Betr.: Moria

welt über Moria
„Tränendrüsenberichterstattung“ deutscher Medien – Symbolbild

Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von mir? Ich schlage vor, dass nur die wohlwollenden Stammleser und die geneigten Stammleserinnen den folgenden Beitrag lesen. Alle anderen können das sowieso nicht vertragen.

Als Linker kann man zum Thema Flüchtlinge und Einwanderer überhaupt nichts Vernünftiges von sich geben. Das hatten wir hier schon vor drei Jahren: „Rechte Politiker schüren die Angst vor Migration und schlagen vor, die Leute mit Zäunen und Waffen fernzuhalten. Linke Politiker schüren die Angst meist auch und versprechen weniger Migration durch Entwicklungshilfe. Beide haben kein Interesse zu erzählen, was wahr ist: Es gibt keine Zweifel an der afrikanischen Wanderungswelle in den kommenden Jahrzehnten.“ (Michael A. Clemens, Ökonom und Migrationsforscher aus den USA in Spiegel online)

Mit „nichts Vernünftiges“ meine ich: Nationalstaaten und Grenzen gibt es, und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Also müsste man die Perspektive der herrschenden Klasse einnehmen, weil „staatliche Interessen“ genau die sind und nichts anderes. Auch Nation ist ein politisches Konzept – und ich bin sowieso dabei immer dagegen. Dazu habe ich keine Lust. Ich halte es mit dem österreichischen Schriftsteller Heimito von Doderer: „Nationalismus: Daß ich zum Beispiel Österreicher bin, ist mir auch mit einer Fülle widerwärtiger Individuen gemeinsam, so daß ich es mir verbitten möchte, lediglich mit Hilfe dieses Begriffs bestimmt zu werden.”

Oder man fängt an zu moralisieren, womit Politik ohnehin nicht zu machen ist, und drückt auf die Tränendrüsen. Das aber ist schlimmer, ja bösartige Heuchelei: 2019 gab es weltweit fast 80 Millionen Flüchtlinge. Welche und wieviele davon lassen „wir“ nach Deutschland? Es kann mir doch niemand erzählen, dass die Lager woanders besser sind als in Griechenland?! Die Flüchtlinge in Libyen sind nicht viel weiter weg als die in Griechenland. Warum regen sich alle so auf?

Gibt es eine Art Bambi-Effekt bei humanitären Katastrophen? Wer wagt noch Einwände zu erheben, wenn weinende Kinder gezeigt werden? Was wäre, wenn man nur männliche Kriminelle und Glücksritter, die auch dabei sind, zeigte – abgelehnte Asylbewerber etwa aus Afghanistan, am besten noch mit Taliban-Blick? Nein? Die will man nicht sehen? Wenn die Medien mehr oder minder zufällig darüber berichten und das Elend sichtbar machen, wollen alle alle herholen, am liebsten „unbegleitete Minderjährige“ (die nur mit „unbegleitete Säuglinge“ zu toppen wären) Die aber, von denen man nichts weiß, kümmert die moralisierenden Gutmenschen einen Scheiß.

Jeder weiß doch, dass die paar Menschen leicht hergeholt und auch untergebracht werden könnten; ein Fußballstadion voll – das ist nichts. Ich könnte bei der allgemeinen Heuchelei sowohl von der Rechten als auch von der Linken nur kotzen. Waffen an die Türkei zu liefern ist bekanntlich kein Problem, obwohl Erdogan an der Misere der Gestrandeten in Griechenland mit schuld ist.

Ich muss zugeben – und das ist zum Glück nur eine Hypothese: Wäre ich Regierungschef in Deutschland, ich würde die Menschen aus Moria nicht nach Deutschland holen. Warum sollte man das tun? Weil das moralisch geboten ist? Da muss ich lachen. Moralisch geboten ist vieles. Ich weiß gar nicht, womit ich dabei anfangen sollte.

Ich habe noch ein starkes „Argument“. Als Vertreter des revolutionären Arbeiter- und Bauernrates der herrschenden Klasse würde ich die Einwanderungspolitik Israels übernehmen – über die die üblichen Verdächtigen natürlich jammern. Nur so aus Daffke gesagt.

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Großer blauer Knopf

bigbluebutton

Ich arbeite mich gerade in BigBlueButton ein, weil ich bald mehrere Seminare mit dieser Software halten muss und soeben auch einen Server gemietet habe. Ich kam auf die kühne Idee, den wohlwollenden Leserinnen und geneigten Lesern vielleicht einmal im Monat eine Videokonferenz über höhere Wesen und die Welt anzubieten, falls diese mit ihre E-Mail-Adressen zu dem Zweck dann vorab mitteilen würden, damit ich sie einladen könnte? Oder wollt ihr doch lieber alle anonym bleiben?

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Ambulantes mit Leipziger Allerlei

leipziger allerlei

Leipziger Allerlei, angeboten von „fliegenden Händlern“, die man in Lateinamerika ambulantes nennt, irgendwo auf der Bahnstrecke zwischen Aiquile und Cochabamba in Bolivien (1984).

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Schon wieder und unter anderem: Schöne Menschen mit Menstruationshintergrund

bone hunter

Wenn Konzerne wie Netflix oder Amazon mein Medienverhalten kennen, was Filme angeht, dürfen die wohlwollenden Leser und geneigten Leser das natürlich auch. Die Agorithmen, die mir etwas vorschlagen, sind einigermaßen gut, aber bei meinen erratischen Interessen und Sehgewohnheiten natürlich meistens überfordert. Jüngst hatte ich das überraschende Problem, dass ich nichts Sehenswertes auf Netflix mehr fand und daher auf Uralt-Produkte wie den Bone Hunter zurückgreifen musste. Denzel Washington geht immer, auch wenn der die ganze Zeit nur herumliegt und betonähnliche Sätze auf Horoskop-Niveau sagen muss. Angelina Jolie finde ich, was ihr Gesicht angeht, zu unnatürlich, ja eher Zombie-haft attraktiv. Eine ganz normale Polizistin passt einfach nicht für sie. Comic-Strip-Figur käme besser. Tomb Raider war daher ihre Paraderolle. Science Fiction ginge für Jolie auch, aber Jessica Matten finde ich hübscher. Tribal wird aber weder von Netflix noch von Amazon gestreamt und steht noch auf meiner To-Watch-Liste. Von Agelina Jolie hätte ich aber gern die Schreibmaschine.

Zappen wir weiter. Centurion kannte ich schon. Ich hielt ihn nur eine halbe Stunde aus. Ohnehin hatte ich den Film nur wegen Olga Kurylenko und ihrem Lächeln ausgewählt, obwohl sie dort überhaupt nie lächelt, sondern so viele verschiedene Gesichtsausdrücke zeigt wie Clint Eastwood. „Die Römer bei den Pikten“ wurde in Adler der neunten Legion besser abgehandelt. Der letztere Film hat nur wenig mit der Historie zu tun hat, und der Schluss ist so bekloppt und realistisch ist wie der Angriff der Killertomaten.


netflix

Offenbar werden nur noch Kinderfilme gedreht und immer nach einem ähnlichen Muster. Zum Beispiel: Eine gender- und diversity-ausgewogene Jugendgruppe gerät irgendwo hin und muss ums Überleben kämpfen. Oder Mädchen haben keinen Sex, aber sehen gut aus wie in Warrior Nun. „Kriegernonne“ ist so bescheuert, dass der Inhalt noch nicht mal als C-Movie durchginge. Alba Baptista scheint zwar klug und sehr sprachbegabt zu sein, aber als Schauspielerin wäre Lolita für sie die passende Rolle. Dann doch lieber gleich ganz politisch unkorrekt gucken.

Away wurde mir vorgeschlagen, vermutlich weil ich Star Trek Enterprise durchzappte, um zu sehen, ob T’Pol vielleicht irgendwann doch einmal etwas Durchsichtiges trägt. Auch unerträglich: Das Sci-Fi-Szenario ist nur ein Vorwand, um den üblichen Kleinfamilien-Kitsch lang und länger auszubreiten. Ich kann es nicht ertragen, spannend ist die Serie auch nicht, sondern mit der Drehbuch-Nudelrolle so platt und dünn gewalzt wie es nur irgend geht. „Away“ funktionierte auch, wenn die Heldin LKW-Fahrerin wäre. Die Heldin finde ich zu allem Überfluss auch noch unattraktiv. Übler Trash.

Official Secrets: Keira Knightley kann man immer eine Weile ansehen, aber nicht einen ganzen träge dahinfließenden Plot lang. Ich habe es nur 20 Minuten geschafft. Der Film sollte aber Pflichtprogramm für die sein, die Trump-Witze machen oder, noch dämlicher, sich darüber aufregen, dass Politiker lügen. Was ist mit `George Dabbelju Busch oder Tony Blair? Kann man dort im Original verfolgen.

Ich will nicht nur nörgeln. Gridlocked ist solide Herumballerei à la Van Damme, old school action, der Plot nach dem Motto: Junger Schnösel wird durch alten Kerl zum Mann gemacht, also etwas für Sean Connery, der sich so etwas aber natürlich nicht mehr antun muss. (Hey, IMHO nutzt Dominic Purcell Krav Maga – mir kamen einige schmutzige Tricks bekannt vor.)

Meine wärmste Empfehlung gilt Shtisel – gefällt mir wesentlich besser als Unorthodox. (Weiß jemand, ob Stiesel jiddischen Ursprungs ist?)

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Back to blood in Hollywood

diversity

„Diversity“, „Vielfalt“ – was das heißt, zeigt uns gerade Hollywood in Gestalt der Academy of Motion Picture Arts and Sciences: Bewerber für den Hauptpreis des Oscar-Wettbewerbs müssen ab 2024 mindestens zwei „Vielfaltskriterien“ erfüllen, um sich zu qualifizieren.
Beispielsweise könnte eine Darstellerin oder ein Darsteller in einer wichtigen Rolle einer Minderheit angehören, etwa afroamerikanischer, asiatischer, hispanischer oder indigener Abstammung sein. Als ein weiteres Kriterium führt die Filmakademie inhaltliche Aspekte an: Filmbeiträge sollten demnach ein Thema behandeln, das sich um Frauen, Minderheiten, Menschen mit Behinderungen oder LGBT-Inhalte dreht – also Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans-Menschen.

Ich habe da noch eine Frage: Sind Friesen eine „unterrepräsentierte ethnische Minderheit“? Müssen Künstler, bevor sie Kunst machen, jetzt eine Check-Liste abarbeiten, was vorkommen darf und was nicht? Muss in einer Astronauten-Crew in Zukunft immer eine Lesbe sein oder jemand behindert? Was ist „hispanisch?“

Ceterum censeo: In jedem deutschen „Tatort“ sollte zukünftig eine Latina mitspielen, die so ausseht wie Lupe Fuentes.

Übrigens – Kunden, die das Obige lasen, sollten auch dieses zu Gemüte führen: Die bunt angemalte Pseudo-Farbige „diverse“ Professorin Jessica Krug hat jetzt ihren Posten aufgegeben. – Ein Interview mit Jan Böhmermann über „cancel culture“ in der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ darf nicht erscheinen. – Die „Sinti-Allianz“ findet die Diskussion über „Zigeunersauce“ unwürdig und verwendet weiter den Begriff „Zigeuner“.

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Ebinmuo

baumefeu hedera helix l

Meine App hat sich endlich entschieden, weil die Pflanze jetzt Blüten treibt: Baumefeu (Hedera helix L.). In eineinhalb Jahren von 40 cm auf mehr als zwei Meter Höhe – Respekt. Der Efeu scheint mich und meinen kleinen Balkon zu mögen. Wahrscheinlich hat er Vorfahren, die schon die kluge Amalasuntha erfreut haben und wird älter als ich werden.

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Speicher meines Gottes

Wakaywillqueollantaytamboollantaytamboollantaytambo

Ccollanan Pachacamac ricuy auccacunac yahuarniy hichascancuta.

Die meisten Touristen antworten auf der Frage, was der interessanteste Ort in Peru sei, Cusco oder – natürlich! – die Ruinenstadt Machu Picchu. Ich sage: Ollantaytambo, das in Quechua „Speicher meines Gottes“ bedeutet.

Ollantaytambo, nordwestlich von Cusco gelegen, ist das einzige verbliebene Beispiel für Stadtplanung aus der Inka-Zeit. Die Gebäude und Inka-Terrassen sowie die engen Gassen der Stadt sind noch so, wie sie erbaut wurden. Die geraden und engen Straßen bilden 15 quadratische Blocks (canchas), die je einen Eingang zum zentralen Innenhof besitzen, der von Häusern umgeben ist. Einige Häuser bestehen aus perfekt gearbeiteten Inka-Mauern aus dunkelrosa Stein.

Auf der dem Berg zugewandten Seite von Ollantaytambo ist ein imposanter Inka-Komplex, der auf Grund seiner außerordentlich starken Mauern fortaleza (dt. Bollwerk oder Festung, vgl. 2. Foto) genannt wird. Dieser Komplex lag strategisch günstig, um das Heilige Tal der Inka zu dominieren. Manco Cápac II. zog sich 1537 nach der gescheiterten Belagerung von Cusco zurück, um seine verbliebenen Krieger im Kampf gegen die spanischen Konquistadoren und deren Hilfstruppen zu sammeln. [Der jüngste Sohn Manco Capac II. war Tupac Amaru, der letzte Herrscher der Inka in Peru, der für einige Guerilla-Bewegungen Namenspatron war, u.a. die Tupamaros in Uruguay.]

Der Inka Pachacútec Yupanqui ließ Ollantaytambo im 15. Jahrhundert erbauen – angeblich auch Machu Picchu. [Die Namen hören sich einfach total spannend an – wie auch die Sprache Quechua.]

ollantaytambo

Aus meinem Reisetagebuch, Juli 1984:
Die Schlucht wird enger, und die ersten Befestigungen tauchen auf, die das Tal gegen Eindringlinge von Cusco aus verteidigen. Den Eingang von Ollantaytambo bilden Terrassen, die quer die ganze Breite des Tales ausfüllen, „successful defeated by Manco Capac’s warriors“ [das ist vermutlich ein Zitat aus dem South America Handbook]. Ollantaytambo ist die positive Überraschung unserer ganzen Reise. Die Leute leben noch in den zu Zeiten der Inkas gebauten Häusern. Die Gassen sind schnurgerade, die Ecken der Straßen aus wuchtigen Quadern, und oft fließt ein kleiner Bach durch einen schmalen Kanal in Richtung des Rio Urubamba, auch auf den Plätzen. Nur scheint das die Leute offenbar nicht viel zu interessieren, weil sie sich nicht darum scheren, wenn das Wasser nicht läuft.

ollantaytamboollantaytambo
Die beiden obigen Fotos waren kaum noch zu restaurieren und viel zu dunkel; das Licht auf fast 4.000 Metern Höhe ist schrecklich für einfache Kameras. Meine damalige Freundin klettert oben auf den Felsen oberhalb des Sonnentempels (templo del sol) herum.

Das Dorf ist vollständig umgeben von Ruinen, die wir ausnahmslos erklettern, angefangen von rechteckigen Gebäuden, die sich übereinander bis hoch auf den Berg ziehen, aber ziemlich verfallen sind. [Heute weiß ich: Es waren PinkullyunaLagerhäuser für Getreide] Der ganze Bergkamm ist im Halbkreis ist terrassiert. Rechts, wo der Hang fast senkrecht abfällt, führt ein halsbrecherischer Pfad hinab. In den Terrassen ganz oben erkennt man viele Nischen für Idölchen. Ganz oben über den Ruinen liegen riesige rosige Steintrümmer, die seltsam bearbeitet sind, wahrscheinlich die Mauern des obersten Turms. Dieselbe Form finden wir später im Haupttempel von Machu Picchu. Richtung selva [nach Norden] wird das Gelände von einer an den steilen Hang gebauten hohen Lehmziegelmauer abgeschlossen, die sich über das ganze Terrain zieht. Ich verbringe mehrere Stunden allein in den Ruinen und bekomme direkt Lust, Architektur zu studieren, so rätselhaft schön ist alles ringsum.

Aber das ist noch nicht alles – ein entzückendes kleines Hostal – der dueño ist so ein Typ wie unserer in Cochabamba, und ein Grino-like Restaurant, wo alles amerikanisch ist, sogar Time und Newsweek liegen aus. Hier verbringen wir jeden Abend im Gespräch mit anderen Gringos und lernen zwei New Yorker unseren Alters kennen. Eine interessante Kombination – das gegenseitige Akzeptieren als „Weltstädter“. Man ist aufeinander sehr neugierig. In uns erwacht die Lust, mehr von New York kennenzulernen. Im Café Alcazar [das gibt es wahrhaftig noch!] haben sie Pudding, Spaghetti und andere Leckereien. Frühstück ist besser auf der Plaza, wo wir bei einer dicken und geschäftstüchtigen jungen Frau in einem kleinen Kiosk manches Sandwich mit Honig und Ei verzehren. Sogar das Mittagessen ist ausreichend, der Essraum mit Gemälden von Inkas verziert.

Wir lernen noch zwei Schotten kennen, die im für uns unerschwinglichen Hotel El Albergue residieren: Ein rüstiger 73-jähriger Opa, der sich von uns später mit „gute Fahrt“ auf Deutsch verabschiedet, und sein 37-jähriger Sohn, dem man die Kondition aus zehn Metern Entfernung ansieht. Der Opa hatte auf dem Inca-Trail einen Unfall und konnte sich nicht mehr bewegen, und der Sohn musste den ganzen Weg nach Machu Picchu rennen, um den schon georderten Helikopter zu stoppen, als es dem Vater wieder besser ging.

Am Sonntag gehen wir in einem Seitental spazieren, was sich zu einer richtigen 10-Kilometer-Wanderung auswächst. Das erste Dorf ist schon wieder richtig „andin“, puro quechua, alle in Tracht und bei der gemeinsamen Feldarbeit. Die Häuser innen komplett schwarz verräuchert und weder tienda noch sonst irgendetwas. Die Ruinen, die es dort geben soll, finden wir nicht, und die, die wir sehen, sind zu weit weg. Der Weg ist manchmal kaum zu erkennen, aber die Sicht auf die Berge und Schluchten grandios.

Der Bach wird in mehrere „Stränge“ geleitet, von denen einige wohl die Bäder der Inkas – auch das Bad der Inka-Prinzessin – gespeist haben werden. Letzteres ist elegant und schön, hinterlässt aber ein wehmütiges Gefühl, wenn man mitansehen muss, was die heutigen Peruaner und sogar ihre Archäologen daraus machen. Das ganze Tal war ursprünglich terrassiert, und das Wasser floss von einem Becken in das nächste, so dass alles mehr oder weniger unter Wasser stand, mit Gängen dazwischen. Ein großer Felsblock diente als Bassin für sternförmig angelegte Rinnen, die wiederum in diverse Becken führen. Natürlich läuft heute nirgendwo Wasser, obwohl man das leicht ändern könnte.

Am Berghang sind viele ausgemeißelte Sitzflächen, Nischen für Götter-Statuen, und man kann über sehr steile Stufen noch weiter hinaufklettern, wo neue Rätsel aus Stein warten – zum Beispiel eine Art Knauf, der wie ein Sattelknopf auf einer steinernen Bank herausragt. Vielleicht wurde das nur aus ästhetischen Gründen angelegt? Es muss wunderbar ausgesehen haben, wenn auch nur für die damalige herrschende Klasse. Wir bleiben von jueves bis lunes da und ruhen uns vor dem „Sturm“ auf den Inca-Trail aus.

Am Dienstag morgen brechen wir nach einem ausgiebigen Frühstück am Kiosk zu Fuß nach Kilometer 88 auf [hier hält der Zug von Cusco über Ollantaytambo bis nach Urubamba – der Ausgangspunkt für den Inca-Trail. Damals musste man mit einer kleinen handbetriebenen „Seilbahn“ über den Fluss schweben – eine schwankende Angelegenheit und nur für Schwindelfreie].

Llachtapata
Die Ruinen von Llachtapata – der Anfang des eigentlichen Inca-Trails. Ich sitze da auf der Mauer, bin aber kaum zu erkennen, da alles im Schatten des Berges unterbelichtet ist.

Wir kreuzen den Fluss bei Chillca, wo wir auch noch die letzte Chicha kaufen können. Dann führt der Weg den unzugänglichen Teil des Flusstales auf und ab, von Tal zu Tal, ab und zu kleine Hütten, und es ist manchmal nicht zu sehen, ob der Pfad wirklich noch weitergeht. Gegen Nachmittag wird es richtig anstrengend, vor allem mit den schweren Rucksäcken. Bei einem wahnsinnigen Abstieg muss B. alle paar Meter pausieren, weil ihr die Beine zittern. Endlich, auf einer Anhöhe – es ziehen schon dunkle Wolken auf – auf der gegenüberliegenden Seite langgezogenen Ruinen, weiter unten ein niedlicher kleiner Turm, umgeben von Mauern – Llachtapata!

Den Turm suchen wir uns sofort von fern als Schlafquartier aus. Aber zunächst müssen wir noch runter zum Fluss und mit letzter Kraft wieder hinauf. Als wir gerade das Zelt aufgestellt haben, fängt es an zu regnen, was uns aber nicht schreckt. Wir genießen die erste heiße Suppe und die erste Schokolade, und wenig später hört auch der Regen auf. Unsere Kerze beleuchtet die Wände der Ruinen, und unsere eigenen Schatten flackern riesengroß darüber. Die Ruinen sehen wir uns gar nicht richtig an, wir sind von „unserem“ Türmchen mit einen behauenen Felsen innen – wie ein Tisch mit rundum eingelassenen steinernen Sitzflächen – begeistert. Trotzdem verbarrikadieren wir die beiden Eingänge mit trockenem Holz. Es passiert aber nichts, wir sind die einzigen Menschen weit und breit…

ollantaytamboollantaytamboNiño
Am Bahnhof von Ollantaytambo

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In einer funktionalen Enklave

mittelberg

Der Liechelkopf, der Elferkopf und der Zwölferkopf von Mittelberg im Kleinwalsertal aus – von mir fotografiert im August (Neuschnee!) 1968.

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Meine aktuellen Annalen

tacitus

Wenn ich das jetzt hier auf der Parkbank anfange zu lesen, denken alle, ich sei ein Student, der für’s große Latinum paukt. Oder ein Historiker, der beweisen will, dass jede Geschichtsschreibung seit 2000 Jahren auch immer Propaganda für die herrschenden Zustände ist. Die Vorgeschichte: Ich las von Armin Eich Die römische Kaiserzeit: Die Legionen und das Imperium – ein ganz hervorragendes und spannendes Buch und, soweit ich weiß, das Standardwerk zum Thema. Um meine Freude richtig zu verstehen, muss man wissen, dass es in Deutschland, anders etwa als in Frankreich, Großbritannien, den USA oder gar Japan keine marxistischen Historiker mehr gibt – die wurden alle nach der Wiedervereinigung von den Lehrstühlen gejagt, ins Ausland vertrieben oder sind mittlerweile emeritiert und publizieren nicht mehr. Die deutsche Geschichtswissenschaft nimmt auch am internationalen marxistischen Diskurs nicht mehr teil. Bei Armin Eich jedoch war ich überrascht: Er benutzt das Wort „Klasse“, was an sich schon „verdächtig“ ist für einen deutschen Historiker, und was er schreibt, könnte kein marxistisch geschulter Wissenschaftler besser, obwohl er Marx mit keinem Wort erwähnt. Er hat über „Die politische Ökonomie (!) des antiken Griechenland“ habilitiert – eine Arbeit, die ich mir sofort besorgt hätte, aber sie ist nirgendwo zu bekommen. Ergo: Wenn ein Althistoriker heimlich das „marxistische“ wissenschaftliche Instrumentarium nutzt, kann er das bei dem Thema „römische Antike“ natürlich gut verstecken. Tacitus taucht natürlich immer auf, wenn es um Römer und Germanen geht. (Rezension Eichs folgt.)

Ich schweife kurz ab: Ich erinnere mich an mein Philosophikum Ende der 70er Jahre – die Prüfer waren stockkonservative Altgermanistik-Professoren und Wolfgang Fritz Haug, bei dem ich gleichzeitig als Tutor in seinen Kapital-Kursen arbeitete. Haug prüfte mich über das Thema “Walter von der Vogelweide und der Warenfetischismus bei Karl Marx”, die ich mit Bestnote bestand, weil die Herren vom Landesprüfungsamt aus dem Staunen nicht mehr herauskamen, was man mit dem Minnesänger alles anfangen kann – wir diskutierten lang und breit über Vogelweides Lehen, ob er es nun bekommen hatte oder nicht – da konnten sie immerhin mitreden.

Was haben wir denn heute noch in meinen Annalen?

Schmalle nennt „3 Gründe, warum progressive Linke marx21 ablehnen sollten“. „…ist marx21 besonders bekannt für das „Kuscheln“ mit Akteurinnen aus einem reaktionär-islamischen Milieu, wobei man selbst differenzierte und emanzipatorische Kritik an diesen Strukturen als anti-muslimischen Rassismus zurückweist und bedingungslose Solidarität mit Musliminnen per se fordert.“(1)

– Die Pop-Up-Radwege in Berlin rechtswidrig. Man muss aber das Urteil – wie immer – genau lesen. Die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz hat die neuen Radwege falsch begründet. Das Gericht hat nicht geurteilt, dass diese an sich nicht erlaubt seien. Verantwortlich für diesen Dilettantismus ist Senatorin Regine Günther, natürlich von den „Grünen“.

Der Schockwellenreiter fasst das komplette Versagen der Politik hübsch anhand zahlreicher Fälle zusammen (noch eine Version).

– „Als nämlich diese Epidemie herannahte, befiel ein allgemeiner Schrecken die Bourgeoisie dieser Stadt; man erinnerte sich auf einmal der ungesunden Wohnungen der Armut und zitterte bei der Gewissheit, dass jedes dieser schlechten Viertel ein Zentrum für die Seuche bilden würde, von wo aus sie ihre Verwüstungen nach allen Richtungen in die Wohnsitze der besitzenden Klasse ausbreite“. (Friedrich Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England, 1854)

– Im Neuen Deutschland schreibt Ilkay Çiçek über „Links auf Deutsch, rechts auf Türkisch
Warum hierzulande so viele Progressive den islamischen Konservatismus hofieren.“ Wer Religion hofiert, ist natürlich weder links noch progressiv. Es sagt viel aus über die deutschen Zustände und das weltanschauliche Desaster der hiesigen Linken, wenn das nicht mehr selbstverständlich ist.

Jessica Krug

Jessica Krug ist meine Kronzeugin für die These, dass „Diversity“ ein reaktionärer Scheiß ist und am Ende zu einer „Opferolympiade“ führt. Der Guardian berichtete: „White US professor Jessica Krug admits she has pretended to be Black for years – Jessica Krug, an activist who teaches African American history, writes Medium post apologizing for false identity“. (Der Tagesspiegel hat auch etwas zum Thema.)

Wie ich hier schon schrieb: Tom Wolfe hat das alles schon ironisch und amüsant geschildert – in seinem großartigem Roman Back to Blood.

Interessant auch das öffentlichen „Reue“-Bekunden; das erinnert mich ein wenig an die chinesische Kulturrevolution. Das macht die Sache gleich doppelt peinlich.
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(1) Gendersternchen habe ich entfernt.

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Betr.: Klassenbewusstsein und die statistische Realität

arbeiterklasse
Credits: Wikipedia: Harry Fain, coal loader. Inland Steel Company, Kentucky 1946

In einer Studie aus dem Jahr 1998 über Mitgliedschaft in Parteien sagten 38% der Befragten, dass sie Arbeiter seien. 20 Jahre später sagen das nur noch 9%. Der reale Anteil der Industriearbeiter ist aber weitaus weniger gesunken: 2017 betrug er 17-19% der Bevölkerung.

Heute behaupten 68% der Bevölkerung, sie seien Angestellte. Das sind 27% (!) mehr als 1998.

Vor zwei Jahrzehnten sagten 36% alle Befragten, sie gehörten der Unter- oder unteren Mittelschicht an. Heute behauptet das die Hälfte, obwohl die Gesellschaft mehr gespalten ist als damals. Gegen den Trend ordnen sich also mehr Menschen der Mittelschicht zu.

Auf der anderen Seite definieren sich mehr Menschen als „Oberschicht“ – vor allem bei der FDP. Das Klassenbewusstsein der Oberschicht scheint nicht nur intakt – auch deren Selbstbewusstsein scheint derart gestiegen, dass die Oberen ihre Stellung nicht mehr als „Mitte“ verschleiern und damit die Ungleichheit ganz offen zelebrieren.

1998 waren 22% der SPD-Mitglieder Arbeiter, bei der (damalige) PDS waren es 17%. Heute sind noch mehr Arbeiter in der SPD als die „Linke“ insgesamt Mitglieder hat. „Die PDS und auch die „Linke“ waren nie Arbeiterparteien, sondern hatten nur den Anspruch, es zu sein.“

14% der SPD-Mitglieder ordnen sich subjektiv der Unterschicht zu. Nur bei der „Linken“ sagen das mehr Menschen als früher – 2017 rund ein Drittel.

Bei allen Parteien außer der „Linken“ geht der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder drastisch zurück – auf jetzt durchschnittlich auf rund 20% in allen Parteien bei der CDU in den letzten 20 Jahren um ein Drittel, bei der SPD um ein Viertel.

1998 hatten 54% der Beschäftigten einen Hauptschulabschluss, heute nur noch ein Drittel, bei den Mitgliedern der Parteien und ein Fünftel. Die CSU und die SPD sind 2017 die Parteien mit dem höchsten Anteil an Mitgliedern mit Hauptschulabschluss. Am schwächsten repräsentiert sind die einfachen Bildungsabschüsse bei Grünen (4%), FDP (85) und den „Linken“ (13%). Beim Realschulabschluss liegt die Anteil bei den Grünen, der FDP und den Linken am niedrigsten.

(Janis Ehling; (Linke) Parteien und ihr Klassenbezug 1998-2017, in Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 123, September 2020 Seite 94ff., bei den Zitaten (kursiv) habe ich Gendersternchen usw. entfernt und die Binnen-Großschreibung korrigiert.)

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Unterneger oder: Ortsschilder voller Hass[Update]

unterneger
Es geht natürlich um Fratzenbuch.

[Update] Nach ca. einer Stunde wurde die Sperre aufgehoben. Ich finde aber interessant, dass die offenbar einen Algorithmus habe, der Schriften auf Bildern liest.

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Betr.: Religiotisierung

religion is poison

Wer grün wählt, macht sich mitschuldig, die Religiotisierung der Öffentlichkeit mit vorangetrieben zu haben. Die Grünen fallen sogar noch hinter Kemal Atatürk zurück. #appeasement #hijabisierung

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Alles sicher

security

Security-Treffen: die ehemaligen „Bodyguards“ der Rettungsstelle im Urban-Krankenhaus.

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Lord of the underworld, revisited

catavicatavillallagua boliviallallagua boliviallallagua

Die Bilder wurden 1984 in Llallagua in Bolivien gemacht. Das obige Foto zeigt den Eingang der Zinnmine Catavi-Siglo XX, die meine damalige Freundin und ich besichtigt hatten. Catavi war das größte Bergwerk Lateinamerikas. Die Mine war für Touristen geschlossen, wir hatten uns aber eine Sondergenehmigung der Comibol in La Paz geholt. Das war zu der Zeit weder einfach noch angenehm: Wir, die wir eindeutig als gringos zu erkennen waren, mussten uns den Weg durch eine aufgebrachte Menge von Bergleuten zum Gebäude der Comibol (Corporación Minera de Bolivia) bahnen, die gerade – während des Generalstreiks – die Straße blockierten.

Der Grund, warum man uns nach stundenlangen Verhandlungen den Besuch erlaubte, war vermutlich: Ich kannte schon die Mine in Oruro und stamme aus einer Bergarbeiterfamilie – schon mein Ururgroßvater Wilhem Stöver war Bergmann – und konnte das glaubhaft machen.

Das Städtchen Llallagua ist das „Herz“ der bolivianischen Linken. Die mineros dort waren immer am besten organisiert, linksradikal und revolutionär – inklusive militanter Politsekten – der 1965 „verschwundene“ und ermordete Arbeiterführer Isaac Camacho war zum Beispiel Trotzkist.

Die Zinnbergwerke bei Llallagua gehörten zu den größten und reichsten Erzlagerstätten der Welt, hier gründete der Zinnbaron Simón I. Patiño sein Weltimperium, hier befand sich das größte Bergwerk Lateinamerikas. Nach dem Zusammenbruch des Zinnmarktes in den 1980er Jahren wurden die bolivianischen Bergwerke reprivatisiert und viele nach und nach geschlossen, auch Siglo XX. Heute leben in Siglo XX noch viele Mineros, die auf eigene Faust oder in kleinen Kooperativen in den alten Bergwerksstollen unter miserablen Sicherheitsbedingungen arbeiten oder den Schutt der riesigen Abraumhalden nach Zinnresten durchsuchen.

Aus meinem Reisetagebuch, April 1984:
Als wir in Llallagua ankommen, schüttet es in Strömen und es ist richtig saukalt [Lllallagua liegt 3895 Meter hoch in den Anden.] Dafür ist das alojamiento sehr billig – ist aber auch danach [das kleine Foto unten rechts zeigt den Ausblick von unserem Zimmer]. Ich bin das Scheißen in der Hocke mittlerweile so gewohnt, dass mir saubere Fußtritte und ein einigermaßen großen Loch im Boden fast luxuriös erscheinen.

Llallagua ist mit seinen engen und auf und ab führenden Gassen auch architektonisch ungewöhnlich. Mitten durch den Ort führt eine gewundene Fußgängerzone inklusive eines Marktes bis zu der Plaza del Minero“ Siglo XX“ und dem sozialistisch realen Denkmal eines Arbeiters mit Gewehr und Presslufthammer und einer Tafel, die an die proletarische Revolution erinnert. Das riesige Kino der Gewerkschaft mit Bänken statt Stühlen zeigt Masada – das ziehen wir uns natürlich rein.

Die Atmosphäre ist so, wie ich mir den 20-er Jahre im Ruhrgebiet vorstelle – proletarische Kultur pur. Man tut viel für die Bildung der Arbeiter, und die Straßen der „Vorstadt“ erinnern mich an Altenbögge [ehemaliges Bergarbeiterstädtchen im Ruhrgebiet und Heimat meines Großvaters mütterlicherseits].

Wir sehen an dem Flüsschen [Rio Athata] viele Leute auf eigene Rechnung schuften [unterstes Foto], die nach metallischen Resten suchen. Abends bleibt uns nichts anderes übrig, als die kleine Hauptstraße rauf- und runterzulaufen und abwechselnd Api und dulce zu trinken bzw. zu essen, dazu papas rellenas. Es gibt zum Beispiel eine Spritzmaschine, die einen fertigen Teig in eine Schüssel spritzt, der sich dann zu einer dünnen Wurst formt, die dann zerschnitten und mit Puderzucker bestreut wird. Es laufen jede Menge Männer und Frauen in bunten Ponchos herum, die Männer oft mit bestickten Westen und viele mit Charangos.

Am nächsten Tag zur Mine – erst zur superintendencia, die schickt uns per Schrottbus nach Catavi, dort fragt man lange nach der gerencia, die – welch ein bürokratischer Glücksfall – Montags und Donnerstag geöffnet ist. Dort neue Schreiberei. Wieder zurück zur superintendencia. Dort sagt man uns: Morgen früh um 6.30 Uhr.

Wir schaffen das, weil die Sirene der Mine morgens um fünf laut trötet. Es ist noch ein gutes Dutzend anderer Besucher da – einige Schüler und Studenten, die sich für ein Gruppenfoto positionieren. Ich kriege sogar passende Gummistiefel, dazu Schutzkleidung und Grubenhelm. Wir düsen hinein, zusammengequetscht mit den mineros, und latschen stundenlang durch eisige Stollen mit Pfützen. Zuerst kriegen wir untertage die Kirche, dann den tio mit Riesenpimmel zu Gesicht (leider tut es das Blitzlicht der Kamera nicht). Nur die älteren Bergleute opfern dem tio angeblich noch, sagt man.

Die Abbaumethode ist wie in Oruro: Von unten nach oben wird penetiert, dann gesprengt, und das Zeug poltert durch die vorbereiteten Kanäle nach unten. Es arbeiten immer zwei zusammen. (…)

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1. September 1939

01.09.1030

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Verschwörologie oder: Schatten des Papageis

conspiracy theory

Erst links, dann rechts, aber nie wieder zurück? Und umgekehrt – ist das möglich und glaubwürdig? Ich muss zugeben, dass ich Gestalten wie Horst Mahler oder Jürgen Elsässer nicht wirklich verstehe. Ich sollte aber, da ich nicht nur mehrere Bücher über „Aussteiger“ geschrieben, sondern das Thema, die eigene Ideologie komplett über den Haufen werfen zu müssen, selbst erlebt habe, sogar zwei Mal.

Daher weiß ich, dass man nicht einfach das Gegenteil von dem sagt, was man vorher meinte. Dazu passt mein Hausphilosoph Georg Christoph Lichtenberg, der meine Generalkritik an „Aussteigern“ jedweder Art schon vor rund 250 Jahren exakt formulierte: „Grade das Gegenteil tun ist auch eine Nachahmung, und die Definitionen der Nachahmung müßten von Rechts wegen beides unter sich begreifen.“

Es braucht auch nicht immer eine Art Damaskus-Erlebnis zum Guten oder Bösen. Manchmal ist es einfach, wenn man etwa die „Schwarze Front“ mit den Nationalbolschewisten vergleicht – die Unterschiede sind so „groß“ wie die zwischen der KPD/ML und der KPD/ML-Neue Einheit. Wenn man bedenkt, dass die übergroße Mehrheit der Menschen sich ohnehin den Ideen der jeweiligen peer group opportunistisch anpasst und selbst die merkwürdigsten Wirrungen der Meinungsführer goutiert mitmacht, ahnt man, dass „Weltanschauung“ etwas sehr Labiles sein kann.

Ich habe zwei Thesen – ich nenne die erste das „Papagei-Syndrom„, am besten dargestellt vom – nach eigenen Worten „Gesichtsvermieter“ – Harald Juhnke im Film. Jemand, der etwas gut verkaufen kann, wird von einer rechten Politsekte angeheuert und verschafft denen Publicity, ohne dass der „Verkäufer“ selbst an den Unsinn glaubt, den er predigt. Dann aber gefällt ihm der Beifall des Publikums und er beginnt, wie schon Karl May, sich selbst in der Rolle wohlzufühlen, in sie hineinzuwachsen – ähnlich wie Kagemusha.

Die zweite These bezieht sich auf die hier schon erwähnte kompensatorische Gratifikation: Wer den sozialen Aufstieg plant, durch Ausbildung und das dazu passende internalisierte Verhalten, aber durch die starre Hierarchie einer Gesellschaft daran gehindert wird, also scheitert, wird versuchen, diesen „Aufstieg“ dennoch zu erreichen, indem er sich einer Gruppe anschließt, die vielleicht sozial geächtet ist (ob eine religiöse oder eine politische Sekte macht keinen Unterschied), aber innerhalb der Gruppe oder des Kleinst-Milieus einen „Aufstieg“ ermöglicht oder zumindest verspricht.

Wer eine aus Beton gemeißelte Ideologie vertritt, ist immer versucht, das „Publikum“ zu vergrößern, wenn ihm nach eigener Meinung nicht genug Respekt gezollt wird, dergestalt, dass man den Zuhörern zumindest partiell nach dem Mund redet – und dann immer öfter, bis man endlich bei etwas angelangt ist, was man ursprünglich abgelehnt hätte – aber der Beifall ist einem dann wichtiger – oder das Geld. Wie Franz Josef Strauss gesagt haben soll: „Mit Hilfstruppen darf man nicht zimperlich sein.“

Das Phänomen kennen professionelle Redner (zu denen ich mich, ohne falsche Bescheidenheit, zähle): Man schaut unwillkürlich zu denen, die einen selbst mit Augenkontakt zu bestätigen scheinen, und muss sich zwingen, auch die anderen anzusehen, die vielleicht eher kritisch gesinnt sind und das durch die Körperhaltung demonstrieren.

Aber alles erklärt das nicht. Vielleicht haben solche Leute einfach nur einen Knall und konnten das vorher irgendwie kaschieren.

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Gendern diskriminiert noch schlimmer

gendersprech

Überraschend guter Artikel im Tagesspiegel: „Gendern macht die Diskriminierung nur noch schlimmer. Wer will, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden, der muss sie gleich benennen.“

„Ich gendere nicht, ich möchte nicht gegendert werden, gerade weil ich weiß, wie Diskriminierung sich anfühlt. (…) Während die Deutschen sich für das permanente Benennen von Geschlechterunterschieden entschieden haben, haben die Briten sich entschieden, das Anzeigen von Geschlechtlichkeit so weit wie möglich zu vermeiden.“

Die Autorin vergisst, dass diejenigen, die Gendersprache nutzen, einer rationalen Argumentation nicht zugänglich sind. Außerdem nutzt auch der „Tagesspiegel“ Gendersternchen. Quod erat demonstrandum.

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Huichol

huichol tepic mexico avenida insurgentes

Dieses Foto liegt schon über Jahre in meinem Archiv unbearbeiteter Bilder, und ich rätselte schon öfter herum, wo ich das gemacht haben könnte. Rechts ist ein Indio in Tracht zu sehen. Meine damalige Freundin, mit der ich reiste, war Ethnologin und wusste sofort, um welches Volk es sich handelt. Ich habe jetzt noch mal mein Reisetagebuch von damals durchforstet. Am 6.10.1981 fand ich den Eintrag, dass wir in Tepic waren, auf der Avenida Insurgentes, vermutlich auf dem Weg vom oder zum Busbahnhof (per Google Streetview finde ich das Motiv aber nicht wieder), und einen Huichol gesehen haben – die Tracht könnte stimmen. Das Foto wäre damit ziemlich exotisch.

Ich bin mir nicht ganz sicher. Die nächste Station war übrigens Guadalajara südlich von Tepic. Dort könnten Huichol auch zu finden sein, wenn auch selten. Falls die Schwarmintelligenz des Publikums Einwände hätte, werde ich das überprüfen.

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Helfen Sie Politik und Wirtschaft!

vda broschüre
Screenshots: Jahresbericht 2018 VDA

Wer möchte wissen, wo in naher Zukunft Kriege ausbrechen und geführt werden, wo Invasionen zu erwarten sind, wo rechte Putsche, wo Umstürze von Regierungen? Oder besser: Wer sollte das wissen? Wer denkt, es sei naheliegend, die Geheimdienste zu nennen, irrt. Die handeln im Auftrag. Wer aber beauftragt die Auftraggeber?

Fragen wir doch das Kapital. Das besteht aus diversen Interessengruppen, die untereinander nicht immer einig sind, wie schon in der Weimarerer Republik, die aber immer zusammenhalten – man hat den richtigen Klasseninstinkt -, wenn es um den langfristigen Profit geht. Fragen wir also, wo die Rohstoffe sind, die den Gewinn der Zukunft garantieren.

[In der aktuellen „Konkret“ las ich einen Artikel von Peter Schadt „Ein Blick in Gegenwart und Zukunft der deutschen Automobilindustrie“. Schadt ist Gewerkschaftsfunktionär, argumentiert seriös marxistisch und kennt sich mit der Autoindustrie aus.]

Ich habe mir im Zuge des Quellenstudiums den interessanten Jahresbericht 2018 des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA) durchgelesen (der schon 1901 gegründet wurde, also auch die Zeit des Nationalsozialismus gut überstanden hat). Ab Seite 35 wird es spannend.

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Das ist erfreulich klar und eindeutig.

Kobalt: Die wichtigsten Erzlagerstätten sind in der Demokratischen Republik Kongo und in Sambia, außerdem in Kanada, Marokko, Kuba, Russland, Australien und den USA.
– Die Demokratischen Republik Kongo ist eines der ärmsten und korruptesten Länder der Welt – es herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Invasion oder ein Putsch nicht nötig, korrupte Warlords reichen aus. Sambia enthält „Entwicklungshilfe“ von Deutschland, orientiert sich aber zusehends nach China. (Die Chinesen haben gewöhnlich einen Plan und wissen, was sie tun.)

Lithium: Die größten Lithium-Vorkommen sind im sogenannten „Lithium-Dreieck“ zwischen Bolivien, Argentinien und Chile.
– In Bolivien hat ein rechter Putsch schon stattgefunden, u.a. weil die linke Regierung unter Morales den Lithium-Abbau selbst in die Hand nehmen wollte. Argentinien steht kurz vor dem Staatsbankrott und wird sich jedem Diktat des internationalen Kapitals und des IWF beugen. In Chile ist schon ein neoliberaler Präsident an der Macht, der selbst Milliardär ist, ein Putsch ist nicht mehr nötig.

Nickel: Die wichtigsten Vorkommen finden sich in Kanada (Sudbury-Becken), Neukaledonien, Russland (Norilsk und Halbinsel Kola), Australien (Queensland) und Kuba.
– Kuba ist also in Gefahr wegen der Kobalt- und Lithium-Vorkommen. Das Land wird entweder ausgehungert werden oder sich irgendwann an China wenden – und dafür einen hohen Preis zahlen.

Graphit: Abgebaut wird Graphit vor allem in der Volksrepublik China, Korea, Madagaskar, Simbabwe, Brasilien und Indien.
– Madagaskar ist ein failed state. Die Verschuldung ist mittlerweile bei rund der Hälfte der Wirtschaftsleistung. Simbabwe ist eines der ärmsten Länder der Welt, 2017 gab es einen Militärputsch. Die Junta hat gute und langfristige Verbindungen zu China. (Ceterum censeo: Die Chinesen haben gewöhnlich einen Plan und wissen, was sie tun.)

Seltene Erden: Die größten Vorkommen befinden sich in China in der Inneren Mongolei – China hat fast das Monopol. Das bislang größte bekannte Vorkommen außerhalb Chinas mit mindestens 1,4 Millionen verwertbaren Tonnen ist Mount Weld in West-Australien.

Fazit: Die VR China sitzt am längeren Hebel. Da kann die deutsche Autoindustrie noch und nöcher dazu aufrufen, „Politik und Wirtschaft“ zu helfen – das wird nicht viel nützen. Ich ahne nur, dass die Propaganda in deutschen Medien gegen China genauso zunehmen wird wie der Bedarf der oben erwähnten Rohstoffe.

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El Quemadero oder: Beethoven im Alameda Central

alameda central mexico

Das Beethoven-Denkmal im Park Alameda Central, Mexiko-Stadt. Fotografiert im Oktober 1979. Der Alameda Central ist der älteste Park in der Hauptstadt Mexikos und wurde schon 1592 angelegt. Früher wurden hier „Hexen“ und „Ketzer“ öffentlich verbrannt. Die deutschen Minderheit in Mexiko spendete 1921 das Beethoven-Denkmal.

Aus der Reihe „nützliches Wissen“: Als der mexikanische General Antonio López de Santa Anna 1846 triumphal in Mexiko-Stadt einzog, befahl er, die Brunnen des Parks mit Alkohol zu füllen. Seine Biografie ist typisch für die Politik in Mexiko – bis heute.

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