Zu viel Demokratie in Israel

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Starkes Indiz, dass etwas im Argen liegt: Alle deutschen Medien sind einer Meinung. Niemand verteidigt die so genannte Justizreform in Israel. Da stimmt doch etwas nicht? Es gibt zu jedem politischen Thema mehrere Ansichten – und hier nicht?

Die angelsächsische Presse, in deren Tradition auch die israelischen Medien stehen, berichtet weitaus ausgewogener und ohne Schaum „gegen Rechts“ vor dem Mund. Sogar die arabische Presse ist sachlicher als die deutsche. Also schauen wir genauer hin.

Eine Justizreform wäre vernünftig

Eine Reform täte dem israelischen Gerichtswesen gut:
Das oberste Gericht tritt auch als Oberster Gerichtshof und somit als oberste Berufungsinstanz überhaupt, zusammen. Diese Funktion ist eine Besonderheit des israelischen Systems, da das oberste Gericht als Oberster Gerichtshof in entsprechenden Verfahren die erste und letzte Instanz ist. Der Oberste Gerichtshof ist zur juristischen Revision von Entscheidungen anderer Regierungsgewalten berechtigt und besitzt Machtbefugnisse „in jenen Angelegenheiten, die nicht in den Jurisdiktionsbereich eines anderen Gerichts oder einer anderen gerichtlichen Institution fallen und in denen es das Gericht im Interesse der Gerechtigkeit für notwendig hält, Abhilfe zu schaffen“.

Der oberste Gerichtshof ist also eine Art von Parallelregierung, die selbst entscheiden kann („reasonableness„), ob sie eingreift. Und man ahnt schon, dass es wichtig sein könnte, wer wie von wem warum zum Richter ernannt wird. Warum spricht die Tagesschau aber von einer “ Schwächung der unabhängigen Justiz“, wenn das oberste Gericht Recht sprechen kann, ohne dass es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt? Die Botschaft Israels in Deutschland beschreibt das so: Durch das Fehlen einer schriftlichen Verfassung oder eines Grundgesetzes und angesichts der fortdauernden Gültigkeit von Bestimmungen aus der Zeit der britischen Mandatsherrschaft sowie der umfangreichen Machtbefugnis der Legislative erhält das Gerichtswesen in Israel jedoch eine wesentlich wichtigere, komplexe Position.

Es ist also ganz anders als in Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht überprüft nur, ob die Gesetze der Regierung mit den juristischen Grundlagen, insbesondere dem Grundgesetz, konform gehen – nicht mehr. In Israel kann der Oberste Gerichtshof zum Beispiel entscheiden: Wir halten neue Siedlungen in Judäa und Samaria für illegal, weil wir das so sehen – ohne dass es dafür ein Gesetz gäbe, auf dass man sich berufen könnte (nein, Deutsche Welle: „nicht verfassungsgemäß“ ist falsch, weil Israel gar keine Verfassung hat).

Eine demokratische Reform mit Nachteilen

Auch in Deutschland werden die obersten Richter ausgekungelt: „Der Bundestag setzt zunächst einen Wahlausschuss von zwölf Abgeordneten ein, der einen Kandidaten zur Wahl vorschlägt. (…) Ein wichtiges Merkmal der deutschen Richterwahl ist daher, dass ein großer Konsens über die Kandidaten gesucht werden muss. Das unterscheidet das deutsche System von den Vereinigten Staaten, wo mit einfacher Mehrheit gewählt wird.“ Auf die Qualifikation kommt es hierzulande nicht immer an. Manchmal reicht es schon, wenn man etwas mit Migration macht.

Ich habe in den letzten Wochen zahllose Artikel zum Thema gelesen, und es gab nur einen, der objektiv war und die Sache auf den Punkt bringt: Netanjahus Reform der Justiz ist deswegen nicht etwa deshalb problematisch, weil sie undemokratisch wäre, sondern weil sie demokratisch ist: weil sie die Justiz, vor allem das oberste Gericht, dem Willen der Parlamentsmehrheit unterwerfen will. Sie schafft Israels Demokratie nicht ab, wie Bestsellerautor Harari meint – und damit übertreibt. Aber sie schafft Bedingungen, unter denen im Namen der Demokratie die Rechte von Minderheiten eingeschränkt oder abgeschafft werden könnten. (Alan Posener in der „Zeit“)

Was ist das Motiv?

Damit kommen wir zum Thema. Die Jerusalem Post fasst das knapp und sachlich zusammen: Prominent government members want Israel to expand its West Bank settlements and annex part, or even all, of the contested region.

Currently, the Palestinian Authority has some control over portions of the West Bank and shares responsibilities with the Israeli military in others. Roughly 60% of the area is under exclusive Israeli military—but not civilian—control. The international community [wer soll das sein? China?] regards the entire West Bank as militarily occupied territory, and the Palestinians consider it the core of their future state.

The government’s legal reforms would effectively remove the Supreme Court from West Bank-related deliberations, giving the government an almost free hand.

At the same time, the government has other laws and policies on its agenda that the opposition bitterly objects to. For example, it wants to shield Israeli soldiers from investigation for suspected misbehavior, retroactively legalize Jewish settlement outposts in the West Bank, and grant more authority to Jewish rabbinical courts.

Natürlich wollen die Religioten Israels mehr Macht, mehr Geld und letztlich die säkularen Grundlagen Israels ändern. Aber das hat nichts mit der Justizreform zu tun, sondern ist eine Frage von Mehrheiten. Die Reform, würde sie so umgesetzt, wie sie geplant ist, würde nur die Fakten anerkennen und das konsequent weiterführen, was ohnehin schon geschieht: Einen „palästinensischen“ Staat wird es nicht geben, und auf lange Sicht werden Judäa und Samaria (aka Transjordanien oder Westbank) wieder zum Staat Israel gehören. Und warum sollte Israel für seine eigenen Bürger dort keine neuen Städte bauen? Das oberste Gericht soll sich nicht einmischen – was es bisher getan hat.

Alle Grenzen Israels sind das Resultat von Kriegen. Das ist bei fast allen Staaten so, außer bei Inseln. Warum tun sich ausgerechnet die Deutschen, die das doch am besten wissen müssten, so schwer damit, das einfach anzuerkennen?

Man muss auch einmal ganz laut sagen, was die Motive der Wähler Israels waren, die den so genannten „Rechten“ eine knappe Mehrheit verschafft haben und worauf die „Linke“ keine Antwort hat – und das ist in Deutschland ähnlich:
Die Israelis sind beunruhigt über den zunehmenden palästinensischen Terrorismus im Gebiet der Grenzen vor 1967 sowie in Judäa und Samaria. So filmte eine Straßenkamera am Wahltag einen arabischen Mann, der in der Stadt Tiberias versuchte, eine israelische Frau zu entführen und sie in sein Auto zu zwingen. Sie konnte sich losreißen und fliehen.

Es vergeht kaum ein Tag ohne einen Anschlag, und die Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde unternehmen praktisch nichts, um die Terroristen zu stoppen. Die scheidende Lapid-Regierung, zu der auch Verteidigungsminister Benny Gantz gehört, hat das Vertrauen der Öffentlichkeit verloren, weil sie nicht in der Lage war, die blutige Terrorwelle zu unterdrücken.

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Credits: Al Jazeera/Perry-Castañeda Library Map Collection

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Kommentare

3 Kommentare zu “Zu viel Demokratie in Israel”

  1. Juri Nello am Juli 24th, 2023 5:58 pm

    Gegenfrage: Macht Gewaltenteilung für Dich Sinn?

  2. admin am Juli 24th, 2023 6:01 pm

    Natürlich, aber dann müssen sie sich erst einmal eine Verfassung geben, die das regelt.

  3. Albert Rech am Juli 24th, 2023 7:25 pm

    Welchen Sinn würde es machen wenn die deutschen Medien in falsch verstandener Ausgewogenheit rechte und ultrarechte Verteidiger der umstrittenen ultrarechen Justizreform zu Wort kommen zu lassen?
    Es ist die Aufgabe der Medien nicht nur Fakten zu berichten sondern sie auch gleich für den Medienkonsumenten einzuordnen.

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