Ideensteinbrecher

„Der Islam“ ist wie jede Religion der Weltgeschichte kein eigenständig wirkendes Subjekt, sondern ein je nach historischer Konstellation beliebig verwendbarer Ideensteinbruch, ein Sammelsurium verschiedenster Texte, Traditionen und exegetischen Strömungen, die so heterogen sind, dass man sich daraus eine Argumentation für und gegen ungefähr alles basteln kann. (Fabian Lehr)

Das hat wieder nichts mit dem Islam zu tun. Alle haben zum aktuellen Thema schon etwas gesagt, nur ich noch nicht. Es wiederholt sich ohnehin alles. Daher nur Textbausteine, die dem Publikum bekannt erscheinen werden.

Der Attentäter von Wien gehört der albanischen Minderheit in Nordmazedonien an. Er stammte er aus dem Dorf Celopek nahe der Stadt Tetovo. Das Gebiet ist nahezu ausschließlich von ethnischen Albanern bewohnt. Diese Minderheit bildet etwa 25 Prozent der Bevölkerung des Landes und bekennt sich größtenteils zum Islam.

Man könnte bei Stichwort „Islam“ wieder Gilles Kepel heranziehen: „Das Schwarzbuch des Dschihad – Aufstieg und Niedergang des Islamismus“ oder „Die Rache Gottes“ – Standardwerke zu den radikalen Auswüchsen der monotheistischen Religionen. Kepel behauptet sinngemäß, der Terror sei immer ein Zeichen dafür, dass die ursprüngliche Idee sich nicht hat verwirklichen lassen, was, wenn wir ihm glauben, auch für die deutsche RAF zutraf, die erst dann aktiv wurde, als klar wurde, dass die in der Theorie erwünschte und prognostizierte Revolution nicht kommen würde. Osama bin Laden war für Kepel die „medienwirksamste Form“ des Scheiterns der „salafistisch-dschihadistischen“ Bewegung.

Im Januar diesen Jahres schrieb ich: Zum Thema muss man nur eine Presseerklärung der Aleviten lesen (nicht mehr online, von 2009): „Die Dominanz und das Selbstbewusstsein, mit dem der politische Islam in Deutschland eine Form der Religiösität in den Mittelpunkt der Gesellschaft rückt, der in seiner Ausprägung mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist, verängstigt nicht nur alevitische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland zunehmend. (…) Dieses Urteil (das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29.09.2009 (AZ.: VG 3 A 984.07), wonach einem muslimischen Schüler das Recht eingeräumt wurde, einmal täglich sein Gebet in der Schule verrichten zu dürfen) ist die Fortführung einer befremdlichen Tradition der deutschen Justiz. Das betäubungslose Schächten von Tieren, die Teilnahme am Schwimmunterricht im Burkini, Kinder die Jihad heißen sowie Frauen, die mit Verweis auf die Scharia keine Härtefallscheidung von prügelnden muslimischen Ehemännern bekommen. All das hat den Segen der freiheitlich demokratischen Justiz in Deutschland. Dieses Maß an Liberalität bei Entscheidungen deutscher Gerichte in Bezug auf den Islam vermissen wir in Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit z.B. in ausländer- und asylrechtlichen Entscheidungen“.

Man könnte auch etwas fordern, wie etwa Ulf Poschardt (hinter der Paywall der „Welt“):„Moscheen, in denen der Hass auf Christen, Juden, Homosexuelle, Frauen, Nichtgläubige gepredigt wird, müssen umgehend geschlossen werden, eingeflogene Imame, die so predigen, müssen ausgewiesen werden. Die Finanzierung der Moscheen muss transparent gemacht werden. Wer sich von undurchsichtigen Verbänden finanzieren lässt, darf nicht eine Moschee auf deutschem Boden betreiben.“

Ich war in meiner Studentenzeit Abonnent der „Peking Rundschau“, bin daher ideologisch verblendet und sympathisiere immer zuerst mit chinesischen Methoden.




Harte Linie und die ersten Maßnahmen

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Die grüne Partei ist, was ihre Führung angeht, also Habeck, Frau Baerbock, vor allen Dingen auch Frau Göring-Eckardt, das ist eine neokonservative Partei, das muss man wissen. (Gerhard Sch.)

Ja, meine Rede, aber die „Linke“ hat das noch nicht gemerkt. Sie sollte ideologisch auf Distanz gehen.

Was Sahra Wagenknecht sagt, ist auch nicht neu: „Statt um soziale Ungleichheit, Armutslöhne und niedrige Renten drehen sich linke Debatten heute oft um Sprachsensibilitäten, Gendersternchen und Lifestyle-Fragen. (…) Von Arbeitern und Arbeitslosen werden linke Parteien kaum noch gewählt.“

[Passiv ist schwerer zu verstehen als aktives Tun. Als Linkspopulist und Sprachspartaner empfehle ich: Arbeiter (sic) und Arbeitslose wählen heute kaum noch linke Parteien.]

Es sei auch nicht rechts, anzusprechen, dass es kaum möglich sei, eine Schulklasse zu unterrichten, in der über die Hälfte der Kinder kein Deutsch spricht, „oder dass wir auch in Deutschland ein Problem mit dem radikalen Islamismus haben“. Wenn Linke das alles ausblenden, müsse man sich nicht wundern, dass viele Bürger zur AfD überlaufen.“

Was tun? Ich fürchte, „Die Linke“ ist nur noch durch einen parteiinternen Putsch vom Weg in den Abgrund aufzuhalten. Wäre ich 20 Jahre jünger und Mitglied, böte ich mich als Strippenzieher an – eine Frau müsste aber die Revolte führen.

Erste Maßnahme: Das Wort „Klima“ wird gestrichen. Klima, Öko, Bio gehören nicht zur corporate identity einer linken Partei Das ist kleinbürgerlicher Lifestyle und Feuilleton. Man kann sich um die verirrten Seelen, die nur das wichtig finden, kümmern, aber dieses Thema gehört nicht vorn in die Agenda. (Das Wort „nachhaltig“ wird auch verboten.)

„Eine sozial gerechte Energiewende und ökologische Produktion ist dringend notwendig.“ „Sozial gerecht“ im Kapitalismus? Das ist reformistischer, ja reaktionärer Unfug und mitnichten „links“. Da erwarte ich doch gleich „gerechte Löhne“ und „gerechten Handel“. Es kommt aber noch schlimmer: Die „Linke“ kämpft „für faire Produktionsverhältnisse“. Habt ihr noch alle Tassen im Schrank? Euch sollte man ein in Schweinsleder gebundenes „Kommunistisches Manifest“ um die Ohren hauen, am besten die Prachtausgabe mit Metallbeschlägen. Klassenkampf! Und am besten so unfair wie möglich gegen das Kapital!

Das Gesagte gilt auch für „Flüchtlinge“. Schon der Begriff zeigt die suggestive und die hierzulande paternalistisch gemeinte Absicht. Das Wort „Einwanderer“ hört sich für die urbanen Mittelschichten offenbar viel zu einfach an, wäre aber ehrlicher, weil man sich nicht erdreisten sollte, aus der bloßen Tatsache, dass jemand irgendwie nach Deutschland kommt, auf die Motive schließen zu können. Viele flüchten unstrittig vor dem Elend und den Kriegen, darunter sind aber auch Glücksritter, religiöse Fanatiker, Kriminelle und andere Gestalten, mit denen man nicht ernsthaft etwas zu tun haben möchte. Wenn man sich die Sprechblasen und mantraförmigen Textbausteine der „Linken“ ansieht, könnte man meinen, Einwanderer seien ihnen wichtiger als das Elend in deutschen Pflegeheimen.

„Wir fordern ein Bleiberecht für alle Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, spätestens, wenn sie fünf Jahren in Deutschland leben.“ Damit kann man beim Pfarrer punkten, und gut gemeint ist es wohl, aber so sollte man das nicht verkaufen. In Deutschland gibt es 187.000 Menschen, die ausreisen sollen, das aber nicht tun (können). Für die möchte die „Linke“ ein Bleiberecht? Oder was? Nicht? Dann sagt es genauer. Oder haltet einfach das Maul bei diesem Thema. Als Linker kann man dazu ohnehin nichts Vernünftiges sagen oder nur moralinsauer herumschwallen. Das würde niemand übelnehmen.

Ich habe kein Problem damit, beim Thema „innere Sicherheit“ eine harte Linie zu fordern von der linken Partei, die ich wählen würde. Mehr Mittel und höhere Löhne für die Polizei: bin ich dabei. Es gibt ähnliche viele „linke“ Polizisten wie in der Gesamtbevölkerung. Wenn die Bewerber aber der Abschaum sind, weil kaum noch jemand einen Beruf wählt, der stressig ist und mies bezahlt wird, kann auch eine Ausbildung nichts daran ändern, dass sich bei der Polizei Leute tummeln, die dort nichts zu suchen haben.

[Tagtraum: Wenn es eine Revolution gegeben hätte (wie in Griechenland, als ein Linksbündnis plötzlich und unerwartet die Macht errang), würde ich zuerst die Polizei und das Militär auf meine Seite ziehen und denen notfalls das Blaue vom Himmel versprechen. Besuch bei der GSG 9 mit Fototermin und Pralinen. Wäre auch eine hübsche Botschaft an die Feinde. Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen, sagte mal jemand. Dann würde ich eine Nachtsitzung mit dem Bundesverfassungsgericht ansetzen und versichern, dass das Grundgesetz unverändert gälte, aber bekanntlich den Kapitalismus nicht vorschreibe. Am frühen Morgen würde ich alle Banken besetzen lassen. Mehr braucht man nicht, um zu gewinnen. Tagtraum Ende.]




Arminius turbator Germaniae

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M(arco) Caelio T(iti) f(ilio) Lem(onia tribu) Bon(onia)
[I] o(rdini) leg(ionis) XIIX ann(orum) LIII s(emissis)
[ce]cidit bello Variano ossa
[i]nferre licebit P(ublius) Caelius T(iti) f(ilius)
Lem(onia tribu) frater fecit

Barbaren“ auf Netflix ist eine Seifenoper in pseudohistorischen Kostümen und (für mich) nicht sehr spannend. Sechs Folgen à 50 Minuten. „Gucken Sie das bloß nicht“ sage ich jedoch nicht. Ich habe immer gern Historien-Schinken konsumiert, wenn sie nicht allzu albern waren.

Das ist kein Vorwurf an die Macher Barbara Eder und Steve Saint Leger. Niemand hat behauptet, dass es sich um ein Dokumentarfilm handele, genausowenig wie Pearl Habor einer ist. Fantasy ist es aber auch nicht – es fehlen die Drachen und die Quoten-NegerAfrogermanen, die man heutzutage bei Massenware erwarten muss. Sex habe ich bisher nicht viel gesehen, auch kein Lotterleben der Römer.

Gewalt: Klar, das macht den Reiz aus, aber wirklich grausam ist „Barbaren“ nicht, sondern eher kindertauglich. Gut, ein bisschen weniger kindertauglicher als die Schlägereien von Bud Spencer, eher in Richtung 300, wo man zwar Blut spritzen sieht, aber keine Eingeweide.

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Arminius turbator Germaniae, Segestes parari rebellionem saepe alias et supremo convivio, post quod in arma itum, aperuit suasitque Varo, ut se et Arminium et ceteros proceres vinciret: nihil ausuram plebem principibus amotis; atque ipsi tempus fore, quo crimina et innoxios discerneret.

Die gute Nachricht: Das Thema – der Krieg der Römer gegen die „Germanen und die so genannte Varusschlacht ist spannend, leider aber schon historisch vergiftet, weil durch den deutschen Nationalismus in der Geschichte bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. Andererseits gibt es kaum verlässliche und authentische Quellen. Tacitus schrieb seine Annalen ein Jahrhundert nach den Ereignissen, sein Werk ist so historisch „korrekt“, als schilderte ich ich Ersten Weltkrieg und hätte nur den Großen Brockhaus und Ernst Jünger als Quellen.

Alle Rezensenten erwähnen selbstredend, dass die Römer in „Barbaren“ Lateinisch mit starkem italienischen Akzent sprechen. Warum sprechen aber die „Germanen“ dann nicht Althochdeutsch? Einer der Autoren sagt: „Wir wollten so verstärken, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer die germanischen Stämme, und nicht — wie sonst — die Römer sympathischer finden. Das ist ein klares Alleinstellungsmerkmal der Show. Wir möchten die Geschichte aus Sicht der „Barbaren“ erzählen — deshalb heißt die Serie ja auch so.“

Das ist natürlich Quatsch. Die Sprache der Darsteller klingt wie eine Mischung aus Schulhofdeutsch und manchmal Österreichisch, man erwartet fast schon Pseudo-Jugendsprache wie „klar, Alter!“ oder „Voll krass die Römer!“ (Ich glaube nicht, dass die Cherusker an Wort „Arschloch“ kannten.) Die FAZ stellt zu Recht fest: „Wer „Vikings“ oder „Game of Thrones“ schätzt, wird sich hier nicht fremd fühlen, aber wohl über die schlichte Dramaturgie und die noch viel schlichteren Dialoge seufzen.“

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Arminium super insitam violentiam rapta uxor, subiectus servitio uxoris uterus vaecordem agebant; volitabatque per Cheruscos arma in Segestem, arma in Caesarem poscens.

Ich halte es ohnehin für unmöglich, einen Film zu machen, der das römische Weltreich oder die tribalistische organisierten Bauernn und die Warlords der „Germanen“ auch nur annähernd authentisch beschreibt – bis auf die Kleidung. Immerhin sind die Netflix-Germanen nicht immer ungekämmte Langhaarige wie in den meisten Filmen, was historisch nicht korrekt ist, sondern man sieht sogar manchmal den Suebenknoten. Bis jetzt wurde ich auch nicht mit Rasta-Look oder lächerliche Hipster-Seitenscheitel-Rasuren wie in „Vikings“ gequält. Aber darauf kommt es nicht wirklich an. Man sollte nicht vergessen, dass alle Reaktionen, Gefühle, Ideen historisch gewachsen sind, über Jahrhunderte. Den „Gefühlshaushalt“ eines Menschen in „Germanien“ vor zwei Jahrtausenden kann man nicht nachvollziehen. Es fehlte zum Beispiel jegliche Affektkontrolle im heutigen Sinn. Über die Motive des Handelns sollte man daher nicht spekulieren. Die „psychologischen“ Gründe des Arminius, wie sie „Barbaren“ konstruiert, sind schlicht Fantasy.

Die Figur des Segestes finde ich am Interessantesten. Mich wundert nicht, dass er der „Bösewicht“ spielen muss, mit dem man sich nicht identifiziert. Vermutlich ist das aber grundfalsch – als erklärte man den Hagen von Tronje im Nibelungenlied zum bad guy. Das ist er auch nicht, sondern genau das Gegenteil – die damalige Moral der herrschenden Feudalklasse zum Maßstab genommen. Segestes war vermutlich ein Opportunist, der aber die Situation mit klarem Verstand sah (wenn man sich das Ergebnis seines Tuns ansieht) und der demgemäß – zu seinem eigenen Vorteil natürlich – handelte. Ich sehe eher wie Hegel im Römischen Weltreich den Weltgeist, also den „Fortschritt“, ungeachtet der unstrittigen Tatsache, dass die römischen Legionen in Germanien permanent Massen- und Völkermord begingen. Die Germanen hätten das auch getan, hätten sie die technischen Mittel dazu gehabt.

Segestes ist ein Vertreter der sich formenden herrschenden Klasse der ursprünglichen germanischen Stammesgesellschaft. Die Konflikte, die sich daraus ergeben, sind spannend. Was wäre aus den Germanen geworden, wenn die Römer das Land bis zur Elbe besetzt hätten? Wären öffentliche Bäder und Fußbodenheizungen, die es zur damaligen Zeit schon im heutigen Syrien gab, zum Standard geworden? Oder umgekehrt? Wenn die Römer Germanien gar nicht interessiert hätte?

Ach, jetzt habe ich die Frauen vergessen. Ich bin aber ein Kerl und kann mich mit Frauen in Filmen ohnehin nicht identifizieren.




Gute Besserung, Mama!

friedel

Meine Mutter (*04.12.1925) ca. 1929 oder 1930 mit zwei Tanten (deren Namen ich vergessen habe).

To whom it may concern: Meine Mutter ist wenige Tage vor dem Tod meines Vaters schwer gestürzt und wurde per Feuerwehr in die Rettungsstelle des AVK gebracht. Dort diagnostizierte man ein Blutgerinnsel im Gehirn. Eine Operation in dem Alter lehnen Mediziner ab. Es war ziemlich dramatisch: Sie war halbseitig gelähmt und konnte nicht mehr sprechen.

Ihr Zustand besserte sich soweit, dass sie ein anderes Krankenhaus zur Rehabilitation verlegt wurde. Es war ein Auf und Ab – manchmal konnte sie wieder einigermaßen reden, später sprach sie gar nicht mehr und schien verwirrt. Am Wochenende ist natürlich in deutschen Krankenhäusern nur ein Arzt für alle da – und gerade dann wäre mehr Personal nötig, wenn etwas passiert. Ich habe einmal den Chef vom Dienst gerufen, weil ich die Abläufe ein bisschen kenne und weiß, auf welchen „Knopf“ man drücken muss. Bestimmtes, aber höfliches Auftreten hilft manchmal – man darf nur nie nachlassen und man muss dem überlasteten Personal deutlich machen, dass man sich nicht abwimmeln lässt. Der Arzt führte in meinem Beisein ein paar Tests durch und versicherte, es sei nicht gefährlich und sie reagiere zufriedenstellend – außer dem Sprechen.

In den letzten Tagen wurde es wieder schlechter, und jetzt kommt auch noch das Besuchsverbot dazu. „Ausnahmen können bei Kindern und Schwerstkranken vereinbart werden. Bitte sprechen Sie dafür mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt“ heißt es bei Vivantes. Ärzte waren nur selten zu erreichen, eine exakte Diagnose, wenn denn nur vorliege, bekamen wir nicht. Auch schien es so, dass man meinte, unsere Mutter fiele nicht in die Kategorie „schwerstkrank“.

Ich bin in solchen Fällen für den sofortigen Einsatz der Kavallerie, ohne lange hin- und her zu diskutieren. Meine „kleine“ Schwester ist Schuldirektorin und ähnlich veranlagt. Ich konsultierte eine Anwältin und was man so macht in der Waffenkammer. Sehr hilfreich ist die Berliner Patientenbeauftragte Karin Stötzner, die und deren Mitarbeiter ich hiermit in den allerhöchsten Tönen lobe: Man war nicht nur freundlich, sondern auch kompetent. Das ist in Berliner Verwaltungen nicht selbstverständlich. Dort bekamen wir die richtigen Tipps.

Und siehe da: Die Chefärztin der Station, wo unsere Mutter gerade behandelt wird, erteilte eine „Ausnahmegenehmigung“. Unsere Mutter darf besucht werden. Ihr Zustand scheint sich auch zu bessern, sehr langsam, wie in dem Alter nicht anders zu erwarten. Zur Zeit gehen wir davon aus, dass sie im November wieder nach Hause kann.




Apokalyptisches

Vongozero

Die Russen haben die ultimative Pandemie-Seite gedreht: Vongozero – Flucht zum See. Der Plot stammt aus dem gleichnamigen Roman (2011) der russischen Schriftstellerin Yana Wagner. (Interessant, dass ihre Bücher bei Amazon erhältlich sind, es aber weder einen deutschen noch englischen Wikipedia-Eintrag über sie gibt. Das ist vermutlich eine Empfehlung. Leider gibt es neben den russischen nur englische und französische Ausgaben der Thriller.)

Genderpolitisch geht es gleich typisch russisch, das heißt inkorrekt zur Sache. Die Frauen zu Beginn sind unerträgliche Zicken, intrigant, boshaft und irrational, so wie kein deutscher Krimi sich trauen würde, das zu beschreiben. Typisch russisch ist auch der Charakter des neureichen Dumpfbacken, der aussieht wie ein dummer Bauernknecht, aber Geld wie Heu hat und sich eine Geliebte hält, die er aus einer Bar weggeholt hat.

Den Hauptdarsteller Kirill Käro (kein deutscher Wikipedia-Eintrag – er ist Este) kennen wir schon aus Better than us. Seine Rolle in Vongozero ist ähnlich: Er muss die Familie zusammenhalten, und die Frauen, vor allem seine Ex-Frauen, werfen ihm ständig Knüppel zwischen die Füße.

Ich habe nur die erste Folge gesehen, aber ich wette, es werden auch weder Schwule noch Lesben auftauchen. Ich wage die Serie zu empfehlen. Der Plot ist interessant, natürlich aktuell, und das Ambiente ist anders als in US-amerikanischen Standard-Produktionen.

debian
13.02.2003: Auf meine Rechner kommt Debian.

Was haben wir noch? Heise: „Der Bundesrat stimmte einem Gesetz zu, dass [sic] unter anderem Massenabmahnungen den Boden entziehen soll.“ – „Wenn sich eine Abmahnung als ungerechtfertigt herausstellt oder die nötigen Informationen fehlen, können Betroffene vom Abmahner eine Erstattung ihrer Kosten fordern. Das soll Massen-Abmahnungen als Geschäftsmodell den Boden entziehen.“ Mal sehen, ob das wirklich hilft, zum Beispiel beim Thema Webinar, und ob auch Privatpersonen geschützt werden.

Der Tagesspiegel: „Wie Deutschland Antisemitismus mitfinanziert. Palästinensische Kinder lernen in ihren Büchern – mitbezahlt von Deutschland -, Juden zu hassen.“

Das korrupte Pack, das sich Autonomiebehörde nennt, kriegt also „erhebliche Gelder“ der deutschen Steuerzahler, um den Terror gegen Israel schon bei Kindern weltanschaulich zu fördern. die Welt wies schon vor zwei Jahren drauf hin: „Eine Studie zeigt das System von Zahlungen der Palästinensischen Autonomiebehörde an Attentäter und deren Familien. Auch Deutschland und die EU zahlen Geld an die Autonomiebehörde.“ Ändern wird sich natürlich nichts.




Kurt Waldemar Schröder *16.10.1927 †03.10.2020

kurt schröder
Eintrag im Kirchenbuch der Evangelischen Kirche Holzwickede

Ein Nachruf auf meinen Vater

kurt schröder

Mein Vater ist gestern um ca. 19.30 Uhr friedlich eingeschlafen. Er hat einen Nachruf verdient wie jeder andere „wichtige“ Mensch auch. Man könnte einwenden, ein Nachruf sei entweder etwas sehr Privates, und die Details, womöglich negative, interessierten nur die engsten Freunde und Verwandten, oder seien zu öffentlich, als dass man Dinge erwarten könne, die wirklich etwas aussagen und nicht nur an der sichtbaren Fassade hafteten. Das Leben meines Vaters ist jedoch exemplarisch für eine Generation, deren Erfahrungen für uns – nur eine Generation später – Äonen weit weg zu sein scheinen. Können wir, kann ich das verstehen?

Mein Verhältnis zu meinem Vater war schwierig und kompliziert: Wir konnten uns nicht sehr nahekommen, weil unsere Ansichten zu weit auseinander lagen und nichts das hätte ändern können. Aber je älter ich wurde, um so mehr begriff ich, wie er seine Zuneigung ohne Worte äußerte – auf eine Art, die ich früher nicht verstand, und schon gar nicht als Jugendlicher. Ich hatte vielleicht auf Worte gehofft, aber er konnte das nicht so, wie ich es erwartete – dafür machte er es mit Gesten. Wir handeln und sprechen im Rahmen dessen, was uns möglich ist, was uns begrenzt, auch in den Gefühlen – aber dennoch haben wir alle ähnliche Emotionen, die, wenn wir sie auf unsere gelernte Art äußern, für andere vielleicht erst „übersetzt“ werden müssen.

Mein Vater hat in seinem Leben, außer in der Schulzeit und Jugendzeit, nur ein einziges Buch gelesen – die für ihn heilige Schrift – die Lutherbibel Version 1884. Er war zu jung, um Soldat im 2. Weltkrieg zu werden – das ist mein Glück, sonst hätte es mich vielleicht nicht gegeben. Er war auch nicht alt genug, um zu begreifen, was in der Zeit, die ihn prägte, politisch geschah.

Meine Versuche in den sechziger Jahren, über die Zeit des Faschismus zu reden, scheiterten allesamt. Mein Vater hätte vermutlich auch nicht viel sagen können. Für ihn galt die Devise aus Römer 13, Vers 1: Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Ich fand das abscheulich. Ich wollte die Welt verändern, und lebe, vermutlich heute auch noch, nach dem Motto, dass mich jedwede Obrigkeiten kreuzweise können und dass Religionen allesamt bekämpft werden sollten. Obrigkeitshörigkeit ist für mich ein schlimmes Schimpfwort.

Für Politik interessierte er sich nicht. Ich vermutete damals, dass meine Mutter recht hatte, wenn sie behauptete, mein Vater würde auf Wahlzettel einen Satz aus der Bibel schreiben – Jesaja 41. Vers 24: Siehe, ihr seid aus nichts, und euer Tun ist auch aus nichts; und euch wählen ist ein Greuel. Heute muss ich schmunzeln, wie sich meine Meinung dem angenähert hat, aber natürlich aus anderen Gründen.

kurt schröder
Meine Vater mit seiner älteren Schwester, vermutlich 1929 oder 1930, Holzwickede

Mein Vater wurde evangelisch getauft, eine Tatsache, mit der ich ihn noch vor wenigen Jahren, als ich nach einiger Recherche im betreffenden Kirchenbuch fündig geworden war, aufzog: Er war neuapostolisch und alle andere Religionen waren „Feindsender“. Mein Großvater hatte gelehrt, mich auch, dass insbesondere die Katholiken die große Hure Babylons der heutigen Zeit seien. Die Protestanten waren fast genauso schlimm, vor allem weil sie seinem Glauben so ähnlich waren. Mein Vater hat nie eine „fremde“ Kirche betreten, noch nicht einmal eine leere, etwa im Urlaub, um sie zu besichtigen – alles Teufelswerk, um wahre Gläubige zu verwirren. Auch das bringt mich heute zum Lachen, weil ich das manchmal exakt so handhabe – ich würde nie eine neuapostolische Kirche mehr betreten, vielleicht nur auf die Fußmatte spucken. Da kommt wieder Lichtenberg ins Spiel: Grade das Gegenteil tun, heißt auch nachahmen, es heißt nämlich, das Gegenteil nachahmen.

kurt schröder
Sonntagsschule der Neuapostolischen Kirche Holzwickede, vermutlich 1933 oder 1934. Mein Vater steht in der mittleren Reihe, 2. von rechts. Rechts oben mein Großvater Hugo, der damals schon Prediger war, obwohl er erst 1933 zur NAK konvertierte. Die Laienprediger der Neuapostolischen hatten und haben keinerlei theologische Ausbildung.

Was lernt man als Kind, wenn in den Schulen nur Nationalsozialismus gelehrt wird und man gleichzeitig durch eine fundamentalistische christliche Sekte geprägt wird? Zum Glück war mein Großvater, ein Bauernjunge aus Westpreußen und als Bergmann im Ruhrgebiet Kommunist, bis er fromm wurde, gegen Hitler – für ihn war die Religion wichtiger. Meinem Vater verbot er den Besuch einer Adolf-Hitler-Schule, obwohl die Schulleitung das empfohlen hatte. weil der kleine Kurt einer der besten Schüler sei. „Dann hätte ich keinen Sohn mehr“, ist als Zitat meines Opas überliefert, eine Einsicht, die heute noch meinen Respekt fordert.

kurt schröder
Mein Vater 1934 als Schüler, Holzwickede

Meine Familie war immer aufstiegsorientiert. So weit man sich erinnern konnte, gab es unter den Vorfahren, den Verwandten und Freunden ausschließlich Bauern, Arbeiter und kleine Angestellte. Man hatte es „geschafft“, wenn man Beamter wurde – auf der sicheren Seite war. Künstler und ähnlich windige Existenzen waren nicht vorgesehen. Als ich meinen Eltern erklärte, dass ich den Lehrerberuf aufgeben und Journalist werden, womöglich Bücher schreiben wolle, war mein Vater entsetzt – er konnte das nicht verstehen. Er hat mich aber nicht versucht davon abzuhalten, was nicht möglich gewesen wäre, weil ich genau so stur wie er bin, und respektierte mich damit, was ich erst sehr spät verstanden habe.

Jahre später, als mein Vater aufgefordert wurde, schriftlich zu der damals seltenen Tatsache Stellung zu nehmen, warum ich den Kriegsdienst verweigerte, antwortete er sinngemäß: Man hielte mich, seinen Sohn, für in der Lage, entscheiden zu können, Soldat zu werden, und das müsse dann doch auch für das Gegenteil gelten – eben das nicht zu tun?

Dieses Glück hatte mein Vater nicht. Noch während seiner Zeit am Gymnasium wurde er als Luftwaffenhelfer abkommandiert: Luftwaffenhelfer hatten nicht den Status von Soldaten. Sie erfüllten zwar wie Soldaten Aufgaben an Geschützen und Geräten und lebten in den Flakstellungen wie sie, waren jedoch gleichzeitig Schüler, die von Lehrern unterrichtet wurden. Offiziell galten sie als Mitglieder der Hitlerjugend, was ihnen oft missfiel. (…) Freiwillige Meldungen waren nicht möglich, die Schüler wurden klassenweise und innerhalb der Schulklassen jahrgangsweise zum Einsatz abgeordnet. Mein Vater musste nach Köthen in Sachsen-Anhalt.

kurt schröder
Mein Vater als Luftwaffenhelfer in Köthen, 1943 und 1944

Als der Krieg vorbei war, ging es nur um’s Überleben. Das Abitur hatte mein Vater verpasst. Der einträglichste Beruf war Bergmann – das lernte er, wie sein Vater. Handwerkliches hat ihm immer Spaß gemacht. Ja, er war berühmt dafür! Als ich im zweiten Schuljahr war, sollten die Schüler ein Papiermodell ihrer Wohnung oder ihres Hauses basteln und mitbringen. Mein Vater baute ein kleines Modell unseres vierstöckigen Wohnhauses, mit maßstabsgetreuem Grundriss und Wänden aus Pappe und vier entnehmbaren Etagen, ein kleines Wunderwerk, an das ich mich noch heute erinnern kann – und daran, dass die Lehrer und anderen Schüler ehrfürchtig staunten und es kaum zu berühren wagten. (Ich darf darauf hinweisen, dass alle, die das von mir gebaute Hochbett in meinem Gästezimmer sehen, ehrfürchtig staunen.)

Mein Vater hat bis ins hohe Alter mir immer Werkzeug geschenkt oder etwas für mich gebaut, Schränke oder die Anrichte, die noch heute in meiner Küche steht, die er noch mit knapp 80 Jahren zu meiner Hochzeit gebastelt hatte – natürlich in Perfektion. Sein Maßstab, alles müsse perfekt sein, hat mich manchmal zum Wahnsinn gebracht. Als ich als Junge meinen Koffer packte, für ein paar Tage im Schullandheim, machte er den wieder auf und packte alles neu, aber jetzt so, dass man ihn schließen konnte. Damals war ich genervt, heute muss ich mich zurückhalten, wenn ich in einer ähnlichen Situation bin. Ich neige dazu, alles besser zu wissen und zu können als andere – und das denen auch zu sagen und zu zeigen. Damit macht man sich nicht unbedingt beliebt.

kurt schröder
Mein Vater (rechts) als Laienprediger („Priester„), Anfang der 50-er Jahre. In der Mitte mein Großonkel Otto Mey, der damalige „Vorsteher“ der neuapostolischen Gemeinde Holzwickede. Ich mochte „Onkel Otto“: Der war ein sehr kleiner Mann, aber trat um so energischer auf. Im 1. Weltkrieg hatte er eine Medaille für große Tapferkeit bekommen, weil er allein 17 Franzosen gefangen genommen hatte. Er erzählte bei Familientreffen Geschichten aus Ostpreußen, wie er den Teufel „ausgetrickst“ hätte und wie man gemeinsam in Opherdicke dafür gesorgt habe, dass ein Selbstmörder nicht mehr in einem Haus spukte und mehr in der Art. Das war spannender als jeder Horrorfilm. Otto war für meinen Vater eine wichtige und prägende Figur.

Wir erzieht man Kinder, wenn man durch Nazis zum „kulturellen“ Nazi erzogen wird? Man Vater hatte gelernt, man müsse zunächst den eigenen Willen von Kindern brechen, um sie dann erziehen zu können. Etwas anderes kannte er nicht, und so praktizierte er es an mir. War mein „Konto“ an Missetaten „voll“, prügelte er mich mit einem Stock. Das war schlimmer als ein spontaner Ausraster – kalt und berechnend. Später hat er das bitter bereut, schämte sich aber so sehr, dass er mir das selbst nicht sagen konnte, sondern meine Mutter bat, das für ihn zu tun. Ich war zu jung und damals zu wenig in der Lage, meine Emotionen ausdrücken zu können, um ihm zu sagen, dass ich seine Entschuldigung akzeptiert hatte.

kurt schröder
Mein Vater und ich, ca. 1956 oder 1957, im Sauerland in der Nähe der Daubermühle

Als ich auf ein Gymnasium geschickt werden sollte, protestierte mein Großvater – das würde meinen Glauben zerstören. Meine Eltern setzten sich durch, wofür ich ihnen dankbar bin. Die Religion war in den folgenden Jahrzehnten ein großes Hindernis, über mehr als Smalltalk hinauszukommen – ich war mit 20 aus der NAK ausgetreten und zu feige, das meinem Vater ins Gesicht zu sagen. Er wusste es aber von meiner Mutter. Als ich meine Staatsexamenarbeit mit Bestnote machte und sie stolz meinen Eltern präsentierte, sagte mein Vater nichts. Meine Mutter beichtete mir später, mein Vater habe nicht begriffen, was das sollte und es „Geschwätz“ genannt.

Auf seine Art war er der zuverlässigste Mensch, den ich kannte. Wenn er ankündigte, etwas zu tun, dann geschah das auch – ohne Wenn und Aber. Keine Kompromisse! Man zieht eine Sache, von der man überzeugt ist, durch oder lässt es ganz, auch wenn alle ringsum empört aufheulen – eine Haltung, die mir heute sehr bekannt vorkommt. Von meinem Vater habe ich unbewusst gelernt, wie man den inneren Schweinehund besiegt und der öffentlichen Druck aushält. Mit 16 oder 17 Jahren „musste“ ich oft an einem Tag in der Woche mit ihm zusammen „Zeugnis bringen“ – das heißt: Man geht kurz nach der „Tagesschau“ raus (wir besaßen keinen Fernseher) und klingelt bei wildfremden Leuten, die erstaunt die Tür öffnen, und fragt sie, ob man mit ihnen über Gott reden könne. Das muss man sich als Jugendlicher erst einmal trauen. Ich erinnere mich immer an Jack Londons Abenteuer eines Tramps, ein Buch, das ich als Junge begeistert gelesen habe: Ein Tramp, der bettelt, muss, wenn sich eine Tür öffnet, in weniger als einer Sekunde zu dem Gesicht, was erscheint, die „passende“ Geschichte erfinden, um etwa zu bekommen. Man lernt, sich „volkstümlich“ auszudrücken.

kurt schröder
Ich besuche meinen Vater in der Klinik, 2015

Bis ins Greisenalter fuhr mein Vater noch Auto und mich sogar manchmal zur Nachtschicht, wenn ich vorher meine Eltern besucht hatte. Wir versuchten ihm klarzumachen, dass er die Poller vor dem Supermarkt nicht unbegrenzt oft umfahren könne, und was wäre, wenn ein Kind vor den Wagen liefe? Irgendwann schlossen wir dann einen Kompromiss. Wir nahmen ihm das Auto weg, aber er durfte seinen Führerschein behalten. Ich war mit meinem Vater einmal in einem Autoladen, um einen Leasing-Vertrag abzuschließen oder zu verlängern, und der Kerl hinter der Theke hielte den Führerschein meines Vaters wie eine ägyptische Schriftrolle in der Hand und wusste nicht, was das für ein exotischer Lappen war. Mein Vater hat auch nie einen Unfall gebaut, dazu war er viel zu korrekt und pflichtbewusst. Wir spotteten immer, er würde auch in der Wüste Sahara vor einer roten Ampel anhalten, selbst wenn 300 Kilometer ringsum niemand sei. So war er eben, und er hatte nie die Absicht, daran was zu ändern.

Im Alter von 88 sprang er dann dem Tod von der Schippe. In einer Nacht sackte er schreiend zusammen, und meine Mutter rief die Feuerwehr. In der Klinik stellte man ein Aorta-Aneurysma fest, eine geplatzte Bauchschlagader. In dem Alter ist das ein Todesurteil. Aber nicht bei meinem Vater. Der operierende Chirurg sagte mir am nächsten Morgen, ein Aneurysma der Aorta überlebe man nur, wenn man sofort auf den Operationstisch springe. „Wir glaubten nicht ihn durchzubringen.“ Mein Vater war aber noch mit Blaulicht durch halb Berlin gefahren worden. Als er auf der Trage lag und am nächsten Tag auf die Intensivstation gefahren wurde, winkte mein Vater mir zu. Das medizinische Personal machte große Augen oder schüttelte den Kopf. Ich hätte ihnen am liebsten gesagt: Mein Papa ist stur und zieht das jetzt durch, ob das jemandem gefällt oder glaubt oder nicht. Die Rehabilitationmaßnahmen dauerten drei Monate. Er bekam einen künstlichen Darmausgang und einen Herzschrittmacher.

kurt schröder
Zu seinem neunzigsten Geburtstag bekam mein Vater von seinem ersten Urenkelkind ein Blümchen geschenkt.

Irgendwann ging es nicht mehr. Meine Mutter ist ein Jahr älter als mein Vater und konnte ihn nicht mehr pflegen. Immer wenn das Thema aufkam, wurde mein Vater extrem ängstlich und fing laut an zu weinen. Wir waren froh, dass er einen klaren Kopf behielt, nur der Körper verfiel zusehends. Vor wenigen Monaten war ein schönes Pflegeheim ganz in der Nähe der Wohnung meiner Eltern gefunden.

Aber schon nach wenigen Wochen aß mein Vater nichts mehr. Sogar der Fernseher, das einzige „Vergnügen“ neben den Besuchen der Kinder, interessierte ihn nicht mehr. Noch vor zwei Wochen konnte meine Mutter ihn noch einmal besuchen. Es war für sie ein Abschied – so hat sie es empfunden. Bei meinem letzten Besuch, als er noch flüstern konnte, sagte er mir: „Das ist alles so unwirklich.“

Gestern (am 3. Oktober) rief man uns an, wir sollten bitte so schnell wie möglich kommen: Die Rasselatmung habe eingesetzt. Er öffnete nicht mehr die Augen und reagierte nicht spürbar und lag friedlich mit den Händen auf dem Bauch. Wenige Stunden später war er tot.

Papa, ich habe mehr von dir gelernt und übernommen, als du dir je zu träumen gewagt hast. Neben mir steht seine Armbanduhr, die ich von seinem kalten Arm nahm. Sie läuft noch.

Nachtrag: Meine Mutter (94) liegt nach einem schweren Sturz auf den Kopf im Krankenhaus. Sie konnte weder sprechen noch schlucken und war halbseitig gelähmt, ein Blutgerinnsel im Kopf drückt auf das Gehirn. Laut ihrer Patientenverfügung verboten wir alle Maßnahmen wie künstliche Ernährung per Magensonde. Wir wussten nicht, wer von unseren Eltern eher sterben würde, meine Mutter oder mein Vater. Als ich sie besuchte, konnte sie nur einzelne Wörter mühsam flüstern. Heute, zwei Tage später, rief mich meine Schwester an: „Mama kann wieder schlucken. Die Lähmung geht zurück. Sie schimpft auf die Krankenschwestern, die ihr nicht das richtige Mineralwasser bringen.“ Vielleicht werden sich Ehepaare, die siebzig Jahre verheiratet waren, irgendwann immer ähnlicher.




Shtisel, du Stiesel!

shtisel

Manche Filme beschreibt man am besten dadurch, dass man aufzählt, was nicht darin vorkommt. Von Shtisel (Netflix) habe ich jetzt beide Staffeln angeschaut. No sex please, we are Haredim. Keine Küsse, noch nicht einmal Händchenhalten, keine Gewalt, keine Politik, kein Terror der „Palästinenser“, keine Merkavas, keine sichtbaren langen Haare bei Frauen, keine emanzipierten Frauen, keine Bikinis, keine Schwulen, keine Lesben. Ist das noch das reale Leben in Israel? Oder ist Shtisel einfach nur eine soap opera à la Bollywood, aber in einem – auch visuell – „exotischen“ Ambiente, das sich vom Rest der Welt abschottet, vergleichbar mit den Amischen oder Jehovas Zeugen?

Mir fiel es teilweise schwer, die Episoden anzuschauen – und das ist vermutlich rein gar nicht für das hier lesende Publikum repräsentativ. Das lag zum einen an den durchweg hervorragenden Schauspielern, die in ihre Rolle so überzeugten, dass ich sie manchmal am liebsten angeschrien oder geschüttelt hätte: Wie könnt ihr nur so bescheuert sein? Zum anderen kam mir manches „unheimlich“ bekannt vor, dass ich mich einerseits gruselte, andererseits vor Wut kochte. (Wir hatten das hier schon ausführlich.)

Ich stimme Dorothee Krings zu, die in der Rheinischen Post rezensiert: „Shtisel“ ist in erster Linie eine Familienserie mit starken, ambivalenten, wahrhaftigen Charakteren. Es geht um Liebe, Kindererziehung, die Erwartungen der Alten, um den Tod. Es geht um Tradition und zaghaftes Aufbegehren, um Menschen, die einander Leid zufügen, weil sie es gut meinen, um Zuneigung und Zusammenhalt. Das Drehbuch von Yehonatan Indursky ist mit Witz, Wärme und großer Menschenkennerschaft geschrieben, und obwohl es oft um Klischees geht, sind die Dialoge nie plump. Das ist intelligente Unterhaltung, die die wahren Konflikte um die ultraorthodoxe Minderheit in Israel ausblendet, aber wahrhaftig von den universellen Konflikten in Familien erzählt.

Ja, ich musste manchmal auch herzlich lachen und oft schmunzeln. Die Ultraorthodoxen aus Ge’ula sind natürlich zerstritten, wenn es um religiöse Themen geht. Spöttische Bemerkungen fallen über die messianischen Chabad Lubawitscher, und man erinnert sich sofort an die Volkfront von Judäa.

Weltliche Israelis und Juden sind „Zionisten“, die man verachtet. Die Schüler einer Jeschiwa müssen (im Film) auch in weltlichen Feiertagen des Staates Israels lernen, aber heimlich schauen sie dann doch aus dem Fenster, um eine Flugshow zu sehen.

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Hanna Rieber als Großmutter Malka Shtisel

Die Großmutter des Helden lebt im Heim und schaut Liebesfilme, obwohl das „verboten“ ist – die Dialoge zwischen den tüddeligen Damen auf Jiddisch sind zum Kaputtlachen (mit Untertiteln schauen! Überragend ist auch Ruth Geller als Rebetzen Erblich).

The Atlantic über das Sprachwirrwarr: As Shayna Weiss, the associate director of the Schusterman Center for Israel Studies at Brandeis University, has noted, the older characters in Shtisel—Shulem; his misanthropic brother, Nukhem (Sasson Gabai); and his riotously funny mother (Hanna Rieber in the first season and Leah Koenig in the second)—generally speak to one another in Yiddish. The younger characters speak mostly in Hebrew. But even haredi Hebrew is distinct. It includes Yiddish expressions, and many haredim use Ashkenazi (European) pronunciations that differ from the Sephardic (Middle Eastern) pronunciations that are normative in modern Hebrew. If that’s not complicated enough, the characters sometimes employ religious terms drawn from Aramaic.

shtisel
Nela Riskin

Die Frauen in Shtisel haben ein interessante Rolle: Sie sind einerseits total unterwürfig, also rein gar nicht emanzipiert im heutigen Sinn, andererseits sind sie „lebenstüchtiger“ als die meisten Männer, was in den Ehen dazu führt, dass sie letztlich bestimmen, wo es langgeht. Ein Paradebeispiel ist Nela Riskin als „Giti Weiss“: Die Frau bzw. ihr Verhalten brachte mich zu Kochen, und ich musste mich selbst immer wieder daran erinnern, dass es nur ihre Rolle war. Die Frauen sind oft „reaktionärer“ als ihre Männer und achten mehr darauf, dass auch die – für uns – lächerlichen Regeln eingehalten werden. Das gilt auch für Shira Haas (die Hautdarstellerin von Unorthodox). Wenn man die fast ausnahmslos sehr schönen Schauspielerinnen „normal“ sieht und dann in ihrer verhuschten Rolle als unattraktive orthodoxe Jüdin, kann man kaum glauben, dass es dieselben Personen sind.

In Deutschland könnte so eine Serie nicht gedreht werden. Hier wäre die Angst viel zu groß, in irgendwelche Fettnäpfchen zu treten oder politisch „inkorrekt“ zu sein. Sieht nicht Sasson Gabai als Nuchem Shtisel aus wie der „ewige Jude“ aus irgendeinem antisemitischen Propagandafilm? Und verhält er sich in seiner misanthropischen feilschenden Geldgier nicht genauso so wie man das aus den gängigen Vorurteilen kennt? Deutsche Filmemacher würden sich das nicht trauen, aber ich wette, dass Ori Elon und Yehonatan Indursky genau wussten, was sie taten. Wahrscheinlich haben sie gegrinst. Ich glaube auch nicht, dass die Serie im deutschen TV zu Prime Time gezeigt werden wird, dazu sind die alle in den Anstalten viel zu feige. Und erst das Frauenbild! Denkt jemand an die Kinder? Und gar nichts gegendert, kein cis, kein trans, kein Quotenneger?? Darf man das überhaupt zeigen?

Die Serie soll jetzt USA adapiert werde. Dadurch kann sie nur schlechter werden – wie schon bei Hatufim und der US-amerikanischen Variante Homeland.

Fazit: Sehenswert, aber um eines höheren Wesens willen nicht synchronisiert!




Unter Samariter*_/:Innen

religon

Bei Bibelzitaten höre ich immer genau hin. Das Werk konnte ich einigermaßen auswendig, da ich von Kindesbeinen an knappe zwei Jahrzehnte jeden Tag, manchmal stundenlang, damit bombardiert wurde. Ich erkühne mich zu behaupten, dass ich die Bibel ähnlich virtuos zitieren kann wie ein orthodoxer Rabbi den Tanach.

Katrin Göring-Eckardt ist eine Funktionärin der Grünen, „engagiert“ in der Evangelischen Kirche und bezeichnet sich selbst als fromm. Sie fördert daher, was typisch für die Grünen ist, den Religiotismus und die Religioten unter anderem dergestalt, dass sie unschuldige Kinder mit Aberglauben und frommen Märchen zwangsweise belästigen will.

Jetzt sagte sie dem ZDF in einem lächerlichen, auf jede Tränendrüse drückenden Beitrag: Deshalb nochmal besonders in die Ohren von ‚Christ‘-Demokraten gesprochen: Der barmherzige Samariter, der hat auch seinen Mantel geteilt und nicht erst gewartet, bis irgendjemand gekommen ist und gesagt hat: Ich wäre auch noch bereit.

Ich habe schnell in meine Fachliteratur geschaut. Die gute Nachricht: Sie hat nicht behauptet, dass die Samariter Mitglieder des Arbeiter-Samariter-Bundes waren. Die Samariter hießen auch gar nicht so, sondern Samaritaner (das nur im Besserwisser- und Korintherkacker-Modus).

Die schlechte Nachricht ist, dass bei ihr ein paar Laternen durcheinandergekommen sind. Oder waren es die Martinsgänsemäntel?

Das kommt davon, wenn man das Theologie-Studium – was auch für Grüne nicht untypisch ist – abbricht.




Bunt oder: Unter dem Banner des José Gabriel Condorcanqui Noguera

crime index immigrants denmark

In (oder sagt man „auf“?) einem so genannten sozialen Medium schrob ich: „Was spricht dagegen, die erfolgreiche Politik der dänischen Sozialdemokraten zu übernehmen? Im politischen Diskurs in Schweden war es bis jetzt tabu, über den Zusammenhang zwischen der ethnischen Zugehörigkeit und der Häufigkeit von Verbrechen zu sprechen. In Dänemark ist das anders.

Bevor jetzt einige Schnappatmung bekommen [das war an das Fratzenbuch-Publikum gerichtet – die hiesige Leserschaft ist bekanntlich abgebrühter]: Ihr könnt mich gern shitstormen, aber mir macht das nichts. Ich shitstorme notfalls zurück. Mir sind Argumente lieber als Gefühlsduselei und moralisierendes Getue.“

Ich habe mir mal einige Fakten angesehen. Leider geht Deutschland bei diesem Thema begrifflich einen Sonderweg. Ausländerkriminalität ist nicht nur ein falsches Wort, sondern führt auch in die Irre. Einwanderer sind mitnichten immer „Ausländer“. In Deutschland war das Staatsangehörigkeitsrecht lange Zeit so verstaubt und antiquiert, dass Einwanderer oft rechtlich „Ausländer“ blieben, obwohl schon ihre Großeltern in Deutschland lebten. Wer sich über Kriminalität und Immigration informiert, muss die zweite und dritte Generation (immigrants offspring, vgl. Tabelle oben) einbeziehen – und die sind jetzt schon oft deutsche Staatsbürger – wie die berüchtigten arabischen Großfamilien.

Sind Einwanderer immer „krimineller“? (Die Goten im römischen Reich lassen wir mal weg.) Auch hier wird es kompliziert und ist je nach Land unterschiedlich.

Contrary to popular perceptions that immigration increases crime, the research literature demonstrates that immigration generally serves a protective function, reducing crimeaccordng to science. Das meint die USA, und die sind als klassisches Einwanderungsland anders als wir. „Integration“ bedeutet dort nicht, irgendetwas „Kulturelles“ zu übernehmen (von wem?), sondern sich mit der neuen Heimat politisch zu identifizieren. (Symbolisch: Hand aufs Herz bei der Nationalhymne oder zurückkehrende Soldaten mit „thank you for your service“ zu begrüßen). Die obige These stimmt also so nicht unbedingt für europäische Länder.

Einige Zitate aus einem Artikel der „Welt“ (Paywall) mit dem suggestiven Titel „Dänemarks knallharter Weg gegen Bandenkriminalität“:
Tatsächlich werden Gangverbrechen dort besonders hart bestraft, und Personen, die im Verdacht stehen, Mitglied einer Bande zu sein, häufig kontrolliert. –
In der Einleitung eines entsprechenden Papiers heißt es, viele Migranten fügten sich gut in die dänische Kultur ein, zu viele mit nicht westlichem Hintergrund täten dies aber nicht. Bis Ende des Jahrzehnts sollen, so sieht es die Initiative vor, sozioökonomisch schwache Wohngegenden mit hoher Kriminalitätsrate, in denen viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, abgeschafft werden. –
Um solche Wohngegenden zu integrieren, sollen beispielsweise Kinder ab dem ersten Lebensjahr mindestens 25 Stunden pro Woche die Kita besuchen, um die dänische Sprache und Kultur zu erlernen. Ansonsten drohen ihren Eltern Sozialkürzungen. –
Ein weiterer Punkt, der als umstritten gilt, sind die 2019 eingeführten sogenannten Strafzonen. Danach führen Gewaltverbrechen, die in designierten Gebieten begangen werden, pauschal zu doppelt so hohen Strafen. Der Gangbezug, der für die Höhe des Strafmaßes ausschlaggebend ist, wird also über den Ort der Tat hergestellt. –
Ende der 2000er-Jahre erstarkten Gangs, deren Mitglieder einen kulturellen Hintergrund aus Somalia, dem ehemaligen Jugoslawien, Maghreb oder dem Mittleren Osten hatten. –
Im Jahr 2009 konnten Gewaltverbrechen mit Gangbezug erstmals mit doppelt so langer Haft bestraft werden wie jene ohne einen solchen Kontext. Hinzu kamen fünf Jahre später Investitionen in Aussteigerprogramme und schließlich 2017 noch strengere Strafen bei Verstößen gegen das Waffengesetz. –
Grundsätzlich wird begrüßt, dass es in Dänemark und nun auch in Schweden Veränderungen in der Gesetzgebung gibt. Es werde überhaupt erst in der Rechtsprechung berücksichtigt, ob Verbrechen im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität stehen, während sie zuvor lange Zeit behandelt wurden, als wären sie von Individuen begangen worden. In Dänemark jedenfalls ist die Zahl registrierter Bandenmitglieder zwischen 2011 bis 2019 laut Polizeistatistik um 40 Prozent gesunken.

Ich habe nichts gegen diese Maßnahmen. Gar nichts zu tun wie hier und immer nur „bunt“ oder „Vielfalt“ daherzubeten ist auf jeden Fall die falsche Lösung. Ich würde auch arabische, türkische oder tschetschenische Familien, deren Mitglieder überproportional kriminell sind, als „Gangs“ definieren und wie in Dänemark dementsprechend härter bestrafen. Was spräche dagegen?

immigrants sexual offences finland

Man muss natürlich das Kleingedruckte lesen. Warum sind in der Schweiz Tamilen strafrechtlich auffälliger als Ex-Jugoslawen? In England und Wales sind Jugendliche mit karibischen Wurzeln häufiger kriminell als ihre Altersgenossen aus Pakistan, Indien oder Bangladesh, obwohl deren soziale Lage oft noch schlechter ist. Warum? Wundert es, dass Afghanen und Somalier in Finnland überproportional durch Sexualdelikte auffallen? Könnte das mit der Stellung der Frau und der Religion in den jeweiligen Ländern zu tun haben? Warum sind in Japan kriminelle Einwanderer fast immer Chinesen?

Meine These: Wir könnten es schaffen, auch bei zwei Millionen Einwanderern, wenn Gesetzesverstöße konsequent geahndet würden, wenn die Verwaltung so arbeiten würde, wie man es in einem zivilisierten Land erwarten darf, wenn Ghettos verhindert würden, indem man Miethaie, die Einwanderer bis aufs Blut ausnehmen, sofort enteignete und und und. Leider sind vernünftige Vorschläge von niemandem zu erwarten, von den rechten Kanaillen sowieso nicht und auch nicht von den Linken.

Ich bin übrigens – um das Maß vollzumachen – auch dafür, die Polizei besser auszustatten. Es ist alles eine Frage der politischen Kontrolle. Die Politik gibt vor, die Polizei führt nur aus. (Unter uns – bitte nicht weitersagen: Man kann „rechts“ reden und nach links marschieren, das merkt keiner. Es kommt nur auf das Ergebnis an.)




Betr.: Moria

welt über Moria
„Tränendrüsenberichterstattung“ deutscher Medien – Symbolbild

Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von mir? Ich schlage vor, dass nur die wohlwollenden Stammleser und die geneigten Stammleserinnen den folgenden Beitrag lesen. Alle anderen können das sowieso nicht vertragen.

Als Linker kann man zum Thema Flüchtlinge und Einwanderer überhaupt nichts Vernünftiges von sich geben. Das hatten wir hier schon vor drei Jahren: „Rechte Politiker schüren die Angst vor Migration und schlagen vor, die Leute mit Zäunen und Waffen fernzuhalten. Linke Politiker schüren die Angst meist auch und versprechen weniger Migration durch Entwicklungshilfe. Beide haben kein Interesse zu erzählen, was wahr ist: Es gibt keine Zweifel an der afrikanischen Wanderungswelle in den kommenden Jahrzehnten.“ (Michael A. Clemens, Ökonom und Migrationsforscher aus den USA in Spiegel online)

Mit „nichts Vernünftiges“ meine ich: Nationalstaaten und Grenzen gibt es, und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Also müsste man die Perspektive der herrschenden Klasse einnehmen, weil „staatliche Interessen“ genau die sind und nichts anderes. Auch Nation ist ein politisches Konzept – und ich bin sowieso dabei immer dagegen. Dazu habe ich keine Lust. Ich halte es mit dem österreichischen Schriftsteller Heimito von Doderer: „Nationalismus: Daß ich zum Beispiel Österreicher bin, ist mir auch mit einer Fülle widerwärtiger Individuen gemeinsam, so daß ich es mir verbitten möchte, lediglich mit Hilfe dieses Begriffs bestimmt zu werden.”

Oder man fängt an zu moralisieren, womit Politik ohnehin nicht zu machen ist, und drückt auf die Tränendrüsen. Das aber ist schlimmer, ja bösartige Heuchelei: 2019 gab es weltweit fast 80 Millionen Flüchtlinge. Welche und wieviele davon lassen „wir“ nach Deutschland? Es kann mir doch niemand erzählen, dass die Lager woanders besser sind als in Griechenland?! Die Flüchtlinge in Libyen sind nicht viel weiter weg als die in Griechenland. Warum regen sich alle so auf?

Gibt es eine Art Bambi-Effekt bei humanitären Katastrophen? Wer wagt noch Einwände zu erheben, wenn weinende Kinder gezeigt werden? Was wäre, wenn man nur männliche Kriminelle und Glücksritter, die auch dabei sind, zeigte – abgelehnte Asylbewerber etwa aus Afghanistan, am besten noch mit Taliban-Blick? Nein? Die will man nicht sehen? Wenn die Medien mehr oder minder zufällig darüber berichten und das Elend sichtbar machen, wollen alle alle herholen, am liebsten „unbegleitete Minderjährige“ (die nur mit „unbegleitete Säuglinge“ zu toppen wären) Die aber, von denen man nichts weiß, kümmert die moralisierenden Gutmenschen einen Scheiß.

Jeder weiß doch, dass die paar Menschen leicht hergeholt und auch untergebracht werden könnten; ein Fußballstadion voll – das ist nichts. Ich könnte bei der allgemeinen Heuchelei sowohl von der Rechten als auch von der Linken nur kotzen. Waffen an die Türkei zu liefern ist bekanntlich kein Problem, obwohl Erdogan an der Misere der Gestrandeten in Griechenland mit schuld ist.

Ich muss zugeben – und das ist zum Glück nur eine Hypothese: Wäre ich Regierungschef in Deutschland, ich würde die Menschen aus Moria nicht nach Deutschland holen. Warum sollte man das tun? Weil das moralisch geboten ist? Da muss ich lachen. Moralisch geboten ist vieles. Ich weiß gar nicht, womit ich dabei anfangen sollte.

Ich habe noch ein starkes „Argument“. Als Vertreter des revolutionären Arbeiter- und Bauernrates der herrschenden Klasse würde ich die Einwanderungspolitik Israels übernehmen – über die die üblichen Verdächtigen natürlich jammern. Nur so aus Daffke gesagt.




Schon wieder und unter anderem: Schöne Menschen mit Menstruationshintergrund

bone hunter

Wenn Konzerne wie Netflix oder Amazon mein Medienverhalten kennen, was Filme angeht, dürfen die wohlwollenden Leser und geneigten Leser das natürlich auch. Die Agorithmen, die mir etwas vorschlagen, sind einigermaßen gut, aber bei meinen erratischen Interessen und Sehgewohnheiten natürlich meistens überfordert. Jüngst hatte ich das überraschende Problem, dass ich nichts Sehenswertes auf Netflix mehr fand und daher auf Uralt-Produkte wie den Bone Hunter zurückgreifen musste. Denzel Washington geht immer, auch wenn der die ganze Zeit nur herumliegt und betonähnliche Sätze auf Horoskop-Niveau sagen muss. Angelina Jolie finde ich, was ihr Gesicht angeht, zu unnatürlich, ja eher Zombie-haft attraktiv. Eine ganz normale Polizistin passt einfach nicht für sie. Comic-Strip-Figur käme besser. Tomb Raider war daher ihre Paraderolle. Science Fiction ginge für Jolie auch, aber Jessica Matten finde ich hübscher. Tribal wird aber weder von Netflix noch von Amazon gestreamt und steht noch auf meiner To-Watch-Liste. Von Agelina Jolie hätte ich aber gern die Schreibmaschine.

Zappen wir weiter. Centurion kannte ich schon. Ich hielt ihn nur eine halbe Stunde aus. Ohnehin hatte ich den Film nur wegen Olga Kurylenko und ihrem Lächeln ausgewählt, obwohl sie dort überhaupt nie lächelt, sondern so viele verschiedene Gesichtsausdrücke zeigt wie Clint Eastwood. „Die Römer bei den Pikten“ wurde in Adler der neunten Legion besser abgehandelt. Der letztere Film hat nur wenig mit der Historie zu tun hat, und der Schluss ist so bekloppt und realistisch ist wie der Angriff der Killertomaten.


netflix

Offenbar werden nur noch Kinderfilme gedreht und immer nach einem ähnlichen Muster. Zum Beispiel: Eine gender- und diversity-ausgewogene Jugendgruppe gerät irgendwo hin und muss ums Überleben kämpfen. Oder Mädchen haben keinen Sex, aber sehen gut aus wie in Warrior Nun. „Kriegernonne“ ist so bescheuert, dass der Inhalt noch nicht mal als C-Movie durchginge. Alba Baptista scheint zwar klug und sehr sprachbegabt zu sein, aber als Schauspielerin wäre Lolita für sie die passende Rolle. Dann doch lieber gleich ganz politisch unkorrekt gucken.

Away wurde mir vorgeschlagen, vermutlich weil ich Star Trek Enterprise durchzappte, um zu sehen, ob T’Pol vielleicht irgendwann doch einmal etwas Durchsichtiges trägt. Auch unerträglich: Das Sci-Fi-Szenario ist nur ein Vorwand, um den üblichen Kleinfamilien-Kitsch lang und länger auszubreiten. Ich kann es nicht ertragen, spannend ist die Serie auch nicht, sondern mit der Drehbuch-Nudelrolle so platt und dünn gewalzt wie es nur irgend geht. „Away“ funktionierte auch, wenn die Heldin LKW-Fahrerin wäre. Die Heldin finde ich zu allem Überfluss auch noch unattraktiv. Übler Trash.

Official Secrets: Keira Knightley kann man immer eine Weile ansehen, aber nicht einen ganzen träge dahinfließenden Plot lang. Ich habe es nur 20 Minuten geschafft. Der Film sollte aber Pflichtprogramm für die sein, die Trump-Witze machen oder, noch dämlicher, sich darüber aufregen, dass Politiker lügen. Was ist mit `George Dabbelju Busch oder Tony Blair? Kann man dort im Original verfolgen.

Ich will nicht nur nörgeln. Gridlocked ist solide Herumballerei à la Van Damme, old school action, der Plot nach dem Motto: Junger Schnösel wird durch alten Kerl zum Mann gemacht, also etwas für Sean Connery, der sich so etwas aber natürlich nicht mehr antun muss. (Hey, IMHO nutzt Dominic Purcell Krav Maga – mir kamen einige schmutzige Tricks bekannt vor.)

Meine wärmste Empfehlung gilt Shtisel – gefällt mir wesentlich besser als Unorthodox. (Weiß jemand, ob Stiesel jiddischen Ursprungs ist?)




Etappensieg der Religioten

exorzist

Auf welcher Gesetzestafel steht: Die heiligen Gefühle der Theisten müssen respektiert werden, die heiligen Gefühle der A-Theisten aber nicht? (Ludwig Marcuse, dt. Philosoph, 1894-1971)

Die aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts gegen das Berliner Neutralitätsgesetz ist selbstredend eine Katastrophe, obwohl der Gang zum Bundesverfassungsgericht noch aussteht. Interessant ist aber die Satz im Urteil: „… [Das] Berliner Neutralitätsgesetz ist in diesen Fällen daher verfassungskonform dahin auszulegen, dass das Verbot des Tragens eines sog. islamischen Kopftuchs nur im Fall einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gilt. Eine solche konkrete Gefahr für diese Schutzgüter hat das beklagte Land indes nicht dargetan.“

Das hätte man also tun können und sollen. Das Bundesarbeitsgericht weist auch darauf hin, dass die EU-Richtlinie 2000/78/EG vom November 2000 maßgebend ist und in nationales Recht umgesetzt wurde.

Dann gibt es im Urteil noch eine Ohrfeige für den Berliner Gesetzgeber: „Mit den Ausnahmeregelungen in den §§ 3 und 4 Berliner Neutralitätsgesetz stellt der Berliner Gesetzgeber sein dem § 2 Berliner Neutralitätsgesetz zugrundeliegendes Regelungskonzept selbst in Frage.“

Diejenigen, die das Neutralitätsgesetz formulierten, haben sich das jetzige Urteil also selbst zuzuschreiben – dort steht: „Die oberste Dienstbehörde kann (…) Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die weltanschaulich-religiöse Neutralität der öffentlichen Schulen gegenüber Schülerinnen und Schülern nicht in Frage gestellt und der Schulfrieden nicht gefährdet oder gestört wird.“ Ohne die Ausnahmen des Gesetzes hätte das Urteil also auch anders ausfallen können. Dumm gelaufen oder: Einmal mit Profis arbeiten.

Man muss hoffen, dass genug Eltern diejenigen Schulen boykottieren, die Lehrerinnen unterrichten lassen, die meinen, man müsse die lieben Kleinen mit religiösen Symbolen belästigen. Ich möchte sehen, was unsere Appeasement-Politiker der „Linken“ sagen, wenn es in einer Schule in Neukölln Randale und Mobbing gibt, wenn ein Lehrer mit einer Kippa arabische Kinder unterrichten will.

„Deutschland muss es endlich schaffen, zu einer multireligiösen Gesellschaft zu werden – geprägt von gegenseitiger Toleranz.“. Mitnichten, Katrin Elger vom „Spiegel“! Deutschland muss es endlich schaffen, zu einer säkularen Gesellschaft zu werden, in der die Verehrung höherer Wesen genauso lächerlich ist wie heute der Glaube an Gespenster und Globuli.




Taraskischer Froschhügel oder: Archäologie des Befindens II

Guanajuato

Guanajuato, Mexiko (1979)

Fortsetzung meines Reisetagebuchs, 1979:
… Guadalajara ist die zweitgrößte Stadt Mexikos und hat zwei Millionen Einwohner. Wir werden vor dem Bahnhof von einem Typen angequatscht, der uns das Hotel Leon an der Plaza Indepediente [vielleicht die Plaza Independencia, oder es ist das heutige Hotel Léon an der Calz Independencia Sur gemeint] empfiehlt. 160 Pesos mit Bad. Abends gehen wir essen. Carne asado [gebratenes Fleisch] ist fürchterlich scharf, dazu schrecklich laute Orgelspieler, aber gutes Bier. Die Stadt ist sehr lebhaft. Wir treffen oder sehen keine anderen Touristen. [Fotos von Guadalajara habe ich 1982 gemacht, etwa von der Kathedrale oder der Universität.]

02.10. Bus über Leon nach Guanajuato. 2000 Meter hoch gelegen. Das Mumien-Museum ist ziemlich schrecklich. Viele Elendsviertel ringsum. Die Universität hat keine Mensa, die Studenten alle sehr jung. In der Stadt viele hübsche, enge, gepflegte Gassen. Keine Obdachlosen auf den Straßen.

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Falls hier doch einige der Nachgeborenen mitlesen: Es ist ein ganz anderes Gefühl, Fotos zu machen, wenn man nur über ein begrenztes Kontingent verfügt. In vor-digitalen Zeiten musste man sich schon genau überlegen, was und wie oft man fotografiert. Wenn man am Anfang einer sehr langen Reise – bei mir war es drei Mal mehr als ein halbes Jahr – viel knipst, dann hat man am Ende keine Bilder mehr übrig, obwohl die Motive vielleicht viel besser sind. Dias konnte ich nicht nachkaufen. Wie viele Fotos also plant man im voraus für sechs Monate? Und wie plant man das überhaupt?

In Guanajuato – Taraskisch: „Froschhügel“ – war ich zum ersten Mal in Lateinamerika „angekommen“. Die Stadt ist außerordentlich schön [u.a. Teatro Juárez de Guanajuato – Video, sehr interessant, in Spanisch, Foto des Theaters unten], ich kann mich erinnern, dass ich begeistert drauflos geknipst habe. Ich kann bei einigen Bildern aber nur ahnen, warum ich die Motive wählte: Auf dem Bild, das meinen Reisebegleiter zeit, wie er eine Straße entlanggeht, sitzt im Schatten eine Bettlerin – vielleicht sah ich zum ersten Mal so etwas? Ich hatte damals auch keine Ahnung, was es mit den Purépecha auf sich hat oder wer Nuño Beltrán de Guzmán war. So unvorbereitet wie 1979 bin ich später nie mehr gereist. „Richtig“ reisen muss man lernen.

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04.10. Besichtigen Kirche Valenciana – ein Prunkkasten.[Catedral Basílica Colegiata de Ntra. Sra. de GuanajuatoGoogle Streetview – wenn ich gewusst hätte, dass es vierzig Jahre später noch immer keine guten und frei verfügbaren Fotos vom Inneren der Kirche gibt, hätte ich eines gemacht. Vermutlich habe ich sogar eines, aber ich kann es nicht identifizieren, weil die Bilder vom Interieur irgendwelcher Kirchen oft von sehr schlechter Qualität, weil ohne Bitz gemacht worden sind.]

Schwätzen mit Schulkindern, die uns ihre Schulbücher zeigen. Geschichtliche Abrisse scheinen besser als die in der BRD zu sein (Stichwort „Kapitalismus“). Danach schauen wir uns die Mine Valenciana an. Der Förderturm sehr altertümlich, einfahren kann man nicht. Quatschen mit einem herumlungernden Jungen, der zeigt uns die Kristall- und Mineralausstellung, die eigentlich nicht geöffnet ist, und schenkt uns zwei Minerale.

teatro juaréz guanajuatoLa Valenciana

Ein Antiquitätengeschäft verkauft Porzellan von Villeroy und Boch. Ich spiele in dem Laden Klavier (deutsche Marke aus Hamburg). Ziemlich gutes Essen in winziger Kneipe, wo sie das Bier für uns erst beim Nachbarn kaufen müssen. Abends gibt es einen Umzug und Maskerade. Kriegen aber nicht raus, was das Ganze soll. [Vermutlich eine Veranstaltung des Festival Cervantino] Dann Kino. Es läuft Edgar Wallace mit Horst Tappert.

05.10 Um 4.30 Uhr morgens Ankunft in Mexiko Stadt.





Der N. hat Zigeunersoße gesagt und vieles mehr

Arpad

Ich bin dem verehrten Publikum noch eine mehrtägige Nachlese von Links und Leseempfehlungen schuldig.

– Der Zentralrat der Sinti und Roma erläutert, was „Zigeuner“ bedeutet:
„Zigeuner“ ist eine von Klischees überlagerte Fremdbezeichnung der Mehrheitsgesellschaft, die von den meisten Angehörigen der Minderheit als diskriminierend abgelehnt wird – so haben sich die Sinti und Roma nämlich niemals selbst genannt. (…) Außerhalb des deutschen Sprachkreises wird „Roma“ – oder einfach „Rom“ (das bedeutet „Mensch“) – auch als Sammelname für die gesamte Minderheit verwendet. In Deutschland bilden Sinti seit jeher die größte Gruppe, daher wird hier die Bezeichnung „Sinti und Roma“ bevorzugt. (…) Die Bezeichnung „Zigeuner“ hingegen ist untrennbar verbunden mit rassistischen Zuschreibungen, die sich, über Jahrhunderte reproduziert, zu einem geschlossenen und aggressiven Feindbild verdichtet haben, das tief im kollektiven Bewusstsein verwurzelt ist. Ab dem 16. Jahrhundert setzte sich in Deutschland die (irrige) Auffassung durch, „Zigeuner“ sei abgeleitet von „Ziehgauner“. Auch in einem der ersten Lexikonartikel zum Stichwort „Zigeuner“, 1848 im Brockhaus erschienen, wird dieser Zusammenhang explizit hergestellt. Dort findet man die ganze Palette negativer Stereotypen über unsere Minderheit aufgelistet, bis hin zu der Behauptung, „Zigeuner“ würden Kinder stehlen. Noch in der 2. Auflage des Dudens sinn- und sachverwandter Wörter aus dem Jahr 1986 wird unter dem Stichwort „Zigeuner“ auf die Begriffe „Abschaum“ und „Vagabund“ verwiesen.

Das ist für mich überzeugend, einige Dinge waren mir nicht so klar. Sinti und Roma sind übrigens, wie hier mehrfach erwähnt, neben Friesen, Dänen und Sorben die vierte nationale Minderheit in Deutschland. Hausaufgabe: Bringe einem „Patrioten“, Nazi oder einem sonstwie braun gebrannten völkischen Kameraden bei, was eine „nationale Minderheit“ ist.

– Liebe Feuerwehr Mülheim an der Ruhr! Das Wort „verunfallen“ gibt es nicht im Deutschen und sollte mitnichten erfunden werden. „Verunfallen“ ist hässliches und bürokratisches Neusprech wie „Migrationshintergrund“, riecht nach Bürosesselfürzen und vertrockneten Zimmerpflanzen und wird nur von Leuten benutzt, die Angst vor starken Tuwörtern haben, weil sie nicht wissen, was das ist. Man muss es nicht erfinden. Das Substantiv „Vorfall“ zieht auch nicht „vervorfallen“ nach sich.
Schöne Verben findet ihr in diesem Gedicht, das vermutlich in jeder Brandwache aushängt:
Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule,
Durch der Straße lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile;
Kochend, wie aus Ofens Rachen,
Glühn die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Tiere wimmern
Unter Trümmern;
Alles rennet, rettet, flüchtet.

– „Die jüngeren Spieler, die da nachkommen, sind schon nicht so gut. Sie würden vielleicht als Amateure gut aussehen. Oder nicht mal als Amateure. Viele von ihnen sind so schlecht.“ (Ronnie O’Sullivan, Weltmeister im Snooker).

Das Verdikt gilt auch für Journalismus und Postings in/auf sozialen Medien.

– Die „Faktenfinder“ von der ARD und die „Faktenchecker“ von RT duellieren sich um Putin und seine Covid-Impfung (via Fefe). Ganz großes Kino!

– Lesenswert auf Telepolis: „Die Rolle der IT-Industrien in der gegenwärtigen Offensive kapitalistischer Reorganisation“. – „In welcher Weise kann Digitalisierung zu neuen Ausbeutungsformen führen und wie können sich die Arbeitnehmer dagegen wehren? Die kapitalistische Innovationsoffensive zielt auf die Zerstörung alter Arbeitsformen ab“.

– Sehr hübsch: Ein Youtube-Video beweist: „Western media’s favorite ‚Hong Kong activist‘ is US regime-changer in yellowface“.

Das nennt man vermutlich erfolgreiche „kulturelle Aneignung“.

– Genderpolitisch höchst bedenklich: Mutierte Honigbiene ist männlich und weiblich zugleich.

Neues Deutschland: Die „Linke“ fordert Sanktionen gegen Frankreich Weißrussland aka Belarus, u.a. weil die Regierung gewalttätig gegen Demonstranten war. Na so was.

– Ninve Ermagan hinter der Welt-Paywall: „Linke bleiben gerne unter sich. Man trifft sich auf den immer gleichen Podien, man verleiht sich gegenseitig Preise für den Mut, Dinge auszusprechen, mit denen alle einverstanden sind. Das verhindert aber eine offene Debattenkultur. Den vermeintlich feministischen Parteien Deutschlands, die gegen das Patriarchat kämpfen, kommt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kopftuch nicht in den Sinn. Die bloße Diskussion darüber wird als Islamophobie gewertet.“

bild spiegel

– Dann haben wir noch ganz aktuell etwas aus der Rubrik „Das-hat-doch-nichts-mit-dem-Islam-zu-tun“. Polizei Berlin: „Mutmaßlich islamistischer Anschlag auf der Bundesautobahn“.

Das geht aber noch mutmaßlicher, etwa: Mutmaßlicher psychisch gestörter Einzeltäter mit mutmaßlichem religiösem Hintergrund und mutmaßlichem arabischen Migrationshintergrund begeht mutmaßlichen Unfall. Ich überlege anhand des Fotos, ob ich ihn schon einmal vor oder in der Rettungsstelle als „Kunde“ hatte – würde vom Profil her passen.




Im Reich des Mahdi oder: Islamismus, retro-style

mahdimahdiIch las neulich Sebastian Haffners Biografie Winston Churchill in einem Rutsch durch. Ich wusste nicht, dass Churchill 1898 am Krieg gegen den Mahdi-Aufstand im Sudan teilgenommen hatte – oder: ich wusste rein gar nichts über die Geschichte des Sudan. Bei der Lektüre der einschlägigen Websites fiel mir auf, dass es einige Vorläufer dieser „Mahdi“-Aufstände gab – und natürlich erinnerte ich mich an die Mahdi-Trilogie von Karl May, die ich aber als Junge nicht gelesen hatte.

Ich besorgte mir also das Original Winston Churchills in deutscher Übersetzung: Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi, und erwartete ein gut geschriebenes Buch über „Abenteuer“ [es geht um einen Kolonialkrieg] in fremder Zeit in fremden Ländern, da der Autor immerhin Nobelpreisträger für Literatur ist. Ich bin positiv überrascht – es ist weit mehr. Allein die Einleitung von Georg Brunold: Winston S. Churchill und die Geburtsstunde des modernen politischen Islam (33. Seiten) ist eine glänzende, informative und aktuelle Einführung in das Thema, weitaus besser als Online-Quellen. Mir ging es wie ein Rezensent über Rian Malans Mein Verräterherz (unter den top ten aller Bücher, die ich jemals gelesen habe) schrieb: „…ein Stück Afrika, von dem wir alles zu wissen glauben – und wussten doch gar nichts.“

„Warum habt ihr die Leute, welche hier am Boden liegen, gefesselt?“
„Sie sind Gefangene von uns, Sklavenjäger.“
„Das ist doch kein Verbrechen?“
„Nun, dann Menschenraub!“
„Sklaven, überhaupt Schwarze, sind keine eigentlichen Menschen. Du wirst diese Männer also frei lassen!“
Der Mann war wohl etwas über dreißig Jahre alt, hager und trug einen dunkeln, nicht sehr dichten Vollbart. Sein Gewand war weiß gewesen, jetzt aber nicht mehr von allzu reinlichem Aussehen. Der Ausdruck seines Gesichtes war streng, düster asketisch. Er stand gerade und stolz aufgerichtet vor mir, und seine Augen blickten mich fast drohend an, als ob er und nicht ich es sei, der zu befehlen hatte. Ich ahnte nicht, daß dieser Mann später als Mahdi eine so hervorragende Rolle spielen werde.
(Karl May: Der Mahdi)

Bei allen Mahdis geht es um Messianismus, also um eine Mix aus Endzeit-Erwartung und Klassenkampf in religiösem Kostüm. Im 19. Jahrhundert, schreibt Brunold, „erschütterte ein Geist der Revolte und des Neubeginns die islamische Welt“, „entfacht durch soziale, wirtschaftliche und politische Unzufriedenheit.“ – „Nach Jahrhunderten obrigkeitlicher Korruption und Dekadenz, unter denen die verschütteten Quellen wahrer Religon beschworen wurde, konnte allein Gott Abhilfe versprechen – durch Rückkehr zu ihm und Erneuerung des rechtgeleiteten Glaubens.“ Das entspricht exakt der Marxschen Definition: „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist.“

Ein Zitat Charles Gordons, des britischen Generalgouverneurs der ägyptischen Provinz Sudan, bestätigt das: „Nach dem zu urteilen, was ich von diesem sogenannten fanatischen Land gesehen habe, glaube ich nicht, dass es hier Fanatismus gibt in dem Sinne, wie ihn die Welt gekannt hat. Es geht weit mehr um Fragen des Eigentums und gleicht mehr einem Kommunismus unter der Flagge der Religion.“ (The journals of Gordon Khartoum) Eine klare Einsicht von einem britischem Kolonialoffizier, die man sich auch für die deutsche Journaille wünscht, die meint, über den so genannten Islamismus in Afrika meint berichten zu müssen.

Brunold erwähnt den Aufstand des Diponegoro 1825 auf Java gegen die Holländer, die indische Rebellion von 1857, die anglo-afghanischen Kriege zwischen 1839 und 1919, dem Widerstand des Imam Schamil der Muslime in Dagestan gegen die Russen, den „heiligen Krieg“ der Muwahiddun, der Vorläufer der heutigen saudischen Wahhabiten, 1811-1818 gegen Ägypten, der nur mit Hilfe der britischen Armee gewonnen werden konnte, und das Kalifat von Sokoto im heutigen Nigeria, das die Briten 1903 zerschlugen.

Der Mahdi-Aufstand von 1881 bis 1899 im Sudan, über den Churchill berichtet, „gilt als der erste – zumindest kurzzeitig – erfolgreiche Aufstand einer afrikanischen Bevölkerungsgruppe gegen den Kolonialismus und führte am Ende des 19. Jahrhunderts zur Bildung des Kalifats von Omdurman (auch Mahdi-Reich oder Reich des Mahdi). Die Mahdisten eroberten bis 1885 weite Teile des Landes und wurden 1898 durch eine anglo-ägyptische Streitmacht besiegt.“

Brunold schreibt über den Madhi: In knapp dreieinhalb Jahren des Aufstands bis zum Fall von Khartum war der gewiefte Taktkliker Mohammed Ahmed immer erst in die Gebiete einmarschiert, deren Bevölkerung er bereits auf seiner Seite wußte. Unblutige Siege zog er vor, in deren Folge die traditionellen lokalen Führer allerdings nichts zu lachen und noch weniger zu sagen hatten. Es ist nicht bekannt, daß einer seiner Emire in den Provinzen sich jemals an die Versprechungen gehalten hätte, mit denen zuvor den Gegnern die Kapitulation schmackhaft gemacht worden war. Unter seinen christlichen Gefangenen ließ der Mahdi nur Priestern das Leben und zugleich ihren Glauben. Europäische Söldneroffiziere schonte er, wenn sie sich ergeben hatten und seinen Glauben annahmen. Islam oder das Schwert hieß in großer Tradition die Wahl, die er seinen ungläubigen Feinden ließ. Beim Einzug nach Khartum wurden Tausende massakriert, geköpft, verstümmelt, die verbliebenen Europäer neben Gordon als einzigem Militär der österreichische Konsul Martin Hansal und einige Dutzend Zivilisten samt Kindern, Hunden und Papageien erschlagen, die Frauen versklavt.

Wenn man also heute über den Darfur-Konflikt (das ehemalige Sultanat Darfur) redet und über Dschandschawid, muss man wissen, dass die Vorgeschichte ein paar hundert Jahre zurückreicht. Brunold weist aber darauf hin, dass alle pan-islamischen Bewegungen in Afrika sich schnell zu „ethnisch abgestützten, offen rassistischen Militärdiktaturen“ wandelten.




Un tendre poulet oder: Die purpurnen Flüsse

die purpurnen Flüsse

Ich empfehle die Thriller-Serie Die Purpurnen Flüsse (auf Netflix, bis jetzt drei Staffeln). Die Serie hat nichts mit dem gleichnamigen Film aus dem Jahr 2000 zu tun (was ich zuerst dachte) – außer dem Titel der Romanvorlage.

Hauptdarsteller sind Olivier Marchal, der im realen Leben auch Polizist war, und die erstaunlich wandlungsfähige Erika Sainte.

Als ich die Biografie Marchals überflog, musste ich mehrfach nicken. Ich kann das Gefühl sehr gut nachvollziehen – nach sechs Jahren als Security in einem so genannten sozialen Brennpunkt, in direktem Kontakt mit Irren, Kriminellen, Kranken, Gewalttätern, Alkoholikern, Junkies, Einwanderern jeder Art, Nazis und Normalos. „Die offene Verachtung, die die Menschen ihn spüren ließen, wenn er seine Arbeit verrichtete, die Beleidigungen, die er zu hören bekam, wenn er beispielsweise in Bars Kontrollen durchführte, desillusionierten ihn rasch. Er charakterisiert sich heute, auf die damalige Zeit zurückblickend, als weichlich („un tendre poulet“), respektvoll gegenüber den Ganoven, außer in Fällen von Gewalt gegen Kinder oder alte Menschen.“

Das hört sich komisch an, aber „verweichlicht“ war ich vor meiner eigenen Erfahrung auch. Ich weiß jedenfalls, was Marchal damit meint.

Die Ausstrahlung des Hauptdarstellers und seine Attitude („grumpy“) passen hervorragend zu seiner jungen Assistentin, die sich viel von ihm abguckt, vor allem das Motto, dass Vorschriften dazu da sind, ignoriert zu werden und dass Vorgesetzte Idioten sind, denen man das auch möglichst oft sagen muss. Ich musste laut lachen, als Kommissar Niémans (Marchal) seiner Kollegin Camille (Sainte) sagt, er müsse noch kurz mit dem „Stümper“ reden, einem Dorfpolizisten, der in Sichtweite an einem Auto wartet, und sie schmunzelt, weil sie weiß, dass er den armen Kerl mit wenigen ruhigen Sätzen so zusammenscheißen wird, das der nicht mehr weiß, wo vorn und hinten ist, was auch geschieht.

Beide gehen sehr robust vor, vermutlich wäre das so in deutschen Krimis so nicht politisch korrekt möglich. Nicht so wie „Dirty Harry“, sondern nachvollziehbar für die Rezipienten, kein Klamauk wie „Schimanski“, sondern spannend, düster und abgründig.




Durch die Salzwüste, reloaded

salar

Ich habe noch ein paar Fotos aus Bolivien gefunden und diese in pingeliger Fummelei digitalisiert und restauriert. Ich fasse jetzt meinen „Trip“ von Oruro über Huachacalla nach Chipaya in einem Posting zusammen. Diese „Expedition“ dauerte mehr als eine Woche (April 1984) und war mit das interessanteste und anstrengendste Abenteuer, das ich in mehr als zwei Jahren in Lateinamerika erlebt habe – drei Tage mit dem LKW und anschließend 40 Kilometer zu Fuß, mit Rucksack, und nach drei Tagen wieder zurück. (Vgl. auch „In der Salzwüste – Un poco mas atletismo“ (08.04.2013), „Uru – Chipaya“ (03.07.2015) und „Huachacalla – Durch die Wüste“ (25.03.2018 – dort muss ich noch einige Ortsangaben korrigieren).

Wir starteten von Oruro aus (auf dem oberen Bild bin ich mit Rucksack zu sehen) zum Puente Chusakeri (Foto unten). Da standen damals nur einige Häuser. Der Bus von Oruro hatte uns mitten in der Pampa abgesetzt, und wir mussten das Flussbett, wo der Truck angeblich losfuhr, selbst finden – man trottet in einem solchen Fall den anderen Reisenden hinterher.

Puente Chusakeri

Aus meinem Reisetagebuch, Ende April 1984:
Der LKW ist so voll, dass selbst die Leute bei unserem Einsteigen schon no hay campo! [es ist kein Platz mehr!] schrieen. Aber bei dem Gerüttele auf der Piste, die ihren Namen gar nicht verdiente, wurden alle Passagiere samt Gepäck so durchgemischt, dass letztlich für alle ein Fußbreit übrig blieb.

In der Abenddämmerung düsen wir los. Bei Flussdurchquerungen müssen die Männer aussteigen und den Weg für den LKW präparieren. (Die Ruta Nacional 12, die man heute erkennen kann, existierte damals noch nicht.)

salar

Spät in der Nacht kommt ein riesiges Flussbett (der Fluss, vom dem man uns vorher erzählte, dass er einen Bulldozer, einen Jeep und diverse LKWs verschlungen habe). Dort müssen alle zu Fuß hindurchlaufen. Wir beide probieren zuerst, ohne die Schuhe auszuziehen, einen Weg zu finden. Das Flussbett ist aber so schlammig, dass man bis zu den Knöcheln einsinkt – mitten in der Nacht ziemlich unheimlich. Die anderen pasajeros kann man kaum erkennen. Am Ufer auf der gegenüberliegenden Seite zünden sie mit B.s Feuerzeug das Pampagras an, damit der LKW weiß, wo er hin muss.

In Opoqueri müssen wir in dem örtlichen Kramladen einen Platz zum Schlafen suchen. Die Nacht ist eiskalt und sternenklar. Am Morgen stehen alle zitternd herum und rufen [nach dem Fahrer]: Vamos, maistro!. Einige sammeln Brennmaterial und kochen Kaffee. Sogar ein Stück knochentrockenes pan fällt für uns ab.

salarsalar

Ein kurzes Stück nach Opoqueri kommt ein cortes [vermutlich „Einschnitt“], wo schon ein LKW im Schlamm steckt. Als der raus ist, fährt unser hinein, und zwar so tief, dass das Hinterrad vollständig verschwindet.

Mit Holzlatten und Gasflaschen bauen sie eine Art Hebel, und Zentimeter für Zentimeter werden Sand, Steine und Zweige unter die Räder gestopft. [Bäume gibt es in der Salzwüste nicht.] Zum allgemeinen Erstaunen tritt meine Taschenmessersäge in Aktion, um den durchfeuchteten Hebebaum zu kürzen.

Die Kerle betrachten die Angelegenheit mehr rituell: Es wird endlos gelabert und die Sache unnötig verkompliziert. Weil sie wohl Angst haben, dass es wieder schief geht, zögern sie einen erneuten Startversuch unendlich hinaus. Aber irgendwann klappt es dann.

Beim nächsten Mal steht der LKW total im Wasser, die Räder sind fast nicht mehr zu sehen. Außerdem ist der Chauffeur so „geschickt“ an den Rand gefahren, dass das Gerät fast umkippt. Ich geleite die señoras galant über eine Planke auf’s Trockene, und alle lachen sich erst einmal kaputt.

Irgendwann geht mir das Gelabere schrecklich auf die Nerven. Der Fahrer hat die unangenehme Angewohnheit, nach einen Loch, in dem der LKW droht steckenzubleiben, mit Karacho durch- und weiterzufahren, dass die abgestiegenen Passagiere endlos lange hinterherlaufen müssen. Bei dem letzten bajan los hombres! [alle Männer absteigen!] machen einige schon nicht mehr mit. Die auf dem LKW entwickeln einen komischen Humor, indem sie die, die hinterher laufen, lauthals verspotten: un poco mas atletismo! [Ein bisschen mehr Athletik!]

Angesichts des Ziels Huachacalla sind alle etwas entspannter, da nichts mehr schief gehen kann. Die Diskussion um den Fahrpreis ist demokratisch: Der Fahrer entwickelt seine Thesen und die Fahrgäste die ihren. Beide Theorien unterscheiden sich, aber man findet einen Kompromiss.

In Huachacallo erwartet uns eine Überraschung: die angeblichen padres [von denen uns die anderen Passagiere erzählen, weil es keine Unterkunft in dem Ort gab] entpuppen sich als belgische Entwicklungshelfer mit zwei Kindern, die in einem netten Häuschen in einheimischen Stil leben und uns mit Spinat und selbst gebackenem Brot bewirten.

huachacalla
Unsere „Herberge“ in Huachacalla, bisher unveröffentlicht. Ich kann leider nicht mehr sagen, ob das Foto nicht vielleicht seitenverkehrt ist.

Einen Tag entspannen wir uns, waschen und inspizieren den Ort, was allerdings nur eine Viertelstunde dauert. Das einzige größere Gebäude ist die Kaserne, die wie aus einem Fremdenlegionärsfilm entsprungen aussieht.

Die Diskussion mit den beiden Entwicklungshelfern hinterlässt bei mir einen seltsamen Nachgeschmack. Man hat sich wenig zu sagen. Der Abschied am nächsten Morgen ist mehr oder weniger desinteressiert. Wir erfahren aber, dass die Urus und die Leute aus Chipaya dieselben sind.

[Anmerkung: Urus gibt es heute weniger als 2.000 – die Bewohner der Inseln des Titicacasees und der umliegenden Region sind meistens Aymara und nicht die Ureinwohner. Die Sprache der Urus, von ihnen selbst Puquina genannt, existiert fast nur noch nur noch in Chipaya. Deshalb ist der Ort außergewöhnlich exotisch und ohnehin nur einigen wenigen Experten bekannt. „Puquina itself is often associated with the culture that built Tiwanaku.“ Die Inkas eroberten die Gebiete der Aymara und Uru-Chipaya unter Huayna Capac (der Sohn des berühmten Túpac Yupanqui).]

Vor der inkaischen Eroberung bevölkerten die Uru-Chipaya die Flusstäler und die Seen – den Titicaca- und den Poopó-See [vermutlich auch die Ufer der Seen südlich von Chipaya, die heute Salzwüste sind]. Irgendwann seien die Seen ausgetrocknet. Die Kenntnisse über Wassertechniken hätten die Uru-Chipaya aber behalten. Die Aymara hingegen stammten – einer These zufolge – aus Ecuador und „würden nie Kanäle bauen“ wie die Leute aus Chipaya. Ein großer Teil der Urus seien heute Pentecostals.

Huachacalla
Huachacalla

Am Morgen verfehlen wir den richtigen Weg und quälen uns erst einmal über die Hügel mit den schweren Rucksäcken. Der Marsch wird zur Strapaze, und B. ist völlig fertig. Unter „Heulen und Zähneklappern“ marschieren wir die 17 Kilometer [nach Escara – die erste Etappe des zweitägigen Marsches].

Einmal erschrecken wir uns zu Tode, als ein Gewehr in unserer Nähe durchgeladen wird. Zwei Soldaten tauchen auf und fragen uns, wohin wir wollten, lassen uns aber laufen.

Escara erscheint uns wie das gelobte Land, obwohl es nur ein winziges staubiges Nest am Fuß der Berge ist. Bei einer taller de bicicletas können wir in der Werkstatt übernachten und kochen uns leckere Süppchen und Tortillas.

Die Diskussion über einen Fahrradverleih gestaltet sich unbefriedigend, und endlich lehnen wir ganz ab. [Anmerkung: Das Weiße auf den Fotos – das Salz – ist bretthart, man kann darauf Fahrrad fahren, allerdings wäre eher ein Mountain-Bike mit guten Stoßdämpfern empfehlenswert, weil die Dellen im Salz einen vom Rad katapultieren würden, führe man nicht sehr langsam.]

Der señor, der Inhaber der Werkstatt, ist ein ganz Linker und fragt uns erst über unsere Meinung über die Malvinas aus. Irgendwie schwanken auch die Auskünfte darüber, wie viele Touristen schon hier waren, beträchtlich. Er kann sich an keine erinnern, jedenfalls sind wir in diesem Jahre die ersten.

Am nächsten Morgen packen wir unsere Rucksäcke um, lassen alles, was überflüssig ist, in der Werkstatt und düsen dann mit einem kleineren Rucksack los – 26 Kilometer Fußmarsch erwarten uns!

salzwüstesalarsalzwüste
Die Fotos sind nach Südwesten aufgenommen worden. Man kann die schneebedeckten Anden von Chile erkennen. Es dürfte sich um den heutigen Parque Nacional Volcán Isluga handeln. Die einzelnen Berge kann ich leider nicht identifizieren. Im „Vordergrund“ ChullpasGrabstätten der Aymara.

The Uru Chipaya is one of the most ancient people of South America, originating from 1500-2000 B.C. In the 16th century, the Uru Chipaya represented a quarter of the Altiplano Andean population. Nowadays, their territory represents a mere 920 km2, and the Uru Chipaya population counts little more than 2 000 individuals. The Uru Chipaya live in the Bolivian Altiplano bordering the salt desert of Coipasa, chipayaat an altitude of 3640 m. Their territory is organized in 4 ayllus (or communities): Unión Barras, Aranzaya, Manazaya and Wistrullani. The traditional habitat consists of a group of circular houses built with mud and straw. One house serves as kitchen, another one as room, and so on and so forth.

Erst geht der Weg durch Halbwüste mit hohen Pampagras-Büscheln und schneebedeckten Bergriesen im Hintergrund, die vermutlich schon zu Chile gehören. Überraschend schnell gelangen wir zum ersten Fluss, wo wir zuerst nicht wissen, wie wir ihn überqueren sollen. Hinter uns kommt ein einsamer Radfahrer ohne jegliches Gepäck, der uns die beste Furt zeigt. Das Wasser geht nur bis über die Knie, obwohl es tiefer aussieht. [Es war Trockenzeit.]

Danach wird die Gegend öde, alles flach, mit weißen salzigen Stellen und kaum Bewuchs. In der Ferne Estancias mit runden und spitzen Vorratshäusern und riesigen Schaf- und Llama-Herden.

Einige freundliche Uros überholen uns auf dem Fahrrad, unter anderem auch der alcalde von Chipaya, ein netter Opa. Die Männer tragen alle einen braun-weiß gestreiften Poncho, der von einem Gürtel zusammengehalten wird, dass er wie ein Kleid aussieht, eine bunte Mütze mit Ohrschützern und darüber noch eine helle spitze Mütze.

Die Frauen sehen fantastisch aus: ein dunkelbraunes Baumwollkleid mit vielen Sicherheitsnadeln, die Haare im Afro-Look, hunderte von Knötchen, die in zwei Zöpfe auslaufen, die auch noch einmal zusammengeknotet sind. Einige tragen noch eine Art Kopftuch. (…)

Es gibt zwei ayllus mit je rund 500 Mitgliedern, daher auch zwei Bürgermeister (alcalde) und noch einen corregedor. In einem oficina, gleichzeitig die Schule, können wir übernachten.

Zum Glück erwischen wir gerade die Zeit des Brotbackens, sogar refrescos gibt es. Die Frauen erwarten offenbar, dass wir fotografieren und entspannen sich erst, als sie merken, dass wir das nicht tun. Wir haben noch eine nette Unterhaltung mit einem älteren Mann und der Lehrerin [es gab nur eine].

Am Morgen gibt es nur Wasser, was eklig schmeckt, und unsere eiserne Reserve Müsli. Im ganzen Dorf existiert nur ein Brunnen. Die Häuser am Dorfrand sind rund und ohne Fenster, mit Schilfdach. Die Estancias haben mehrere Rundhäuser, und verstreut über die Pampa sehen wir viele kaputte Plumpsklos. Wir entwickeln die Theorie, dass die runden Häuser einfach ein traditioneller Abklatsch der runden Schilfhäuser der Urus sind.

Der zweite alcalde, der nicht – wie sein „Kollege“ – die traditionelle Kleidung trägt, erwartet wohl, dass wir für das alojamiento bezahlen, was wir aber nicht tun. Der corregedor ist gerade in einer lautstarken Versammlung, und man bedeutet uns, dass er keine Zeit habe [wir wollten ihn um eine Erlaubnis zu fotografieren bitten]. So entschließen uns kurzerhand, das Dorf zu verlassen. Leider werden wir nie erfahren, ob sie sich wegen der verpassten Chance, etwas zu verdienen, geärgert haben.

chipayachipaya

Der Friedhof von Chipaya ist auch via Google Maps noch gut zu erkennen. Am Fuße der Berge im Hintergrund liegt der winzige Ort Escara, vom dem aus wir losmarschiert waren.

Auf dem Weg zurück nach Escara quäle ich mich bis fast zur totalen Erschöpfung. Zum Glück treffen wir kurz hinter einem Fluss einen LKW, der bis nach Oruro fährt. Wir sitzen auf toten Schafen in Säcken. In Escara holen wir unsere Sachen und warten ein paar Stunden. Dann geht es am späten Nachmittag los.

Es soll fast eine wieder Sumbay-Nacht werden. Der Fahrer kennt sich besser aus als der bei der Hinfahrt: Kurz vor dem endgültigen Steckenbleiben schaltet er immer den rettenden Rückwärtsgang ein. Irgendwo in einem winzigen Dorf bleibt er stehen. Ich friere total, selbst der Schlafsack hilft wenig. Außerdem gerate ich bei jeder Bewegung mit B. aneinander, hinten drücken die Schrauben der Seitenwand mir ins Kreuz und unten der Rucksack oder die toten Schafe. Ich kann kaum den Sternenhimmel genießen.

Am Morgen fährt der der LKW bis zu einer kaputten Brücke kurz vor Toledo. Es wird nur sehr langsam warm. Beim Marsch von der Fähre bis nach Toledo knickt B. um, und ich breche fast zusammen. Gegenseitig ermuntern wir uns. Auf der Plaza des Ortes erwarten uns eine köstliche Quinoa-Suppe und ein Bus, weil die Straße nach Oruro wieder halbwegs passierbar ist. Mir wird beim Essen schwindelig, und als ich im Bus sitze, kann ich mich kaum bewegen. Der Busfahrer will nicht losfahren, weil noch mehr pasageros kommen könnten. Wenn ich nicht so kaputt gewesen wäre, hätte ich mich geärgert. So spotten wir nur über ihn (…). Unter totaler Ruckelei kommen wir endlich in Oruro an.




Hide and Seek

secret messagesecret message

Manchmal muss man sich über die Berichterstattung bei Heise doch wundern. Wenn jemand sachlich und richtig technische Themen im Internet dargestellt haben möchte, wer sollte sonst vernünftig aufklären?

Aktuell: „Missing Link: Wie Staaten die Verschlüsselung im Internet per Gesetz aushebeln“. Der Artikel ist zwar lang, aber, mit Verlaub, richtig schlecht.

Erstens: Was ist überhaupt gemeint? Transportverschlüsselung oder Ende-Ende-Verschlüsselung der Nutzer? Oder gar beides?

Zweitens: Hat das irgendjemand angekündigt, die üblichen Verdächtigen hätten es gern (gähn) oder geschieht es real?

Drittens: Geht es um eine gesetzliche Grundlage, Verschlüsselung zu verbieten oder möchte man es nur umsetzen oder beides?

Viertens: Geht es um die Provider oder um die so genannten Endverbraucher oder beide?

Fünftens: Oder geht es um alles, Politiker haben aber keinen blassen Schimmer und raunen deshalb geheimnisvoll herum? „… nicht zuletzt der Einbau von Verschlüsselung in Basisprotokolle des Internets drohe den Zugriff auf kriminelle Inhalte zu erschweren“ – großes Bullshit-Bingo!

Australiens Assistance and Access Act ist gerade hoch im Kurs bei denen, die auch für Europa ein Anti-Verschlüsselungsgesetz fordern. (…) Bei den Technical Assistance Requests (TARs), versorgen die Provider die australische Polizei sowie die verschiedene Geheimdienste mit entschlüsselten Daten von Zielpersonen.

Entschlüsselte Daten von Zielpersonen? Meinen sie die Zugangsdaten für E-Mail-Konten? (Was hülfe das?) Zugangsdaten für Websites und Social Media? Oder möchten jemand – am besten per Ferndiagnose – meine Veracrypt-Passwörter entschlüsseln? Have fun!

Australiens Regierung tritt dem Vorwurf, Hintertüren einzubauen, mit einer eigenen FAQ entgegen, in der sie über „Mythen“ spricht, die über das Gesetz verbreitet wurden.
Hintertüren? Ich will ja nicht schon wieder über die so genannte Online-Durchsuchung zetern (wenn die funktionierte, brauchte man ja keine Hintertüren). Nur für Windows oder auch für Linux Mint? Oder weiß man nichts Genaues wie immer nicht?

Oder sind andere Staaten nur neidisch über unsere schöne deutsche Sina-Box?

Guckst du hier: „Kanther fordert in seiner Rede, den Risiken, die sich aus der Technik ergeben auch mit den Mitteln der Technik zu begegnen und führt dabei unter anderem auch elektronische Wegfahrsperren als Mittel zur Verhinderung von Kraftfahrzeugdiebstählen an. Dieser Vergleich mutet seltsam unpassend an, handelt es sich dabei doch genau wie der Einsatz von kryptographischen Mitteln um ein klassisches Mittel zu Verbrechensprävention, nicht um ein staatliches Instrument zur Strafverfolgung. Eine Umsetzung von Kanthers Vorschlägen würde den Anwender von Datennetzen seiner legitimen Verteidigungsmöglichkeiten gegen Computerkriminelle berauben.
Kanther führt weiter aus, wie er sich die Kontrolle des Staates vorstellt: “Dies kann dadurch geschehen, daß die verwendeten Schlüssel sicher hinterlegt werden. Durch eine Kombination von organisatorischen, personellen, technischen und juristischen Maßnahmen kann jedem Verdacht einer Mißbrauchsmöglichkeit begegnet werden.”

Das war am 28 April 1997! Es gibt noch andere hübsche Beispiele. Vor 20 Jahren fragte Florian Rötzer auf Telepolis: „Nichts mehr mit Pretty Good Privacy?“ Oder der Guardian (2001): „Pakistan to ban encryption software“.

Ich schrieb hier vor 12 Jahren: Der Artikel von Heise erinnerte mich an meinen Text auf spiggel.de vom 10.02.2007: „Geheimes Schreiben gegen Schäuble„, in dem ich Steganografie unter Linux vorstellte. Mit ein paar Befehlen kann man Texte so in Bildern verstecken, dass sie kaum gefunden werden.

Hier ein Beispiel, die Fotos oben sind das Ergebnis: Das linke Bild ist das Original, im rechten Foto ist ein längeres Zitat aus dem Koran verborgen. Ich habe vorher nachgesehen, in welchen Passagen es um den Jihad geht.

burks@master:~/burksfiles/temp5$ touch osama.txt
burks@master:~/burksfiles/temp5$ echo "Und wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Götzendiener, wo immer ihr sie findet, und ergreift sie und belagert sie und lauert ihnen aus jedem Hinterhalt auf. Wenn sie aber bereuen und das Gebet verrichten und die Zakah entrichten, dann gebt ihnen den Weg frei. Wahrlich, Allah ist Allvergebend, Barmherzig;"> osama.txt
burks@master:~/burksfiles/temp5$ zip secretmessage.zip osama.txtupdating: osama.txt (deflated 36%)
burks@master:~/burksfiles/temp5$ cat 181008_2.jpg secretmessage.zip > 181008_3.jpg

Oder wünscht das Publikum, weil es besorgt ist, dass ich hier einen Online-Lehrgang über Steganografie anbiete? Gehe ich richtig in der Annahme, dass niemand mehr Windows 3.11 benutzt?




Waffengleichheit

sig sauer
Das Foto (Ausschnitt) hat ein Fotograf 1994 von meiner Hand und der Waffe gemacht, die ich damals ganz legal mit mir führen durfte – natürlich samt Waffenschein.

Zwei Polizeigewerkschaften bekrieg(t)en sich („zwischen den Gewerkschaften bestand Streit um die Möglichkeiten und Tunlichkeit der für den Monat Mai vorgesehenen und tatsächlich durchgeführten Wahlen“). Das Bundesverfassungsgericht hat eine wichtige Entscheidung getroffen, die auch für Journalisten und Blogger interessant ist:

Die Kammer bekräftigt mit der Entscheidung die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den grundrechtlichen Anforderungen, die sich aus der prozessualen Waffengleichheit in einstweiligen Verfügungsverfahren ergeben (…). Sie hat erneut klargestellt, dass eine Einbeziehung der Gegenseite in das einstweilige Verfügungsverfahren grundsätzlich auch dann erforderlich ist, wenn wegen besonderer Dringlichkeit eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen darf. Zudem hat sie bekräftigt, dass eine prozessuale Einbeziehung der Gegenseite nur dann gleichwertig durch eine vorprozessuale Abmahnung ersetzt werden kann, wenn Abmahnung und Verfügungsantrag identisch sind. Wenn der Verfügungsantrag auf das vorprozessuale Erwiderungsschreiben argumentativ repliziert, neue Anträge enthält oder nachträglich ergänzt oder klargestellt wird, ist das nicht der Fall.

Muss ich das jetzt übersetzen?

Ist ganz einfach: Jemand möchte, dass jemand anderes etwas nicht behauptet, weil es vielleicht gelogen ist – und man glaubt, das vor Gericht beweisen zu können.

Der Anwalt des Klägers mahnt zuerst ab.* Wenn die andere Partei das unterschreibt und akzeptiert, ist die Sache normalerweise gegessen (der „Abgemahnte“ muss aber die Anwaltskosten des Klägers zahlen – die Rechnung kommt meistens schnell.**)

Wenn der Beklagte sich weigert, die Abmahnung zu unterschreiben, kann man entweder sofort klagen oder zuerst eine so genannte Einstweilige Verfügung (auch: Einstweiligen Rechtsschutz) beantragen – wenn es eilt. Das angerufenen Gericht kann entscheiden, ohne den oder die Beklagten anzuhören. Wie entschieden wird, muss nicht unbedingt so sein, wie später in der Hauptverhandlung geurteilt wird – das Gericht prüft nur die vorgelegten Akten und erwägt „nach Augenschein“.

Beispiel aus der Vereinsmeierei dem verbandsinternen Hauen und Stechen (ich habe das unzählige Male hinter mir): Jemand hatte in einer bundesweit verbreiteten E-Mail behauptet, gegen mich würde wegen Verbreitung von Kinderpornografie (!) ermittelt. Einer der Angeschriebenen hatte mir das zeitnah „gesteckt“. Da die Sache frei erfunden war, eilte ich sofort zum Amtsgericht, das mich aber wegen der Schwere der Anschuldigung ans Landgericht Berlin verwies. Dort legte ich nur eine Versicherung an Eides statt vor, dass der Vorwurf erstunken und erlogen sei. Ich wäre natürlich in Teufels Küche gekommen, wenn ich gelogen hätte. Binnen einer Stunde hatte ich die gewünschte Einstweilige Verfügung, ging damit zum diensthabenden Gerichtsvollzieher (für den Wohnort meinen Prozessgegners), der das Dokument noch am selben Tag zustellte.

Beim so genannten Hauptsacheverfahren Monate später wurde der Beklagte verdonnert, die Behauptung nicht zu wiederholen. Ich hätte sogar mit dem für mich sehr schönen Urteil eine Zivilklage auf Schadensersatz anstrengen können, obwohl ich den realen Schaden nur schwer hätte beziffern und beweisen können. Das musste ich nicht, da mein Prozessgegner – nach Niederlagen vor dem Landgericht und, weil er unbelehrbar war, sogar erneut vor dem Kammergericht – mir freiwillig einen hohen Betrag zahlte, da er wusste, dass ich ihn mit einem Shitstorm vom Feinsten überzogen hätte, der seinen Ruf garantiert mehr ruiniert hätte als er meinen.

Das aktuelle Urteil der BVerfG meint: Die Gegenseite muss auch gehört werden, wenn es nur um den einstweiligen Rechtsschutz geht, außer die vorherige Abmahnung und der Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung sind identisch.

_______________________________

*Abmahnen ist ein Wort des juristischen Jargons, kein gutes Deutsch. Man sollte es auch nur bei juristischen Themen benutzen. „Die Ehefrau mahnte ihren Mann ab, nicht woanders herumzuvögeln.“ Ermahnen ist besser, und mahnen allein geht meistens auch.
** Es gibt diverse Tricks, die Kosten zu minimieren. Wenn man eine Abmahnung unterschreibt, aber trotz der Rechnung die Kosten des gegnerischen Anwalts nicht zahlt, muss der klagen. Das geschieht normalerweise bei Amts-, nicht aber bei Landgerichten – und Amtsgerichte sind billiger. Oder der Gegner überlegt es sich, ob es sich überhaupt rechnet, weil die Kosten für diese erneute Klage den Aufwand nicht lohnen oder wenn das Risiko besteht, dass der Beklagte es sich anders überlegt und es auf eine Hauptverhandlung ankommen lässt, die ganz anders ausgehen kann.




Viel Schlechtes und wenig Gutes

mankind

An manchen Tagen traue ich mich kaum, während des Frühstück die einschlägigen Medien zu konsumieren, da mir eine Welle von Unsinn entgegenschwappt, die einem die Laune verdirbt. Vor allem die dümmlichen Kapitalismus-Apologeten in den so genannten „sozialen“ Medien lassen meinen Magen revoltieren.

Die NGO Brookings Institution hat Statistiken in den USA ausgewertet:
In the Survey of Mothers with Young Children, 17.4 percent of mothers with children ages 12 and under reported that since the pandemic started, “the children in my household were not eating enough because we just couldn’t afford enough food.” Of those mothers, 3.4 percent reported that it was often the case that their children were not eating enough due to a lack of resources since the coronavirus pandemic began.

Hungernde Kinder in dem am weitesten „entwickelten“ Land des ach so „freien“ Westens!

Apropos: America21 über den gescheiteren Putsch in Venezuela: „Vertrag zwischen Oppositionspolitiker Guaidó und US-Söldnerfirma enthüllt“. Das ist der, den die hiesige Regierung als Vertreter der herrschenden Klasse Venezuelas anerkennt. Es ist eine Schande.

guardian

Sogar der Guardian ist eingeknickt und hat einen Artikel über Amazon vom Netz genommen, warum, das wird uns nicht verraten. Amazon hatte Mitarbeiter gefeuert, die unzureichenden Schutz gegen Coronaviren beklagt hatten. Aus Protest dagegen warf Tim Bray seinen Millionenjob hin.

Von Reporter ohne Grenzen halte ich nicht so besonders viel, obwohl ich für die vor gefühlten Jahrzehnten die Website gepflegt hatte und auch Mitglied war. Die Gruppendynamik dort war gewöhnungsbedürftig, und viele – zu viele! – Pressemeldungen, die im Lautsprecherduktus vorgetragen werden, beginnen mit „Irgendjemand muss“. Das nervt nur noch. Die überschätzen ihre eigene Bedeutung maßlos. Daher ist auch die Frage an die Muttersektion berechtigt: „Die „Reporters sans Frontières“ veröffentlichen jedes Jahr eine Rangliste der Pressefreiheit. Doch wie kommt die eigentlich zustande?“

Fefe hat etwas über den angeblichen Hacker-Angriff auf die Ruhruniversität Bochum. „Hätte uns doch nur jemand gewarnt, dass man sich mit Windows + AD + Outlook Malware einfangen kann!“ Da fällt mir nichts mehr ein.

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Auch die Tiere sind nicht immer niedlich. „Mörder“-Hornissen überfallen jetzt vielleicht den Norden Amerikas (geiles Foto auf IFLScience!).

Wer lieber Spinnen mag: Es gibt Taranteln, die Vögel fressen.

Was mich gestern wahrhaft erfreut hat, ist der bezaubernde Anblick der überirdisch schönen Andy Allo in Upload (Amazon Prime). Ein großartiger Plot mit viel schwarzem Humor! Unbedingt sehenswert.