Grundrechte ja – aber nicht während der Dienstzeit

In Baden-Württemberg werden jetzt die Lehrer verfolgt, die ihr Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit wahrgenommen haben. (via Fefe). Das Original-Schreiben spricht davon, dass es die „Lehrerschaft in Misskredit“ bringen könnte, wenn jemand Zivilcourage beweist. Das wundert mich nicht. „Dienstpflichtverletzung“ kommt gleich nach „Telekommunikationsüberwachungsverordnung“, „Durchführungsbestimmung“ sowie „Nichtanwendungserlass für das Zugangserschwerungsgesetz“.

Strafverfolgungsfreier Raum

Neue Sprachregelung der Zensur-Lobby: „Das Internet wird zunehmend zum strafverfolgungsfreien Raum“ (sagt natürlich Bosbach, das merkbefreite Sprachrohr der Überwachungsstatt-Fanatiker, laut Heise.) Ich aber sage euch: die Vorratsdatenspeicherung wird erneut kommen, keine Frage.

Sicherungsverwahrung

Sicherungsverwahrung – das ist ein schönes Wort, dass den Urgrund der deutschen Seele widerspiegelt. Es kling ähnlich wie Kinderkarten, Blitzkrieg, Berufsverbot, Telekommunikationsüberwachungsverordnung und Durchführungsbestimmung, Begriffe, mit denen ich Ausländern immer erklärt habe und erkläre, was deutsch ist und meint. Wenn sie dann noch „Streichholzschächtelchen“ fehlerfrei aussprechen können, sind sie reif für die deutsche Staatsbürgerschaft und die Beamtenlaufbahn.

Auf Wikipedia lesen wir: „Die Sicherungsverwahrung (fälschlich Sicherheitsverwahrung genannt) ist im deutschen Strafrecht eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung. Sie soll dazu dienen, die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen.“

Schutz, Schutzzoll, Schutztruppe, Schutzgebühr, Jugendschutz – auch bei der Zeichenkette „schutz“ sollte man aufhorchen. Es ist im Deutschen meistens etwas anderes drin als draufsteht – meistens ist es Neusprech und meint just das Gegenteil des Suggerierten. Wenn man jemanden umbringt, es das im Behördendeutsch eine lebensentziehende Maßnahme, und wenn ich jemanden zusammenschlüge, dann würde ihm das vermutlich zeitweilig die Gesundheit entziehen.

Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Die so genannte Sicherheitsverwahrung führt durch die Hintertür die lebenslange Freiheitsstrafe ein, auch wenn die gar nicht ausgesprochen wurde. Grund genug, dass bei dem Thema reaktionäre Faselheinis jedweder politischer Couleur populistisch herumgeifern. Allen voran Beate Merk (CSU, Bayern, Justiz(!)ministerin): „Wir müssen gemeinsam alles in unserer Macht stehende tun, um die Freilassung hochgefährlicher Triebtäter zu verhindern.“ Die Hausbesetzer der frühen achtziger Jahre (ich war dabei) hätten diese juristische These knapper formuliert: legal, illegal, scheißegal. Oder wie der Volksmund: Rübe ab.

„Wie oben erwähnt setzten erst die Nationalsozialisten mit dem Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933 (RGBl. I 995) einen Vorschlag zur Sicherungsverwahrung in die Tat um. Unklar ist, ob sie dieses eigenständig ausarbeiteten oder ob sie es adaptierten.“ Die CSU möchte Sondergerichte, um eine Sonderbehandlung bestimmter Straftäter durchzusetzen. Ich frage mich, wie dünn der Firnis der Zivilisation in Deutschland ist: Man muss nur ein wenig kratzen, und schon erscheint das Kackbraune wieder; in Bayern reicht offenbar ein leichte Pusten.

Nur gut, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EUGH) entschieden hat, dass das deutsche Gesetz Unrecht ist.

In einer Vorabmelduing zum neuen Spiegel heisst es nun: „Der Essener Psychiater Norbert Leygraf (Spiegel Offline geruhte nicht, diesen Link zu setzen) hält den von der Bundesregierung präsentierten Kompromiss zur Sicherungsverwahrung für ’schrecklich unausgegoren‘. (…) Entweder die Regelung sei ’so restriktiv, dass sie praktisch nicht angewandt werden kann“; oder sie werde sehr weit gefasst, ‚dann besteht die große Gefahr, dass sie vom Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte wieder kassiert wird‘.“

Es wäre ja noch schöner, wenn deutsche Politiker die Rechtsprechung des EuGH einfach anerkennen würden, wenn die ihnen nicht in den innenpolitischen Kram passt. Ehrlich gesagt – ich verstehe das Problem gar nicht. Wenn man jemanden lebenslang einsperrt auf Grund der Gesetze, die das möglich machen, dann soll man das tun, wenn es Gründe dafür geben sollte. Wenn nicht, dann sollte man auch nicht jammern, wenn jemand irgendwann wieder freikommt. Schafft die „Sicherheitsverwahrung“ ab!

Illiquide Piratenschwarmintelligenz-Software

piraten

Nun, ich kann es nicht lassen, darauf hinzuweisen: Ich war einer der wenigen, der auf dem Berliner Parteitag der Piraten gegen die sofortige Einführung von Liquid Democracy gestimmt hat. Mir erschien das System nicht ausgereift genug. Aber was will man machen gegen eine Masse von selbstbesoffenen Parteimitgliedern, die sich mehr von der Gruppendynamik leiten lassen als von rationalen Argumenten? Die Macher waren auch anwesend („Mit Hilfe der von Piraten entwickelten Software“) und wären in Tränen ausgebrochen, wenn man ihnen ihr Spielzeug einstweilig weggenommen hätte. Das hätte niemand ertragen.

Jetzt hat sich die Bundes-Piratenpartei vorerst gegen Liquid Democracy ausgesprochen – und das natürlich in ein für verpackt: „Piratenpartei entscheidet sich für mehr Datenschutz“. Man nennt das Tool übrigens im üblichen Furzdeutsch „Entscheidungsfindungs-Software“ (mindestens zwei ungs müssen in einem Wort sein, bevor es auf in Deutschland den öffentlichen Dienstweg geschickt werden kann).

Heise fasst die Diskussion zusammen. Benjamin Stöcker schreibt über seinen Rücktritt aus dem Bundesvorstand: „Des weiteren verstörte mich das Vorgehen des Liquid Feedback Teams. Dieses Team hat den Bundesvorstand mehrfach als Abnickhanseln ihrer Wünsche behandelt.“ So war es in Berlin auch. Man wollte unbedingt eine Pressemitteilung haben, die herausbrüllte, dass die Piraten jetzt eine selbst entwickelte (hurra!) Software (hurra!) hätten, die Demokratie erst möglich mache.

„Dem Beschluss gingen kontroverse innerparteiliche Diskussionen zu Nutzungsbedingungen und Datenschutzrichtlinien voraus. Der aktuelle Entwurf der Nutzungsbedingungen sah nach Ansicht der Mehrheit der Vorstandsmitglieder keinen ausreichenden Schutz der Nutzerdaten vor.“ Quod erat demonstrandum.

Eines jedoch kritisiere ich am Rücktritt Stöckers. Ein Nutzer kommentiert auf seiner Website: „Ben hat seine Beweggründe erklärt, er sah keine Möglichkeit mehr im Bundesvorstand etwas zu bewegen, außer es in eine Schlammschlacht ausarten zu lassen“. Die Schlammschlacht, lieber Ben, ist die gewöhnliche Bewegungsform in Vereinen und Parteien. Man kann nicht vornehm-anständig jammern und beteuern, da mache man nicht mit, sondern man muss zurückkeilen. Auf einen großen Schlammeimer muss ein noch größerer. Immer fest druff. Der Volksmund spricht mit mindestens 1000-jähriger Erfahrung von einem groben Klotz, auf den ein ebensolcher Keil gehöre.

Fefe hat mich im November 2009 über Wikipedia zitiert, das stimmt auch aktuell für die Piraten, jedenfalls für Vorstände: „Im Übrigen erklärt er Gruppendynamik wie folgt: der Dumme hat weniger Feinde als der Schlaue, daher setzt er sich bei einer Schwarmintelligenz durch, und am Ende bleiben nur die Doofen übrig :-)“. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Wulff for President

yes we can

Die Hamburger Piratenpartei hat einen offenen Brief an Gauck publiziert. Der Brief bezieht sich auf ein Interview Gaucks mit dem Hamburger Abendblatt, in dem sich der Ost-Pfaffe und Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten offen für eine Zensur des Internet ausspricht.

„‚Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein‘, sagte Gauck dem Abendblatt. ‚In unserem Land mit unserer Geschichte darf all das, was in gedruckter Form verboten ist, im Netz nicht ohne Weiteres erlaubt sein.'“

„Das Internet“ war noch nie ein rechtsfreier Raum. Wer derartige sinnfreie und hohle Phrasen von sich gibt, disqualifiziert sich für eine rationale Diskussion. Die Hamburger Piraten dazu: „Die Piraten betrachten das Internet ausdrücklich nicht als rechtsfreien Raum. Als Bürgerrechtspartei treten wir gerade im Internet für klare gesetzliche Regelungen ein, selbst wenn von Vertretern der etablierten Parteien oftmals fälschlich das Gegenteil behauptet wird.“ (Was war noch mal der Unterschied zwischen „falsch“ und „fälschlich“? Jenes ist Deutsch und dieses ist Bläh- oder Furzdeutsch.)

Ich bin ja Realist und Zyniker. Ich wünsche mir Wulff. Wie ich schon zitierte: Es macht keinen Unterschied, ob nun Christian Wulff Bundespräsident wird oder ein lesbisches Eichhörnchen. Die Wählerinnen und Wähler draußen im Lande sollen kapieren, dass es bei dieser „Wahl“ nicht um Inhalte oder die Ideen von Personen geht, sondern um bloßen Parteienproporz und um Machtpolitik. Wenn Gauck gewählt würde, würden wieder Illusionen über den Charakter dieses Systems aufkommen. Man sollte den Leute aber ihre Illusionen und andere Versionen des Aberglaubens rauben.

Sehr hübsch ist die Galerie der Arschgesichter (ausser Nina: „Wählt: Schauspielerin Nina Hoss“ ist kein Deutsch, Basler Zeitung, aber ihr seid ja auch Schweizer), die den Bundespräsidenten wählen werden, bei der FAZ: „Diese Promis wählen den Bundespräsidenten“. (FAZ: Seit wann ist „Promis“ ein deutsches Wort? Hat das der Sprachwart eures Feuilletons gegengelesen? Oder biedert ihr euch an den vermeintlichen Jargon der Generation unter 35 an?) Wen haben wir denn da: Friede Springer, Hubert Burda, Edmund Stoiber, Fürstin Gloria von Thurn und Taxis – nun, deren politischer Sachverstand ist ja unbestritten. Ich vermisse aber Josef Ackermann, Thomas Middelhoff und Johannes Heesters als Wahlmänner.

Ich bin übrigens auch gegen Gauck, weil der für den Krieg in Afghanistan ist. Wulff natürlich auch, der ist ja ohnehin erzreaktionärer christlicher Kreuzzügler, lässt seine Familie gern auf Staatskosten fliegen und ist für Atom-Energie. Nur so für die Entscheidungshilfe zwischen Pest und Cholera.

Jugendgefährdende diffamierende Überwachung und das Nichtauffinden der Sendeanlage

404

Presseerklärung des Pirat_innenradios 95.2 UKW: „Polizeirazzia wegen des Pirat_innenradios zum Aktionstag ‚Mediaspree entern‘ am 5.Juni 2010 in dem Hausprojekt Bödikerstraße 9 endet mit ca. 25 Festnahmen, absurden Beschuldigungen und dem Nichtauffinden der Sendeanlage.“

Die Razzia endete damit, dass die Polizei die Sendeanlage nicht fand? Auch falsch, sondern die Polizei fand während der gesamten Razzia die Anlage nicht. Oder das Ergebnis der Razzia war: „404 Sendeanlage not found“ oder so ähnlich. Die Polizei nahm also 25 Personen fest und fand die Sendeanlage nicht.

Interessant dieser Abschnitt: „Trotz stundenlanger Suche der Polizei, bei der sie zwei Mitarbeiter der Bundesnetzagentur aus Mainz, die mit ihrem Peilwagen vor Ort waren, unterstützten, konnte aber keine Sendeanlage gefunden werden“.

Das erinnert mich an die gute alte Zeit, als es noch das Verb „wardialen“ gab. (Schöne Frage bei Jauch: Was bedeutet wardialen?) Damals, als es noch Hausdurchsuchungen wegen des Besitzes „illegaler Modems“ gab. „Seit langem warten Mailhoxbetreiber und Computeranwender auf die Freigabe preiswerter privater Modems. Die Post, die nach einem EG-Urteil zur Zulassung privater Modems verpflichtet ist, sperrt sich immer noch unter Berufung auf noch nicht vorhandene und abestimmte Zulassungsbedingungen. Die von der Post angebotenen Modems dürfen vielfach nicht an den preiswerten Heimcomputern betrieben werden und sind von den hohen Gebühren her für viele Anwender nicht finanzierbar.“ In welchem Jahrtausend war das noch mal gleich?

Nur mal ganz langsam zum Mitschreiben, liebe Nichtauffinder: Informationen lassen sich nicht mehr unterdrücken, nicht mehr im Zeitalter des Internet – auch wenn es falsche oder ekelhafte Informationen sind. Nehme euch ein Beispiel an Spanien: „Nach der jahrelangen Praxis der Nicht-Kontrolle und Duldung, einen Weg zu einem geordneten System mit Kontrolle von bspw. jugendgefährdenden oder diffamierenden Inhalten und einer technischen Überwachung zu finden ist eine denkbar schwierige Aufgabe.“

Da haben wir doch gleich alles, worum es eigentlich geht: „Jugendgefährend“ (das ist immer nur ein vorgeschobener Grund, weil niemand weiß, was die Jugend „gefährdet“ und warum und wie), „diffamierend“ (was diffamiert, bestimmt der, der die Macht hat) und „Überwachung“.

Der Mauerbau von Düsseldorf

Einen sehr interessanten Erfahrungsbericht über die Gespräche zwischen SPDGRÜNEN und der Linken in NRW hat Rüdiger Sagel (Mitglied der „Sondierungskommission“) veröffentlicht: „Vorausschicken möchte ich, dass es sich um eines der skurrilsten politischen Erlebnisse, während meiner mehr als 30-jährigen politischen Tätigkeit handelt. Allein, dass man hier im Westen der Republik mehr als 20 Jahre nach dem Mauerfall, das ‚Verhältnis zur ehemaligen DDR‘ zum zentralen Thema einer möglichen Koalition in NRW macht, ist schon mehr als beachtlich.“ (Kommasetzung im Original) Wirklich lesenswert, wenn man von der Rechtschreibung absieht. Mehr braucht man von der gegenwärtigen politischen Situation in NRW nicht zu wissen.

Schreiben: Focus weiterhin fleißig am Schreiben

Beim heute gewohnt linkfreien Focus Offline heisst es in der Überschrift: „Spenden: Deutsche weiterhin fleißig am Spenden“. Sollte Focus das Deutsche um ein Gerundium der Kontinuität erweitert haben, um sich der lateinischen Wurzeln einiger „Fremdworte“ zu vergewissern? Ist Focus also am Tun, just continuing bullshitting also? Ich bleibe weiterhin am Kritisieren und Nörgeln.

Demnächst Internetsperren über den Umweg Europa

Nein, die FDP ist nicht umgefallen. Das könnte sie nur tun, wenn sie jemals gestanden hätte. Golem.de meldet: „Mit Regierungsmehrheit hat der Rechtsausschuss des Bundestags verhindert, dass gegen den Plan für europaweite Internetsperren eine Rüge ausgesprochen wird. Der Antrag der Grünen wurde vertagt und kann damit nicht mehr rechtzeitig gestellt werden.“

Das kapiert so natürlich keiner. Verhindert, dass gegen etwas gerügt wird? Dreifach verneinen tut man nicht in einem deutschen Satz, weil das Publikum sich entweder mit Grausen abwendet oder gar das Gegenteil versteht, was ein höheres Wesen verhindern möge.

Die EU will Internet-Sperren. Die EU? Die EU-Kommissiarin Cecilia Malmström hatte der FAZ auf dem Niveau der Emma gesagt, sie wolle „Internet-Sperren“. Wie das zu bewerkstelligen sei, weiß sie selbstredend nicht, weil es sich hier um populistische Moraltheologie handelt. Der EU-Ministerrat teilt ihre Meinung und will dem Europaparlament einen „Entwurf für Schlussfolgerungen des EU-Ministerrats für einen Aktionsplan für eine gemeinsame Strategie zur Bekämpfung der Computerkriminalität“ vorlegen. „In dem Arbeitsentwurf vom 8. März 2010 geht es um einen Aktionsplan, den die Strafverfolgungsbehörden der EU bis spätestens 2012 umgesetzt sehen wollen“, schreibt golem.de.

Die Grünen legten im Rechtssausschuss des Bundestags einen Antrag vor, der die EU-Kommission rügen sollte, weil diese ihre Kompetenz überschritten habe. Es hätte sich um eine so genannte Subsidiaritätsrüge gehandelt:

Die Europäische Union darf nicht wahllos Gesetze erlassen. Sie muss die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit beachten. Das Subsidiaritätsprinzip bedeutet, dass die EU nur dann handeln darf, „sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können“ – so steht es im Vertrag von Lissabon.

Audiatur et altera pars, golem.de: Der Antrag der Grünen war nicht der einzige zum Thema. Die Grünen wie auch andere Lichterkettenträger haben nicht den Mut, schlicht gegen Internet-Zensur zu sei. Sie trauen sich das nur, wenn sie gleichzeitig den Medien-Hype „Kinderpornografie im Internet“ im Munde führen, damit auch klar ist, dass sie die Guten sind. Deswegen heisst der Antrag (Drucksache 17/1584) der Grünen: „Sexuellen Missbrauch effektiv bekämpfen – Netzsperren in Europa verhindern.“

Was hat sexueller Missbrauch mit Internet-Zensur zu tun? Wird jeder durch diese verhindert? Mitnichten, aber die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser seien versichtert, dass wir es hier nicht mit einem rationalen Diskurs zu tun haben, sondern mit den Symbolen einen öffentlichen Exorzismus – soziologisch vergleichbar mit der McCarthy-Ära in den USA -, der auf protestantischer Prüderie fußt und den man im Ausland als „Germany’s Internet Angst“ bezeichnet.

Die Linke hatte im Rechtsausschuss auch einen Antrag gestellt: „Keine Internet-Sperren in die EU-Richtlinie aufnehmen.“ Klingt doch viel besser und ehrlicher. In diesen Ausschüssen geht es aber nicht im Inhalte, sondern darum, wer gewinnt, also seinen Antrag durchbekommt. Die Grünen hätten also eher öffentlich Harakiri begangen anstatt einem ähnlichen Antrag als dem ihren zugestimmt. Das tut man nicht. Deshalb hätte golem.de mehr als die „abhängige Quelle“ Jerzy Montag befragen sollen. Auch im Bundestag haben SPD und Linke jeweile einen fast gleichlautenden Antrag gestellt; sie werden aber nie kooperieren, auch wenn der naive Bürger irrig glaubt, das sei doch der Sache angemessen. Das ist Parteipolitik: Es geht zunächst darum, wer sein Förmchen im Sandkasten am weitesten wirft.

Jetzt wieder zu Sache: Der Antrag der Grünen im Rechtsausschuss wurde auf Antrag der FDP vertagt. Ich wette auch, dass sich die Regierungsparteien CDU und FDP vorher angesprochen haben, wer diesen Antrag stellen würde. Die FDP bekam, weil sie der Juniorpartner ist, die Arschkarte.

Ganz nebenbei: Was de rechtspolitische Sprecher der Grünen sagt, ist schlicht falsch. Die Bundesregierung könnte auch im nachhinein jederzeit vor dem Europäischen Gerichtshof eine Subsidiaritätsklage führen, um ein bereits von der EU erlassenes Gesetz anzugreifen. Aber mit derartigen Petitessen wollen uns deutsche Medien nicht behelligen. Jerzy Montag hat seine Public Relations für die Grünen bekommen, und nur ein paar Querulanten wie Burks recherchieren selbst nach, was es in Wahrheit damit auf sich hat.

Das Wahrheitsministerium informiert

Ich habe mir mal einen gewohnt linkfreien Artikel bei Spiegel Offline vorgenommen: „US-Spezialeinheiten töten Top-Taliban bei Kunduz“. Das Wahrheitsministerium Orwells hätte seine wahre Freude an der Sprache.

Bei einem von den USA angeführten Präzisionsluftschlag. Was ist der Unterschied zwischen einem Luftschlag (auch bekannt als Bombenangriff) und einem „Präzisionsluftschlag“? Beim ersteren werden die Bomben einfach so zielllos in Massen auf die Gegner oder was man dafür hält geworfen? Oder übernimmt der Autor des Artikel hier einfach unkritisch die Sprachregelung des Wahrheitsministerium, also der Kriegspropaganda der ISAF? (Ja, Spiegel Offline, wenn schon, dann könnt ihr die betreffende Presseerklärung auch verlinken. Oder überforderte das eure intellektuellen Fähigkeiten als so genanntes Online-Medium?)

Für die Bundeswehr, auch für die Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte KSK, gilt generell, dass Verdächtige festgenommen und nicht getötet werden sollen. Die US-Spezialeinheiten, die rund um Kunduz mit von ihnen trainierten Afghanen agieren, gehen robuster vor und haben in den letzten Monaten mindestens zwei Dutzend Taliban-Kommandeure rund um Kunduz eliminiert.

Wer hat das Wort „robust“ erfunden, um damit suggestiv zu verschleiern, dass es sich um gezieltes Töten auf Verdacht handelt? Im übrigen töten Soldaten im Krieg vermutlich so oft wie möglich gezielt. „Robust“ erinnert an die bekannte Sprachregelung aus dem deutschen Ministerium für Wahrheit, das „Krieg“ immer schon gern umschrieb als „robustes Mandat“. Licence to kill wäre ehrlicher.

Vor allem die berüchtigte „Task Force 373“, die seit dem Sommer in Masar-i-Scharif eingezogen ist, macht Jagd auf die Taliban. Im September 2009 hat Spiegel Offline schon einmal über diese Einheit berichtet (die verlinken noch nicht einmal auf sich selbst). „Die „US Special Forces“, für ihr ruppiges Vorgehen bekannt, haben Quartier im deutschen Afghanistan-Stützpunkt Masar-i-Scharif bezogen. (…) Immer wieder sterben Zivilisten, wenn die amerikanischen Spezialisten im Einsatz sind.“ Der Satz Deutsche Einheiten waren an der Aktion offenbar nicht beteiligt bekommt vor diesem Hintergrund eine ganz spezielle Bedeutung, als sei der Autor froh, dass andere die Drecksarbeit machen. Die Terroreinheit „Task Force 373“ wohnt zwar im deutschen Stützpunkt, aber wir sind „dem Vernehmen nach“ „nicht beteiligt“. Dem Vernehmen nach. Wieviel unabhängige Quellen waren das noch mal?

„…doch sollen pakistanische Militärs die Angriffe insgeheim unterstützen.“ Sollen? Ich rezipiere keine Medien, um mit Gerüchten abgespeist zu werden. Dann kann ich auch den nächstbesten Taxifahrer fragen.

So einen gequirlten Propaganda-Mist als Journalismus auszugeben, ist schon dreist.

Hysterie, Cyberporn, Deutsch des Grauens und die Psychologie der Massen

Ich hatte mich vor einiger Zeit hier schon zum Krankheitsbild Hysterie geäußert. Wer mir nicht glaubt, sollte schnell Elias Canettis „Masse und Macht“ lesen. Und am besten noch Max Weber: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“.

Haben wir das? Gut. Damit haben wir die Prohibition, den „Krieg gegen die Drogen“ und den öffentlichen antikommunistischen Exorzismus der McCarthy-Ära erklärt. Sehr kühn wäre jetzt die These, das Exorzismus heute „Massenhysterie“ heißt – und in ihrer allerschwächsten Form das Lichterketten-Tragen gegen das jeweils Böse.

Auf netzpolitik.org wurde ich auf das folgende Zitat aus Spiegel Offline hingewiesen: „‚Total überrascht‘ über die Diskussion um Sicherheitslücken und angeblich nicht mehr aufklärbare Straftaten ist der Chef des Max-Planck-Institus für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, Hans-Jörg Albrecht. Er hält sie für ‚leicht hysterisch, politischen Interessen geschuldet und überhaupt nicht nachvollziehbar‘. Die aktuelle ‚Panikstimmung‘ sei ‚durch keinerlei Hinweis aus Forschung und Praxis belegt‘, sagt er.“

Ja, natürlich hat er recht. Das gilt übrigens auch für die 15-jährige Diskussion über Kinderpornografie im Internet und die real gar nicht existierende Online-Durchsuchung. Übereinstimmungen des Diskurses mit der Realität sind nicht beabsichtigt – es geht jeweils um das moraltheologische Wünschen und Wollen, um pseudo-lehrreiche mediale Fabeln, das Gute zu tun und das Böse zu lassen, genauer: Um die armen Sünder so zu erschrecken, welche Strafen ihnen drohten, dass die hinfort nicht mehr den Pfad der Tugend verlassen.

Aber in einem Punkt irrt der Professor, aber vermutlich weiß er es als kluger Mann: Seine Argumente werden ungehört verhallen. Gegen medial unterstützten Massenwahn ist kein Kraut gewachsen. Spiegel Offline wird morgen schon wieder den üblichen Quark breittreten und unkorrigiert das Internet umweltverschmutzen.

By the way: Welch garstiger Satzbau! Das vermeintlich Wichtigste („total überrascht“) wird nach vorn gezerrt, obwohl sich sogar der leicht bestechliche gesunde Menschenverstand sträuben müsste. Wer redet so? Total genervt ist Burks von diesem Deutsch des Grauens. Wann zum Teufel kommt dann endlich das Subjekt? Der arme Professor wurde von einem Spiegel-Offline-Schreiber noch hinter seinem ellenlangen Titel versteckt – eine Schande. In lesbarem Deutsch hieße es:

„Professor Hans-Jörg Albrecht ist total überrascht: Die aktuelle Panikstimmung sei durch keinerlei Hinweis aus Forschung und Praxis belegt. Er hält die Diskussion um Sicherheitslücken und angeblich nicht mehr aufklärbare Straftaten für ‚leicht hysterisch, politischen Interessen geschuldet und überhaupt nicht nachvollziehbar“. Albrecht ist Chef des Max-Planck-Institus für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg.“

Wer tut was? Hans-Jörg Albrecht ist überrascht. Worüber? Über die Panik. Warum? Die ist unbegründet, weil bla bla. Was ist das für ein Kerl? Ein Professor mit einem Haufen Titeln, der offenbar Ahnung hat. Das nennt man Logik der Sprache oder einen ordentlichen Satzbau, den auch Hänsel und Gretel verstehen.

Oskar, der mitteilte, sich einzubringen gedachte, weil er, obzwar

Soeben trudelte eine digitale „Sofortinformation“ („nach der Sitzung des Landesvorstands vom 17.11.2009“) bei mir ein – ein Newsletter der Partei „Die Linke„. Die gute Nachricht: Sie ist im Textformat, also lesbar. Die schlechte Nachricht: Die schreiben wie Anno Dazumal und in grottenschlechtem Deutsch. Also formulieren wir das um.

Gen. Klaus Lederer informierte die Mitglieder des Landesvorstandes in seinen einleitenden Bemerkungen über die Presseinformation des Genossen Oskar Lafontaine, der heute mitteilte, sich aufgrund einer Krebserkrankung am Donnerstag einer Operation zu unterziehen und nach Rekonvaleszenz Anfang kommenden Jahres erklären wird, wie er sich weiter in die politische Arbeit einzubringen gedenkt.

Haaaaaaalt! Hatten wir hier schon mal: Neun Wörter sind Obergrenze in einem Satz, den man noch gut verstehen kann, 16 Wörter ist der Durchschnitt in deutschen Zeitungen, mehr als 20 Wörter erlaubt dpa zum Beispiel nicht. Hier sind es 49 (in Worten: neunundvierzig).

Wer hat das verzapft? Carsten Schatz, der Landesgeschäftsführer. Hat der Deutsch gelernt? Nein: „An der FernUni Hagen studiert er, neben seiner Tätigkeit als Landesgeschäftsführer, Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaften.“

Jetzt ganz langsam zum Mitschreiben: Klaus Lederer (er ist – Überraschung! – ein „Gen.“!) informierte die Mitglieder des Landesvorstands über etwas – die „Presseinformation des Genossen Oskar Lafontaine“. Wie darf ich das verstehen? Wussten die davon noch nicht? Geschenkt.

„In seinen einleitenden Bemerkungen“ ist überflüssiges Gefasel. Natürlich beginnt er mit dem Anfang. Die Sache ist außerdem zu wichtig: Das missverständliche Verb „bemerken“ passt hier nicht. Er bemerkte so ganz nebenbei, dass der Vorsitzende an Krebs erkrankt sei. Das hatten die anderen noch nicht bemerkt, sie bemerkten aber die Bemerkung und erwogen sie in ihrem Herzen.

Klaus Lederer, der Berliner Landesvorsitzende der Partei, informierte den Vorstand über die Pressemitteilung Oslar Lafontaines.

Jetzt darf das Subjekt des Satzes nicht wechseln, sonst verwirrt das den eiligen Leser! Der Hauptsatz: „A informiert B“ ist viel kürzer als der mehrfach verschachtelte Nebensatz. Das ist schlechter Stil und macht Mühe. Lafontaine tat mehrere Dinge: Er teilte mit, an Krebs erkrankt zu sein. Er müsse sich operieren lassen (warum das Bläh- und Furzdeutsch: „sich unterziehen“? „Ich unterzog mein Kraftfahrzeug einer Reparatur.“)

Nach seiner Genesung (versteht das Prolet- und Prekariat „Rekonvaleszenz„?) … was passiert da? „…nach Rekonvaleszenz Anfang kommenden Jahres erklären“ – ich verstehen nix dieses Grammatik. Findet die Genesung Anfang 2010 statt oder erklärt Oskar Anfang des Jahres etwas oder beides?

„Einzubringen gedenkt“ ist selbstredend wunderbares altertümelndes Deutsch. Man gedenke auch des Genitivs, den das Verb „gedenken“ fordert. Ich bringe es nicht über’s Herz, das zu kritisieren. Wir gedenken des siechen Parteivorsitzenden, der gerade am Tropf hängt. Gottseibeiuns und Amen.

Der Parteivorsitzende (jeder weiß, dass Lafontaine Parteivorsitzender ist und „Lafontaine“ muss dann nicht wiederholt werden) hatte mitgeteilt (ja, Plusquamperfekt, denn Lederer spricht schon im Imperfekt und das, was Lafontaine mitteilte, geschah noch früher), dass er an Krebs erkrankt sei und sich operieren lassen müsse. Anfang des neuen Jahres werde er wieder gesund sein und mitteilen, wie er dann politisch zu arbeiten gedenke. (statt „in die Arbeit einzubringen“. „Der Proletarier brachte sich in die Fließbandarbeit ein.“)

Jetzt wieder das Schatzsche Original: „Lafontaine tat das, nachdem eine beispiellose Medienkampagne geführt wurde, die allerlei Spekulationen über seine Entscheidung anstellte, nicht mehr als Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Bundestag zu kandidieren.

Nein, er hatte das getan (Plusquamperfekt!), nicht „er tat das“. Was eigentlich? Erkrankte er an Krebs nach der Medienkampagne oder teilte er etwas mit? Gut – das Erkranken ist nicht wirklich ein Tun, daher sollte ich nicht in den Erbsenzählmodus umschalten.

„Beispiellose Medienkampagne“ ist erstens falsch und zweitens eine abgedroschene Metapher und vergleichbar mit „schweren Verwüstungen“. Es gab schlimmere Kampagnen, und zudem sollte die Linke beweisen, dass es sich bei den Interna um eine „Kampagne“ handelt. So doof sind wir Journalisten nicht, dass wir den suggestiven Fußtritt in einem Newsletter nicht bemerkten.

Außerdem ist der Satz logisch unglücklich verschachtet: Erst kommt der Hauptsatz („er tat es“), dann ein Temporalsatz („nachdem“), innerhalb des Temporalsatzes ein Relativsatz („die allerlei“). Warum einfach, wenn es auch umständlich geht.

Also: Einige Medien hatten darüber spekuliert, warum Lafontaine nicht mehr als Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Bundestag kandidieren wollte. Deshalb informierte Lafontaine jetzt über seine Gründe. (Ja, jetzt wieder Imperfekt, obwohl es logisch immer noch Plusquamperfekt ist. Man muss hier einen Kompromiss schließen, auch wegen des besseren Klangs.)

Der Landesvorstand wünscht dem Gen. Lafontaine und seiner Familie viel Kraft und alles Gute für die kommenden Wochen.

Die Worte sie sollen lassen stahn und kein Danck dazu haben.

Klaus Lederer, der Berliner Landesvorsitzende der Partei, informierte den Vorstand über die Pressemitteilung Oskar Lafontaines. Der Parteivorsitzende hatte mitgeteilt, dass er an Krebs erkrankt sei und sich operieren lassen müsse. Anfang des neuen Jahres werde er wieder gesund sein und mitteilen, wie er dann politisch zu arbeiten gedenke. Einige Medien hatten darüber spekuliert, warum Lafontaine nicht mehr als Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Bundestag kandidieren wollte. Deshalb informierte der Parteivorsitzende jetzt über seine Gründe. Der Landesvorstand wünscht Oskar Lafontaine und seiner Familie viel Kraft und alles Gute für die kommenden Wochen.

94 Wörter und drei Sätze im Original, 90 Wörter, aber sechs Sätze in meiner Version.

Wieviele Piraten braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? [Update]

Wieviele Piraten braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln?
1. Einen Piraten, der im Wiki nachschlägt, wie man eine Glühbirne wechselt.
2. Einen Piraten, der auf der Aktive-Liste die Notwendigkeit zum Wechseln der Glühbirne diskutiert.
3. Eine Piratin aus dem Technikteam, die die Glühbirne schnell mal wechselt, ohne es weiter anzukündigen.
4. Ein Dutzend Piraten, die einen Misstrauensantrag einreichen, weil das Wechseln der Glühbirne nicht ausreichend transparent gestaltet wurde.
5. Eine „AG Glühbirnen“, die sich beschwert, nicht um Rat gefragt worden zu sein.
[Frei nach Piraten-Planet]

Kommentar: Die acht Kommata-Fehler und den Rechtschreibfehler im Original habe ich korrigiert. „Weiblicher Pirat“ habe ich in „Piratin“ geändert. Eine „Frau“ ist auch kein „weiblicher Mann“.

Asthma-Deutsch (Vorsicht: Oxymora!)

„Kinder fangen immer früher an. Mit den Drogen. Mit der Gewalt. Und mit den Handys“, schreibt Spiegel Offline.

Liebe Kinder, wir reden heute über das schöne Thema „Der Satzbau im Deutschen und wie ich in den Leser damit ärgere.“ Ärgern? Doch, hiermit: „Kinder sind süß, Kinder sind eine Bereicherung. Bis sie selbständig ein Mobiltelefon bedienen können.“

Vor langer, langer Zeit gab es einen Herrn Goethe. Der hat viele Bücher geschrieben, die man heute noch für gut hält. Er sagte zum Beispiel: „Wir erschrecken über unsere eigenen Sünden, wenn wir sie an anderen erblicken.“ Er schrieb nicht: „Wir erschrecken über unsere eigenen Sünden. Wenn wir sie an anderen erblicken.“ Warum wohl? Ganz einfach: Er litt nicht an Sprachasthma. Das ist eine Krankheit, die vor allem Journalisten befällt.

Sprachasthma bricht dann aus, wenn der Träger des Erregers keinen eigenen Stil hat, keine Ideen, keinen Esprit, keine Eleganz und keinen Witz, diesem Mangel aber abhelfen will. Der Schreiber hat vermutlich den Wikipedia-Eintrag über Expressionismus gelesen und möchte auch so sein: „Reihungsstil: (Auch parataktischer Stil oder Parataxe) Darunter versteht man die Aneinanderreihung kurzer Hauptsätze, die weder syntaktisch noch logisch miteinander verbunden sind. Das semantisch Disparate dient dazu, die Befindlichkeit des Sprechers auszudrücken, der die angetroffenen Teilaspekte der Wirklichkeit nicht mehr zu einem geordneten Ganzen verbinden kann, sondern dieser Wirklichkeit ratlos gegenübersteht.“

Ja, das sieht man. Aber ob das die richtige Haltung eines Journalisten der Realität gegenüber ist? Ihr ratlos gegenüber zu stehen? (Welcher Trottet hat diesen gespreizten Wikipedia-Artikel geschrieben? Ein Obergermanist?)

Erstens: Das Wort und verbindet etwas, es ist eine Konjunktion. Zweitens: Um Wörter und denen Sinn zu verbinden, hat der Homo sapiens den Satz erfunden: „Ein Satz ist eine aus einem Wort oder mehreren Wörtern bestehende in sich geschlossene sprachliche Einheit“.

„Und mit den Handys“ ist mitnichten eine „in sich geschlossene sprachliche Einheit“, sondern ein eitles Gefasel. (Ich benutze gerade das Stilmittel Oxymoron.)

Ich ahne, welches Problem der Spiegel-Offline-Autor Daniel Hass hatte. Er plante zu schreiben: „Kinder fangen immer früher mit den Drogen, mit der Gewalt und mit den Handys an.“ Das gefiel ihm nicht – zu Recht! Daran ist das Deutsche schuld und das, was Simultanübersetzer in den Wahnsinn treibt: Das Verb anfangen teilt sich wie ein Regenwurm, und die Teile leben munter weiter – fangen am Anfang des Satzes und an kommt am Schluss dahergetrottet, wenn man schon fast vergessen hat, was am Anfang stand. Im Englischen und Russischen ist das einfacher: They start with und dann kann der Autor munter aufzählen.

Ich verrate dem geschätzten Kollegen Hass etwas: Im Deutschen gibt es den Doppelpunkt. Damit bekommt man Sätze hin, die keinen Hustenreiz bei den Rezipienten auslösen. Versuchen wir es alle gemeinsam! „Kinder fangen immer früher an: mit den Drogen, mit der Gewalt – und mit den Handys“. Geht doch, oder? (Ich habe das mit bewusst klein geschrieben.)

Es heißt also: „Kinder sind süß, Kinder bereichern (Wörter mit -ung sind verboten!). Das wird anders, wenn sie selbständig ein Mobiltelefon bedienen können.” Alles klar?

Deutsch des Grauens

Was ist und zu welchem Ende betreiben wir Sprachkritik? Wer nicht klar spricht und schreibt, hat vorher wirr gedacht. Schreiben ist jedoch Handwerk: Man kann lernen, wie man sich ausdrücken muss, damit das Publikum versteht, was man meint. Manche Leute glauben jedoch, sich möglichst geschwurbelt geben zu müssen. Der Jargon einzelner Berufe, das Juristen- und Beamtendeutsch, das eitle und oft oft nur faule Gespreize und das vermeintlich Authentische – sie sind Feinde der Sprache und der klaren Gedanken. Meine Sprachpäpste sind Elias Canetti, Heinrich Heine und der Philosoph Georg Christoph Lichtenberg. Letzterer ist schlicht ein Sprachgenie. „Nichts kann mehr zu einer Seelenruhe beitragen, als wenn man gar keine Meinung hat.“ Zum Glück habe ich mindestens eine. Ich rege mich also immer auf.

„Er sagt es klar und angenehm, was erstens, zweitens, drittens käm“, beschrieb Wilhelm Busch einen guten Redner. Der jedoch hätte ein Problem gehabt, wäre sein Thema die Telekommunikationsüberwachungsverordnung gewesen: Das Wortungetüm, aus dem Urgrund der deutschen Beamtenseele hervorgekrochen, ist für die Sprache das, was Freddy Krüger für kleine Mädchen ist. „Abhörgesetz“ sollte es heißen! Wir sagen auch „Geisterfahrer“ und nicht „Gegenfahrbahnbenutzer“, obwohl nirgendwo Geister sind.

Ähnlich holpernd kommt die Überschrift „Nichtanwendungserlass für das Zugangserschwerungsgesetz“ einher. Thomas Stadler, ein Anwalt, hat das verbrochen, und ihm sei halb verziehen – Juristen können nicht schreiben. Ausnahmen bestätigen die Regel. Wer übersetzen das, was er uns mitteilen will, ins Deutsche – so wie es auf seinem Blog steht, versteht es niemand. Und da es sich um das Gute, Schöne und Wahre handelt, ist das bedauerlich.

Der in den Koalitionsverhandlungen vereinbarte Kompromiss zu den Netzsperren, wonach für die Dauer von einem Jahr nur gelöscht und nicht gesperrt werden soll, soll offenbar über einen Anwendungserlass geregelt werden, der dem BKA aufgibt, keine Sperrlisten zu erstellen und solche Listen auch nicht weiterzuleiten.

44 Wörter, verschachtelt und nicht logisch verknüpft – muss das sein? Neun Wörter pro Satz bedeuten bei dpa die Obergrenze der optimalen Verständlichkeit. Probieren wir’s!

Der Kompromiss soll irgendwie durch irgendwas geregelt werden – das ist die Aussage des Satzes. Und wer tut was? Wer ist Ross und wer ist Reiter? Die Koalitionsparteien haben einen Kompromiss geschlossen. Doppelpunkt: welchen? Für ein Jahr soll (Websites?) nur gelöscht und nicht gesperrt werden. Wer sperrt? Wer wie sperrt, wird in einem Erlass geregelt. Doppelpunkt: Was steht da drin? Das BKA darf keine Sperrlisten erstellen und diese auch nicht weiterleiten. Geht doch. Drei oder vier Sätze, insgesamt nur 35 Wörter, und alles ist gesagt.

Noch schlimmer ist eine Pressemitteilung des Ak Vorrat:
Die im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zusammengeschlossenen Bürgerrechtler, Datenschützer und Internetnutzer halten den Kompromiss von FDP, CDU und CSU zur Vorratsdatenspeicherung für inakzeptabel und weisen die sachlich falsche Kritik von Polizeifunktionären entschieden zurück.

Wer tut was? Was ist wichtig und was zusätzliche Information? Bürgerrechtler, Datenschützer und Internetnutzer – was tun die? Sie haben sich zusammengeschlossen. Aber das ist nicht das Wichtigste, sondern nur das Logo, das in einer Presseerklärung nicht fehlen darf. Aber nicht am Beginn einen Satzes, der das Publikum interessieren und fesseln soll!

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung weist etwas zurück – das ist auch Unsinn und langweiliges Politiksprech. Die Frau wollte das Nachporto nicht bezahlen und wies das Postpaket zurück. Da geht es, aber nicht hier. „Für inakzeptabel halten – wie wäre es mit: akzeptiert nicht? Der AK Vorrat akzeptiert den Kompromiss zur Vorratsdatenspeicherung nicht – das ist die Botschaft, und erst dann kommen die Dinge, die nur erläutern. Dafür gibt es den Nebensatz: den FDP, CDU und CSU ausgehandelt haben.

Was noch? Der AK Vorrat kritisiert die Kritik oder so ähnlich. Entschieden, nicht halbherzig – wer hätte das gedacht. Außerdem weiß hier niemand, was genau die Kritik der Polizeifunktionäre war. Kritisieren die den Kompromiss oder die Meinung des AK Vorrat? Beide akzeptieren also den Kompromiss nicht, aber aus unterschiedlichen Gründen? Der AK Vorrat hält (zudem) die Kritik der Polizeifunktionäre am Kompromiss für sachlich falsch. Und jetzt kann hinterherhoppeln: Am AK Vorrat haben sich Bürgerrechtler, Datenschützer und Internetnutzer zusammengeschlossen.

„Eine Einschränkung des staatlichen Datenzugriffs ist keineswegs die angekündigte ‚Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung‘ und ändert nichts an dem inakzeptablen Risiko einer missbräuchlichen Nutzung oder eines versehentlichen Bekanntwerdens unserer privaten, geschäftlichen und politischen Kommunikationsbeziehungen.

Au weia. Das erinnert mich an mein Posting vom 11. März 2006: „Wie man grässliche Pressetexte in schlechtem Deutsch verfasst“. Ich schweife kurz ab: Karl Valentin ist verständlicher als der AK Vorrat: „Wehe dem, der sich selbst, wehe dem, dem derjenige nur das ist, was wir uns von diesem erwartet haben. Selbst ist die Frau! Meine Herren! Wenn die Besonnenheit uns von unseren Sorgen, deren wenige ein verblendendes Spiel in uns gesetzt zum Zwecke des Mittels, einen wie bei jedem, wir können nicht das gute Gewissen mit derselben Resignation verknüpfen, der unserem Standpunkt von vorneherein gegenüberstand.“

Ganz einfach: Jedes Wort, das auf -ung endet, ist verboten (außer „Vorratsdatenspeicherung“, weil es um genau die geht). Der Staat greift also auf unsere Daten zu. Das Verb greifen ist allemal stärker und besser als das lasche „der Zugriff“, das uns verschweigen will, wer denn zugreifen will. Ich muss zugeben: Ich bin nicht sicher, ob ich auf Anhieb richtig verstanden habe, was uns der AK Vorrat sagen will. Wenn der Staat weniger häufig auf Daten zugreift, wird die Vorratsdatenspeicherung nicht ausgesetzt? Die doppelte Verneinung hat immer Tücken – das versteht niemand auf Anhieb. Die Steigerung des Arbeitslosigkeit verringert sich – wird sie nun mehr oder weniger?

Die Vorratsdatenspeicherung wird nicht ausgesetzt (besser positiv: bleibt in Kraft), (auch) wenn der Staat nur weniger häufig auf Daten zugreift. Es besteht weiter das Risiko, dass er die Daten missbraucht. („Inakzeptables Risiko“ gefällt mir nicht. Das schafft eine zusätztliche logische Ebene – eigentlich die Aufgabe eines Nebensatzes.) Kommunikationsbeziehungen – das ist nicht nur ein weißer Schimmel, sondern unaussprechliches Soziologen-Gefasel. Wer mit wem telefoniert oder wer wem schreibt – das ist gemeint. Kommunikation ist immer schon eine „Beziehung“. Wer mit wem kommuniziert – privat, geschäftlich oder politisch -, könnte daher (immer noch) versehentlich bekannt werden.

Klaus Lederer ist berliner Vorsitzender der Linken. In seinem Aufsatz „Links und libertär? Warum die Linke mit individueller Freiheit hadert“ schreibt er: „Ein das linke Denken verkleisternder, dogmatischer Grundbestand an Vorstellungen..“ oder „Diese Beschreibung darf nicht über die temporäre Faszination und Wirkungsmächtigkeit dieser Ideologie..„.

Leute, gebraucht Verben und denkt an Lenin: Wer wen? Das wollen die Leser wissen. Ung ung ung keit keit keit ion ion ion ismus ismus ismus. Neinnein, alles verboten. „Wirkungsmächtigkeit“ – welche Sprache soll das sein – Parteichinesisch? Die Ideologie wirkt und ist mächtig und fasziniert, aber nur zeitweilig. Das wäre zwar stilistisch besser, aber logisch falsch. Lederer will das Gegenteil sagen: Die Ideologie ist nicht mächtig, aber ausnahmsweise jetzt ein bisschen, obzwar nur temporär. Da müsste ich noch feilen. Übrigens: Was Lederer schreibt, ist gut und richtig und interessant.

Aber jetzt bin ich müde und gehe schlafen und benutze dazu die Glotze. Da ist alles noch viel schlimmer. Ich sollte einfach den Ton ausstellen.

99% aller Deutschen sind irrelevant

„99% aller Deutschen sind irrelevant. Und werden es auch immer bleiben. Jedenfalls nach den Relevanzkriterien der deutschen Wikipedia. Das wird in der Wikipedia mit einem hürdenspringenden Hauskaninchen illustriert, mit der Bildunterschrift: “Für über 99 % der Bevölkerung unüberwindbar: Die Relevanzhürde.” [Via Aggregat7: „Das vordigitale Menschen- und Gesellschaftbild der Wikipedianer“]

By the way, BildunterschriftenverfasserInnen bei Wikipedia: Für fast alle Wikipedianer unbeherrschbar: Die deutsche Sprache. Was ist das für ein Satzbaugestammel? „Die Relevanzhürde ist für 99 Prozent der Bevölkerung unüberwindbar“ – ist Euch ein so „primitiver“ Satzbau zu kompliziert? Schlicht und verständlich mitzuteilen, wer was ist – das geht irgendwie nicht? Man muss einen Doppenpunkt sinnfrei dazwischenhauen? Pfeifen.

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