Selekzia oder: Wünschenswertes Menschenmaterial

jüdische Nachrichten
Die Wedgwood, das erste amerikanische Mossad-Bricha-Schiff, das illegale jüdische Passagiere von Europa nach Palästina beförderte. Credits: Jewishgen.org

In Deutschland traf Ben Gurion General Dwight Eisenhower [1939] und machte ihm einen originellen Vorschlag: Man solle alle jüdischen Flüchtlinge in Bayern zusammenziehen — in Dörfern, deren Einwohner evakuiert würden — und ihnen eine Selbstverwaltung zugestehen. Die Flüchtlinge sollten landwirtschaftliche Kenntnisse erwerben und paramilitärisches Training erhalten, bis sie nach Palästina auswandern könnten. Ben Gurion berichtete seinen Kollegen, er habe Eisenhower ernsthaft die Errichtung eines jüdischen Staates in Bayern vorge. schlagen. Der verblüffte General erwiderte, das sei eine «neuartige Idee». Im Prinzip sei er dafür, die Juden an einem Ort zu konzentrieren, sagte er, weil ihre Verbreitung ihre Versorgung erschwere und die deutsche Bevölkerung beunruhige. Zu einem bayerischen Judenstaat kam es nicht, doch Eisenhower versprach, die Lebensbedingungen in den Lagern zu verbessern, und überließ der zionistischen Bewegung sogar ein Flugzeug, mit dem sie hebräische Bücher einfliegen lassen konnte, die in den Lagern verteilt wurden. Vor allem erklärte er sich einverstanden, Zehntausenden von Juden aus Osteuropa den Zugang zur amerikanischen Besatzungszone zu gestatten. „Eisenhower ist einer der anständigsten Kerle, die ich je getroffen habe“, notierte Ben Gurion später. „Er wirkte nicht wie ein General, sondern einfach wie ein unvergleichlich gerechter Mann“. (…)

Nach dem Krieg setzten sich die Abgesandten auch weiterhin für die Einwanderung nützlichen und wünschenswerten „Menschenmaterials“ ein. Gleichzeitig versuchten sie, vor allem kurz vor Israels Unabhängigkeitskrieg, die Immigration nicht erwünschter Juden zu verzögern. Monatelang schickten sie dem Jischuw fast ausschließlich kampftaugliche junge Leute. In den fünfziger Jahren kam dieser Punkt erneut zur Sprache, und eine Zeitlang wurde sogar ein Verfahren wieder eingeführt, das «selekzia» hieß; es bedeutete Auswahl der Einwanderungskandidaten nach Herkunftsland, Alter, Beruf, Familienstand und sogar — wie in der Vergangenheit — nach Parteizugehörigkeit. Doch der Traum, der die zionistische Bewegung vor dem Holocaust geleitet hatte, der Traum von einer idealen Gesellschaft, die mit der Zeit aus den Besten des europäischen Judentums einen neuen Menschen schaffen würde, war vergangen. Der Mord an den Juden zwang die Zionisten zu der Erkenntnis, daß all jene, die noch lebten, unverzüglich nach Palästina gebracht werden mußten. Einer der Organisatoren der Einwanderung erklärte, man müsse praktisch „alles nehmen, was kommt“, mit Ausnahme „völlig asozialer Typen und unverbesserlicher Krimineller“.

Aus Tom Segev: Die siebte Million – Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung, Reinbek 1995, S. 166ff. Quelle des ersten Zitats: Ben Gurion vor der Exekutive der EJA (Jewish Agency), 24. Februar 1946, ZZA (Zionistisches Zentralarchiv Jerusalem). Zweites Zitat: Schaul Meirov Avigur vor dem Parteivorstand der Mapai, 03. Mai 1943, AAP (Archiv der Arbeiterpartei, Bet Berl, Zofit), 24/43; Sowie Weitz, „Positionen und Ansätze“, S. 56ff.

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Kommentare

2 Kommentare zu “Selekzia oder: Wünschenswertes Menschenmaterial”

  1. ... der Trittbrettschreiber am September 18th, 2023 2:45 pm

    Seltsam, worüber sich manche Leute an den verantwortlichen Stellen Gedanken machen, wenn es um das Verwalten und Behandeln von Menschen geht.
    Manhört das Lachen in Lampedusa bis hier in den Keller…hx.

    PS: Könnte man da nicht Bücher in Flüchtlingssprache einfliegen?

  2. Cpt. Arrowhead am September 21st, 2023 6:39 am

    zu den zeitpunkt hatte man doch schon genug lager gebaut für juden in deutschland, und dann auch noch ausgerechnet BAYERN bei den pangermanisten.. ja mei man kann das dorf auch anzünden

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