Alleswisser und Wohltäter der leidenden Menschheit

Morgenpost

Deutsche Kulturbilder der Berliner Morgenpost Oktober 1929 – diese „Postkarte“ ist eine Quittung der Berliner Morgenpost „über 60 Pfennig für die 47. Woche vom 17.11. bis 23.11.1929“.

„Modernes Forscher-Laboratorium“ heisst es – damals noch Computer-frei. Liebe Kinder, heute behandeln wir Hermann von Helmholtz, wie ihn die Welt 1929 sah (und heute vermutlich auch noch). „Als Universalgelehrter war er einer der vielseitigsten Naturwissenschaftler seiner Zeit.“ Universalgelehrte aka Alleswisser gibt es heute jedoch nicht mehr (ausser Burks).

Vor Helmholtz konnte man die Vorgänge im Augen-Inneren nicht beobachten und stand deshalb einer Reihe von Krankheiten machtlos gegenüber, namentlich dem zur Erblindung führenden Schwarzen Star. Helmholtz erfand eine Kombination von Gläsern, welche gestattet, durch die Pupille hindurch den Hintergrund des Auges zu beleuchten, ohne blendendes Licht anzuwenden; dabei treten alle Einzelheiten der Netzhaut genauestens hervor, weil die durchsichtigen Teile des Auges als Lupe wirken und die Netzhaut etwas 20fach vergrößern. Diese Erfindung machte Helmholtz‘ Namen für alle Zeiten als den einen Wohltäters der leidenden Menschheit unsterblich.

An die Nachgeborenen und die Ossis: Man beachte den korrekten Gebrauch des Genitivs bei „Helmholtz‘ Namen“ sowie das hier in einem Satz real vorkommende Semikolon, dessen Existenz jungen JournalistInnen oft unbekannt ist.

Das Ministerium für Wahrheit (stern) informiert:

Stern.de zitiert den Bundesinnenminister: „Bei der Beweissammlung für den Verbotsantrag ‚wird dann klar sein, dass die V-Leute abgeschaltet sind, die für die Informationssammlung eine Rolle spielen könnten‘. Allerdings werde man durchaus mit V-Leuten der Sicherheitsdienste weiter den versuchten ‚Reinwaschungs-Prozess‘ der NPD beobachten.“

Geheimdienst heisst jetzt „Sicherheitsdienst“.

Man achte darauf, was direkte und was indirekte Rede ist; der stern hat die Sprachregelung des Innenministers kritiklos übernommen. Krieg heisst übrigens jetzt „friedenserzwingende Maßnahme.“

Tot, töter, am tötesten

Spiegel Online: „Für afghanische Zivilisten war 2011 das tödlichste Jahr seit Beginn des Afghanistan-Kriegs vor zehn Jahren.“ Ich wusste gar nicht, dass „tödlich“ einen Komparativ hat. Tot, töter, am tötesten. Aha.

Nicht wirklich Neues von der Überwachungs-Lobby

Mitteldeutsche Zeitung: „Das Bundeskriminalamt (BKA) kann wegen des Verzichts auf die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland nicht so effektiv gegen die rechtsterroristische Zelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ ermitteln, wie es das gerne tun würde.“

Liebe Mitteldeutsche Zeitung, wenn du die Agitprop der Überwachungs-Lobby schon eins zu eins und ohne ein kritisches Wort dazu abdruckst, dann wähle doch bitte die korrekte grammatikalische Form „könne“. Die behaupten das nur, es stimmt gar nicht. Also muss hier die indirekte Rede stehen: Die sagen, es sei so. Es ist aber nicht so und wir glauben es überhaupt nicht. Begründung:

Die [[x] irgendeine Überwachungs-Behörde, bitte selbst ausfüllen] kann wegen des Verzichts auf die Vorratsdatenspeicherung folgendes nicht tun: [[x] bitte selbst ausfüllen]: Das Böse aus der Welt vertreiben, Hütchenspieler verhaften, Drogenschmuggel unterbinden, Nazis bekämpfen, die Parteiführung der Linken beobachten, gestohlene Autos wiederfinden, Wirtschaftskriminelle auf die Seite der Guten herüberziehen, Kinderpornografie aus der Welt schaffen, das Internet totalüberwachen, Heuschrecken und das Finanzkapital in die Schranken weisen, Handtaschenräüber dingfest machen, Omas über die Straße helfen, bei Facebook nach Verbrechern fahnden u.v.a.m..

Wähle nun eine der Posen aus, die dir zur Verfügung stehen [Update]

3d sexvilla

Nun müssen unsere Jugendschutzwarte und andere Zensoren mal kurz wegzappen; die Lippen haben sie ja eh schon zusammengekniffen. Ich kläre die wohlwollenden Leserinnen und geneigten Leser über einen Sachverhalt auf – aus journalistischer Sicht. Noch darf man das in Deutschland.

Ich habe mir neulich mal ein so genanntes Sex-Spiel heruntergeladen und installiert – 3D SexVilla.

Also nee. Das ist ja nun eine ganz bescheuerte Idee, einem das Geld aus der Tasche zu ziehen. Die Figuren sind um Klassen schlechter als die gut gemachten Avatare in Second Life; mir kam es so vor, als wäre die Sache etwa für ein Seniorenheim gedacht. Auch die dazugehörigen Youtube-Videos sind zum Totlachen.

Interessant für das Porno-Gewerbe fand dich dieses: Es ist Zeit für Plug-and-Sex! Reale Sexspielzeuge können via USB mit deinem PC verbunden werden, um das ultimative Feedback und fühlbaren virtuellen Sex zu erzeugen. Bruahahaha. Darauf hat die Welt gewartet. Die Bild hat „Kinect„, die Version für die xbox, schon erwähnt, weil es eine Porno-Version gibt.

Es ist, als wärst du wirklich mit dabei und Teil der Action! Nein und nochmals nein. Vielleicht kennen die Macher dieser Software Frauen nur als jpg- oder mov-Dateien, aber noch gibt es den kleinen Unterschied zwischen virtueller und realer Welt, trotz aller USB- und anderer Sticks, die man irgendwo hineinschieben muss.

Update: In Deutsch hieße es übrigens: Wähle nun eine der Posen aus, über die du verfügst.

Der Internet-Nutzer: Dämlich, faul und ignorant [Update]

Internet-Voodoo mit Spiegel Online: „Die Kriminellen hatten die Rechner unter anderem mit der Schadsoftware namens DNS-Changer infiziert, welche die DNS-Einstellungen der Rechner manipulierte.“

Sehr hübsch. Mehr davon. Ich wüsste ja nur zu gern, wie die pöhsen Kriminellen das gemacht haben? Haben sie ein Feuer entzündet, magische Formeln gesprochen und sind herumgehüpft? Ein ernsthafter journalistischer Artikel hätte sich mit der Frage befasst, warum die Mehrheit der Nutzer so bekloppt ist, sich Schadsoftware auf den Rechner beamen zu lassen und wer sie täglich dazu erzieht (Webdesigner und Datenkraken, die uns zu Javascript und Cookies zwingen wollen).

Sehr geehrte Pappnasen: Das ist Astrologie, kein Journalismus. „Ausgenutzt haben die Täter diese Möglichkeiten dem FBI zufolge zum Beispiel so: Anwender, die Apples offizielle iTunes-Seite aufrufen wollten, seien zum Angebot eines Unternehmens umgeleitet worden, das mit Apple in keinerlei Beziehung stehe und vorgab, Apple-Software zu verkaufen.“

Ach ja? Es geht also nur um Leute, die ITunes benutzen? Zum Beispiel? Und wie geht es noch? Und warum steht das Wort „ausgenutzt“ am Beginn des Satzes, was den Sitten, Regeln und Gebräuchen des Deutschen krass widerspricht?

Abgeheftet habe ich dieses Geschmiere unter der Rubrik „Deutsch des Grauens“. Welcher Praktikant durfte da wieder was schreiben? Ach nein, es ist der Ressortleiter Netzwelt bei Spiegel Online. Qood erat demonstrandum.

„Die kriminellen Betreiber des DNS-Changer-Netzwerks installierten demnach sogenannte Rootkits auf den Rechnern ihrer Opfer. Das sind Schädlinge, die tief im Betriebssystem des Computers wurzeln und schwer wieder zu entfernen sind“. Neiiiiiiiin! Die Nutzer haben sich infizieren lassen – freiwillig, weil sie zu dämlich, faul und ignorant waren, sich um ihre Sicherheit zu kümmern!

Update: Noch dümmer formuliert die Tagesschau: „US-Hacker greifen Zehntausende Computer an“. Leute, eure Ignoranz kotzt mich einfach nur an.

Das Wort mit dem Glimpf

verunglimpfung

Die FAZ und andere berichten über eine schwer wiegenden Fall von Majestätsbeleidigung und Verunglimpfung des Staatsiberhauptes (§ 90 STGB: „Verunglimpfung des Bundespräsidenten“).

Es geht um ein Foto, das ein Blogger auf Facebook veröffentlich hatte (zusammen mit dämlichen Kommentaren), das die Ehefrau des Herrn Christian Wulff mit ausgestrecktem Arm zeigt, der an den Hitlergruß erinnert.

Für mich sieht das Foto eindeutig nach eine Montage aus – Photoshop oder Gimp. Außerdem ist es geschmacklos, bei jeder – hier unpassenden Gelegenheit – irgendwas mit „Nazi“ suggerieren zu wollen.

In den Jurablogs lesen wir:
Daß es sich insgesamt nicht um einen Ritt über den Ponyhof handelt, erkennt der Laie schon daran, daß es die Staatsschutzkammer des Landgerichts ist, die über diese Sache verhandelt. Was vor dieser Kammer sonst noch so Thema ist, kann man sich in § 74a GVG zu Gemüte führen.
Ob dieses Verfahren, was der BPräs. mit seiner “Ermächtigung” (eine Art qualifizierter Strafantrag) losgetreten hat, tatsächlich so sinnvoll ist, scheint mir zweifelhaft. Und zwar nicht nur hinsichtlich des Streisand-Effekts (…).
Die Verunglimpfung ist eine Spezialität der Beleidigung nach § 185 StGB. Speziell ist beispielsweise die Strafandrohung: Mindestens 3 Monate Kerker.

Ich habe mich schon immer gefragt, woher dieses grauenvolle Wort mit dem Glimpf stammt. In meinem etymologischen Wörterbuch steht das Verb verunglimpfen nicht, aber im deutschen Wortschatz online:

Synonyme: anschwärzen, beeinträchtigen, beleidigen, denunzieren, diffamieren, diskreditieren, entwerten, entwürdigen, herabsetzen, herabsetzen, herabwürdigen, herabwürdigen, schlechtmachen, schmähen, schmähen, verdächtigen, verleumden, verleumden, verschreien, verteufeln
vergleiche: diffamieren
ist Synonym von: abwerten, andichten, anfeinden, angreifen, anhängen, anschwärzen, attackieren, bewerfen, diffamieren, entwerten, erniedrigen, herabwürdigen, lästern, madig, nachreden, nachsagen, schlechtmachen, schmähen, verkleinern, verleumden, verschreien, verteufeln
.

Im Köbler, Gerhard, Deutsches Etymologisches Wörterbuch, 1995. lesen wir:
verunglimpfen, V., verunglimpfen, beleidigen, 15. Jh., zu Unglimpf, M., Beleidigung

Der Duden benennt „mittelhochdeutsch ungelimpf, althochdeutsch ungelimfe“, und das führt zur Sprachwurzel der Glimpf, der sogar schon im Althochdeutschen vorkommt:
mittelhochdeutsch g(e)limpf, althochdeutsch gilimpf = angemessenes Benehmen, zu mittelhochdeutsch gelimpfen, althochdeutsch gilimpfen = etwas angemessen tun, rücksichtsvoll sein, ursprünglich = schlaff, locker sein.

Warum erinnert mich das jetzt an Gelumpe bzw. an einen Lumpen?

Das Stellwerk, revisited

stellwerk

Die älteren Leserinnen und Leser werden sich noch an meine Blog-Postings zum Thema Gleisdreieck erinnern, insbesondere an das alte Stellwerk, das ich, wenn mich mich recht erinnere, hier zum ersten Mal am 12.04.2004 erwähnte dergestalt, dass ich ankündigte, ich werde dokumentieren, wie es mit dem Gebäude weiterginge, was hiermit geschehen sei.

Nachtrag (statt „Update“): Ich habe gestern jemandem, dessen Mutterspräche neuseeländisches Englisch ist, versucht zu erklären, warum der deutsche Satzbau, wendete man ihn an wie Thomas Mann, nicht nur einen Dolmetscher verzweifeln, sondern auch den des Deutschen noch nicht Kundigen zum Fernglas greifen ließe, da der der erste Teil des Verbs oft – am Anfang des Satzes stehend – seinen zweite Teil verspräche alsbald folgen zu lassen, dass dieses jedoch oft nicht geschehe, sondern dass man das, was den Sinn und Zweck des Gesagten erst verständlich werden lässt, nur am Ende der Wortgirländen, die einen deutschen Satz so ungemein logisch, ja sogar dem Lateinischen ähnlich machen, erblicken könne.

LiquidFeedback: Demokratische Wahlen neu erfinden

Ein sehr interessanter Arikel auf LiquidFeedback diskutiert die „Überprüfbarkeit demokratischer Prozesse“:

Aus der Betrachtung der Überprüfbarkeit von elektronischen Abstimmungen durch die Teilnehmer bleibt folgendes Fazit zu ziehen: Möchte man überprüfbare elektronische Abstimmungen durchführen, müssen diese als offene Abstimmung mit Identitäten stattfinden, die für die anderen Teilnehmer hinreichend mit den abstimmenden Personen verknüpft sind. Möchte man diese den anderen Teilnehmern bekannte Verknüpfung vermeiden, bleibt einem nur entweder vollständig auf die Überprüfbarkeit des Verfahrens durch die Teilnehmer zu verzichten und damit einer Autorität blind vertrauen zu müssen oder zu Papier, Stift und Wahlurne zu greifen.

LiquidFeedback wurde für offene Abstimmungen konzipiert und implementiert, denn nur so konnte ein System geschaffen werden, das vertrauenswürdige, durch die Teilnehmer überprüfbare Ergebnisse liefern kann. Die Akkreditierung der Teilnehmer ist jedoch nicht Teil von LiquidFeedback sondern muss durch die einsetzende Organisation selber umgesetzt werden. Zur Akkreditierung gehört auch die Frage, ob eine Trennung der verwendeten Identitäten von den dahinterstehenden Personen vorgenommen wird oder ob jedes Benutzerkonto in LiquidFeedback für alle Teilnehmer hinreichend mit einer echten Person verknüpft wird. Ob LiquidFeedback – wie vorgesehen – für offene Abstimmungen genutzt oder als Wahlcomputer Typ 2 betrieben wird, ist somit allein die Entscheidung der einsetzenden Organisation.

Dieses Deutsch des Grauens – vor allem im ersten Abschnitt – muss jetzt noch in verständliches Deutsch übersetzt werden.

Wir hatten überprüft, wie Menschen elektronisch abstimmen können und uns das noch einmal genau angesehen. Fazit: Will man elektronisch abstimmen, also mit Computer und/oder über das Internet, und willl man das auch überpüfen, muss offen abgestimmt werden können. Die anderen Teilnehmer müssen denjenigen, der abstimmt, mit der Person, die als elektronische „Identität“ handelt, verknüpfen können. Wenn man aber nicht verraten will, wer derjenige ist, der nur eletronisch wählt, dann muss man darauf verzichten, das Verfahren durch die anderen Teilnehmer überprüfen zulassen. Man muss also eine Autorität blind vertrauen oder wieder Papier, Stift und Wahlurne benutzen.

LiquidFeedback wurde für offene Abstimmungen erfunden und eingerichtet. Nur so konnte in System erschaffen wurden, das Ergebnisse liefert, die die Teilnehmer überprüfen können. Das System LiquidFeedback kann jedoch die Teilnehmer nicht akkreditieren; das muss die Organisation, die es einsetzen will, selbst tun. Dazu gehört die Frage zu beantworten, ob man die Teilnehmer, die wählen sollen, mit ihren digitalen „Identitäten“ verknüpfen kann oder nicht, ob also jemadn von dem Benutzerkonto auf die reale Person schließen kann. Ob LiquidFeedback – wie vorgesehen – für offene Abstimmungen genutzt oder als Wahlcomputer Typ 2 betrieben wird, muss allein die Organisation entscheiden, die das System einsetzt.

Dieses Geheimgremium ist in deinem Parlament nicht verfügbar

gorDas Bundesverfassungsgericht hat eine Einstweilige Verfügung gegen den deutschen Bundestag erlassen. Das muss man sich mal vorstellen.

Die SPD-Bundestagsabgeordneten Peter Danckert und Swen Schulz hatten gegen ein Sondergremium geklagt:

Im Bundestag sitzen 598 Abgeordnete, und 596 lassen es sich gefallen, dass ein geheimes Gremium darüber entscheidet, dass europäischen Banken Milliarden von Steuergeldern in den Rachen geworfen werden und dass sich die staatlichen Subventionen für Banken auch noch als „Hilfe“ für Griechenland kostümiert. „Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungmechanismus“ – dieses entsetzliche Neusprech des Ministeriums für Wahrheit hätte sich George Orwell gar nicht besser ausdenken können.

Das ist doch Comedy, wenn es nicht so traurig wäre. Die Entscheidung wirft ein bezeichnendes Bild auf die Verkommenheit der politischen Kaste, die sich als Vollstreckerin des Volkswillens ausgibt.

Immer wenn die Deutschen eine Sonderbehandlung planen, ist etwas faul. So auch hier. Das Bundesverfassungsgericht (Lob und Preis sei ihm!) hat entschieden:

Die in § 3 Absatz 1 des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus vom 22. Mai 2010 (Bundesgesetzblatt I Seite 627) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 9. Oktober 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 1992) bezeichneten Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages dürfen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht von dem in § 3 Absatz 3 des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus vorgesehenen Gremium wahrgenommen werden.

Nicht. Nix da. Gar nicht erlaubt. Wenn Geld zum Fenster hinausgeworfen wird, muss immerhin der Bundestag formal zustimmen. Die Bundesregierung sieht das offenbar anders und wollte die Banken-Subvention aka „Hilfe für Griechenland“ im Geheimen durch ein Sondergremium abnicken lassen.

By the way: Spiegel Offline entblödet sich nicht, nur auf sich selbst zu verlinken anstatt auf die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts oder das Original der Entscheidung. Wie dumm und faul und ignorant muss man eigentlich sein, um das unter „Online-Journalismus“ zu verstehen?

Auf dem Weg zur Einheitsfront

„In der deutschen Politik setzt sich eine Uniformierung des Denkens durch“, schreibt Franz Walter ganz richtig. Jetzt erst? Ist doch schon längst so.

Man muss sich nur ansehen, wie deutsche Journalisten kritiklos das Neusprech des Ministeriums für Wahrheit übernehmen: „Rettungsschirm“, schreiben und sagen sie. Dabei handelt es sich weder um eine Rettung Griechenlands, sondern um die Ausplünderung des Landes, noch um einen Schirm, sondern darum, dass die Gelder der Steuerzahler den französischen und deutschen Banken in den Rachen geworfen wird.

Wer die Begriffe besetzt, beherrscht die Gedanken.

Die Bank gewinnt immer – Kürzen statt Zensieren

hypnose

Das ZDF erlebt gerade einen Shitstorm: „Die WISO-Dokumentation ‚Die Bank gewinnt immer‚ ist weiterhin in der ZDFmediathek bzw. bei WISO.de abrufbar. Es fand keine Zensur statt, wie von einigen Usern getwittert wurde. Richtig ist, die aktuelle Fassung in der ZDFmediathek ist leicht gekürzt, da wir uns in einem laufenden Rechtstreit mit der Sparkasse Bremen befinden.“

So etwas können nur Deutsche sagen: „Wir haben nicht zentiert, sondern nur gekürzt.“ Jemand kommentierte dort:

Ach herrje, jetzt habe ich mir die “verbotenen Minuten” doch glatt auf youtube angeguckt. Oops. Na, ich verspreche aber, dass ich alles gleich wieder vergesse, nur so viel auf die Schnelle: Die haben da wohl (einem?) Senioren tolle Anlagemodelle aufgeschwatzt, die aber blöderweise wohl bis 2018 und 2027 laufen. Und ein Verbraucherschützer meint dann noch, das sei wohl wegen der hohen Provisionen (12-14%) passiert, und die Bank sei ihrer Verantwortung für den alten Mann nicht gerecht geworden (50 Jahre lang Kunde da). Bank will kein Interview geben und sagt aber, der könne seine Anteile ja verkaufen, leider derzeit wohl nur noch zum halben Preis.

By the way: „Richtig ist, die aktuelle Fassung in der ZDFmediathek ist leicht gekürzt, da wir“ – um welchen Satzbau in welcher Grammatik handelt es sich hier? Gar um einen denglischen appositionalen Konditionalsatz II im Gerundium mit Einspengseln in Suaheli? Ich empfehle: „Richtig ist, dass die aktuellen Fassung in der Mediathek des ZDF leicht gekürzt wurde, weil wir“. Das wäre Deutsch.

Das Ministerium für Wahrheit informiert

Die „Sicherungsverwahrung“ heißt jetzt „Sicherungsunterbringung“.

Hey, was soll der Quatsch mit den jungen Männern?

Spiegel Online über die Wählerbasis der Piratenpartei:

„Hierzu zählen erstens jüngere, gut gebildete Männer mit hoher Affinität zu digitaler Technik und Kultur. Diese schätzen die Piraten vor allem aufgrund der politischen Perspektive der digitalen Revolution – sowie als Datenschutz- und netzpolitische Vorreiterpartei. Hinzu kommen zweitens die sogenannten Digital Natives. Diese sind jung, durch eine zeitintensive, aber eher oberflächliche Nutzung des Internets geprägt und vor allem mit der Kultur Sozialer Netzwerke sehr vertraut.“

Nein, falsch. Hierzu zählen auch ältere, gut gebildete Männer mit hoher Affinität zu digitaler Technik und Kultur. Diese schätzen die Piraten vor allem aufgrund der politischen Perspektive der digitalen Revolution – sowie als Datenschutz- und netzpolitische Vorreiterpartei. Hinzu kommen zweitens die sogenannten Digital Natives. Diese sind älter, mit den Anfängen des Netzes sozialisiert worden, durch eine zeitintensive und gründliche Nutzung des Internet geprägt, lehnen aber die Datenkrakerei so genannter „sozialer Netzwerke“ im Gegensatz zu jüngeren Männern und DAUs eher ab.

By the way: Der Genitiv von Internet heisst „des Internet“.

Deutschfähigkeit

Focus online über die Piratenpartei: „Bei der letzten Bundestagswahl war die Piratenpartei noch gefeierter Newcomer. Einige sahen in ihr schon eine ‚digitale Volkspartei‘ wachsen. Auf den Senkrechtstart folgten Zoff und Flaute. Nun wird die Berliner Abgeordnetenhauswahl zum Lackmustest für die Zukunftsfähigkeit der Piraten.“

„Zukunftsfähigkeit“ ist auch so ein Wort, bei dem sich mir die Nackenhaare sträuben. Wer ist fähig, was zu tun? Das ist Bläh- und Furzdeutsch. Aber was will man von einem Wort erwarten, das auf -keit endet…

Versachlichung

Neusprech.org: „Daher lautet die Biermann-Haase-Erweiterung von Godwins Gesetz: Je länger eine politische Diskussion dauert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand die V. derselben fordert. Beziehungsweise, in Anlehnung an Richard Sexton: Wenn jemand die V. einer politischen Debatte fordert, ist die Debatte beendet und der Forderer der argumentative Verlierer.“

Gut gesagt. Ein Wort mit -ung zeigt ohnehin, dass derjenige, der es benutzt, nicht wirklich weiß, was er sagen oder diese Tatsache hinter einer verbalen Nebelwand verbergen will.

Hüfthohe Schweine

Spiegel online rotzt eine Meldung lieblos daher, ohne Links, ohne Quelle, noch nicht einmal den Ort erklären sie uns. Hier ist das Original von der Polizeidirektion Flensburg:

Wanderup / Oeversee (ots) – Freitagnachmittag, gegen 13:30 Uhr, kam auf der Tarper Straße eine junge Frau mit ihrem Golf von der Fahrbahn ab, durchfuhr einen Knick und kam auf einer angrenzenden Koppel zum Stehen.
Die Mutter alarmierte die Polize : Zirka 20 relativ große hüfthohe Schweine hatten den VW plötzlich umringt und am Fahrzeug gerüttelt. Das Revierverhalten beeindruckte die Frau so stark, dass sie mit ihrem 2jährigen Kind nicht aussteigen konnte.
Beamte der Polizei-Zentralstation Tarp eilten zur Hilfe und befreiten die beiden unverletzten Fahrzeuginsassen.
Es entstand geringer Sachschaden am Fahrzeug und am Knick. Um die Bergung des VW wollte sich die Familie selber kümmern.
Das Kind beobachtete die Maßnahmen wohlwollend.
Der verantwortliche Landwirt hatte Kenntnis und erschien am Unfallort.

Die letzten beiden Sätze sind zum Kringeln. Die reden wohl immer so und können sich das Beamtensprech nicht mehr abgewöhnen. „Das Kind freute sich, und der Bauer wusste schon Bescheid.“ Aber das wäre ja Deutsch.

Bastard-Politik: followd mir, ihr Mashups!

mashup

Meedia.de: „Steffen Seiberts Google+-Account ist ein Fake (…) Der Betreiber des Fake-Profils remixt Ausschnitte aus Seiberts digitalem Leben zu einem Google+-Mashup.“

Mashup? Mein frisch erworbenes Taschenwörterbuch Englisch (1584 Seiten, Langenscheidt 2011) kennt das Wort nicht. Zugeben: das Wort ähnelt der im Deutschen wohl bekannten „Matsche“, und „zusammengematscht“ ist irgendwie zu lang, unrhythmisch und auch ein heller Schimmel („auseinandergematscht“ geht gar nicht).

Wikipedia hilft: „Mashup (von englisch to mash für vermischen) bezeichnet die Erstellung neuer Medieninhalte durch die nahtlose (Re-)Kombination bereits bestehender Inhalte. Der Begriff stammt aus der Welt der Musik und bedeutet dort im Englischen so viel wie Remix (vgl. Bastard Pop). In den deutschen Sprachraum wurde der Begriff rund um das Schlagwort Web 2.0 importiert, da Mashups als ein wesentliches Beispiel für das Neue an Web 2.0 angeführt werden.“

Was ist verwerflich an der nahtlosen „(Re-)Kombination bereits bestehender Inhalte“? Ob nun Seibert höchstpersönlich sinnfreie Textbausteine produziert („Kanzlerin verurteilt Anschläge scharf“, „Kanzlerin verurteilt Anschläge nicht“ [aber hallo?]) oder jemand anderes – spielt das irgendeine Rolle?

Bastard Pop – der Begriff gefällt mir. Ich schöpfe hiermit einen neuen: Bastard-Politik bedeutet, dass jemand bereits bestehende politische Sprechblasen neu zusammenmatscht, dass sie neu aussehen, es aber nicht wirklich sind. Natürlich wusste ich schon im voraus, dass ich nur von Fakes umgeben bin. Das Leben ist eine Blase!

Nein, falsch: Das Leben ist in Wahrheit Second Life, und der das hier schreibt, ist im realen Leben der oben abgebildete Avatar (links)!

Vielleicht ist auch Steffen Seibert gar nicht echt, sondern nur der wahre Heino ein Avatar. Zu den Inhalten würde das ja passen.

Der Hack des Tages: Falsches MG richtig auf Brücke montiert

Falsches Maschinengewehr richtig auf Brücke montiert – der Berliner Kurier ist eine Boulevardzeitung und berichtet detailliert: „Das Gewehr (Typ M 16) mit Zielfernrohr, 50 Patronen, war Richtung Ostbahnhof aufgestellt und auf einem Stativ befestigt. Daneben Banner in englischer Schrift mit den Sprüchen ‚Erschießt die Irren‘ und ‚Gewinn einen Leopard 2 Panzer‘.“

Und nun zu uns, Kurier: „Die Beamten in Friedrichshain nahmen die Kunststoff-Attrappe mit, schrieben eine Anzeige wegen Verstoß gegen das Waffengesetz.“ Neiiiiin. Wegen Hut sieht Vater doof aus. „Wegen“ bedarf (ja, bedarf auch!) des Genitivs!

That’s Leif

Ostroplog: „Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche (NR) steckt in der Krise. Im zehnten Jahr ihres Bestehens ist der Vorstand gestern Abend am Rande der Jahrestagung in Hamburg weitgehend zurückgetreten. Hintergund: Mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Finanzierung des Vereins. Die taz schreibt von einem ‚Putsch‘, auch Meedia berichtet.“

Betreff: Mitteilung an die Mitglieder von netzwerk recherche e.V. (…) hat sich der Vorstand am 28. Mai 2011 ausführlich mit der Finanzlage des Vereins befasst. Dabei tauchten Hinweise auf, dass der Verein im Zusammenhang mit der Förderung der Jahreskonferenz 2010 gegenüber der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) möglicherweise fehlerhafte Angaben gemacht hat. Grundsätzlich fördert die BPB die Jahrestagung im Rahmen einer Defizitfinanzierung. Da möglicherweise aber nicht alle Einnahmen der Jahrestagung gegenüber der BPB angegeben wurden, könnte der Verein eine zu hohe Förderung von der BPB erhalten haben. (…) Der Vorstand hat dabei einstimmig beschlossen, nicht nur die möglicherweise unrechtmäßig erhaltenen Fördermittel, sondern sämtliche Fördermittel der BPB für die Jahrestagungen (2007-2010) – unter dem Vorbehalt der Sachprüfung – vorsorglich zurückzuzahlen. Dabei handelt es sich um einen Gesamtbetrag in Höhe von rund 75.000 Euro. (…) Auf der außerordentlichen Vorstandssitzung hat der 1. Vorsitzende des Vereins, Thomas Leif, erklärt, die Verantwortung für mögliche Abrechnungsfehler zu übernehmen.

Dazu habe ich mehrere Fragen. Warum schreibt jemand in der taz über den Fall, der selbst Mitglied in Netzwerk Recherche ist? Warum wird ein Journalistenverein, dessen Vereinszweck vor allem die Selbstbeweihräucherung der Vorsitzenden Leif und Leyendecker war, mit Staatsgeldern gefördert, obwohl er doch in Konkurrenz zu anderen Journalistenvereinen steht? Warum hat Thomas Leif angeblich erklärt, die Verantwortung zu übernehmen, trat aber dann nicht freiwillig zurück?

Wie Leif in der Vergangenheit arbeitete, ist hinreichend bekannt.

Konkret schrieb im März 2006: „Prinzipiell anders geht es beim Netzwerk Recherche zu: Dessen jährlich ausgelobter Recherchepreis ‚Leuchtturm‘ wird überhaupt nicht von Coca-Cola bezahlt (sondern ganz im Gegenteil von der „Kontext-Stiftung“ des Energiekonzerns Eon). Und Thomas Leif, der die PR-Fuzzis schmäht, führt in seiner dienstfreien Zeit gern und ‚in gewohnt souveräner Form durch Veranstaltungen beispielsweise der Landesbausparkasse (LBS) Rheinland-Pfalz oder der Sparkassen Service Gesellschaft (SSG). Daß Leif sich am Ende selbst aus seinem Verein ausschließen läßt, ist nicht zu befürchten. Hauptberuflich ist er ja immer noch ‚Chefreporter des SWR in Mainz‘, und die Tätigkeit für die LBS war gewiß ‚überwiegend durch Recherche geprägt‘. Oder bleibt einfach alles in der Familie? Der Vorsitzende der SSG heißt auch Leif, Vorname: Jürgen.“

Ich hatte am 18. Mai 2006 („Einer beschmutze des anderen Nest“) hier geschrieben:

Das berüchtigte Internet-Portal spiggel.de hat bekanntlich die gesellschaftlich nützliche Aufgabe, überall dort, wo ein Feuerchen brennt, Öl hineinzugießen, damit die Dunkelheit der Welt vom Licht der Erkenntnis vertrieben und für das Gute, Schöne und Wahre Platz geschaffen werde. So auch hier.

Der DJV wirft Netzwerk Recherche vor, mit falschen Zahlen zu operieren. „In einer Pressemitteilung von Netzwerk Recherche vom heutigen Donnerstag wird behauptet, 30 Prozent der DJV-Mitglieder seien nach Angaben des stellvertretenden DJV-Bundesvorsitzenden Volker Hummel PR-Mitarbeiter und Pressesprecher. Dazu erklärt Hummel: ‚Wenn Dr. Thomas Leif falsche Zahlen verbreitet, kann er sich nicht auf mich berufen. Ich habe nie und nirgends behauptet, 30 Prozent aller DJV-Mitglieder seien PR-Mitarbeiter und Pressesprecher. Eine entsprechende Suggestivfrage Leifs am Rande der Mainzer Tage der Fernsehkritik habe ich mit der Bemerkung beantwortet: „Ich habe die Zahl nicht im Kopf.“‚ Nach Angaben des DJV sind acht bis zehn Prozent der 40.000 Mitglieder im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig.“

Jetzt lesen wir gemeinsam noch eine PR-Meldung von Netzwerk Recherche: „Nach Einschätzung des Vorsitzenden des Netzwerk Recherche, Dr. Thomas Leif, hat sich die nr-Jahreskonferenz in fünf Jahren zu einem der wichtigsten Journalisten-Treffpunkte in Deutschland entwickelt: ‚In Hamburg geht es um die kritische und selbstkritische Analyse des journalistischen Alltags, um die Verbesserung des Handwerks und um die Suche nach effektiven Recherche-Strategien. Auf keiner Konferenz in Deutschland wird intensiver und kontroverser über journalistische Tabus und Fehlentwicklungen gestritten‘, sagte Leif.“

Das ist natürlich alles frei erfunden und Eigenwerbung vom Feinsten. Über „Fehlentwicklungen“ (ein grauenhaftes Wort) wurde zum Beispiel im DJV Berlin viel heftiger gestritten als bei Netzwerk Recherches zu Hause. (…)

Nun zu uns, Netzwerk Recherche. Der ganze Laden ist bekanntlich – so der hämische Spott der Branche – mehr oder minder ein Ventilator, der dazu dient, die Großjournalisten Hans Leyendecker und Dr. Thomas Leif von einem Vortrag über ihre Großtaten zum anderen zu blasen. Als Giovanni di Lorenzo eintrat, wollte ich schon austreten trat ich aus, weil ich erwartete, es würden alsbald auch Lea Rosh, Kai Dieckmann und Günther Bohnsack aufgenommen werden. Lästig ist zudem, dass der Verein offenbar den Ehrgeiz entwickelt, zu einem der größten Papierproduzenten der Branche zu werden. Man muss auch mal sein Wasser halten können. Und bitte nicht vergessen, den Artikel „That’s Leif“ in Konkret zu lesen!

Was lesen wir auf der Website? „Die juristische Bekämpfung und publizistische Untersuchung der Korruption in Deutschland weist erhebliche Defizite auf.“ Wer so grottenschlecht schreibt, sollte stille Einkehr halten und eine Weile in Demut verharren. Welch ein Satz! Das Auto weist vier Räder auf. Und „Bekämpfung“ und „Untersuchung“: Man bekämpfe den Nominalstil und untersuche, wer von gutem Deutsch noch nie etwas gehört hat.

Jaja. Der Autor ist Mitglied im DJV Berlin und war mit Mitglied in Netzwerk Recherche. Bei Ver.di war ich auch mal irgendwann.

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