Downton Abbey oder: Unter soapen Kostümdramatikerinnen

Michelle dockery
Lady Mary Crawley (Michelle Dockery). Credits: The Mirror.

Es war ein kurzer Moment des Zögerns, als ich überlegte, ob ich das Publikum mit Kitsch behelligen sollte. Ich muss beichten, dass die positive Antwort vor allem daher rührt, dass ich mir das seifige Kostümdrama Dowton Abbey höchstpersönlich und – ich gebe es zu! – mit Vergnügen reinziehe. Ich habe keine Ahnung, was sich der Netflix-Algorithmus sich dabei gedacht hat. „Schicksal einer Adelsfamilie und ihres Personals am Anfang des 20. Jahrhunderts“ – da wendet man sich normalerweise mit Grausen ab. Das hatten wir doch unzählige Male. Ich habe in der Pubertät versucht, den fetten Schmöker Die Barrings zu lesen, den meine Mutter im Bücherschrank hatte, und war gelangweilt, weil keine anrüchigen Szenen vorkamen, nach denen man im dem Alter solange sucht, bis man endlich Henry Miller in die Finger bekommt. In Downtown Abbey kommt auch kein Sex vor – keiner, den man sieht (ich bin erst bei der dritten Staffel).

downtown abbey

Wenn die Herrschenden eine Filmserie gut finden, ist das keine Empfehlung: Man ahnt schon, dass die Verhältnisse so bleiben sollen, wie sie sind. „Auch viele Prominente machten keinen Hehl aus ihrer Leidenschaft für das Kostümdrama. Amerikas First Lady Michelle Obama ließ sich die DVDs vorab ins Weiße Haus schicken. Pop-Star Katy Perry veranstaltete mit Freunden Public Viewings, und die britischen Royals Kate und William waren Fans der ersten Stunde.“

Um die hier mitlesenden Revolutionäre und Gramsci-Leser zu beruhigen: Die Soap Opera ist viel zu harmlos, um den Klassenkampf, der bekanntlich überall tobt, besonders in Deutschland, zu behindern. „400 Roben und über 1000 Perücken“. Und ich bekam bis jetzt davon nichts mit. Gehört die Klamotte also zur Allgemeinbildung und zur Popkultur wie bestimmte Brüste oder Computer? Wieder Gramsci: Man muss wissen, was das Volk an Unterhaltendem liebt, um es für das Gute, Schöne und Wahre manipulieren zu können. 120 Millionen Zuschauer sind ein starkes Argument.

maggie smith
Violet Crawley (Maggie Smith)

Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich die Heldin Michelle Dockery als Lady Mary hier kürzlich schon erwähnt hatte. Britisch bis auf die Knochen, immer Haltung wahren und unterkühlte Erotik. Wenn man die Dockery ungeschminkt sieht, ist sie nicht auffallend hübsch, eher ein girl next door, aber ihre Präsenz übertrifft die aller anderen. Große Schauspielerei und ein anspruchsvolle Rolle.

Mit einer Ausnahme: Wenn Ihre Ladyship Dowager Countess of Grantham Violet Crawley – die Großmutter der Familie – Maggie Smith in einer ihrer pompösen Roben hereingerauscht kommt, mitsamt dazu passender Hutmode, weiß man, dass es jetzt sehr britisch und stockkonservativ wird. Die zweifache Oscar-Preisträgerin spielt alle anderen mit Leichtigkeit an die Wand. Sie ist auch die einzige Akteurin, bei der ein Hauch Von Selbstironie zu spüren ist, wenn sie jemanden mit Blicken vernichtet, der sich nicht an die Gesetze der britischen Adelsgesellschaft hält oder schlicht in ihren Augen Aufsteiger-Pack ist. Sehr vergnüglich!

Jessica Brown
Sybil Crawley (Jessica Brown)

Bliebe noch die Frage nach der most sexy actress zu beantworten: Eindeutig und zweifellos (bis zu Beginn der dritten Staffel) Jessica Brown – aber weniger wegen ihres Kussmundes, sondern wegen ihrer leicht rauchigen Stimme, die älteren weißen Männen wie mir die Schuhe auszieht. Ich könnte ihr stundenlang zuhören. Leider wird sie nicht alles Staffel durchhalten, sondern [bitte selbst ausfüllen].

Fazit: Kann man machen, dauert ewig, natürlich OmU! (Wehe, wenn nicht!)




Anatomie einer Affäre [Update]

Anatomy of a Scandal

Nein, der Film heißt Anatomy of a Scandal („Anatomie eines Skandals“ auf Netflix). Ich empfehle ihn hiermit wärmstens, obwohl ich alles, was auch nur von weitem nach MeToo riecht, weiträumig umfahre.

Sophies privilegiertes Leben als Ehefrau des Politikers James wird durch skandalöse Geheimnisse ruiniert, als diesem ein schockierendes Verbrechen vorgeworfen wird.

Na ja, das hört sich nicht spannend an. „Skandal“ und „schockierend“ lassen mich nur gähnen. Aber jetzt die guten Nachricht: Der (Gerichts-)Film ist britisch, das heißt: Allein schon das sophisticated elitäre Englisch ist ein wahrhafter akustischer Genuss. Es geht auch nicht so radau- und showmäßig zu wie in ähnlichen Hollywood-Produktionen. Jeder akzeptiert peinlich genau die gewohnten rules, inklusive der lustigen Perücken. „I love the Pomp“ sagt eine der Anwältinnen.

Anatomy of a Scandal

Die heimliche Heldin ist Sophie Whitehouse (Sienna Miller), die auch im realen Leben mit einem Silberlöffel im Mund geboren wurde. Model, Modelabel, Schauspiel, elitäre Sportart, nur Gesang fehlt. Sie ist mir bisher nicht aufgefallen, obwohl ich bestimmt schon enen Film angesehen habe, in dem sie mitspielt. Sie spielte die Ehefrau des American Sniper. Auf jeden Fall ist sie großartig – britische Filme stehen ihr besser. Sie schafft es auch, die Tränendrüsigkeit zu vermeiden, die das Thema – hat mein Ehemann eine Frau vergewaltigt? – mit sich bringt. Mit einem Gesichtsausdruck sagt sie mehr als mit Rumgeheule. Man ist in jeder Lage beherrscht, also British und upper class. Die Miller würde mich noch nicht mal mit ihrer linken Arschbacke angucken.

Anatomy of a Scandal

Die Affäre ist Olivia Lytton, gespielt von Naomi Scott. Mit der habe ich ähnliche Probleme wie mit Andy Allo: Sie sieht so scharf umwerfend aus, dass man von den Dialogen abgelenkt wird. Ich könnte als Boss mit einer solchen Angestellten nicht arbeiten, weil ich immer nur an das Eine dächte, vorausgesetzt, meine Ehefrau würde den Charme und das Lächeln nicht toppen. Vermutlich haben die Scott genommen, um beim Publikum genau den Eindruck zu erwecken, dass kein Mann, auch nicht der Held, ihr auf Dauer widerstehen könnte, wenn sie es darauf anlegte (was hier der Fall ist). Aber auch die kann richtig schauspielern: Wenn sie aussagt, denkt man als alter Mann nicht „was ist die süß“, sondern achtet auf das, was sie sagt und welche Miene sie zieht. Sie macht erheblich mehr mit ihrem Gesicht als Clint Eastwood.

Anatomy of a Scandal

Überzeugend auch James Whitehouse (Rupert Friend) sowie die Staatsanwältin (Kronanwältin) Kate Woodcroft (Michelle Dockery,) die den klassischen Blaustrumpf gibt (kennt jemand das Wort?). Friend verkörpert den klassischen britischen Schnösel („Arroganz ist sexy“), auch seine Eskapaden zur Studentenzeit entsprechen genau dem Klischee, das man von der britischen Oberschicht kennt. Die Dockery hingegen ist unglaublich wandlungsfähig: Sitzt sie in „Zivil“ mit einem Kerl in einer Bar, erkennt man auf den ersten Blick gar nicht die gestrenge und intellektuell brillante Anwältin.

Anatomy of a Scandal

Angela Regan (Josette Simon – „Royal Shakespeare Company, and Royal National Theatre“!) entspricht zwar nicht dem vorherrschenden Schönheitsideal (IMHO – kurze Haare stehen nur Andy Allo und der jungen Wynona Ryder), die Anwältin des Angeklagten, ist zum Glück auch eine überzeugende Schauspielerin, die mit der Dockery mithalten kann. Sie ist nicht nur Quotennegerin da, weil man sonst „zu weiß“ wäre. Ich glaube auch nicht, dass es soviel crown prosecutors und andere attorneys mit afrikanischen Vorfahren gibt, aber in „Anatomie eines Skandals“ spielt die Hautfarbe nicht wirklich eine Rolle – wie es sein sollte!

Ich muss zugeben, dass ich erst einige Folgen gesehen habe, aber garantiert fällt der Plot nicht ab. Man kann sich, wenn man eine Recherche vermieden hat, gar nicht vorstellen, dass eine der Parteien „gewinnt“ -alles ist eine Frage der Perspektive. Das macht die Sache spannend und kompliziert. Redet und vernimmt die Kronanwältin, hält man den Angeklagten für ein Arschloch schuldig; plädiert die Anwältin, glaubt man der Klägerin kein Wort mehr. Wenn ich einer der Geschworenen wäre, wüsste ich nicht mehr, was ich denken sollte.

Sehenswert! (Aber bitte OmU, sonst ist das Quatsch!)

[Update] Das Publikum sehe sich die Infos auf über Sienna Miller gala.de an (jaja). „Monogramie wird überschätzt.“ Offenbar spielt sie sowohl in American Sniper als auch in „Anatomy of a Scandal“ ein bisschen sich selbst: Eine Frau, die den Richtigen einfach nicht findet oder sich über den Mann definiert und das später als falsch erkennt. Auf jeden Fall ist der obige Film das Klügste, was ich bisher zum Thema #MeToo gesehen habe.