Unter Superhackerinnen

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Neulich spülte mir der Netflix-Algorithmus Verblendung in die Timeline (oder wie auch immer man das bei Netflix nennt). Ich kannte weder Stieg Larssons Bücher noch die Filmversion des Themas aus dem Jahr 2009.

Ich glaube nicht, dass es mehr als ein halbes Dutzend Journalisten gibt, die so sind wie „Mikael Blomkvist“, der von Daniel Craig gespielt wird. Die „Hackerin Lisbeth Salander“ (Rooney Mara) gibt es überhaupt nicht. Das ist ein urbaner Mythos und fiktiver Sozialcharakter, der sich verselbständig hat und Teil der Alltagskultur wurde wie Dornröschen oder Schneewittchen.

Der Film ist spannend und gut und kann empfohlen werden, obwohl einige Details unlogisch oder haarsträubend absurd sind (Superhackerinnen kontrollieren aus der Ferne meinen Browserverlauf!). Man muss schon froh sein, dass „Hacken“ nicht mehr nur bedeutet, Passwörter erraten zu können.

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Interessant ist die Frage, was genau identifiziert eine Frau als „Hackerin“ in einem Film? Ein Regisseur muss den Geschmack und die Erwartungen des Publikums kennen bzw. vorhersehen. Das bedeutet zum Beispiel: eine Hackerin darf nicht wie Anja Hayduk oder gar wie Ricarda Lang aussehen. Warum nicht?

Weibliche Hacker im Film sind immer sexuell attraktiv, männliche fast nie. Warum? „Hackerinnen“ müssen Sex haben, sonst wird der Plot langweilig. „Hacker“ aka Nerds (Vgl. die Nerds Gary Larsons – ich muss mich übrigens jedes Mal bei den unsterblichen „Cow Tools“ und den Artikeln darüber kaputtlachen) nicht, höchstens mit Milfs. (Ich bin nicht so bewandert in Filmgeschichte und lasse mich gern eines Besseren belehren.)

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Nächste Frage: Warum sind weibliche Hacker immer Punks oder Goths oder Emos oder eine Mischung aus allem? (Das normale Publikum, vor allem in den USA, könnte das ohnehin nicht unterscheiden. Wenn eine Frau kurze, schwarze Haar hat und irgendeinen Metall-Popel im Gesicht, fällt sie automatisch in die Pr0n-Kategorie „Emo“.) Was haben ehemalige Jugendmoden mit Hacken zu tun? Warum sehen Hackerinnen nicht aus wie Schachspielerinnen beim Damengambit?

Es gibt nicht viele Optionen, gesellschaftliche Außenseiter ikonografisch darzustellen, dass jeder gleich kapiert, was gemeint ist. Früher hatte man Schillers Räuber, Zigeunerbarone oder Hippies. Da heute alle gleichermaßen Funktionskleidung tragen, muss das „Außenseiterische“ mit Elementen irgendeiner Jugendkultur aufgepeppt werden. Ein Hacker trägt nie Vokuhila und fährt auch keinen Opel Manta. Hacker sehen nie aus wie Arbeiter.

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Der Hacker als Sozialcharakter ist der Magier des Informationszeitalters, ein Mythos, der sich beim näheren Hinschauen als bloße Projektion entlarvt, wie es in der Natur des Mythos liegt. Zauberer aller Zeiten und Völker mussten immer anders aussehen als ihr Publikum. Was sie tun, bleibt dem Normalsterblichen schleierhaft.

Deshalb können Autoren von Drehbüchern und Regisseure den „Hackern“ übermenschliche Fähigkeiten andichten, und niemand findet das lächerlich. So auch hier. Konten fremder Personen einsehen, sich deren Geld überweisen, fremde Rechner permanent „onlinedurchsuchen“ oder Telefonzellen in den Bergen Afghanistan live abhören (wie der CIA in „Homeland“) – alles kein Problem. Ich weiß, was dein Browser tut, immer und überall.

PS. Wenn metallene Gesichtspopel oder die „Punk“-Frisur Teil der Attitude sein sollen, dann legt man so etwas nicht einfach ab – weil das zur Person „gehört“. Das aber macht unsere Heldin, die irgendwann eine blonde Perücke trägt und „normal“ aussieht, weil sie sich verkleiden muss. Danach klemmt sie sich wieder alles in die Haut. Nein, so funktioniert das vielleicht bei Thurn und Taxis, aber nicht bei Superhackerinnen…