1935 oder: Ein Denkmal für Hitler

Tel Aviv
Anflug auf Tel Aviv – Ben Gurion, 08.10.2023

Die hier nicht mitlesenden „Anti-Zionisten“ müssen jetzt ganz stark sein. Und auch unsere nationalistischen polnischen Nachbarn sollten sich nicht aufregen angesichts der historischen Wahrheit, obwohl das schwerfallen wird. Wir diskutieren kurz und knapp die Frage, warum es den Staat Israel geben muss und warum er wie entstanden ist.

Mehr als 60.000 Juden waren in diesem Jahr [1935] nach Palästina gekommen – sie viele wie noch nie seit der Begründung des [britischen] Mandats 1922. Die Zahl der jüdischen Bewohner des Landes näherte sich damit einem guten Drittel der Gesamtbevölkerung Palästinas von damals knapp anderthalb Millionen. (1)

Grund für die massive Zunahme jüdischer Einwanderung nach Palästina war weniger die 1933 erfolgte Etablierung des offen uns massiv judenfeindlichen NS-Regimes in Deutschland. Entscheidender waren die für Juden kaum erträglich gewordenen Verhältnisse im post-imperialen Ostmitteleuropa der Zwischenkriegszeit. (2) (…) Sichtbar und von negativer symbolischer Strahlkraft war das Gesetz zur Einschränkung der rituellen Schlachtung von 1936 ebenso wie die im Jahr darauf erlassene ministerielle Verordnung, die es Universitätsleitungen erlaubte, in Hörsälen »Ghetto-Bänke« zur Absonderung jüdischer Studenten einzurichten. Das im Februar 1937 aus der Sanacja hervorgegangene »Lager der nationalen Einigung« (OZN) machte sich die in Polen populären anti-jüdischen Forderungen insbesondere nach Ausbürgerung und Zwangsemigration zu eigen.

Im Jahr der deutsch-polnischen Annäherung [1935] stattete NS-Propagandaminister Joseph Goebbels Polen einen Besuch ab. In Warschau wurde ihm ein großer Bahnhof bereitet. Nachdem Pilsudski ihn unerwartet zu einem Fototermin empfangen hatte, sprach Goebbels an der Universität über Fragen der Machtergreifung und des Elitenwechsels im nationalsozialistischen Deutschland. Bei den Anwesenden – darunter die Spitzen des Landes: Ministerpräsident Leon Kozlowski, Außenminister Jözef Beck, Innenminister Borislaw Pieracki, Sejmabgeordnete, Senatoren, Diplomaten, Professoren, Journalisten – seien seine Ausführungen, wie Goebbels hocherfreut in seinem Tagebuch notierte, auf großes Interesse gestoßen.“ (4)

Für die kommenden fünf Jahre waren die deutsch-polnischen Beziehungen überaus einvernehmlich gewesen. Hermann Göring nahm sich ihrer an und machte Warschau Avancen, um es zu einem gegen die Sowjetunion gerichteten Bündnis, womöglich gar einem gemeinsamen militärischen Vorgehen mit dem Ziel einer Aufteilung der Ukraine zu bewegen – ein Ansinnen, dem sich Warschau zu entziehen wusste. (5)

Hinsichtlich des Schicksals der Tschechoslowakei war hingegen Einvernehmen erzielt worden. Während der Sudetenkrise traf Jözef Lipski, der polnische Botschafter in Berlin, auf dem Obersalzberg mit Hitler zusammen. Bei diesem Gespräch war nicht zuletzt der polnische Anteil an der territorialen Beute Thema. Dabei eröffnete der »Führer« seinem Gegenüber, er werde dazu beitragen, dass nicht nur die Juden aus Deutschland, sondern auch die aus Polen, Rumänien und Ungarn veranlasst würden auszuwandern. Zu deren Ansiedlung fernab von Europa werde sich das Reich um die Überlassung von Kolonien bemühen. Wenn ihm das gelinge, antwortete Lipski ehrerbietig, werde man Hitler zum Dank in Warschau ein wunderschönes Denkmal errichten. Dies jedenfalls ist dem Memorandum zu entnehmen, welches der Botschafter mit Datum vom 20. September seinem Dienstherrn in Warschau, Außenminister Jözef Beck, übermittelte. (6)

Ich schrieb am 01.08.2017: Von Kotowski habe ich mir gleich ein weiteres Buch gekauft: Die „moralische Diktatur“ in Polen 1926 bis 1939: Faschismus oder autoritäres Militärregime?. Muss man nicht haben: es ist eine Seminararbeit, die zum Thema hat, ob und ab wann Polen nach 1918 eine – im soziologischen Sinn – „faschistische“ Diktatur war. Die Antwort ist – nach dem Tod Pilsudskis: Ja. Damit wird er sich im heutigen Polen keine Freunde machen.

Haifa
Blick auf den Hafen von Haifa, Israel, 24.10.2023

(1) Report by His Majesty’s Government in the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland to the Council of the League of Nations on the Administration of Palestine and Trans-Jordan for the year 1935, 24. zit. nach Dan Diner: Ein anderer Krieg: Das jüdische Palästina und der Zweite Weltkrieg 1935–1942, 2021, S. 79

(2) Ezra Mendelsohn: Interwar Poland. Good for the Jews or bad for the Jews? In: Chimen Abransky, Maciej Jachimczyk, Antony Polonsky (Hrsg.): The Jews in Poland, Oxford 1986, 130-139

(3) Yfaat Weiss: Deutsche und polnische Juden vor dem Holocaust: Jüdische Identität zwischen Staatsbürgerschaft und Ethnizität 1933-1940 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 81, Band 81), 2000

(4) Elke Fröhlich: Joseph Goebbels: Die Tagebücher – Sämtliche Fragmente. Teil 1: Aufzeichnungen 1924–1941. Interimsregister: Die Tagebücher – Sämtliche Fragmente, Fragmente. Aufzeichnungen 1924–1941), 1987

(5) Timothy Snyder: Europa zwischen Hitler und Stalin, München 2011

(6) Diplomat in Berlin 1933-1939: Papers and Memoirs of Jozef Lipski, Ambassador of Poland, 1968, Dokument 99

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Kommentare

11 Kommentare zu “1935 oder: Ein Denkmal für Hitler”

  1. André Dreilich am Januar 24th, 2024 9:16 am

    In diesem Zusammenhang (ja, es ist nicht Ostmitteleuropa) finde ich den Antisemitismus in den USA interessant. Bei Richard Feynman („Sie belieben wohl zu scherzen, Mister Feynman“) bin ich über die Judenquote der großen US-Universitäten gestolpert. Dass Feynman trotz bester Eignung statt an seiner Wunschuni ab 1935 am MIT studierte, war diesem Umstand geschuldet: An der ursprünglich favorisierten Hochschule war das Judenlimit bereits erreicht.

  2. blu_frisbee am Januar 24th, 2024 9:51 am

    Warum ausgerechnet Israel?
    Gabs keine anderen Staaten?
    Das beantwortet der Artikel nicht.

  3. admin am Januar 24th, 2024 9:56 am

    Steht aber bei Dan Diner. Außerdem wohnen Juden seit 3000 Jahren da.

  4. blu_frisbee am Januar 24th, 2024 10:00 am
  5. altautonomer am Januar 24th, 2024 11:08 am

    Von Menschenrechtsorganisationen und Linken wird das Recht von sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen auf Asyl häufig damit begründet, dass Deutschland als eines der industrialisierten Überflussländer durch postkolonialistische Ressourcenausbeutung, Konkurrenz zu kleinbäuerlichen Infrastrukturen und Enteignungen in den Entwicklungsländern die Fluchtgründe induziert und folglich diese als Konsequenz aus der ungerechten Weltwirtschaft auch zu verantworten habe. Dabei ist die historische Komponente des Begriffs Wirtschaftsflüchtling völlig aus dem Focus geraten.

    Der Parlamentarische Rat -also die Mütter und Väter des Grundgesetzes- hat sich bei der Verfassung für die Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich auf die leidvollen Erfahrungen und Lehren aus der vorangegangenen Epoche des sog. 3. Reiches bezogen. Aus einem dieser Erkenntnisse, dass nämlich viele Deutsche Schutz vor Verfolgung im Ausland suchten und er ihnen nur zum Teil gewährt wurde, später dann absolut unmöglich war, haben die Macher des Grundgesetzes das Asylrecht in den Katalog der Grundrechte (Artikel 1 – 19) aufgenommen und um für alle Zukunft eine Wiederholung auszuschließen. Für zig Millionen war ab einem gewissen Zeitpunkt an Flucht gar nicht mehr zu denken.

    Jüdische Wirtschaftsflüchtlinge vor 1939

    Das NS-Regime förderte seit 1933 die Auswanderung von Juden nach Palästina. Behindert wurde die Auswanderung in die europäischen Nachbarländer.

    Fast die Hälfte der rund 500.000 in Deutschland lebenden Juden emigrierte oder floh von 1933 bis 1938 ins Ausland. Bevor sich mit der Reichspogromnacht 1938, dem späteren Überfall auf Polen und damit gleichzeitig dem Beginn des 2. Weltkrieges die Verfolgung von „Nichtariern“ radikalisierte, haben viele Jüdinnen und Juden geahnt, was auf sie zukommen würde.

    Wer sich über die Namen, Berufe und Funktionen prominenter jüdischer Auswanderer informieren möchte, findet bei wiki eine lange Liste:

    https://de.wikipedia./Liste_bekannter_deutschsprachiger_Emigranten_und_Exilanten

    Doch die meisten der rund 525.000 Juden in Deutschland waren zu diesem Zeitpunkt noch der Auffassung, die antisemitischen Ausschreitungen und Übergriffe wären Teil der Jahrhunderte langen Verfolgung und würden sich nach der „nationalen Siegeseuphorie“ der Nationalsozialisten wieder legen.

    Die Ausgrenzung begann bereits am 1. April 1933 mit dem „Judenboykott“, organisiert von Julius Streicher und Heinrich Goebbels. Gerichtet war die Aktion gegen jüdische Geschäfte und Waren als auch gegen die Tätigkeit jüdischer Rechtsanwälte und Ärzte. Während des Boykotts waren Nötigung, Körperverletzung, Diebstahl und Freiheitsberaubung keine Seltenheit.

    Die nicht auswanderungsbereiten Jüdinnen und Juden organisierten als Reaktion auf die Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben und auf den Entzug der materiellen Existenzgrundlagen ihre Selbsthilfe. Da sie der festen Überzeugung waren, die Nazis würden sich nicht lange an der Macht halten, und da die entfesselten pogromartigen, vom Vernichtungswillen der Nazis geprägten Überfälle noch kein bedrohliches Massenphänomen waren, bezeichneten sie die „Auswanderer“ ihrer Religionsgemeinschaft als „Wirtschaftsflüchtlinge“, allerdings nicht mit dem heute üblichen diskriminierenden Duktus.

    Wie der weitere Verlauf der Geschichte zeigte, haben diese „Wirtschaftsflüchtlinge“ sich richtig verhalten und wurden durch den Holocaust in ihrem Status als „politisch Verfolgte in klassischem Sinne“ nachträglich bestätigt.

  6. admin am Januar 24th, 2024 11:30 am

    2 Links repariert.

  7. blu_frisbee am Januar 24th, 2024 3:43 pm

    Marxisten haben das Weltbild
    daß Geschichte um Klassen geht, nicht um Völker.

  8. tom am Januar 24th, 2024 10:04 pm

    https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/europaeische-juden-vier-urmuetter-haben-3-5-millionen-nachkommen-a-395551.html
    Wer kann denn mal schlüssig beantworten, woher diese Juden vorher überhaupt kamen?
    Wieso soll davon ausgegangen werden, dass Vorfahren einiger Frauen Tausend Jahre zuvor im Tempel in Jerusalem gebetet haben?
    Das könnte ich von meinen Urahnen auch behaupten.
    Gibt N. Yahoo mir dann einen Platz für ’nen Kibbutz in Gaza?

  9. admin am Januar 24th, 2024 11:03 pm
  10. bentux am Januar 24th, 2024 11:50 pm

    @altautonomer
    Der Link tut es nicht, Ich denke Du meinst den hier?

    Btw. Die Bande ging mit Plan vor, die Juden waren „nur“ der Begin.

    <8*) Warum Mensch das so macht.

  11. Detlef am Januar 27th, 2024 11:47 pm

    Btw. ist eigentlich das Zitieren des Bullshitters Snyder eine Medienkompetenzübung?

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