Schöne, nackte Weibsbilder in verschiedenen Stellungen

Jean-Léon Gérôme
Bilder: Jean-Léon Gérôme (1824-1904): Frauen im Harem-Bad

„Die niedrigen Sofas waren mit Kissen und reichen Teppichen bedeckt, auf welchen die Damen saßen. Die erhöhten Sofas hinter ihnen sind für ihre Sklavinnen, doch alle ohne Unterschied des Ranges in ihrer Kleidung, alle waren im Stande der Natur, das heißt in klaren Worten mutternackend, keine Schönheit, keine Ungestalt verdeckt. Und doch sah ich nicht das geringste üppige Lächeln oder eine ungesittete Stellung. Sie bewegten sich, sie wandelten mit eben der majestätischen Anmut, die Milton unser aller Stammmutter beilegt. Viele waren mit solchem Ebenmaß gebaut, wie je eine Göttin durch den Pinsel eines Guido [Reni] oder Tizian gemalt worden ist. Die meisten mit blendend weißer Haut, von nichts als ihren schönen Haaren geziert, die in viele Zöpfe zerteilt über ihre Schultern herunterhingen und entweder mit Perlen oder mit Bändern durchflochten waren, vollkommene Bilder der Grazien.

Jean-Léon Gérôme

Hier ward ich von der Wahrheit einer Beobachtung überzeugt, die ich oft gemacht habe: dass, wenn es Mode wäre, nackend zu gehen, man schwerlich auf das Gesicht achten würde. Ich bemerkte, dass die Damen mit der zartesten Haut und schönsten Leibesgestalt auch den größten Anteil an meiner Bewunderung hatten, obschon ihre Gesichter bisweilen weniger schön waren als die ihrer Gesellschafterinnen. Um Ihnen die Wahrheit zu gestehen, war ich boshaft genug, im geheimen zu wünschen, dass Mr. Jervas hier unsichtbar zugegen sein könnte. Es würde, bilde ich mir ein, seiner Kunst sehr förderlich gewesen sein, so viele schöne, nackte Weibsbilder in verschiedenen Stellungen zu sehen, einige im Gespräch, einige bei der Arbeit, wieder andere Kaffee oder Sorbet trinkend und viele nachlässig auf Kissen hingestreckt, während ihre Sklavinnen (im allgemeinen reizende Mädchen von siebzehn oder achtzehn Jahren) sich beschäftigen, ihre Haare phantasiereich und zierlich zu flechten.

Jean-Léon Gérôme

Kurz, dies ist der Frauenzimmer Kaffeehaus, wo alle Stadtneuigkeiten erzählt, Verleumdungen ersonnen werden usf. Sie machen sich diesen Zeitvertreib gewöhnlich einmal in der Woche und bleiben zum wenigsten vier oder fünf Stunden beisamen, ohne sich zu erkälten, wenn sie plötzlich aus dem heißen Bad in den kühlen Raum treten, was mich in Erstaunen setzte.“

Aus: Lady Mary Montagu: Briefe aus dem Orient, verfasst 1784