Orinoco Backstage

OrinocoOrinocoOrinoco

Die Fotos habe ich 1998 am Orinoco in Venezuela gemacht – auf der südlichen Seite bei La Arenosa. Der Orinoco ist in der Regenzeit hier so breit, dass man das andere Ufer kaum sehen kann. Wenn man heute mit Google Maps draufschaut, dann erkennt man, dass die Hütten der Händler und ihre „Garküchen“ abgerissen worden sind.




Caracas Backstage

caracas

Der Blick aus dem Zimmer meiner Herberge (ich verweigere mich hier dem Begriff „Hotel“) in Caracas, der Hauptstadt von Venezuela.

Ich habe versucht herauszufinden, wo das war – damals zehn Minuten zu laufen bis zum Busbahnhof, vom dem aus die Busse in den Westen des Landes abfuhren. Der heutige Terminal la Bandera kann es aber eigentlich nicht sein.

Ich habe ein wenig recherchiert: Ich bin damals die Avenida Lecuna nach Westen marschiert, nachdem mich ein Collectivo vom Flughafen irgendwo in der Nähe des Hilton abgesetzt hatte. Der Busbahnhof, auf dem ich dann mitten in der Nacht einen Bus nach Coro nahm, hieß Terminal des Pasageros de Nuevo Circo. Offenbar fahren die Überland-Busse heute nicht mehr dort ab.

Ich meine, die Pension wäre in der Avenida Sur 9 gewesen: Die Strasse war schmal, und es gab einige billge Cafés und Spelunken, in denen nachts Nutten und finstere Gestalten verkehrten. Das Foto habe ich am letzten Tag kurz vor meiner Abreise am 4.3.1998 gemacht.




US-Imperialismus reloaded

Womblog.de: „Washington legt weiter Mil­lionen Dollar an, um die süd­ame­ri­ka­ni­schen Staaten zu desta­bi­li­sieren; die US-​amerikanische Regie­rung ist nun dabei, die Prä­si­dent­schafts­wahl­kam­pagne der Oppo­si­tion gegen Chávez zu finan­zieren. Ihr Ziel ist es, die vene­zo­la­ni­schen Ölres­sourcen wieder unter Kon­trolle zu stellen und ihren regio­nalen Ein­fluss zu stärken. Im Februar bat der Prä­si­dent Obama um einen auf den Haus­halts­plan 2012 ange­rech­neten Vor­schuss von 5 Mil­lionen Dollar zur Unter­stüt­zung der Anti-​Chávez-​Gruppen.“




An der Grenze zur grünen Hölle

San Fernando de AtabapoSan Fernando de AtabapoSan Fernando de AtabapoSan Fernando de AtabapoSan Fernando de AtabapoSan Fernando de AtabapoSan Fernando de Atabapo

Vor acht Jahren habe ich das hier schon einmal gebloggt, heute kann ich die Bilder in besserer Qualität anbieten. Auch die Links sind aktueller.

Das ist das Ende der Welt: San Fernando de Atababo, der letzte Ort am oberen Orinoco, den man noch mit „öffentlichen“ Verkehrsmitteln erreichen kann – sogar in der Trockenzeit nur per Boot. „Man sollte allerdings bedenken“, schreibt der Reiseführer, „dass solche Touren auf eigene Faust nicht ganz ungefährlich sind, man bewegt sich hier schon am Rande der „zivilisierten“ Welt. Gen Süden und Westen gibt es nur noch selten Orte – den Casiquiare aufwärts ist das Gebiet fast menschenleer.

Nur zwei Tagesreisen östlich, und man ist auf dem Territorium der Yanomami. Ein italienischer Ethnologe hatte mir aber in Puerto Ayacucho mit Augenzwinkern erzählt, die Yanomami seinen die „Drosophila“ der Ethnologie – kaum ein Volk sei besser erforscht. Und die Erforschten wüssten das und verhielten sich dementsprechend. Das bedeutet: Gringos wie Rüdiger Nehberg denken, deren Lebensart sei „ursprünglich“. Die „Indianer“ hätten ganz andere Probleme: Goldsucher schürften in ihrer Gegend, es gäbe zahlreiche illegale Minen. Bei der Goldsuche fiele Quecksilber ab, und die Quellflüsse des Orinoco seien schon vergiftet. In dieser gottverlassenen Region leben noch andere Völker, um die sich kaum jemand kümmert, und die kämpften schlicht ums Überleben. Der Ethnologe warnte mich: Wer dort allein reiste, per Boot, dem könnte es geschehen, dass ihm Pfeile um die Ohren flögen, weil man für einen Goldsucher oder einen Sekten-Missionar gehalten würde, etwa vom berüchtigen fundamentalistischen Summer Instituts of Lingustics. Und die Indianer könnten verdammt gut mit Pfeil und Bogen umgehen…

Ich wusste, dass ich nicht genug Zeit und Geld hatte, um diese Tour zu machen – wenn ich das nächste Mal nach Venezuela fahre, weiß jeder, der dieses Weblog liest, wo ich dann zu finden bin: Entweder im Jeep irgendwo nördlich des Rio Meta in den Llanos (nicht in der Regenzeit), oder im Flussdreieck Orinoco – Casiquiare – Rio Atabapo, in Sichtweite der majestätischen Tafelberge, den Tepuis.

In einer Story über meine Reise („Der gottverlassene Landstrich“, Tagesspiegel 19.9.1997) schrieb ich: „San Fernando de Atabapo: ein verschlafener Ort mit 3000 Einwohnern. Eine Kirche. Ein Restaurant: der folgenlose Genuss des Tagesmenüs setzt eine tropentaugliche Darmflora voraus. Das einzige Hotel (Bild links oben) an der Plaza Bolivar: nur drei Zimmer, weit jenseits von mitteleuropäischem und Komfort. Mittendurch eine Heerstraße für Ameisen und die in Volksliedern liebevoll besungenen Cucarachas. Am Abend schauen auch ein paar Kröten herein, die der kurze, aber um so heftigere Tropenregen unternehmungskustig macht. Hängematte und Moskitonetz gehörten zur Grundausstattung des Reisenden wie Toilettenpapier und Plastikfolie, um Papiere und Geld vor Feuchtigkeit zu schützen.“

Es war viel netter: die hübsche Hausgehilfin des Hotels (Bild oben rechts), natürlich alleinerziehende Mutter, drückte mir eine Schaufel in die Hand, nachdem ich lange auf sie eingeredet und ihr eine Menge Komplimente gemacht hatte. Angeblich war das „Hotel“ voll. Aber ich durfte dann doch das einzige leere Zimmer (Bild oben links) vom Müll befreien. Es war, vom Globetrotter-Maßstab aus gesehen, recht komfortabel. Die junge Dame brachte mir, verlegen lächelnd, sogar einen Ventilator. Draußen eine Terrasse mit Tisch und Stuhl, allerdings standen überall leere Bierkästen und anderes Gerümpel herum. Ich rückte den Stuhl an die kleine Mauer mit Blick auf den Zusammenfluss von Atabapo und Guaviare, warf meinen Ofen an und kochte mir eine heisse Suppe, die erste Mahlzeit seit vier Uhr morgens. Brot hatte ich auch noch. Während ich meine Mahlzeit löffelte, sah ich direkt nach Westen und ließ die Gedanken schweifen. 1982 hatte ich an demselben Fluss gestanden, weit im Westen, in den kolumbianischen Llanos

Das grandiose Panorama entschädigt für die Müllkippe des Ortes in Reichweite – im Gestrüpp zwischen Flussufer und Hotel. Eine Gewitterwolke dräut über dem satten Dunkelgrün des Urwalds, die letzten Sonnenstrahlen gleißen durch das kitschige Abendrot und lassen die Sandbänke weiß leuchten. Hier fließen drei Ströme zusammen: Guaviare, Atabapo und Orinoco. Der Guaviare, breiter als der Rhein, entspringt tausend Kilometer westlich in den kolumbianischen Anden und hat, so schreibt Alexander von Humboldt, weisses Wasser, und der ganze Anblick seiner Ufer, seiner gefiederten Fischfänger, seine Fische, die großen Krokodile, die darin hausen, machen, daß er dem Orinoco weit mehr gleicht. Von Süden ergießt sich der Atabapo in den Guaviare. Wassertemperatur des Rio Atabapo: erstaunliche 37 Grad. Der sonnendurchglühte Granit (Bild linke Reihe, 2.v.o.) heizt den Fluss auf. Er ist dunkel wie schwarzer Tee, aber klar bis auf den Grund. Die Färbung rührt von Gerbsäure, die Insekten abhält, ihre Eier zu legen.

In den folgenden Tagen ging ich jeden Tag zum Fluss, die Sandbänke tauchten wie schneeweiße Fische aus dem Wasser auf. Das Wasser war wirklich, so wie Humboldt es beschrieben hatte, wärmer als in einer Badewanne und, abgesehen von der dunkelbraunen Farbe, glasklar. Ich setzte mich in den warmen Sand ins Wasser, und tausende winzige und glitzernde Fische schwommen um mich herum, als hätten sie keine natürlichen Feinde. Die mächtigen Bäume am Ufer zeigten alle Schattierungen der Farbe grün, der Himmel war wolkenlos und dunkelblau – mir schien es, als sei ich in eine Kitschpostkarte hineingeraten. Und ich war ganz allein. Warum ist hier sonst niemand? habe ich mich damals gefragt. Ich habe, bis auf Grenada in der Karibik, nirgends einen besseren Sandstrand und schöneres Wasser gefunden. Nun gut, es gibt weder ein Restaurant, das diesen Namen verdiente, noch ein Hotel… Aber von Berlin aus braucht man nur drei Tage, wenn alles gut geht…




USA finanzieren regierungskritische Medien in Venezuela

Wikileaks hat gerade ein Dokument veröffentlich, aus dem hervorgeht, dass die USA die Medien finanziell unterstützen, die in Venezuela gegen Chavez ausgerichtet sind. Das kennen wir ja schon aus Chile zur Zeit Salvador Allendes.




Am Orinoco (1998)

Orinoco

In diesem Ort würde ich jetzt gern sein: San Fernando de Atabapo im venezolanischen Bundesstaat Amazonas (obwohl der Ort am Orinoco liegt).




Von Caracas nach Santa Ana de Coro

caracascaracascorocorocorocorocoro

So ein Blog ist doch etwas Feines – ich kann die Welt mit völlig nichtssagenden Fotos belästigen. Sie bedeuten nur für mich etwas, und wenn ich sie betrachte, erinnern sie mich an Angenehmes oder Aufregendes.

Das oberste Foto zum Beispiel könnte überall gemacht worden sein, über Mallorca, Ports Moresby oder den Osterinseln. Ich aber saß 1998 in einer Maschine der Iberia und sah zum ersten Mal seit 1984 wieder die Küsten Südamerikas – hier Venezuela, das ich noch nicht bereist hatte. Der Abend dämmerte schon. Man hatte mich vor dem angeblich gefährlichen Caracas gewarnt. Das schreckte mich nicht, aber ich plante, nicht dort zu bleiben, sondern mir einen Bus in den Nordwesten zu suchen, nach Santa Ana de Coro (Weltkulturerbe), um mich dort für ein paar Tag in der idyllischen Kleinstadt zu akklimatisieren: Ich recherchierte für meinen Roman Die Konquistadoren„, und Coro war im 16. Jahrhundert des Ausganspunkt der „deutschen“ Eroberungszüge zum „El Dorado“ gewesen.

Das alles schwirrte mir durch den Kopf. Vor acht Jahren bloggte ich hier:

„Land! Nicht anders muss sich Kolumbus gefühlt haben. Gieriger Blick aus dem Fenster: Südamerika, meine zweite Heimat. Wolken huschen über Inseln, man schaut wie ein Vogel auf die türkisblaue Brandung herab. Immer wenn ich das Meer sehe, muss ich an Marquez denken: Un relato de un naufragio. Es zieht in der Brust. Welcher wehmütiger Schmerz ist das? Das Gefühl, wie ein Tropfen Wasser im Meer zu sein, eine winzige weisse Wolke unter vielen – eine sanfte Brise, und sie löst sich auf in nichts. Das Traurige am wahren Reisen ist: Man kann es mit niemandem teilen, die Gefühle, die Sinneseindrücke nicht wiedergeben. Wie kann man eine Reise nach Südamerika erzählen? Vielleicht nur wie Rutger Hauer im Bladerunner: „I’ve seen things you people wouldn’t believe. …All those moments will be lost in time, like tears in the rain.“ Ich mag sehr gern fliegen, ich liebe den Augenblick, wenn der Druck beim Start einen in den Sessel presst. Weg, nach oben, ganz weit weg, auch wenn sieben Stunden Flug unrealistisch kurz sind für die Entfernung, die man tatsächlich zurückliegt. (…)

Die Sonne ist schon dunkelrot. Berge an der Küste, völlig kahl. Endlich gelandet. Immer das komische Gefühl: ich könnte den Boden küssen. Vielleicht haben das auch die deutschen Konquistadoren gemacht, deren Spuren ich verfolgen will und die schuld daran sind, dass ich jetzt in Venezuela bin. Allein, mit vielen Büchern über die Alemanes y los Belzares (Welser) im 16. Jahrhundert im Kopf. Die Hitze lullt mich ein, aber der Geruch! Ich erkenne Südamerika am Geruch. Den schweren Rücksack auf den Rücken werfen, knarrende Riemen. Auch das hört sich vertraut an. Der Druck auf den Schultern. Das Gefühl, ganz da zu sein, mit jeder Faser des Körpers. Das ist das wahre Leben – konzentriert und auf den Punkt gebracht.

Ein Collectivo nach Caracas. Meine erste spanischen Worte seit langem. Kurvenreiche Straße, Slums an die Hügel gekrallt. Die Bilder von draußen dringen noch nicht bis in meinen Kopf. Ich bin restlos glücklich. Das bekannte Gewusel. Bei halb geschlossenen Augen kann ich mir vorstellen, gleichzeitig in Bogota, Medellin, Quito, Lima oder in den Barrios von La Paz zu sein. Endstation. Ein paar hundert Meter zu Fuss. Die schon nächtliche Stadt liegt mir zu Füßen (zweites Foto). Der Verkehr rauscht um mich herum wie Wasser um einen Stein. Ich lasse den Stadtplan in der Hosentasche. Ich will reden, den Rhythmus des espanol in mich aufsaugen, frage Passanten. Ich muss wohl ein paar Kilometer zu Fuss gehen zum zentralen Busbahnhof. Man rät mir zum Taxi. Aber ich will das Gefühl genießen, allein durch die Nacht zu laufen. (…)

Am Busbahnhof umringt mich ein Dutzend Männer, die mir die Ziele ihrer Busse entgegenbrüllen. Schön hört sich das an: Maracaimaracaimaracaiboooooo! Maracaibo, die heiße Millionenstadt an der Lagune, die sich zum Golf von Venezeula öffnet, gegründet 1529 durch Ambrosius Dalfinger aus Ulm. Barquisimeto. Acarigua. Tocuyo. Namen, die ich aus den Briefen des deutschen Konquistadors Philipp von Hutten kenne… Noch klingen sie wie ein Geheimnis.

Es ist schon 22 Uhr und immer noch die Hölle los. Viele Tage habe ich in Busbahnhöfen verbracht, in vielen lateinamerikanischen Ländern. Das Leben spielt sich wie unter einem Mikroskop ab, alle Sorten von Menschen werden durchgeschleust. Bahnhöfe sind die interessantesten Orte einer Stadt, zusammen mit den Märkten. Wer die Bahnhöfe und die Märkte kennt, weiß, wie man in dem Land fühlt und lebt. Knapp drei Monate später werde ich mir ein very basic Hotel in einer kleinen nahegelegenen Seitenstrasse nehmen.“

Ich habe an anderer Stelle schon etwas über die Kathedrale von Coro gesagt. (Interessant, dass der deutsche Wikipedia-Eintrag zwar nicht verschweigt, dass Coro für einige Jahrzehnte den Augsburger Welsern gehörte, aber nicht den schwunghaften Sklavenhandel erwähnt, den die Welser betrieben und auch nicht, dass zahlreiche „Expeditionen“ – in Wahrheit Raubzüge – von Coro aus aufbrachen, um das sagenhafte Goldland zu finden – zum Beispiel Nikolaus Federmann, der Mitgründer der kolumbianischen Hautpstadt Bogotá; die deutsche Kolonialgeschichte, die in Venezuela jedes Schulkind kennt, fällt fast komplett unter den Tisch. Der spanische Eintrag ist aufschlussreicher.)

Das vorletzte Bild zeigt das winzige Frühstücks“cafe“, in dem ich eine Woche lang jeden Morgen einkehrte – ich finde es leider nicht mehr auf der Karte wieder.

Auf dem unteren Bild erkennt man die Dünen im Parque Nacional Los Médanos de Coro. Wikipedia: „Der Nationalpark umfasst 91.280 Hektar Wüste, Küste und Salzwiese. Die großen Dünen (‚Médanos‘) erstrecken sich über eine Länge von 5 bis 30 Kilometer und können bis zu 40 Meter hoch werden. Durch starke Winde ändern sie ständig ihre Form. Wegen der sehr seltenen Niederschläge besteht die Flora aus stacheligen Sträuchern. Die Fauna ist ebenso spärlich und besteht hauptsächlich aus Echsen, Hasen, Ameisenbären, Füchsen, Tauben und Falken.“ Ich hatte mir einen Lokalbus genommen und bin ganz allein durch die glühend heisse Einöde gestapft. Auch das werde ich nie vergessen.




Momente der Vollkommenheit (Venezuela 98)

corocoroeolorzasan_fernandosan_fernandosan_fernandobarquisimetosan_fernandosan_fernandoelorza

Nein, Fotos aus Lateinamerika sind ist kein Biedermeier in dem Sinn, dass ich mich des Politischen nicht mehr annähme: „als typisch gilt die Flucht ins Idyll und ins Private“. Meine Reisen waren für mich wichtiger als die doppelte Zeit, die ich in Berlin verbrachte. Venezuela zumal ist die Basis für meinen Roman „Die Konquistadoren„, der eben dort spielt.

Vor sieben Jahren habe ich schon einmal über dieses Thema gebloggt, die meisten Leser werden sich nicht daran erinnern und die Fotos waren damals von sehr schlechter Qualität:

Der Bus fährt direkt nach Coro. Krachendes TV, daily soap auf venezolanisch, ich brauche nicht lange, um mich daran zu gewöhnen und trotzdem zu schlafen. Um kurz nach fünf rüttelt mich jemand – wir sind schon da. Eine Brise, irgendwo muss das Meer sein. Mit schweren Füßen durch schmale, holprige Straßen einer Vorstadt. Ich bin ganz allein. Hunde bellen mich an, ohne mich zu sehen. Ein zartes Blau im Osten. Endlich: die Plaza von Santa Ana de Coro, gegründet 1527 vom Spanier Juan de Ampiés, der sich dazu die Erlaubnis des Kaziken Manaure holte. Die kleine Kathedrale, dem heiligen Franziskus geweiht. Als Georg Hohermuth von Speyer und Philipp von Hutten 1528 auf diesem Platz standen, war sie noch im Bau. Sonnenaufgang. Ich sitze auf einer Bank und versuche mir vorzustellen: 400 deutsche Landsknechte und sächsische Bergknappen, die hier, genau an dieser Stelle, damals, vor fast 500 Jahren, aufgebrochen sind nach El Dorado. Ich schaue auf die Uhr. Es ist unfassbar. Von Berlin nach Coro in weniger als 48 Stunden.

Warum Momente der Vollkommenheit? Weil ich beim Anblick dieser tanzenden Mädchen heimlich geweint habe. Zum Glück war es dunkel, und das Publikum achtete nicht auf mich. Ich sah für einen Moment vollkommene Schönheit.

Kurz bevor ich in die Berge aufbreche, in die Sierra de San Luis: Kultur am Abend – consejo de la dansa. Der Gouverneur des Bundesstaates Falcón, die herrschende Klasse von Coro. Tanzgruppen aus der Karibik, sogar aus Guyana! Es ist ein komisches Gefühl – wahrscheinlich bin ich der Einzige, der schon einmal in Guyana war – ausser den Guyanern selbst. Ich bin schon wieder restlos glücklich. Die Menge drängt sich in einen Hof, Lachen und Lärmen. Die Band bleibt im Hintergrund, genau wie die ältere, drahtige Frau, die mit knappen und herrischen Händen die Tänzerinnen auf der Bühne dirigiert. Niemand könnte jemals mit Worten beschreiben, wie die jungen Frauen tanzen. Wenn es Engel gäbe, sähen sie so aus wie die Mädchen aus Coro. Sie schweben über dem Boden, nicht so artifiziell wie eine europäische Ballerina, rhythmisch, aber verspielt, nicht zu vergleichen mit dem verkrampften Getue der Boy- and Girlbands bei Viva und MTV. Es ist unirdisch schön. Man spürt pralle Erotik, aber überlagert von einer Unschuld, die rührend ist. Ich muss die Tränen zurückhalten. Vermutlich habe ich mit offenem Mund dagestanden. Die Mädchen lachen und flirten miteinander, während sie umherwirbeln. Ich versuche, die Atmosphäre mit dem Fotoapparat irgendwie einzufangen, werde aber sehr traurig, als ich später die Bilder sehe: zu dunkel und ohne Bewegung. Die Tänzerinnen von Coro: das ist einer der intensivsten Eindrücke, die ich in Venezuela hatte.

Das Mädchen vor dem Coca-Cola-Schild habe ich in einem Dorf am Orinoco aufgenommen. Ich war gerührt und musste schmunzeln, als sie noch schnell versuchte, ihre Haare irgendwie zu einer Frisur zu ordnen, bevor ich sie fotografierte. Oder das Mädchen in einem Laden in Tintorero – sie war vielleicht 12 Jahre alt, aber bediente mich perfekt wie eine Erwachsene, zuckte auch nicht mit der Wimper, als ich sie fragte, ob ich sie fotografieren könnte, sondern blieb cool hinter der Theke stehen und schaute direkt in die Kamera.

Das Kind ganz untern sitzt in meiner Hängematte, seine Mutter, bei der ich ein paar Tage im „Garten“ übernachten durfte, hatte es hineingelegt. Ein perfektes Bild, für das ich nichts arrangieren musste – ich habe einfach spontan auf den Auslöser gedrückt.




Burks bei den Wayapopihíwi

Guahibos

Nein, ich hatte nirgendwo während meiner vielen Reisen das Gefühl, „helfen“ oder „entwickeln“ zu müssen, um mich anschließend moralisch besser zu fühlen. „Entwicklungshilfe“ gehört ersatzlos gestrichen. Dämlicher kann man Neo-Kolonialismus nicht bezeichnen.

Hier bin ich bei den Guahibo, auch Wayapopihíwi genannt, im Süden Venezuelas, irgendwo in einem winzigen Dorf ungefähr hier. (Ja, das hatte ich schon vor zwei Jahren gebloggt.)

„Ein schlammiger Fluß: der Rio Capanaparo. Ein alter Mann rudert den Reisenden schweigend an das andere Ufer. Wieder ein garpón. Aller Augen richten sich auf den chefe. Der erklärt in stockendem Spanisch: Das Feuer und die Viehzucht engen den Lebensraum der Guahibos immer mehr ein. Sie litten Hunger, weil sie nicht mehr jagen könnten. Die Regierung lobt sich im Ausland für ihre gut gemeinte, das heißt paternalistische Indianerpolitik. Sie bietet den Nomaden an, gratis in Reihenhaussiedlungen wohnen zu können wie die katholischen und assimilierten Indianer am Orinoco. Dort wären sie geschützt vor Übergriffen sowohl der kolumbianischen Guerilla als auch der Viehzüchter. Doch sie wollen nicht.“




Mythos „Neu entdeckte Indianerstämme“ [Update]

Indios

Mit großem Interesse las ich einen Bericht in Spiegel online: „Neuentdeckter Indianerstamm“. Mitarbeiter der brasilianischen „Indianerbehörde“ Funai haben ein zurückgezogen lebendes Volk entdeckt, das offenbar keinen Kontakt zur so genannten Zivilisation hat. Ich verstand zwar nicht, was „neu entdeckt“ heißt, da ich kein „alt entdeckt“ kenne, aber vermutlich ist das die normale Sprachschluderei wie „neu renoviert“.

In Deutschland gibt es keinen Online-Journalismus, der diesen Namen verdient, daher musste ich mir die meisten Links zunächst selbst zusammensuchen. Zuerst suchte ich nach Jose Carlos Meirelles und las ein paar internationale Berichte, um das mitzubekommen, das deutsche Medien beim Abschreiben vergessen haben oder nicht erwähnen, weil Links auf andere Websites als Teufelswerk gelten.

Wenn man sich zum Beispiel über die Kayapó informieren will, ist einer der ersten Links von SIL International, „Partners in Language Development“, aka „Summer Institut of Linguistcs„. Mit denen hatte ich schon persönlichen Kontakt – das ist eine ultrareaktionäre evangelikale Missionarsvereinigung, die unter dem Vorwand der Sprachforschung in der ganzen Welt Bibeln in der jeweiligen Sprache verbreitet. Wehe, die kämen zu den „neuentdeckten“ Indios – in kurzer Zeit würden diese Hosen und Büstenhalter tragen, wie die Kayapó (mittleres Bild) und vermutlich bals europäischen Touristen als „Naturvolk“ vorgeführt. „Natürlich“ ist ohnehin eine Fiktion und politisch ungefähr so herablassend wie „frei laufende Indianer und Hühner“.

Indios

Die Fotos wurden von Survival International publiziert, dort steht auch die Original-Geschichte, und dort erfährt man auch mehr über die Gründe, warum zahlreiche Völker nichts mit dem Rest der Welt zu tun haben wollen: „Over one hundred tribes around the world choose to reject contact with outsiders. They are the most vulnerable peoples on the planet. Many of them are living on the run, fleeing invasions of their land by colonists, loggers, oil crews and cattle ranchers. They have often seen their friends and families die at the hands of outsiders, in unreported massacres or epidemics.“

Völker, die noch nie mit anderen Kontakt hatten, gibt es nicht. Wer das behauptete, könnte das auch nicht beweisen. Ich war vor zehn Jahren bei den venezolanischen Guahibo, die auch in meinem historischen Roman Die Konquistadoren auftauchen. Die ersten Weißen, die den Guahibo begegneten, waren die spanischen und deutschen Eroberer im 15. Jahrhundert. Alexander von Humboldt hat ebenfalls über sie berichtet (unten die kursiven Zitate).

Aus meiner Reportage vom 19.9.97 im Berliner Tagesspiegel: „Der gottverlassene Landstrich“ über das Grenzgebiet Venezuela-Kolumbien nördlich des Rio Meta (vgl. unteres Foto)

„Am Ortsrand leben knapp hundert Guahibos, eng zusammengedrängt unter einem Wellblechdach und umgeben von Müllbergen. Die Guahibos sind Nomaden, die Mehrzahl stammt aus Kolumbien. Sie nennen ihre Wohnstätte garpón, „großes Haus“, und erhalten Sozialhilfe; einige Männer sprechen spanisch und verdingen sich für ein Almosen als Gelegenheitsarbeiter auf den umliegenden Farmen. Das gibt böses Blut: der Wahlkampf steht vor der Tür, und Lokalpolitiker haben Parolen ausgegeben, die frei übersetzt lauten: „Guahibos raus!“ und: „Arbeitsplätze zuerst für Einheimische!“ Pater Christobal ist Pole und aus Ostpreußen gebürtig. Sein klimatisierter Amtssitz nimmt die ganze Breite der Plaza Bolivar von Elorza ein. Als öffentliche Person könne er zwar nicht immer laut sagen, was er denke, aber seine kirchliche Autorität geltend machen. „Vor fünfzehn Jahren haben Viehzüchter und ihre Handlanger ein Massaker an den Guahibos verübt“, erzählt er, „es gab siebzehn Tote, auch Frauen und Kinder. Einige Überlebende hausen im garpón. Sie haben heute noch Angst. Die Schuldigen waren bekannt, wurden aber nicht bestraft.“

Man erfährt, daß der örtliche Automechaniker Roberto Para vor einigen Jahren eine Anthropologin aus Paris zu den nomadisierenden Guahibos gefahren hat, die irgendwo in der Savanne leben. Bis zum Rio Meta, der Grenze zu Kolumbien, sind es rund 200 Kilometer, aber es gibt in diesem gottverlassenen Landstrich nur zwei aufgegebene Gehöfte. Die kolumbianische Guerilla macht das Gebiet unsicher, attackiert die venezolanischen Grenzposten und erhebt bei nächtlichen Überfällen von den Viehzüchtern „Kriegssteuern“.

Fünf Stunden mit dem rüttelnden Jeep durch die Savanne. Der Boden zeigte überall, wo er von der Vegetation entbößt war, eine Temperatur von 48 bis 50 Grad. Die Ebenen ringsum schienen zum Himmel anzusteigen, und die weite unermeßliche Einöde stellte sich unseren Blicken als eine mit Tang und Meeralgen bedeckte See dar. Im Norden stehen Rauchsäulen am Himmel – die Rancher nennen das „Flurbereinigung“.

Indios

Ein schlammiger Fluß: der Rio Capanaparo. Ein alter Mann rudert den Reisenden schweigend an das andere Ufer. Wieder ein garpón. Aller Augen richten sich auf den chefe. Der erklärt in stockendem Spanisch: Das Feuer und die Viehzucht engen den Lebensraum der Guahibos immer mehr ein. Sie litten Hunger, weil sie nicht mehr jagen könnten. Die Regierung lobt sich im Ausland für ihre gut gemeinte, das heißt paternalistische Indianerpolitik. Sie bietet den Nomaden an, gratis in Reihenhaussiedlungen wohnen zu können wie die katholischen und assimilierten Indianer am Orinoco. Dort wären sie geschützt vor Übergriffen sowohl der kolumbianischen Guerilla als auch der Viehzüchter. Doch sie wollen nicht.

Kein Stamm ist schwerer seßhaft zu machen als die Guahibos. Lieber leben sie von faulen Fischen, Tausendfüßen und Würmern, als daß sie ein kleines Stück Land bebauen. Wir fanden daselbst sechs von noch nicht katechisierten Guahibos bewohnte Häuser. Sie unterschieden sich in nichts von den wilden Indianern. Ihre ziemlich großen schwarzen Augen verrieten mehr Lebendigkeit als die der Indianer in den übrigen Missionen…Mehrere hatten einen Bart; sie schienen stolz darauf, faßten uns am Kinn und gaben uns durch Zeichen zu verstehen, sie seien wie wir.

Die ersten Weißen, die die Guahibos kennenlernten, waren Deutsche – im 16. Jahrhundert. Die Konquistadoren Georg Hohermuth von Speyer und Friedrich von Hutten zogen 1535 im Auftrag der Welser von Coro an der Küste nach Süden, bis in das Quellgebiet des Guaviare im heutigen Kolumbien. Mehrere hundert deutsche und spanische Landsknechte durchstreiften monatelang die Savanne, ausgemergelt vor Hunger und vergeblich auf der Suche nach einem Paß in die Anden, in das Land der Muisca, zum legendären El Dorado. Die Muisca zahlten mit Gold für die Kinder der Guahibos, erfuhren sie.

„Fiengent ain Cassicquen oder Obersten, ßo sagt, er wer auff der andern Seitten des Birgs gewest, gab uns groß Zeittung von Reichtumb. Vermochten aber mit den Pfferden nit hynuber…“ berichtet der fränkische Edelmann Philipp von Hutten am 30. Oktober 1538 aus Coro an den kaiserlichen Rat Matthias Zimmermann in einem der ersten Briefe, den ein Deutscher aus Südamerika geschrieben hat.“

[Update] Links überprüft am 23.07.2016




Venezuela | wahr und falsch

Puerto Ayacucho

Über Venezuela schreibt Spiegel Online wahr und falsch. Wahr: „Ohne die Arbeitskraft der kolumbianischen Immigranten wäre der Ölstaat wirtschaftlich am Ende: Wenn überhaupt etwas in dem relaxten Karibikstaat funktioniert, ist das meistens einem fleißigen Kolumbianer zu verdanken.“ Ja, das ist ein Witz, den sogar die Venezolaner erzählen. Ich mag die Kolumbianer, sie sind in der Regel ziemlich agil und fit, leider manchmal auch bei den falschen Themen. Und schon Alexander von Humboldt stellte wertfrei fest, dass in Venezuela (das es damals so noch nicht gab) niemand arbeiten wolle.

Falsch: „Venezuela ist traditionell friedfertig und musste noch nie einen Krieg gegen ein Nachbarland ausfechten.“ Was hier verschwiegen wird, ist, dass Venezuela fast die Hälfte seines östlichen Nachbarlands Guyana für sich beansprucht (vgl. „Guyana 2 – die Rebellion der Rancher“, spiggel.de, 23.08.2003). Beim klitzekleinen „Bürgerkrieg“ 1969 in Guyana haben die Venezolaner wohl kräftig indirekt mitgemischt.

Guahibos

Das obige Bild zeigt eine Straße in Puerto Ayacucho, Bundesstaat Amazonas, Venezuela. Ich bin in einem LKW mitgefahren. Das untere Bild zeigt mich bei Guahibo-Indianern, ungefähr hier am Rio Capanaparo im Süden des Bundesstaats Apure.