Unter Ehrenschützern im Irrenhaus

Interessante Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: „Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines Journalisten gegen die gerichtliche Untersagung einer kritischen Äußerung über die Bundesregierung“.

Gemeint ist Julian Reichelt, der frühere Chefredakteur der Bildzeitung.

Im August 2023 veröffentlichte der Beschwerdeführer auf der Kommunikationsplattform „X“ die Kurznachricht „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“. In der Kurznachricht verlinkt war der Artikel eines Online-Nachrichtenmagazins mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“. Das Kammergericht untersagte dem Beschwerdeführer auf Antrag der Bundesregierung die Äußerung „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!).“ Die Äußerung sei eine unwahre Tatsachenbehauptung, die geeignet sei, das Vertrauen der Bevölkerung in die Tätigkeit der Bundesregierung zu gefährden. Hiergegen wendet sich dieser mit seiner Verfassungsbeschwerde.

Interessant insofern, als der Sachverhalt unstrittig ist. „Millionen für Afghanistan“ berichtete der Spiegel schon 2023.

Die Zeit schreibt: „Im November 2023 untersagte das Kammergericht Reichelt eine öffentliche Verbreitung dieser Äußerung mit Verweis auf das Prinzip des Ehrenschutzes. Dieser könne geltend gemacht werden, wenn durch eine Äußerung eine juristische Person, in diesem Fall die Bundesregierung, schwerwiegend in ihrer Funktion beeinträchtigt werde. Das Kammergericht begründete seine Entscheidung damit, dass Leser den Eindruck erhalten könnten, dass Deutschland direkt Hilfen an die Taliban gezahlt hätten, was aus dem von Reichelt verlinkten Artikel nicht hervorgeht.“

Was für ein absurdes Theater! Die Bundesregierung klagt gegen einen Journalisten, weil der unstrittige Tatsachen polemisch kommentiert. Die müssen dort ziemlich dünnhäutig sein. Und den Streisand-Effekt kennen sie auch nicht.

Das Bundesverfassungsgericht ist glasklar: Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten.