Kolonial [Update]

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Irgendwo in Peru, 1984. Ursprünglich dachte ich, das sei in Cusco, aber so nah an die Berge reicht die Kolonialarchitektur dort eigentlich nicht. Vermutlich ist das Gebäude ohnehin schon abgerissen worden.

[Update] Das alleswissende Publikum in Gestalt des Lesers Bex hat tatsächlich etwas sehr Exotisches herausgefunden. Genau dieses Foto gibt es online – meines war nur seitenverkehrt (habe ich korrigiert).

Noch schöner: Es ist in Chivay im Colca-Tal, fotografiert am 9. Dezember 1984. Wir waren von Cabanaconde mit dem Bus gekommen und in einer lustigen Herberge untergebracht.

Es kommt sogar noch besser: Per Google kann man das Haus auch ansehen. Es ist auf der Plaza de Armas Ecke Arequipa.

Ich habe dann in meinem Reisetagebuch nachgeschaut:
[Wir fahren] durch das Colcatal mit atemberaubenden Ausblicken in die Schlucht und auf die Berge und kommen nach ein paar Stunden in Chivay an. Dort ist alles total anders: Strom und Licht, Straßenanschluss, Restaurants, ein extrem sauberes alojamiento, ein Markt mit Essen, eine Plaza mit Spielautomaten, Läden, mehrere oficinas und ein großes Polizeirevier mit Knast.

Auf der anderen Seite des Flusses heißt der Ort seltsamerweise Sacsayhuaman [dafür habe ich keinen Beleg gefunden]. Wir entdecken auch einen kleinen runden Platz in den Hügeln; aber ob er alt ist, weiß ich nicht. Zumindest heißt die Brücke „El Inca“. Die Terrassen im Colcatal sind bestimmt auch schon älter. (Das „amerikanische Dorf“ im Colcatal versetzt mich in Staunen.) [Ich weiß nicht mehr, was ich damit meinte.]

Im Grunde genommen ist in Chivay genau so wenig los wie in Cabanaconde, ja als Gringo kriegt man noch weniger mit, weil man sich in Kneipen aufhält, wo die Einheimischen nur essen. Sitzen, reden und trinken scheint bis auf die alleinstehenden Männer nicht üblich. Außer den Marktfrauen und einigen ärmeren Leuten trägt hier keiner traditionelle Kleidung. Der Unterschied und die Symbolik, die die Kleidung – ob sie praktisch ist oder nicht – ausdrückt, scheint für die Leute extrem wichtig zu sein, vielleicht noch wichtiger als für uns. Nur der Hut hält sich am längsten. Vielleicht ist der soziale Aufstieg durch Sprache und Kleidung so am besten zu signalisieren. [Ich meinte: Damals waren die traditionelle Kleidung und Quechua ein Zeichen für „Bäuerliches“ und arme Leute; wer nach „oben“ strebte, kleidete sich „westlich“ und sprach Spanisch. Heute ist das offenbar nicht mehr so.] Die Frau des Bullen [Polizisten] trägt hochhackige Schuhe, Hosen und raucht.

Wir spazieren noch das Flusstal aufwärts und baden in den heißen Quellen. Der höchste Genuss! Es gibt drei Becken! Das Wasser ist so heiss wie in der Badewanne, und nach ein wenig Schwimmen geht einem schnell die Puste aus. Das Wasser kommt heiss als kleiner Bach den Beg hinunter und wird oben ohne Zusatz direkt in die Becken geleitet.

Wir reden lange darüber, warum in den Andendörfern, jedenfalls in denen, die wir gesehen haben, alles so kaputt ist. Das Problem kenne ich ja, weil auf den anderen beiden Reisen [1979/80 und 1981/82] ähnliche Fragen auftauchten. Man sagte uns, es gebe nur noch Privateigentum an Land [also kein Kollektiveigentum mehr]. Das heisst, das keine reale Basis für eine Gemeinsamkeit oder Solidarität da ist außer der gemeinsamen Armut. Einige schließen sich daher halb-chiliastischen Bewegungen an wie der IU [Izquierda Unida]. Der Opa izquierdista in Cabanaconda sagte: Wir wählen die IU, weil die für die Armen sind, und wir sind arm. Aber warum ist es dann in Bolivien anders? Vielleicht weil die Peru die „linken“ Militärs das Experiment mit den Kooperativen eingerichtet haben und damit die traditionelle Dorfgemeinde zerstört haben? Vielleicht auch ein Problem der Ungleichzeitigkeit?

Dann beginnt unser Tag der Strapazen oder die „noche triste“. Erst warten wir vergeblich auf den Bus, und wir vermuten schon, dass wegen des Streiks erst gar keiner von Arequipa losgefahren ist. Endlich kommt er, und wir bekommen erst nach langem Rangieren einen Sitzplatz. Der Bus fährt mindestens zwei Stunden ständig Serpentinen bergauf, und Chivay ist immer zu sehen. [Gemeint ist die von oben schon extrem abenteuerlich aussehende 109 nach Süden am Huarancante (5,426m) vorbei.] Auf 4800 Metern liegt rechts und links Schnee. Einmal sehen wir einen in die Schlucht gefallenen LKW. Es ist mir ein Rätsel, warum die Busfahrer entweder hart am Abgrund entlangschlittern oder auf freier Strecke links fahren, wo doch die Straße rechts genau so schlecht ist.

Endlose Altiplano-Landschaft mit spärlichem Grasbewuchs und riesigen Llama- oder Alpacaherden. Ich frage mich, ob die Leute auf den Höfen nur von Wasser und Vieh leben, weil weit und breit kein Pflänzchen, das man essen könnte, zu sehen ist… [Ende Tagebucheintrag]

Von Chivay ging es dann weiter über eine 5000 Meter hohe Straße in Richtung der Bahnstrecke nach Julilaca, wo wir in Sumbay eine noche triste verbrachten, in anderen Worten: eine total beschissene Nacht.

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Kommentare

One Kommentar zu “Kolonial [Update]”

  1. BEX am Mai 8th, 2024 11:46 am

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