Siam-Nico, Buzzwords und der chinesische Imperialismus

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Bei manchen Buzzwords (früher sagte man frankophil Slogan) schlägt mein Bullshit-Detektor sofort an, bei einigen Themen auch. Ich bedauere, die des Politischen kundigen Lesern und die an Medienkompetenz interessierten Leserinnen mit einer kleinen und vorläufigen Etüde in Recherche behelligen zu müssen.

Klassenkampf. Chinesischer Imperialismus. Mahnwache. Kommt alle. Fehlen nur noch die Fackeln Lichterketten, aber die sind mittlerweile sowas von out. Wer steckt dahinter? Aufmerksamkeitshuren, Marketing-Agenturen, etwas getarnt Politisches oder alles?

Setzen wir das Puzzle zusammen. Man sollte vermuten, dass bei a) Klassenkampf irgendwas „Linkes“ mitmacht, in Kombination mit b) chinesischer Imperialismus ergibt das aber zunächst wenig Sinn. „Die Linke“ lässt sich zwar von der pro-uigurischen Propaganda einlullen, aber sie würde nicht so weit gehen, eine „Volksrepublik“ als imperialistisch zu benennen. Die Grünen wiederum kriegen beim Begriff Klassenkampf sofort die Krätze. Beides – so unserer Arbeitshypothese nach 30 Sekunden – scheidet aus. Im Sinn haben wir den Namen „Nico Buchmüller“, der als Organisator der Mahnwache genannt ist.

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Die „Süddeutsche“ (Paywall) zitiert die (virtuelle) Gruppe German Solidarity with Myanmar Democracy. Man könnte irrig vermuten, dass die „Süddeutsche“ recherchiert hat, ob es diese Gruppe gibt. Dass sie das nicht getan hat, beweist die Zeichenkette „setzt sich nach eigenen Worten [bitte selbst ausfüllen] für ein freies Myanmar ein.“ Ohne drei unabhängige Quellen zu haben, durfte man früher, in den goldenen Zeiten des Journalismus, noch nicht mal furzen gehen. Heute reicht eine abhängige.

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Wait a minute. Warum sollte sich überhaupt jemand hierzulande ausgerechnet für Myanmar einsetzen, und was ist „frei“? Kapitalismus unter der Schirmherrschaft der NATO und faschistischer Banden wie in der Ukraine? Warum nicht Freiheit für Äquatorialguinea? Robbenbabys Negerkinder auf Fotos werden doch von jeder Werbeagentur mit Kusshand angenommen, weil sie immer in die Kamera lachen, außer wenn sie kurz vor dem Hungertod stehen (Amnesty, Brot für die Welt usw.). Kann man also für praktisch alles vermarkten.

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Doch halt, wie haben ein Motiv, sagt jetzt der Kommissar (wir sind erst bei Minute fünf der Recherche). Hier spricht Nico Buchmüller, man sieht ihn die Hände ringen und tränenkullernd schluchzen: Brutalität! Gewalt! Die ist nicht geil, sondern pöhse. Wir werden alle störben. Da muss man doch was tun!

Merke: Der Herr schreibt schlechtes Deutsch, und auch die Kommata fehlen oder stehen an der falschen Stelle. (Er hat also kein Abitur. Leider kann man heutzutage bei der Recherche aus diesem Tatbestand nichts folgern, weil das Kriterium sogar für die meisten Journalisten zutrifft.)

Wir merken uns in Rechercheminute fünf: Kein Profi, vermutlich keine der vorhandenen Parteien im Hintergrund (Arbeitshypothese, es fehlen die vorgestanzten Textbausteine), die Volksmassen jubeln noch nicht (was bei Myanmar auch extrem unwahrscheinlich ist, da vermutlich 90 Prozent der Bevölkerung das Land nicht auf einer Karte lokalisieren könnten). Appell an Gefühle, wie schon beim Kampf gegen „Hass“. Gefühle entpolitisieren sofort jedes Thema, lassen sich aber natürlich bei den intellektuell Schmalbrüstigen geistig Armen gezielt mobilisieren. Wer „gegen Gewalt“ ist, redet zur Mittelschicht. Man appelliert, sich zu benehmen: Man möchte bei denen da oben nicht unangenehm auffallen und sich gleichzeitig von denen da unten absetzen. „Klassenkampf“ und „gegen Gewalt“ – das passt nicht und spricht bei mir sofort für einen geistig verwirrten Einzeltäter oder Drogenmissbrauch.

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In Minute zehn der Recherche müssen wir nur noch die falschen Nico Buchmüllers aussortieren. Der richtige ist Klima-Nico von der Klimaliste Baden-Württemberg. Einw der Abspaltungen von der Befreiungsfront Judäas den Grünen, die sich auf nur ein Thema focussieren und den Kapitalismus reformieren wollen, aber selbstredend weiterhin zum GlottisschlagStimmritzenverschlusslaut-Milieu gehören. Ergo: Schon wieder nur Winkelreformer der buntscheckigsten Art.

Unser Klima- und Siam-Nico drückt mit Karacho auf alle Tränendrüsen: Er sammelt Spenden für Waisenkinder in Mayanmar. Das volle Programm also. Ich frage immer noch: Warum ausgerechnet Birma? (Ich hatte ein Kinderbuch über die KatzenTigerjagd in Siam – so hieß das früher.) Er hat dort eine Zeit verbracht. Das muss uns reichen. Man muss nicht alles runtermachen, auch wenn man „Entwicklungshilfe“ als eine Art Embryo des Imperialismus ansieht und „helfen“ durchweg als ein niedriges Motiv, um sich selbst besser zu fühlen.

Man kann natürlich noch weitermachen und den beruflichen Werdegang recherchieren, Bildersuche und -vergleich eingeschlossen). Wir haben Nico unrasiert, auf Linkedin rasiert. Bei krauth technology im Schwarzwald wurde er offenbar ausgebildet (7. von links). Bei highQ war er auch oder ist er noch.

Der „Klassenkampf“ war also nur ein Versehen und wird in die Rubrik attention whore eingetütet. Wenn man unseren Siam-Nico fragte, was Imperialismus sei, würde er garantiert ins Stottern kommen oder „die Uiguren, die Uiguren“ murmeln.

Übrigens: Die so genannte Opposition in Myanmar würde ich auch nur mit der Kneifzange anfassen.

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Viel wenig Impfstoff [Update]

Der Tagesspiegel schreibt: „Bei Fortsetzung des derzeitigen Impftempos würden Mitte April knapp 15 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Erstimpfung haben.“

In besserem und logischem Deutsch: Wenn der Impfstoff weiterhin so knapp ist, haben Mitte April mehr als 85 Prozent der Bevölkerung noch nicht einmal eine Erstimpfung.

Merke: Ist etwas negativ („nicht geimpft“), sollte man es nicht positiv formulieren. („mindestens eine Erstimpfung“). Man sagt auch nicht: Von wenig Impfstoff ist viel vorhanden.

Teilsätze ohne Verben verschleiern, dass jemand verantwortlich ist (wer gibt das „Tempo“ vor und warum?). Außerdem sind Wörter mit -ung (Nominalstil) lang und hässlich.

Postscriptum: Korrektes Deutsch ist das alles natürlich auch nicht. Man muss sich aber entscheiden, was man prognostizieren will: „Wäre der Impfstoff weiterhin so knapp“ suggeriert, dass die zuständigen Pappnasen es schafften, mehr davon zu besorgen. Das bezweifle ich, obwohl der Tagesspiegel das offenbar glaubt. Also kein Irrealis, sondern schlicht Futur im Konditionalsatz: Wenn der Impfstoff weiterhin so knapp sein wird, werden Mitte April mehr als 85 Prozent der Bevölkerung noch nicht einmal eine Erstimpfung haben.

Postscriptum II: Journalisten, die, wie im Tagesspiegel, Doppelpunkte mitten in Wörter pressen, können oft gar kein korrektes und gutes Deutsch.

[Update zum Postscriptum II]
tagesspiegel

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Hồ Chí Minh, Data Security etc.

visitenkarten

Nach mehr als einem Jahrzehnt endlich neue Visitenkarten – in der Farbe meiner Website. Ich habe die E-Mail und den [sic!] Uniform Resource Locator der Website mit Absicht nicht drucken lassen. Wer den QR-Code einscannt, muss erst den Hinweis im Impressum lesen, dass unverschlüsselte E-Mails nicht erwünscht sind. Ich nutze für Android übrigens den werbefreien QR-code & Barcode-Scanner (jaja, von Quang Trung, Go Vap, HCM city, Vietnam. Ho-Ho-Ho-Chi-Minh!).

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Bitte jetzt schnell ein Ehegatt[Stimmritzenverschlusslaut]*_Inneninsidergeschäft!

leben großstadt
Die Schönheit des Lebens in der Großstadt im Deutschland des 21. Jahrhunderts (Symbolbild)

In Tübingen braucht man keinen Lockdown. „… in Tübingen können die Menschen wieder fast so zusammenkommen wie vor der Corona-Pandemie. Kino, Besuche im Restaurant, Einkaufsbummel in der Innenstadt, alles möglich mit einem Tagespass nach einem Corona-Test.“

Boris Palmer ist dort Bürgermeister (das ist der, den die Glottisschlag-Fraktion der Grün[Stimmritzenverschlusslaut]:*_Innen am liebsten aus der Partei werfen will). Die Notärztin Lisa Federle organisiert das Ganze.

Das konnte anderswo auch funktionieren, wenn es genug Schnelltests gäbe. Gibt es aber nicht. Wir haben bekanntlich ein profit- und marktorientiertes Gesundheitssystem. Vielleicht kann der Ehemann des Gesundheitsministers kurzfristig aushelfen?

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Qusqu

cusco panoramic view

Cusco, Peru, mit Blick auf den Plaza de Armas, aufgenommen im Juli 1984 von Sacsayhuaman (ungefähr von hier aus).

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Alle Macht der proletarischen Schwarmintelligenz

kronstadt

Kronstadt – was fällt den Nachgeborenen dazu ein? Ich will nicht jammern, aber Kronstadt muss man kennen, weil die Frage, die die Aufständischen 1921 aufgeworfen haben, immer noch ungelöst ist. Alle Macht den Räten oder der Partei oder noch was anderes?

Klaus Gietinger schreibt: Vor 76 Jahren am 16. März 1921 griffen 50000 Rotarmisten unter General Tuchatschewski die Festung Kronstadt an, in der sich 14000 Matrosen verschanzt und zweieinhalb Wochen lang, zusammen mit der Zivilbevölkerung der Stadt, die „Dritte Revolution“ gelebt und verkündet hatten. Es waren jene Matrosen, die von Trotzki einmal als „Schönheit und Stolz der Oktoberrevolution“ gepriesen worden waren. weil sie über drei Jahre zuvor den Bolschewiki zum Sieg verholfen hatten.

Kronstadt gab einem Aufstand den Namen, der den Niedergang der Oktoberrevolution symbolisiert, wie kein anderer. Kronstadt ist der point of no return der russischen Revolution. Danach war die Sache praktisch gelaufen.

Ich suchte in meiner winzigen Bibliothek und fand nur ein Buch zum Thema: „Die revolutionären Aktionen der russischen Arbeiter und Bauern. Die Kommune von Kronstadt“. Vermutlich sind auch die Namen der Verfasser heute nicht jedem geläufig: Johannes Agnoli, großbürgerlicher Herkunft, Faschist, dann Sozialdemokrat [sic], dann einer der Vordenker der APO und des SDS, also der Studentenbewegung der 68-er. Von ihm muss man sich vermutlich den Satz merken: „Der Weg zur Emanzipation kann nicht mit Leichen gepflastert werden“. Cajo Brendel, niederländischer Rätekommunist. Ida Mett, russische Anarchistin und Kommunistin. Alle sind schon tot.

Ich schrieb am 24.11.2017 über das lesenswerte Standardwerk Bini Adamczaks Der schönste Tag im Leben des Alexander Berkman über die russische Revolution, wie sie hätte sein können und sollen: „Ich sehe mich durch die Lektüre bestätigt, das nicht nur mit dem Tod Lenins und der Machtübernahme Stalins die Konterrevolution in der Sowjetunion begann, sondern dass schon viel früher so viele entscheidende Fehler gemacht wurden, dass die Sache verloren war. Die Frage ist nur, ob diese “Sache” unter den damals gegebenen Umständen überhaupt eine ernsthafte Chance hatte.“

kronstadt

Das Kleinbürgertum weiß nicht genau, was es will, und kann es auch, seiner Stellung nach, nicht wissen. Deshalb auch deckte es die Verwirrung seiner Wünsche und Hoffnungen so bereitwillig mit den verschiedensten Flaggen zu – die der Anarchisten, der Sozialrevolutionäre, oder einfach der „Grünen“. (Leo Trotzki, 1938)

Lenin und Trotzki haben, das weiß man heute, über den Aufstand in Kronstadt gelogen und die Fakten verdreht, dass die Balken sich nicht nur bogen, sondern krachten. In der DDR wurde auch alles totgeschwiegen oder nur nachgeplappert, was die stalinistische Parteilinie zum Thema vorgab.

Einige Thesen des Buches (es ist eine Sammlung von Artikeln):
– Wer die russische Revolution als sozialistische Revolution ansehe, müsse den Kronstädter Aufstand als konterrevolutionär beurteilen. Wer aber die Kronstädter für Revolutionäre halte, könne den späteren sowjetischen „Sozialismus“ nicht mehr als solchen sehen.
– Die russische Revolution sei in Wahrheit eine bürgerliche Revolution gewesen, nur ohne ein relevantes Bürgertum oder sogar gegen die Bourgeoisie. Ein organisiertes und kämpfendes Proletariat habe es nicht gegeben.
– Was sich auf russischem Boden als „Marxismus“ entwickelte, sei in Wirklichkeit „dem jakobinischen Radikalismus eines Auguste Blanqui“ viel näher als den Auffassungen von Marx und Engels.
– Nicht die Arbeiterklasse verfügte nach der Revolution über die Produktionsmittel, sondern der Staat, also die Partei. [Das wird heute niemand bestreiten]

Die Fragen wurde genau so in der chinesischen Kulturrevolution gestellt und wird auch heute in China unter den Tisch gekehrt: Gibt es Klassenkampf und eine herrschende Klasse in einer Gesellschaft, die sich als sozialistisch versteht? Und wie gehen die Linken damit um?

Noch einmal Klaus Gietinger: Dem Einwand, gegen einen von allen Seiten einfallenden Feind hilft keine demokratisch organisierte Armee. kann man mit Rudi Dutschke antworten, daß „eine solche Situation gerade für Milizen und Partisanenkampf geeignet“ ist. Das kann man als naiv ansehen oder einfach als zynisch. So einfach kann man es sich nicht machen. Lieber auf die Macht verzichten und in den Untergrund gehen und die Bevölkerung den Faschisten überlassen?

Ich weiß es nicht. Ich muss mal jemanden fragen. Bini Adamzcak vielleicht.

kronstadt

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Leute in den Zeiten der Corona

t'Pol

Immer eine gute mentale Richtschnur, um durch die Corona-Zeiten zu kommen.

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TKÜ, ick hör dir nicht trapsen

Gerade schrob schrieb ich in einer Arbeitspause in den asozialen Medien: Wer „Ungleichheit“ bekämpfen, aber den Kapitalismus erhalten will, leidet an politischer Schizophrenie und hat schwer einen an der Waffel. #Grüne

Jetzt lese ich bei Fefe ein Zitat aus dem Wahlprogramm der neuen Bourgeoisie-Freundglottisschlaginnen: „…wollen wir es der Polizei ermöglichen, technische Geräte anhand einer rechtsstaatlich ausgestalteten Quellen-TKÜ zielgerichtet zu infiltrieren.“

Die haben ja noch mehr einen an der Waffel, als ich dachte. Vielleicht sollten sich mal die Wählerglottisschlaginnen trauen, mit mir eine Videokonferenz zu machen, mit Zuschauern natürlich – aus dem hiesigen Publikum, und sich für den hanebüchenen Quatsch rechtfertigen, den die ständig verzapfen? Aber vermutlich wählt die hier niemand, die habe ich schon alle vergrault…

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Die Macht der Wokeness

Ganz wunderbarer Artikel vom Bernd Stegemann, leider hinter der Paywall der „Welt“ (die ich abonniert habe):

„Warum sind die Linken nicht mehr links? Diese Frage stellt sich mir schmerzhaft, schaue ich auf die erhitzten Debatten dieser Tage. Greift man beispielsweise zur linken Tageszeitung „taz“, so findet man einen Artikel über das Interview von Meghan Markle und Prinz Harry.

Eigentlich wäre das eine Steilvorlage für jeden Journalisten, der die kalkulierte Inszenierung und ihre materiellen Interessen enttarnen möchte. Als Pointe könnte man leicht herausfinden, wie ein royales Ehepaar nach Hollywood zieht und sich dort als Opfer inszeniert, um das Geschäft mit der eigenen Berühmtheit anzukurbeln.
Doch die „taz“ will nichts von diesem Marketingcoup erkennen und feiert stattdessen Prinzessin Markle als Stimme aller diskriminierten Minderheiten. Es schmerzt zu lesen, wie eine linke Zeitung blind ist für kommerzielle Interessen und wie sie den Trick nicht durchschaut, sich als Opfer zu feiern, um den Marktwert zu steigern. Im Pisa-Test „dialektisches Denken“ würde die „taz“ inzwischen auf den hinteren Plätzen landen. (…)

Woke Linke vertreten nicht mehr die Interessen der Beschäftigten, sondern die Interessen eines akademischen Milieus. Ihre Enteignung ist besonders raffiniert, weil sie dabei unter den Mantel linker Politik schlüpfen und alle nicht woken Genossen herausdrängen. (…)

Die woke Linke macht hingegen die persönliche Sensibilität zum Maßstab. Sie schaut mit einem moralischen Blick auf die Verhältnisse, und ihre wichtigste Waffe ist die Empörung. (…)

Die erfolgreichste Machtpolitik besteht schon immer darin, die eigenen Privilegien zu verteidigen, indem man sich selbst zum Opfer und zum guten Menschen macht. Die Wokeness erfüllt genau diese Funktion. (…)

Die Macht der Empörung liegt darin, dass sie unbesiegbar macht. Das Argument kann noch so gut sein, die Empörung münzt es zu einem Angriff auf das eigene Gefühl um. Und schon ist man wieder verletzt und kann mit noch mehr Empörung reagieren. Empörung ist eine Waffe, mit der man zum Opfer wird, das immer Sieger bleibt.“

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Igel, Katzen und Mangen

wolfram von Eschenbach

…ez waere tal ode berc,
alumbe an allen sîten
er wolt die stat erstrîten.
drîboc und mangen,
ebenhoeh ûf siulen langen,
igel, katzen, pfetraere,
swie vil ieslîches waere
ûf Gyburge schaden geworht,
daz het si doch ze mâze ervorht.

(Wolfram von Eschenbach: Willehalm, vor 1226, erste Erwähnung des Belagerungsgerätes Tribok/Blide (drîboc) (die Passage vorgelesen.)

Nominiere die wichtigsten drei Dichter in deutscher Sprache: Wolfram von Eschenbach, Thomas Mann und Bertolt Brecht.

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Straße der Pariser Kommune

Straße der Pariser Kommune

Aus der Rubrik „nützliches Wissen“: Die „Straße der Pariser Kommune“ in Berlin wurde 1991 nur deshalb nicht umbenannt, weil der französische Botschafter intervenierte. Die Herrschenden in Deutschland fürchten also immer noch, dass sich das Volk an solche Ereignisse erinnern könnte.

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Poliorketik und Haptik

trébuchet

Ich erforsche, wie dem Publikum bekannt, gerade u.a. die Geschichte der Kurbel im Frühfeudalismus. Mit Kurbeln ist es wie mit Frauen: In der Theorie ist alles blass, was zählt, ist das Haptische. Ich werde also ein Modell der Blide (frz. Trébuchet) Leonardo da Vincis kurz zusammenbauen, um die Physik zu kapieren.

Das ist wie ein Selbstversuch: Welche intellektuellen Fähigkeiten benötigt man, um das Prinzip nachzuvollziehen bzw. – was viel interessanter zu beantworten ist – was fehlt einem, wenn man das nicht versteht? Auf welchen kulturellen Vorleistungen basiert das eigene technische Wissen, vor allem beim Gegengewicht, und wie werden bzw. wurden die tradiert? Ceterum censeo: Warum ist das den alten Römern nicht eingefallen?

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Unverzüglich

scifi
Vielleicht das Innere eines Microsoft-Rechners (Symbolbild)

Heise: „Der Landesbeauftragte für Datenschutz in MV und der dortige Rechnungshof fordern von der Landesregierung, ab sofort keine Microsoft-Produkte mehr zu verwenden.“

Man weiß natürlich, wie das ausgeht („dem Land fehlt seit Jahren eine IT-Strategie“), aber die Kommentare sind unterhaltsam.

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Buntscheckig [Update]

Ein Theil der Bourgeoisie wünscht den socialen Mißständen abzuhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern. Es gehören hierher, Oekonomisten, Philantropen, Humanitäre, Verbesserer der Lage der arbeitenden Klassen, Wohlthätigkeits-Organisirer, Abschaffer der Thierquälerei, Mäßigkeits-Vereinsstifter, Winkelreformer der buntscheckigsten Art. Und auch zu ganzen Systemen ist dieser Bourgeois-Socialismus ausgearbeitet worden.

[Update] Ich habe gerade nachgeschaut, wer sich hinter diesen Preudoradikalen verbirgt; offenbar mehrheitlich Ex-Grünglottisschlaginnen. Warum gehen die eigentlich nicht zu Jutta Ditfurth? Vermutlich können sie das Wort „antikapitalistisch“ nicht leiden, das die „Ökologische Linke“ immerhin auf ihre nicht vorhandenen Fahnen geschrieben hat.

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Diversere Wohnviertel

Als advocatus diaboli sage ich: Dänemark fördert die Vielfalt und setzt sich für diversere Wohnviertel ein. Manche meinen, lechtsidentitär und rinksidentitär kann man nicht velwechsern, werch ein illtum. (Ernst Jandl)

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Trierer Apokalypse und der blassrosa Satan

Trierer Apokalypse
Trierer Apokalypse – erste Darstellung eines Kummets

In godes minna ind in thes christânes folches ind unsêr bêdhero gehaltnissî, fon thesemo dage frammordes, sô fram sô mir got geuuizci indi mahd furgibit, sô haldih thesan mînan bruodher, sôso man mit rehtu sînan bruodher scal, in thiu thaz er mig sô sama duo, indi mit Ludheren in nohheiniu thing ne gegango, the mînan uuillon imo ce scadhen uuerdhên. (Altfränkisch bzw. Althochdeutsch, Straßburger Eide, 14. Februar 842, also ein oder zwei Jahrzehnte nach der Trierer Apokalypse)

Ich muss noch etwas zwischenschieben – „Agrarisch und revolutionär (II)“ folgt alsbald.

Das kam so: Ich wollte Mitterauers „Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs“ weiterlesen, stockte aber, weil mir unangenehm auffiel, dass ich das Standardwerk Lynn WhitesMedieval Technology and Social Change“ über die Entwicklung der Produktivkräfte gar nicht kannte. [Triggerwarnung: Der folgende Satz hat sehr viele Wörter!] Seine zentrale These gilt zwar als widerlegt, aber seine Quellensammlung zur Geschichte der Technik sind immer noch die Basis, um die Frage zu beantworten, was eigentlich zwischen dem Untergang des Römischen Reiches und dem Hochfeudalismus geschah, ob man überhaupt von einem „Untergang“ reden sollte, und ob der Feudalismus – also das, was wir hinreichend definieren und einschätzen wollen, wie und warum ein revolutionärer (?!) Fortschritt war und ob die mitteleuropäische Geschichte, die am schnellsten zur Industriellen Revolution und zum Kapitalismus führte, eben, wie Mitterauer fragt, ein „Sonderfall“, also eine Ausnahme ist, oder ob es weltweit ähnlich abläuft, nur mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Ich hatte schon leise vor mich hinmurmelnd vermutet, dass, da es in China immerhin bis zum Staatskapitalismus und einer sich „kommunistisch“ nennenden Partei langte, in Europa nichts dergleichen zu beobachten ist, die asiatische Produktionsweise der asiatische Weg eher derjenige sein könnte, der der in die ferne Zukunft weisende kommunistischen Utopie immerhin näher kommt als alles andere.

Bei der Lektüre von Medieval Technology and Social Change (in deutsch) musste ich dann aus purer Neugier einige der extrem exotischen Quellen nachprüfen. Daher jetzt also die karolingische Trierer Apokalypse aus dem ersten Viertel des 9. Jahrhunderts, die überraschenderweise einige Fragen zur Kontinuität zwischen der Antike und dem frühen Feudalismus ein wenig beantwortet.

Trierer Apokalypse
Trierer Apokalypse – Darstellung fränkischer Krieger mit den typischen Wadenbinden

Auch der Stil der Bilder des Kodex weist in die Zeit [nach 804]. Die Zeichnung der jugendlich runden, unbärtigen Gesichter, die noch relativ differenzierte Gewanddrapierung, das Bemühen um getreue Wiedergabe kontrapostischer Stellungen und Bewegungen, die Andeutung von Schmerz und Leid im Gesichtsausdruck, all dies kommt der mutmaßlichen spätantiken Vorlage so unvermittelt nahe, wie es vor allem in der frühkarolingischen Buchmalerei anzutreffen ist. (Kommentar von Peter K. Klein in der Faksimile-Ausgabe)

Die Trierer Apokalypse ist neben der Valenciennes Apokalypse der älteste Zyklus zum Thema überhaupt. Sie fußt auf einer wesentlich älteren Vorlage. Die Wissenschaft kann anhand vieler Details aber feststellen, was das Original imitiert und was von den karolingischen Mönchen zugefügt wurde und was definitiv nicht spätantik ist. (Ich finde das spannend, aber im Buch nimmt das mehrere Seiten in Anspruch.) Zum Beispiel halten die Personen (Schrift)Rollen in den Händen und keine Bücher. Die Heiligen sind bartlos. Gott auf dem Thron sitzt auf einem Globus ohne Clipeus, war seit dem 4. Jahrhundert in der Kunst bekannt ist. Die Pferde sind ohne Steigbügel, obwohl die zur Zeit Karl des Großen allmählich bekannt und übernommen wurden. Die Frisuren der Frauen sind noch antik.

So weisen der Satan und böse Dämonen eine blaßrosa oder blaugraue Färbung auf, so wie man sie sich in der Spätantike vorstellte. Der Drache (…) erscheint als antike Flügelschlange, besitzt also noch nicht die Reptiliengestalt der früh- und hochmittelalterlichen Darstellungen. (SCNR)

Der Hetoimasia, der Thron Christi, stammt aus dem „heidnisch-antiken Hofzeremoniell“ und wurde seit dem Ende des 4. Jahrhunderts durch apokalyptische Motive (vier Wesen, Siegel-rolle, Lamm) eschatologisch umgedeutet.

Merke: Man nimmt etwas, was ursprünglich etwas ganz anderes bedeutet, und interpretiert das einfach um. Robert Ranke-Graves argumentiert in „Die Weiße Göttin“, dass das Christentum nur ein Abklatsch oder eine umgestaltete Version des römischen Mithras-Kultes gewesen sei.

Wir wissen jetzt so viel, dass wir wissen, dass wir gar nichts wissen. Natürlich ist das Pferdegeschirr am interessantesten. Wieder die Frage: Warum ist das den Römern nicht eingefallen? Lynn White schreibt, es stehe fest, dass das „Altertum die Pferde in einzigartig ungeschickter Form angeschirrt hat.“ Man nahm das Jochgeschirr der Ochsen und legte dem Pferd zwei Stränge um Brust und Hals. „Sobald das Pferd anzog, drückten die Stränge auf Schlagader und Luftröhre, so daß die Atmung und die Blutzufuhr zum Kopfe gedrosselt wurde.“

Das in der Trierer Apokalypse abgebildete Kummet beweist an diesem Beispiel, dass der Frühfeudalismus gegenüber den antiken Techniken revolutionär war: Die Arbeitsleistung eines Pferdes ist, trotz gleicher Zugkraft wie die des Ochsen, um 50 Prozent größer. Vom englischen König Alfred dem Großen, der dem Publikum vermutlich aus dem Ragnar-Lothbrok-Zyklus bekannt ist, wird berichtet, er sei erstaunt gewesen, dass (Ende des 9. Jahrhunderts) in Norwegen Pferde zum Pflügen benutzt wurden.

Wenn an also vom „Untergang“ des römischen Reiches spricht, bezieht man sich auf die politisch und ökonomische Sphäre. Ob das so negativ war, ist strittig. Der Feudalismus war so fortschrittlich, dass er nach der Jahrtausendwende eine Bevölkerungsexplosion nach sich zog, aber nördlich der Alpen. Der Süden wurde abgehängt, würde man heute in den Medien sagen.

Trierer Apokalypse
Trierer Apokalypse: In der ersten Zeile eine lateinische Geheimschrift – die Vokale werden durch die ihnen im Alphabet folgenden Konsonanten ersetzt. Danach ein Zusatz aus dem 15. Jahrhundert „apocaylsis cum pictoris“. Darunter 19 Zeilen Minuskel aus dem frühen 12. Jahrhundert – (Erläuterung Richard Laufners in der Faksimile-Ausgabe)

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Bisher zum Thema Feudalismus erschienen:
– Reaktionäre Schichttorte (31.01.2015) – über die scheinbare Natur und die Klasse
– Feudal oder nicht feudal? tl;dr, (05.05.2019) – über den Begriff Feudalismus (Fotos: Quedlinburg)
– Helidos, ubar hringa, do sie to dero hiltiu ritun (08.05.2019) – über die Funktion der verdinglichten Herrschaft in oralen Gesellschaften (Quedlinburger Domschatz I)
– Tria eburnea scrinia com reiquis sanctorum (09.05.2019) – über Gewalt und Konsum der herrschenden Feudalklasse als erkenntnistheoretische Schranke (Quedlinburger Domschatz II)
– Die wâren steine tiure lâgen drûf tunkel unde lieht (10.05.2019) – über die Entwicklung des Feudalismus in Deutschland und Polen (Quedlinburger Domschatz III)
– Authentische Heinrichsfeiern (13.05.2019) – über die nationalsozialistische Märchenstunde zum Feudalismus (in Quedlinburg)
– Der Zwang zum Hauen und Stechen oder: Seigneural Privileges (15.06.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [I] (24.07.2019)
– Yasuke, Daimos und Samurai [II] (03.05.2020)
– Agrarisch und revolutionär (I) (21.02.2021)
– Trierer Apokalypse und der blassrose Satan (17.03.2021)
– Energie, Masse und Kraft (04.04.2021)
– Agrarisch und revolutionär II (15.05.2021)
– Gladius cum quo fuerunt decollati patroni nostri (Essener Domschatz I) (28.10.2021)
– Magische koloniebildende Nesseltiere mit kappadokischem Arm und Hand (Essener Domschatz II) (14.11.2021)
– Ida, Otto, Mathilde und Theophanu, kreuzweise (Essener Domschatz III) (27.11.2021)
– Hypapante, Pelikane und Siebenschläfer (Essener Domschatz IV) (17.12.2021)
– Pantokrator in der Mandorla, Frauen, die ihm huldigen und die Villikation (Essener Domschatz V) (23.12.21)
– Jenseits des Oxus (09.01.2022)
– Blut, Nägel und geküsste Tafeln, schmuckschließend (Essener Domschatz VI) (18.04.2022)
– Missing Link oder: Franziska und kleine Könige (28.05.2022)
– Die Riesen von Gobero (Die Kinder des Prometheus Teil I) (18.07.2022)
– Die Liebhaber von Sumpa, Ackergäule und Verhüttung (Die Kinder des Prometheus Teil II) (25.07.2022)

Zum Thema Sklavenhaltergesellschaft:
Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil I]) 05.11.2020)

Doppeldenk oder: Die politische Macht kommt aus den Legionen [Teil II]) 27.12.2020)

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#metoogegengendern

Falls jemand noch mehr Argumente braucht zum beliebten Thema: Die ARD-Reporterin Julia Ruhs twitterte: „Gendern ist kein natürlicher Sprachwandel, sondern vollkommen künstlich“. Auf meedia.de gibt es mehr: „Viele junge Frauen sind gegen das Gendern“.

„Für viele Bekannte von mir ist es eh schwer nachvollziehbar, weshalb sich die Welt mit solch nebensächlichen Themen wie dem Gendern befasst. Das zeigt mir immer wieder, in welcher akademischen Blase sich diese Debatte abspielt und wie schnell diese Diskussion bei einem Großteil der Leute auf komplette Verständnislosigkeit stößt.“

Es scheint also auch eine Frage der Zivilcourage zu sein, sich gegen den nur gefühlten Mainstream zu stemmen. Nützt aber alles nichts – es geht hier um Esoterik, und die ist gegen rationale Argumente immun.

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Mit Videos influencen [Update]

burks

Ich aber beschloss nun, Influencer zu werden. Zuvörderst wollte ich lernen, wie man mit Linux Videos macht zusammenschnippelt. Ich sehe das bei Leuten, die zum Beispiel Schachpartien kommentieren – sie sind in einem kleinen Feld zu sehen und das Schachbrett in einem anderen (gut, die benutzen vermutlich Windows). Oder wie macht Liv Boeree das? Wie also bekommt man womit in ein normales Video noch etwas hinein? Ich weiß noch nicht einmal, wie man Filmsequenzen zusammensetzt (vermutlich muss ich irgendein Handbuch lesen oder gar viele).

Welche Software ist unter Linux empfehlenswert? VLC? Meine Webcam bediene ich mit Cheese.

[Update] Der Schockwellenreiter hat allerhand dazu geschrieben, mitsamt Links zu Software und Tutorials.

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Schwampel oder: Wahl, wahler, am wahlsten

politische Farbenlehre

Die aktuellen Landtagswahlen bitte ich aus der Perspektive des Jahres 2052 zu sehen (wenn ich meinen ersten dreistelligen Geburtstag feiere). Das ist so, als versuchten wir heute die Landtagswahl in Lippe einzuschätzen, wer wichtig war und wer nicht und wozu das alles führt.

Die „Grünen“ sind also die Partei der modernen Bourgeoisie, also die neuen Konservativen. Die „Linke“ ist am Gesäß, aber will das nicht wahrhaben und auch keine Konsequenzen ziehen („viel Arbeit liegt vor uns“ – was für ein entsetzliches Gefasel…).

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Die Quadratur des politischen Kreises

diego rivera

Mexico-Stadt – Palacio de Bellas Artes: Wandgemälde „Der Mensch am Scheideweg“ (1934, gemeinfrei) von Diego Rivera. Ein großartiger Künstler! Warum habe ich damals, als ich mehrfach in Mexiko war, seine Bilder nicht angeschaut?

Interessanter Artikel, der aber die Quadratur des Kreises verlangt: „Arbeiter nicht gegen Frauen und Migranten ausspielen“. Restriktive Migration und eine Absage an Identitätspolitik werden die Sozialdemokratie nicht retten, meint Tarik Abou-Chadi von der Uni Zürich. Ich sehe das Problem, das er anspricht, aber teile seine Meinung nicht.

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