Block der Gläubigen (II)

IDF in Gaza
Israelische Streitkräfte in Gaza, Quelle: IDF

Zweiter Teil meiner Notizen zu Gilles Kepel: Die Rache Gottes – Radikale Moslems, Christen und Juden auf dem Vormarsch“, insbesondere Kapitel 4: „Die Erlösung Israels“ (S. 203-267).

7. Die radikalsten Aktivisten der »Gush-Emunim« schwenkten auf eine Taktik des Gegenterrors ein, die an die Strategie der OAS in Algerien erinnert, und verstanden ihre Gewaltaktionen (durch die sie das Gewaltmonopol eines in ihren Augen versagenden Staates usurpierten) als Vollzug des israelischen Volkswillens — wie ein Mitglied dieser damals entstehenden »jüdischen Untergrundbewegung« in einer Verteidigungsschrift beteuert. Der Verfasser dieser Schrift weist immer wieder darauf hin, dass seiner Meinung nach der Gegenterror vom Durchschnittsisraeli und sogar der Regierung gebilligt werde. Als im Radio die Nachricht vom Attentat auf die arabischen Bürgermeister gesendet wird, erlebt er, wie eine einfache Frau spontan über die Bombenleger sagt: »Ich würde ihnen die Hände dafür küssen.« Der Militärgouverneur der besetzten Gebiete habe sogar bedauert, dass die Opfer bei den Attentaten nur verletzt wurden. Und in Nablus sei die arabische Bevölkerung von Sprengstoffanschlägen in Angst und Schrecken versetzt worden – womit man das gesteckte Ziel erreicht habe. Dem steht das »Lavieren« von Premierminister Begin gegenüber, der die Gewaltanwendung bedauert und eine Untersuchung anordnet, die allerdings im Sande verläuft. (Kepel, S. 232f.)

Im Februar 1983 wurde der „linke“ israelische Friedensaktivist Emil Grünzweig vom „rechten“ Yona Avrushmi ermordet. Es folgen weitere Anschläge, u.a. auf den Markt und die islamische Universität von Hebron mit mehreren Toten. Der israelische Geheimdienst Mossad zerschlug das „Untergrund“-Netz und verhinderte Schlimmeres – die israelischen Terroristen wollten auch den Felsendom und die al-Aqsa-Moschee sprengen, was vermutlich einen 3. Weltkrieg ausgelöst hätte.

Tatsächlich spekulierten die Verschwörer ganz kaltblütig auf diese Möglichkeit, wie der israelische Hochschullehrer Gideon Aran, der beste Kenner der »Gush-Emunim«, betont: »Die Anführer der Untergrundbewegung glaubten, dass die Sprengung der »Schandflecken« (des Felsendoms und der Al-Agsa Moschee [sic]) mehrere hundert Millionen Muslime zum Jihad veranlassen würde, was die ganze Menschheit in die letzte, entscheidende Schlacht zwingen würde: den Kampf zwischen Gog und Magog mit all seinen kosmischen Folgen. Der Sieg Israels am Ende dieser so sehnlich herbeigewünschten Feuerprobe könnte das Kommen des Messias vorbereiten.

Nach 1984 taucht die Gush-Emunim nicht mehr auf, aber die Theorien wie auch die des Kahanismus werden von anderen Parteien modifiziert aufgenommen und vertreten, unter anderem von der Otzma Jehudit. Wie überall sind auch die Grenzen zwischen „ultrarechts“ und „Nazis“ in Israel fließend – die Ideen der Anhänger Kahanes kann man durchaus mit den Nürnberger Rassegesetzen vergleichen.

IDF in Gaza
Israelische Streitkräfte in Gaza, Quelle: IDF. kann jemand von den hier mitlesensen Waffe-, Militär- und Kriegsexperten erklären, was die Panzer oben für eine sonnendachähnliche Konstruktion haben und für was die gut ist?

8. Ich hatte 2015 schon etwas zum Thema „Terror und Apokalyptiker“ geschrieben gestützt u.a. auf Hans Blumenberg“ „Lebenszeit und Weltzeit“. Man sieht: Dieses Phänomen ist nicht auf nur eine der monotheistischen Weltreligionen beschränkt, sondern taucht in allen auf – als deren äußerste Konsequenz:

„Die Terreur ist nichts anderes als unmittelbare, strenge, unbeugsame Gerechtigkeit; sie ist also Ausfluss der Tugend; sie ist weniger ein besonderes Prinzip als die Konsequenz des allgemeinen Prinzips der Demokratie in seiner Anwendung auf die dringendsten Bedürfnisse des Vaterlandes.“ (Maximilien de Robespierre, 1794)

9. Kepel weist auch darauf hin, dass die Motive der „rechten“ israelische Terroristen denen der militanten Islamisten ähneln, die 1981 den ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat ermordeten. Dort „Re-Judaisierung“, hier „Re-Islamisierung“.

Jetzt wird es kompliziert (Arbeitshypothese). Wenn sich hinter Religion die jeweiligen Klassenkämpfe kostümiert verstecken – wie kann man das vergleichen, wenn sich die Ideen also Elemente des luftigen Überbaus – strukturell ähneln, die Kämpfe der Klassen aber unter ganz verschiedenen Voraussetzungen, Zeiten und Ländern stattfinden?

IDF in Gaza
Israelische Streitkräfte in Gaza, Quelle: IDF

Dabei stößt die Rejudaisierung besonders unter den sephardischen Juden Israels auf große Resonanz, weil die Orthodoxen als erste ihre Interessen vertreten und es ihnen ermöglicht haben, sich innerhalb des institutionellen politischen Systems Gehör zu verschaffen. [Quod erat demonstrandum] Hat sich in der Zeit zwischen 1974 und 1984 vor allem die »Gush-Emunim« als Vorkämpferin einer Rejudaisierung Israels hervorgetan, sind es danach die Haredim, die sich in diesem Bereich besonders engagieren. Während die Hochburgen der »Gush-Emunim« in den Siedlungen der besetzten Gebiete liegen und die meisten ihrer Anhänger Aschkenasim oder Sabra sind, die in den Jugendbewegungen der national-religiösen Partei aktiv waren, stammt die (ein beachtliches sephardisches Kontingent umfassende) Gefolgschaft der Orthodoxen hauptsächlich aus dem israelischen Kernland in den Grenzen vor 1967. (S. 252)

10. Die Orthodoxen in Israel sind sich natürlich nicht einig (vgl. judäische Befreiungsfront). Die Schasch vertritt die Sephardim. Die Kriterien Sephardim und Aschkenasim zu unterscheiden, halte ich für irrational und so albern rassistisch wie die verschiedenen Hautfarben in Brasilien. Letzllich ist das immer eine soziale Unterscheidung (vgl. pielroja).

Die Agudat Yisrael ist eher von osteuropäischer, also chassidischer Tradition geprägt. Degel haThora „repräsentiert den nicht-chassidischen Teil des aschkenasischen ultraorthodoxen Judentums, steht also in der Tradition der Befreiungsfron Judäas) litauischen Mitnagdim„.

Auf die Geringschätzung des aus Arbeiterpartei und Aschkenasım bestehenden Establishments, das den Zionismus auf seine eigenen Interessen abgestimmt hatte, reagierten die Sepharden häufig mit Wahlenthaltung. Hinzu kam die offene Auflehnung gegen das System, wie sie sich bei den Ausschreitungen ın den Elendsquartieren von Haifa 1959 oder ın der Gründung der »Schwarzen Panther« 1971 manifestierte, die auf die Ähnlichkeit ihrer Situation mit der Unterdrückung der Schwarzen in den USA aufmerksam machen wollten.(…)

Zugleich entwickelten diese Schattenkinder des sozialistischen und weltlichen Zionismus in ihrem überschwenglichen religiösen Empfinden neue Formen der sozialen Vernetzung, der Solidarität, des gesellschaftlichen Aufstiegs und der Verteidigung ihrer verspotteten Identität. Diese religiöse Inbrunst nahm im wesentlichen zwei Formen an: Zum einen bestand sie ın der symbolischen Verlegung von Gräbern von (hauptsächlich marokkanischen) Heiligen nach Israel, deren neue Ruhestätten zu regelrechten Wallfahrtsorten wurden; zum anderen in der Wiedereinführung der Verehrung von Weisen (Hakham) – wie man sie schon in der Diaspora praktiziert hatte. (S. 256)

IDF in Gaza

11. Diese auf der Ebene der gesamten Bewegung praktizierte Endogamie verstärkt den inneren emotonalen Zusammenhalt der Gemeinschaft, die sich durch Riten der totalen sozialen Abgrenzung definiert. (…)

Eine solche Definition der Identität durch einen übersteigerten Ritualismus, durch die systematische Suche nach Abgrenzungssymbolen erinnert an eine pietistische islamische Gruppe wie die »Tablich«.

Da haben wir wieder alle „Sekten“-Mechanismen zusammen. Für mich ist auch die Hijabisierung der türkischen Einwanderer und deren Nachfahren so erklärbar. (Ende meiner Notizen)