Not in der Notaufnahme

Lesenswerter Artikel auf Zeit online (inklusive der Kommentare): „Immer wieder werden in deutschen Krankenhäusern schwere Leiden nicht oder zu spät erkannt. Eine Gruppe von Ärzten schlägt Reformen vor – doch die werden abgeblockt“.

Ceterum censeo: Das Gesundheitssystem muss zu großen Teilen verstaatlicht werden. Auf Kosten der Kranken darf kein Profit gemacht werden. In Kuba funktioniert das besser als hier: „Die Gesundheit der Bevölkerung lässt sich die kubanische Regierung nach wie vor etwas kosten – rund 13 Prozent des kubanischen Staatshaushaltes fließen in diesen Sektor.“

Ein Leserkommentar auf Zeit online: „Das Prinzip eines Facharztes Notfallmedizin ist in allen angloamerikanischen und nahezu allen kontinentaleuropäischen Ländern (ausser den deutschsprachigen und wenigen Exoten) etabliert und funktioniert prima.“

Dazu passt auch ein älterer Artikel: „Behandlungsfehler kosten in Deutschland fünfmal so viele Menschen das Leben wie Verkehrsunfälle, nämlich 19.000. Jedes Jahr.“




Und nun alle zusammen: Für das Wachstum!

Tancred's landing

Screenshot: Meine Gor-Sim Tancred’s Landing in Second Life, die mit dem Thema des Postings unten rein gar nichts zu tun hat.

Ich wollte eigentlich über das Gefasel der Frau Christine Lagarde etwas schreiben und über die Tatsache, dass sich Journalisten zu bloßen Pressesprechern von Lobbyisten und Pressure-Groups degradieren, wenn sie nur das unkritisch wiederkäuen, was ihnen in den Mund gelegt wird.

Ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte, ist wieder einmal Spiegel online: „‚Eine hartnäckig niedrige Inflation kann dem Wachstum schwer schaden‘, sagte die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) am Freitag in Paris. Auch trage sie dazu bei, dass die Schuldenlast noch schwerer wiege.“

Ja und? Ist das wahr oder nicht oder wisst ihr es nicht? Man hat den Eindruck, dass, fällt der Begriff „Wachstum“, sofort der Kopf zum Gebet abgenommen wird: Freier Markt(TM) unser, der du bist im Kapitalismus unser aller Gott usw..

Lagarde ist Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Bei Wikipedia lesen wir über den IWF und das Wachstum: „Dem IWF wird vorgeworfen, durch die an die Kreditvergabe geknüpften Bedingungen in vielen Ländern die bestehenden Sozialsysteme zu zerstören. Für Kritiker gelten ‚die geforderten Sparprogramme und Einschnitte in Sozialprogramme […] für die Menschen in Entwicklungsländern [als] unzumutbar und [seien zudem] für das Wachstum schädlich.'“

Aha?! Und? Können deutsche Journalisten vielleicht auch selbst denken? Nein? Quod erat demonstrandum.

Spiegel online schließt mit den „wunderbaren“ Worten: „Die französische Wirtschaft kämpft derzeit mit Wachstumsproblemen“. Leider kann ich nicht wirklich sagen, wer das verbrochen hat; ein Kandidat für den Wanderpokal „Lautsprecher des Kapitals“ wäre diese Person auf jeden Fall.

Pfui, das ist kein Journalismus, sondern schlicht ekelhaft.




Kommt ein Mann in die Rettungsstelle

Junger Mann, Spießerfrisur, künstlich durchgewuschelt, schicker Mantel, Hände vor dem Bauch, schreit mit schwerzverzerrtem Gesicht: „Aua! Aua!“, wirft sich auf eine Trage, schreit noch lauter.
Diagnose Security: Vielleicht Notfall, sollte Warteschlange umgehen können. Vielleicht Blinddarmdurchbruch? Medizinisches Personal muss sofort her.

Ärztin läuft herbei, fragt: „Wo tut es Ihnen denn weh?“
Mann, Hände immer noch vor dem Bauch: „Das tut doch nichts zur Sache!“

Diagnose Arzt (Triage): „Hat nix.“ Diagnose Unfallchirurg: „Hat nix.“ Diagnose Internist: „Hat nix.“ Diagnose Psychiater: „Hat was.“




Uroburos

uroboros

Bei Artikeln wie dem über die supergeheime und ultraböse Spionage-Software Uruboros, die auch noch von Lobbyisten geschrieben werden, muss man natürlich die Fakten überprüfen. Im Original-Report finden sich dann Sätze wie: „During this 2008 campaign, a USB stick was deliberately ‚lost‘ in the parking lot of the United States Department of Defense. This USB stick contained malicious code and infected the military’s network. (…) In an article published by Reuters, in 2011, the journalist mentioned that “U.S. government strongly suspects that the original attack was crafted by Russian Intelligence.“

Wenn sich „Sicherheitsexperten“ schon auf Journalisten („Old worm won’t die after 2008 attack on military“) berufen, dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Die These, die gefundene Software sei „russisch“ und das könne man beweisen, halte ich für bestenfalls für Blödsinn. Das riecht doch sehr stark nach geheimdienstlicher Desinformation.




Mindestlohn und PPP [Update]

wachschutz

Foto: Burks (Titel eines Wachbuchs)

Ich habe mich mal umgesehen, ob es Blogs gibt, die sich mit der Situation der Arbeitenden in der Sicherheitswirtschaft befassen – aus deren Sicht. Zum Thema relevante Beitrage habe ich nur auf dem offenbar Polizei-nahen Cop2Cop gefunden. Aber ansonsten – ausser ein paar verstreuten Infos beim DGB und bei ver.di: Fehlanzeige.

Dabei ist das Thema pädagogisch wertvoll, um die Strategie und Taktik des Kapitals – hier meistens die der Kleinbourgeoisie, also des so genannten Mittel“stands“ – zu erläutern, was den Lohn angeht. Der Lohn sind die Kosten der Ware Arbeitskraft, also das, was die Arbeiter auf dem Markt verkaufen. (Sie sind also eigentlich die „Arbeitgeber“.)

Zur Info: Die Zahl der Beschäftigten und der Umsatz im Sicherheitsgewerbe steigen. Es gibt – laut FAZ – rund 4000 Unternehmen und 183.000 Beschäftigte. Je nach Ländern gelten unterschiedliche Mindestlöhne; Unternehmen, die in den neuen Bundesländern ihren Stammsitz haben, aber in Berlin ihre Dienste anbieten, sind also klar im Vorteil. Wenn das der freie Markt(TM) wüsste!

Erst ab Mai 2011 gibt es überhaupt einen allgemeinen Mindestlohn im Sicherheitsgewerbe – 7,50 pro Stunde im . Warum ist also die Kleinbourgeoisie dafür? Noch vor wenigen Jahren wurden Stundenlöhne von rund fünf Euro gezahlt, das ist im Monatsdurchschnitt fast weniger als der Regelsatz von Hartz IV.

Ein Unternehmensvertreter hat das hübsch gesagt: Die Anzeichen verdichteten sich, dass „besonders polnische Firmen“ ab Mai 2011 das Lohngefälle ausnutzen und massiv auf den deutschen Markt drängen würden.
Da Angebote mit dem niedrigsten Preis in der Regel den Zuschlag bekommen und effektive Kontrollen fehlen, werden künftig fragwürdige ausländische Dienstleister die Situation erheblich verschärfen.(…) Zahlreiche Sicherheitsfirmen stünden bereits in den Startlöchern, um auf dem deutschen Markt aktiv zu werden. Bei einem durchschnittlichen Stundenlohn von rund drei Euro rechnen sie sich gute Chancen aus, deutsche Unternehmen zu verdrängen.

Daher weht der Wind. Nun muss man wissen, dass im Wachgewerbe nicht nur unglaublich niedrige Löhne gezahlt werden, sondern dass die Unternehmen noch ganz andere Tricks auf Lager haben: Die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt 12 Stunden; oft werden nur elf abgerechnet, weil Pausen nicht bezahlt werden.

Warum „boomt“ das Sicherheitsgewerbe überhaupt? Mir war das nicht wirklich klar, bevor ich mich mit einem ver.di-Gewerkschaftssekretär unterhalten habe. Die Polizei und Städte und Gemeinden müssen ihre Gebäude bewachen, die dort Beschäftigen bekommen aber den Tariflohn für den öffentlichen Dienst. Das ist denen zu teuer, also wird alles „outgesourct“. Private Sicherheistfirmen bewachen jetzt Rathäuser und Polizeiwachen und Schulen. Dafür hat sich die Neusprech-Abteilung den Begriff „Public-Private Partnership“ ausgedacht. Es geht also darum die Löhne zu drücken. Das beschreibt man am besten mit einem Begriff, der positiv klingt: „Partnerschaft“. Böse Menschen wie ich würden eher von einer öffentlich-privaten Komplizenschaft reden. Oder die Unternehmen treten aus den entsprechenden Verbänden aus – dann können sie zahlen, was sie wollen.

[Update] Spiegel online: „Wenn die Stunde 80 Minuten hat“.