennoch interessant. In San Lorenzo habe ich jemanden getroffen, der schon lange tot ist und den ich nie im Leben an einem solchen Ort vermutet hätte. Aus meinem Reisetagebuch, November 1979:

Wir übernachten in der Residencial San Lorenzo (Foto oben). Dusche und ziemlich gutes Bad, allerdings im Freien unter Wellblech. San Lorenzo ist fast wie Tumaco, Karibik-Style. Die Leute sind sehr freundlich.

Morgens um sechs fürchterlicher Radiolärm. Wir laufen durchs Dorf und kaufen Brot, Käse, jugos und atun. Wir werden auf der Straße von einem Deutschen angesprochen, der uns zum Frühstück einlädt [oberes Foto links, der Mann rechts ist mein Reisebegleiter H,]. Er ist Jude, seit 1936 hier [in Ecuador], 32 seiner Familienmitglieder seien umgebracht worden. Ein Bild von Golda Meir hängt an der Wand. Er sagt, er sei wohlhabend, im gehöre das Sägewerk (Foto unten), er habe Beziehungen zu den „Bonzen“ in Ecuador. Sein Sohn sei Offizier in der chilenischen Marine. Er stammt aus Stolp in Pommern und erzählt jede Menge Familiengeschichten. Hat humanistische Bildung genossen und sein Abitur auf dem Arndt-Gymnasium in Berlin-Dahlem gemacht und kennt sich in Berlin aus. Er sei 64 Jahre alt und habe die Funklizenz 0006 von Ecuador.

Frühstück mit Kamillentee und Honigbrot. Lang und breit erzählt er Geschichten von Prostituierten in Berlin, ekelhaft. Er will demnächst nach Guayaquil umziehen. Er gibt uns ein Empfehlungsschreiben für den chefe de la estación de ferrocarril [Bahnhofsvorsteher]. Will uns unbedingt Nutten für die Nacht besorgen und lässt sich auch nicht davon abbringen, als wir ablehnen. Die Damen kommen aber zum Glück nicht.

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FYI: Lustkauf

bücher

FYI: Neu in meiner Bibliothek (Links gehen zu Amazon).
– Egon Flaig Ritualisierte Politik. Bd. 1. Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom (Historische Semantik, Band 1) (das stand schon ewig auf meiner Wunschliste, war aber nicht verfügbar).
– Armin Eich: Die römische Kaiserzeit: Die Legionen und das Imperium.
– Peter Feldbauer und Hans-Jürgen Puhle (Hrsg.): Bauern im Widerstand.

Was mache ich an einem Tag, der der Wissenschaft und dem Forschen vorbehalten sein soll (außer Putzen, Waschen und Kochen), zuerst? Ancestry? Bücher schreiben (eines ist konkret in Arbeit), die Konquistadoren als E-Book? Den Feudalismus endlich hinreichend beschreiben? Oder die letzen 900 Fotos aus Lateinamerika weiter sortieren, beschriften und online stellen? Oder alles – und dann nichts davon hinkriegen?

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In response to rioting [Update]

architektur des grauens
Die vielfältige Berichterstattung deutscher Medien über Donald J. Trump (Symbolbild)

Ich habe gerade mindestens ein Dutzend deutscher Medien durchforstet, um belastbare Informationen darüber zu bekommen, welche Bundespolizei der US-amerikanische Präsident eingesetzt hat. Fehlanzeige. Fakten interessieren nicht, Trump-Bashing ist alles.

Der Einsatz einer Bundespolizei durch den Präsidenten ist auch unter bestimmen Umständen legal. Welche Gesetze kommen in Frage? Auch hier keinerlei Informationen in deutschen Medien. Geht es um posse comitatus ?

Mich interessiert nicht, ob die politischen Gegner Trumps hyperventilieren. Mich interessieren nur Fakten. Typisch für die merkwürdige Berichterstattung ist die Stuttgarter Zeitung:
„Ist der Einsatz von Sicherheitskräften des Bundes [Welche? Können das Journalisten nicht herausfinden?] in den Städten legal? Ja, bis zu einem gewissen Grad. [Bis zu welchem?] Bundesbehörden können Bundesrecht auf Bundesgebiet, wie dem Gerichtsgebäude in Portland, durchsetzen. Beamte in Portland und im Bundesstaat Oregon meinen jedoch, die Sicherheitskräfte hätten außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches operiert. [Meinungen interesiseren nicht.] Die Frage kam auf, ob dies verfassungsgemäß war.“

Wer fragt? Sollen Journalisten nicht Ross und Reiter nennen? Beantwortet diese fucking Frage oder recherchiert, welche Gesetze in Frage kommen.]

Telepolis hat natürlich mehr und auch Links, aber das ist absolut kein Mainstream-Medium. Die unspecified police war laut The Nation die Border Patrol Tactical Unit (BORTAC).
The unit was created in 1984 [unter Ronald Reagan] to serve a civil disturbance function in response to rioting at legacy Immigration and Naturalization Service detention facilities. It quickly evolved and acquired additional skill sets in high-risk warrant service; intelligence, reconnaissance and surveillance; foreign law enforcement / Border Patrol capacity building; airmobile operations; maritime operations; and precision marks- man/observer.

Trump reizt also nur seine Karten aus. Wir haben dagegen die Notstandsgesetze Artikel 87a.

[Update] Fefe hat etwas Einleuchtendes dazu.

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Nachtwache oder: Der Himmel über Berlin

himmel berlin nacht

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Kriege verhindern

Warum gibt es in Berlin keine Straße, die nach Georg Elser benannt ist? Nur so als Warnung für die herrschende Klasse. Es muss ja nicht Arthur Harris sein.

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Anthropomorph

heiligenfigur

Fotografiert in meiner Unterkunft in Chivay im Colca-Tal, Peru (März 1984).

Für mich ist so etwas rätselhaft. Wieso fällt mir jetzt anthropomorph ein? Oder besser: Magie? Ein (für mich lächerliches) Objekt, das durch seine – durch einen Gruppenkonsens a priori zugeschriebenen Eigenschaften – „Gesellschaft“ konstituiert und erfahrbar macht? Das Gegenteil von Protestantismus eben?

Die spinnen, die Katholiken….

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Schlangenhaut

schlangenhaut

Fotografiert auf einem Markt in Villavicencio in den Llanos im Osten Kolumbiens, Mitte Januar 1982.

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Tȟatȟáŋka Íyotake oder: #redlivesmatter

sitting Bull

Heute (oder gestern) vor 139 Jahren, am 20. Juli 1881, kapitulierte Sitting Bull, der Anführer der Sioux, mit einer Handvoll Gefährten in North Dakota vor der US-Armee.

Sitting Bull war Häuptling und Schamane der HunkpapaLakotaSioux. Als vor allem spiritueller Anführer leistete er jahrelangen Widerstand gegen die US-amerikanische Regierungspolitik.

After the Battle of Little Big Horn, Sitting Bull led his people north to Canada, remaining there until 1881. By the time of his return, the railroad was close to completion; the containment of Indians on their reservations was ongoing; random raids and massacres of various bands that attempted to move to traditional hunting lands had become a feature of Indian life. And well underway was the systematic starvation of the Sioux through the U.S. government’s „Buffalo Harvest“ program.

The buffalo, essential to the survival of the Sioux way of life, were being eradicated from the prairies. Hunters were paid a bounty to kill as many as possible. Huge mountains of buffalo skulls were common features on the prairies of the Dakotas and Montana. The purpose of this program was described by an army officer to reporter John F. Finerty: “Better [to] kill the buffalo than have him feed the Sioux.” The intention was not only to break the spirit of the Sioux Nation but also to force Indians to subsist on handouts from the government.

And it worked. Sitting Bull, on his return to Montana, watched 300 of his tribespeople starve to death during the winter of 1883 at Fort Peck. Neither the medical treatment nor food rations promised by the government were available to prevent this.(GRIID)

1883 soll er zum katholischen Christentum konvertiert sein, blieb jedoch nach Bericht seiner Freundin Mary Collins (1846–1920) ein glühender Gegner der Kirche. [Sympathischer Kerl!]

Ein Mix seiner Worte gibt es auch gesungen. Da das Dokument Sitting Bull speaking to the U.S. Secretary of War & Secretary of the Interior, as recorded by the Northwest Mounted Police, Fort Walsh, Saskatchewan, Canada p. 9 (18 October 1877) auf Wikipedia nicht mehr gibt, habe ich es hier online gestellt.

1890 wurde Sitting Bull von Indianerpolizisten bei einer versuchten Verhaftung erschossen.

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Digitale linke Spießer

Jan Freyn in Zeit online: „Die heutige Linke wacht mit polizeilichem Blick über Diskurshecken und leugnet die eigene Macht, um ungestört moralisieren zu können. Das hilft weder ihr noch anderen.“

„…wird unsere Zeit zunehmend und in nicht unerheblichem Maße von „linken“ Gestalten geprägt, die alle genannten Momente in sich bündeln: einen Hang zu Konformität, krasser Komplexitätsreduktion und moralistischer Dogmatik.“

Nehmt dies, Identitäre, Vielfältige und GendersprecherI*_:Innen! Ihr seid nicht links!

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Collection Builder

Der Schockwellenreiter wies auf den Collection Builder hin, ein Tool, das zum Beispiel ideal wäre für meine Dokumentensammlung (von Texten über Fotos bis hin zu Videos) zur Familiengeschichte. Leider ist die stand alone-Version noch under construction. Wenn das jemand schon nutzt: Ich bin für Tipps dankbar.

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Ambulantes Comida

Quito

Fotografiert in Quito, Ecuador, November 1979, vermutlich ungefähr hier am Bulevard 24 de Mayo. Damals standen dort fliegende Händler und verkauften warme Mahlzeiten.

Ich habe lange gesucht, um die Herberge wiederzufinden, in der ich damals war und die mir aufgrund der Atmosphäre gut gefallen hatte.

Damals hieß sie Gran Casino, heute heisst sie Hostel Rebel an der Gacía Moreno, fast an der Ecke Ambato. Quito fand ich aussergewöhnlich interessant, aber mit den Details will ich die Leserschaft nicht langweilen, sonst beschwert sich wieder jemand.

Das Gran Casino war ein Treffpunkt und Geheimtipp für echte Globetrotter, wo man auch Leute traf, die Informationen weitergaben. Für die Nachgeborenen: Es gab kein Internet, keine richtigen Reiseführer für Rucksacktouristen ausser dem Velbinger, der aber nicht wirklich hilfreich war. Man musste in Kontakt kommen mit Leuten, und dafür war dieses „Hotel“ gut, und ebenso die Spelunke darin, wo man sich abends traf.

gran casino
Source: South Amerika Handbook, Ende der 70-er

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Über die Streuobstwiese

RixdorfRixdorfRixdorf

Touristen kommen hier eigentlich nie hin. Wir sind mitten in Berlin-Neukölln, im alten Rixdorf. Der öffentliche Weg führt vom Richardplatz zur Böhmischen Strasse. [Andere Perspektive für das erste Foto]

Man überquert die hier schon vor fast zehn Jahren erwähnte Streuobstwiese. Ich habe natürlich so fotografiert, dass der ultrahässliche Neubauklotz, den irgendein mental verwirrter Architekt samt Parkplatz daneben geknallt hat, nicht zu sehen ist.

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Im Vorbeiflug

ISS

Ich finde es immer noch faszinierend. Erstens gibt es eine App, die die Internationale Raumstation zeigt, und zweitens, dass man die auch noch im Vorbeiflug mit einem Smartphone fotografieren kann, immerhin als dahinrasenden Lichtpunkt mitten im Großstadt-Nachthimmel.

Dazu passt thematisch die App SkyView.

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Kinkerlitzchen und Vorschau, dem Kulturpessimismus entgegenwirkend

komturstrasse

Eine Stimme aus dem Publikum beklagte sich bitterlich, ich postete nur noch Reiseberichte und pöbelte herum, das Niveau sei im allgemeinen und besonderen, analog zu den Weltläuften, den Sitten und der Moral, gesunken. Es liegt mir selbstredend nichts ferner, als die wohlwollenden Leser und geneigten Leser zu enttäuschen, dass diese sich, was ein höheres Wesen verhüte möge, womöglich anderen Dingen zuwenden anstatt hier die virtuellen Seiten zu blättern browsen.

Daher sei kurz angemerkt, dass ich viel zu tun habe, unter anderem Arztbesuche wegen altersbedingter Kinkerlitzchen, dabei Wartezimmer kennenlernte, die sich doch erheblich von meiner Erfahrung in der Notaufnahme unterschieden und mich bass vor Staunen in einen komfortablen Sessel sinken ließen, ohne dass ich auch nur irgendeinen Hijab und die dazugehörenen lärmenden, weil antiautoritär vielleicht muslimisch erzogenen Jungen oder gar mental irregeleiteten Psychos vermisste hätte, aber parallel dazu kubikmeterweise Literatur in mich hineinschaufele, um meinen Plan, den Feudalismus an sich – und damit leider auch alle anderen Epochen der Weltgeschichte – hinreichend zu beschreiben.

wartezimmer

Ich hatte hier schon bemerkt, dass ich „Die vorkapitalistischen Produktionsweisen“ erneut exzerpiert habe und das Fazit hier mitteilen werde, eines der vielen Puzzle-Teile. Rudi Dutschkes „Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen“ hatte ich ebenfalls schon in den 70-ern gelesen und tat es jetzt noch einmal. Wilhelm Backhaus‘ „Marx, Engels und die Sklaverei: zur ökonomischen Problematik der Unfreiheit“ war im Gegensatz zu Dutsche ergiebiger und wird in Form eines weiteres Exzerptes hier in Kürze vorgestellt werden.

aberlour

Äusserst interessant zum Thema ist Erich Pilz: „Zur neuesten Debatte über die Asiatische Produktionsweise in der Volksrepublik China“. „Neueste“ bedeutet leider, dass er die Diskussion der 80-er Jahre referiert.

Wesentlich informativer ist Ellen Meiksins Wood: „Der Ursprung des Kapitalismus“, welchselbiges ich noch nicht ganz durchgelesen habe, was aber wohl den aktuellen Stand der marxistischen Forschung – außer in China – wiedergibt.

By the way, zum Wiederholen und Weitersagen: „Der Kapitalismus unterscheidet sich von anderen Gesellschaftsformen, weil die Produzenten für den Zugang zu den Produktionsmitteln vom Markt abhängig sind (im Unterschied etwa zu Bauern, denen das Land unmittelbar und nicht über den Markt vermittelt gehört); während die Aneigner sich nicht auf eine „außerökonomische“ Aneignungsgewalt durch unmittelbaren Zwang stützen können wie etwa das Militär und eine politische und rechtliche Macht, die es feudalen Grundherren ermöglicht, Mehrarbeit aus Bauern herauszuziehen -, sondern von den rein „ökonomischen“ Mechanismen des Marktes abhängig bleiben müssen. Dieses besondere System der Abhängigkeit vom Markt bedeutet, dass die Erfordernisse der Konkurrenz und der Profitmaximierung die grundlegenden Regeln des Lebens sind. Aufgrund dieser Regeln ist der Kapitalismus ein System, das auf einzigartige Weise dazu getrieben ist, die Produktivität der Arbeit durch technische Mittel zu erhöhen.“ (Wood)

Wie gesagt: Seid gewarnt vor dem, was noch alles auf euch zukommt.

chillen

Noch ein Lied, das Chillen begleitend?

Ich lasse mir meinen Körper schwarz bepinseln, schwarz bepinseln
Und fahre nach den Fidschi-Inseln, nach den Fidschi-Inseln
Dort ist noch alles pardiesisch neu
Ach, wie ich mich freu!
Ach, wie ich mich freu!
Ich trage nur ein Feigenblatt mit Muscheln, Muscheln, Muscheln
Und gehe mit ’ner Fidschipuppe kuscheln, kuscheln, kuscheln
Von Bambus richte ich mir eine Klitsche ein
Ich bin ein Fidsche, will ein Fidsche sein.

(1931, Willy Fritsch hat das Lied gesungen, Friedrich Hollaender schrieb die Musik. Der Text ist von Robert Liebmann. Muss man alles verbieten, sowas.

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Mehr Sand ins Getriebe!

datenschutz

– Die Möglichkeiten des Staates, zur Strafverfolgung oder Terrorabwehr auf persönliche Daten von Handy- und Internetnutzern zuzugreifen, sind verfassungswidrig. Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist die Eingriffsschwelle nicht verhältnismäßig geregelt.

DerEuGH kippt die EU-US-Datenschutzvereinbarung „Privacy Shield“. – „Mit einem lange erwarteten Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag den transatlantischen „Privacy Shield“ und damit eine der wichtigen Rechtsgrundlagen für den Transfer personenbezogener Daten europäischer Bürger in die USA für nichtig erklärt. Grund dafür sind in den Vereinigten Staaten bestehende Gesetze, die Sicherheitsbehörden weitreichende Befugnisse zur Überwachung „ausländischer Kommunikation“ in die Hand geben.“

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Kalbitz und die Folgen für die journalistische Vereinsmeierei in Berlin

Berliner Zeitung: „Wie das Kalbitz-Interview des RBB den DJV Berlin JVBB entzweite. Erst elf Tage nach Ausstrahlung des umstrittenen RBB-Sommerinterviews mit Andreas Kalbitz äußert sich der Journalistenverband zu dem Vorgang. Dessen Vorsitzender steht nicht hinter dem Schreiben. (…)

Auf Anfrage sagt Walter, er halte es für falsch, von Einschätzungen des Verfassungsschutzes abhängig zu machen, wen man interviewen dürfe. (…)

Dass im Streit um das Kalbitz-Interview alte Rivalitäten zwischen den einst konkurrierenden Verbänden aufgebrochen sein könnten, mag Walther nicht erkennen“.

Zu Erkennen mögen? Ist das Deutsch oder ein mir bisher unbekannter Jargon? Ich mag gar nicht darüber nachdenken.

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Dorfstrasse und eine Hochzeit

cabanaconde

Ein Nachtrag zu Cabanaconde, damals noch ein winziges Bauerndorf, eine Tagesreise nördlich von Arequipa, in den peruanischen Anden (1984). Mehr Fotos im April 2011: „Valle de Colca“.

Aus meinem Reisetagebuch, 24. März 1894, Juliaca:
Mit der Fahrt nach Cabanaconde fing die Reise erst richtig an, obwohl wir schon rund einen Monat unterwegs sind, nicht vom Gefühl her, sondern von der Intensität der Eindrücke. Wenn es nicht regnen würde, wäre alles vielleicht schöner und angenehmer, aber die Stimmung ist irgendwie authentischer.

Unser Hotelzimmer [in Juliaca], in einem ehemals großzügigen und vornehmen Hotel am Hauptplatz, jetzt total abgewrackt und baufällig. Die Wasserleitungen laufen außen an den Fluren entlang, die Waschbecken sind undicht, eine Glühbirne an der Decke beleuchtet unsere Wäscheleine und die Strümpfe daran, ein Schrank, dessen eine Tür abgebrochen ist und außen vorlehnt, die beiden Fensterflügel zur Plaza sind mit Latten von innen vernagelt – wohl weil der Balkon nicht sicher ist, feuchte Fußbodenbretter, überall ist der Putz heruntergefallen, und wir meditieren darüber, wie man mit den einfachsten Mitteln oder sogar nur mit gutem Willen vieles reparieren könnte.

Von Arequipa aus geht die Fahrt erst Richtung Küste durch endlose Steinwüsten. Wieder rollen von links die grauen Wanderdünen Richtung Straße, die ihr vorläufiges Ende bedeutet. Irgendwann biegt die Route nach Norden ab. Einige Bewässerungskanäle sorgen für ein bisschen Vegetation. Was könnten die Leute alles mit der Nutzung von Sonnenenergie anfangen!

Die Schotterstraße führt durch Sandwüste, wir bleiben einmal im Sand stecken. Ein irrer Gegensatz: Wenig später schraubt sich die Straße in endlosen Serpentinen bis in eine so hohe Zone hinauf, dass der Nebel alles bedeckt.

Wir passieren Huambo [3332 m], wo zum ersten Mal ein „Andendorf“ auftaucht. Die Leute starren uns an, schrecklich ärmlich, die Frauen in Tracht, aber der Eindruck ist noch wie im Zoo – so ein Widerspruch zu Arequipa.

Spät in der Nacht kommen wir nach einer haarsträubenden Fahrt an Abgründen entlang in strömendem Regen an. Der Nebel ist so dicht, dass man die andere Seite der Plaza [von Cabanaconde] nicht erkennen kann. Taschenlampen irren durch die Gegend. Das Wasser rauscht in Bächen überall entlang.

Es gibt nur ein alojamiento, mit Schlafsaal, das als die Unterkunft mit dem fürchterlichsten Klo in die Reiseannalen eingehen wird. In einem höhlenartigen „Restaurant“ gibt es noch ein cena, und wir kommen nicht darum herum, noch eine drittes „Abendessen“ für den Hotelchico [Der Junge, der in der Nacht der „Manager“ war] auszugeben. Der chico ist total nervig, folgt uns auf Schritt und Tritt und will mehr Geld. Wir trinken im Dunkeln auf der Plaza noch einen Kakao im Stehen und quatschen mit den Frauen dort.

Zum Klo muss man zehn Meter durch einen total verschlammten Hof. Das baño besteht aus eine windschiefen Hütte, überall steht Gerümpel herum, der Fußboden ein Matsch, das Klo nur ein runder Hohlstein mit einem hölzernen Deckel, natürlich total vollgeschissen. Keiner von uns beiden schafft es in den drei Tagen, sich richtig zu erleichtern. Das „Hotel“ besteht aus mehreren Lehmziegelhütten, teilweise mit Wellblech oder Stroh gedeckt, wie die meisten Häuser des Ortes. Die Leute kochen im Hof, mitten im Müll, in einem rußigen Top, daneben liegt ein blutiges Schaffell. Im ganzen Ort gibt es kein elektrisches Licht.

Trotz der Unannehmlichkeiten merkt man, dass Cabanaconde für viele Dörfer in der Sierra repräsentativ ist, für die traurigen, resignative Stimmung. Nur einige Frauen verändern das Bild zum Positiven. Die meisten tragen Tracht: Sandalen, lange Röcke, einige dunkelblau mit bestickten Säumen, ein Hemd, darüber eine reich verzierte Weste, ein Wickeltuch um die Hüfte, was seitwärts herunterhängt, und eine Decke zum Umhängen, zwei oder mehr Zöpfe und einen bestickten Hut.

Einige Frauen sehen recht selbstbewusst aus, und fotografieren geht leider nicht. Die Männer sind kaum zu sehen, aber einige Betrunkene bevölkern tagsüber die Plaza. Ab und zu treiben Bauern ihre Schafe und Ziegen durch den Ort. Ihre Kleidung besteht oft nur aus Fetzen.

Frühstück: Eine Tasse Kaffee und ein Brötchen. Am ersten Morgen wachen wir auf und sehen einen riesigen schneebedeckten Sechstausender [den Hualca Hualca] – ein atemberaubender Anblick. Die Dorfstraßen sind so eng, dass bis auf eine [vgl. Foto ganz oben] kein Auto durchkäme, in der Mitte ein Ablauf, ansonsten mit dicken Steinen teilweise „gepflastert“. Von oberhalb des Ortes kann man sehen, dass in einigen Teilen viele Häuser verlassen sind.

Am Nachmittag geraten wir in eine Hochzeit: Man winkt uns hinein. Ungefähr ein Dutzend Leute in Tracht, behängt mit Früchten, vor allem Zwiebeln, und geschmückten Hüten und eine stark angetrunkene Kapelle, die entsprechende Weisen vorträgt. Wir werden zu Schnaps genötigt. Die Braut, auch schon sehr angeheitert, will sich halb im Ernst mit mir verloben, aber die Vortänzerin [hinten rechts auf dem Foto] hat alles im Griff.

Der Bräutigam bringt kaum ein Wort heraus. Einer der Männer fällt in den Schlamm und steht nicht mehr auf. Eine uralte Frau mit weißen Haaren, sehr würdevoll, begrüßt uns sitzend auf Quechua. Sie spricht kein Spanisch.

Endlich bewegt sich die ganze Gesellschaft durch das Dorf zum Haus des Bräutigams, wo wir zu Suppe – mit einigen Kohlblättern – sowie Schnaps und Chicha aufgefordert werden. Wir unterhalten uns vor allem mit einem älteren Izquierdista, der alle Alemanes über den grünen Klee lobt und auf die Amis schimpft.

Männer und Frauen sitzen getrennt. Auf einem Teller liegt Geld, und jeder Betrag [der spendenden Gäste] wird mit Namensnennung auf einem Zettel vermerkt, speziell unsere deutsche Mark wird gesondert diskutiert. [Anmerkung: Ich war in einem Dilemma – die Maximalspende der Gäste war umgerechnet eine Mark wert; hätte ich weniger gegeben, hätten sie von mir gedacht, dass ich als reicher Gringo ein Geizhals wäre. Hätte ich aber wesentlich mehr gegeben, hätte das den Leuten ihre Armut demonstriert und wäre auch beleidigend gewesen. Ich hab dem Brautpaar also eine Mark und erklärte ihnen, wieviel diese umgerechnet in peranischen Soles wert war. Manche der Gäste konnten nur ein paar Zwiebeln oder einen Kohlkopf schenken.

Was nicht in meinem Tagebuch steht, was ich aber nie vergessen werde: Die größte Sensation war, als ein sehr alter Mann den Raum betrat und, da kein Platz frei war, ich aufstand und ihm sagte, ich sei jung und er solle sich bitte auf meinen Platz setzen. So etwas erwarteten sie offenbar übehaupt nicht. Der Mann tat es und murmelte ständig vor sich hin, was ich für ein „komischer“ Gringo sei – für einen Bauern aufzustehen. Die Männer wollten umgehend eine Kommission zusammenstellen, die uns in die grandiose Schlucht [Colca-Canyon – der dritttiefste Caynon der Welt] führen sollte, damit noch mehr Touristen kämen. Wir waren wohl die ersten. Zum Glück waren alle so betrunken, dass es sie diesen Plan wieder vergaßen – sie wären wohl alle in die Schlucht gestürzt. Der Mirador de Achachihua, den man heute dort sehen kann, könnte ein Resultat dieses Plans sein, den irgendwann irgendjemand umgesetzt hat.]

Wir schaffen uns kaum, uns zu verabschieden: Der Bräutigam, nur noch flüsternd, ist so gerührt, dass er in Tränen ausbricht und uns ständig umarmt. Um sechs Uhr verlassen wir die Feierlichkeiten, nur um festzustellen, dass die Señora unserer Unterkunft doch nichts gekocht hat. Unregelmäßig wird abends auf der Plaza Essen verkauft, fast nur Kohlenhydrate. Wir haben Glück.

Ab drei Uhr Nachmittags regnet es jeden Tag, und später wird der Nebel undurchdringlich dicht. Wir gehen zwischen sieben und acht ins „Bett“, weil man ohnehin nichts unternehmen kann.

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Unerreichbare Jungfern, ein atheistischer Dschihad et al

Hasengraben
Mit Kurs auf den Potsdamer Hasengraben. Leider kann man da nicht mehr einfach so durchpaddeln (oder ich war nicht nah genug dran), aber da ist ein Wehr. (Die Fotos haben nichts mit dem Text zu tun, aber das stört hoffentlich niemanden.)

Nachlese der letzten drei Tage.
Noël Martin ist gestorben. Über die damaligen Zustände in Trebbin habe ich 1997 ein ganzes Buchkapitel geschrieben, auch über Martin, der Opfer einer rassistischen Gewalttat wurde.

– Wieso sehen die, die hierzulande „Volkswirtschaftslehre“ lehren, immer genau so aus? Gehört das zur Attitude, mit der man in der Wirtschafts-Esoterik-Szene was werden und dann Resilienz fehlerfrei aussprechen kann? Lauschen wir kurz:
Die Resilienz der deutschen Volkswirtschaft ist auch den sehr konfliktreichen Reformen der 2000er-Jahre (Agenda 2010, Hartz-Reformen) und jahrzehntelangen Bemühungen der Tarifparteien zur Flexibilisierung der Tarifsysteme zu verdanken.

Flexibilisierung der Löhne – er meint also schlicht das, was alle „Volkswirtschaftler“ und andere Apologeten und Lautsprecher des Kapitals so denken: Löhne runter ist gut für alle. Mehr braucht man nicht zu wissen.

– Vor ca. 20 Jahren habe ich im serbischen sorbischen Gymnasium Bautzen einen Vortrag über Rassismus und Rechtsextremismus gehalten. Die Schüler applaudierten mehrfach. Das war in fast allen anderen Schulen, in denen ich in Sachsen war, ganz anders. Die Sorben verstehen auch, dass man nicht „Deutscher“ sein muss, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen. Der MDR hat heute um 20.15 Uhr eine Sendung, in der das Thema beleuchtet wird.

glienicker Brücke
Hinten links: Glienicker Brücke. Vermutlich war ich schon auf dem Jungfernsee, der zum Glück nicht mehr den Pfaffen gehört.

– Der Thüringer Verfassungsgerichtshof (was es alles gibt!) hat entschieden: Parteien müssen nicht abwechselnd Männer und Frauen aufstellen: Die AfD hat erfolgreich gegen paritätische Wahllisten vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof geklagt.

Da möchte ich aber auf das Kleingedruckte warten: Müssen nicht, aber können vielleicht? Oder dürfen gar nicht? Pointe am Rande: In beiden Bundesländern gab es von Anfang an verfassungsrechtliche Bedenken. Also mit Ansage. Aber man ist sich seiner ja immer so sicher, wenn es um die genderpolitischen Lichterketten geht.

Cornelia Möhring, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, will sich hingegen nicht beirren lassen: „Da sich das Urteil in der zentralen Argumentation ausschließlich auf Thüringen bezieht, wird es (…) keine Relevanz für die Bundesebene entfalten.“ Auch SPD-Fraktionsvize Katja Mast verteidigte das Ziel einer vergleichbaren Paritätsregelung für Bundestagswahlen: „Über ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter in der Politik braucht es eine deutschlandweite Debatte – diese muss weitergehen.“ (Zitat aus der Welt) Wenn die sich da nicht täuschen!

– Nimm dies, Hengameh Yaghoobifarah! Die Polizei in Berlin und Brandenburg macht ihren Job: Nach mehreren Vergewaltigungen hat die Polizei Brandenburg am Dienstagabend offenbar den mutmaßlichen Serientäter gefasst. Es handelt sich nach Tagesspiegel-Informationen um einen 30-jährigen Serben.

– Schon klar. Bilderstürmerei ist reaktionärer Scheiß. Aber mir glaubt ja keiner. Jatzt machen die Nazis einen auf Trittbrettfahrer und verhüllen Karl Marx. Da wächst zusammen, was zusammengehört.

Krughorn
Pause am Krughorn. Beinahe wäre ich noch ins Wasser gefallen, weil der Ast, an dem ich mich beim Aussteigen aus dem Boot festhielt, abbrach und die Untergrund extrem glitschig war. Eingedenk der Tatsache, dass ich schon vier Stunden unterwegs war, dachte ich mit Grauen daran, dass ich noch vier Stunden zurückpaddeln musste, und das gegen die Fließrichtung der Havel. Ich hatte also einen atheistischen Dschihad vor mir. So fertig war ich noch nie, als ich endlich doch das Bootshaus erreicht.

– In den USA gibt es einen vielversprechenden Ansatz für einen Impfstoff gegen COVID19.

– Der Guardian schreibt über Hongkong:
China promises ‚firm response‘ to Trump’s order ending Hong Kong’s special status
. Warum das so ist und was daraus folgt, hatten wir hier schon im Mai. Forbes legt noch nach: China’s Stock Boom Is Donald Trump’s Worst Nightmare.

– Man muss sich keine Chips mehr implementieren lassen, Papier und Bleistift gehen bald auch.

– Henryk M. Broder (hinter der Paywall der Judentum für Anfänger, wie es brät und brutzelt. Ich habe mich schlapp gelacht.
Das Christentum ist eine jüdische Erfindung. Ebenso die Relativitätstheorie (Einstein), die Psychoanalyse (Freud), die Arbeiterbewegung (Lassalle), die Kapitalismuskritik (Marx), der Feminismus (Goldman, Emma), die Jeanshose (Strauss, Levi), Google (Brin & Page), Facebook (Zuckerberg), Esperanto (Zamenhof), die Taubenpost (Reuter), das gefühlsechte Kondom (Fromm), die Nähmaschine (Singer), das Grammofon (Berliner, Emil), die Mengenlehre (Cantor, Georg), der USB-Stick und die Cherrytomate. Adolf Hitler soll mal gesagt haben, „das Gewissen“ sei „eine jüdische Erfindung“, das dürfte übertrieben sein, aber das „schlechte Gewissen“ ist es ganz bestimmt. (…) Das Beste kommt, wie immer, zum Schluss. „Jüdische Vertreterinnen und Vertreter des Projekts ‚Meet A Jew‘ (sprechen) über ihren Alltag als Juden in Deutschland.“
So steht es da. Meet A Jew. Juden zum Anfassen. „Rent A Jew“ wäre freilich besser, dann kämen noch Bonusmeilen wie bei einem Leihwagen dazu.

– Gibt es schon einen Arbeitskreis „Sozialdemokraten in der SPD“? Der Witz ist geklaut, aber ich weiß nicht mehr, von wem.

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Der Furor der Ahnungslosen oder: Deutschland sucht den Superrassisten (DSDSR)

Jakob Hayner in der Jungle Word: „Der böse alte weiße Mann – Ein paar spöttische Bemerkungen sollen als Beleg dafür dienen, dass Karl Marx ein Rassist und Antisemit gewesen sei. Im Fall Immanuel Kants steht ein entsprechendes Urteil der Öffentlichkeit sogar schon fest. Eine Verteidigung zweier Aufklärer vor dem Furor der Ahnungslosen.“

Full ack.

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Polski Media

8bit

Ich habe in den letzten Tagen in der Blogroll herumgewühlt, einige Links gelöscht, andere hinzugefügt. Was ich nicht gefunden habe, ist eine lesbare polnische Zeitung, womöglich in Englisch oder gar in Deutsch. Also kein katholisches oder nationalistisches Drecksblatt.

Im übrigen bin ich für Link-Vorschläge offen, wenn die surfenden Leserinnen und die des Internets kundigen Leser von hier aus schnell woanders hinzappen wollen.

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