Hinzugedachte Leitplanken im Nebel

Pressemitteilung: „Die Piratenpartei Deutschland kritisiert die heute vom Deutschen Bundestag eingesetzte Internet-Enquetekommission als ‚Alibi-Veranstaltung‘. Deutschland hat keinen Bedarf an weiteren Schwatzrunden zum Thema Internet, sondern netzpolitischen Handlungsbedarf.

„Wie überflüssig diese Kommission ist, zeigt sich auch am Schicksal des Vorgängers aus den Jahren 1995 – 98. Wesentliche Papiere und Empfehlungen dieser Kommission, zum Beispiel zu Datenschutz und IT-Sicherheit, sind im federführenden Innenausschuss auch 12 Jahre danach noch nicht behandelt worden.

Scharfe Kritik üben die Piraten auch an der personellen Zusammensetzung der Kommission: Ihr Vorsitzender ist ein CDU-Mann ohne Internetaffinität. Als Provokation wird außerdem die Berufung des SPD-Mitglieds Martin Dörmann empfunden, der für die Durchsetzung des als „Zensursula“ bekanntgewordenen Zugangserschwerungsgesetzes verantwortlich war. Damit hat die SPD das in sie gesetzte Restvertrauen verspielt.“

By the way 1: Leitplanken, die der Bundestag im Internet aufstellen will – dazu lese man einfach nur das Heise-Forum. Ich habe Tränen gelacht. Meine Favorit: „Leitplanken gibt’s doch schon. Bei IP-Nummern ist links von der Null und rechts von der Zweihunderfünfundfünfzig Schluß.“

By the way 2: the best without Leitplanken-Video ever… wenn man fahren kann, braucht man keine Leitplanken. Aber das können Internet-Ausdrucker eben nicht.

Wie lang sind 19 Terabyte?

Bei Heise lese ich: „Derzeit lagern einem Sprecher zufolge allein bei der Telekom noch 19 Terabyte Vorratsdaten, was ausgedruckt 4,85 Millionen DIN-A4-Seiten entspreche.“

Das ruft nach Mathematik. Eine Din A 4-Seite ist rund 29,5 Zentimeter lang. 29,5 Zentimeter sind 0,295 Meter. 4,8 Millionen multipliziert mit 0,295 – das sind 1416000 Meter, also rund 1400 Kilometer. Das ist die Entfernung Berlin-Paris.

Warum die Piraten gebraucht werden [Update]

..weil die Politiker nichts dazulernen: „Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Massen-Speicherung von Telefon- und Internetdaten hat der brandenburgische CDU-Innenpolitiker Sven Petke eine Nachfolgeregelung gefordert. Das Urteil verändere nicht die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, sagte Petke heute der Deutschen Presse-Agentur dpa in Potsdam. ‚Wir brauchen die Überwachung der Telekommunikation und des Internets, wenn auch auf anderer rechtlicher Grundlage.‘ Das sagt Sven Pettke, CDU. (via netzpolitik.org)

Die Süddeutsche hat es korrekt beschrieben: „Der Jubel der Beschwerdeführer ist berechtigt, muss aber doch im Hinblick auf die mittel- und langfristigen Folgen im Hals stecken bleiben. Die Beschwerdeführer haben gewonnen, aber nicht gesiegt: Zum ersten Mal wird vom Karlsruher Gericht die Speicherung von Daten auf Vorrat zu noch unbestimmten Zwecken für zulässig erklärt, ohne dass es einen konkreten Anlass oder gar einen Verdacht geben muss. (…) Die Richter riskieren den Konflikt mit der EU und dem Europäischen Gerichtshof nicht. Sie warnen und drohen: Bis hierher und nicht weiter. Das reicht nicht mehr.“

Laut afp sprach der Vizevorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Wilfried Albishausen, angesichts der Karlsruher Entscheidung von „einem guten Tag für alle Kriminellen“.

Update: Hier die gewohnte Ziercke-Lyrik: „Die Polizei könne angesichts der vielfältigen Flatrate-Angebote und der damit einhergehenden recht kurzen Aufbewahrung der Informationen durch die Provider nur noch erschwert etwa gegen Amok- oder Suizidankündigungen im Internet, Vermisstenfälle, Kinderpornographie, Hacking-Angriffe oder selbst „schwerwiegende Betrugsstraftaten“ vorgehen. Auch Terrorismus und organisierte Kriminalität könnten nicht mehr „in der Tiefe aufgeklärt“ werden, meinte Ziercke.“

Dieser Verbindung wird nicht vertraut

ccc

Crypto-Stick

Die German Privacy Foundation stellt den Crypto Stick auf der Fachmesse Embedded World 2010 vor. Die Messe findet vom 2. bis 4. März 2010 in Nürnberg statt. Der Stand der GPF befindet sich in Halle 9, Stand 103.

Gesetzzuraufhebungdesgesetzeszurerschwerung

Wortlaut der ersten Beratung des Entwurfs eines „Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten in Kommunikationsnetzen und Änderung weiterer Gesetze“. Sehr empfehlenswert – man fällt fast vom Stuhl (ab 2119).

„Das Wort hat der Kollege Martin Dörmann für die SPD-Fraktion. – Der Kollege ist offensichtlich nicht anwesend.
Hat die SPD einen Vorschlag, wer an seiner Stelle sprechen soll? – Das ist nicht der Fall.“

Jörn Wunderlich (Die Linke): „Weiter heißt es in der Dienstanweisung: Selbst wenn ein Versuch, das Löschen zu veranlassen, erfolglos ist, soll nicht gesperrt werden, sondern das Bundesministerium der Justiz und das Auswärtige Amt um Unterstützung gebeten werden. – Wie diese Unterstützung aussehen soll, weiß ich im Moment nicht so richtig. Aber immerhin bietet man etwas. Mit anderen Worten: Das ist eine Anweisung, ein erlassenes, beschlossenes, verabschiedetes, rechtskräftiges, in Kraft getretenes Gesetz nicht anzuwenden. Das ist der Verkauf des Rechtsstaates.“

Anonymer Dienst zur Veröffentlichung von Dateien im Internet

Ein interessantes und gewohnt realitätsfernes Urteil des OLG Hamburg beschäftigt sich mit Anonymisierungsdiensten. Offenbar hat denen niemand erklärt, was das ist.

„Lässt der Betreiber eines Sharehosting-Dienstes in Kenntnis begangener Urheberrechtsverletzungen weiterhin einschränkungslos eine anonyme Nutzung seines Dienstes zu..“ Schön, damit wären wir beim Thema China. Wie will ein „Betreiber“ bestimmen, wie sich die Nutzer bewegen – anonym oder nicht?

Wikipedia schließt aus, dass man via Tor anoynm schreiben kann: „Weil einige anonyme Idioten auf Seiten der Wikipedia als Vandalen aufgetreten sind, blockiert die Wikipedia zur Zeit das Bearbeiten von vielen IPs der Torserver (Lesen funktioniert trotzdem). Wir verhandeln mit Wikipedia, wie sie den Missbrauch unter Kontrolle kriegen, ohne anonyme Beiträge zu verhindern. Anonyme Autoren haben oft wichtige Neuigkeiten oder Insider-Informationen über ein Thema, wollen aber ihre Identitäten nicht preisgeben (oder wollen nicht, dass man an ihrem Standort erfährt, dass sie auf Wikipedia zugreifen). Slashdot ist im gleichen Boot.“ So könnten auch Amazon oder Ebay verhindern, dass Anonymisierungsdienste missbraucht werden – dazu sind die aber zu faul oder schlicht unfähig oder desinteressiert.

Auch die chinesischen Zensoren versuchen, die IP-Adressen von Tor-Servern oder die anderer Anonymisierungsdienste zu blockieren, weil diese Dienste wichtig sind, um Zensur unterlaufen zu können, um das „Unwesen“ unerwünschter Meinungen zu bekämpfen.

Das OLG Hamburg scheint zwar „nominell einen ‚Grundsatz der Anonymität'“ zu billigen, widerspricht sich aber in seinen Urteilen selbst. „Mit der vorliegenden Entscheidung schreibt der Urheberrechtssenat des OLG Hamburg seine im vergangenen Jahr eingeleitete Rspr. (MMR 2008, 823) fort, deren erklärtes Ziel es ist, das ‚Unwesen von Raubkopierern‘ durch ein ‚Generalverbot‘ anonymer Internet-Veröffentlichungsdienste zu ‚unterbinden‘.“

Sehr leyenhaft: „ein anonymer Dienst zur Veröffentlichung von Dateien im Internet“ – so etwas gibt es nicht. Ein bisschen Anonymität geht nicht. Ich bin mal gespannt, wie diese Art von Internet-Ausdruckern den traurig-komischen Kampf gegen Windmühlen weiter juristisch gestaltet.

Big Brother needs an Update

Sehr interessanter Artikel in Technology Review: „Mein Job beim Big Brother“. – „Die Überwachung der Internet-Kommunikation ist ein florierendes Geschäft, vor allem in autoritären Staaten. Wer entwickelt und implementiert solche Systeme, und wie funktionieren sie?“

Haarsträubende Zensur?

Avatar Gor

Oh, ihr Heuchler! Zeit Online schreibt: „Apple gibt sich prüde und schmeißt 5000 Programme aus seinem App-Store. Es soll wohl familienfreundliche Politik für das iPad sein, ist aber eher haarsträubende Zensur.“

Ach ja? Und Zeit Online und andere deutsche Mainstream-Medien drucken nackte Brüste ab? Nein, das traut ihr euch nicht, ausser den üblichen Verdächtigen. So what?

Heise: „Apple entfernt anstößige Anwendungen aus dem App Store“. Wenn ich das schon höre! „Anstößig“ – was soll den das heißen? Wer stößt an was an oder sich an wem? Haben die schmallippigen Jugendschutzwarte wieder aufgemuckt? Oder ist das nur die 366ste Auflage der protestantischen Bigotterie und Prüderie? Oder wagten es die Kinderschänder-Organisationen, sich für moralische Fragen zuständig zu erklären?

Ich erinnere an die Zensur bei Flickr.com vor drei Jahren aus identischen Gründen – habt ihr damals protestiert und das auch eine „haarsträubende Zensur“ genannt? Nein, habt ihr nicht. No tienen cojones…

Die hübsche Dame 2.0 ist übrigens sowohl in Second Life als auch in Gor.

Roland Koch merkbefreit

Comedy pur: Christian Hufgard, Pressesprecher der Piratenpartei, berichtet über ein Treffen der Piratenpartei mit dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch: „Und wer unbedingt Inhalte konsumieren wolle, die mit einem sendezeitgeregelten Internet erst ab 24 Uhr verfügbar wären, der solle sie halt runterladen und Nachmittags konsumieren oder in der Videothek ausleihen.“

CDU: „Metz sprach von einem sehr konstruktiven Gespräch; er habe das Gefühl gehabt, dass die Vertreter der Piratenpartei die Staatskanzlei nicht ohne eine gewisse Nachdenklichkeit verlassen hätten.“

Piratenpartei: „Im Gespräch wurde schnell deutlich, dass es nur schwer überwindbare Differenzen gibt.“

Hier gibt es eine Analyse des Vorher-Nachher beim so genannten Jugendmedienstaatsvertrag.

Cryptome.org und das wahre Reich des Bösen

handbook microsoft

Was keinem Geheimdienst dieser Welt gelang, schaffte jetzt Bill Gates: „Der US-Softwarekonzern Microsoft hat mit einer sogenannten DMCA Notice dafür gesorgt, dass die Website gegen Zensur Cryptome.org vom Netz genommen wurde.“ (Heise, Wired). „Cryptome stand seit 1996 für uneingeschränkte Meinungs- und Informationsfreiheit ein.“

„Wired hat das 22-seitige PDF-Dokument vom März 2008, dessen Veröffentlichung Microsoft verhindern wollte, online gestellt. Es gibt Strafverfolgern Handreichungen, welche Informationen sie über Nutzer von Microsoft-Produkten für Ermittlungszwecke gewinnen können, also beispielsweise Verbindungsdaten bei Xbox Live, Microsofts E-Mail- und Messaging-Diensten sowie Hintergründe über den Authentifizierungsdienst Windows Live ID.“

Die gute Nachricht steht auf cryptomeorg.siteprotect.net: „This is temporary Cryptome address until the Cryptome.org domain is transferred. Network Solutions shut Cryptome.org and has placed a „legal lock“ on the domain name, preventing its transfer, until the „dispute“ is settled. Some recent files are available now and the full collection is being transferred.“ (Warum wird das bei Heise nicht erwähnt?)

CDU/CSU will an Zensur festhalten

Pressemitteilung der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag („Dem deutschen Volke“): „Die Absicht der Oppositionsfraktionen, das Zugangserschwerungsgesetz ersatzlos aufzuheben, ist unverantwortlich, da damit der Schutz der Kinder vor Missbrauch dem freien Zugangsrecht weiterhin untergeordnet wäre.“ (via netzpolitik.prg hier und hier)

War ja klar. Der Popanz „Kipo im Internet“ muss wieder dafür herhalten. Obwohl keine anonymen Websites existieren (auch keine anonymen IP-Adressen), man also jederzeit die zumindest technisch verantwortlichen Provider herausbekäme, falls es Kipo im Word Wide Web (das ist kein Synonym für „Internet“!) gäbe, fabulieren die Zensur-Groupies munter drauf los, fernab jedweder Realität. Die Diskussion hat bekanntlich nichts mit Fakten zu tun, sondern ist reine Propaganda, gewürzt mit hysterischer Moraltheologie, von den Mainstream-Medien gewohnt unkritisch begleitet.

Noch einmal ganz langsam zum Mitschreiben: Es geht mitnichten im Kinderpornografie oder gar um den „Schutz“ der Kinder, sondern es ging immer und geht auch heute noch um Zensur von Inhalten, die den jeweils Herrschenden weltweit nicht passen, unter dem Vorwand des „(Jugend)Schutzes“.

Die Zensur wird nur jeweils und tendenziell unterschiedlich begründet: in China ist es u.a. „Pornografie“, in Deutschland, wo man ein wenig liberaler ist, muss es natürlich „Kinderpornografie“ sein, in Nordkorea und Saudi-Arabien zensiert man ganz offen politische Inhalte, aber natürlich auch nackte Brüste undsoweiter.

Vadre retro oder: Blog-Experten

Dieckmann

Raus aus meiner Blogroll…

IP-Adressen

Thomas Stadler: „In der aktuellen Ausgabe der c’t (5/2010, S. 50) stellt Holger Bleich die Beweisführung der Rechteinhaber bei der Ermittlung der Rechtsverletzer in Fällen des Filesharing in Frage.“ (Via law blog)

Interessant auch in der c’t: „Warum Webmaster lieber auf das Speichern von Besucher-IP-Adressen verzichten sollten“.

Ich finde die Getue um die IP-Adresse sowieso merkwürdig. Standard und per default sollten die Nutzer der Dienste des Internet wie World Wide Web (ja, WWW und Internet sind kein Symnonym!) anonym sein, ausser bei E-Mail natürlich. Es ist wie beim Spazierengehen: Per default wird man auf dem gewöhnlichen deutschen Bürgersteig (noch) nicht geloggt und gefilmt. Es ist aber umgekehrt, weil die Leute anders erzogen wurde: Sie denken, es sei normal, nackt herumzulaufen. Nur wer einen Vertrag abschließt oder ein Geschäft tätigt, für das der Kunde (nur der!) nicht anonym bleiben kann, sollte die IP-Adresse eine Rolle spielen und protokolliert werden dürfen/können/sollen.

Noch alle Tassen im Schrank

Mir wird immer fast übel, wenn ich Meldungen lese, in denen Politier Unsinn reden oder lügen oder beides, wenn es um Volksverdummung geht. Das ist bekanntlich bei allem, was die Zeichenkette „Kinderpornografie“ enthält, die Regel. „Die Bundesregierung hat Vorwürfe der Opposition zurückgewiesen, wonach es bei der Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet nun ein ‚rechtliches Wirrwarr‘ gebe.“ Muss man da noch weiterlesen? Natürlich nicht. Ich frage mich aber ernsthaft, ob auch nur einer dieser Damen und Herren wirklich daran glaubt, was er oder sie sagen. Vermutlich sind diese primitiv-populistischen Internet- Ausdrucker einfach nur ahnungslos; das ist auch ihre einzige Entschuldigung.

Wenn es nicht so viel Mühe wäre, würde ich gern die Lüge widerlegen, dass niemand das Zensurgesetz („das umstrittene Gesetz zur Sperrung einschlägiger Internetseiten“) gewollt habe. Die Parteien im Bundestag haben doch mehrheitlich zugestimmt, sonst gäbe es das Gesetz nicht. Was hat sich geändert? Nichts. Nur hat des Volks Wille leider die FDP an die Regierung gespült.

„Professor Wieland von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer sieht die Regierung in der Pflicht, sich an den Gesetzestext zu halten. ‚Das Gesetz tritt in Kraft, da kann die Bundesregierung jetzt nicht einfach sagen: Wir setzen das nicht um. Sondern sie kann nur ein neues Gesetz schaffen.'“ Ich hoffe, es klagt jemand, wenn die Bundesregierung die geltende Rechtslage nicht beachtet.

Nur um es wiederholt auszusprechen: Die Piratenpartei ist die einzige Partei, bei der man das Gefühl hat, dass die Mitglieder bei diesem Thema noch alle Tassen im Schrank haben. „Eigentlich sollten wir dankbar sein, dass das Gesetz nun doch in Kraft tritt“, sagt Daniel Düngel aus Oberhausen, der bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl für die Piratenpartei antritt. „Einen besseren Auftakt für unseren Wahlkampf kann man sich kaum wünschen“.

„Allerdings gehen die Piraten nicht davon aus, dass die Regierungsparteien den Entwürfen zustimmen. Der Weg vor das Bundesverfassungsgericht ist deswegen wohl unausweichlich.“ Genau. Ich vergaß es: Auch das Bundesverfassungsgericht hat noch alle Tassen im Schrank. Das hat es mit der Piratenpartei gemeinsam.

Zensurgesetz ist in Kraft

Heise: „Bundespräsident unterzeichnet Websperren-Gesetz“. Was für ein verlogenes Pack. Natürlich am Aschermittwoch, damit es möglichst wenige Leute mitbekommen. Jetzt haben wir also ein Zensurgesetz, das technisch nicht umsetzbar ist und das die Regierung nach eigenen Angaben nicht umsetzen will – was juristisch sicher ein Leckerbissen ist. Das passt wiederum zu Karneval. (Foto der Spontandemo)

Sexy Javascript Kapitalismus

Javascript

Ich muss etwas über mein Medien-Rezeptionsverhalten bekennen: Ich habe mich bei meiner morgendlichen Lektüre der Nachrichten nur auf drei Themen beschränkt, mehr haben mich nicht interessiert. Aber ich bin für nichts und keine Zielgruppe repräsentativ, ein Alptraum für Leute, die Umfragen machen. Das wurde mir mehrfach bestätigt. Also gehen die Medien und die Welt nicht unter.

Ob ihr’s glaubt oder nicht: Zuerst habe ich etwas über Javascript gelesen (via Fefe. Ich hatte hier und hier und hier schon etwas zum Thema publiziert.

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat genug zu den Risiken von Javascript veröffentlich. Es nützt aber nichts; die normalen Surfer sind einfach zu blöd dazu, das zu beherzigen. Zweit Drittel aller Medienberichte über die „Gefahren“ des Internet könnten schlicht entfallen, weil sie in Wahrheit nur davon handeln, dass DAUs Javascript im Browser aktiviert oder gar HTML-Mails akzeptiert haben. Die so genannten sozialen Netzwerke, deren Geschäftsmodell darin besteht, Nutzer auszuspionieren und die Daten dann zu verkaufen, tun ihr Übriges, um die Leute zur Blödheit zu erziehen: „Please activate JavaScript to use XING.“ Quod erat demonstrandum.

Das obige Beispiel (Screenshot) ist jedoch geradezu umwerfend: Die Website einer Kanzlei weist auf einen Artikel hin, der vor dem Einsatz von Javascript warnt. Um den lesen zu können, muss man Javascript einschalten. Bruhahaha.

Megan Fox

Das zweite Thema, das mich interessierte, war – was nicht überraschen wird – Megan Fox. „Ich habe etwas Mütterliches an mir. Auch wenn mir das niemand abnimmt“, sagte die Schauspielerin nun dem Magazin ‚W‘.“ Natürlich ist man bei Spiegel Offline zu dumm, die Website des zitierten Magazins zu finden. Dafür gibt es ja Blogger und Online-Journalisten, die das können.

Die Story ist übrigens ausgezeichnet, das Niveau um Längen besser als das, was man in deutschen Medien über the sexiest woman of the world normalerweise zu lesen bekommt: Hier ein Auszug: „Throughout our conversation Fox is talkative, but she has trouble looking me in the eye. Perhaps her hesitation stems from her discomfort with holding forth on an industry that intimidates her, or perhaps it is part of a concerted effort to “pull back” (as she told an interviewer she planned to do late last year) from the no-holds-barred persona that she has – by all appearances intentionally – projected since her big break in 2007’s Transformers. She looks down; she stares at the table; she glances past my shoulder, toward a table piled with jewelry. She wraps a piece of her long dark hair around a finger. There’s nothing spacey about Fox, but the steely, blue-eyed gaze of a woman armed with a thousand sound bites is nowhere to be found.“

Und hier ist das Original-Zitat, um das es ging, und es ist ernst gemeint: „No one believes me when I talk about this, but I’m really, really maternal,” she says. “I worry that because I’ve always wanted [kids] so much, as the world goes sometimes, I won’t be able to have them, even though I would be able to provide them with such an amazing environment.”

Das dritte Thema heute war der Kapitalismus an sich. Die Zahl der Armen steigt rasant: „Jeder siebte Mensch in Deutschland lebte 2008 an der Grenze zur Armut oder war arm.“ Wer hätte das gedacht?! Dabei lieben wir doch alle dieses Wirtschaftssystem, das uns alle glücklich macht und Wohlstand für alle verspricht und zu dem es keine Alternative gibt, nicht wahr? Wer diese Fakten „alarmierend“ nennt, bedient sich des suggestiven Neusprechs. Es interessiert niemanden, wie viele Leute arm sind oder zur industriellen Reservearmee gehören.

„Das Kapital schafft daher sowohl eine industrielle Reservearmee für seine ständig wechselnde Arbeitsnachfrage, andererseits ist die Existenz dieser Reservearmee absolute Bedingung für die reibungslose Akkumulation des Kapitals. (…) Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation.“ Nun, das stimmt immer noch, obwohl das vor rund 150 Jahren geschrieben wurde. Dass die Armen ärmer und die Reichen reicher werden im Kapitalismus – it’s not a bug, it’s a feature.

Was macht eigentlich das refused Classification-rated Material?

attentäter

Was machen eigentlich die Verehrer höhere Wesen? Stellen sie Stoppschilder vor den Türen der Katholischen Kirche auf, weil diese jugendgefährdend ist? Nein, sie beharren frech und dreist und nennen sich auch noch „Journalist“. Ein netter Leserbief im Print-Spiegel ließ mich schmunzeln: Die Priester und die katholische Kirche würden „ganz offensichtlich gar nicht an den Gott glauben, den sie ihrer Klientel verkaufen möchten. Sonst würden sie dessen Eingreifen fürchten.“

Was liest man aber zwei Seiten vorher? Matthias Matussek, Spiegel-Autor und „Onlinejournalist des Jahres“ 2008, ist praktizierender Katholik und beichtet „seine Sünden bis heute regelmäßig.“ Das erinnert mich an Traktat: „Ohne Gott – eine Frage der Berufsehre“. „Dürfen Journalisten höhere Wesen verehren oder gar Mitglied einer Religionsgemeinschaft sein? Nein, natürlich nicht. Respektlosigkeit und Mut zur Aufklärung gelten als journalistische Tugenden. In Deutschland herrscht jedoch finsteres Mittelalter, wenn Religion zum Thema wird.“ Quod erat demonstrandum.

Mein Leib- und Magenphilosoph Lichtenberg sagte vor mehr als 200 Jahren dazu: „Unsere Welt wird noch so fein werden, dass es so lächerlich sein wird, an einen Gott zu glauben, als heutzutage Gespenster.“ Vermutlich müssen wir noch 100 Jahre warten, bis die Propaganda-Broschüren der Kirchen als „Refused Classification-rated Material“ aus den Schulen verbannt werden.

Was machen eigentlich die Kriegstreiber? Sie formulierten affirmative Bildunterschriften: „Die Amerikaner haben den Schutz der Zivilbevölkerung zu ihrer obersten Priorität erklärt.“ Ach ja? Wer hätte das gedacht.

Dann gibt es noch die, die einen Hamas-Anführer getötet haben. Wie? Der Mossad soll beteiligt sein? Wirklich? So etwas Schlimmes würde ich denen nicht zutrauen. Spiegel Offline schreibt linkfrei: „Die Namen, Fotos und Passnummern der angeblich Beteiligten finden sich an diesem Dienstag auf allen Titelseiten der Zeitungen im Emirat“. Und warum dürfen wir die nicht sehen? Hier sind sie: 7Days oder auch Al Arabiya oder auch Khaleej Times. Gut, man kann von Spiegel-Offline-Redakteuren nun wirklich nicht verlangen, nach arabischen Zeitungen im Internet zu suchen.

Was macht eigentlich die Internet-Zensur? Gestern rief mich ein Ermittler an, es ging wieder um den Missbrauch eines Tor-Servers der German Privacy Foundation. Warum eigentlich können deutsche Kriminalbeamte nicht auf unseren Leitfaden für Ermittler zugreifen? Weil sie alle mit Filtern arbeiten, die das verbieten. (Ja, im Ernst!)

Es ergab sich ein kurzes Gespräch, in dem der gute Mann sich über Anonymisierungsdienste an sich beklagte. Ich sagte, man müsse die Zensur in aller Welt unterlaufen. Er antwortete, in Deutschland gebe es keine Intenet-Zensur. Mit manchen Leuten kann man über die Realität ebensowenig diskutieren wie mit Matussek über höhere Wesen.

Project Freeweb protestiert gegen die Internet-Zensur in Australien. „Anonymous sieht die Pläne des Ministers für Breitband, Kommunikation und Digitale Ökonomie, Stephen Conroy, als einen eindeutigen Fall von Zensur unter dem Deckmantel des Jugendschutzes an“, berichtet Heise. Ist ja wie in Deutschland. Nur haben wir noch keinen „Minister für Breitband“. Für dieses Amt würde ich mich sofort bewerben.

Franzosen und Australier zensieren

Die Franzosen führen die Zensur ein, habens ich daher aus der Liste der zivilisierten Länder verabschiedet. Au revoir.

Die Australier sind aber noch schlimmer. Bei Fefe und in australischen Medien kann man etwas über den australischen Kommunikationsminister (!) nachlesen: „Communications Minister Stephen Conroy referred to Google’s censorship on behalf of the Chinese and Thai governments in making his case for the company to impose censorship locally.“ Von China lernen heisst Zensur lernen.

Gerade lese ich auf der Tor-Mailingliste: „TOR is now blocked campus-wide at Auburn University (for all 24,000 students) because of apparent attacks emanating from the TOR network. Whenever trying to run TOR, TOR cannot get past the 10% mark. Would it have been wiser for Auburn University to block incoming connections from TOR nodes, but allow TOR outgoing connections?“

Wir sind alle kriminell und Terroristen

Spiegel Offline schreibt: „Die vom Bundesinnenministerium im vergangenen Jahr in Köln für zehn Millionen Euro eingerichtete „Zentralstelle für Kommunikationstechnlogien“ dient vor allem dem Kampf gegen Kriminelle und Terroristen, die sich neuer Kommunikationstechnologien bedienen, indem sie zum Beispiel ausländische Telefon- und Internetanbieter benutzen, ihre IP-Adressen durch Anonymisierung unkenntlich machen und den Internetverkehr verschlüsseln.

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: „die sich neuer Kommunikationstechnologien bedienen, indem“. Was ist daran neu? Anonyme Remailer gab es schon immer, und auch Tor wurde nicht erst gestern erfunden. Man vergisst auch zu erwähnen, dass es völlig legal ist, sich anonym im Internet zu bewegen und dass Anonymisierungsdienste wichtige Instrumente gegen Zensur sind. Man macht sich bei Spiegel Offline nicht nur zum Sprachrohr der Überwachungs-Lobbyisten, sondern dokumentiert auch, dass man von Tuten und Blasen schlicht keine Ahnung hat. Journalismus ist das nicht.

By the way: Die sind richtig süß bei Spiegel Offline. Das Wort „Bundesinnenministerium“ verlinkt auf die entsprechende Rubrik bei sich selbst, aber nicht auf díe Website des Ministeriums. Vermutlich könnte mir niemand erklären, warum die Leser von Spiegel Offline davon abgehalten werden sollen, die Website des Bundesinnenministerims zu besuchen. Ein Link zur „Zentralstelle“ fehlt natürlich.

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