Katastrophenalarm

rettungsstelle

Katastrophenalarm in der Rettungsstelle im Urban-Krankenhaus: Über eine Telefonkette alarmiert, kamen rund 50 Ärzte, Schwestern und Pfleger freiwillig, obwohl sie keinen Dienst hatten. Hervorragende Organisation und beeindruckender Einsatz. Proud to be part of the team.




Security on strike?

Taz: „Die Wach- und Sicherheitswirtschaft steht möglicherweise vor einem Arbeitskampf. In mehren Bundesländern sind die Tarifverhandlungen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit dem jeweiligen Landesableger des Bundesverbands der Sicherheitswirtschaft (BDSW) ins Stocken geraten – und zum Jahreswechsel endet die Friedenspflicht. Danach drohen Streiks, falls die Arbeitgeber nicht bereit sind, mindestens eine zentrale Forderung der Gewerkschaft zu erfüllen: Niemand in der Branche soll künftig weniger als 10 Euro verdienen. (…)
Der Personalbedarf im Sicherheitsgewerbe ist groß. 13.000 Arbeitsplätze sind zurzeit unbesetzt. Was nicht zuletzt daran liegt, dass sich in der Branche zwar gut Geld verdienen lässt – nur nicht von den Wachleuten. 80 Prozent der Beschäftigten der allgemeinen Bewachung arbeiten im Niedriglohnbereich. Je nach Bundesland liegen die Stundenlöhne zwischen 8,60 und 9,74 Euro brutto.“

Yeah.




Ich stech dich ab! [Update]

rettungsstelle

Michael de Ridder beschreibt im Tagesspiegel meinen Arbeitsplatz: „Beispiel Urban-Krankenhaus: Unfassbare Beleidigungen des Rettungsstellenpersonals sind in Berliner Kliniken an der Tagesordnung“.

Von heute Nacht kann ich beisteuern (zu mir): „Du Fotze!“ – „Ich bring dich um“. ! – „Verdammter Penner“. Zwei Mal musste ich jemanden gewaltsam aus der Rettungsstelle entfernen. Einmal musste die Polizei kommen, weil ein Türke das Personal permanent beleidigte und im Warteraum herumbrüllte und nicht kapierte, was ein Hausverbot ist. Die Polizei erklärte es ihm.

Coolster Spruch des Tages: Ein beschmutzter Herr, der von der Feuerwehr gebracht wurde und sich vollgekotzt hatte, sagte, nachdem der Brechreiz einigermaßen vorbei war: „Scheiße, jetzt muss ich auch noch kacken.“

Von de Ridder gibt es übrigens ein sehr gutes Buch, das ich gelesen und für mein eigenes Buch zum Thema oft verwendet habe: Heroin: Vom Arzneimittel zur Droge.

[Update] Das konnte die Leitung des Krankenhauses so nicht auf sich sitzen lassen. Tagesspiegel: „Urban-Krankenhaus setzt auf Schulung und Wachschutz“. Har har. Wer kann das nur sein…




PPP

Pro7 hat einen Beitrag über die Firma, für die ich arbeite. Interessant, dass auch über die Probleme der Branche offen geredet wird (aber nicht über die Löhne).




Vorauseilender Antirassismus

Die Leipziger Volkszeitung über Tanzveranstaltungen im linken Conne Island (ein selbstverwaltetes Jugend-Kulturzentrum in Leipzig-Connewitz):
Zudem sei der sogenannte „Refugees-Fuffziger“ durch junge Männer mit Migrationshintergrund missbraucht worden. Gerade bei Tanzveranstaltungen seien sie angesichts des billigen Eintritts in größeren Gruppen angerückt, um dort für Stress zu sorgen. Sie trafen der Schilderung nach auf verunsicherte Security-Leute, die sich im Umgang mit Migranten mehrmals ungerechtfertigt einem Rassismusvorwurf ausgesetzt sahen – zumal auch unbeteiligtes Publikum „in vorauseilendem Antirassismus“ das Einlasspersonal zurechtgewiesen habe. (…) „Ein verbales Umschiffen des Sachverhalts“, so die Erkenntnis des Plenums, „scheint nicht mehr zweckdienlich.“

Würde mich schon interessieren, ob es auch selbstverwaltete Security-Leute waren… Jedenfalls hatten die offenbar keinen Plan. Sollte man aber haben.

Das Problem kenne ich. Das hat aber nichts damit zu tun, ob jemand, der Stress macht, Einwanderer ist oder nicht. Wenn jemand zum Beispiel (sehr oft „Bürger mit polnischem Migrationshintergrund“) einen Arzt oder einen Krankenpfleger angreift und ich das verhindere, gib es fast immer Einwürfe aus dem weiblichen deutschen Publikum aka Wartende, warum ich so brutal sei. Man muss schon vorher genau wissen, was man will, sonst geht alles schief. Man darf auch keinen „Krieg“ anfangen, den man nicht wirklich gewinnen möchte, auch wenn etwas Unvorhergesehenes passiert.

Aus völkerkundlicher Sicht finde ich viel interessanter zu fragen, warum ein Sachverhalt – und welcher – „verbal umschifft“ werden sollte? Welcher Schiffbruch könnte drohen?




Zutritt nur nach Aufforderung

notaufnahme

Berliner Morgenpost: „Überfüllte Notaufnahmen: Patienten attackieren Personal“. RBB: „In Berliner Notaufnahmen steigt die Aggressivität“.

Ach. Was mich ärgert: Die Berichte sind wie gewohnt fast faktenfrei. „Eine dramatische Zunahme beobachte man im UKB jedoch nicht. Festhalten könne man nur, dass die größte Gruppe der aggressiven Patienten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehe.“ Das UKB hat auch einen anderen Einzugsbereich und eine völlig andere Klientel als etwa das Urban-Krankenhaus oder das Klinikum Neukölln. Aggressive Araber stehen zum Beispiel eher selten unter „Drogeneinfluss“, die sind ab Werk aka Sitten und Gebräuche so.

Die Befragten in den Artikeln haben wenig Ahnung und machen abstruse Vorschläge. „Warte- und Behandlungsbereich sind nur durch Glaswände getrennt, damit die Patienten sehen, dass in der Notaufnahme etwas passiert und dass gleichzeitig auch sie wahrgenommen werden“. Was für ein Quatsch und fernab jeder Realität! Wäre das zum Beispiel im Urban-Krankenhaus so, dann gäbe es täglich Mord- und Totschlag.

„Einzelne Rettungsstellen hätten einen eigenen Wachschutz, ansonsten werde bei Bedarf die Polizei gerufen.“ Ja, aber die braucht ein paar Minuten. Das kann schon zu spät sein. Und es gibt zahllose Fälle unterhalb der Schwelle des Eingreifens der Polizei, die geregelt werden müssen.

Zeit online: „Die Gründe sind laut dem Gutachten vielfältig“. Wer hätte das gedacht!

Am realistischsten formulierte Welt online schon vor einem Jahr: „Rettungsstellen in Deutschlands Kliniken sind hoffnungslos überlaufen. ‚Zu uns kommen alle, auch Gelangweilte und Irre‘, sagt ein Arzt. Darunter leiden echte Notfälle und das Personal. Das soll sich ändern.“ Soll. Schon klar, der Berliner Flughafen soll ja auch gebaut werden.

Ich habe da einen Vorschlag. Befragt doch einfach mal die Schwestern und Pfleger (nein, nicht die Ärzte und nicht jemand, der irgendwo etwas verwaltet), die in einer Notaufnahme in Berlin in einem so genannten „Problembezirk“ arbeiten. Die wissen, was getan werden könnte und was am besten wäre. Aber die fragt niemand.




Fuck Salām oder: Gangs of Germany

gang of new york

Don Alphonso schreibt in der FAZ über „Das regierungsfreundliche GibGeldDuOpfa der Medien in der Provinz“. Sehr gut, sehr lesenswert, alles ist korrekt benannt, insbesondere die Rolle der Medien. Ich stimme trotzdem nicht zu, wenn es um die Konsequenzen geht. By the way: Wie sah denn das Einwanderungsland USA früher aus? (vgl. Foto)

(Das liegt auch daran, dass ich nach einer 12-stündigen Nachtschicht in einem Problemkiez Berlins gerade aufgestanden bin und gefrühstückt haben und in einer Stunde schon zur nächsten muss. Ich habe einfach nicht so viel Zeit wie Kleinbürger und Couponschneider. Ihr dürft mich gern temporär Proletarier nennen, obwohl ich vermutlich keiner bin, aber im Gegensatz zu 95 Prozent aller Leute, die das Internet vollschreiben oder sonst was mit Medien machen, kenne ich genug waschechte Proletarier, um zu wissen, was die so denken und tun.)

Anders als Don Alphonso erkläre ich Verhalten (oder auch Religion) als versuchtes Anpassen an die Umstände. Was ist effektiv und was nicht? Warum sollte ich arbeiten, wenn es auch anders geht? Warum sollte ich mich gewaltfrei durchsetzen, wenn Gewalt viel effektiver ist? Das Kleinbürgertum kommt nie weiter als bis zur Moral und zum Lamentieren, dass jemand etwas „Falsches“ tut oder sagt. Lieber Don, es kommen keine Leute, die sich ausbilden lassen wollen (das ist die Minderheit), sondern es kommt die industrielle Reservearmee. Das ist so gewollt und nützt dem Kapital auf lange Sicht, nicht jedoch dem ländlichen Kleinbürger. Das war noch nie anders.

„Urbane Eliten“ ist übrigens für mich ein Synonym für Spießbürger, die vegan essen, wissen, was „queer“ bedeutet (meine Eltern, die noch leben, wissen das nicht), und die trotzdem, wenn es die Situation gefühlt erforderte, sehr schnell bei einer NSDAP light, revisited landen könnten, auch wenn sie sich „alternativ“ dünken. Ich traue dieser Hipster-Mischpoke nicht über den Weg. Das sehe ich noch „härter“ als Don Alphonso.

Erst kommt das Fressen, dann die Moral, sagte Brecht. Das gilt für Deutsche (die sich offenbar nicht ändern) und Einwanderer gleichermaßen.

Ich hatte gestern in der Rettungsstelle eine Libyer, der randalierte, das Personal beleidigte, herumbrüllte und laut „Fuck Merkel“ und „Fuck Deutschland“ rief, und, als ich ihn auf Arabisch grüßte, „fuck salam“ antwortet. Ich wusste dann: Der Kunde Patient war extrem schlecht gelaunt.

Ich bin mit ihm mit Mühe fertig geworden. Einer der vier Polizisten, die in Eile (Codewort für „es muss wirklich schnell gehen und bitte mit Blaulicht“) kamen, sprach Arabisch und beruhigte ihn. Auch das ist ein Service des von Don Alphonso gehassten Berlin: Polizisten, die den Übeltätern mit kosmopolitischer Attitude kommen. Die ließen sich auch nicht aus der Ruhe bringen, als er sie mit „Fuck Polizei“ ansprach. War großes Theater, wofür man anderenorts Eintritt zahlen müsste. Darüber könnte man jetzt sehr viel schreiben, aber ich muss arbeiten….




Fünf?!

Wir hatten heute eine Patientin mit exakt fünf Promille Blut im Alkohol Alhohol im Blut. Wie und was muss man da trinken? Und wie lange muss man dafür trainieren, damit der Körper das aushält?

„Der Wert der letalen Dosis wird in Fachliteratur mit 3 ‰ bis 4 ‰ beschrieben. Allerdings sind Fälle mit einer überlebten BAK um 4 ‰ nicht außergewöhnlich. Es sind extreme Fälle bekannt, die diese Werte deutlich überschreiten.“ Quod erat demonstrandum.




Feierabend

feierabend

Wenn fünf junge Männer, Deutsch und Arabisch sprechend, in den Warteraum kommen, mit Adrenalin voll bis zur Oberkante Unterlippe, und ich allein vor ihnen stehe und eine kleine Ansprache halte über das Thema, welcher Geräuschpegel erwünscht sei und welcher nicht, und sie mich dann mit „Chef“ titulieren, dann weiß ich, dass – aus pädagogischer Sicht – die Sache einwandfrei gelaufen ist.




Sie werden gerettet oder: Falsche Substanzen und mein Kampf mit Herrn M.

rettungsstelle

Man muss nicht obdachlos bleiben in Berlin. Meine Theorie: Obdachlosigkeit ist immer ein Symptom. Das Problem: Wer einen Schlafplatz sucht, muss das vor 22 Uhr tun und nüchtern sein. Daran scheitern viele. Fast immer ist Alkohol im Spiel.

Psychiater der Rettungsstelle am Diensttelefon: „Kannst Du mal schnell kommen? Ich brauche Begleitschutz, ich muss eine Patientin zur Station bringen.“
Die Frau, Ende vierzig, umklammert den Arm ihres Ehemanns. Beide sind ordentlich gekleidet. Sie scheint die Idee, in eine geschlossene Abteilung des Psychiatrie gebracht zu werden, akzeptiert zu haben. Wir gehen alle zum Fahrstuhl. Die Dame benimmt sich unauffällig und keinesfalls aggressiv. Ich sage ihr, dass ich sie beschützen würde. Es ist nützlich, problematische Kunden „zuzutexten“. Wenn für die ein Arzt der „bad guy“ war, sind sie um so nervöser, wenn ein großer Mann auftaucht, der unschwer als Security zu erkennen ist. Wenn man scheinbar nett zu den gefährlichen Patienten ist, dreht sich oft schnell der Spieß um: Sie jammern und beklagen sich bei mir über die „bösen“ Ärzte. Dann sind sie abgelenkt.
Vor der Glastür der geschlossenen Abteilung angekommen, zögert die Dame. Der Psychiater schließt die Tür auf. Plötzlich beginnt sie zu schreien, reißt sich von ihrem Mann los und fuchtelt mit den Armen herum:“ Ich will nicht! Ich will nicht! Ich bin doch gar nicht betrunken!“
Ich schaue zum Psychiater, warte auf ein Zeichen, ob ich eingreifen soll. Der bleibt cool und sagt der Dame in freundlichem Ton“: „Aber 3,6 Promille ist ganz schon viel Alkohol.“

Ich habe in den letzten zwei Jahren so viele Obdachlose „kennengelernt“, dass ich mir auch die These erlaube: Jedes Schicksal ist anders, jeder ist ein Einzelfall, man kann nie verallgemeinern. Die Menschen jedoch, die Obdachlose „von außen“ ansehen, in deren Leben diese nicht vorkommen, haben überhaupt keine Ahnung.

Es wird nie eine Reportage geben können, die auch nur annähernd realistisch ist, weil kein Krankenhaus das erlauben dürfte und könnte und weil das gesamte Gesundheitssystem damit ad absurdum geführt werden würde.

Für Obachlose bin ich ein Feind, weil ich andere Interessen vertrete. Ich versuche zu verhindern, dass sie die Rettungsstelle des Krankenhauses, in dem ich als „Bodyguard“ des Personals arbeite, missbrauchen, um einen Schlafplatz zu finden. Sie kennen Überlebenstechniken, um dennoch zum Ziel zu kommen. Man muss das sportlich sehen und nicht persönlich. Die Elite der Obdachlosen hebelt im Alleingang das System aus.

Psychiater schon wieder am Diensttelefon: „Kannst Du mal kommen? Ich muss einen Patienten zur Station bringen. Ich traue ihm nicht.“
Der Mann ist mittelalt, groß und stark, etwas füllig, kleiner als ich, seriös gekleidet und redet wie ein Wasserfall, aber in freundlichem Ton. Wir gehen zu dritt zu den Fahrstühlen. Ich halte mich schräg hinter dem rechten Arm des Mannes, trage dessen schwere Reisetasche mit meiner linken Hand, und plaudere scheinbar interessiert über die Weltläufte mit ihm. Ich frage ihn, ob er Gold gewaschen habe, die Tasche sei schwer. Nein, sagt er, das seien Bücher, wichtige Bücher. Über Literatur kann man immer gut plaudern. Ich kriege aber nicht heraus, um welche Bücher es sich handelt. Vermutlich weiß der Mann das auch nicht.
Vor der Tür zur geschlossenen Psychiatrie halten wir an. Der Psychiater schließt auf und schaut den Mann an. Der weicht zurück, ich auch, damit ich ihn vor mir habe. Ich stelle die Tasche ab. Der Mann schreit: „Da gehe ich nicht hinein, auf keinen Fall“, und hebt die Faust gegen den Psychiater. „Wir haben das doch besprochen“, sagt dieser, und löst den Alarm aus. Von Gang hinten sehe ich zwei Pfleger auf uns zurennen.
Der Mann findet das nicht gut und versucht den Psychiater zu schlagen, ist aber schon im Doppelnelson. Ich übergebe ihn den Pflegern.

Vielleicht ist Herr M. auch nur ein heimlicher Anarchist. An manchen Tagen beschäftigt er mich fünf Stunden lang, und ich muss mehrere Male die Polizei rufen. Das Geschäftsmodell des Herrn ist es, sich hilflos zu stellen, um in der Rettungsstelle übernachten zu können. Zugegeben: Er ist fast immer betrunken und sieht recht desolat aus, trägt aber eine Brille und eine Warnweste. Zudem fährt er ein Fahrrad. Ich weiß nicht, ob er obdachlos ist, ich nehme es aber an. Herr M. radelt bis vor das Krankenhaus, schließt es ab und lässt sich vor dem Eingang der Rettungsstelle zu Boden fallen, und rührt sich nicht und reagiert nicht auf Ansprache. Alternativ: Er legt sich mitten auf die Kreuzung einer nicht sehr befahrenen Straße in der Nähe, und legt das Fahrrad neben sich, dass es nach einem Unfall aussieht. Es dauert meistens nur eine Minute, bis ein besorgter Bürger die 112 anruft oder, wenn es direkt vor dem Krankenhaus ist, mich über eine „hilflose Person“ informiert, um die ich mich kümmern müsse.

Was tun? Eine Rettungsstelle kann Betrunkene, die sich selbst „einliefern“ oder von der Feuerwehr gebracht werden, nicht ablehnen; sie könnten ja noch etwa anderes haben als zu viel Blut im Alhohol Alkohol im Blut. Unser Rekord steht bei 5,1 Promille. Die Schwestern erzählen von einem Mann, der mit rund fünf Promille von der Polizei gebracht wurde und noch stehen und artikuliert reden konnte. Als eine Schwester ihm sagte, wenn er wolle, könne er auch gehen und dieser Anstalten machte, die Rettungsstelle schwankend, aber auf zwei Beinen zu verlassen, meinte ein Polizist völlig entgeistert: „Müsste der nicht tot sein?“

Es kommt darauf an, welcher Arzt Dienst hat. Manche meinem beim Anblick des Herrn M., der dann auf einer Trage liegt, nachdem sie ihn kurz gecheckt haben: „Keine medizinische Indikation“ und geben mir einen Wink, ihn hinauszuwerfen. Andere Ärzte lassen ihn einfach seinen Rausch ausschlafen. Das war das, was Herr M. im Sinn hatte. Man kann nur froh sein, dass nicht mehr Leute auf die Idee kommen.

Ein wahnsinniges Geschrei draußen vor dem Eingang. Zwei Polizisten, eine Polizistin und drei Feuerwehrleute bringen einen fast nackten Mann in Handschellen, der auf dem Bauch angeschnallt auf einer Trage liegt und schier unmenschliche Laute von sich gibt und trotzt der Fesseln tobt und sich aufbäumt. So muss „in Zungen reden“ sich anhören. Die meisten Kunden, die randalieren, schimpfen, beleidigen und fluchen aus Leibeskräften, aber man kann fast immer die Sprache erkennen, meistens ist jedes zweite Wort „Hurensohn“, „Fotze“ (bei Arabern) oder „Kurwa„. Für die Statistik: Wenn drei Polizisten mit einem Randalierer kommen, sind die fast immer total cool, grinsen und lassen sich nicht aus der Ruhe bringen; kommen jedoch acht Polizisten mit einem (!) Mann in Handschellen, finden sie ihn nicht wirklich sympatisch.
Der diensthabende Psychiater muss erst von einer Station geholt werden. Das kann schon mal dauern. Wir stehen alle um den Mann herum. Der hört nicht auf zu schreien und zu toben, er ist schweißüberströmt, sein Gesicht liegt in einer Pfütze seiner eigenen Spucke.
Die Polizistin schüttelt den Kopf. Auf jeden Fall stimmt hier die übliche Diagnose: Falsche Substanz, und auch noch die falsche Menge davon.
Mittlerweile ist die Psychiaterin da. Der Mann wird fixiert. Er schreit jetzt schon fast eine halbe Stunde und hört nicht auf. Alle übrigen Patienten der Rettungsstelle beschweren sich oder sind verängstigt. Das medizinische Person schaut kurz um die Ecke; die kann man sowieso durch nichts mehr erschüttern. „Sowas hatten wir schon öfter“, murmelt eine Krankenschwester, und ein Pfleger kommentiert abgebrüht: „Haben wir überhaupt soviel Haldol hier, um den ruhigzustellen?“
Oft werde ich gerufen (falls die Polizei nicht eh schon da ist), wenn ein Patient ein Medikament intravenös bekommen muss, weil der so randaliert, dass die Schwestern keine Vene treffen. Bei Junkies geht es manches Mal um Leben und Tod, und diese wissen nicht, was sie tun und dass sie sich gegen Mediziner wehren, die sie retten wollen.

Aber wie kann man Herrn M. hinauswerfen? Der wiegt bestimmt 90 Kilo, wehrt sich aber nicht. Aber er steht nicht freiwillig auf. Man fährt ihn auf der Trage nach draußen. Natürlich kann ich Armhebel ansetzen, die ihm vermutlich weh tun, und die ihn zwingen, von der Trage runterzukommen. Und dann? Schleppe ich ihn zehn Meter weit, in Richtung des Parks, in denen es Bänke gibt, lässt er sich fallen, alles untern den Blicken zahlreicher Schaulustiger, die misstrauisch beäugen, was ein böser Wachmann mit einem wehrlosen Obdachlosen anstellt.

Herr M., kann sehr wohl recht gut zu Fuß gehen; das weiß in diesem Augenblick aber niemand außer ihm selbst und mir. Meistens hole ich den Kollegen, der nachts im Krankenhaus Steife geht, und wir setzen Herrn M. zu zwei auf eine Parkbank. Es dauert aber nur höchstens zehn Minuten, dann kommt der wieder angewankt und lässt sich vor dem Eingang fallen. Oder er schreit einfach laut um Hilfe, bis wieder jemand die Feuerwehr ruft (es sind nur 50 Meter von der nächsten Parkbank zum Eingang.) Wir nehmen jetzt meistens einen Rollstuhl, auf den wir Herrn M. setzen, und rollern ihn im Eiltempo ein bisschen weiter weg, dass er länger braucht, um wieder zurückzukommen.

Man kann natürlich auch die Polizei holen. Wenn ein Arzt der Rettungsstelle bestätigt, dass Herr M. nicht behandelt werde, haben die Polizisten ein Problem. Sie schleppen ihn auf eine Parkbank, der lässt sich sofort auf den Boden fallen, damit es dramatisch aussieht, und sobald die Polizei außer Sicht ist, steht er auf und begibt sich wieder in Richtung Rettungsstelle. Die Polizei kann jemanden nicht mehr so einfach in die Gesa bringen, weil es dazu einen richterlichen Beschluss braucht und weil Herr M. eigentlich nichts Verbotenes getan hat. Er schädigt nur „den Steuerzahler“, aber im Gegensatz zu den Banken, die das auch tun, sind die paar hundert Euro pro Nacht für die Feuerwehr- und Polizeieinsätze Peanuts.

Normalerweise erkläre ich den Polizisten das Geschäftsmodell des Herrn M.. Sie beobachten ihn dann, um zu sehen, ob ihre pädagogische Ansprache wirkt. Tut sie aber nie. Neulich hatte ich Glück, und die Polizei hatte nicht so viel zu tun. Herr M. kam zur Rettungsstelle zurück, aber die Polizisten warteten schon auf ihn, und schleppten ihn wieder auf eine Bank. Von Ferne sah ich, dass die Ansprache jetzt schon viel schlechter gelaunt ausfiel. Herr M. wartet dann eben ein bisschen länger. Oder er setzt sich auf sein Fahrrad und fährt die Auffahrt zur Rettungsstelle hinunter, bis zur Kreuzung, und lässt sich dort wieder fallen. Vorgestern ging das mehrere Stunden so. Irgendwann standen zwei Polizeiwagen da, und die Scheinwerfer leuchteten in den Park zu Herrn M., der dort lag und laut um Hilfe schrie. Eine Polizistin sagte mir, dass die Nachbarn ständig 110 anriefen: Da rufe jemand im Park. In diesem Fall müssen die Polizisten Herrn M. wohl Angst gemacht oder sie haben ihm mit irgendwas gedroht (was natürlich ein Bluff war), denn er bliebt eine halbe Stunde auf der Bank sitzen. Dann verschwand er. Ich habe ja viel zu tun und kann nicht immer nachsehen. Dann kam ein Auto vorgefahren, ein Mann stieg aus und sagte mir in besorgten Ton: „Da liegt ein hilfloser Mann auf der Straße“. Als ich fragte, ob der eine gelbe Weste anhabe und ob da auch ein Fahrrad sei, nickte der: Ich bin kurz hingerannt und habe Herrn M. an seinem Fuß von der Straße ins Gebüsch gezogen, dass ihn niemand überfahren konnte.

Eine Stunde geschah nichts. Es war schon drei Uhr morgens. Plötzlich kam ein Rettungswagen der Feuerwehr, und drei Feuerwehrleute stiegen grinsend aus und kamen auf mich zu. Ich kenne mittlerweile fast alle von denen. „Wir haben eine gute Nachricht für dich“, sagte einer. „Wir haben deinen Freund ins Krankenhaus nach Tempelhof gefahren“.

Für diese Nacht hatte ich den Kampf mit Herrn M. gewonnen.




Nur noch Irre da draussen

Heute sind wirklich alle irre. Bin von einem (fließend Deutsch sprechenden) Araber im Krankenhaus angegriffen worden, aber ohne Erfolg. Er wollte gewaltsam in die Rettungsstelle eindringen, und ich habe ihn daran gehindert. Draußen hat er sich noch mit der Polizei angelegt, wurde dann festgenommen. In einer 12-Stunden-Schicht drei Mal Polizei gerufen… sind nur noch Verrückte da draußen?




Wach und Schutz

Erhöht die Motivation zu arbeiten: „Schön, dass Du da bist“. Wenig später: „Gott sei Dank, dass Du da bist.“ #krankenhaus #rettungsstelle #security #bodyguard #lauter_irre




Mit harten Bandagen

Polizei Tuttlingen (vai Fefe) zur Handgranaten-Affäre:
„Zu den Hintergründen der Tat in der Dattenbergstraße beziehungsweise zur Motivation der vier Tatverdächtigen kann derzeit aus ermittlungstaktischen Gründen – auch in den kommenden Tagen – nicht im Detail berichtet werden. Allerdings dürften Konflikte, die zwischen den im Schwarzwald-Baar-Kreis tätigen Sicherheitsunternehmen bestehen, die Ursache sein.“

Da wird offenbar mit harten Bandagen um Aufträge gekämpft. Wenn sich aber Ehrgeiz mit Dummheit paaren, geht es (zum Glück) selten gut aus.




Durchs wilde Arabistan

arabisch

Ich hatte das schon mal in den achtziger Jahren mit einem Privatlehrer ein halbes Jahr lang versucht, habe aber alles vergessen. Das wichtigste arabische Wort السيارة kenne ich aber noch. Kommt in jedem Gespräch vor – in Berlin jedenfalls. Üben kann ich auch – die gefühlte Hälfte des Publikums im Krankenhaus spricht Arabisch.

By the way, liebe wohlwollende Leserin und lieber geneigter Leser: Schon mal etwas von Pir Kamek gehört? Ich wurde vor ein paar Tagen daran erinnert. Eine junge Frau mit blonden Locken kam als Patientin ins Krankenhaus. Sie sprach nur Kurdisch und ein wenig Arabisch, und sagte mir, als wir mit Händen und Füßen versuchten, uns verständlich zu machen: ‚Jesidi‚, und zeigte auf sich.

Dank Karl May und eingedenk der Tatsache, dass ich durchaus über die Weltläufte informiert bin, wusste ich, was sie meinte, obwohl sie das nicht zu erwarten schien, denn sie machte zusätzlich eine Handbewegung, als würden ihr die Augen verbunden, dann kreuzte sie die Hände, wohl um zu zeigen, dass sie gefesselt worden war. Es gruselte mich, und ich will gar nicht mehr darüber wissen.

Vorgestern war sie noch mal da, mit einer Kopfplatzwunde. Sie „wohnt“ mit ihrem Mann auf dem Tempelhofer Feld. Es ist zwar nicht meine Aufgabe, aber ich bin gern ausreichend informiert, um Risiken und Nebenwirkungen einschätzen zu können. Während die Frau in der Rettungsstelle behandelt wurde, versuchte ich mit dem Mann zu reden. Er verstand ausschließĺich Kurdisch, und Google Translator bietet das nicht an. Er hätte ja auch der Täter sein können, deswegen war ich vorsichtig.

Irgendwann mischte sich eine Deutschtürkin ein, die mir sagte, ihr Freund spräche Kurdisch. Sie holte ihn ans Handy, erzählte ihm auf Türkisch, was ich ihr auf Deutsch gesagt hatte, dann bekam der Jeside das Telefon und hörte sich alles auf Kurdisch an. Die verschiedenen kurdischen Dialekte unterscheiden sich zwar sehr voneinander – wie Deutsch und Niederländisch -, aber in diesem Fall kriegten wir das irgendwie hin. Es stellte sich heraus, dass die Frau oft in Ohnmacht fiel – also Verdacht auf Epilepsie oder etwas Neurologisches.

Ich teilte das dem behandelnden Chirurgen mit. Der startete das gesamte medizinische Check-Programm. Beim Schichtwechsel trat zufällig einer unser Arabisch sprechenden Ärzte seinen Dienst an. Der konnte sich mit der Frau dann auch unterhalten.

An meinem Arbeitsplatz geht es halt ein wenig Kosmopolitischer zu als anderswo. Burks gefällt das.




Von den Toten spartanisch erzählt

Winter

Jakub Schikaneder: Winter, 1883

De mortuis nil nisi bene – von den Toten darf man auch Schlechtes erzählen, aber auf gute Weise. So empfahl es Chilon von Sparta.

Nur wenige werden Herrn Ch. kennen. Ich habe ihn einmal auf dem U-Bahnhof Mehringdamm auf einer Bank gesehen, zusammengesunken, mit einer Flasche Billigfusel in der Hand. Dort hat er gelebt. Wenn er mich erkannt hätte, hätte er wohl laut geschimpft und die Faust drohend erhoben.

Herr Ch. war der unangenehmste Obdachlose, mit dem ich zu tun hatte. Bei den Ärzten, Pflegern und Schwestern des Krankenhauses, in dem ich arbeite, war er berüchtigt. Die meisten stöhnten auf und winkten ab, wenn die Feuerwehr ihn wieder einmal – fast täglich – auf einer Trage in die Rettungsstelle schoben, als angeblich hilflose Person. Herr Ch. gehörte zur Elite der Obdachlosen: Er wusste, wo er sich nur auf den Bürgersteig fallen lassen musste, damit die Passanten die Feuerwehr riefen. Meistens war das vor den Imbissbuden oberhalb des U-Bahnhofs, wo zahllose Touristen herumstehen. Das funktioniert immer: Eine Rettungsstelle darf niemanden abweisen, auch wenn die Person nur besoffen ist – es könnte ja auch etwas anders vorliegen.

Wenn Herr Ch., derangiert – wie immer nach Alkohol und Schmutz stinkend – auf der Trage den Eingang passierte, flankiert von zwei Feuerwehrleuten, brüllte er: „Ich will eine Decke!“ Wenn ich da stand – als „Bodyguard“ für das medizinische Personal, fügte er hinzu: „Scheiße! Arschloch! Fotze!“

Immer dasselbe Ritual: Sobald Herr Ch. im Warmen lag und auf eine Behandlung wartete, schimpfte er lauf, nannte die Krankenschwestern „Schlampen“, alle anderen, auch die Patienten, „Arschlöcher“, kurz gesagt: Er war unausstehlich, eine wahre Landplage. Jeder war froh, wenn Herr Ch. endlich seinen Rausch ausschlief und das Maul hielt. Wenn ich Dienst hatte, ging ich zu ihm, und er wusste, was dann kam: Ich sagte ihm: „Wenn Sie weiter das Personal beleidigen, werfe ich Sie hinaus.“ Früher glaubte er mir nicht, sondern beschimpfte mich wüst, bis ich ihn mehrfach gewaltsam, per Armhebel à la Krav-Maga, hinausschaffte. Damit war es nicht getan: Herr Ch. pöbelte draußen weiter, begab sich laut krakeelend, zur Haupthalle, same procedure, bis man ihn dort entfernte, kam wieder zurück usw.. Das konnte Stunden so gehen. Es gefiel ihm nicht, wie ich ihn behandelte, denn es tut weh, wenn man sich wehrt. Deswegen benahm sich Herr Ch. nach den ersten Malen – im Rahmen seiner Möglichkeiten – relativ zivilisiert, wenn ich in der Rettungsstelle Dienst hatte.

Man muss die Methoden des Überlebens, die Obachlose benutzen, als solche akzeptieren und die Sache sportlich sehen. Wenn die einen kennengelernt haben, stellen sie sich auch darauf ein. Ich duze auch niemanden. Jeder hat das Recht, höflich behandelt zu werden, auch der schlimmste Idiot.

In zwei Jahren habe ich Herrn Ch. einmal nüchtern erlebt. Das war vor ungefähr einem Monat. Herr Ch. hatte sich in der Rettungsstelle ausgeschlafen, wühlte sich von der dreckigen Trage, sammelte seine Plastiktüten ein. Ich sprach ihn an: „Sie kennen mich ja. Wenn Sie besoffen sind, dann sind Sie unerträglich und ich kriege dann schlechte Laune.“ Er lachte nur, ein freundliches, höfliches Lachen, und nickte. Die Schwestern erzählten, dass Herr Ch. ein gebildeter Mensch sei und sich nett unterhalten könne, wenn er nüchtern sei. Das war er nur fast nie.

Herr Ch. ist vor einer Woche in Kreuzberg auf der Straße erfroren.




Babylonien, revisited

Babylonien, revisited, 26.0: Dari, der Mann kam aus Afghanistan.

„Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“ (Jean Jaurès (1859-1914)

Ich muss hier mal etwas sagen. Vermutlich sehe ich die Welt anders als die Masse derjenigen, die sich in den „sozialen“ Netzwerken und anderswo stundenlang über Einwanderer oder Menschen auslassen, die vor dem Krieg flüchten. Ich sehe die fast täglich, und ich habe ganz konkret mit denen zu tun, wenn ich im Krankenhaus arbeite. Ich kann über die kackbraunen Kameraden und die, die es noch werden wollen – wie der unsägliche Matussek – nur den Kopf schütteln. Ich weiß nicht, in welcher Welt die leben, jedenfalls nicht meiner.

Ich mag nicht über den Job als „Bodyguard“ im Krankenhaus schreiben, allein schon aus Gründen des Datenschutzes. Es würde mir auch niemand glauben, was dort täglich geschieht, der es nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Man kann sich das gar nicht ausdenken.

Kleine Gesten erklären manchmal die Welt besser als langatmiges theoretisches Gefasel.

Ein junger Mann kam in die Rezeption. Er sprach nur Arabisch und ganz wenige Brocken Englisch und Deutsch. Um das Handgelenk hatte er ein Plastik-Armband (des LAGeSo?) mit einer Nummer. Keine Papiere, keinen Ausweis, noch nicht das grüne Papier, das Flüchtlinge bekommen, wenn sie registriert sind. Er schrieb seinen Namen auf einen Zettel, aber auf Arabisch, und das konnte niemand entziffern. Die Schwester in der Rezeption – übrigens eine Afrodeutsche – musste ihn deshalb wegschicken. Ich habe das natürlich gesehen und ihm mit Gesten klargemacht, dass er im Warteraum bleiben solle. Das Problem schien mir doch lösbar, da die Mehrheit der Wartenden oft ohnehin aus Deutschtürken und Arabisch sprechenden Kranken und deren Angehörigen besteht.

Exkurs zu Mehrheiten im Warteraum des Krankenhauses: „Türken“ (die in Kreuzberg sowieso alle Deutsch sprechen, außer den Alten) und Araber sind nur dann in der Mehrheit, wenn nicht gerade eine bosnische Großfamilie kommt, die, wenn eine Person krank ist, mindestens 30 Angehörige aufbietet, um dem Kranken gruppendynamisch beizustehen, was dann „Party“ im Warteraum bedeutet und für mich Stress, weil natürlich alle Kinder mitkommen, auch wenn es zwei Uhr morgens ist. Gegen Bosnier sind Roma ein Kinderspiel, und außerdem kennt mich die Roma-Satra schon, die hier immer auftaucht: Die Roma lebten vorher in Spanien, deshalb sprechen sie neben Romanes Spanisch, was ich wiederum verstehe. Sie seien vor dem unerträglichen Rassismus dort geflohen, sagte mir die so genannte mama principal – das ist die Frau, die bestimmt, was gemacht wird. Und wenn ich der sage, dass es zu laut sei im Warteraum – was es immer ist, wenn die Roma wieder mal da sind -, dann gibt sie einen Befehl und die Bande ist wieder ein paar Minuten ganz brav. Wenn ich das einem männlichen Roma sagte, passierte gar nichts, und ich müsste sehr laut werden, was ich zu vermeiden suche. Vielleicht würden Ethnologen, die sich mit Roma auskennen, das bestreiten, aber bei mir ist es so. Mir zeigen auch die kleinen Jungen stolz ihre teuren Armbanduhren, die nicht so aussehen, als hätten sie sich die gekauft. Vielleicht bin ich auch nicht der typische „Security“-Mann, mit dem Roma normalerweise zu tun haben.

Der junge Araber stand etwas ratlos herum, zog seinen schmuddeligen Pullover hoch und zeigte mir eine üble blutige Schwellung an seinem Bauch. Ich fragte die Wartenden, ob jemand Arabisch und Deutsch oder Englisch verstehe – das war aber ausnahmsweise nicht der Fall. Die Sache wurde vertrackt. Ein kranker Mann, der auf einer Trage drinnen auf seine Behandlung wartete, hörte, was ich sagte, und winkte mich heran: Er sei Türke, aber wenn es um Araber aus dem Irak nahe der türkischen Grenze gehe, dann können er den vermutlich verstehen. Er quälte sich von seiner Trage hoch, obwohl er das nicht hätte tun müssen, und humpelte mit mir in den Warteraum. Der junge Araber freute sich königlich, als ich mit einem Mann kam, in dem er wohl einen Dolmetscher vermutete. Aber leider funktionierte es nicht: Die beiden redeten aufeinander ein, aber verstanden sich nicht.

Dann mischte sich ein weiterer Mann ein, der allein im Warteraum saß. Der sprach zwar kein Wort Deutsch, aber auch Arabisch. Jetzt hatte der junge Mann einen Ansprechpartner. Nur konnte ich weder den einen noch den anderen verstehen. Der Türke aber kam mit dem älteren Araber irgendwie radebrechend klar. Es stellt sich heraus, das der ältere Araber aus Syrien stammte, was bedeutete, dass der junge Araber kein Syrer war.

Mittlerweile waren irgendwie alle Leute im Warteraum – rund zwei Dutzend – am Thema interessiert und beobachteten uns gespannt. Ich sagte dem Türken, er solle dem älteren Araber klarmachen, dass ich von dem jüngeren Araber dessen Namen und Geburtsdatum und Nationalität brauchte, sonst weigerte sich die Krankenhaus-Bürokratie, in Gang zu kommen. Mit der LAGeSo-Nummer allein ginge das nicht. Es half aber alles nichts, obwohl mittlerweile vier Personen mit Händen und Füßen gestikulierten.

Neben uns saß ein junges französisches Paar: Die Frau war verletzt und wartete wie alle anderen. Sie sprachen schlechtes Englisch, und ich kann Französisch zwar verstehen, aber keinen geraden Satz herausbringen. Die Frau begann plötzlich, auf den jungen Araber einzureden. Es stellte sich heraus, dass sie zwar nicht Arabisch aktiv sprechen konnte, aber ein wenig verstehen. Als ich das den Anwesenden berichtete, lächelten einige, auch welche, die sich gar nicht beteiligt hatten. Ich hoffe, ich kann verständlich machen, was ich meine.

Die Sache lief dann so ab: Der junge Araber schrieb etwas auf einen Zettel, den ich organisiert hatte, und die Französin transkribierte es. Und ein halbes Dutzend Leute guckte ihr dabei über die Schulter und gab Ratschläge. Des Rätsels Lösung: Der junge Araber stammte aus Tripolis in Libyen, war 1992 geboren und auf dem „üblichen“ Weg nach Deutschland gekommen. Jetzt hatte ich auch seinen Namen. Den Zettel gab ich der diensthabenden Schwester, und alles nahm seinen bürokratisch-ordnungsgemäßen Gang.

Ich brachte dann eine Flasche Mineralwasser und Pappbecher in den Warteraum. Der Türke legte mir seinen Arm um die Schulter, während er das Mineralwasser trank, auch, weil er vor Schmerzen kaum stehen konnte, der ältere Araber „prostete“ mir mit dem Pappbecher zu, der Libyer und die Französin redeten immer noch lebhaft aufeinander ein.

Ceterum censeo: Ich hoffe, ich konnte verständlich machen, was ich meine.

Ich vergaß zu erwähnen: Im Warteraum saßen auch drei Thailänderinnen und eine Tamilin. Der Afghane war schon in Behandlung, und der junge Afrikaner mit frauenfreundlichem Rasta-Look, der Mandinka und perfekt Deutsch sprach, war schon gegangen. Der einzige Mann, der mich total und über Stunden nervte, war ein älterer Albaner, der alle fünf Minuten fragte, ob er nicht zu seinem Verwandten hineingehen könne, weil der kein Wort Deutsch spreche und außerdem Analphabet sei.

Vorgestern musste ich einem jungen Mann, der sich mit psychotrophen Substanzen abgefüllt hatte, gleich zwei Messer wegnehmen, bevor er damit spielen konnte. Eines davon hatte er im Schuh versteckt. Und heute Nacht meinte ein etwas betrunkener, aber sehr kräftiger Herr, er müsse auf einen älteren Polizisten einprügeln, der ihn zum Ornithologen Psychiater der Rettungstelle bringen wollte. Ich hatte es irgendwie geahnt, stand daneben und hatte Gelegenheit, die Grundtechniken des Krav Maga zu demonstrieren. Der Job ist manchmal ganz interessant.




Berliner Alltag: Mordkommission ermittelt

blut

Dazu die Polizeimeldung vom 28.08. „Gestern Nachmittag kam ein Mann nach einer Auseinandersetzung in Kreuzberg mit lebensbedrohlichen Verletzungen in eine Klinik. Nach bisherigen Erkenntnissen soll es zwischen dem 44-Jährigen und einem anderem Mann gegen 15.40 Uhr an der Alexandrinen- Ecke Oranienstraße einen Streit gegeben haben. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung erlitt der 44-Jährige Stichverletzungen und kam dann in ein Krankenhaus. Nach einer Operation ist der Zustand des Verletzten stabil. Am Ort wurde der mutmaßliche Angreifer (…) vorläufig festgenommen“.

Der Fahrer des Autos hat dem Opfer übrigens das Leben gerettet: Wenn der den schwer verletzten Mann nicht sofort – und ohne Verkehrsregeln zu beachten – in ein Krankenhaus gefahren hätte, wäre der verblutet.




Wir wollen doch nur helfen

WDR: „Wir wollen doch nur helfen“.

Sendung vom 25.02.2015: „Randale im Wartebereich der Notaufnahme des Universitätsklinikums Bergmannsheil in Bochum. Ein betrunkener Mann pöbelt rum und verspritzt sein Getränk auf Tischen, Stühlen und auf andere Wartende. Antje Schmidt, die Dienstälteste und erfahrenste Krankenschwester in dieser Nacht, versucht den Mann zu beruhigen.“

Kommt mir irgendwie bekannt vor, auch das T-Shirt des Mannes auf dem Bild. Nur geht es in dem Krankenhaus, in dem ich manchmal nachts als Security Guard arbeite, noch wesentlich härter zu.




Miscellanouser Spaziergang

rixdorfrixdorfrixdorfrixdorfrixdorfrixdorf

Nach vier 12-Stunden-Nachtschichten in meinem anstrengenden Dritt|zweit|erstWie-auch-immer-Job fühlte ich mich beim Frühstück ein wenig platt. Aber es ist gut, die Realität immer wieder kennenzulernen, das einfache und auch weniger einfache Volk, das sich für viele Themen, die die abgehobene „Netzgemeinde“ permanent abhandelt, nicht wirklich interessiert, weil man andere und oft existenzielle Sorgen hat. Its the economy, stupid, as usual. Nothing else. Der Rest ist nur Feuilleton.

Freie Zeit ist ein Privileg, das man erst wirklich zu schätzen weiß, wenn man sie oft nicht hat.

Ich arbeite rund 180 Stunden monatlich als Security und mindestens noch mal genausoviel in meinem anderen Beruf, auch und vor allem an den Wochenenden. Ein Monat hat rund 720 Stunden, 240 Stunden Schlaf plus 360 Stunden Arbeit, da bleiben durchschnittlich vier Stunden am Tag für Einkaufen, Essen, Nichtstun, meine Hobbies pflegen wie Bloggen, Kampfsport, Joggen (zur Zeit leider sporadisch), Second Life, lesen (was andere schreiben), Kultur, Freunde, Online-Schach, Weiterbildung (das fucking manual von Calibre zum Beispiel). Zum Glück bin ich Single, ich wüßte gar nicht, wie ich das managen sollte (obwohl ich aus Prinzip ohnehin keine „Beziehungsgespräche“ führe).

Auch ein Spaziergang bei denkbar bescheidenem (Regen, Wind, Kälte) Wetter über den Richardplatz kann angenehm sein. Man sieht hie und da Details, die zum Denken anregen.

Warum zum Teufel sollte ich übrigens in eine Buchhandlung gehen, die im Schaufenster „Gendermedizin“ und „Vegan to go“ anbietet? Da krieg ich ja spontan die Krätze. Dann doch lieber Amazon, obwohl ich natürlich weiß, dass dort ein heftiger Klassenkampf tobt, bei dem meine Sympathien eindeutig sind. (Sehr geehrte Gewerkschafts-FunktionärInn*%&§$en: Wer das Kapital auffordert, „fair“ zu sein, kann auch gleich „faire“ Löhne und Preise fordern oder „faire“ Folter oder sonst irgendeinen hanebüchenen Quatsch. Marx hätte euch ordentlich und zu Recht durchgeprügelt.)

Jetzt muss ich noch eine Steuererklärung machen, Wäsche waschen, mehrere Rechnungen schreiben, eine komplizierte Oberfläche für ein Objekt in Second Life herstellen, das ich jemandem einem Avatar versprochen hatte, das Abendessen kochen (verflixt, ich bin gefühlt gerade erst aufgestanden und es ist schon wieder dunkel), nachschauen, warum auf einem meiner Rechner ein PGP-Key nicht gefunden wird, mich mit dem Android-Dateisystem so vertraut machen, dass ich EDS praktikabel benutzen und endlich ein Tutorial für E-Mail-Verschlüsselung auf Android-Smartphones und Tablets schreiben kann. Ich höre jetzt besser auf zu bloggen, sonst komme ich zu nichts mehr…




The world is letting Israel get away with it again

Larry Derfner (+972): „The assault on Gaza has hurt this country’s image, and it doesn’t care. (…) If I may mangle Ben-Gurion’s famous dictum, it doesn’t matter what the goyim say, it matters what the goyim do, and the goyim are doing nothing. Even now, after this month-long horror show in Gaza, which isn’t over.

And since the goyim – along with the liberal Jews who are appalled by Israel’s actions – are doing nothing, meaning they’re not punishing or penalizing Israel in any manner, not holding it in any way accountable for what it has done to Gaza and its people, then Israel indeed has no reason to care what the goyim or liberal Jews say.“

Well said.

Krav MagaIch fuhr gestern mit meinem Fahrrad die Sonnenallee entlang. Da war ein Mann, dessen Fahrrad über und über mit „Palästina“-Flaggen behängt war, und hinten hatte er ein großes Foto von Arafat befestigt. Stolz posierte er vor Kindern am Straßenrand, die ihn fotografierten. Ich hielt direkt neben ihm, rief lauf „Hey!“, so dass er mich erstaunt anblickte, und zeigte ihm sehr deutlich den Mittelfinger meiner rechten Hand. Das gab ein großes Geheule. Leider hat er mich nicht attackiert, dann hätte ich einen Grund gehabt, mich zu wehren. Ich war direkt in der Stimmung.

Übrigens: Ich bin gestern im Krankenhaus zwei Mal von Arabisch sprechenden Mitbürgern angegriffen worden (aber nicht aus politischen Gründen). Und das ging für die auch nicht gut aus. Meine Stimmung hält also an.