Journalisten: Geheimnisträger zweiter Klasse

Die Journalistenverbände jammern, das jetzt in Kraft getretene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung degradiere sie zu „Berufsgeheimnisträgern zweiter Klasse“, „kastriere“ die Pressefreiheit ), unterhöhle den Informantenschutz und lasse die Quellen versiegen. Wahr ist das nicht unbedingt – und die notwenigen Konsequenzen zieht auch kaum jemand.

Der Informantenschutz war der Obrigkeit schon immer ein Dorn im Auge und musste immer wieder – bis in die jüngste Zeit – erkämpft werden. Wer sich auf gesetzliche Garantien verlässt, verkennt das grundlegende Problem: Der juristische Schutz derjenigen, die die Presse über Interna informieren, ist prinzipiell löchrig, nur sehr vage formuliert und wird sich niemals so festklopfen lassen, dass Informationen unbelauscht oder ungefiltert fließen können. Die Strategie der Medienverbände, auf ihre vermeintlichen bisherigen Privilegien als „Berufsgeheimnisträger“ zu pochen, ist daher verfehlt und wird langfristig scheitern. Journalisten interessierten sich ohnehin bisher oft nur mäßig für das Thema Vorratsatenspeicherung.

vorratsdatenspeicherung

Die so genannten Geheimnisträger scheinen keine Geheimnisse zu haben.

Die beiden konkurrierenden Verbände der Zeitungsverleger BDZV und VDZ beklagen, dass bei Journalisten „nur im Einzelfall eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen“ solle, falls ihre Verbindungsdaten abgerufen werden sollen, im Gegensatz zu Abgeordneten, Geistlichen und Strafverteidigern, deren Daten für staatliche Lauscher relativ tabu sind. Kein Informant werde künftig noch reden, wenn Telefonnummer, E-Mail-, IP-Adresse und seine Standortdaten ebenso erfasst würden wie auch Zeitpunkt und Dauer des Kontakts.

Aber haben die Informanten bisher ihre Geheimnisse per elektronischer Postkarte verschickt? Die Gesetzeslage ist seit zwei Jahren eindeutig: Nach § 110 des Telekommunikationsgesetzes und der Telekommunikation-Überwachungsverordnung müssen alle größeren Provider Schnittstellen zum Abhören und Mitschneiden von E-Mails in Echtzeit bereitstellen. Die Inhalte der Kommunikation sind also kein Geheimnis mehr, da die deutschen Journalisten sich in der Regel weigern, ihre E-Mails zu verschlüsseln oder ihren Informanten das zu ermöglichen. Die so genannten Geheimnisträger scheinen keine Geheimnisse zu haben. Sogar die selbst ernannten Investigativ-Päpste von Netzwerk Recherche machen keine Ausnahme: Die Vorzeige-Journalisten Dr. Thomas Leif, Chefreporter beim SWR Mainz, und Hans Leyendecker, Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung, nutzen E-Mail noch wie zu Zeiten des guten alten Bakelit-Telefons.

Auch die Redaktion von Cicero scheint trotz der Durchsuchung und Beschlagnahme von Dokumenten unbelehrbar: Wollte man dort Geheimnisse ausplaudern, ist man auf elektronischem Weg weiterhin ungeschützt. Die FAZ meint es gut und empfiehlt sogar Anonymisierungsdienste, aber die Ratschläge zur E-Mail-Kommunikation sind bloßer Unfug und nicht praktikabel. Von Verschlüsselung scheint man noch nie etwas gehört zu haben. Der in Brüssel arbeitende Journalist Detlef Drewes und Kinderschutz-„Experte“ sagte in einer Zapp-Sendung, er müsse jetzt immer öfter das Auto benutzen, da in Belgien die Vorratsdatenspeicherung schon Realität sei; die Quellen für Journalisten versiegten. „Die Mauer wird auf Seiten der Informaten gezogen“ und die Informanten zögen sich zurück aus Angst. Das darf getrost bezweifelt und als Wichtigtuerei bezeichnet werden: Auch für potenzielle Whisteblower in Behörden gäbe es „im Notfall“ Internet-Cafes, private Rechner für Anonymisierungsdienste und Verschlüsselung oder die Möglichkeit, E-Mails anonym zu schicken.

Gerd Appenzeller schreibt im Tagesspiegel: Journalisten „konnten bisher wegen der garantierten Vertraulichkeit ihrer Arbeit darauf bauen, dass ihre Kommunikationswege geschützt waren.“ Das ist eine Zwecklüge und angesichts der zahlreichen Durchsuchungen von Redaktionen in den letzten Jahren ein wenig realitätsfremd: Was nützt das Redaktionsgeheimnis freien Journalisten, was nützt es den Informanten, wenn ihre E-Mails ohnehin vorher gelesen werden? Wer kann garantieren, dass Informationen auf dem Rechner eines Journalisten bleiben und nicht beschlagnahmt werden, auch wenn das im nachhinein für rechtswidrig erklärt wird? Informanten konnten bisher, nutzten sie das Internet nicht professionell, mitnichten darauf vertrauen, dass etwas geheim blieb. Wer erst jetzt – angesichts der Vorratsdatenspeicherung – meint, die Pressefreiheit in Gefahr zu sehen, muss sich fragen lassen, ob erst ein Verbot der Verschlüsselung kommen muss, dass Journalisten sich um die Sicherheit ihrer Daten und die ihrer Informanten sorgen.

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Der Staat ist immer daran interessiert gewesen, wer mit wem worüber kommuniziert hat.

Das Problem des Informantenschutzes gab es schon, seitdem man von freier Presse reden kann. Die Vorratsdatenspeicherung gießt unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terrorismus eine deutsche Tradtion in Gesetzesform, in die sich sowohl die rot-grüne als auch die jetzige Regierung gestellt haben: Der Staat ist immer daran interessiert gewesen, wer mit wem worüber kommuniziert hat. Auch die juristischen Argumente pro und contra dAbhören, Belauschen und Protokollieren der Kontakte von Journalisten sind seit 200 Jahren vergleichbar. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts mußte in Deutschland sogar mit Folter rechnen, wer Angaben über „die Herkunft von Druckschriften“ in seinem Besitz verweigerte, schreibt Wolfgang Schimmel in „Das Redaktionsgeheimnis„.

Nach der Abschaffung der Zensur im Gefolge der Revolution 1848 blieb der Zeugniszwang das einzige und beste Mittel für die Obrigkeit, um sich mit der Presse anzulegen. Schon im 19. Jahrhundert diente die erzwungene Aussage von Journalisten als Repressionsinstrument, „undichte Stellen“ aufzuspüren und diese einzuschüchtern. Der juristisch durchsetzbare Zwang, etwas über die Informanten der Presse zu erfahren, war „der gewissermaßen generalpräventive Versuch, Kritik an den bestehenden Zuständen durch Einschüchterung zu verhüten.“ „Zeugniszwang“ – wer mit wem geredet hat – ist also nur ein altmodisches Wort für Vorratsdatenspeicherung.

Dirk Dunkhaase hat in seinem vor einem Jahrzehnt erschienenen Standardwerk „Das Pressegeheimnis“ zahlreiche historische Beispiele dokumentiert. Zur Kaiserzeit ging die Justiz 1875 gegen die „Frankfurter Zeitung und Handelsblatt“ vor. Nicht nur vier Redakteure wurden verhaftet, sondern auch der Verleger Leopold Sonnemann, Reichstagsabgeordneter der „Deutschen Volkspartei„. Sonnemann hatte sich bei der Beratung des Reichspressegesetzes ein Jahr zuvor davor eingesetzt, den Zeugniszwang ganz abzuschaffen. Auch das Argument, der Zwang, die Informanten preiszugeben, sei notwendig, um die Täter schwerer Straftaten zu ermitteln, wurde schon bei den Beratungen zum Reichspressegesetz immer wieder debattiert – ähnlich wie heute.

In der Verfassung der Weimarer Republik kam die Pressefreiheit gar nicht vor. Die „freie Meinungsäußerung“ war zwar allgemein geschützt, „innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze“, was das konkret bedeutete, war in der Rechtsprechung heftig umstitten. Berüchtigt war der so genannten „Diktaturvorbehalt“ des Artikel 48 II: Der Reichspräsident dufte, „wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird“, die wesentlichen Grundrechte außer Kraft setzen, darunter auch die Meinungsfreiheit nach Artikel 118 sowie den Artikel 117: „Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich“.

Erstmalig gewährleistete die Strafprozeßordnung von 1926 (§ 53 StPO) ein Zeugnisverweigerungsrecht für „Redakteure, Verleger und Drucker einer periodischen Druckschrift sowie die bei der technischen Herstellung der Druckschrift beschäftigten Personen über die Person des Verfassers oder Einsernder einer Veröffentlichung strafbaren Inhaltes.“ Die Formulierung hatte zwei nicht unwesentlichen Haken: Unveröffentlichte Artikel fielen nicht unter das Zeugnisverweigerungsrecht, und der Journalist durfte nur dann über seine Informanten schweigen, wenn der Artikel strafbar war, nicht jedoch, wenn nur der Verdacht der Strafbarkeit bestand.

Schon in den Jahren vor der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde die Pressefreiheit durch immer weitere Gesetze ad absurdum geführt; Zensur war fast an der Tagesordnung – allein 1931 wurden in Preußen 227 Zeitungen verboten. Die „Verletzung des Dienstgeheimnisses“, der heutige § 353b des StGB , wurde aber erst von den Nationalsozialisten 1936 eingeführt und mit Strafe bedroht. Das Zeugnisverweigerungsrecht und auch der rudimentär vorhandene Beschlagnahmeschutz blieben während des Nationalsozialismus in Kraft; da aber keine freie Presse existierte, war das reine Theorie.

In der Nachkriegszeit stellte erst das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz (der neue § 53 I StPO) aus dem Jahr 1953 die Journalisten etwas besser als die alte Fassung aus dem Jahr 1926: Der Kreis der Personen, die über ihre Informanten schweigen durften, wurde erweitert, auch Rundfunkmitarbeiter fielen darunter, und freie Journalisten – Verfasser und Einsender von Artikeln. Absurd war jedoch das Vorschrift, dass nur die Person des Informanten verschwiegen werden durfte. Auf Verlangen der Justiz musste der Journalist den Inhalt der Information preisgeben. Bis heute ist jedoch der Informant dem Journalisten völlig ausgeliefert: Allein der Angehörige der Presse entscheidet, ob er gegenüber der Justiz schweigt. Eine juristisch fixierte Schweigepflicht wie die der Geistlichen, Psychologen, Rechtsanwälte und der Ärzte nach § 203 des Strafgesetzbuches existiert nicht.

Erst das Spiegel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom August 1966 begründete das „Redaktionsgeheimnis“ so, dass es als Bestandteil der Pressefreiheit relativ eindeutig definiert war. Darin heißt es, dass die Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich sei, weil der Brüger, wolle er politische Entscheidungen treffen, „umfassend informiert“ sein müsse. Er müsse aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben. Die Presse beschaffe die dazu nötigen Informationen und wirke als „orientierende Kraft“. Geschützt werden sollen laut Bundsverfassunggericht alle „der typischen Pressearbeit zuzurechnenden Verhaltensweisen“, das heißt: Informationen zu beschaffen, diese und auch Meinungen zu verbreiten. Das BVerfG hat in seinem damaligen Urteil den Schutz des Redaktionsgeheimnisses sowie den Informantenschutz ausdrücklich genannt.

Das Redaktionsgeheimnis umfasse, so fasst es Dunkhase zusammen, die gesamte interne Vertraulichkeitssphäre der Medien – die Unterlagen der Medienmitarbeiter, das Pressearchiv und das innerhalb der Redaktion Gesprochene. „Der Informantenschutz bezieht sich nach außen hin auf den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Journalisten und den Personen, die ihm Mitteilungen für seine Veröffentlichung machen.“ Es sind also nicht die Medien insgesamt und ihre „Geheimnisse“ geschützt, sondern nur das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Journalisten und ihren Informanten.

Aus dieser Definition erklärt sich der „Strafprozessuale Pressegeheimnisschutz“ nach § 53 Absatz 1 Nr. 5 der Strafprozessordnung, der im wesentlichen schon 1974 formuliert wurde: „Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt (…) Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben.“

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Wieviel Macht hat die Obrigkeit über die Untertanen?

„Die Presse“ und ihre Informanten mögen juristisch geschützt sein, die Gerichte maßen sich aber nicht an zu definieren, wer Journalist ist und wer nicht. Sie überlassen es den Journalisten-Organisationen, die sich aber gegenseitig erbittert befehden und sich nicht über die Kriterien des Berufes einigen können. Das „Berufsmäßige“ im Zeugnisverweigerungsrecht ist zu vage formuliert, als dass daraus eindeutige Kriterien abgeleitet werden könnten. Die juristische „Bibel“ und Kommentar zum Presserecht, „der Löffler„, formuliert: „Berufsmäßig vollzieht sich eine Tätigkeit dann, wenn sie in der Absicht geschieht, daraus durch wiederholte Ausübung eine dauernde oder doch wiederkehrende Beschäftigung zu machen, ohne dass es auf die Entgeltlichkeit der Tätigkeit ankommt. Erforderlich ist allerdings die Absicht der Wiederholung; ist sie indes gegeben, so kann schon eine einzige Handlung im konkreten Fall für das Erfordernis der Berufsmäßigkeit genugen. die Berufsmäßigkeit der Mitwirkung bei Presse und Rudnfunk erfordert ebensowenig, dass sie gewerbsmäßig, d.h. mit der Absicht der Gewinnerzielung ausgeübt wird.“ (S. 1005 zu § 23 LPG) Die bei Journalisten-Organisationen beliebte Klausel der so genannten „Hauptberuflichkeit“ ist also kein juristisch abgesichertes Merkmal, sondern dient nur dem Schutz der eigenen Pfründe.

In der gegenwärtigen Rechtssprechung ist man sich aber nicht einig: Die Pressefreiheit ist ein Grundrecht und steht jedermann zu, also auch Schriftstellern, Bloggern und Flugblattschreibern; das Zeugnisverweigerungsrecht hat sich aber zu einem Berufsstandsprivileg entwickelt. In der Praxis lässt sich kaum auseinanderhalten, wer „Presse“ ist und journalistisch arbeitet und wer nicht. Daher ist auch die Bestimmung im Entwurf zum „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ nicht eindeutig. Man spricht von „Medienarbeitern“, als sei man sich des Dilemmas bewusst, „die Presse“ nicht mehr exakt bestimmen zu können. Im Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung heißt es wörtlich: „Ein genereller Vorrang der schutzwürdigen Interessen von Journalisten vor dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse lässt sich hingegen, wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, verfassungsrechtlich nicht begründen.“ Das ist wahr, aber wiederholt nur das Argument, dass seit 200 Jahren bekannt ist: Die Interessen der Pressefreiheit müssten den Interessen der Strafverfolgung untergeordnet werden.

Kommentatoren des Presserechts sind sich einig, dass der augenblickliche Rechtszustand unbefriedigend sei. Es bestehe „erheblicher Reformbedarf“. Aus dem allgemeinen Schutz der Presse kann nur das allgemeine Ziel abgeleitet werden, nicht aber direkt die Details und die geseztliche Ausgestaltung – wer zu Presse gehört, wer abgehört werden darf, wessen Daten wie geschützt sind, welche Geheimnisse den staatlichen Lauschern verborgen bleiben müssen.

Der gesellschaftliche Streit um das Recht auf Privatsphäre dauert also schon an, seitdem es die Presse gibt. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklären würde, wäre der nächste Versuch einer beliebigen Regierung, die Bürger und die Presse unter dem Vorwand, „schwere Straftaten“ verhindern zu müssen, einzuschüchtern und auszuspionieren, schon vorprogrammiert. Journalisten, die nur den scheinbar bequemen Status qua ante wiederherstellen wollen, haben nicht begriffen, dass es um eine zentrale Frage der Demokratie geht – die Machtfrage: Wieviel Macht hat die Obrigkeit über die Untertanen? Und diese Frage muss immer wieder neu beantwortet werden.

Dieser Artikel erschien am 04.01.2007 in Telepolis. Ich habe einige Links korrigiert und ergänzt.

Wenn der Laptop zweimal klingelt

Ein Artikel von mir in der Netzeitung: „Wenn der Laptop zweimal klingelt“

„Voice over IP, das Telefonieren übers Internet, wird immer beliebter. Burkhard Schröder hat beim Marktführer Skype einige Tücken festgestellt und präsentiert – nicht nur deshalb – Alternativen.“ [mehr]

Operation Heisse Luft

Der angeblich „riesige Kinderporno-Skandal“ unter dem Code-Namen Operation „Himmel“ hat sich als Operation Heiße Luft erwiesen. Das Reizwort „Kinderpornografie“ verführt deutschen Medien häufig zu einer kruden Mixtur aus Halbwahrheiten, urbanen Märchen und glatten Falschmeldungen.

Bei hoch emotionalisierten Themen wie „Kinderpornografie bei [bitte selbst ausfüllen]“ werden journalistische Standards oft genug missachtet. Man sollte erst etwas publizieren, wenn man die Fakten überprüft hat. Das Statement eines Polizei- oder Justizpressesprechers ist keine Tatsache, die man ohne weitere Recherche einfach übernehmen könnte. Das hat sich jetzt bei der Operation „Himmel“ wieder bewiesen: Viel heiße Luft und wenig dahinter.

Der öffentliche Diskurs verwandelt sich aber allzu schnell in bloße Moraltheologie mit hysterischen Untertönen. Die Schlagzeilen Großer Skandal! Noch größerer Skandal! Größter Skandal! (Reuters garantieren kurzfristig Aufmerksamkeit, kombinieren die voyeuristische Lust mit dem sanften Gruseln über Sex and Crime und das Böse im Internet und hinterlassen bei den Rezipienten ein hilfloses Gefühl. Oder man bewundert kritiklos die rastlosen Strafverfolgungsbehörden, die angeblich bis zur Erschöpfung gegen eine übermachtige Hydra von Kriminellen im Internet kämpfen – nach dem Motto: Die tun was.

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Bei der „Operation Himmel“ existieren nur drei Quellen, von denen alle anderen Medien – auch die Falschinformationen – abgeschrieben haben: Der MDR („Größter Fall von Kinderpornografie in Deutschland“, 13.09.2007), Spiegel Online („Riesiger Kinderporno-Skandal schockiert Deutschland“, 24.12.) und die ARD („Großangelegte Aktion gegen Kinderpornografie“ 25.12.)

Zentrale These ist der mehrfach variierte Satz bei Spiegel Online : „Ein Sprecher des bayerischen LKA hatte (…) erklärt, Kinderpornos seien auf dem Server eines Berliner Internet-Anbieters deponiert worden. Dieser Anbieter, laut der ARD, Strato, habe dann die Polizei eingeschaltet, weil ihm ein enormer Datentransfer auf den Servern auffiel.“

Der Provider hat das dementiert: „Bei solchen Routineuntersuchungen werden in der Regel keine Inhaltsanalysen vorgenommen, im Einzelfall kann dies jedoch notwendig sein. Sofern Strato-Mitarbeitern durch solche Analysen oder insbesondere durch Hinweise Dritter strafrechtlich relevante Inhalte bekannt werden, prüfen wir eine Anzeigeverpflichtung und eine Einschaltung der Behörden im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen.“ Laut der Süddeutschen handele es sich offenbar „um ein Missverständnis“

Dennoch taucht die strittige Behauptung der ARD ohne weitere Recherche in zahlreichen Artikeln auf, als sei das schon bewiesen. Einer hat also gelogen: Peter Burghardt, der Sprecher des bayerischen LKA, oder Carsten Zorger, der Sprecher von Strato – ein Grund, hier weiter zu recherchieren. Aber das macht niemand. Wie sollte man denn von einem „auffälligen Datenverkehr“ bei einem Provider auf 12000 Verdächtige „in 70 Staaten“ kommen? Niemand wagt heute noch zu behaupten, Strato hätte Kinderpornografie gehostet. Das wäre ohnehin extrem unwahrscheinlich und spräche zudem für eine kaum noch vorstellbare Dummheit der Täter. Schon seit Mitte der neunziger Jahre ist auch den Ermittlungsbehörden bekannt, dass derartige – in Deutschland strafbare – Angebote auf passwortgeschützten Web- oder FTP-Servern und, wenn überhaupt, dann im Ausland liegen. Jedem hätte auffallen müssen, dass die These der ARD entweder etwas Falsches suggeriert oder technisch unsinnig ist.

Laut Reuters habe der bayerische LKA-Sprecher Peter Burghardt gesagt, die Dimension des Skandals sei enorm. „So was ist uns noch nicht untergekommen.“ Entweder ist Burghardt von den Ermittlern falsch über die Fakten informiert worden oder er hat bewusst nicht ganz die Wahrheit verbreitet. Man kann jedoch verlangen, dass der Pressesprecher eines Landeskriminalamts über die Rechtslage und die Fakten bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren seiner Behörde annähernd vertraut ist. Die Empörung kann nicht echt gewesen sein. Mittlerweile ist klar, dass die „Operation Himmel“ nur wenig zutage gefördert hat, was strafrechtlich überhaupt relevant ist.

Auch die reißerischen Überschriften haben sich allesamt als falsch erwiesen. Vom „größtem Skandal“ kann man ohnehin schon deshalb nicht sprechen, weil bei der „Operation Marcy“ im Jahr 2003 sogar von 23000 Verdächtigen die Rede war. Auch hier spielen einige Medien bei der Berichterstattung eine fragwürdige Rolle, da – laut der Zeitschrift Gigi – einige der sichergestellten und im Fernsehen gezeigten „Tatmittel“ in Bibliotheken öffentlich zugängliche und legale Bücher waren. Irrtümer nimmt aber kaum jemand zum Anlass, die eigene Berichterstattung zu relativieren oder die Rezipienten darüber aufzuklären, dass der „größte Skandal“ keiner war, sondern dass es sich um eine klassische Zeitungsente handelte. Ein „Regret the Error“ wäre angebracht, ist aber in Deutschlands Medien die große Ausnahme.

Der Tagesspiegel spekuliert immerhin – jedoch ohne Beweise -, wie das fragliche strafbare Material hätte angeboten und abgerufen werden können: „Wahrscheinlich wählten die Beteiligten ein Verfahren, bei dem eine eigentlich harmlos klingende Internetadresse über Chatforen oder Mailinglisten bekannt gemacht wird. Diese Adresse verweist dann auf eine private Seite, die bei einem Internetanbieter angelegt wurde. Von dort aus können sich Interessenten Filmdateien kostenlos herunterladen. Diese werden allerdings verschlüsselt. Sie lassen sich erst dann öffnen, wenn zuvor gegen Bezahlung ein entsprechendes Passwort erworben wurde.“ Wann Internetadressen „harmlos“ klingen, darüber kann ebenso gerätselt werden: hardcoreporn_for_adults.com etwa oder bluemchensex.biz?

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Spiegel Online schlägt eine andere Methode vor: „Um die illegalen Filme von den Servern an die Interessenten zu bringen, nutzten die Anbieter offenbar Chatforen im Internet, dem Usenet oder einfach E-Mails.“ Auch das ist – so vage formuliert – ganz einfach Unfug. E-Mails mit kinderpornografischen Anhängen (unverschlüsselt!) sind ein urbanes Märchen wie die präparierten Leckbildchen, die auf Schulhöfen verteilt worden seien, um Schüler drogenabhängig zu machen. Die meisten Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornografie werden seit Jahren per Internet Relay Chat begangen. Dort kann man sicher und unbeobachtet Daten austauschen, ohne dass das zurückverfolgt werden könnte. Filesharing-Dienste, die etwa über Tor anynomisiert werden, kommen dazu. Deshalb verfehlt die Forderung des Mediendesigners und hauptberuflichen „Jugendschützers“ Friedeman Schindler nach Zensur des World Wide Web und „dass etwa die Betreiber von Chat-Rooms ein hohes Schutzniveau realisieren, damit nicht der Chat zur Anbahnung von Kontakten der Szene genutzt werden kann“, das Thema, ist bloßer Lobbyismus für die eigene Sache und technisch abwegig.

Viele deutsche Medien suggerieren in ihrer Berichterstattung missverständlich, es gebe Websites, auf denen jemand zufällig oder per Google Kinderpornografie finden könnte. Das ist so nicht richtig: Eindeutige Kinderpornografie ist so gut wie in jedem Land der Welt mit einem funktionierenden Rechtssystem verboten. Anonyme Websites, die keinem Provider zugeordnet werden könnten, gibt es aber nicht. Die Strafverfolger könnten also prinzipiell immer nachprüfen, wer eventuell Verbotenes hostet. Man sollte auch nicht unterschlagen, dass es dem US-amerikanischen FBI erlaubt ist, Lockspitzel-Angebote ins Netz zu stellen, also selbst strafbare Handlungen zu begehen und kinderpornografische Angebote zu verbreiten, um Kriminelle damit zu fassen. Das geschah etwa bei der „Operation Landslide“, die 1999 in den Medien als „der größte Schlag gegen die kommerzielle Kinderpornografie aller Zeiten“ bezeichnet wurde.

Der bloße Besitz von Bildern, auf denen eindeutig Pornografie mit Kindern – also sexueller Missbrauch – gezeigt wird, ist jedoch nicht in allen Ländern – auch nicht in Europa – mit Strafe bedroht. Pornografie wird in vielen Ländern und Kulturen ohnehin ganz unterschiedlich definiert. Meldungen, es gebe bei einem Fall Verdächtige in sehr vielen Ländern weltweit, haben also wenig Aussagekraft.

In Deutschland ist es sogar verboten, Fotos oder Texte zu besitzen, die ein nur „wirklichkeitsnahes“ Geschehen zeigen; in den USA hingegen sind Schriften, die in Deutschland Tonträgern und Daten in dieser Hinsicht gesetzlich gleichgestellt sind, ganz ausgenommen, auch Abbildungen, die keine reale oder keine mit einer realen Person identifizierbare Person zeigen. Pornografisches Material mit „kindlich“ aussehenden Mangas oder Avataren sind also in den USA erlaubt.

Der kleine Medienhype über „Kinderpornografie in Second Life“, vom Politmagazin „Report Mainz“ am 07.05.2007 angestoßen, berücksichtigt zum Beispiel weder die unterschiedliche Gesetzeslage in den USA – dort, also auch in Second Life, war das Rollenspiel legal – noch die Tatsache, dass im besagten Fall in Second Life überhaupt keine Kinder beteiligt waren. Die mehr als fragwürdigen Behauptungen von „Report Mainz“, die abgefilmten Szenen mit scheinbar minderjährigen Avataren würden sich „ins Gehirn brennen“ und Pädokriminelle zu weiterm Tun anstacheln, sind durch wissenschaftliche Untersuchungen nicht belegt. Die journalistische Grundregel, mindestens zwei unabhängige Quellen zu befragen, wurde ohnehin missachtet. Es steht bei der Berichterstattung über diese heikle Thema oft vorab schon fest, was als allgemeines moraltheologischen Fazit gewünscht wird: Das Böse wird immer mehr im Internet und ist überall.

Auch bei der „Operation Himmel“ spielten die Medien eine zentrale Rolle: Das Sat.1-Magazin „Akte„, vor allem „Schlüsselfigur“ Ronald Matthäi, der nach Angaben des Magazins mit den Ermittlungsbehörden zusammenarbeitet, scheinen eine wahre Obsession entwickelt zu haben, das Thema zu skandalisieren. „Akte“ geriert sich selbst als quasi-strafverfolgende Institution. Diese Attitude widerspricht auch dem meistzitiertem Satz Hans-Joachim Friedrichs‘ und dem unwidersprochenen Credo des deutschen Journalismus: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache“.

Nach der „Operation Mikado“ wurde sogar eine Anzeige bei der Staatsanwalt Dessau gegen die Redaktion von „Akte“ gestellt: „Ein Mitarbeiter der Akte-Redaktion übergab Oberstaatsanwalt Vogt Anfang 2006 Ausdrucke von kinderpornografischen Websites und machte sich damit strafbar, da er das illegale Material in seinem Besitz hatte. (…) Weiterhin habe ein Filmteam die Beamten bei den anschließenden Hausdurchsuchungen begleitet und dabei u.a. kinderpornographisches Material abgefilmt.“ Wenn man zum Beispiel der Website des LKA Bayern glaubt, ist das strafbar. Law Blog sieht das anders: „Die bloße Tatsache, (zahlender) Kunde eines Kinderpornoanbieters zu sein, führt übrigens noch nicht notwendig zur Strafbarkeit. Das liegt am Gesetz selbst. § 184 b Abs. 4 Strafgesetzbuch stellt nicht jeden Kontakt mit Kinderpornografie unter Strafe.“ Dort (dejure.org/gesetze/StGB/184b.html) steht wörtlich, die Verbote gälten nicht für „Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen.“
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Auch über das „zielgerichtete Surfen“ war man sich bei der „Operation Himmel“ nicht einig. Oberstaatsanwalt Peter Vogt meint laut Netzeitung: „Schon wenn zielgerichtet mit bestimmten Begriffen nach Kinderpornografie gesucht werde, macht man sich strafbar.“ Wie diese Suchworte und vom wem gerichtsfest festgestellt und gespeichert werden könnten, darüber schweigt man sich aus. Auch diese Behauptung ist schlicht Unsinn. Der Anwalt eines Betroffenen wird auf Law Blog zitiert: „Einige Ermittler gaben sogar zu Bedenken, dass man auf solche Seiten beim Surfen auch „Vereinigung Berliner Strafverteidiger erklärte am 11.01.2007: „Es muss davor gewarnt werden, durch den guten Zweck der Bekämpfung der Kinderpornografie jedwedes Mittel als geheiligt anzusehen.“ Das ist ein Satz, der vor allem bei der Berichterstattung über das Thema Kinderpornografie im Internet in Zukunft von den Medien beherzigt werden sollte. Die Behauptung Sven Karges, des Leiters für den „Bereich Illegale Inhalte“ beim Verband der deutschen Internetwirtschaft (Eco), der laut Yahoo.com gesagt haben soll, die 12000 Kinderporno-Verdachtsfälle seien die „Spitze eines Eisbergs“, hat also mit der Realität rein gar nichts zu tun.

Und noch eine gute Nachricht, die aber kaum jemand verbreiten wird, weil sie der gefühlten Sicherheitslage des durchschnittlichen Medienkonsumenten widerspricht: Die Zahl der Sexualdelikte gegenüber Kindern sind seit 1970 rückläufig, die Aufklärungsquote im Vergleich zu ähnlichen Straftaten sehr hoch. Klaus Wichmann, Staatsanwalt aus Halle, sagte der Tagesschau in genau der Sendung (www.tagesschau.de/multimedia/video/video252624.html), in der von einem „riesengroßen Akandal“ die Rede ist, besonnen und ganz richtig: Die Zahl der Täter sei gleich geblieben, nur könne man heute besser ermitteln. Die Steigerung der Ermittlungserfolge um 56 Prozent im letzten Jahr beweisen genau das – wie bei jeder polizeilichen Kriminalstatistik – und nicht, dass es mehr Straftaten gibt. Es besteht also kein Grund zu der Annahme, in Zukunft werde man „immer mehr“ Kinderpornografie im Internet finden.

Dieser Artikel erschien am 31.12.2007 in Telepolis. Ich habe einige Links korrigiert und ergänzt.

Journalisten: Geheimnisträger zweiter Klasse

Ein Artikel von mir bei Telepolis: „Journalisten: Geheimnisträger zweiter Klasse – Ist durch die Vorratsdatenspeicherung die Pressefreiheit in Gefahr? Die Journalistenverbände jammern, das jetzt in Kraft getretene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung degradiere sie zu „Berufsgeheimnisträgern zweiter Klasse“, „kastriere“ die Pressefreiheit, unterhöhle den Informantenschutz und lasse die Quellen versiegen. Wahr ist das nicht unbedingt – und die notwendigen Konsequenzen zieht auch kaum jemand.“ [mehr…]

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